Gemeinschaftlichkeit durch Tanzen? Entstehung von Sozialität in Breakdance-Gruppen


Exposé (Elaboration), 2020

16 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Breakdance als Teil der Hip-Hop-Kultur: eine Begriffsbestimmung

3. Hip-Hop als Beispiel einer juvenilen Szene

4. Breakdance als Sonderform des Tanzes

5. Breakdance als Wettkampf

6. Fazit und Ausblick

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Beschäftigung mit dem Begriff Gemeinschaft, gekoppelt mit der zwangsläufigen Bestimmung dessen in Abgrenzung zu dem Begriff Gesellschaft, lässt sich bis in die Ursprungszeit der deutschsprachigen Soziologie zurückverfolgen (vgl. Tönnies 2019). Gleichzeitig lässt sich an diesem Begriffspaar das Prinzip der doppelten Hermeneutik (vgl. Giddens 1986: 284ff.) verdeutlichen: Der Diskurs über die Bedeutung eines Begriffes in den Sozialwissenschaften hat keine absolute Deutungshoheit über den Diskurs darüber in der alltäglichen Welt, wenngleich sich diese Verstehensprozesse gegenseitig beeinflussen. Welches Verständnis ein bestimmtes angenommenes soziales Milieu von „Kultur“ hat, kann beispielsweise Gegenstand einer etwaigen sozialwissenschaftlichen Untersuchung sein und in Form der publizierten Ergebnisse wiederum in den wissenschaftlichen Diskurs einfließen. Und in diesem Diskurs selbst gibt es wiederum oft mehrere miteinander konkurrierende Meinungen und Ansichten. Alltägliche Aussagen wie „Dieses Fußballteam ist eine eingeschworene Gemeinschaft“ oder „Unsere Gemeinschaft im Schrebergartenverein steht über allem!“ stellen beispielhaft einen Pol im Spannungsfeld dieser Aushandlungsprozesse in Bezug auf Gemeinschaft dar. Selbst ohne vertiefende Kenntnisse vorweisen zu müssen, scheint offensichtlich zu sein, dass in diesen beiden Fällen Menschen auf mehr oder weniger engem bzw. festgelegtem Raum etwas zusammen tun, was mit einem daraus resultierenden Gemeinschaftsgefühl einhergeht und es daher sinnig erscheint, warum Menschen diesen Prozessen den Begriff Gemeinschaft zuschreiben. Eine in dieser Hinsicht interessante Tätigkeit stellt allgemein das Tanzen dar, bei der eben wiederum nicht direkt offensichtlich ist, inwieweit man bei tanzenden Gruppen davon reden kann, dass diese eine Gemeinschaft nach festgelegten Kriterien bilden. In dieser Ausarbeitung soll daher der Frage nachgegangen werden, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit bei einer Tätigkeit wie Tanzen eine über das bloße Gemeinschaftsgefühl hinausgehende Sozialität entsteht, wofür Breakdancing bzw. Tanz im Hip-Hop wiederum als prädestiniertes Untersuchungsobjekt dient. Zuvorderst ist diesbezüglich jedoch eine Präzision und Klärung der relevanten aber teils diffusen Begriffe vonnöten, die im Falle der Hip-Hop-Kultur eng mit dem jeweiligen Entstehungskontext verknüpft sind. Letztendlich wird mit einem kurzen Fazit inklusive Ausblick abgeschlossen.

2. Breakdance als Teil der Hip-Hop-Kultur: eine Begriffsbestimmung

Im alltäglichen Sprachgebrauch werden die Begriffe Hip-Hop und Rap in Bezug auf den Musikstil oft synonym verwendet, was hinsichtlich der Verbreitung und des kommerziellen Erfolges dieses Genres nicht verwunderlich erscheint1. Präzise gesprochen ist Rap lediglich ein Teil der gesamten Hip-Hop-Kultur, die traditionsgemäß in meist vier Elemente aufgeteilt wird: „Rap, Graffiti, DJ-Techniken und Breakdance“ (Klein/Friedrich 2003: 30). Hip-Hop stellt somit eine „Synthese aus Sprache, Bild, Musik und Tanz“ (ebd.) dar. Allerdings herrscht kein Konsens darüber, in wie viele Elemente die diverse und komplexe Kultur sinngemäß aufgeteilt werden solle. Ein beliebter Kandidat für ein fünftes Element beispielsweise ist knowledge, also Wissen über das generelle Wesen und die Geschichte der Kultur (vgl. Gosa 2015), wie es entsprechend in dieser Ausarbeitung zur Geltung kommt.

Die angenommene Entstehung des Breakdance ist indes eng mit dem zelebrierten Entstehungs-Mythos der gesamten Hip-Hop-Kultur verbunden. Der aus Jamaika stammende 18-jährige DJ Kool Herc veranstaltete am 11. August 1973 zu Ehren seiner Schwester eine Back-to-School-Party, auf der sich laut Geschichtsschreibung primär zwei revolutionäre Dinge ereigneten (vgl. Williams 2015: 28). Zum einen bediente Kool Herc zwei Plattenspieler parallel, auf denen sich die gleiche Platte eines Vertreters des Musikgenres Funk drehte. Diese Lieder waren typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass sie einen breakbeat beinhalteten, also Takte, in denen der Schlagzeuger ein oft energiegeladenes Solo spielte, das sich gut zum Tanzen eignete (vgl. Johnson 2015: 92). Durch seinen technischen Aufbau konnte Kool Herc nun dafür sorgen, dass er den breakbeat de facto so oft wie er wollte loopen, also in Schleife abspielen und daher den perfekten Nährboden für ausdauernde Tanzeinlagen liefern konnte. In diesem Zusammenhang ergab sich ebenfalls der Name des sich in den folgenden Monaten und Jahren auf weiteren szenetypischen Block und House Parties immer weiter entwickelnden Tanzstils (vgl. ebd.), der als „subkulturelle Alternative zu der gleichzeitig tosenden kommerziellen Disco-Welle“ (Klein/Friedrich 2003: 16) zu begreifen ist: Menschen, die zum breakbeat tanzen, praktizieren Breakdance und sind somit breaker. Zum anderen griff an diesem Abend Kool Hercs Freund Coke La Rock zum Mikrofon, um durch sprechgesangliche Einlagen die tanzende Menge weiter zu befeuern: Rap in seiner heutigen bekannten Form wurde somit geboren (vgl. Price-Styles 2015: 59ff.).

Zwar lässt sich in der Tat das Viertel der Bronx in New York generell als ursprünglichen Entstehungsort des Hip-Hop ausmachen, es muss hier allerdings der relativierende Einwand geliefert werden, dass die jeweilige Ausprägung bereits davon abhing, in welchem Teil der Bronx man für Hip-Hop sozialisiert wurde: „If you were from that area, then that’s where you learned hip-hop. […] If you from Bronx River, you got your hip-hop from [Afrika] Bambataa. If you was from the Westside, you got it from Kool Herc. If you was from the South Bronx, you got it from [Grandmaster] Flash“2.

Insofern lässt sich die Entstehung des Hip-Hop weder akkurat auf den 11. August 1973 noch auf den Ort Sedgwick Avenue oder auf die Personen DJ Kool Herc und Coke La Rock begrenzen, wenngleich dieses Datum inklusive der relevanten Geschehnisse eine naheliegende und einprägsame Art der Reduktion von Komplexität darstellt, welche die Bildung der geteilten Identität der „Kultur“ zugriffsfähiger macht. Ebenfalls differenzierter betrachtet werden muss die Herausbildung des Breakdance. Zunächst lässt sich festhalten, dass dieser aus drei verschiedenen Stilen zusammengesetzt ist: breaking, popping und locking (Klein/Friedrich 2003: 33). Sowohl breaking als auch die letzteren beiden entstanden in ihrer Kombination poplocking, oder auch electric boogaloo genannt, bereits im San Francisco der 1960er Jahre (Johnson 2015: 87) und Michael Jackson sorgte dafür, dass mit dem Moonwalk eine Tanzfigur des poplocking Weltruhm erlangte (vgl. Klein/Friedrich 2003: 33). Insgesamt betrachtet ähnelt Breakdance am ehesten Kung Fu und Karate und bricht somit „radikal mit der Tradition des europäischen Tanzes“ (ebd.: 32), indem bisherige Regeln der Verwendung der Körperachsen bewusst gebrochen und auf die Spitze getrieben werden. Die Tanzfigur des Headspin verdeutlicht dies, bei welcher sich der Kopf der tanzenden Person auf dem Boden und die Füße in der Luft drehen, was somit eine komplette Umgestaltung eines herkömmlichen Tanzes wie z.B. Walzer darstellt, bei der das Gegenteil der Fall ist. Anders ausgedrückt: „diese Figur ist auch eine Metapher für die Umdrehung des Körperkonzeptes der Tanzmoderne“ (ebd.: 33). Noch weiter strukturell gefasst bezeichnet Breakdance lediglich einen Teil des gesamten Tanzes im Hip-Hop: „The term [Hip-hop dance] is more appropriately an umbrella that encompasses a range of genres, some that were born out of hip-hop, and a number that were adopted into the culture.“ (Johnson 2015: 83). Für die vorliegende Ausarbeitung sollen die dargelegten Verhältnisse jedoch zunächst als ausreichend und somit zweckdienlich bezeichnet werden.

3. Hip-Hop als Beispiel einer juvenilen Szene

Heutzutage lässt sich die Hip-Hop-Kultur im Allgemeinen auffassen als eine globalisierte und ökonomisierte Szene, die jeweils durch lokale Veranstaltungen und an lokalen Orten und Räumen fortwährend reproduziert wird. Für Breakdance im Besonderen und Hip-Hop im Allgemeinen sind vor allem Jugendzentren von herausragender Wichtigkeit. Diese bieten unter anderem „Trainingsstunden und garantieren […] auch eine Location, wo sich die Tänzer-Szene treffen kann“ (Klein/Friedrich 2003: 32). Daraus folgt, dass diese Örtlichkeiten ein überragendes Potential bieten, um in der posttraditionalen Moderne Jugendlichen die Möglichkeit zur Vergemeinschaftung zu geben, da dort ein loses Netzwerk gleichgesinnter Jugendlicher bzw. juveniler Menschen, das aufgrund freier Auswahl und damit verbundenem geringen äußeren Zwang dort anzutreffen ist (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010: 15f.). Als lokale Ausprägung der Hip-Hop-Szene können diese Orte exemplarisch unter anderem folgende weitere Merkmale einer Szene aufweisen: sie beherbergen „Gesinnungsgemeinschaften“, sind „thematisch fokussierte soziale Netzwerke“, stellen „kommunikative und interaktive Teilzeit-Gesellungsformen“ dar und bieten „vororganisierte Erfahrungsräume“ (ebd.: 16ff.). Darüber hinaus kann die Hip-Hop-Szene insgesamt betrachtet Organisationseliten (vgl. ebd.: 23) aufweisen, die beispielsweise Festivals wie das jährlich in Ostdeutschland stattfindende splash! organisieren, das im Jahr 2018 30 000 Besucher3 anlocken konnte. Es lässt sich dahingehend ferner festhalten, dass Hip-Hop zwar eine globalisierte Szene darstellt, allerdings jeweils unterschiedliche lokale Einheiten in Bezug beispielsweise auf die Nationalität bietet. US-Amerikanischer Hip-Hop ist entsprechend der grundsätzliche Trendsetter, der sich in irgendeiner Form im Hip-Hop in den meisten Nationalstaaten wiederfinden lässt, dennoch produzieren unterschiedliche kulturelle, politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen in der Bronx einen anderen Hip-Hop als in Hamburg oder Berlin (vgl. Klein/Friedrich 2003: 84ff.). Diesbezüglich lässt sich außerdem feststellen, dass Hip-Hop tendenziell eine Schöpfung des Urbanen bzw. der Ballungszentren ist, die weltweit auf den Mythos des Ghettos (vgl. ebd.: 22ff.) rekurriert. Insgesamt wird so deutlich, wie trotz der angedeuteten Vielseitigkeit der globalisierten Szene, der Ursprungsort in den Vereinigten Staaten von Amerika von erheblicher Bedeutung ist und bis heute nachwirkt.

Da die relevanten Begriffe und damit zusammenhängende Verortung im sozialwissenschaftlichen Diskurs somit hinreichend geklärt sind, lässt sich im Folgenden ausarbeiten, inwiefern durch das Tanzen eine Ausprägung von Gemeinschaftlichkeit entstehen kann.

[...]


1 vgl. https://www.rollingstone.com/music/music-news/rap-is-leading-the-music-industrys-resurgence-696511/ (Zugriff: 01.02.2020)

2 Interview mit Grandmaster Caz, https://www.youtube.com/watch?v=UJH765AKDCI&t=60s (Zugriff: 01.02.2020)

3 s. https://www.mz-web.de/graefenhainichen/splash-in-ferropolis-erster-rekord-beim-festival-30929410 (Zugriff: 04.02.20)

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Gemeinschaftlichkeit durch Tanzen? Entstehung von Sozialität in Breakdance-Gruppen
Université
University of Münster
Note
1,0
Auteur
Année
2020
Pages
16
N° de catalogue
V999660
ISBN (ebook)
9783346381866
ISBN (Livre)
9783346381873
Langue
allemand
Mots clés
gemeinschaftlichkeit, tanzen, entstehung, sozialität, breakdance-gruppen
Citation du texte
Martin Fischer (Auteur), 2020, Gemeinschaftlichkeit durch Tanzen? Entstehung von Sozialität in Breakdance-Gruppen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/999660

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