Library and Information Science - Gehören Archivwissenschaft, Informationswissenschaft und Bibliothekswissenschaft zum gleichen Paradigma? Ist "Integration in Aussicht"?


Term Paper, 2000

6 Pages


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Library and Information Science - Gehören Archivwissenschaft, Informationswissenschaft und Bibliothekswissenschaft zum gleichen Paradigma? Ist ,,Integration in Aussicht"?

Um eine Zusammengehörigkeit der drei Gebiete Archivwissenschaft, Bibliothekswissenschaft und Informationswissenschaft herauszustellen, soll die jüngste dieser Wissenschaften kurz umrissen und auf die Unterschiede in amerikanischer und deutscher Entwicklung (Verbreitung, Akzeptanz) eingegangen werden, um dann den Blick auf Integration und Zukunft zu werfen.

Mit der Gründung des britischen Institute of Information Scientists (IIS) 1958 wurde begonnen, denjenigen Teil der Wissenschaft, der sich mit dem Management der wissenschaftlichen und technischen Information befasst, als Informationswissenschaft (information science) zu bezeichnen. Zur damaligen Zeit lag das Fachwissen in Form von Dokumenten vor, und somit wurde der Begriff Dokumentar geprägt. Die sich primär mit den Inhalten wissenschaftlicher Dokumente bezüglich spezieller Gebiete befassenden Dokumentare unterschieden sich anfänglich -was auch heute noch der Fall ist- von der allgemeinen Orientierung der Bibliothekare öffentlicher Bibliotheken. Durch den Einfluss des Computers seit den 60er Jahren und den exponentiellen Zuwachs von wissenschaftlichen Veröffentlichungen begann sich das Gebiet der Dokumentation grundlegend zu ändern: Bibliographische Fachdatenbanken erlaubten der steigenden Zahl von Wissenschaftlern das information retrieval, d.h. das Wiederfinden von computergespeicherten Informationen. Waren anfänglich bibliographische Hinweise gemeint, so bezieht sich die aktuelle Dokumentation auf die Inhalte (indexes).

Innerhalb der Informationswissenschaft kristallisierten sich allmählich mehrere Auffassungen über den Begriff Information heraus. Solange die Diskussionen darüber, was Information eigentlich ist, noch in -möglichst vollem- Gange sind, bleibt die Hoffnung auf eine befriedigende Positionsfindung. Meines Erachtens muss hier jedoch eine klare Trennung zur physikalistischen Tradition der Informationswissenschaft, die von Dokumenten ausgeht, die ,,Informationen" enthalten, die dann mit Hilfe maschineller Methoden ,,gemessen" werden können, und eine Distanzierung von der rationalistischen Tradition erfolgen. Wird durch Überbewertung der linguistischen Dimension der Erkenntnisprozess in die Ecke gedrängt, bleibt beispielsweise eine derartig orientierte Bibliothek auf der

,,kommunikationswissenschaftlichen" Strecke.

Ein gangbarer Mittelweg wäre, die Informationswissenschaft mit den Augen von Ingwersen zu sehen, d. h. als Beschäftigung mit Wissen und Wissensänderung1. Diese setzt sich insbesondere mit Fragen der Informationssuche (information seeking), von Design von information-retrieval-systemen (IR systems design), Interaktions- und Navigationsmechanismen (IR = information retrieval), Analyse und Bewertung der Wirkung von Informationssystemen auf die Nutzer (information management) und der Messung der Wirkung von Information und Gesellschaft (informetrics), auseinander. Als Kern der Informationswissenschaft steht hier die Analyse der Suche nach Informationen (information seeking). Mit dem Informationsbegriff von Cappuro, der Information als kommunizierbares ,,dokumentarisch vorhandenes Wissen, sofern dieses dem Benutzer zugänglich bzw. ,,nützlich" gemacht wird" bezeichnet, werden die Bibliotheken und Archive wohl am ehesten angesprochen2. Diese beschäftigen sich seit Jahrtausenden mit der praktischen Frage nach dem Zugang zu Dokumenten (Archivgut und Bibliotheksgut), die heute durch die Frage nach dem Zugang zu den Inhalten bzw. der darin enthaltenen ,,potentiellen Wissensveränderungen"3 ergänzt werden muss. Gekoppelt mit der Forderung von Hans

Booms, dass ,,Zweck und Ziel einer archivarischen Überlieferungsbildung [...] in der pluralistischen Struktur unserer modernen Industriegesellschaft nur eine gesamtgesellschaftliche Dokumentation des öffentlichen Lebens in allen Interessen- und Bindungsgemeinschaften sein [kann]"4, liegt aus meiner Sicht der Schritt nahe, Information mehr ,,public" zu machen. Nach dem amerikanischen Vor-Bild würde dies eine größere Quellenoffenbarung und Ausrichtung auf die Benutzerwünsche auch in Deutschland bedeuten.

Die Informationswissenschaft, die als ein interdisziplinäres Gebiet entstand, das die Informations- und Kommunikationsprozesse in der Wissenschaft erforscht, etablierte sie sich in den USA seit Ende der 50er Jahre als Library and Information Science (LIS). Das riesige Land Amerika, das sich durch eine ungeheure Mobilität und Flexibilität auszeichnet, lässt sich mit europäisch- bibliothekarischen Maßstäben nicht fassen. In Amerika hängen ökonomische, politische und soziale Stärke von der Freiheit ab, ,,Informationen zu kreieren, zu verteilen, zu managen und zu nutzen"5. Dass die amerikanische Gesellschaft von der Information lebt, begründet die Tatsache, dass jeder zweite Dollar mit der Ware Information verdient oder ausgegeben wird6. Hieraus resultiert die hohe Involvierung aller Beschäftigten in die Produktion und Verbreitung von Information und die hohe Zahl an traditionsreichen Informations- und bibliothekswissenschaftlichen Schulen. In den academic, public, school and special libraries waren 1990 allein 140.000 "information professionals" tätig, die in erster Linie über die Schools of Library and Information ausgebildet wurden7. Gehört das Überangebot an ,,Kenntnis[sen] über bestimmte Sachverhalte und Vorgänge in einem Teil der wahrgenommenen Realität", wie Schneider8. den Informationsbegriff definiert, zur amerikanischen Wirklichkeit, so wirkt dieses Grundprinzip ,,Freedom of Information" als pluralistisches Modell, als Motor und Zielvorstellung einer Informationsgesellschaft.

Bibliotheken werden hier nicht als Institution als solche, sondern als Anbieter von neuen, nachgewiesenen Dienstleistungen gesehen9. Sicherlich haben die beispielhaften Leistungen der amerikanischen Bibliotheksqualität neben dem unbeirrbaren Glauben an die Freiheit von Wissenschaft und Forschung und dem Drang zur ständigen Neuerung auch mit dem allgemeinen Zugangsrecht zu ,,public information" zu tun. Die Library of Congress sucht das intellektuelle und kulturelle Leben Amerikas durch Zusammentragen und Bewahren von ,,human knowledge, information and expression" zu stärken und zu befördern. James H. Billington, der 1987 zum neuen ,,Librarian of Congress" gewählt wurde, definierte sieben Grundwerte für die Library of Congress, die 1800 gegründet wurde und heute die größte Bibliothek der Welt ist: service, quality, innovation, participation, staff development and fairness10, wobei er Service (Dienstleistung) als wichtigsten Wert betont.

In den bibliothekarischen und informationswissenschaftlichen Ausbildungen stehen neben dem Theoriewissen und dem Erfassen von Gesamtzusammenhängen bezüglich der Reserve ,,Information" folgende Schwerpunkte im Vordergrund11: Branchen- bzw. fachliche Spezialisierung in der Kombination mit dem problemlosen Umgang mit Informationstechnologien, strikte Benutzerorientierung und ganzheitliches Managementwissen.

Eine Trennung von Bibliotheks- und Informationswesen ist im gesamten anglo- amerikanischen Raum weitgehend unbekannt: Hier spricht man von ,,library and information science", die weitgehend unter ,,information science" zusammengefasst wird. Begünstigt durch die sprachlichen Gegebenheiten (englisch), werden Projekte, Probleme etc. gemeinsam angegangen. Anhand vieler aktueller Beispiele, die sich letztendlich auch in einer breiten Internetpräsenz finden, lässt sich in Amerika eine ,,Information Science" nachweisen.

Ein Merkmal der Informations- und Wissensgesellschaft stellt die Aufteilung in immer neue Berufe und die Teilung der Wissensgebiete dar. Diese Parzellierung von Aufgaben vollzog sich in den verschiedenen Ländern mit unterschiedlicher Ausprägung: Ist in Amerika eine pragmatischer orientierte Informations- und Dokumentvermittlung zu verzeichnen, so neigt Deutschland zu steter Spezialisierung, was sich in der großen Anzahl ,,berufständige Verbände und Gruppen, in denen sich Archivare und Bibliothekare nicht selten beziehungslos zu den jeweiligen berufständischen Nachbarn, organisieren", äußert12. Das Bemühen im Festhalten am jeweils Bestehenden, was sich auch auf die bibliothekarische, archivarische und dokumentarische Ausbildungslandschaft in Deutschland übertragen lässt, hemmt die Integration dieser Zünfte. Ein Zusammenschluss der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände (BDB) mit der Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis (DGI) und dem Verein Deutscher Archivare (VDA) zu einem gemeinsamen Dachverband ist sicherlich noch Zukunftsmusik. Doch auch die ,,kleinen" Töne machen Musik: So hat sich die ehemalige Gesellschaft für Dokumentation im Sinne der Inhaltsorientierung in Deutsche Gesellschaft für Information swissenschaft und Information spraxis e.V. (DGI) umbenannt.

Die DGI hat u. a. für die Fusion ehemals getrennter Kommissionen bibliothekarischer Ausbildungsstätten13 gesorgt und mit der BDB aktiv an der Erarbeitung eines gemeinsamen Berufsbildes mitgewirkt. Als Zeichen der Integrationsbereitschaft sei hier auch der gemeinsame Kongress von Bibliothekaren und Informationsvermittlern, der von der BDB und der DGI im März 2000 veranstaltet wurde, genannt. Die Begriffe Information und Dokumentation fanden jedoch bereits im Programm der Bundesregierung zur Förderung der Information und Dokumentation (IuD- Programm) 1974-1977 Niederschlag, nachdem im September 1966 eine Abteilung ,,Information und Dokumentation" am Institut für Bibliothekswissenschaft gegründet und dieses in ,,Institut für Bibliothekswissenschaft und wissenschaftliche Information" umbenannt wurde.

Die anzustrebende Integration von Bibliotheks-, Archiv- und Informationswissenschaft ist bereits mit bloßem Auge sichtbar, vorausgesetzt, man möchte in diese Richtung schauen. Eine Integration bedeutet keineswegs Vereinheitlichung, ein Konkurrenzdenken ist hier, angesichts der ständig wachsenden Anforderungen im Bereitstellen von Wissen und Informationen , fehl am Platze. Die besonderen Arbeitsgebiete fordern weiterhin ihre Spezifizierung: Handschriftenbibliothekar und Archivar einer Urkundensammlung werden sich auch künftig ihren entsprechenden historischen Dokumenten und Quellen widmen. Der Informationsvermittler wird sich immer stärker auf Inhalte und Dienstleistungen des Wirtschafts- und Informationsmarktes orientieren, wobei der Schwerpunkt des Bibliothekars in der Wissensvermittlung aus Lehre und Forschung (wissenschaftlich) und der Versorgung der allgemeinen Öffentlichkeit mit Informationen und Medien weiterhin liegen wird.

Parallel zur Erschließung physischer Medien treten für den Beruf des Bibliothekars, Archivars und Dokumentars künftig informationsvermittelnde Tätigkeiten, wie beispielsweise die Erzeugung und Bereitstellung von Navigationshilfen in Datennetzen. Werden herkömmliche Leistungen wie Bestandsnachweise, Information Retrieval, Aufbau und Pflege von Sammlungen, Beratung bei der Benutzung von Sammlungen und Bestandsnachweisen automatisch vorgenommen, heißt es für die ABD- Bereiche eine verstärkte inhaltliche Profilierung hin zum content- provider gibt. Unentgeltliche Dienstleistungen in Bibliotheken werden durch käufliche Dienstleistungen ersetzt werden, wobei materielle Dienstleistungen immer noch bereitwilliger gekauft werden als ,,Informationsdienstleistung"; worauf sich die von Umlauf bezeichnete Beschreibung Deutschlands als ,,Dienstleistungswüste" bezieht14.

Lena Olssen legt in einem Vierfeldermodell zwei Ebenen fest, in dem sich der Bibliothekar genauso wie der Archivar wiederfinden kann15. Auf einer Ebene steht die Form und der Inhalt, auf der anderen Ebene das Allgemeinwissen und die Spezialkompetenz. Diese vier Eckpunke geben den Bibliothekaren und Archivaren Raum, ihre Position zu finden. Gefährlich ist jedoch eine Bewegung ausschließlich zu einem Eckpunkt, z.B. zu der technischen Form, bei der es um Katalogarbeiten, Index- und Datenbankherstellungen geht, während die anderen Punkte ins Hintertreffen geraten. Form und Inhalt (fachspezifische Informationen) stellen keine externen Faktoren dar, die nach Wunsch miteinander kombiniert werden können, wie es folgender Satz treffend meint: ,,You will never become a specialist in Chinese medicine by studying China and medicine as two separate subject areas"16. Bibliothekare sollten die inhaltsorientierte Arbeit zum Ziel haben, wobei das Wissen, wo und wie man diese Informationen suchen und finden kann, ebenso wichtig ist. Zum ,,Allgemeinwissen" eines Bibliothekars zählen u.a.

- Kulturwissen
- Sprachwissenschaft und Logik für die Sacherschließung
- Wissen über die Philosophie und Soziologie der Wissenschaft
- Wirtschafts- und Verwaltungskenntnisse
- Wissen über spezielle Informationsquellen (z.B. Internet)
- Gesprächsführung.
- Historisches Wissen (gilt besonders für den Archivar)

Im Zentrum dieser vier Eckpunkte ist meiner Meinung nach ein Bibliothekar und auch ein Archivar im Hinblick auf die Ansprüche der nahen Kommunikationsgesellschaft gut aufgehoben. Gleichwohl ist eine Spezialisierung bei guter Leistung, um den Dienstleistungsbegriff noch einmal zu gebrauchen, anstelle einer breiten Dienstleistungspalette mit niedrigem Niveau in Zukunft anzustreben.

I.P.

[...]


1 Peter Ingwersen: Information and Library and Information Science. In: Encyclopedia of Library and Information Science. 1995, S. 139.

2 R. Capurro: Information. Ein Beitrag zur etymologischen und ideengeschichtlichen Begründung des Informationsbegriffs. München 1978.

3 siehe Anm. 1.

4 Hans Booms: Gesellschaftsordnung und Überlieferungsbildung. Zur Problematik archivischer Quellenbewertung: In: Archivalische Zeitschrift 68 (1972), S. 40.

5 K. B. Allen: A National Strategy for the Information Age. In: Information Management Review 4, 1989, S. 20.

6 E. W. Plomann: The Communication Revolution. In: ASLIB- Proceedings 33, 1987, S. 373.

7 School of Library and Information Science, Bulletin. Milwaukee, 1990, S. 2.

8 Hans Jochen Schneider: Lexikon der Informatik und Datenverarbeitung. Oldenburg, 1986, S. 283.

9 Alexander Greguletz, Steffen Wawra: Informations- und Informationspolitik in den USA, Berlin 1991, S.7.

10 Annual Report of the Librarian of Congress 1987. Washington 1988, S. 1-85.

11 Donald B. Simpson: Libraries and the Changing Scholary Process. In: School of Library and Information Studies, 1989, S. 8 f.

12 Joachim-Felix Leonhard: Vom Bestandsdenken zum Inhaltsbezug. In: Politik für Bibliotheken. München 2000, S. 41.

13 Hierzu zählen die Kommission für bibliothekarische Ausbildungsstätten (KBA) bzw. die Kommission von Information von Informations- Ausbildungsstätten (KIA, jetzt KIBA).

14 http://www.ib.hu-berlin.de/~kumlau/handreich.../kapital3bis5.htm.

15 Birger H?rland: Library and Information Science: Practice, Theory, and Philosophical Basics. In: Information Processing and Management. 36, 2000, S. 501-531.

16 Ebenda. S. 505.

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Title
Library and Information Science - Gehören Archivwissenschaft, Informationswissenschaft und Bibliothekswissenschaft zum gleichen Paradigma? Ist "Integration in Aussicht"?
Author
Year
2000
Pages
6
Catalog Number
V99497
ISBN (eBook)
9783638979412
File size
436 KB
Language
German
Keywords
Library, Information, Science, Gehören, Archivwissenschaft, Informationswissenschaft, Bibliothekswissenschaft, Paradigma, Integration, Aussicht
Quote paper
I. Pieper (Author), 2000, Library and Information Science - Gehören Archivwissenschaft, Informationswissenschaft und Bibliothekswissenschaft zum gleichen Paradigma? Ist "Integration in Aussicht"?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99497

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