Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Minne bzw. höfische Liebe und Ehe in der höfischen Literatur
2.1 Definitionen und Arten der Minne bzw. höfischen Liebe
2.2 Ehe und Liebe in der höfischen Epik
3. Iweins und Laudines Motivation zur Ehe - Liebe oder politischer Hintergrund?
3.1 Iweins Motivation zur Ehe - Liebe und Sühneleistung
3.2 Laudines Motivation zur Ehe - politische Absicht
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„ich wil iuch gerne: / weit ir mich?“ (V. 2333)
So lautet der Heiratsantrag der Witwe Laudine an den Mörder ihres verstorbenen Ehemannes Iwein. Was sind die Gründe und Motive seitens Laudine und Iwein für ihre ungewöhnliche Eheverbindung in dem Artusroman Iwein von Hartmann von Aue?
Genau dieser Fragestellung wird in der vorliegenden Hausarbeit nachgegangen, nachdem der in dem Roman für die Interpretation und Verständnis wichtige Begriff Minne dargestellt wird. Das Ziel dieser Hausarbeit ist, herauszufinden, ob die Ehe für Laudine und Iwein aus Minne oder aus anderweitigen, beispielsweise aus politischen Hintergründen, eingegangen wird. Dafür werden hierfür relevante Textpassagen zwischen den Versen 1305 und 2420 der Primärliteratur Iwein untersucht und - auf Basis einiger Quellen aus der Forschungsliteratur - in Bezug auf die Fragestellung interpretiert.
Die Frage nach den Ehemotiven der Figuren Laudine und Iwein ist für den vorliegenden Artusroman sowie für die Mediävistik im Ganzen von besonderem Interesse, weil sie innerhalb der mediävistischen Literaturwissenschaft ein viel diskutiertes und kontroverses Thema darstellt. Die Beantwortung der Fragestellung dieser Arbeit ist daher von besonderer Relevanz, da sie die Grundlage für die Erklärung weiterer, im Roman auftretender Geschehnisse und Verhaltensweisen der beiden Figuren ist.
Im ersten Teil der Arbeit wird zunächst in Kapitel 2 der Begriff Minne definiert und dessen Bedeutung sowie die Ehe in der höfischen Literatur dargestellt. Dann folgt im zweiten Teil - in Kapitel 3 - die Analyse der Motive der beiden literarischen Figuren. Abschließend werden die vorhandenen Motivationen und Gründe in einem Fazit zusammengefasst.
2. Minne bzw. höfische Liebe und Ehe in der höfischen Literatur
In diesem Kapitel wird der Begriff Minne definiert und mit der Ehe zusammen ihre Bedeutung im Kontext der höfischen Literatur dargelegt.
2.1 Definitionen und Arten der Minne bzw. höfischen Liebe
Die Bedeutung des Begriffes Minne ist als ein retrospektiv-poetisches Wort unklar und mehrdeutig.1 Er stammt aus dem althochdeutschen minna und bezeichnete ursprünglich „Gedenken”.2 Anschließend wandelte sich die Bedeutung von Minne und „deckt[e] sprachlich drei aus Wertschätzung und Gefallen hervorgerufene Liebesarten, die ichbezogene begehrende, die dubezogene schenkende und die wirbezogene gebende, aber zugleich auch nehmende Liebe.“3 Im mittelalterlichen deutschen Sprachgebiet wurde Minne allerdings allbekannt im Sinne von Liebe gebraucht.4
Das Wesen der Minne war unter den höfischen Dichtern ein zentrales Thema und wurde in der höfischen Literatur je nach gattungsspezifischen Besonderheiten auf sehr unterschiedliche Weise definiert. Darüber, dass die Liebe aber bei der Definition des höfischen Wesens und der höfischen Vollkommenheit von höchster Bedeutung war, herrschte Einigkeit. Ab dem 19. Jahrhundert setzte sich der Begriff höfische Liebe anstelle Minne durch. Innerhalb der einzelnen Gattungen und der Werke der Dichter sowie der Minnesänger wurde die höfische Liebe unterschiedlich akzentuiert und ganz vielfältig ausgestaltet. So war die höfische Liebe entweder die erfüllte oder die unerfüllte Liebe, entweder die Liebe zu einer Dame höheren oder niedrigeren Standes, entweder die Liebe zu einer verheirateten oder unverheirateten Frau oder aber auch zur eigenen Ehefrau.5 Dennoch haben alle Erscheinungsformen der höfischen Liebe eine Gemeinsamkeit: der höfische Charakter6 im Sinne von „Einbettung in den höfischen Gesellschaftsentwurf.“7 In Minneliedern wird der Dienstgedanke innerhalb der Minnebeziehung als auffälligstes Merkmal thematisiert. Im Zuge dieses Dienstgedankens fand keine partnerschaftliche Begegnung zwischen Mann und Frau statt, sondern eine hierarchisch begründete Leistung - der Dienst seitens des Mannes als Diener gegenüber der Frau als Herrin -,8 „um der Minne würdig zu werden“.9 In der epischen Dichtung hingegen, wo die Frau nicht selten sozial höher gestellt war als der Mann, war der Dienstgedanke nicht an die Rangverhältnisse geknüpft.10
Die Dichter unterschieden bei der Definition der höfischen Liebe zwischen guter und schlechter Liebe11 „als wahre und falsche Liebe [...], als vernünftige und blinde Liebe, als hohe und niedere Liebe“.12 Die höfische Liebe war eine vernünftige Liebe13, gekennzeichnet durch die „Rationalisierung der Liebe, Kontrolle der Affekte, Sublimierung der Triebhaftigkeit“.14 Um die positive und negative Wirkung der Liebe zu beschreiben, griffen die Dichter auch auf Begrifflichkeiten wie niedere Minne und hohe Minne zurück. Diese meinten nicht den Standesrang des Geliebten, sondern die unterschiedliche Werthaftigkeit der Liebe. Dementsprechend bedeutete die hohe Minne die Liebe mit „hohe[m] Wert“, die den Menschen hinaufzieht; gleichermaßen bedeutete niedere Minne die erniedrigende Liebe.15 Hartmann von Aue vertritt die Ansicht, dass die eigentliche hohe Minne die eheliche Liebe zwischen den Ehepartnern ist.16
Die Akzente des Verhältnisses von Liebe und Ehe wurden in der höfischen Epik sehr unterschiedlich gesetzt. Neben Erzählungen über Konflikte zwischen Ehe und Liebe waren auch Erzählungen über die harmonische Verbindung der Liebe und Ehe vorhanden. Dank deutscher Bearbeitungen der Epen von Chrétien de Troyes durch Hartmann von Aue und Wolfram von Eschenbach hat sich in Deutschland ein besonderer Erzähltyp im höfischen Roman etabliert. Dazu gehören Erzählungen über eine rasche Eheschließung des Helden und Erzählungen von Ehen, die nicht aus Liebe motiviert waren, sondern in denen sich die Liebe erst im weiteren Verlauf der Ehe behaupten musste. In diesen Romanen spielte die Liebe für das Eheverständnis eine zentrale Bedeutung;17 in der Artusepik bildet sie das Hauptmotiv.18 In den höfischen Epen geraten die Ehe- und Liebesverhältnisse erst durch bestimmte Fehlverhalten ins Wanken und nicht durch die mangelnde Liebe. Durch die Harmonie von Liebe und Ehe wird versucht, höfische Vorbildlichkeit zu erreichen.19 Hartmanns Standpunkt diesbezüglich ist, dass der Mensch das Selbst nur in der Selbstaufgabe und in der Beziehung finden kann, weshalb das Verhältnis zwischen Mann und Frau ein zentraler Gedanke in seinen Werken ist.20 Die Minne hat eine erzieherische Wirkung; sie ist das Grundthema der höfischen Dichtung und für Hartmann besonders innerhalb der Ehe wichtig. Er sieht in der Ehe das Symbol für die engste menschliche Gemeinschaft, deren Fundament auf Minne, Güte, Verantwortung und Vertrauen basiert. Somit thematisiert Hartmann also nicht den quälenden und reizenden Abstand des Ritters zur Frau, sondern die Ehe, d.h. das Entstehen einer Gemeinschaft, die mit Mühe erworben wird.21
3. Iweins und Laudines Motivation zur Ehe - Liebe oder politischer Hintergrund?
In diesem Kapitel werden die Motive von Laudine und Iwein für das Ehevorhaben analysiert und erläutert.
3.1 Iweins Motivation zur Ehe - Liebe und Sühneleistung
In der Burg des Königs Ascalon, den Iwein beim Quellenbrunnen erschlagen hatte, sieht Iwein Königin Laudine zum ersten Mal, als sie um ihren ermordeten Ehemann klagt und trauert. Sie ist die Frau, „daz er nie wibes lip /also schanen gesach“ (V. 1308f.).22 Er empfindet Laudines äußerliche Erscheinung als außerordentlich attraktiv und anziehend, sodass er folgende Worte von sich gibt: „zewâre got der hât geleit / sine kunst und sine kraft, / sinen vliz und sine meisterschaft, /an disen lobelichen lip: / ez ist ein engel und niht ein wip“ (V. 1686-1690). Aufgrund ihrer wunderbaren Schönheit verliebt sich Iwein in die Königin so sehr, „daz im ir minne / verkërten die sinne“ (V. 1335f). Dies lässt laut Wiegand darauf schließen, dass die körperliche Schönheit Laudines zunächst der Ausgangspunkt der Liebe ist:23 „Ihre Schönheit hatte über den Weg vom Auge über den Leib das Herz mit Minne infiziert.“24
Auch wenn die Liebe zu Laudine anfänglich aufgrund ihrer Schönheit entstanden ist, lassen die Textstellen „diu vrouwe beleip mit ungehabe / alters eine bi dem grabe. / do si her Iwein eine ersach / unde ir meinlich ungemach, / ir starkez ungemüete / unde ir state güete, / ir wipliche triuwe / und ir senliche riuwe, / do minnet er si deste më, / und im wart nâch ir also wë / daz diu Minne nie gewan / grazern gewalt an deheinem man. “ (V.1597-1608)
[...]
1 Vgl. Wiercinski, Dorothea: Minne. Herkunft und Anwendungsgeschichten eines Wortes. Köln 1964, S. 1.
2 Vgl. Kusch, Horst: Minna im Althochdeutschen. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, Bd. 72 (1950), S. 265.
3 Vgl. Kusch: Minna im Althochdeutschen, S. 296f.
4 Vgl. Wiercinski: Minne, S. 7.
5 Vgl. Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München5 1990, S. 503505.
6 Vgl. Bumke: Höfische Kultur, S. 505.
7 Bumke: Höfische Kultur, S. 505.
8 Vgl. Bumke: Höfische Kultur, S. 507.
9 Bumke: Höfische Kultur, S. 507.
10 Vgl. Bumke: Höfische Kultur, S. 509.
11 Vgl. Bumke: Höfische Kultur, S. 518.
12 Bumke: Höfische Kultur: S. 518f.
13 Vgl. Bumke: Höfische Kultur, S. 520.
14 Bumke: Höfische Kultur, S. 520.
15 Vgl. Bumke: Höfische Kultur, S. 521f.
16 Vgl. Bumke: Höfische Kultur, S. 507-509.
17 Vgl. Bumke: Höfische Kultur, S. 548f.
18 Vgl. Carne, Eva-Maria: Die Frauengestalten bei Hartmann von Aue. Ihre Bedeutung im Aufbau und Gehalt der Epen. Marburg 1970, S. 8.
19 Vgl. Bumke: Höfische Kultur, S. 549f.
20 Vgl. Carne: Die Frauengestalten bei Hartman von Aue, S. 9.
21 Vgl. Carne, Die Frauengestalten bei Hartmann von Aue, S. 10.
22 Vgl. von Aue, Hartmann: Iwein. Text - Übersetzung. Hg. v. G. F. Benecke. Berlin/New York 2001, V. 13051309.
23 Vgl. Wiegand, Herbert Ernst: Studien zur Minne und Ehre in Wolframs Parzival und Hartmanns Artusepik. Berlin 1972, S. 195.
24 Wolf, Jürgen: Einführung in das Werk Hartmann von Aue. Darmstadt 2007, S. 82.