Philippe Ariès: Geschichte der Kindheit - FAQs
Was ist das Thema des Buches "Geschichte der Kindheit" von Philippe Ariès?
Das Buch untersucht die Entwicklung des Konzepts der Kindheit vom 16. Jahrhundert bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Es analysiert, wie sich die Vorstellung von Kindheit, die Darstellung von Kindern in der Kunst und die Behandlung von Kindern im Laufe der Zeit verändert hat.
Welche Aspekte der Kindheit werden im Buch behandelt?
Ariès behandelt verschiedene Aspekte der Kindheit, darunter die kindliche Vorstellung von Abhängigkeit, die Abgrenzung zur Adoleszenz, die bildliche Darstellung von Kindern in der Kunst, Kinderkleidung, Spiele und Vergnügungen, und die "Entdeckung der Unschuld des Kindes".
Wie wurde die Kindheit im Mittelalter dargestellt?
Ariès argumentiert, dass im Mittelalter kein explizites Konzept der Kindheit existierte. Kinder wurden als kleine Erwachsene betrachtet und in der Kunst oft nicht von Erwachsenen unterschieden. Die ersten Anfänge einer eigenständigen Darstellung von Kindern zeigen sich erst ab dem 13. Jahrhundert.
Wie veränderte sich die Kleidung von Kindern im Laufe der Zeit?
Im Mittelalter kleideten sich Kinder ähnlich wie Erwachsene. Ab dem 17. Jahrhundert erhielten Kinder eigene altersgerechte Kleidung, wobei Jungen anfänglich oft wie Mädchen gekleidet wurden. Erst Ende des 18. Jahrhunderts wurde Kinderkleidung bequemer und bewegungsfreundlicher.
Welche Rolle spielten Spiele und Vergnügungen in der Entwicklung des Konzepts der Kindheit?
Im Mittelalter dienten Spiele und Feste der Stärkung der Gemeinschaft. Ab dem 17. Jahrhundert traten Moralisten und die Kirche gegen Glücksspiele und andere Vergnügungen auf, obwohl diese Verbote oft ignoriert wurden. Später erkannten die Jesuiten das erzieherische Potential von Spielen.
Wie veränderte sich die Sicht auf die kindliche Unschuld?
Anfangs galten Kinder nicht als sexuelle Wesen, ihre Unschuld konnte also nicht verdorben werden. Ab dem 17. Jahrhundert entstand ein neues Verständnis von kindlicher Unschuld, verbunden mit der Idee von Schwäche und der Notwendigkeit der Erziehung. Es entwickelte sich ein Sittenwandel, der Schamgefühl und Zurückhaltung betonte.
Welche Erziehungsprinzipien wurden im 17. und 18. Jahrhundert entwickelt?
Wichtige Erziehungsprinzipien waren, Kinder niemals allein zu lassen, sie nicht zu verhätscheln, ihnen Sittsamkeit zu vermitteln und Züchtigkeit zu fördern. Das Ziel war, die kindliche Unschuld zu wahren und gleichzeitig den Charakter und die Vernunft des Kindes zu stärken.
Wie fasst Ariès die Entwicklung des Bildes vom Kind zusammen?
Ariès zeigt auf, wie sich das Bild des Kindes vom Mittelalter, das keine eigene Kategorie „Kindheit“ kannte, bis zum 18. Jahrhundert stark veränderte. Im 18. Jahrhundert bemühte man sich, die kindliche Mentalität besser zu verstehen und Kindern mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Welche Bildquellen werden im Text genannt?
Es werden zwei Bildquellen genannt: http://www.ammma.uni-bielefeld.de/museum/ausstell/motive/motivmen.htm und http://www.nga.gov. Zusätzlich wird ein Gemälde von Anthonis van Dyck ("Die ältesten Kinder Charles I.") erwähnt.
Wann und wo erschien das Buch "Geschichte der Kindheit"?
Das Buch erschien 1960 in Frankreich unter dem Originaltitel "L’enfant et la vie familiale sous l’ancien règime". Die US-amerikanische Ausgabe folgte 1962, die erste deutsche Ausgabe 1975.
THEMA: Philippe Ariès: Geschichte der Kindheit
LITERATUR:
- Philippe Ariès: Geschichte der Kindheit, München 1975, 12. Auflage 1996, S. 45-218 BILDQUELLEN:
- http://www.ammma.uni-bielefeld.de/museum/ausstell/motive/motivmen.htm
- http://www.nga.gov
zum Buch
- Originaltitel: L’enfant et la vie familiale sous l’ancien règime
- 1960 in Frankreich erschienen, 1962 USA, 1975 erstmals in Deutschland
- löste die weitere und tiefgreifendere Erforschung der Kindheit aus
- dargestellter Zeitraum: von 16. Jh. bis ungefähr Mitte 19. Jahrhundert
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anthonis van Dyck (1599-1641)
Die ältesten Kinder Charles I., 1635 Öl auf Leinwand, 151x154cm - 1.Version Galleria Sabauda, Turin
Kindheit und ihre Ausdrücke
- Kindheitsvorstellung entspricht der Vorstellung von Abhängigkeit - herrschaftliche wie physische (petit garçon = kleiner Junge, junger Diener)
- keine Abgrenzung zur Adoleszenz, beide Begriffe werden ohne Unterschied genutzt (im Schullatein: puer und adolescens, im Französischen: pueri und adolescentes)
- Beginn 18. Jh.: in gehobeneren Schichten wird „Kind“ nur noch mit physischer Abhängigkeit, Schwäche besetzt und auf die erste Altersstufe bezogen (von jeune enfant zu petit enfant, junges vs. kleines Kind)
- dem Port-Royal (Zisterzienser-Kloster bei Paris) ist die Zunahme der Termini zur Kindheit zuzu- schreiben (bspw. Einteilung der Schüler in „Kleine“, „Mittlere“ und „Große“)
Bildliche Darstellung
- für das MA geht Ariès „... von einer Vorstellungswelt aus, die keine Kindheit kennt.“
- in der Malerei des 13. Jh. gibt es die ersten Anfänge, die sich in der Kunstgeschichte und Ikonographie des 15. und 16. Jh. wiederfinden
- besonders zahlreich und auffällig ist die Darstellung von Kindern als solchen, mit Ausgang des 16. und im 17. Jh.
- im 16. Jh. erscheint das tote Kind auf Grabbildern und in Familienportraits (dargestellt mit Sym- bolen wie einem Totenkopf oder einem Kreuz)
- zu Beginn des 17. Jh. werden sie die bevorzugten Modelle, das Kind wird allein und von seiner Fa- milie getrennt dargestellt
Kleidung
- im MA kleideten sich alle Altersstufen gleich, nur die soziale Hierarchie musste zum Ausdruck kommen
- im 17. Jh. bekommt das Kind (d.h. der Junge) Kleidung, die seinem Alter vorbehalten ist
- auffällig ist, dass Jungen gekleidet werden wie Mädchen und Mädchen gekleidet bleiben wie er- wachsene Frauen
- nach den Windeln/Wickeln folgen Rock, Kleid und Schürze/Lätzchen für beide
- sobald sie anfangen zu laufen, wird das Gängelband hinten am Kleid befestigt
- Jungen bekommen mit ca. 4-5Jahre die Kniehosen unter das Kleid (vorn geknöpft bzw. geöffnet) und einen Kragen
- Besonderheit: lange Hose für Jungen kamen Ende des 18. Jh. aus den Vororten (durch die Kriegs- marine)
- generell: Kleidung nicht gerade bewegungsfreundlich und kaum kindgerecht → erst Ende des 18. Jh. anpassungsfähiger
Spiele und Vergnügungen
- Spiele, Feste und Zerstreuungen waren im MA das Hauptmittel, um die Gemeinschaft enger zu- sammen zu bringen
- gilt besonders für die großen Feste, die an bestimmten Tagen im Jahr stattfanden
- Programme folgten traditionellen Regeln, in die auch die Kinder eingebunden waren
- spezielle Kinderfeste im Mai & November
- Glücksspiele wurden auch von den Kindern gespielt, man fand daran nichts Anrüchiges
- ab dem 17. Jh. traten Moralisten und Kirche entschieden, aber ohne großen Erfolg gegen das Glücksspiel und andere Spiele an → auch die Hausordnungen für die Kollegs und Kloster, in denen Vergnügungen aller Art untersagt waren, wurden häufig ignoriert
- im Laufe des 17. Jh. erkannten die Jesuiten die erzieherische Möglichkeit, die in den Spielen ste- cken konnte und nutzten diese
- parallel dazu kam es zur Spezialisierung von Spielen für die gesamte Gesellschaft, zu Spielen, die nur noch bestimmten Altersstufen oder Ständen vorbehalten waren
Die Entdeckung der Unschuld des Kindes
- Kinder galten nicht als sexuelle Wesen und darausfolgend konnte es keine negativen Auswirkungen (durch derbe Späße) geben → kindl. Unschuld konnte nicht verdorben werden, da es keine gab
- 1706 Schrift von Gerson, die sich mit der kindlichen Sexualität und Anregungen zum Umgang damit beschäftigt, um die ursprüngliche Verderbtheit des Kindes nicht zu fördern
- „So soll man nur nüchtern mit ihnen sprechen und nur züchtige Worte gebrauchen.“
- Kinder sollen sich beim Spielen nicht umarmen, mit bloßen Händen berühren oder sich an-
schauen
- große und kleine Kinder sollten getrennt schlafen
- ebenso sollen sie nicht mit Erwachsenen (auch des gleichen Geschlechts) in einem Bett liegen
- der Begriff „Schamgefühl“ hält Einzug → beträchtlicher Sittenwandel im 17. Jh. → neue moralische Auffassung von der Kindheit, die eher die Schwäche hervorhebt und mit Unschuld verbindet
- der Erziehung wird der erste Rang eingeräumt unter den Verpflichtungen gegenüber den Kindern
- Prinzipien, die von Jacquline Pascal (1721, in einer Schrift für die Regeln in Port-Royal) angespro- chen wurden, werden zur Doktrin, die von verschiedenen Orden anerkannt wird
1. Prinzip: Kinder niemals allein lassen
2.:Kinder nicht verhätscheln und frühzeitig an strenge Lebensregeln gewöhnen
3.: Zurückhaltung, Sittsamkeit im Auftreten vermitteln
4. Prinzip: Züchtigkeit
- es gilt nun die erkannte Unschuld zu wahren UND das Kind zu stärken, indem man für die Entwick- lung seines Charakters und Vernunft sorgt
Das Bild des Kindes hat sich vom Mittelalter, das kein Verhältnis zur Kindheit hatte, zum 18. Jahrhundert so weit verändert, dass man sich nun bemüht, die kindliche Mentalität zu durchschauen und die Kinder besser kennenzulernen.
„Sie sind junge Pflanzen, denen man viel Pflege angedeihen und die man oft gießen muß; mit einigen
Ratschlägen am rechten Ort, einigen Beweisen der Zärtlichkeit und der Freundschaft, die man ihnen von Zeit zu Zeit zuteil werden läßt, rührt man ihr Herz und nimmt sie für sich ein.“ Ariès, S.216 (Goussault, Le portrait d’une honnête femme, 1693)
- Arbeit zitieren
- Madeleine Jannasch (Autor:in), 2000, Ariès - Geschichte der Kindheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99408