Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Identitäre Bewegung als junge Generation der Neuen Rechten
2.1 Die Neue Rechte
2.2 Entstehung
2.3 Zusammensetzung und Zielgruppe
2.4 Symbolik, Ideologie und Selbstbild
2.5 Aktionsmethoden
3. (Rechts-)Populismus und seine Rhetorik
4. Analyse der Rhetorik der Identitären Bewegung
4.1 „Kein Opfer ist vergessen!“
4.2 „Stop the UN Migration Pact, Dublin“
4.3 „Integration und Selbsthass I“
5. Fazit
Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Im Mai 2017 fahren knapp 50 Mitglieder der Identitären Bewegung mit einem Lastwagen vor das Justizministerium in Berlin. Dort versuchen sie sich mit einer Leiter Zugang zum Dach des Gebäudes zu verschaffen. Nach dem dies von der Polizei verhindert werden kann, wird daraufhin der Eingang des Ministeriums von den Aktivist*innen blockiert, während diese Parolen gegen den damaligen Justizminister Heiko Maas rufen (Roßmann, 2017).
Im April 2018 steigen diverse Aktivist*innen der Identitären Bewegung auf den Gebirgspass Col de l´Echelle an der französisch-italienischen Grenze. Dort bilden sie eine Menschenkette und schwenkten Fahnen mit der Aufschrift „Defend Europe“. Die Mitglieder der Bewegung tragen einheitliche blaue Kleidung und geben sich vor einer ankommenden Gruppe geflüchteter als Grenzpolizist*innen aus. Sie behaupten der Gruppe gegenüber, dass die Grenze geschlossen sei und verweigerten damit den Übertritt von Italien nach Frankreich (Welt, 2019).
Groß angelegte Aktionen mit einem starken medialen Echo gehören zu den elementaren Strategien der Identitären Bewegung, um gegen den angeblichen „großen Austausch“ der europäischen Kultur und das Versagen der Staatsapparate zu demonstrieren.
Die Identitäre Bewegung polarisiert in vielerlei Hinsicht. Die mediale Präsenz ist groß und professionell, die Aktionen sind aufsehenerregend, die Thesen und Aussagen sprechen oft in Extremen und die Forderungen sind provokant. Das alles geschieht in eloquenter Sprache und Wortwahl.
Während sich die Bewegung als junge Repräsentation der gemeinen europäischen Bevölkerung in der Opferrolle gegenüber Regierungen und den gesellschaftlichen Eliten sieht und sich von einer Flut an kriminellen und terroristischen Migrant*innen bedroht fühlt, versucht sie ihre Ideologie und Ansichtsweise in rechtspopulistischer Form zu kommunizieren. Der deutsche Verfassungsschutz erachtet die Bewegung seit Juli 2019 als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.“ (Bundesamt für Verfassungsschutz, 2019) Obwohl sich die Identitäre Bewegung in ihrem Auftreten anders gibt als der „klassische“ Rechtsextremismus und Rassismus, so wird doch eine Meinung transportiert, die ganze Ethnien unter Generalverdacht und den demokratischen Rechtsstaat in Frage stellt. Wie dies explizit von der Identitären Bewegung getan wird, soll in dieser Arbeit herausgearbeitet werden.
Zunächst wird die Identitäre Bewegung als solche näher beleuchtet.Behandelt wird ihre Entstehung als ein junger Bestandteil der Neuen Rechten, die angestrebte Zielgruppe sowie die Zusammensetzung der Bewegung. Des weiteren wird auf die verwendete Symbolik, die Ideologie, das Selbstbild sowie die Aktionsformen eingegangen.
Um eine Analyse der populistischen beziehungsweise rechtspopulistischen Rhetorik der Identitären Bewegung vornehmen zu können, müssen erst Charakteristika und Eigenschaften einer solchen herausgestellt werden. Hierfür wird die theoretische Arbeit von Tanja Wolf herangezogen, da diese einen guten Überblick über das breite Feld der Populismusforschung bietet und allgemeingültige Merkmale einer solchen Rhetorik liefert. Diese werden im zweiten Teil dieser Arbeit herausgearbeitet.
Anhand dieser Charakteristika wird nun die Rhetorik der Identitären Bewegung analysiert. Hierzu sind drei Veröffentlichungen aus dem Kreis der Bewegung ausgewählt worden. Ein Spendenaufruf der deutschen Identitären Bewegung, die Rekapitulation einer Flugblatt-Aktion der britisch-irischen Generation Identity sowie einen Artikel zum Thema Migration und Integration von Martin Sellner, dem Sprecher des österreichischen Ablegers der Bewegung. Hier wird nun anhand von Beispielen und Auszügen aus den Texten dargelegt, auf welche Art und Weise und in welchem Umfang die Rhetorik der Identitären Bewegung einer populistischen beziehungsweise rechtspopulistischem Logik folgt.
Die Ergebnisse dieser Analyse werden dann in einem Fazit konkludierend zusammengefasst.
2. Die Identitäre Bewegung als junge Generation der Neuen Rechten
Im Nachfolgenden Kapitel soll die Identitäre Bewegung an sich näher beleuchtet werden. Zunächst wird die politische Strömung der Neuen Rechten, in welche sich die Identitäre Bewegung einbettet, dargestellt, um die Rahmenbedingungen der Bewegung zu erläutern. Anschließend wird die Entstehung der Identitären Bewegung behandelt, bevor die demographische Zusammensetzung und Zielgruppe erläutert wird. Darauffolgend wird die Ideologie sowie das Selbstverständnis der Identitären Bewegung näher betrachtet, bevor abschließend die Art des Aktivismus genauer beschrieben wird.
2.1 Die Neue Rechte
Die Neue Rechte, was auch die Eigenbezeichnung der politischen Strömung ist, entstand unter dem Begriff der Nouvelle Droit in den 1969er Jahren in Frankreich und stellt eine modernisierte Auslegung des Rechtsextremismus dar. Nach dem zweiten Weltkrieg sowie den Verbrechen und der Niederlage der Nationalsozialisten galt ein direkter und offensichtlicher Bezug auf diese als gesellschaftlich unakzeptabel. Daher musste Ideologie umgedeutet werden, um wieder Anklang im öffentlichen Raum finden zu können. Theoretisch basierte die Neue Rechte, beispielsweise vertreten durch den rechtsextremen Philosophen Alain de Benoist, daher auf der Konservativen Revolution, einem Sammelbegriff für rechtskonservative und deutschnationale Denker,wie Oswald Spengler, Ernst Jünger oder Edgar Julius Jung, welche sich der Demokratie der Weimarer Republik von 1918 bis 1933 entgegenstellten. Sie alle sahen eine autoritäre und nichtdemokratische Staatsform mit einem homogenem Volkskörper als das Ideal einer Gesellschaft an (Bruns/ Glösel/, Strobl, 2015, S.2). Charakteristisch für die Neue Rechte ist zudem ein häufig starker Bezug zur Rassenlehrer, was die selbstgewollte klare Abgrenzung zum Neonazismus oftmals unmöglich macht (François, 2017, S.228f).
2.2 Entstehung
Ihren Ursprung hat die Identitäre Bewegung in Frankreich. Die Partei Bloc Identitaire bildete sich im April 2003 nach dem im Jahr 2002 die rechtsextreme Gruppe Unité Radical von der französischen Regierung verboten wurde. Grund hierfür war der Versuch eines Mordanschlages auf den damaligen Präsidenten Jacques Chirac durch ein Mitglied der Gruppierung (Weißberger, 2014, S.118). Bei einer Militärparade zum französischen Nationalfeiertag hatte der Neonazi Maxime Brunerie mit einem Gewehr zweimal auf Chirac geschossen, bevor er überwältigt werden konnte (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2019).
Fabrice Robert gründete daraufhin die Bloc Identitaire um der Gruppe eine legal Organisation zu ermöglichen (Weißberger, 2014, S.118)
Zunächst verfügte der Bloc Identitaire über eine Jugendgruppe unter dem Namen Jeunesses Identitaires welche dann ab September 2012 in die Génération Identitaire umgewandelt wurde. Beide Jugendorganisationen wurden offiziell, obwohl sehr eng mit der Bloc Identitaire verflochten, als alleinstehende Gruppierungen bezeichnet. Somit haben Aktionen der Génération Identitaire mit strafrechtlichen Konsequenzen keinen Einfluss auf die Bloc Identitaire. Beispiele für solche Aktionen sind die Besetzung des Moscheedaches in Poitiers im Oktober 2012 oder das Eindringen in das Pariser Gebäude der Parti Socialiste im Mai 2013 (Camus, 2017, 239f).
2.3 Zusammensetzung und Zielgruppe
Die Identitäre Bewegung ist eine Bewegung bestehend aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen. So sind mehr als 50 Prozent der der Aktivist*innen jünger als 30 Jahre. Unter den aktiven Mitgliedern befinden sich auch diverse Personen die auf Grund rechtsextremer Aktivitäten und Aktionen bereits polizeibekannt sind (Forestier, 2014, S.119). Teile der Mitglieder weisen Kontakte in die rechtsextreme Szene auf. Zudem waren jetzige Führungspersönlichkeiten der Bewegung zuvor Teil von anderen rechtsextremistischen Organisationen und Gruppen (Bundesamt für Verfassungsschutz, 2017, S.81).
Auf Grund des starken Bezugs auf Literatur und Philosophie sowie der eigenen begrifflichen Abgrenzung vom historischen Nationalsozialismus sowie dessen Rassenlehre bietet die Identitäre Bewegung eine Plattform und Identifikationsmöglichkeit für junge politisch rechtsorientierte Akademiker*innen mit grundsätzlich national-sozialistischer Einstellung, abseits des nicht mehr gesellschaftsfähigen Hitlerismus (Brumlik, 2017, S,9).
Eine genau Mitgliederzahl der Identitären Bewegung für den gesamten europäischen Raum zu nennen ist praktisch unmöglich. Neben der Bewegung an sich, gibt es, wie bereits im vorangegangenen Punkt beschrieben, in Frankreich enge Verflechtungen mit der Partei Bloc Identitaire. Zudem gibt es diverse Untergruppen und lokale Initiativen sowie Satellitenorganisationen wie beispielsweise Presseagenturen und Verlage. Die Bewegung gibt im Jahr 2014 selber an circa 3000 Mitglieder zu haben, von denen 2000 konkret politische Aktivist*innen sind (Weißgerber, 2014, S.118f). Besonders außerhalb Frankreichs wird eine genau Anzahl noch weniger greifbar, da es wesentlich weniger konkrete Strukturen gibt. So weist beispielsweise die deutsche Identitäre Bewegung keine solche Verbindung zu einer Partei wie der Bloc Identitaire in Frankreich auf. Vielmehr handelt es sich um ein loses Netzwerk lokaler Gruppen, die über das Internet miteinander in Kontakt stehen. Eine formelle Mitgliedschaft existiert nicht (Weißgerber, 2014, S.144). Der deutsche Verfassungsschutz schätzt jedoch für das Jahr 2017 circa 500 Mitglieder des deutschen Ablegers (Bundesamt für Verfassungsschutz, 2017, S.78).
Während die Leit- und Führungspersonen der unterschiedlichen Gruppen der Bewegung in den aller meisten Fällen männlich sind, bemüht sich die Identitäre Bewegung jedoch auch vermehrt um eine weibliche Anhängerschaft. Sie propagiert die Frau als eigenständige und kämpferische Säule europäischer Kultur und Gesellschaft. Dies dient neben der Akquirierung weiblicher Unterstützung zudem als Argument um den Islam als mit der europäischen Gesellschaft unvereinbar darzustellen (Weißgerber, 2014, S.137ff).
2.4 Symbolik, Ideologie und Selbstbild
Die Identitäre Bewegung bezeichnet sich selbst als Instanz des Widerstandes „[...] angesichts derjenigen, die unser Leben und unsere Gedanken überwachen wollen, angesichts der Standardisierung der Völker und Kulturen, angesichts der Flutwelle der Masseneinwanderung, angesichts einer Schule, die die Geschichte unseres Volkes vor uns verbirgt, um uns von der Liebe zu ihm abzuhalten, angesichts eines so genannten Zusammenlebens, das in einen Alptraum umschlägt.“ (Camus, 2017, S.240)
Das Logo der Identitären Bewegung ist das in in gelb und schwarz gehaltenen Lambda-Symbol in Anlehnung an die Spartaner, insbesondere den Film 300 von Zack Snyders. Dieser Film ist von besonderer symbolischer Bedeutung für das identitäre Selbstbild. Der Kampf der Spartiaten gegen die einfallenden Perser ist nach identitärer Auffassung der Kampf der Europäer*innen, die für Demokratie und Hochkultur stehen, gegen eine Invasion von Wilden und Barbaren aus einer heute muslimisch geprägten Region. Zudem dient diese Rhetorik dazu eine kämpferische und oftmals martialische Haltung zu legitimieren, da die Anwendung von Gewalt in der heutigen Gesellschaft geächtet ist, außer sie dient der Verteidigung. Die muslimische Migration wird als Invasion dargestellt, der man in verteidigender Form entgegentritt (Weißgerber, 2014, S.120f).
Die Identitäre Bewegung geht davon aus, dass die europäische Zivilisation in ihren kulturellen Werten sowie ihrer gesellschaftlichen Organisation „einer direkten, ununterbrochenen Abstammungslinie von Indogermanen“ (Camus, 2017, S.234) entsprungen ist und auf ihr basiert. Diesem Verständnis zu Folge fungiert der Nationalstaat als Vermittlungsinstanz zwischen einer Verwurzelung in einer heimatlichen Region und einer gemeinsamen Zivilisation in der Form Europas (Camus, 2017, S.234f).
Im Sinne eines ethnopluralistischen Weltbildes argumentiert die Identitäre Bewegung, dass sich ein Volk sowie dessen Kultur ausschließlich auf dem eigenen geographischen Ursprungsgebiet optimal entwickeln und entfalten kann. Infolgedessen ist ein multikulturelles Zusammenleben auf demselben Gebiet ein Garant für den Anstieg von Kriminalität. Grund hierfür ist der aus Vermischung resultierende Verlust der eigenen gesellschaftlichen Orientierung. Durch einen „großen Austausch“ wird die ethno-religiöse Einstellung europäischer Völker durch nichteuropäische Einwanderung in ihren Grundzügen verändert. Dies kann letztendlich auch einen Krieg zwischen Ureuropäer*innen und Migrierten nach sich ziehen (Camus, 2017, S.235f).
Die Bewegung vertritt einen defensiven Ethnonationalismus. Dies bedeutet, dass die Wahrung der kulturellen Einzigartigkeit einzelner Volksgruppen die oberste Priorität ist. In der Literatur und in Aussagen von Vertreter*innen der Identitären Bewegung wird hierbei besonders betont, dass sich in dieser Sichtweise auf Kulturen und Volksgruppen die Unterscheidung vom Nationalsozialismus zeigt. So kommuniziert die Bewegung, dass nicht das eigene kulturelle Volk mehr wert ist, als ein anderes, sondern, dass es ausschließlich um den Erhalt der oben genannten Individualität der jeweiligen Völker geht (Brumlik, 2017, S.6f). Somit wird beispielsweise kein Bezug auf den Rassenbegriffes genommen, sondern auf vermeintlich gleichwertige Völker mit jeweils homogenem kulturellem Hintergrund (Brumlik, 2017, S.9).
Daher ist, laut der Identitären Bewegung, die notwendige Reaktion auf den aktuellen Multikulturalismus die Remigration, also die organisierte und zwangsweise Rückführung der Migrierten in deren Ursprungsländer (Camus, 2017, S.236f). Diese Remigration unterteilt sich in zwei Phasen. Zunächst sollen alle illegalen sowie straffällig gewordenen Migrant*innen des jeweiligen Landes verwiesen werden. Während dies die sofortige Reaktion des Staates auf Migration sein soll, so beinhaltet die langfristige Planung der Bewegung, dass alle im Land lebenden Migrant*innen des Landes verwiesen werden und ihre Ursprungsländer zurückkehren müssen. Dies soll in den kommenden Jahrzehnten mit Hilfe von Abkommen mit den jeweiligen Ursprungsländern geschehen. Dem zu Folge soll für Migrant*innen ausschließlich ein Gastarbeits-Status möglich sein (Weißgerber, 2014, S.128).
2.5 Aktionsmethoden
Auffällig an der Identitären Bewegung ist zum einen die besondere territoriale Organisation an den einzelnen lokalen Standorten. Es werden eigenen Räumlichkeiten in den Städten eröffnet um den propagierten Heimatbezug zu bestärken. Diese Räume werden für Versammlungen, Veranstaltungen sowie gesellschaftliche und sportliche Events der Bewegung genutzt. Hierbei gibt es neben sozialen Komponenten wie Nachbarschaftstreffs und Barbetrieb auch Bibliotheken mit Werken aus der Identitären Bewegung, Vorführungen von Filmen mit thematischem Bezug zu den Themen der Bewegung oder Informationsveranstaltungen. Zudem wird oftmals ein Trainingsangebot, insbesondere in Kampfsportarten wie Kick- und Thaiboxen, ermöglicht (Camus, 2017, S.244). Durch den Einbezug diverser Komponenten des sozialen Zusammenlebens wie Kultur, Umwelt, Tradition und Sport kommt es zu einer Politisierung des gesamten öffentlichen Raumes, was ein Ansprechen möglichst vieler Menschen ermöglicht und zugleich hilft ein Image als völlig alltägliche und ungefährliche Gruppierung weit ab vom Extremismus zu etablieren (Weißgerber, 2014, S.137).
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