Finnland - Deutschland - Die politischen Systeme im Vergleich


Dossier / Travail, 2000

26 Pages, Note: 3,0


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Verfassungsentwicklung
2.1. Finnland
2.2. Bundesrepublik Deutschland

3. Präsidentiell oder parlamentarisch
3.1. Finnland
3.1.1. Präsident und Regierung
3.1.2. Parlament
3.2. Bundesrepublik Deutschland
3.2.1. Präsident
3.2.2. Parlament und Regierung

4. Direkt oder repräsentativ
4.1. Finnland
4.2. Bundesrepublik Deutschland

5. Unitarisch oder Föderal
5.1. Finnland
5.2. Bundesrepublik Deutschland

6. Konkordanz- oder Konkurrenzdemokratie
6.1. Finnland
6.1.1. Das Wahlsystem
6.1.2. Gesetzgebung und Interessenverbände
6.2. Bundesrepublik Deutschland
6.2.1. Das Wahlsystem
6.2.2. Gesetzgebung und Interessenverbände

7. Fazit

Literatur

1. Einleitung

Finnland ist keine Weltmacht. Zwar gehört das Land flächenmäßig zu den größten Staaten Europas1, von der Bevölkerungszahl her jedoch zu den kleinsten2. Die Finnisch-Ugarische Sprache ist nicht mit der der skandinavischen oder slawischen Nachbarn verwandt. Finnland gehört auch nicht zu den größten Handelspartnern und hat keine besonders große strategische Bedeutung. Dabei ist das Land in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Schon 1906 durften in Finnland auch Frauen wählen und 1917 übernahm der erste demokratisch gewählte sozialistische Premierminister der Welt, Oskari Tokoi, sein Amt in Helsinki3. Das Land wehrte 1939 eine sowjetische Invasion ab und konnte seine Unabhängigkeit auch später bewahren. Während des Kalten Krieges pflegte Finnland durch eine erfolgreiche Neutralitätspolitik eine friedliche Nachbarschaft zur Sowjetunion und war damit ein wichtiger Puffer zwischen Ost und West. Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion konnte Finnland neue außenpolitische Prioritäten setzen und wurde im Januar 1995 Mitglied in der Europäischen Union.

Die Geschichte des Landes ist dabei stark von der geographischen Lage geprägt: Finnland liegt im äußersten Nordosten Europas, zwischen dem 60. Und 70. Grad nördlicher Breite. Im Nordwesten grenzt es an Norwegen und Schweden, im Osten an Rußland und im Süden und Westen an die Ostsee. Lange Zeit standen die Finnen unter der Herrschaft ihrer Nachbarn: Jahrhunderte lang gehörte Finnland zur schwedischen Krone, über 100 Jahre zum russischen Zarenreich. Erst nach dem Ersten Weltkrieg und der russischen Revolution konnten sich die Finnen 1919 unabhängig erklären.

Die Nachbarschaft zu Rußland prägte auch die Beziehungen zu Deutschland. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde ,,Deutschland in Finnland als Gegengewicht zu Rußland betrachtet"4. Die Finnen erhofften sich von den Deutschen, dass sie sie vor dem großen Nachbarn im Osten beschützen würden. Nach dem Krieg änderte sich diese Beziehung jedoch grundlegend. Die finnische Ausgleichspolitik gegenüber der Sowjetunion erlaubte keine engen Bindungen zum geteilten Deutschland. Heute sind die politischen Beziehungen zwischen Finnland und Deutschland wieder relativ eng geworden. Neben der Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Union bestehen die Kontakte auch in multinationalen Institutionen wie den Vereinten Nationen oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE.

Ziel dieser Arbeit soll es sein, die politischen Systeme der beiden Länder näher zu betrachten. Dabei soll untersucht werden, ob die Konvergenzhypothese hier zutrifft. Diese Hypothese besagt, daß sich die politischen Systeme der heutigen Mitgliedsländer der Europäischen Union seit 1980 einander angenähert haben. Zu diesem Zweck werden die politischen Systeme Finnlands und der Bundesrepublik anhand von vier Kriterien miteinander verglichen: Handelt es sich bei den untersuchten Systemen um präsidentielle oder parlamentarische Regierungsformen? Sind sie eher repräsentativ oder direktdemokratisch? Sind die Länder föderal oder unitarisch aufgebaut? Handelt es sich um Konkurrenz- oder Konkordanzdemokratien? Zum besseren Verständnis des Vergleichs wird jedoch zunächst kurz auf die Entwicklung der Verfassungen der beiden Länder eingegangen. Allerdings muß dabei berücksichtigt werden, dass in Finnland am 1. März 2000 eine Verfassungsreform in Kraft getreten ist. In der deutsch- und englischsprachigen Literatur wurde diese Entwicklung bislang jedoch kaum behandelt. Vor allem an ausführlicheren Darstellungen über den Inhalt der Reform fehlt es. Deshalb können die Veränderungen des politischen Systems Finnlands hier nur Ansatzweise mit einbezogen werden. Dabei stützt sich diese Arbeit auf die Darstellung der Reform im Buch von Helen Endeman.

2. Verfassungsentwicklung

2.1. Finnland

Mehr als 700 Jahre war Finnland teil des schwedischen Königreichs5. Von 1809 bis 1919 gehörte es als Großherzogtum zu Rußland. Dabei garantierte der russische Zar Finnland jedoch einen gewissen autonomen Status. So galt die schwedische Verfassung von 1772 auch unter russischer Herrschaft weiter. Diese sah eine Vierständeordnung aus Adel, Geistlichkeit, Bürgertum und Bauern vor, die zusammen den ,,Reichstag" bildeten. Staatsoberhaupt war der Zar, der von einem Generalgouverneur vertreten wurde. Der Reichstag gründete auf Anordnung des Zaren 1819 den Senat, der die Regierungsgeschäfte führen sollte. Der Senat bestand aus 14 Mitgliedern, die zur Hälfte Adlige und zur Hälfte Bürgerliche waren. Den Vorsitz hatte der Generalgouverneur inne.

Im Zuge der Industrialisierung und den damit verbundenen wachsenden sozialen Spannungen, wuchs jedoch der Widerstand gegen die Vierständeordnung. Zugleich gab Rußland seine liberale Politik gegenüber Finnland auf: ,,Im April 1903 übertrug Zar Bobrikov die Diktaturgewalt über Finnland"6. Aufgrund der wachsenden Unruhen in Rußland und dem finnischen Widerstand gegen die russische Herrschaft, widerrief der Zar 1904 die Diktatur über Finnland und beauftragte den Senat damit, eine demokratische Parlamentsordnung zu entwerfen. Die vorgelegte Reichstagsreform wurde vom Reichstag im Sommer 1906 beschlossen. Damit wurde der Übergang von der Ständeordnung zu einem demokratischen Parlament vollzogen. Unabhängig war Finnland damit jedoch noch nicht. Der Einfluß Rußlands endete erst nach dem Ersten Weltkrieg und der russischen Revolution. Im November 1917 erklärte sich der Reichstag zur höchsten Gewalt in Finnland, im Dezember legte der spätere erste Präsident Finnlands, Ståhlberg, dem Reichstag einen Verfassungsentwurf vor und am 31.12.1917 erkannte der bolschewistische Rat der Volkskommissare in Sankt Petersburg die Souveränität Finnlands an7. Im Jahr 1918 benannte der Reichstag den Senat um. Er heißt seitdem Staatsrat. Ein Jahr später, 1919, gab sich das Parlament schließlich die bis heute gültige Verfassung, die ,,Regierungsform ". Sie bildet im Ergebnis einen Kompromiß zwischen monarchistischen und republikanischen Kräften. Während die Linken ein starkes Parlament forderten, befürworteten die Monarchisten eine starke Stellung des Präsidenten. So entstand ein semi-präsidentielles System, in dem dem Staatspräsidenten die Rolle eines Gegengewichts zu Regierung und Parlament zukommt. Im Zuge der Verfassungsreform 2000 wurden die Rechte des Präsidenten jedoch erheblich eingeschränkt8.

Neben der ,,Regierungsform" gibt es in Finnland noch weitere Gesetze mit Verfassungsrang. Wichtig ist hierbei die Reichstagsordnung von 1928. Sie stellt im Wesentlichen ,,eine Revision der Reichstagsordnung von 1906 dar"9. In ihr sind die Organisationsform und die Aufgabenstellung des Parlaments festgeschrieben. Zudem gehören auch das ,,Gesetz über das Recht des Reichstages, die Gesetzmäßigkeit der Amtshandlungen der Mitglieder des Staatsrates und des Justizkanzlers zu prüfen" und das ,,Gesetz über das Reichsgericht" zu den Grundgesetzen Finnlands. Seit dem 1. März 2000 sind diese verschiedenen ,,Grundgesetze" in einer Verfassungsurkunde zusammengefasst.

2.2. Bundesrepublik Deutschland

Die Entwicklung der deutschen Verfassung ist ,,stark geprägt durch ihre entstehungsbedingte föderative Struktur"10. Schon die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 hatte einen stark föderativen Charakter. Formell lag die Souveränität beim Bundesrat. Er setzte sich aus 58 Vertretern zusammen, die von den Regierungen der meist monarchischen Mitgliedsstaaten entsandt wurden. Neben dem Reichstag war er gleichberechtigt an der Gesetzgebung beteiligt und hatte auch ,,bedeutende exekutive Kompetenzen"11. An der Spitze des Staates stand der Kaiser, gefolgt vom Reichskanzler. Im Verhältnis zu Reichskanzler und Kaiser hatte der Reichstag formell nur begrenzte Kompetenzen. Obwohl der Reichstag durch gleiche Wahlen legitimiert wurde, beschrieb die Verfassung von 1871 eher einen monarchischen Obrigkeitsstaat.

Ein parlamentarisch-demokratisches Regierungssystem konnte erst mit der Gründung der Weimarer Republik in Deutschland eingeführt werden. Die Weimarer Verfassung trat am 11. August 1919, knapp einen Monat nach der finnischen ,,Regierungsform"12, in Kraft. Mit der neuen Verfassung wurde die Stellung des Reichstags enorm gestärkt: Er verfügte jetzt über eine zentrale Rolle bei der Gesetzgebung und hatte die Entscheidungsbefugnis bei der Bestimmung des Haushalts. Der Reichsrat, die Länderkammer, hatte in Bezug auf Gesetzgebung und Haushalt nur ein aufschiebendes Veto. Das Kabinett, das sich aus dem Reichskanzler und den Ministern zusammensetzte, war vom Vertrauen des Reichstags abhängig. Das Parlament konnte den Reichskanzler den einzelnen seiner Minister mit einfacher Mehrheit stürzen. Auf der anderen Seite war die Regierung auch vom Reichspräsidenten abhängig. So wurde der Reichskanzler nicht nur durch den Präsidenten ernannt oder entlassen, sondern war auch auf dessen Zustimmung bei fehlender parlamentarischer Mehrheit angewiesen. Daneben hatte der Präsident den militärischen Oberbefehl und das Recht zur Auflösung des Parlaments, wobei er dabei wiederum auf den Reichskanzler angewiesen war.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten endete das parlamentarische System in Deutschland vorerst. Adolf Hitler beschnitt die demokratischen Strukturen nach und nach und installierte eine nationalsozialistische Diktatur. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges übernahmen zunächst die Alliierten die Macht. Die westlichen Besatzungsmächte beauftragten den ,,Parlamentarischen Rat" damit, eine demokratische Verfassung auszuarbeiten. Wegen der wachsenden Spannungen zwischen Ost und West sollte diese jedoch nur für die westlichen Besatzungszonen gelten. Am 23. Mai 1949 trat das vom ,,Parlamentarischen Rat" erarbeitete Grundgesetz in den drei Westzonen in Kraft. Nur kurze Zeit später, am 7. Oktober 1949 wurde im Gegenzug in der sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik gegründet.

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland knüpfte dabei in seiner Tradition an die Verfassung der Weimarer Republik an. Allerdings versuchte der ,,Parlamentarische Rat" die ,,institutionellen Mängel"13 der Weimarer Verfassung zu vermeiden. So wurde beispielsweise die Rolle des Regierungschefs gestärkt, während der Bundespräsident weitgehend repräsentative Aufgaben erfüllt. Zudem wurden die Länder durch den Bundesrat unter anderem an der Gesetzgebung des Bundes beteiligt. Seit dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik nach Artikel 23 (alte Fassung) gilt das Grundgesetz jetzt als gesamtdeutsche Verfassung. Im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung wurde das Grundgesetz 1992 reformiert. Dabei kam es allerdings nicht, wie von Sozialdemokraten und Bündnis90/die Grünen gefordert, zu umfassenden Reformen. Vielmehr wurde das Grundgesetz ,,europakonform gestaltet"14.

3. Präsidentiell oder parlamentarisch

3.1. Finnland

Im Januar 2000 wählten die Finnen bei der Präsidentenwahl mit der studierten Juristin Tarja Halonen zum ersten Mal eine Frau an die Spitze ihres Staates. Fast parallel mit ihrem Amtsantritt trat jedoch auch die Verfassungsreform in Kraft, die weitreichende Konsequenzen für Stellung des Präsidenten hat. Dabei vollzieht das politische System Finnlands einen Wandel von einem semi-präsidentiellen zu einem eher parlamentarischen System.

3.1.1. Präsident und Regierung

Zu den wichtigsten Machtbefugnissen des Präsidenten gehören die Ernennung und Entlassung der Regierung, die Entscheidungskompetenz in der Außenpolitik, das Einbringen von Gesetzesvorlagen im Parlament und die Gegenzeichnung von im Parlament beschlossenen Gesetzen. Zudem eröffnet und schließt er die Sitzungen des Parlaments und erläßt Verordnungen zum Vollzug der verabschiedeten Gesetze in den Bereichen öffentliche Verwaltung, öffentliche Einrichtungen und staatliche Finanzverwaltung. Auf Ersuchen des Ministerpräsidenten kann er das Parlament auflösen und gegen ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz ein aufschiebendes Veto einlegen. Außerdem ist er Oberbefehlshaber der Streitkräfte und hat das Recht die Inhaber der höchsten und höheren öffentlichen Ämter zu ernennen15, was ihm großen Einfluß auf die Zusammensetzung der politischen Elite des Landes gibt. Allerdings verfügt der Präsident über keinen großen eigenen Verwaltungsapparat. Neben seiner Präsidentenkanzlei stützt er sich bei seiner Arbeit auf die Administration von Regierung und Ministerien. Seit 1994 wird der Präsident direkt vom Volk gewählt. Seine Amtszeit ist auf maximal zwei sechsjährige Amtsperioden begrenzt. Während seiner Amtszeit kann er nicht entlassen werden, außer wenn das Parlament mit einer dreiviertelmehrheit beschließt den Präsidenten wegen Landesverrats vor dem Obersten Gerichtshof anzuklagen.

Die Regierungsbildung ist das wichtigste präsidentielle Vorrecht im Feld der Innenpolitik. Die Initiative liegt hier beim Präsidenten. Er lädt nach einer Wahl den Parlamentspräsidenten und die Fraktionsvorsitzenden ein, um mit ihnen die politische Lage zu erörtern. Ziel ist es herauszufinden, ob welche Parteien zu einer Mehrheitskoalition bereit sind. Auf Grundlage dieser Gespräche ,,entscheidet der Präsident dann, wer die beste Aussicht für die Bildung einer breit unterstützten und stabilen Regierung hat"16. Nun nominiert er einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten und gibt ihm entsprechende Instruktionen für die zu bildende Koalition. Möglich ist aber auch, dass der Präsident nach den ersten Sondierungen einen sogenannten Informateur bestellt. Dieser hat die Aufgabe, die Optionen der verschiedenen Parteien zu erkunden. Im Falle eines Scheiterns des Informateurs kann der Präsident einen neuen Politiker mit den Sondierungen beauftragen. Kommt es zu einer Einigung über eine neue Regierung, muß der Informateur den Präsidenten darüber informieren. Der Präsident ernennt daraufhin den Ministerpräsidenten und die vorgeschlagenen Minister, die dann zusammen den Staatsrat bilden. Die Mitglieder der Regierung müssen das Vertrauen des Parlaments genießen. Dieses Verfahren hat dem Präsidenten bislang einen großen Einfluß bei der Regierungsbildung gesichert, ,,und die meisten Präsidenten haben diese Macht extensiv genutzt"17.

Im Zuge der Verfassungsreform wurde das Verfahren der Regierungsbildung jedoch verändert. Die Koalitionsverhandlungen sollen jetzt durch die im Parlament vertretenen Parteien und Parlamentsfraktionen ohne die Initiative des Präsidenten stattfinden. Nach Anhörung des Parlamentspräsidenten und der Parlamentsfraktionen wird der Präsident anschließend den Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten bekanntgeben. Der Kandidat muß sich dann dem Parlament zur Wahl stellen. Gewählt ist er, wenn er mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen auf sich vereint. Erreicht der Kandidat diese Mehrheit nicht, wird ,,nach demselben Verfahren ein neuer Kandidat aufgestellt"18. Durch die direkten Koalitionsverhandlungen zwischen den Parteien und der Wahl der Regierung durch das Parlament wurde der Parlamentarismus im politischen System Finnlands gestärkt. Der Präsident hat hier an Kompetenzen eingebüßt und wird seinen Einfluß auf die Regierungsbildung künftig nicht mehr in demselben Maße wie bisher wahrnehmen können.

Die Exekutivgewalt verteilt sich in Finnland auf Präsident und Staatsrat. In der Vergangenheit war die vornehmliche Aufgabe der Regierung die Entscheidungen des Präsidenten auszuführen. Diese Entscheidungen basierten jedoch meist auf Vorlagen der jeweiligen Ressortminister, die im Rahmen der Staatsratssitzungen vorgestellt wurden. Dabei war der Präsident allerdings nicht an den Vorschlag des Ministers gebunden. Seine Entscheidungen bedurften jedoch der Gegenzeichnung durch einen Minister. Ausgenommen von diesem Verfahren waren Fragen, die die Außenpolitik betrafen. Dieser Bereich gehörte laut Verfassung zur alleinigen Kompetenz des Präsidenten19. Der Ministerpräsident nahm in diesem System die Rolle eines Sprechers der Regierung ein. Doch auch hier ist mit der Verfassungsreform einiges geändert worden. Die schwache Stellung der Regierung wurde wesentlich gestärkt. Der Ministerpräsident selbst ist jetzt nicht mehr nur der verfassungsgemäße Vorsitzende des Staatsrates, sondern er leitet jetzt auch dessen Tätigkeit20. Damit wird ihm erstmals eine gewisse Leitungsfunktion von der Verfassung zugewiesen, ohne ihn jedoch ausdrücklich mit einer Richtlinienkompetenz auszustatten. Nach § 58 der neuen Regierungsform kann der Präsident Beschlüsse jetzt nur noch aufgrund von Vorschlägen des Staatsrates fassen. Ausgenommen von dieser Regelung sind die Ernennung und Entlassung der Staatsratsmitglieder, das Ausrufen vorgezogener Neuwahlen, Begnadigungen, die Ernennung der Richter, die Åland-Inseln betreffende Fragen sowie Angelegenheiten von untergeordneter Bedeutung. Bei der Ausrufung von Neuwahlen sowie bei Personalentscheidungen im Staatsrat ist der Präsident jedoch an den Vorschlag des Ministerpräsidenten gebunden21. Damit kann der Präsident keine wesentliche Entscheidung mehr ohne den Staatsrat treffen. In der Außenpolitik stellt die neue Verfassung dem Präsidenten gleichberechtigt den Staatsrat zur Seite22. Der Präsident leitet diese Zusammenarbeit zwar, kann jedoch ohne den Staatsrat keine Entscheidungen mehr treffen.

3.1.2. Parlament

Das finnische Parlament besteht aus einer Kammer mit 200 Abgeordneten. Die Dauer einer Legislaturperiode beträgt vier Jahre. Sie ist in vier jeweils einjährige Sitzungsperioden, sogenannte Reichstage, unterteilt. Zu den wichtigsten Aufgaben des Parlaments gehören die Gesetzgebung, die Steuergesetzgebung und die Verabschiedung des Staatshaushaltes. Darüber hinaus übt das Parlament Kontrolle über die Zentralbank aus. Die gesetzgeberische Arbeit findet hauptsächlich in Ausschüssen statt. Die Reichstagsordnung hat hierfür fünf ständige Ausschüsse vorgesehen: den Verfassungsausschuß, den Gesetzgebungsausschuß, den Außenpolitischen Ausschuß, den Finanzausschuß und den Bankenausschuß. Zudem gibt es noch den sogenannten Großen Ausschuß, der seine Hauptaufgabe in der Gesetzgebung hat und seit 1995 zudem als Europaausschuß fungiert.

Der Präsident ist dem Parlament gegenüber nicht verantwortlich. Die Regierung hingegen benötigt das Vertrauen des Parlaments. Im Zweifel kann das Parlament dem Staatsrat oder einem seiner Mitglieder das Vertrauen ,,über das Mißtrauensvotum [...] jederzeit mit einfacher Mehrheit"23. Das Mißtrauensvotum muß nicht konstruktiv sein, das heißt das Parlament muß sich nicht über eine neue Regierung geeinigt haben, bevor es die alte abwählt. Neben dem Mißtrauensvotum stehen dem Parlament noch weitere Rechte zur Kontrolle der Regierung zu. Dazu gehört unter anderem das Recht, Fragen an den Staatsrat zu richten. Die kann entweder schriftlich oder, zwecks Beratung im Parlament, über eine Interpellation erfolgen. In letzterem Fall muß sie allerdings von mindestens 20 Abgeordneten unterstützt werden. Darüber hinaus ist die Regierung verpflichtet dem Parlament drei Monate nach Eröffnung einer Sitzungsperiode dem Parlament ,,Bericht über den Vollzug von Parlamentsbeschlüssen und über wichtige Vorkommnisse in Regierung und Parlament zu erstatten"24.

Das finnische Parlament hat in den vergangenen Jahren an Kompetenz gewonnen, während der Präsident an Macht einbüßte. Die Konvergenzhypothese trifft in diesem Fall also eindeutig zu. Im Zusammenhang mit der europäischen Integration beispielsweise sind die außenpolitischen Befugnisse gewachsen. Auch das mit der Verfassungsreform eingeführte Recht des Parlaments die Regierung zu wählen hat den Parlamentarismus im finnischen System enorm gestärkt. Standen sich in Finnland Regierung und Parlament bislang eher als Gegner gegenüber, dürften Regierung und parlamentarische Mehrheit künftig mehr miteinander verschmelzen.

3.2. Bundesrepublik Deutschland

Im Gegensatz zum finnischen System ist das Grundgesetz klar parlamentarisch ausgerichtet. Aufgrund der Erfahrungen mit den Schwächen der Weimarer Verfassung wurde das Verhältnis von Parlament, Regierung und Präsident im Regierungssytem der Bundesrepublik erheblich umgestaltet. Der Präsident wurde weitgehend auf repräsentative Aufgaben beschränkt. Satt dessen wurde die Stellung des Bundeskanzlers deutlich gestärkt. Zudem sieht das Grundgesetz nur noch eine unmittelbare demokratische Legitimation vor: die Wahl des Bundestages. Alle anderen Organe leiten sich aus ihm ab. Dadurch wurde die Stellung des Parlaments im politischen System der Bundesrepublik deutlich unterstrichen. Dabei ist ,,die Wahl der Regierung durch das Parlament das Herzstück des parlamentarischen Regierungssystems"25 der Bundesrepublik.

3.2.1. Der Präsident

Im politischen System der Bundesrepublik ist der Präsident formell das Staatsoberhaupt. Er wird von der Bundesversammlung für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Der Bundesversammlung gehören zur Hälfte Mitglieder des Bundestages und Delegierte der Landesregierungen an26. Eine Amtsenthebung kann nur aufgrund einer Anklage durch das Bundesverfassungsgericht erfolgen27.

Obwohl der Bundespräsident vornehmlich repräsentative Funktionen erfüllt, schreibt ihm das Grundgesetz einige Rechte zu. So hat er beispielsweise bei der Regierungsbildung das Recht einen Kandidaten für das Bundeskanzleramt vorzuschlagen28. Allerdings hat dieses Recht eher formalen Charakter, da nach Bundestagswahlen die Mehrheitskonstellationen meist erkennbar sind. Auch bei der Zusammensetzung des Kabinetts hat er kaum Gestaltungsspielraum. Zwar ernennt und entläßt er die Bundesminister29, doch folgt er dabei in der Regel den Vorschlägen des Kanzlers. Außerdem fertigt der Bundespräsident die vom Parlament beschlossenen Gesetze aus30, wobei er diese auf ihre verfassungsmäßigkeit überprüft. Schließlich vertritt der Präsident den Bund völkerrechtlich31, wobei er hier keinerlei eigenständigen Handlungsspielraum hat.

3.2.2. Parlament und Regierung

Das Zentrum des politischen Systems der Bundesrepublik stellt das Parlament dar. Als einziges Bundesstaatliches Organ wird es direkt vom Volk gewählt und verfügt damit über eine ,,herausragende demokratische Legitimation"32. Der Bundestag setzt sich seit der deutschen Einheit aus 656 Abgeordneten zusammen. Ab der 15. Wahlperiode wird er auf 598 Sitze verkleinert. Zu den zentralen Aufgaben des Bundestages gehören unter anderem die Wahl der Bundesregierung und die politische Kontrolle des Regierungshandelns. Zudem wirkt er gemeinsam mit dem Bundesrat33 an der Gesetzgebung mit. Ähnlich wie in Finnland findet der Hauptteil der parlamentarischen Arbeit in verschiedenen Ausschüssen statt. Eine wichtige Rolle spielt der Bundestag bei der Regierungsbildung. Nach Artikel 63 GG wählt er den Bundeskanzler. Durch diesen Wahlmodus entsteht ein enger Zusammenhang zwischen Parlament und Regierung. Allein der Bundestag gibt dem Kanzler seine Legitimationsgrundlage. Ähnlich wie nach der Verfassungsreform in Finnland kann dies in drei Wahlgängen geschehen, falls der Kandidat die erforderlichen Mehrheiten nicht erreicht. Im Unterschied zur finnischen Regelung kann der Bundespräsident allerdings nach einem gescheiterten dritten Wahlgang den Bundestag auflösen.

Die Bundesregierung ist ein kollegiales Organ, das sich aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern zusammensetzt34. Anders als in Finnland ist der Kanzler hier jedoch in einer hervorgehobenen Position. So obliegt ihm nach Artikel 64 GG das Recht, die Bundesminister vorzuschlagen. Damit wird ihm formell das Recht zugestanden sich seine Regierung auszusuchen. In der Praxis ist er dabei allerdings stark an die Wünschen seiner eigenen Partei und die des Koalitionspartners gebunden. Ein weiteres wichtiges Recht wird dem Bundeskanzler mit Artikel 65 Satz 1 GG zugesprochen: die Richtlinienkompetenz. Mit ihr kann er die Richtung der Politik bestimmen. Zudem leitet der Kanzler die Geschäfte der Bundesregierung (Art 65 Satz 4 GG). Beschränkt werden diese Rechte durch das Ressortprinzip und das Kabinettsprinzip. Das Ressortprinzip sichert dem Minister die Selbständigkeit in seinem Geschäftsbereich, durch das Kabinettsprinzip wird eine Koordination und Abstimmung innerhalb der Regierung ermöglicht. Der Bundestag besitzt gegenüber der Regierung eine Reihe von Kontrollinstrumenten. Das konstruktive Mißtrauensvotum nach Artikel 67 GG stellt dabei das schärfste Mittel parlamentarischer Kontrolle dar. Darüber hinaus hat der Bundestag jedoch noch andere Möglichkeiten, Kontrolle auszuüben. Dazu gehören unter anderem das Zitierrecht (Artikel 43 GG), wonach das Parlament von jedem Mitgliedes der Regierung Auskunft verlangen kann. Außerdem kann der Bundestag Untersuchungsausschüsse einsetzen (Art. 44 GG). Weitere Kontrollinstrumente finden sich in der Geschäftsordnung des Bundestages: Das Interpellationsrecht berechtigt zu Großen und zu Kleinen Anfragen, sowie zu Fragen einzelner Abgeordneter. Des weiteren kann der Bundestag Enquete-Kommissionen einsetzen, die der Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe dienen.

Im Vergleich mit dem finnischen System ist der Parlamentarismus in der Bundesrepublik weitaus stärker ausgeprägt. Im Verlauf der Jahre wurde an diesem Prinzip nichts geändert. Zwar gab es im Zuge der Wiedervereinigung im Jahre 1994 eine Reform des Grundgesetzes, doch die ,,Verfassungsänderungen beschränkten sich weitgehend auf eine der europäischen Integration gemäße Anpassung an den »Maastrichter Vertrag« (Art. 23 GG n.F.) und eine gewisse Stärkung der Länderrechte"35. Vorschläge die Parlaments- und Oppositionsrechte zu stärken blieben erfolglos. Die Konvergenzhypothese trifft hier folglich nicht zu.

4. Direkt oder repräsentativ

4.1 Finnland

Das Prinzip der repräsentativen Demokratie ist in der finnischen Verfassung verankert. In § 2 Abs. 1 der Regierungsform von 1919 hieß es: ,,Träger der Staatsgewalt in Finnland ist das Volk, das von seinen im Parlament versammelten Abgeordneten vertreten wird"36. Dieser Paragraph wurde auch in die reformierten Regierungsform übernommen. Dennoch gibt es in Finnland auch Elemente direkter Demokratie. So bietet § 22a der finnischen Regierungsform die Möglichkeit der konsultativen Volksbefragung. Diese Abstimmungen sind nicht vorgeschrieben und für das Parlament auch nicht bindend. Allerdings ermöglichen sie dem Parlament oder der Regierung bei wichtigen Entscheidungen die Stimmung innerhalb der Bevölkerung auszuloten. In der Geschichte wurde diese Möglichkeit zwei Mal genutzt. ,,In beiden Fällen ist das Parlament dem Votum des Volkes gefolgt"37. 1931 entschied sich die Mehrheit der Finnen für die Abschaffung des Alkoholverbots. Obwohl im Parlament eine Mehrheit eine liberale Alkoholgesetzgebung ablehnte, bekam die Regierungsvorlage nach dem Referendum die notwendige Zustimmung. Damit wurde nicht nur die illegale Alkoholherstellung erfolgreich bekämpft, sondern auch neue Geldquellen erschlossen. Bis Mitte der 90er Jahre blieb der Import, die Herstellung und der Vertreib von Alkohol Staatsmonopol. Die zweite Volksabstimmung wurde im Zusammenhang mit dem Beitritt zur Europäischen Union durchgeführt. Im Oktober 1994 sprachen sich knapp 57 Prozent der Wähler für eine Mitgliedschaft aus. Das Parlament folgte dieser Entscheidung mit großer Mehrheit. Obwohl in diesem Zusammenhang eine breite Debatte über die direkt-demokratischen Elemente ausgelöst wurde, enthält auch die reformierte Regierungsform den entsprechenden Paragrafen. Das zweite Element direkter Demokratie ist die Wahl des Präsidenten. Die Kandidaten werden von den registrierten Parteien aufgestellt. Ein Kandidat kann auch aufgestellt werden, wenn er von mindestens 20.000 Wahlberechtigten unterstützt wird. Gewählt ist, wer nach dem ersten Wahlgang mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhält. Schafft dies keiner der Kandidaten, wird ein zweiter Wahlgang durchgeführt. Hieran nehmen die Kandidaten teil, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnten. Wer im zweiten Wahlgang die meisten Stimmen erhält, ist gewählt. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. Ist nur ein Kandidat aufgestellt, ist er automatisch gewählt. Durch diese unmittelbare Legitimation wird die Stellung des Präsidenten im politischen System gestärkt. Auch in diesem Fall wurde dieses Verfahren in der neuen Regierungsform verankert. Die Konvergenzhypothese trifft hier also nicht zu.

4.2. Bundesrepublik Deutschland

Auch in der Bundesrepublik ist das Prinzip der repräsentativen Demokratie in der Verfassung verankert. Artikel 20 Absatz 2 GG bestimmt: ,,Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke durch Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt"38. Anders als in Finnland gibt es neben den Wahl des Bundestages auf Bundesebene kaum direkt-demokratischen Elemente in der deutschen Verfassung. Neben den Wahlen erwähnt das Grundgesetz nur an zwei Stellen weitere Formen, in denen die Beteiligung der Bürger an der Ausübung der Staatsgewalt zum Ausdruck kommt. Zum einen ist in Artikel 20 GG von Abstimmungen die Rede. Zum anderen nennt das Grundgesetz in Artikel 29 im Zusammenhang mit der Neugliederung der Bundesländer die Möglichkeiten der Volksbefragung, des Volksentscheides und des Volksbegehrens. Die Abstimmungen nach Artikel 20 GG beziehen sich nach allgemeiner Auffassung ,,nur auf die Neugliederung des Bundesgebietes nach"39 Artikel 29 GG. Durch die Regelungen in diesen beiden Artikeln soll dafür gesorgt werden, daß Neugliederungen der Länder nicht ohne den Willen der beteiligten Bevölkerung durchgesetzt werden können. Im Gegensatz zum Grundgesetz enthalten alle Landesverfassungen direkt-demokratische Elemente. Neben der Möglichkeit zu Volksentscheiden, kann in einigen Bundesländern auf diesem Weg sogar eine vorzeitige Auflösung der Parlamente erreicht werden. Die Hürden für den Erfolg dieser Plebiszite sind dabei unterschiedlich hoch gestaltet.

Die Distanz des Grundgesetzes gegenüber direkt-demokratischen Elementen ist durch die Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung bedingt: Durch die direkte Wahl des Präsidenten und des Reichstages sowie die Einführung von Volksentscheiden, existierten in der Weimarer Republik ,,drei konkurrierende demokratische Legitimationen"40. Mit der klaren Entscheidung für eine repräsentatives, parlamentarisches System sollte dieser institutionelle Mangel der Weimarer Verfassung vermieden werden. Die im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung entstandene Debatte über die Einführung plebiszitärer Elemente hatte bislang keine konkreten Auswirkungen auf das Grundgesetz. Die Forderung nach Einführung eines Volksentscheids konnte sich hierbei der Verfassungsreform von 1994 nicht durchsetzen. Auch hier kann die Konvergenzhypothese also nicht angewandt werden.

5. Unitarisch oder Föderal

5.1. Finnland

Das unitarische Finnland ist in zwölf Provinzen eingeteilt. Die Provinzgouverneure werden vom Präsidenten ernannt. Sie leiten die Provinzverwaltungen unter Aufsicht des Staatsrates beziehungsweise des Innenministeriums. Unterhalb dieser Provinzebene bestehen Verwaltungsbezirke, welche die staatliche Verwaltung unter Leitung eines obersten Beamten repräsentieren. Gesetzgeberische Kompetenzen haben diese beiden Verwaltungsebenen nicht. Als Ergänzung zur staatlichen Administration existiert noch eine kommunale Selbstverwaltung. Ihre Kompetenzen liegen in den Bereichen Soziales, Bildung, Gesundheit, der Regionalplanung und im Baubereich. Zudem können Städte und Gemeinden Kommunalsteuern zur Erfüllung ihrer Pflichten erheben. Die Gemeindevertretungen beziehungsweise Stadtverordnetenversammlungen werden alle vier Jahre durch Kommunalwahlen neu zusammengesetzt. Das Wahlsystem entspricht weitgehend dem der Parlamentswahlen. Die so gewählten Vertretungen agieren als kommunale Entscheidungsträger.

Eine Ausnahme bilden die Åland-Inseln. Sie liegen im Südwesten zwischen Schweden und Finnland und werden von einer schwedischsprachigen Mehrheit bewohnt. Sie besitzen weitgehende Autonomie. Åland besitzt ein eigenes Parlament, das alle vier Jahre neu gewählt wird. Das Parlament hat das Recht über Steuern, das Polizeiwesen, Gesundheit und Kultur zu entscheiden. Alle Gesetze, die vom Parlament der Provinz verabschiedet werden, müssen vom Präsidenten des Landes bestätigt werden41. Zwar wurde die Politik zur ,,Stärkung der Autonomie Ålands [...] in den vergangenen Jahren erfolgreich"42 betrieben, doch Abkopplungsversuche von Finnland, wie die Einführung einer eigenen Währung, wurden von Finnland kompromißlos abgelehnt.

Auch die Verfassungsreform 2000 hat an dieser Organisationsform nichts geändert. Der zentralistische Aufbau des finnischen Staates wurde beibehalten, die Provinzen nicht mit zusätzlichen Rechten oder Pflichten ausgestattet. Die Konvergenzhypothese trifft also auch in diesem Punkt für Finnland nicht zu.

5.2. Bundesrepublik Deutschland

Im Gegensatz zum zentralistischen Finnland ist die Bundesrepublik klar föderal organisiert. Das föderale Prinzip ist dabei im Grundgesetz festgeschrieben. Artikel 20 GG bestimmt: ,,Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat"43. Seit der Wiedervereinigung besteht die Bundesrepublik aus 16 Bundesländern. Anders als die Provinzen in Finnland verfügen diese Länder über eigene Verfassungen. Nach Artikel 28 GG müssen diese ,,den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats"44 entsprechen. Dabei unterscheiden sich die Landesverfassungen teilweise deutlich vom Grundgesetz. So enthalten die meisten ,,einen eigenen Grundrechtskatalog, oft auch mit sozialen Grundrechten oder vielfältigen Staatszielbestimmungen"45. In allen Bundesländern besteht ein parlamentarisches Regierungssystem. Die Landtage werden für die Dauer von vier, zum Teil auch fünf Jahren gewählt. Ähnlich wie auf Bundesebene der Kanzler vom Parlament gewählt wird, wählen die Landtage die Ministerpräsidenten. In den meisten Ländern entscheiden die Ministerpräsidenten über die Zusammensetzung der Regierungen, wobei in einigen Ländern jedoch die Zustimmung der Landtage erforderlich ist. Die Aufgaben in der Gesetzgebung werden, wie auch auf Bundesebene weitgehend von der Regierungsmehrheit bestimmt. Die meisten Länderparlamente verfügen über dieselben Kontrollrechte wie der Bundestag.

Damit bilden die Länder nicht nur die territoriale Gliederung der Bundesrepublik, sondern stellen auch die zweite politische Ebene dar. Gegenüber dem Bund haben sie eine Reihe von Rechten, insbesondere im Bereich der Gesetzgebung. Neben der ausschließlichen Bundesgesetzgebung46 und der Rahmengesetzgebung des Bundes47 nennt das Grundgesetz Bereiche, an denen Bund und Länder gemeinsam beteiligt sind48 und in denen sie Konkurrieren49. In den Bereich der ausschließlichen Bundesgesetzgebung fällt zum Beispiel der Bereich der Auswärtigen Angelegenheiten oder der Verteidigung. Zu den Gemeinschaftsaufgaben gehört unter anderem der Hochschulbau. Konkurrierende Befugnisse besitzen Bund und Länder zum Beispiel bei Fragen die das Bürgerliche Recht oder die Wirtschaft betreffen. Die Länder können in diesem Fall solange Gebrauch von ihren Kompetenzen machen, bis der Bund einschreitet. In strittigen Fragen gilt der Grundsatz: Bundesrecht bricht Landesrecht (Artikel 31 Grundgesetz). In die ausschließliche Kompetenz der Länder fallen unter anderem die Kultur, das Schulwesen oder die Polizei. Auf Bundesebene werden die Interessen der Länder vom Bundesrat vertreten. Er gilt neben dem Parlament nicht als gleichberechtigte zweite Kammer, sondern als Repräsentanz der Bundesländer. Insofern stellt er ein ,,weltweit nahezu einzigartiges Verfassungsorgan"50 dar. Nach Artikel 51 Grundgesetz besteht der Bundesrat aus Mitgliedern der Landesregierungen, von denen sie bestellt und abberufen werden. Die Sitze im Bundesrat werden nach einem Mischverfahren zwischen gleichberechtigtem und proportionalem Verfahren vergeben. Danach hat generell jedes Land drei Stimmen. Je nach Anzahl der Einwohner kann sich diese noch erhöhen: Bei über zwei Millionen Einwohnern auf vier, bei über sechs Millionen auf fünf und bei mehr als sieben Millionen auf sechs Stimmen. Die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrates wird durch die jeweiligen Mehrheitsverhältnisse in den Landesparlamenten bestimmt.

Hauptaufgabe des Bundesrates ist es, bei der Gesetzgebung des Bundes mitzuwirken. Das Grundgesetz unterscheidet dabei zwei Fälle: Zustimmungsgesetze und Einspruchsgesetze. Zustimmungsbedürftig sind Gesetze dann, wenn sie das Verhältnis zwischen Bund und Ländern in besonderer Weise berühren. Neben den schon erwähnten Gemeinschaftsaufgaben zählen dazu beispielsweise Gesetze, die die Finanzen der Länder betreffen. Diese Gesetze können ohne Zustimmung des Bundesrates nicht zustande kommen. Alle anderen Gesetze werden als Einspruchsgesetze behandelt. Hier kann der Bundesrat lediglich einen aufschiebenden Einspruch einlegen, der jedoch vom Parlament überstimmt werden kann. Entscheidend für die Rolle des Bundesrates bei der Gesetzgebung ist jedoch, daß er auch über ein Initiativrecht verfügt.

Die dritte politische Ebene bilden die Kommunen. Nach Artikel 28 Grundgesetz gilt, daß alle Gemeinden das Recht zur Selbstverwaltung haben. Allerdings sind sie dabei an die von Bund und Länder erlassenen Gesetze gebunden. Die Aufgaben der Kommunen sind verfassungsrechtlich nicht festgelegt. In der Praxis fungieren sie sowohl ,,als ausführende Organe des Staates, als auch als eigene politische Körper"51. Ihre Arbeit wird hauptsächlich durch Zuwendungen der Länder oder des Bundes finanziert. Das Recht Steuern zu erheben verteilt das Grundgesetz auf die politischen Ebenen: Artikel 106 Grundgesetz ,,unterscheidet Bundes-, Länder-, Gemeinde- und gemeinschaftliche Steuern, über deren Aufkommen die jeweilige Systemebene verfügen soll. So teilen sich beispielsweise alle Ebenen die Lohn- und Einkommenssteuer während von der Mineralölsteuer allein der Bund profitiert. Die Länder dürfen dafür die Kraftfahrzeugsteuern beinhalten, wohingegen die Gewebesteuern an die Kommunen fällt.

Im Gegensatz zum unitaristischen Systems Finnlands sind die föderalen Strukturen in der Bundesrepublik stark ausgeprägt. Während im Einheitsstaat Finnland die Gesetzgebungskompetenz vornehmlich beim Parlament liegt, sind die Kompetenzen in der Bundesrepublik zwischen Bund und Ländern verteilt. Eine Tendenz zur Angleichung der Systeme besteht hier nicht, obwohl das föderale System nicht unumstritten ist. Kritiker sehen darin die wesentliche Ursache ,,für Politikstillstand und politische Entscheidungsschwäche"52. Dennoch hat sich der Föderalismus in der Bundesrepublik in den vergangenen Jahren eher gefestigt. Im Zuge der Verfassungsreform von 1994 konnten die Länder zum Beispiel die ,,gesetzgeberische[n] Aktivitäten des Bundes [...] einschränken"53. Außerdem haben die Länder den Kompetenzverlust an die Europäische Union durch die Mitwirkungsrechte im neuen Artikel 23 Grundgesetz ausgeglichen. Die Konvergenzhypothese trifft in diesem Punkt folglich nicht zu.

6. Konkordanzdemokratie oder Konkurrenzdemokratie

6.1. Finnland

Die finnische Politik wird von einer starken Konsensbildung geprägt. Gefördert wurde dies durch die Geschichte des Landes. Die Beibehaltung der neutralen Stellung zwischen Ost und West während des Kalten Krieges erforderte einen stetigen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen. So finden sich im politischen System Finnlands mehrere konkordanzdemokratische Elemente.

6.1.1. Das Wahlsystem

Die Parlamentswahlen werden nach dem Prinzip der direkten und geheimen Wahl durchgeführt. Die Wahl erfolgt in mindestens 12 und höchstens 18 Wahlkreisen. Die Abgeordneten werden in den Wahlkreisen nach dem Verhältniswahlrecht gewählt. Vor jeder Wahl legt der Staatsrat die Anzahl der Abgeordneten für jeden Wahlkreis je nach Anzahl der Wahlberechtigten fest. Alle Parteien, die in das Parteienregister eingetragen sind, können Kandidaten aufstellen. Auch Wählervereinigungen, die von mindestens 100 Wahlberechtigten unterstützt werden, können sich an der Wahl beteiligen. Jede Partei kann so viele Kandidaten aufstellen, wie insgesamt vom betreffenden Wahlkreis aus ins Parlament geschickt werden. Die Wahlen finden alle vier Jahre statt.

Das Verhältniswahlrecht bildet dabei ein konkordanzdemokratisches Element, weil hierbei ein gleichwertiges Verhältnis von Stimmenanteil und erreichten Mandaten angestrebt wird. Zudem hat das Verhältniswahlrecht großen Einfluß auf die Regierungsbildungen, da es ,,die Möglichkeit, daß eine der Parteien alleine die Parlamentsmehrheit erreichen könnte, stets ausgeschlossen"54 hat. Das fragmentierte finnische Parteiensystem hat diese Entwicklung zusätzlich verstärkt. Auch das Fehlen einer Sperrklausel und das ,,Taktieren der kleinen

Parteien mit Wahlbündnissen"55 hat dazu geführt, daß Mehrheitsregierungen meist aus blockübergreifenden Koalitionen bestanden.

6.1.2. Gesetzgebung und Interessenverbände

Ein weiteres konkordanzdemokratisches Element stellt das Gesetzgebungsverfahren dar. Dabei existierten insbesondere in der Vergangenheit Verfahren, die eine qualifizierte Mehrheit erforderten. In der Regel reich eine einfache Mehrheit, um ein Gesetz zu verabschieden. Eine Ausnahme bilden hier Verfassungsänderungen und die Steuergesetzgebung, die eine 2/3 Mehrheit erfordern. Verfassungsänderungen werden in der 3. Lesung mit einfacher Mehrheit verabschiedet und nach Neuwahlen dem Parlament zur erneuten Abstimmung vorgelegt. Jetzt müssen 2/3 der Abgeordneten zustimmen. Allerdings können Verfassungsänderungen auch ohne zwischen geschaltete Neuwahlen verabschiedet werden. Hierbei müssen jedoch 5/6 der Abgeordneten den Beschluß für dringlich erklären und anschließend mindestens 2/3 zustimmen.

Bis 1992 existierte in Finnland eine Besonderheit im Gesetzgebungsverfahren: Das Aussetzungsverfahren. Dabei konnten 1/3 der Abgeordneten in der 3. Lesung die Schlußabstimmung bis nach den nächsten Parlamentswahlen vertagen. Meist war eine Vorlage dann überholt. Zudem konnte sie nur unverändert angenommen werden, was meist zum Scheitern der Initiativen führte. Eine weitere Besonderheit bilden die sogenannten Ausnahmegesetze. Das sind Gesetze, die nicht mit der Verfassung übereinstimmen, bzw. sogar direkt gegen sie verstoßen. Dabei handelt es sich allerdings meist um zeitlich begrenzte Gesetze. Hier gilt das gleiche Verfahren, wie bei dem Eilverfahren bei Verfassungsänderungen.

Im Zusammenhang mit dem Gesetzgebungsverfahren spielen die Ausschüsse eine wichtige Rolle. Die parlamentarischen Ausschüsse bereiten die verschiedenen Themen für die Debatten und Beschlüsse im Plenum vor oder beraten Gesetzentwürfe vor. Die Sitze werden zu Beginn jeder Legislaturperiode nach Proporz vergeben. So sind alle im Parlament vertretenen Parteien auch in den Ausschüssen präsent. Die Ausschüsse der Regierung erarbeiten mit Hilfe der Ministerialbürokratie und außenstehenden Fachleuten Berichte an den Staatsrat oder Gesetzesvorlagen. Neben den entsprechenden Fachministern sind alle Regierungsparteien in den Ausschüssen vertreten, meist ebenfalls auf Regierungsebene. Damit stellen sie ein wichtiges Instrument zur Konsensbildung dar.

Eine Besonderheit ist die sogenannte »Abendschule«. Dieses Gremium der Regierung wurde gegründet, um die Zusammenarbeit zwischen den Ministern zu verbessern. Jeden Mittwoch, einen Tag vor der Sitzung des Staatsrates, treffen sie sich in der Residenz des Ministerpräsidenten. Neben den Ministern nehmen an diesen Treffen auch der Justizkanzler, der Regierungssprecher, die Fraktionsführer der Regierungsparteien und gelegentlich auch Sachverständige teil. Hier werden meist aktuelle Themen besprochen. Die Beschlüsse, die dabei gefasst werden, sind zwar nicht bindend, geben aber meist die Richtung vor. Damit stellt die Abendschule eine ,,instituionalized version of behind-the-scenes-negotiations"56 dar, die außerhalb der offiziellen Sitzungen ein Instrument zur Konsensfindung bildet. Ähnlich wie in den anderen Ländern Nordeuropas gibt es auch in Finnland ein ausgeprägtes Netz von nichtstaatlichen Organisationen. Viele Bürger sind Mitglied in einem oder mehreren Interessenverbänden und nehmen so Einfluß auf den politischen Prozeß. Die Interessenverbände nehmen kontinuierlich Einfluß auf das politische Leben, beispielsweise bei den Hearings der Ausschüsse. Zudem sind sie Verbände stark an die Parteien gebunden. Mitglieder der konservativen Sammlungspartei sind zum Beispiel meist im Industrie- und Arbeitgeberverband organisiert, Mitglieder der Zentrumspartei im Bauernverband oder Sozialdemokraten in der Gewerkschaft. Auf diese Weise sind die Verbände informell im Parlament vertreten.

Die konkordanzdemokratischen Elemente im politischen System Finnlands haben in den vergangenen Jahren leicht abgenommen. So wurde im Rahmen der Gesetzgebung das Aussetzungsverfahren abgeschafft. Der Handlungsspielraum der Regierung wurde dadurch gestärkt. Zudem ist mit der Verfassungsreform das Verfahren beschleunigt worden. Auch dürfen Ausnahmegesetze nicht in die Grundentscheidungen der Verfassung eingreifen. Folglich kann die Konvergenzhypothese hier angewandt werden.

6.2. Bundesrepublik Deutschland

Im Vergleich zu Finnland sind die konkordanzdemokratischen Elemente in der Bundesrepublik weitaus weniger ausgeprägt. Dennoch ist der politische Prozeß auch hier oft von Konsensfindung geprägt.

6.2.1. Das Wahlsystem

Das Wahlrecht in der Bundesrepublik Deutschland ist im Grundgesetz nur allgemein festgeschrieben. Artikel 38 Grundgesetz legt fest, daß der Bundestag aus allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl hervorgehen soll. Für die Landesparlamente gilt die gleiche Regelung. Ähnlich wie in Finnland dabei das Verhältniswahlrecht angewandt, wobei es sich hier um eine personalisierte Version handelt. Danach wird die Hälfte der Abgeordneten in 328 Einzelwahlkreisen mit einfacher Mehrheit gewählt, die andere Hälfte über Landeslisten der Parteien. Jeder Wähler hat dabei zwei Stimmen: Mit der ersten Stimme entscheidet er über den Direktkandidaten (Personenstimme) und mit der zweiten über die Verteilung der Sitze zwischen den Parteien (Parteistimme). Entsprechend dem Zweitstimmenanteil wird jeder Partei ein Verhältnisanteil an Mandaten zugeteilt. Gewinnt eine Partei mehr Mandate, als ihr nach der Auszählung der Zweitstimmen zustehen, werden ihr sogenannte Überhangmandate zugestanden. Eine bedeutende Einschränkung des Verhältniswahlrechts bildet in diesem Zusammenhang die 5%-Klausel. Danach werden bei der Verteilung der Mandate nur solche Parteien berücksichtigt, die bundesweit mehr als fünf Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnten oder mindestens drei Wahlkreismandate direkt gewonnen haben.

Im Gegensatz zum reinen Verhältniswahlrecht in Finnland, führt das personalisierte Verhältniswahlrecht in Deutschland weitaus weniger zu einer Zersplitterung der Parteienlandschaft. Insbesondere die 5%-Klausel erschwert den Einzug von kleinen Parteien in das Parlament. Die Tendenz des Verhältniswahlrechts keine klaren Mehrheiten zu ermöglichen wird damit entschärft. Auch die Abgabe von zwei Stimmen spielt hierbei ein Rolle. Insbesondere die Wähler der kleinen Parteien geben ihre Erststimme häufig dem Kandidaten einer anderen Partei. Damit können sie zum einen Koalitionspräferenzen ausdrücken und zum anderen sicherstellen, daß ihre Stimme nicht verloren geht. Dennoch haben Parteien auch in der Bundesrepublik noch nicht die absolute Mehrheit im Bundestag erreichen können. Bei der Regierungsbildung kommt es deshalb immer zu Koalitionen.

6.2.2. Gesetzgebung und Interessenverbände

Auch in der Bundesrepublik ist das Gesetzgebungsverfahren konkordanzdemokratisch.

Ähnlich wie in Finnland wird dabei die zentrale Arbeit in den Ausschüssen geleistet. Hier beraten Experten der Fraktionen mit den zuständigen Ministerialbeamten über die Vorlagen, um die unterschiedlichen, von dem Gesetz betroffenen Politikbereiche zusammenzubringen und mögliche Fehler zu beseitigen. Im Falle von Streitigkeiten stellen sie ein zentrales Instrument zur Kompromißbildung dar.

Im Unterschied zu Finnland wird das Gesetzgebungsverfahren in der Bundesrepublik allerdings nicht hauptsächlich von qualifizierten Mehrheiten geprägt, sondern durch das Zusammenwirken von Bundestag und Bundesrat. Grundsätzlich wirkt der Bundesrat an jedem Gesetz mit. Das Verfahren hängt jedoch davon ab, ob es sich um ein Zustimmungs- oder ein Einspruchsgesetz handelt57. Das zentrale Instrument zur Konsensfindung ist in beiden Fällen der Vermittlungsausschuß. Er besteht aus je 16 ständigen Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates. Der Vermittlungsausschuß kann einen Gesetzesbeschluß ändern, ihn aufheben oder bestätigen. Im Fall von unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen in Parlament und Bundesrat, kann die parlamentarische Opposition so im Zweifel ihren Einfluß über die Länderkammer ausüben. Diese einflußreiche Stellung des Bundesrates, hat die ,,konkordanzdemokratische[n] Praktiken im politischen System der Bundesrepublik verstärkt"58.

Ähnlich wie in Finnland wirken auch in der Bundesrepublik Interessengruppen an der politischen Willensbildung mit. Dabei versuchen sie ,,in allen Stadien des Entscheidungsprozesses und auf allen Ebenen des föderativen Systems Einfluß zu nehmen"59. Neben der Einflußnahme über die Interessengruppierungen der Parteien oder den Fachgremien des Parlaments wirken die Interessenverbände zum Teil auch an dem Entwurf von Gesetzesvorlagen mit. So erhalten wichtige Verbände bei den öffentlichen Anhörungen der Ausschüsse Gelegenheit ihre Standpunkte zu vertreten. Eine informelle Vertretung der Interessenverbände im Parlament wie in Finnland gibt es jedoch in der Bundesrepublik in der Regel nicht. Die Konvergenzhypothese kann hier nicht angewandt werden, da in den vergangenen Jahren weder ein Ausbau noch eine Einschränkung der konkordanzdemokratischen Elemente im politischen System der Bundesrepublik zu erkennen ist.

7. Fazit

Die politischen Systeme Finnlands und der Bundesrepublik sind stark durch ihre geschichtliche Entwicklung geprägt. In beiden Staaten existierten bis Anfang dieses Jahrhunderts monarchistische Regierungssysteme. Unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges, der russischen Revolution und der immer stärker werdenden Forderung nach Volksherrschaft, entstanden in beiden Ländern präsidial-parlamentarische Mischsysteme. Während sich dieses System in Finnland bewährte, endete die Weimarer Republik mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der Bundesrepublik ein konsequent parlamentarisches Regierungssystem eingeführt. Trotz anfänglicher Vorbehalte hat sich das Grundgesetz als äußerst stabil erwiesen. Das semi- präsidentielle System Finnlands entfaltete seine Vorteile insbesondere zur Zeit des Kalten Krieges. Durch die starke Stellung des Präsidenten und seine Entscheidungsbefugnisse in der Außenpolitik gelang es Finnland eine dauerhaft neutrale Position zwischen den Blöcken einzunehmen.

Daneben unterscheiden sich die politischen Systeme beider Länder jedoch auch noch in einem weiteren anderen Punkt. So ist der Föderalismus in der Bundesrepublik historisch fest verwurzelt. Zum Ausdruck kommt er in der Stellung des Bundesrates und der Kompetenzverteilung zwischen Ländern und Bund. Finnland dagegen ist ein unitarischer Staat, wobei den Kommunen ein gewisses Selbstverwaltungsrecht überlassen wird. Ähnlichkeiten finden sich im Bereich der direkten Demokratie. In beiden Ländern haben die plebistzitären Elemente eine eher untergeordnete Rolle. Dabei stellen die direkte Wahl des finnischen Präsidenten und die Möglichkeit zur konsultativen Volksbefragung in Finnland stärker ausgeprägte Elemente direkter Demokratie dar, als sie in der Bundesrepublik vorgesehen sind. Auf Bundesebene sind Volksentscheide lediglich im Zusammenhang mit der Neuordnung der Länder vorgesehen. In den Länderverfassungen selber finden sich hingegen Regelungen für plebiszitäre Entscheidungen.

Ähnlichkeiten lassen sich auch in Bezug auf konkordanzdemokratische Elemente feststellen. Während in Finnland das fragmentierte Parteiensystem und qualifizierte Mehrheitsentscheidungen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens eine konsensorientierte Politik erfordern, wird dies in der Bundesrepublik hauptsächlich durch die Mitwirkung des Bundesrates erforderlich.

Das Ende des Ost-West-Konflikts hat sowohl für Finnland als auch für Deutschland eine große Bedeutung gehabt. Während sich das geteilte Deutschland 1990 wieder vereinigen konnte, bedeutete das Ende des Kalten Krieges für Finnland die Möglichkeit zur Neuorientierung. Dabei hat insbesondere Finnland in den vergangenen Jahren einen bedeutenden Wandel vollzogen. Mit der Verfassungsreform 2000 verändert vollzieht das Land den Übergang vom semi-präsidentiellen zu einem parlamentarischen Regierungsystem. Damit wird die Konvergenzhypothese in diesem fall bestätigt, auch wenn sie, wie diese Arbeit gezeigt hat, nicht auf alle Bereiche gleichermaßen zutrifft. Im Vergleich dazu hat sich das Regierungssystem der Bundesrepublik sehr wenig verändert. Trotz der Grundgesetz Reform 1994 hat sich an den grundlegenden Prinzipien des bundesdeutschen Regierungssystems nichts geändert. Gesamt gesehen läßt sich die Konvergenzhypothese auf die Bundesrepublik nur sehr eingeschränkt anwenden.

Literaturhinweise

- Auffermann, Burkhard: Das politische System Finnlands, in: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Westeuropas, Opladen 1999
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- Forsberg, Tuomas: Finnland und Deutschland, in: Auffermann, Burkhard/Visuri, Pekka (Hrsg.), Nordeuropa und die deutsche Herausforderung, Baden-Baden 1995
- Glaeßner, Gert-Joachim, Demokratie und Politik in Deutschland, Opladen 1999
- Hesse, Joachim Jens/Ellwein, Thomas: Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1992
- Hesselberger, Dieter: Das Grundgesetz, Kommentar für die politische Bildung, Bonn 1995
- Ismayr, Wolfgang: Die politischen Systeme Westeuropas im Vergleich, in: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Westeuropas, Opladen 1999
- Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Finnlands: Finnische Grundgesetze, Geschäftsordnung des Parlaments, Helsinki 1992
- Nousiainen, Jaakko: Finnland: Die Konsolidierung der parlamentarischen Regierungsweise, in: Müller, Wolfgang C./Stroem (Hrsg): Koalitionsregierungen in Westeuropa, Wien 1997
- Rood, Paul: Historical Settings, in: Solsten, Eric/Meditz, Sandra (Herausgeber): Finland - a country study, Washington 1990
- Rudzio, Wolfgang, Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 2000
- Singleton, Fred: A short history of Finland, Cambridge 1998
- Solsten, Eric: Government and Politics, in: Solsten, Eric/Meditz, Sandra (Herausgeber): Finland - a country study, Washington 1990
- Sontheimer, Kurt: Grundzüge des politischen Systems der neuen Bundesrepublik Deutschland, München 1993
- Stern, Klaus: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, München 1984
- Stern, Klaus: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, München 1980

[...]


[1] Finnland hat eine Fläche von 338.145 Quadratkilometern. Vergleiche hierzu Auffermann, Seite 183.

[2] Ende 1993 zählte Finnland 5,078 Millionen Einwohner. Vergleiche hierzu Auffermann, Seite 183.

[3] Singleton, Seite 1.

[4] Forsberg, Seite 141.

[5] Vergleiche: Rood, Seite 5 ff.

[6] Endemann, Seite 16.

[7] Vergleiche: Endemann, Seite 18.

[8] Vergleiche: Punkt 2.

[9] Auffermann, Seite 186.

[10] Ismayr, Seite 415.

[11] Ismayr, Seite 415.

[12] Die finnische Regierungsform trat am 17. Juli 1919 in Kraft.

[13] Ismayr, Seite 416.

[14] Rudzio, Seite 59.

[15] Dazu gehören: Justizkanzler, Richter der obersten Gerichtshöfe, Leiter der

Ministerialverwaltungen, Provinzgouverneure, Universitätsprofessoren und Bischöfe der evangelisch-lutherischen Kirche.

[16] Nousiainen, Seite 336.

[17] Nousiainen, Seite 333.

[18] Endemann, Seite 142.

[19] Finnische Regierungsform, § 33, zitiert nach: Endemann, Seite 155.

[20] Finnische Regierungsform, § 66, zitiert nach: Endemann, Seite 188.

[21] Finnische Regierungsform, §§ 26 und 64, zitiert nach: Endemann, Seite 184ff

[22] Finnische Regierungsform, § 93, zitiert nach: Endemann, Seite 192.

[23] Endemann, Seite 44.

[24] Endemann, Seite 49.

[25] Stern, Band I, Seite 979.

[26] Artikel 54 GG. Vergleiche: Hesselberger, Seite 239.

[27] Artikel 61 GG. Vergleiche: Hesselberger, Seite 241.

[28] Artikel 63 GG. Vergleiche: Hesselberger, Seite 245.

[29] Artikel 64 GG. Vergleiche: Hesselberger, Seite 245.

[30] Artikel 82 GG. Vergleiche: Hesselberger, Seite 269.

[31] Artikel 59 GG. Vergleiche: Hesselberger, Seite 240.

[32] Rudzio, Seite 231.

[33] Zum Aufbau und Stellung des Bundesrates vergleiche: Punkt 5.2.

[34] Aritkel 62 GG. Vergleiche: Hesselberger, Seite 243.

[35] Ismayr, Seite 417.

[36] Zitiert nach: Endemann, Seite 150.

[37] Auffermann, Seite 200.

[38] Zitiert nach: Hesselberger, Seite 163.

[39] Glaeßner, Seite 402.

[40] Rudzio, Seite 50.

[41] Vergleiche: Solsten, Seite 245.

[42] Auffermann, Seite 211.

[43] Hesselberger, Seite 163.

[44] Hesselberger, Seite 196.

[45] Ismayr, Seite 444.

[46] Artikel 71 und 73 Grundgesetz. Vergleiche: Hesselberger, Seite 253f.

[47] Artikel 75 Grundgesetz. Vergleiche: Hesselberger, Seite 257.

[48] Artikel 91a Grundgesetz. Vergleiche: Hesselberger, Seite 283.

[49] Artikel 72, 74 und 74a Grundgesetz. Vergleiche: Hesselberger, Seite 253ff.

[50] Ismayr, Seite 423.

[51] Sontheimer, Seite 294.

[52] Glaeßner, Seite 222.

[53] Rudzio, Seite 387.

[54] Nousiainen, Seite 365.

[55] Auffermann, Seite 201.

[56] Solsten, Seite 247.

[57] Vergleiche Punkt 5.2.

[58] Rudzio, Seite 327.

[59] Ismayr, Seite 439.

Fin de l'extrait de 26 pages

Résumé des informations

Titre
Finnland - Deutschland - Die politischen Systeme im Vergleich
Université
Free University of Berlin
Cours
Die politischen Systeme der EU-Länder im Vergleich
Note
3,0
Auteur
Année
2000
Pages
26
N° de catalogue
V99356
ISBN (ebook)
9783638978002
Taille d'un fichier
487 KB
Langue
allemand
Annotations
Die Arbeit vergleicht die politischen Systeme Finnlands und Deutschlands anhand von vier Punkten: Präsidentiell/Parlamentarisch, Unitarisch/Föderal, Direkt/Repräsentativ und Konkordanz-/Konkurrenzdemokratie.
Mots clés
Finnland, Deutschland, Systeme, Vergleich, Systeme, EU-Länder, Vergleich
Citation du texte
Falk Zielke (Auteur), 2000, Finnland - Deutschland - Die politischen Systeme im Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99356

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