Die Geschlechterrolle im Märchen "Brüderchen und Schwesterchen" der Gebrüder Grimm. Vergleich zwischen der Ausgabe erster und letzter Hand


Hausarbeit, 2019

15 Seiten, Note: 2,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Märchen
2.1 Definition und Ursprung
2.2 Volksmärchen

3. Genderperspektiven

4. Frauenbilder und Geschlechterrollen
4.1 Das Schwesterchen als Kind und junges Mädchen
4.2 Das Schwesterchen als junge Frau und Mutter
4.3 Stiefmutter
4.4 weitere Figuren
4.4.1 Stiefschwester
4.4.2 Kinderfrau

5. Beziehungen zwischen den Figuren

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die meisten Menschen kennen Literatur hauptsächlich in Form von Märchen. Kindheitserinnerungen vom abendlichen Vorlesen sind ein Grund, warum Märchen einen besonderen Stellenwert für uns haben. Sie wurden anfangs von Generation zu Generation mündlich weitergetragen. Die bekannten Anfangs- und Schlussätze „Es war einmal“ oder „und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute“ der Gebrüder Jacob und Wilhelm Grimm gehören zu ihren Kinder- und Hausmärchen (KHM). Im Laufe der Zeit wurde der Inhalt der Märchen verändert. Deshalb wurden Märchen in den letzten Jahrhunderten verschriftlicht. Doch auch hier kann man Unterschiede feststellen, wenn man die Ausgabe erster Hand mit der Ausgabe letzter Hand vergleicht. Die Erzählungen über die Heldinnen und Helden sind aus der heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken, denn Märchen gelten als zeitlose, aktuelle Klassiker der Literatur.

Das KHM der Gebrüder Grimm „Brüderchen und Schwesterchen“ soll den Gegenstand dieser Analyse darstellen. Dabei wird das Bild der Frauen, deren Beziehung untereinander und die Entwicklung der Hauptfigur verglichen und interpretiert. In Märchen ist das Bild der Frau vielseitig und ändert sich innerhalb des Märchens stark.

Bei der Analyse werden drei Leitfragen beantwortet. Welche Eigenschaften werden in dem Märchen „Brüderchen und Schwesterchen“ mit den heutigen Frauenbildern in Verbindung gebracht? Wie verändert sich das Frauenbild, ausgehend von der Gestalt des Schwesterchens, von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter? Welche Bedeutung haben die Beziehungen zwischen den im Märchen agierenden Frauen und welches Frauenbild wird dargestellt?

Schlussendlich werden die gezogenen Erkenntnisse der Analyse zusammengefasst und der Einfluss auf den Leser erörtert. Ein Fazit der Analyse stellt mögliche Verbesserungsvorschläge dar.

2. Märchen

2.1 Definition und Ursprung

Märchen sind auch im heutigen digitalen Zeitalter sehr beliebt, egal ob jung oder alt. Märchen sind kurze, fiktionale Prosaerzählungen, die auf einen als volkstümlich angesehenen Motivkatalog zurückgreifen (vgl. Lüthi/ Rölleke, Märchen, S. 472).

Das Wort Märchen stammt aus dem Mittelhochdeutschen maerlîn und ist eine Verkleinerungsform zu Mär und bedeutet Kunde, Bericht, Erzählung, Gerücht. Besonders in der Diminutivform (Verkleinerungsform eines Substantives) wird das Wort Märchen nur auf erfundene, unwahre Geschichten angewendet. In der Literaturwissenschaft bezeichnet man die Gattung Märchen als eine kurze, nicht von den Bedingungen der Wirklichkeit abhängige, fantastische Erzählung. Die ursprüngliche Bezeichnung geht auf eine kurze Erzählung zurück. Es wird v.a. im negativen Sinn für erfundene, unwahre Geschichten verwendet. Der Begriff findet erst ab dem 18. Jahrhundert weite Verbreitung, zunächst v.a. für Feenmärchen (Vgl. Neuhaus, Märchen, S. 3). Zunächst legt man einen starken Fokus auf die Kinder und Hausmärchen (KHM) der Gebrüder Grimm, wenn man vom Begriff ausgeht, war das problematisch, aber erstmal zentral für die Bestimmung. Häufig kommt es zu einer Ausweitung des Begriffs Märchen auf andere fantastische Texte z.B. orientalische oder antike Märchen. Ein Märchen ist eine Erzählung oder eine Geschichte in der Art, wie die Gebrüder Grimm sie in ihren KHM verfasst haben. Emotionen, Gedanken und Personenkonstellationen werden durch die Tätigkeit der Figuren dem Leser mitgeteilt (Vgl. Neuhaus, Märchen, S. 4).

„Ein literarisches Werk ist dann ein Märchen, wenn es mit dem übereinstimmt, was in Grimms KHM zu finden ist“ (André Jolles).

2.2 Volksmärchen

Seit Ende des 18. Jahrhunderts werden Märchen als synonym für Volksmärchen verwendet. Ursprünglich ist man der Annahme, dass die Weitergabe der Volksmärchen lange Zeit nur mündlich stattfand und sie dadurch geformt wurden. Die Bedeutung der mündlichen Wiedergabe muss relativiert werden, denn heutzutage sieht man dies nur noch als Mythos an (Vgl. Neuhaus, Märchen, S. 5).

„Heute wissen wir, dass die von den Brüdern Grimm betonte Volksüberlieferung eine Fiktion ist“ (Hans-Jörg Uther).

Augenblicklich wird angenommen, dass alle Märchen einen Autor haben. Dies war anfänglich nicht der Fall, denn Volksmärchen beruhen auf einer mündlichen Überlieferung. Sie sind teilweise als Plagiat oder als Bearbeitung aus bekannten Stoffen entstanden. Kurze Erzählungen bieten Trost im Alltag und dienen mit den Figuren der Möglichkeit zur Identifikation (Vgl. Neuhaus, Märchen, S. 5f.).

Dabei ist das Gute relativ und in Beziehung mit sozialer Flexibilität zu betrachten. Oftmals wirken übernatürliche Kräfte und Figuren in Märchen mit, welche Einfluss auf das Handeln der Personen nehmen und am Ende bestraft werden. Das Gute hingegen bekommt eine Belohnung.

Thematisiert werden zum größten Teil menschliche Probleme, beispielsweise Geschlechter- und Rollenverhalten, Wünsche, Riten oder sexuelle Reifungen. Gekennzeichnet sind sie durch textinterne Merkmale wie z.B. Ort- und Zeitlosigkeit, einfache Sprache, einfaches Weltbild, einsträngige/ stereotype/ einfache Handlung oft in mehrfacher Variation, eindimensionale Charaktere, formelhafter Anfang/ Schluss, Figuren sind gut oder böse, stereotype Schauplätze und Happy End. Außerdem sprechen sie durch ihre einfache Struktur ein breites Publikum an und haben einen gewissen Wiedererkennungswert (Vgl. Neuhaus, Märchen, S. 12).

Märchen gehören zusammen mit Mythen und Legenden zu der Volksdichtung und haben eine leichte und spielerische Stimmung.

3. Genderperspektiven

Ein Menschenbild wird heutzutage durch Medien, Dokumente oder auch Literatur erzeugt und es werden somit Stereotypen gebildet. Nicht nur in der Medizin wird dieses Thema umfangreich untersucht und beforscht, auch in der Politik wird heiß darüber diskutiert.

Die Genderperspektiven (oder auch gender studies) sind ein Hauptkern dieser Arbeit. Der Begriff setzt sich dabei aus zwei Wörtern zusammen.

Einerseits aus gender, was Geschlecht bedeutet und andererseits aus study, was Studien oder Untersuchungen meint. Sie bilden eine Asymmetrie zwischen den Geschlechtern/Konstitution, Funktion und spezifische Ausformung der Geschlechterdifferenz in der jeweiligen Gesellschaft/das gender im Zusammenhang mit Klasse und Rasse (Vgl. Nünning, Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, S. 259f.).

Die Grundannahme dieser Theorie besteht darin, dass Funktionen, Rollen, Eigenschaften, Männlichkeit und Weiblichkeit bewirken. Sie ergeben sich nicht kausal durch biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau, sondern sind gesellschaftliche Konstrukte und damit veränderbar. Gender studies finden in der Literaturwissenschaft häufig Verwendung. Sie analysieren kulturelle Entwürfe von Weiblichkeit oder Männlichkeit, die in der Literatur konstituiert, stabilisiert und revidiert werden. Genderperspektiven implizieren, dass der literarische Text in seinen intertextuellen Bezügen z.B. zu religiösen oder politischen Diskursen gelesen wird (Vgl. Nünning, Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, S. 260f.).

Der Begriff Frauenbild wird bei jedem Menschen anders geprägt. Dabei handelt es sich um ein Bild, einen Eindruck oder eine Meinung, die jemand von Frauen hat. In der Literatur werden Frauenbilder überliefert (Vgl. Alfermann, Geschlechterrollen und geschlechtstypisches Verhalten, S. 15).

Somit erstellt das Märchen „Brüderchen und Schwester“ Frauenbilder, die analysiert und interpretiert werden können. Weiterhin wird der Begriff Geschlechterrollen angewendet.

Dieser Begriff bezieht sich auf die sozialen Erwartungen, die für Geschlechter und ihre typischen Verhaltensweisen geteilt werden. Geschlechterrollen beschreiben aus soziologischer Rollentheorie heraus das soziale Handeln des oder der Einzelnen im Rahmen eines gesellschaftlichen Erwartungsmusters. Rollen gehen fest ins Handeln der Individuen über, die sie als natürlich erachten, d.h. als Geschlechtsidentität (Vgl. Nünning, Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, S. 269f.).

Männer und Frauen haben Eigenschaften verinnerlicht, mit denen man sie verbindet. Oftmals wird in Wörterbüchern beschrieben, wie Individuen ihre Geschlechteridentität ausleben können. Hier soll jedoch der Blick auf die Geschlechterrolle der Frau im Märchen gelegt werden. Frauen werden meist emotional, verständnisvoll, einfühlsam, warmherzig und auf das Gemeinwohl bedacht dargestellt. Weiterhin sind sie für Haushalt und Kinder zuständig. Im Vergleich dazu haben Männer ebenso klassische Eigenschaften, wie zum Beispiel zielstrebig und aktiv, kaum emotional und selbstbehauptend zu sein. Weiterhin haben Männer Fähigkeiten und Fertigkeiten, wie zum Beispiel handwerklich und technisch sehr begabt zu sein.

4. Frauenbilder und Geschlechterrollen

Das Verhalten der Frauenfiguren und deren Eigenschaften im Märchen sollen mit Hilfe von Leitfragen beantwortet werden.

(1) Welche Eigenschaften werden in dem Märchen „Brüderchen und Schwesterchen“ mit den heutigen Frauenbildern in Verbindung gebracht?
(2) Wie verändert sich das Frauenbild, ausgehend von der Gestalt des Schwesterchens, von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter?
(3) Welche Bedeutung haben die Beziehungen zwischen den im Märchen agierenden Frauen und welches Frauenbild wird dargestellt?

4.1 Das Schwesterchen als Kind und junges Mädchen

Obwohl das Alter des Schwesterchens keine Erwähnung findet, kann es im Laufe des Märchens in zwei Teile gegliedert werden. Im ersten Abschnitt der kurzen Erzählung wird die Kindheit des Schwesterchens beleuchtet. Hier ist sie emotional, sanft und vernünftig. Dies spiegelt sich in sehr höflicher und freundlicher Aussprache, wenn sie mit ihrem Bruder spricht, wider. Beispiele dazu sind: „Ich bitte dich, Brüderchen, trink nicht.“ (KHM, Z. 19) oder „Sei still, liebes Rehchen, ich will dich ja nimmermehr verlassen.“ (KHM, Z. 33f.) Des Weiteren ist das Schwesterchen sehr empfindlich, beispielsweise hat sie Angst vor Jägern (vgl. KHM, Z. 51). Nachdem ihr Brüderchen aus dem verzauberten dritten Brünnlein getrunken hat und sich in ein Reh verwandelt hat, weinte das Schwesterchen aber spendete dem Bruder ebenfalls Trost. In der Ausgabe erster Hand ist hier nur die Rede von einem Brünnlein (vgl. Z. 12). Diese Eigenschaft der Schwester zeichnet sie als stark und verantwortungsbewusst aus. Weiterhin kümmert sie sich fürsorglich um ihren Bruder. Dies zeigt die innige und warmherzige Beziehung und das Vertrauen der Geschwister zueinander, da sie sich nie verlassen und alles zusammen meistern.

Das Schwesterchen ist sehr naturverbunden. Sie nimmt Warnung wahr, beispielsweise anhand des Rauschens des Brunnens oder kann ein Seil aus Binsen flechten (vgl. KHM, Z. 17f. und Z. 35). Hier zeigt sich erneut ein Unterschied zur Ausgabe erster Hand. Das Schwesterchen sammelt Binsen im Wald und flechtet ein weiches Seil (vgl. Z. 28f.). Weiterhin scheint sich das Schwesterchen im Waldhaus wohl zu fühlen, obwohl sie dort jahrelang allein leben. Der Erzähler spricht in der Ausgabe erster Hand, dass sie dem Rehchen eine Höhle sucht und ihm ein weiches Lager macht (vgl. Z. 30f.). Das Schwesterchen kann im Wald überleben, sie kann Nahrung im Wald aufspüren und sich gut orientieren, beispielsweise sammelt sie Wurzeln, Beeren und Nüsse (vgl. KHM, Z. 40). Sie kommt sehr gut im Wald zurecht und lebt mehrere Jahre mit ihrem Bruder dort allein. Dies zeigt, dass sie selbständig und geschickt ist. Das Schwesterchen kennt die heilende Wirkung von Kräutern (vgl. KHM, Z. 71). Im Gegensatz dazu wollen die beiden Geschwister in der Ausgabe erster Hand im Wald vor Hunger sterben (vgl. Z. 8f.).

Das Schwesterchen betet jeden Abend (vgl. KHM, Z. 42), was bedeutet, dass sie religiös ist. Damit erfüllt sie typische Eigenschaften einer Frau. Wie bereits erwähnt ist sie emotional, einfühlsam, warmherzig und zeigt Verständnis.

Zu einer Veränderung der Beziehung zu den beiden Geschwistern kommt es, als der Bruder sich in ein Reh verwandelt. Bis dahin war das Verhältnis der beiden ausgeglichen. Sie konnten einander vertrauen und glauben dem Anderen. Der Bruder ist der eigentliche Taktgeber. Jedoch warnt ihn seine Schwester davor aus dem Brunnen zu trinken und rettet ihn somit bereits zweimal. Trotz aller Mahnung ist der Bruder so durstig, dass er dennoch aus dem Brunnen trinkt. Auch in der Ausgabe erster Hand mahnt das Schwesterchen ihren Bruder. Auch hier ignoriert er ihre Warnungen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Geschlechterrolle im Märchen "Brüderchen und Schwesterchen" der Gebrüder Grimm. Vergleich zwischen der Ausgabe erster und letzter Hand
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Note
2,3
Jahr
2019
Seiten
15
Katalognummer
V997725
ISBN (eBook)
9783346371768
ISBN (Buch)
9783346371775
Sprache
Deutsch
Schlagworte
geschlechterrolle, märchen, brüderchen, schwesterchen, gebrüder, grimm, vergleich, ausgabe, hand
Arbeit zitieren
Anonym, 2019, Die Geschlechterrolle im Märchen "Brüderchen und Schwesterchen" der Gebrüder Grimm. Vergleich zwischen der Ausgabe erster und letzter Hand, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/997725

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Geschlechterrolle im Märchen "Brüderchen und Schwesterchen" der Gebrüder Grimm.  Vergleich zwischen der Ausgabe erster und letzter Hand



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden