Sind Fake News als Symptom des Postfaktischen ein Beleg konstruktivistischer Theorien?

Eine Analyse am Beispiel der Corona-Leugner


Trabajo Escrito, 2020

12 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Sprachliche Anmerkung

2. Forschungsinteresse

3. Konstruktivismusdebatte
3.1 Wissenschaftliche Wirklichkeitskonstruktion
3.2 Soziale Wirklichkeitskonstruktion

4. Postfaktizität

5. „Fake News“

6. Beispiel: Corona-Leugner

7. Resümee

8. Literaturverzeichnis

1. Sprachliche Anmerkung

Als kurzer Hinweis zur sprachlichen Regelung der Gender-Gleichberechtigung im Rahmen dieser Arbeit sei erwähnt, dass im Folgenden komplett auf das gendern der Begriffe verzichtet wird, es sei denn es handelt sich um direkte Zitate, die dies enthalten. Diese Entscheidung betrifft lediglich die Einfachheit der Umsetzung, denn es besteht volles Bewusstsein über die Notwendigkeit von Gleichberechtigung der Geschlechter innerhalb der Gesellschaft und damit ist keine Art von Diskriminierung beabsichtigt.

2. Forschungsinteresse

„Und das haben sich der Deep-State [Staat im Staate] und [...] Rockefeller und Konsorten, Rothschild, die haben sich das ausgedacht, die und ihre Kreise.“ 1, sagte ein Teilnehmer gegenüber dem Team vom SPIEGEL auf einer Corona-Demo im April diesen Jahres in Berlin. Was veranlasst ihn dazu, einen verstorbenen Milliardär und eine wohlhabende jüdische Familie für den weltweiten Ausbruch einer Pandemie verantwortlich zu machen? Ist solch eine Aussage einfach nur realitätsfern oder Teil einer anderen, subjektiven Form von Realität? In einer Zeit, die geprägt ist von Phänomenen wie Fake News und Postfaktizität erscheint uns der Begriff der Wirklichkeit auf einmal variabel und eine Form von Realismus zu vertreten wird ad absurdum geführt. Doch wie lassen sich solche Entwicklungen erklären? Eine Erklärung kann der Konstruktivismus bieten, eine zunehmend interdisziplinäre Theorie, die sich nicht mit der Wirklichkeit an sich, sondern ferner mit der Art des Erkennens dieser beschäftigt. Die unterschiedlichen Lesarten reichen dabei von individueller bis hin zu kollektiver Konstruktion von Wirklichkeit, fast alle Varianten gehen aber von der grundlegenden Prämisse aus, dass ein Gegenstand erst im Vorgang des Erkennens vom Betrachter selbst konstruiert wird. Die Frage nach einer empirischen Realität hinter den konstruierten Phänomenen wird dabei von einzelnen Strömungen unterschiedlich beantwortet, allgemein wird der Beobachter als abhängig von der subjektiven Erkenntnis angesehen. Die Erschaffung eigener Realitäten tritt somit in den Bereich des Möglichen und ist Gegenstand des Konstruktivismus. Besteht also ein Zusammenhang zwischen der konstruktivistischen Wirklichkeitskonstruktion und auftauchenden Fake News?

Sind Fake News als Symptom des Postfaktischen ein Beleg konstruktivistischer Theorien?

Im Rahmen dieser Erkenntnistheoretischen Fragestellung soll die Arbeit zunächst die Grundlage einer konstruktivistischen Theorie darlegen, die sich in die Bereiche der wissenschaftlichen und der sozialen Wirklichkeitskonstruktion aufgliedert. Aufgrund der durchaus schwierig zu leugnenden wissenschaftlichen Thematik des Corona-Virus auf der einen, und der sozialen sowie kulturellen Bedingtheit ihrer Leugner im gesamtgesellschaftlichen Diskurs auf der anderen Seite werden die beiden benannten Perspektiven konstruktivistischer Theorien den Leitfaden der Analyse bilden. In beiden Fällen wird anhand der Darstellung unterschiedlicher Theorien und ihren Vertretern ein Überblick gegeben zur jeweiligen Wirklichkeitskonstruktion und ihren Ausprägungen, um dadurch den Kern der Debatte herauszustellen. Mit Hilfe dieser beiden theoretischen Konzeptionen des Konstruktivismus soll anschließend der Begriff der Postfaktizität als reale Ausbildungsform entschlüsselt werden. Das sogenannte Postfaktische bildet an dieser Stelle die realtheoretische Verbindung zwischen Konstruktivismus und Fake News. Im dritten Schritt sollen Fake News zunächst als Konzept und anschließend in ihrer medialen Verbreitungsform erläutert werden.

Im Rahmen dieser Arbeit wird sich die Betrachtungsweise auf die sozialen Medien in demokratischen Systemen beschränken, da das anschließende Beispiel der CoronaLeugner zur letztendlichen Untersuchung eines Zusammenhangs zwischen dem Aufkommen postfaktischer Phänomene (Fake News) und dem Konstruktivismus sich vor allem auf eben jene zentriert.

3. Konstruktivismusdebatte

Der Konstruktivismus knüpft an eine lange philosophische Tradition an, für die die Wirklichkeit vom menschlichen Gedanken bedingt ist. 1 Als ein Vertreter der Urform des Konstruktivismus gilt Kant, der die Wirklichkeit als „eine Widerspiegelung unseres menschlichen Erkenntnisapparates“ im Sinne konstruktivistischer Ansätze als bedingt durch den Menschen ansah. Die Unvorstellbarkeit einer „nicht-räumliche[n] und nicht- zeitliche^] Wirklichkeit“ 2 als Konsequenz der Gebundenheit vom Menschen an die eigene Erkenntnisfähigkeit nach Kant unterscheidet sich vom modernen konstruktivistischen Verständnis auf idealistische, individualistische und absolutistische Weise. Kants Phänomen des transzendentalen Ich und dessen Gedankenkategorien wirken als konstruktives Organ, abgelöst wurde diese Vorstellung von z.T. materiellen Faktoren auf der Konstrukteur-Seite und den gesellschaftlichen Strukturen in beeinflussender Form. Moderne Strömungen im Konstruktivismus betrachten häufig ein kollektivistisches Konstruieren und einen geschichtlich veränderlichen Charakter der Wirklichkeitskonstruktion durch den Menschen als Grundelemente. Das Konstruieren an sich betrachtet der Konstruktivismus als unbewusst und nicht zielgerichtet. Je nach Lesart und Strömung besteht entweder gar keine objektive Realität bzw. Wirklichkeit oder sie ist für den Menschen aufgrund seiner Bedingtheit durch die eigene Erkenntnisart nie zu enttarnen. 1

Den Grundstein des modernen Konstruktivismus legte Hegel, in seiner Vorstellung wurde die Wirklichkeit vom Menschen durch Begriffe definiert, die vom sozialen Leben durchdrungen waren, die geschichtliche Variabilität war bei ihm jedoch in einen Entwicklungsrahmen eingebunden, welcher absolut ist.2 Als Gegenpol dieser idealistischen Lesart des Konstruktivismus, in der nicht-materielle Faktoren wie Begriffe und Gedankenkategorien die Wirklichkeitskonstruktion beeinflussen, gilt eine materialistische Tradition angelehnt an Marx. Geprägt von den sozialen Klassen bestimmt hier die gesellschaftliche Wirklichkeit die menschliche Denkweise und die Wirklichkeit wird durch einen ideologischen Schleier betrachtet. Eine Ausnahme dessen bilden bei Marx die Mathematik und Naturwissenschaft, da sie „stringente Methoden besaßen“.3 In Anbetracht dieser ursprünglichen Strömungen lässt sich der Konstruktivismus, im Folgenden angewandt in der wissenschaftlichen und sozialen Wirklichkeitskonstruktion, im Rahmen seiner Entwicklungsschritte grundlegend definieren.

3.1 Wissenschaftliche Wirklichkeitskonstruktion

Als Ausgangspunkt der kritischen, soziologischen Betrachtung der Wissenschaft gilt Robert K. Mertons Wissenschaftssoziologie, welche sich durch die vier Charakteristika Universalismus, Kommunismus, Uneigennützigkeit und Organisiertem Skeptizismus auszeichnet.4 Diese hält sich streng an das Prinzip, „dass sich gültige naturwissenschaftliche Theorien nicht soziologisch erklären lassen“5 und impliziert im selben Moment eine Unterscheidung zwischen echter (ethischer) und unechter (unethischer) Wissenschaft. Die entscheidende Schwächung dieser Vorstellung und ein maßgebendes Konzept entwickelten im Anschluss an Merton die Sozialkonstruktivisten David Bloor und Barry Barnes, Vertreter der Edinburgh-Schule. Gelöst von der Vorstellung, „die Naturwissenschaft sei durch ihre strenge Methode von gesellschaftlicher Beeinflussung isoliert“ 1 , entwickelten sie das sogenannte strong programme. Demnach sind „sämtliche Aspekte der Wissenschaft für eine Erklärung durch gesellschaftliche Faktoren zugänglich“.2 Die Prämisse liegt hier in der Notwendigkeit einer Erklärung, ob ein Ergebnis wahr oder falsch sei, spielt dabei keine Rolle. Diese Kategorien sind dabei ideologische Vorlieben und daher soziologischer Natur. Deshalb ist in den Augen des strong programme Mertons Aussage, korrekte wissenschaftliche Theorien seien kein Bestandteil soziologischer Theorie, ein Trugschluss.3 Ein ähnlicher Ansatz lässt sich bei der vom strong programme durchaus beeinflussten Karin Knorr Cetina beobachten, „die die Fabrikation des Wissens sozialkonstruktivistisch herleitet“4 Nach ihr ist wissenschaftliche Erkenntnis bestimmt von methodischen Voraussetzungen und sozialen Herstellungsprozessen, bspw. Ressourcen, Arbeitsbedingungen oder auch den Forschern.5

„Wissenschaftliche Begriffe sind mit anderen Worten menschengeschaffene Modelle, die wir auf die Wirklichkeit übertragen [.. .]“6 Mit Hilfe dieses instrumentalistischen Ansatz erscheint der Konstruktivismus in Bezug auf die Wissenschaft weniger zweifelhaft. Betrachtet man Begriffe, wie Barnes und Bloor es tun, nicht als reine Widerspiegelung der Wirklichkeit, sondern als vereinfacht und idealisiert, ist es nur noch eine Frage des gewählten Modells zur Beschreibung der Wirklichkeit. Denn die Problematik der Instrumentalisten ist ihr Voraussetzen von einer objektiven Antwort auf die Frage nach dem geeigneten Modell.

3.2 Soziale Wirklichkeitskonstruktion

In Bezug auf gesellschaftswissenschaftliches Wissen erscheint der Konstruktivismus weniger zweifelhaft als im vorherigen Abschnitt zur wissenschaftlichen Erkenntnis. dennoch weist auch die soziale Wirklichkeitskonstruktion verschiedene Vertreter auf, die sich vor allem durch ihre Nähe/Entfernung zu einer unabhängigen Realität unterscheiden. Luhmanns Systemtheorie ist aus konstruktivistischer Sicht insoweit ein relevantes Konstrukt, als dass er die Erkenntnis auf Unterscheidungen zurückführt und das Konstruieren als Eigenleistung vom Beobachter im operierenden System erfasst. Es gilt zwar die Annahme einer Realität unabhängig von subjektiver Erkenntnis, diese besteht jedoch als Horizont und bleibt deshalb für den Beobachter unerreichbar. Die einzige Möglichkeit der Annäherung ist die Beobachtung eines Beobachters bei der Konstruktion von Wirklichkeit, so Luhmann. 1 Ernst Glaseferlds Radikaler Konstruktivismus geht noch einen Schritt weiter und behauptet, dass der Mensch nie im Stande sein werde, die absolute Realität auch nur ansatzweise erkennen zu können. Stattdessen leben wir in einer Wirklichkeit, die rein aus den Konstruktionen besteht, die wir selbst geschaffen haben.2 Diese „relativierende Sicht auf das Wissen selbst“3 lässt alles variabel erscheinen und stärkt gleichzeitig jede Aussage, die als Wissen verbreitet werden kann.

Der Medienkulturelle Konstruktivismus hat mit Siegfried J. Schmidt einen Vertreter, der im Rahmen seiner Arbeit zur Wirklichkeitskonstruktion einer Kreislaufmodell entwarf, welches nicht nur die Instanzen Kognition (Denken) und Kommunikation mit einbezieht, sondern auch Kultur und Medien als Faktoren berücksichtigt. Die Voraussetzungen für dieses Modell sind „gesellschaftlich geregelte und kulturell programmierte Diskurse in sozialen Systemen“ 4, weshalb sein Modell autokonstitutiv, d.h. sich selbst bestimmend funktioniert. Kognition und Kommunikation laufen dabei „immer kategorial voneinander getrennte ab, während das soziale Umfeld in Form von Medien und Kultur diese strukturell verkoppelt. Die Aktanten sind also auf diese beiden Instanzen angewiesen, um Wirklichkeit konstruieren zu können. Die Wirklichkeitskonstruktion ist hier subjektgebunden, jedoch nicht im Sinne intentionaler oder willkürlicher Art und Weise.6

4. Postfaktizität

[...]

Final del extracto de 12 páginas

Detalles

Título
Sind Fake News als Symptom des Postfaktischen ein Beleg konstruktivistischer Theorien?
Subtítulo
Eine Analyse am Beispiel der Corona-Leugner
Universidad
Ruhr-University of Bochum  (Institut für Medienwissenschaft)
Curso
Mediensysteme u. -Institutionen
Calificación
1,0
Autor
Año
2020
Páginas
12
No. de catálogo
V1000233
ISBN (Ebook)
9783346384089
ISBN (Libro)
9783346384096
Idioma
Alemán
Notas
"Guter, klarer Aufbau; gute Fragestellungen und Quellen; gute Form, einschließlich Anmerkung zum Gendern und dramatischem Einstieg. Guter knapper Aufriss der wichtigsten Strömungen des Konstruktivismus, gute anregende Diskussion von Postfaktizität und Fake News."
Palabras clave
Fake News, Postfaktizität, Konstruktivismus, postfaktisch, Querdenker, Corona, Kant, Wirklichkeit, Trump, Wahrheit, Lüge, Novelty-Effect, Fakt, Realität, Subjektivität, Luhmann, Meinung, Soziale Medien, Filter Bubble
Citar trabajo
Lena Marie Meyer (Autor), 2020, Sind Fake News als Symptom des Postfaktischen ein Beleg konstruktivistischer Theorien?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1000233

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