Was, wenn Gerechtigkeit einen Preis hat – einen, der mit Blut bezahlt wird? In Friedrich Dürrenmatts tragischer Komödie "Der Besuch der alten Dame" kehrt Claire Zachanassian, eine steinreiche Milliardärin, in ihre heruntergekommene Heimatstadt Güllen zurück, geplagt von einer dunklen Vergangenheit und einem unstillbaren Durst nach Rache. Die Stadt, einst wohlhabend, liegt nun in Trümmern, und die Bürger setzen ihre letzte Hoffnung auf Claires versprochene Spende. Doch das Angebot ist an eine grausame Bedingung geknüpft: Sie bietet eine Milliarde, wenn jemand bereit ist, Alfred Ill, Claires Jugendliebe, der sie einst verriet und ins Unglück stürzte, zu töten. Anfangs empört über das unmoralische Angebot, beginnt Güllen sich langsam zu verändern. Neue Kredite werden aufgenommen, Luxusgüter gekauft – die Bürger leben bereits im Glauben an den baldigen Reichtum. Ill, der Kaufmann, spürt die wachsende Bedrohung und erkennt, dass sein Leben in Gefahr ist. Dürrenmatt entwirft ein erschreckendes Bild einer Gesellschaft, in der Moral und Anstand dem Lockruf des Geldes weichen. Die Frage, die sich aufdrängt, ist: Wie weit sind die Menschen bereit zu gehen, um ihren eigenen Vorteil zu sichern? "Der Besuch der alten Dame" ist eine erschütternde Parabel über Schuld, Sühne, die Verführbarkeit des Menschen und die zerstörerische Kraft des Geldes, ein zeitloses Drama, das bis heute nichts von seiner Brisanz verloren hat. Tauchen Sie ein in eine Welt, in der die Grenzen zwischen Recht und Unrecht verschwimmen und die Gier nach Wohlstand die menschliche Seele korrumpiert. Erleben Sie, wie aus anfänglicher Ablehnung stillschweigende Akzeptanz und schließlich kaltblütige Ausführung wird, während die Stadt Güllen sich ihrem moralischen Untergang entgegen treiben lässt. Eine Geschichte, die Sie noch lange nach der letzten Seite beschäftigen wird und die unbequeme Fragen über die menschliche Natur und die Werte unserer Gesellschaft aufwirft. Entdecken Sie die tiefgründige Analyse von Dürrenmatt über die Mechanismen von Macht, Manipulation und die allgegenwärtige Versuchung durch materiellen Reichtum, verpackt in einer ebenso spannenden wie beklemmenden Erzählung.
Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame
Tragische Komödie in drei Akten (Prosa) Entstanden 1955
Besuch der alten Dame wurde 1965 von Ingrid Bergmann und Anthony Quinn verfilmt
Zeit: Gegenwart
Ort: Die Kleinstadt Güllen
Zeit der Handlung
Die Zeit der Handlung in "Der Besuch der alten Dame" ist nicht bestimmt. Anhand der Handlung des Romans kann man jedoch sagen, daß, abgesehen von einigen Rückblenden, sich die Handlung nicht länger als ein paar Tage bis Wochen erstrecken dürfte und nicht auf eine spezifische Zeit bezogen ist.
Inhaltsangabe "Der Besuch der alten Dame"
In der Kleinstadt Güllen, nahe der deutsch-schweizerischen Grenze, erwartet man den Besuch einer reichen alten Dame, der Multimillionärin Claire Zachanassian, die als Klara Wäscher in Güllen geboren und aufgewachsen ist.
Ihr Vermögen, das sie von ihrem ersten Mann, einem armenischen Ölscheich, geerbt hat, ist unüberschaubar, auch die Zahl der Ehemänner kann sich sehen lassen. Zur Zeit ist sie mit ihrem siebenten Ehemann unterwegs.
Der Bürgermeister und die Notabilitäten des einst wohlhabenden, nun aber völlig verarmten und heruntergekommenen Städtchens versammeln sich vor dem verwahrlosten Bahnhof, um Claire Zachanassian einen großen Empfang in der Heimat zu bereiten. Sie hoffen natürlich darauf, daß sie eine ansehnliche Stiftung machen wird, die die Finanzen des kleinen Städtchens verbessern und den Lebensstandard der Bürger heben könnte.
Währenddessen erzählt der Kaufmann Ill, ein Mann Mitte Sechzig, was die Kläri Wäscher für ein bildhübsches, wildes und leidenschaftliches Mädchen gewesen sei und daß leider das Leben sie nach einer stürmischen Liebe von ihm getrennt habe.
Noch ehe er damit zu Ende ist, erscheint Frau Zachanassian mit ihrem Gatten und ihrem Gefolge, vier kaugummikauenden ehemaligen Gängstern und zwei blinden Eunuchen.
Die Ovationen, die ihr dargebracht werden, unterbricht sie kurz und bündig mit der Ankündigung, sie werde der Stadt die Summe von einer Milliarde stiften, 50% für die Stadt und 50% aufgeteilt auf alle Bürger, aber nur unter der Bedingung, daß sie sich dafür "Gerechtigkeit" kaufen könne.
Sie will, daß jemand sich bereit erklärt, Ill zu töten. Er habe sie nämlich seinerzeit mit einem Kind sitzenlassen und in einem Vaterschaftsprozeß zwei bestochene Zeugen mitgebracht, die beschworen, ebenfalls ein Verhältnis mit Kläri Wäscher gehabt zu haben. (Es sind die beiden Eunuchen, die sie, als sie reich geworden war, aufspüren, entmannen und blenden ließ und dann in ihr Gefolge aufnahm). Ihr Butler aber ist der Oberrichter, der damals den Vorsitz in dem Prozeß gegen Ill führte.
Der Bürgermeister lehnt das Angebot bestimmt ab: "Frau Zachanassian: Noch sind wir in Europa, noch sind wir keine Heiden. Ich lehne im Namen der Stadt Güllen das Angebot ab. Im Namen der Menschlichkeit. Lieber bleiben wir arm denn blutbefleckt."
Nun geht eine seltsame Veränderung in Güllen vor. Obwohl sich der Bürgermeister natürlich weigerte, die Milliardenstiftung unter diesen Bedingungen anzunehmen, fangen auf einmal alle Einwo hner an, auf großen Fuß zu leben, Anschaffungen zu machen, besser zu essen und zu trinken, kurz alle leben so, als ob sie sicher mit einem beträchtlichen Vermögenszuwachs rechnen könnten. Sie lassen überall anschreiben, und die Kaufleute gewähren ihnen ebenso sorglos Kredit, wie jene ihn in Anspruch nehmen.
Ill wird es unbehaglich. Zwar gewährt auch er seinen Kunden jeden Kredit, aber er fühlt, daß sich etwas gegen ihn zusammenbraut.
Claire Zachanassian aber sitzt ruhig im Hotel "Zum Goldenen Apostel" und beobachtet die Entwicklung der Dinge.
Als ein schwarzer Panther, den sie als Haustier bei sich hat, ausbricht und die männlichen Bewohner von Güllen infolgedessen alle mit Schußwaffen herumlaufen, fühlt Ill sich zum ersten Mal wirklich bedroht.
Er will die aufblühende Stadt verlassen, ist aber innerlich bereits so im Netz seiner Angst verstrickt, daß er es nicht mehr vermag.
Er findet sich eines Tages bereit, sich dem Gericht seiner Mitbürger zu stellen. Er selbst und alle wissen, wie es ausgeht: "Die Stiftung der Claire Zachanassian ist angenommen. Einstimmig. Nicht des Geldes sondern der Gerechtigkeit wegen und aus Gewissensnot. Denn wir können nicht leben, wenn wir ein Verbrechen unter uns dulden, welches wir ausrotten müssen, damit unsere Seelen keinen Schaden erleiden und unsere heiligsten Güter."
Der Bürgermeister aber findet einen genialen Dreh, den moralisch verurteilten Ill nach außen hin zu rehabilitieren: Die Presse wird informiert, daß die Milliardenstiftung von Frau Zachanassian durch Vermittlung des Herrn Ill, ihres Jugendfreundes, zustande gekommen ist. Die Bürger bilden eine Gasse, durch die Ill auf einen "Turner", der ihn am Ende erwartet, zuschreitet. Die Gasse schließt sich. Als sie sich wieder öffnet, liegt Ill am Boden, tot. "Herzschlag", stellt der Stadtarzt fest. Claire Zachanassian läßt ihn in den Sarg legen, den sie in ihrem Reisegepäck mitgebracht hat. Der Bürgermeister erhält den Scheck über eine Milliarde.
Interpretation
Dürrenmatt stellt im Besuch der alten Dame zwei Welten dar, zum einen die der Claire Zachanassian. Sie mußte in Schande ihre Heimatstadt Güllen verlassen, weil Alfred Ill ihr die Vaterschaft leugnete und mit zwei bestochenen Zeugen den Richter täuschte. Sie wird zur Milliardärin und hat nur noch einen Wunsch: Die ihr in Güllen angetane Ungerechtigkeit zu rächen. Für die Verwirklichung dieser Sehnsucht tut sie alles. Menschen sind für sie nur käufliche Ware. Deutlich wird dies an der Titulierung ihrer Umwelt. Ihre Gatten, die sie ständig wechselt, nennt sie Moby, Hoby und Zoby, ihren Kammerdiener, den ehemalige Richter, der von Ill betrogen wurde, nennt sie Boby. Koby und Loby sind die beiden Zeugen, und Toby und Roby nennt sie die beiden kaugummikauenden Sänftenträger Die alte Dame ist unerbittlich, ihr Haß gegen Ill und ihre Sehnsucht nach Gerechtigkeit sind so groß, daß sie darüber hinaus alles andere vergißt. Indem sie die Liegenschaften Güllens aufkauft, gewinnt sie die totale wirtschaftliche Macht über die Bürger des Dorfes.
Die eine Handlungsebene des Stückes wird von Claire Zachanassian repräsentiert und ist voll und ganz auf den Mord an Ill und ihre damit verbundene Rache gerichtet.
Die andere Handlungsebene wird von den Bürgern repräsentiert, die sich den eigenen Wohlstand auf die Fahnen geschrieben haben. Ihnen geht es um Wohlstand um jeden Preis, einzig am Beginn wird der Aspekt der Humanität höher bewertet. (S. 50) DER BÜRGERMEISTER: "Noch sind wir in Europa, noch sind wir keine Heiden. Ich lehne im Namen der Stadt Güllen das Angebot ab. Im Namen der Menschlichkeit. Lieber bleiben wir arm denn blutbefleckt" (s.oben).
Schlußgedanke
Natürlich geht es dem Autor in diesem Stück nicht darum, die banale Wahrheit "Mit Geld l äß t sich alles kaufen" durch eine Bühnenparabel zu erhärten.
Vielmehr wollte er zeigen, daß die Aussicht auf die Milliarde das "sittliche Gewissen" der Güllener so mobilisiert, daß sie in der Tat Gerechtigkeit zu üben glauben, wenn sie ihren Mitbürger Ill töten.
Kein Mensch hätte je danach gefragt, wenn einer aus ihrer Mitte ein armes Mädchen hätte sitzen lassen - der "Frevel an der Milliardärin" aber verlangt Sühne.
Mag das Recht auch eine integrale Größe sein, die "Gerechtigkeit" ist eine relative und wird dem Zuteil, der sie zu kaufen vermag. Dies ist die vernichtende Vorstellung dieser wirklich tragischen Komödie.
Dramen:
Romulus der Große, 1950
Die Ehre des Herrn Mississippi, 1952
Ein Engel kommt nach Babylon, 1954
Der Besuch der alten Dame, 1956
Die Physiker, 1962
Romane:
Der Richter und sein Henker, 1952
Grieche sucht Griechin, 1955
Die Panne, 1956
Das Versprechen, 1958
Hörspiele:
Unternehmen Wega, 1955
Nächtliches Gespräch mit einem verachteten Menschen, 1957
Preise:
Hörspielpreis der Kriegsblinden, 1957
Schiller-Preis der Stadt Mannheim, 1959
Buber-Rosenzweig Medaille, 1977
Österreichischer Staatspreis für Europäische Literatur, 1983
Karl- Zuckermayer Medaille, 1984
Georg-Büchner-Preis, 1986
Häufig gestellte Fragen zu Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame
Worum geht es in "Der Besuch der alten Dame"?
Das Stück handelt von der Milliardärin Claire Zachanassian, die in ihre verarmte Heimatstadt Güllen zurückkehrt, um Rache an Alfred Ill zu nehmen. Ill hatte sie in ihrer Jugend sitzen lassen und mit falschen Zeugenaussagen ihre Vaterschaftsklage abgewiesen. Claire bietet der Stadt eine Milliarde, wenn jemand Ill tötet.
Wo und wann spielt die Handlung?
Die Handlung spielt in der Gegenwart in der fiktiven Kleinstadt Güllen, die sich in der Nähe der deutsch-schweizerischen Grenze befindet. Die genaue Zeit der Handlung ist nicht festgelegt, erstreckt sich aber über wenige Tage oder Wochen.
Wer sind die Hauptfiguren des Stücks?
Die Hauptfiguren sind Claire Zachanassian, eine rachsüchtige Milliardärin, und Alfred Ill, ein Kaufmann, der in seiner Jugend Claire Unrecht getan hat. Weitere wichtige Figuren sind der Bürgermeister und die Bürger von Güllen.
Was ist Claires Bedingung für die Stiftung der Milliarde?
Claire Zachanassian stiftet der Stadt Güllen eine Milliarde, unter der Bedingung, dass jemand Alfred Ill tötet, um "Gerechtigkeit" für das ihr angetane Unrecht zu üben.
Wie reagieren die Bürger von Güllen auf Claires Angebot?
Zunächst lehnt der Bürgermeister das Angebot im Namen der Menschlichkeit ab. Doch nach und nach beginnen die Bürger, auf großem Fuß zu leben und Kredite aufzunehmen, in der Erwartung, dass die Stiftung angenommen wird. Schließlich stimmen sie der Tötung Ills zu.
Was passiert mit Alfred Ill?
Alfred Ill wird von den Bürgern von Güllen getötet. Dies geschieht unter dem Deckmantel eines "Herzschlags", um die Fassade der Legalität zu wahren. Claire Zachanassian lässt Ill anschließend in einem Sarg abtransportieren, den sie mitgebracht hat.
Welche Themen werden in dem Stück behandelt?
Das Stück behandelt Themen wie Rache, Gerechtigkeit, Korruption, Moral, Verführbarkeit durch Geld, und die Fragilität menschlicher Werte angesichts wirtschaftlicher Not.
Was ist die Interpretation des Stücks?
Das Stück interpretiert die Macht des Geldes, die die moralischen Prinzipien einer Gesellschaft korrumpieren kann. Es zeigt, wie die Aussicht auf Wohlstand die Bürger von Güllen dazu bringt, ein Verbrechen zu begehen und dies als "Gerechtigkeit" zu rechtfertigen.
Welche anderen Werke hat Friedrich Dürrenmatt geschrieben?
Friedrich Dürrenmatt hat neben "Der Besuch der alten Dame" auch Dramen wie "Romulus der Große", "Die Physiker" und "Ein Engel kommt nach Babylon", sowie Romane wie "Der Richter und sein Henker", "Die Panne" und "Das Versprechen" verfasst.
Welche Preise hat Friedrich Dürrenmatt erhalten?
Dürrenmatt erhielt unter anderem den Hörspielpreis der Kriegsblinden, den Schiller-Preis der Stadt Mannheim, den Georg-Büchner-Preis und den Ernst-Robert-Curtius-Preis.
- Quote paper
- Sebastian Thauer (Author), 2001, Dürrenmatt, Friedrich - Der Besuch der alten Dame, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99861