Wie ein Kartenhaus, das dem leisesten Windhauch trotzt, so stand Europa am Vorabend des Ersten Weltkriegs, ein fragiles Gebilde aus Bündnissen, Rivalitäten und ungestillten territorialen Ansprüchen. In dieser explosiven Gemengelage spielten die Marokkokrisen eine fatale Rolle, ein gefährliches Machtspiel, das die Großmächte an den Rand des Abgrunds führte. Tauchen Sie ein in eine Zeit, in der Kaiser Wilhelm II. mit seinem "Neuen Kurs" die von Bismarck geschaffene Ordnung bewusst aufbrach, ein Wettrüsten mit Großbritannien provozierte und Deutschland zunehmend isolierte. Erleben Sie, wie die deutsche Politik in Marokko, getrieben von dem Wunsch, die Entente Cordiale zwischen Frankreich und Großbritannien zu untergraben, in zwei eskalierenden Krisen gipfelte. Von Wilhelms demonstrativem Besuch in Tanger bis zum "Panthersprung" nach Agadir – jede Zuspitzung trug dazu bei, die Spannungen in Europa ins Unermessliche zu steigern. Verfolgen Sie die internationalen Verhandlungen, die Algeciras-Konferenz und den Marokko-Kongo-Vertrag, und erkennen Sie, wie diese Ereignisse nicht nur die deutsche Isolation verstärkten, sondern auch die Kriegsbereitschaft im Reich befeuerten. Doch Marokko war nur ein Schauplatz in einem größeren Drama. Der Balkan, ein Pulverfass ethnischer Konflikte und nationaler Bestrebungen, drohte ebenfalls zu explodieren. Die Bosnienkrise, die Balkankriege und schließlich das Attentat von Sarajewo – all dies waren Vorboten einer Katastrophe, die die Welt für immer verändern sollte. Dieses Buch analysiert die komplexen Ursachen des Ersten Weltkriegs, wobei es die Marokkokrisen als Schlüsselmomente hervorhebt, die das fragile Gleichgewicht Europas zerstörten und den Kontinent unaufhaltsam in den Krieg trieben. Eine fesselnde Darstellung der politischen Intrigen, militärischen Drohungen und diplomatischen Fehlentscheidungen, die letztlich zur Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts führten, unentbehrlich für jeden, der die Wurzeln des Krieges und die Mechanismen der Macht verstehen will.
Die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges - Die Marokkokrisen
1. Einleitung:
Durch die imperialistische Expansionspolitik kam es Ende des 19. Jahrhunderts zu Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen den europäischen Führungsmächten. Besonders am Anfang des 20. Jahrhunderts wurden diese Konflikte noch verschärft: Afrika war aufgeteilt und Asien von den Europäern durchdrungen, so das eine Machterweiterung nur noch in Europa selbst stattfinden konnte. Das labile Gleichgewicht zwischen den europäischen Mächten, das der deutsche Reichskanzler Bismarck aufrechterhalten hatte, geriet nach seinem Sturz ins Wanken und auch auf dem Balkan entstand durch den Zusammenbruch des Osmanischen Reiches ein neuer Krisenherd. Die Häufung von Konflikten, das gespannte Verhältnis zwischen den europäischen Mächten und die zunehmende Kriegsbereitschaft sollten schließlich in den Ersten Weltkrieg führen.
2. Der „Neue Kurs“ Wilhelms II.:
Als Bismarck 1890 unter Kaiser Wilhelm II. zum Rücktritt gezwungen wurde, bedeutete dies einschneidende Veränderungen für die bisherige Außenpolitik. Durch den „Neuen Kurs“ Wilhelms II. geriet das von Bismarck aufgebaute Kräftegleichgewicht in Europa ins Wanken. 1890 lehnte Wilhelm die Erneuerung des Rückversicherungsvertrages mit Rußland ab, woraufhin dieses mit Frankreich 1894 eine Militärkonvention schloss und so einen Zweifrontenkrieg gegen das Deutsche Reich möglich machte.
Nun wäre ein Bündnis Deutschlands mit Großbritannien von großem Vorteil gewesen. Die deutsch-britischen Beziehungen verschlechterten sich jedoch, als man Mitte der 1890er Jahre mit dem Aufbau einer deutschen Hochseeflotte begann. Es setzte ein erbittertes Wettrüsten mit Großbritannien ein, denn dieses sah seine Vormachtstellung zur See und seine Sicherheit durch die deutsche Flotte gefährdet.
Ein Bündnis zwischen Frankreich und Großbritannien, die Entente cordiale, die später mit Rußlands Beitritt zur Triple-Entente ausgeweitet wurde, führte schließlich zur Isolation des Deutschen Reiches, dem außer Österreich-Ungarn kein Bündnispartner mehr geblieben war.
3. Die Marokkokrisen:
Die Marokkokrisen waren zwei internationale Krisen in den Jahren 1905/06 und 1911/12 und wurden durch die Interessen Frankreichs und des Deutschen Reiches an Marokko ausgelöst.
3.1 Die erste Marokkokrise:
1880 war im Marokkoabkommen das Mitspracherecht des Deutschen Reiches in nordafrikanischen Fragen festgelegt und der Status Marokkos als formal souveränes Land vereinbart worden.
1904 begann Frankreich mit der Durchdringung Marokkos und einigte sich mit Spanien über die Aufteilung der Interessenzonen in Marokko; Die französische Regierung strebte die Zollkontrolle und die Umbildung der marokkanischen Armee unter französischem Kommando an.
Das Deutsche Reich wollte der britisch-französischen Annäherung (Entente cordiale) entgegenwirken, indem die deutsche Regierung die alten Pläne eines Kolonialbundes, der Großbritannien ausschließen und die deutsch-französische Gegnerschaft beenden sollte, wieder aufgriff. Da der erste Versuch, ein Bündnis mit Rußland und Frankreich zu schließen, scheiterte, versuchte Deutschland durch unmittelbaren Druck, Frankreich den Kurs der deutschen Kolonialpolitik aufzuzwingen. Die Marokko-Frage war dafür eine willkommene Möglichkeit.
Das Deutsche Reich meldete 1905, als Frankreich Marokko zum französischen Protektorat machen wollte, sein Mitspracherecht an dieser Entscheidung an. Kaiser Wilhelm II. stattete dem Sultan in Tanger einen Besuch ab, um zu demonstrieren, dass er Marokko für einen souveränen Staat halte.
Der französische Ministerpräsident schlug Deutschland daraufhin vor, alle deutsch- französischen kolonialen Differenzen nach dem Muster der Entente cordiale zu regeln. Die deutsche Regierung lehnte jedoch ab und bestand auf einer internationalen Konferenz. Ihr Ziel war, der französischen Marokko-Politik eine Niederlage zu bereiten. Sie wollte Frankreich die Nutzlosigkeit der Entente mit Großbritannien aufzeigen und ihm deutlich machen, dass es sich an Deutschland halten müsse, wenn es kolonialpolitische Erfolge haben wolle. Die französische Niederlage sollte Frankreich aus der Entente cordiale lösen und es dazu bringen, dem geplanten Kolonialbund beizutreten. Reichskanzler von Bülow rechnete damit, dass Frankreich nachgeben und es nicht auf einen Krieg ankommen lassen werde, zumal Deutschland keinen Krieg beabsichtigte (Politik des Bluffens).
Die deutsche Regierung beharrte auf einer internationalen Konferenz und Frankreich stimmte zu. Auf der Algeciras-Konferenz 1906 beratschlagten unter anderem das Deutsche Reich, Frankreich, Österreich-Ungarn, Großbritannien, die USA und Italien über den Konflikt. Deutschland hatte mit einer Mehrheit auf seiner Seite gerechnet; es war jedoch mit Österreich-Ungarn isoliert. Die Konferenz bestätigte zwar die Selbstständigkeit Marokkos, billigte aber den vorwiegend französischen Einfluss auf das nordafrikanische Land weitgehend. Äußerlich war der deutschen Forderung damit zwar Genüge getan, aber die Isolierung Deutschlands im Kreis der europäischen Mächte wurde besonders deutlich. Auch die Hoffnung der deutschen Regierung, die Entente cordiale zu schwächen, erfüllte sich nicht. Im Gegenteil: Die Zusammenarbeit Frankreichs und Englands wurde durch die deutsche Politik noch gefestigt.
3.2 Die zweite Marokkokrise:
Die zweite Marokkokrise wurde ausgelöst, als französische Truppen 1911 anlässlich innerer Unruhen (ein Aufstand gegen den Sultan) die marokkanische Hauptstadt Fès besetzten und damit den Vertrag von Algeciras verletzten. Das Deutsche Reich schickte als Reaktion das Kanonenboot „Panther“ („Panthersprung“) nach Agadir, um seine militärische Stärke zu demonstrieren. Das Deutsche Reich hatte jedoch mit dieser militärischen Aktion Großbritannien nicht genügend berücksichtigt. So warnte der britische Schatzkanzler Lloyd George Deutschland davor, Frankreich den Krieg zu erklären und deutete an, dass England sich im Kriegsfall nicht mehr passiv verhalten, sondern auf Frankreichs Seite eingreifen würde. Um dieser Aussage Nachdruck zu verleihen, versetzte Großbritannien seine Marine sogar zeitweilig in Alarmzustand.
Am 11.11.1911 wurde die Marokkokrise nach längeren Verhandlungen zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich durch den Marokko-Kongo-Vertrag beigelegt. Das Deutsche Reich erkannte die französische Vorherrschaft über Marokko an und im Gegenzug trat Frankreich Teile des französischen Kongo und Französisch-Äquatorial-Afrikas an das Reich ab.
Wieder gelang es dem Deutschen Reich nicht, einen Keil zwischen die britisch-französische Entente zu treiben. Die Vorgänge in Marokko verstärkten den Zusammenhalt der Entente noch. Die politische Isolation des Deutschen Reiches wuchs. Gleichzeitig nahmen im Deutschen Reich die englandfeindliche Stimmung und die Kriegsbereitschaft zu.
4. Unruheherd Balkan:
Vor allem in den letzten Jahren vor dem ersten Weltkrieg wurde der Balkan zum Unruheherd in Europa. 1908 kam es zur Bosnienkrise, als Österreich-Ungarn die osmanischen Provinzen Bosnien und Herzegowina annektierte. Serbien, Rußland und Montenegro protestierten zwar, mussten das österreichische Vorgehen aber hinnehmen, als sich das Deutsche Reich auf die Seite Österreich-Ungarns stellte.
Auch andere Staaten nutzten die Schwäche der Türkei („dem kranken Mann am Bosporus“) aus; so eroberten die Truppen des Balkanbundes (Bulgarien, Griechenland, Montenegro und Serbien) im ersten Balkankrieg 1912 fast die gesamte europäische Türkei. 1913 lösten Streitigkeiten um die Aufteilung Makedoniens den zweiten Balkankrieg aus. In diesem Krieg konnte Serbien sein Territorium fast verdoppeln und auch die russische Position auf dem Balkan wurde gestärkt.
Am 28. Juni 1914 wurden der österreich-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo von einem Mitglied einer großserbischen Geheimorganisation erschossen. Dieses Attentat bot Österreich-Ungarn eine willkommene Möglichkeit, gegen Serbien vorzugehen und löste damit die Julikrise aus, die schließlich in den Ersten Weltkrieg führen sollte.
" by Annika M.
Quellenangaben
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BRÜCKMANN, ASMUT: Historisch-Politische Weltkunde, Die europäische Expansion, 1. Auflage, Ernst Klett Schulbuchverlag, Stuttgart, 1993.
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HILGEMANN, WERNER / KINDER, HERMANN: dtv-Atlas Weltgeschichte, zweibändig, Bd.2: Von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart, 25. Auflage, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 1991.
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HUG, WOLFGANG (HRSG.): Unsere Geschichte, vierbändig, Bd. 3, Von der Französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg, Diesterweg Verlag, Frankfurt a. M., 1988.
Häufig gestellte Fragen
Was ist der Inhalt des Textes "Die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges - Die Marokkokrisen"?
Der Text behandelt die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges mit besonderem Fokus auf die Marokkokrisen. Er untersucht die imperialistische Expansionspolitik, den "Neuen Kurs" Wilhelms II., die beiden Marokkokrisen (1905/06 und 1911/12) und die Rolle des Balkans als Unruheherd.
Was waren die Ursachen für die Spannungen zwischen den europäischen Mächten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert?
Die imperialistische Expansionspolitik, die Aufteilung Afrikas und die Durchdringung Asiens durch die Europäer führten zu Spannungen. Der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches schuf einen neuen Krisenherd auf dem Balkan. Das labile Gleichgewicht, das Bismarck geschaffen hatte, geriet ins Wanken.
Was war der "Neue Kurs" Wilhelms II. und welche Folgen hatte er?
Der "Neue Kurs" Wilhelms II. bezeichnete die Abkehr von Bismarcks Außenpolitik. Er lehnte die Erneuerung des Rückversicherungsvertrages mit Russland ab, was zum Bündnis zwischen Russland und Frankreich führte. Der Aufbau einer deutschen Hochseeflotte verschlechterte die Beziehungen zu Großbritannien und führte zu einem Wettrüsten.
Was waren die Marokkokrisen und welche Rolle spielten sie in der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges?
Die Marokkokrisen waren zwei internationale Krisen (1905/06 und 1911/12), die durch die Interessen Frankreichs und des Deutschen Reiches an Marokko ausgelöst wurden. Die erste Krise entstand, als Deutschland gegen die französische Durchdringung Marokkos protestierte. Die zweite Krise wurde durch die Besetzung von Fès durch französische Truppen ausgelöst. Beide Krisen verstärkten die Isolation des Deutschen Reiches und trugen zur Kriegsbereitschaft bei.
Was geschah auf der Algeciras-Konferenz 1906?
Auf der Algeciras-Konferenz wurde die Selbstständigkeit Marokkos bestätigt, aber der französische Einfluss auf das Land weitgehend gebilligt. Deutschland war isoliert und konnte seine Ziele nicht erreichen.
Was war der "Panthersprung nach Agadir"?
Der "Panthersprung nach Agadir" war die Entsendung des deutschen Kanonenboots "Panther" nach Agadir im Jahr 1911 als Reaktion auf die französische Besetzung von Fès. Diese militärische Aktion sollte die deutsche Stärke demonstrieren, führte aber zu Spannungen mit Großbritannien.
Was war der Marokko-Kongo-Vertrag?
Der Marokko-Kongo-Vertrag vom 11.11.1911 beendete die zweite Marokkokrise. Deutschland erkannte die französische Vorherrschaft über Marokko an und erhielt im Gegenzug Teile des französischen Kongo und Französisch-Äquatorial-Afrikas.
Welche Rolle spielte der Balkan als "Unruheherd"?
Der Balkan wurde durch den Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und die Nationalitätenkonflikte zu einem Unruheherd. Die Bosnienkrise (1908) und die Balkankriege (1912/13) verschärften die Spannungen. Das Attentat auf Franz Ferdinand in Sarajewo 1914 löste die Julikrise und den Ersten Weltkrieg aus.
Was war die Bosnienkrise?
Die Bosnienkrise war die Annexion von Bosnien und Herzegowina durch Österreich-Ungarn im Jahr 1908. Serbien, Russland und Montenegro protestierten, mussten das österreichische Vorgehen aber hinnehmen.
Was waren die Balkankriege?
Die Balkankriege waren zwei Kriege (1912 und 1913), die durch den Zerfall des Osmanischen Reiches und Streitigkeiten um die Aufteilung Makedoniens ausgelöst wurden. Serbien konnte sein Territorium fast verdoppeln und die russische Position auf dem Balkan wurde gestärkt.
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- Annika (Autor:in), 2001, Die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges - Die Marokkokrisen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99539