Erfahrungen mit Haustieren und soziale Beschleunigung


Master's Thesis, 2020

116 Pages, Grade: 1


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hinführung zum Forschungsthema durch das forschungsorientierte Praktikum

3. Soziale Beschleunigung
3.1 Bereiche der Beschleunigung
3.2 Entschleunigung
3.3 Soziale Beschleunigung im Zusammenhang mit Tieren

4. Grundlagen der Mensch-Tier-Beziehung
4.1 Historische Entwicklung der Beziehung zwischen Mensch und Tier
4.2 Was sind tiergestützte Interventionen?
4.3 Erklärungsansätze zur Wirkung von Tieren auf den Menschen
4.3.1 Die Biophilie-Hypothese
4.3.2 Das Konzept der Du-Evidenz
4.3.3 Ableitungen aus der Bindungstheorie
4.4 Die Kommunikation und Interaktion in der Mensch-Tier-Beziehung

5. Stand der Forschung zur Heimtierhaltung

6. Methodik und Aufbau der Umfrage

7. Ergebnisse der Umfrage
7.1 Soziodemographische Daten
7.2 Berufliche und familiäre Vorstellungen
7.3 Erreichbarkeit durch das Internet
7.4 Alltag im Studentenleben
7.5 Lebensstil und Kontaktfreudigkeit
7.6 Haustiere
7.6.1 Besitz eines Haustieres in Kindheit/Jugend und aktuell
7.6.2 Gründe für Besitz eines Haustieres
7.6.3 Argumente gegen Besitz eines Haustieres
7.7 Tierhaltung und soziale Beschleunigung
7.7.1 Mittelwerte und Signifikanz „Erreichbarkeit durch das Internet"
7.7.2 Mittelwerte und Signifikanz „Alltag im Studentenleben"
7.7.3 Mittelwerte und Signifikanz „Lebensstil und Kontaktfreudigkeit"
7.7.4 Mittelwerte und Signifikanz nach Haustierbesitzergruppen aufgeteilt
7.7.5 Auswertung der Gründe gegen Tierbesitz bei (Nicht-)Tierbesitzer_innen
7.8 Das Stresslevel der Studierenden

8. Diskussion
8.1 Das Erleben sozialer Beschleunigung bei Studierenden
8.2 Der Heimtierbesitz bei Studierenden
8.3 Die möglichen Auswirkungen von (Nicht-)Tierbesitz im Zusammenhang mit sozialer Beschleunigung
8.4 Praktische Implikationen
8.5 Kritische Auseinandersetzung
8.5.1 Inhaltlich-kritische Auseinandersetzung
8.5.2 Methodisch-kritische Auseinandersetzung

9. Schluss

10. Literaturverzeichnis

11. Anhang
11.1 Der Fragebogen
11.2 Tabelle Perspektiven von Biophilie
11.3 Tabelle der gesammelten Studien von Herzog
11.4 Tabelle Mittelwertvergleich und Signifikanz nach Tierarten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Der Akzelerationszirkel

Abbildung 2: Kommunikationsmodell nach Shannon und Weaver

Abbildung 3: Bewertungssystem für den Fragebogen

Abbildung 4: Besitz von Heimtieren der Studierenden in Kindheit und Jugend

Abbildung 5: Aktueller Besitz von Heimtieren der Studierenden

Abbildung 6: Welche Tierart/en bei Möglichkeit angeschafft werden würde/n

Abbildung 7: Gründe gegen den Besitz oder die Anschaffung eines Haustieres

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Übersicht zu Studien mit Studierenden in Bezug auf Tiere

Tabelle 2: Erreichbarkeit/digitale Medien

Tabelle 3: Alltag im Studentenleben

Tabelle 4: Lebensstil und Kontaktfreudigkeit

Tabelle 5: Top 7 des Stressscores

Tabelle 6: Perspektiven von Biophilie nach Kellert (1993)

Tabelle 7: Überblick über die von Herzog (2011)

Tabelle 8: Mittelwertvergleich und Varianzanalyse in Erreichbarkeit/Social Media mit Blick auf die jeweilige Tierart des/der Besitzer_in

Tabelle 9: Mittelwertvergleich und Varianzanalyse in Alltag im Studentenleben mit Blick auf die jeweilige Tierart des/der Besitzer_in

Tabelle 10: Mittelwertvergleich und Varianzanalyse in Lebensstil und Kontaktfreudigkeit mit Blick auf die jeweilige Tierart des/der Besitzer_in

Tabelle 11: Mittelwertvergleich und Varianzanalyse in Erreichbarkeit/Social Media mit Blick auf die jeweilige Tierart des/der Besitzer_in

Tabelle 12: Mittelwertvergleich und Varianzanalyse in Alltag im Studentenleben mit Blick auf die jeweilige Tierart des/der Besitzer_in

Tabelle 13: Mittelwertvergleich und Varianzanalyse in Lebensstil und Kontaktfreudigkeit mit Blick auf die jeweilige Tierart des/der Besitzer_in

1. Einleitung

„Streicheln gegen Stress" lautet der Titel eines Artikels der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (vgl. Heidenfelder 2018, erschienen in der FAZ online), der sich mit dem Stresslevel von Studierenden während der Prüfungsphase beschäftigt. Eine Universität in Amsterdam beispielsweise richtete 2018 einen sogenannten „Puppy Room" in einem Raum ihrer Bibliothek ein, in dem Studierende für 15 Minuten einen Hundewelpen streicheln und kuscheln konnten. Die 160 Termine dafür mussten online reserviert werden und waren nach circa einer Stunde ausgebucht. Da die Aktion sehr gut von den Studierenden angenommen wurde, möchte die Universität in der nächsten Prüfungsphase erneut ein solches Angebot ermöglichen.

Durch die Bologna-Reform sind die Stundenpläne der Studierenden gut gefüllt und je nach Studienfach ist der der Erfolgsdruck gerade in der Prüfungsphase sehr hoch. Neben Klausuren müssen Hausarbeiten geschrieben und/oder Vorträge ausgearbeitet werden. Mehr als die Hälfte der Studierenden in Deutschland (laut Statista.com rund 51,5%) arbeiten parallel zu ihrem Studium während des Semesters. Universitäten in vielen Ländern stellten fest, dass die Studierenden aufgrund von Druck und Stress mit Ängsten, Depressionen und sogar Selbstmordgedanken zu kämpfen haben. Auch in Washington führten die Beobachtungen dazu, dass Dozent_innen ihre Haustiere mit in die Uni brachten, Therapiehunde mit ihren Betreuer_innen vorbei kamen und Tierheime mit einigen ihrer Tiere die Studierenden besuchten. Daraufhin startete die Humanbiologin Patricia Pendry eine Studie, bei der die Werte des Stresshormons Cortisol der Studierenden während der Interaktion mit Hunden und Katzen sanken. Aber auch das Betrachten der Tiere oder Tierbilder hatte einen beruhigenden Effekt auf die Proband_innen. Bereits zehn Minuten reichen demnach, um das Stresslevel zu senken, zu entspannen und somit langfristig die geistige und körperliche Gesundheit zu verbessern (vgl. Pendry/Vandagriff 2019:8).

Zeit ist bei Studierenden oft Mangelware und diese Tatsache hat, wie oben bereits erwähnt, erhebliche Folgen für das Individuum. Dies ist besonders in den letzten Jahren ein vieldiskutiertes Thema und eine plausible Erklärung dafür könnte die sogenannte soziale Beschleunigung der heutigen Gesellschaft sein. Nun stellt sich die Frage, ob, und wie soziale Beschleunigung bei den für diese Arbeit befragten Proband_innen erlebt wird und ob vorherige Erfahrungen mit Heimtieren Einfluss darauf haben, wie mit diesem Phänomen der sozialen Beschleunigung umgegangen wird. Kann das Zusammenleben mit einem Haustier dem Gefühl der sozialen Beschleunigung, z.B. Stressfaktoren, entgegenwirken oder spielen Heimtiere keine Rolle bei einem entspannten oder gestressten Leben?

Der von den Studierenden wahrgenommene Mangel an Zeit lässt sich mithilfe der Theorien zur sozialen Beschleunigung des Soziologen und Politikwissenschaftlers Hartmut Rosa erklären. Viele Bereiche in der Gesellschaft haben sich entwickelt und werden immer schneller und effizienter. Neben dem Studium betrifft das auch den technischen Fortschritt, den sozialen Wandel und das individuelle Lebenstempo. Genau diese Bereiche und ihre Unterschiede sollen im ersten Teil des dritten Kapitels näher vorgestellt werden. Als Antwort auf die soziale Beschleunigung gibt es aber auch Bereiche der Entschleunigung, die im Kapitel 3.1 erläutert werden. Demnach folgen die Grundlagen der Mensch-Tier-Beziehung (Kapitel 4) in Form eines historischen Abrisses zur gemeinsamen Geschichte von Mensch und Tier, einem Überblick über die Unterschiede innerhalb der tiergestützten Interventionen sowie drei unterschiedlichen Konzepten, die die Entstehung und Bedeutung der Beziehung zwischen Mensch und Tier verdeutlichen sollen. Außerdem wird erläutert, wie die Kommunikation zwischen der Spezies Mensch und Tieren stattfindet. Kapitel 5 verschafft einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung im Bereich Mensch und Tier mit besonderem Fokus auf die Effekte, die Tiere auf den Menschen haben. Der Empirie-Teil wird eingeleitet durch eine kurze Erläuterung zur Methodik und dem Aufbau der vorangegangenen Umfrage. Daraufhin folgen im Kapitel 7 die Analyseergebnisse der Umfrage in unterschiedlichen Bereichen und Facetten. Im darauffolgenden Kapitel werden die Ergebnisse interpretiert und diskutiert. Im abschließenden Kapitel erfolgen Schlussfolgerungen zum Ergebnis der Arbeit und Ansätze für das weitere Forschungsinteresse.

2. Hinführung zum Forschungsthema durch das forschungsorientierte Praktikum

Die Zusammenführung der Themen der sozialen Beschleunigung und den Erfahrungen mit Tieren erfolgte als erstes in einem Seminar über unterschiedliche Zeitphänomene. In dem exemplarischen Forschungsantrag ging es um das pferdegestützte Coaching mit Menschen als Antwort auf das Zeitphänomen der sozialen Beschleunigung. Besonders aussagekräftigt, schien die Aussage eines Coaches für pferdegestützte Persönlichkeitsentwicklung in einem selbst durchgeführten Interview 2019, als sie über ihre eigenen Erfahrungen mit ihrem Pferd sprach, folgendes sagte:

„Also ich würde sagen, es ist auch meine Entschleunigung, grundsätzlich der Umgang mit Tieren, weil die sich einfach nicht beschleunigen lassen. Natürlich kann ich, wenn ich draußen reite, dauernd mein Pferd nerven und ihm sagen, dass es schneller gehen soll. Aber es äußert irgendwann seinen Unmut, bleibt vielleicht stehen. Aber wenn ich mich auf sein Tempo einlasse, dann finde ich in eine Gleichförmigkeit, in einen ursprünglichen Rhythmus [...] Vielleicht muss ich erstmal annehmen, dass das Pferd dann stehen bleibt und die Zeit vergeht. Und wenn ich dann nicht in mich selbst gehe und innehalte, erstmal gucke, was denn jetzt los ist, dann kommen wir nicht weiter. Pferde entschleunigen mich also und bringen mich auch wieder in Kontakt mit mir selbst".

Die Forschungen zu tiergestützten Interventionen stecken noch in den Kinderschuhen und haben erst in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Aufgrund dieser Beobachtung liegt der Verdacht einer Forschungslücke nicht allzu fern und gerade im Zusammenhang mit sozialer Beschleunigung gibt es keine Studien oder Ähnliches. Um eine Grundlage für diese Masterarbeit zu haben, wurde ein quantitativer Fragebogen benötigt, der von Studierenden der JLU ausgefüllt werden musste. Ziel dieser Befragung war es, später herausfinden zu können, ob sich die Auswirkungen der sozialen Beschleunigung bei Tierhalter_innen anders bemerkbar machen als bei Nicht-Tierhal- ter_innen. Auch wenn die Forschung noch nicht weit vorangeschritten ist, gibt es schon einige Studien, die einen positiven Effekt von Tieren auf den Menschen belegen. Das Forschungsproblem ist also deutlich. Daraufhin wurden Theorien zum Forschungsinteresse erstellt, Literatur durchsucht und Konzeptspezifikationen als auch Operationalisierungen durchgeführt. Die Thesen zur Erstellung des Fragebogens lauteten:

1. Beschleunigung in Technik, sozialem Wandel und Lebenstempo haben Auswirkungen auf den Menschen und sein Zeiterleben
2. Entfremdung hat einen großen Einfluss auf Menschen und deren sozialen Beziehungen
3. Tiere haben stressmindernde Auswirkungen auf den Menschen und entschleunigen ihn.

Nachdem die Untersuchungsform und die -einheiten festgelegt waren, wurde mit der Erstellung des Fragebogens begonnen. Nach einigen Pretest und viel Reflexion sowie Optimierungen der Fragen fand die finale Befragung als Datenerhebung im Rahmen einer Vorlesungssitzung statt. Daraufhin folgte die Datensicherung. Diese Masterthesis soll nun zur Datenanalyse und Publikation der Ergebnisse dienen. Bevor auf die Ergebnisse der Umfrage eingegangen wird, folgen zuerst einige Kapitel über die theoretischen Begriffe und Konzepte, die Grundlage für die Erstellung des Fragebogens waren und eine tragende Rolle bei der Analyse der Daten spielen werden.

3. Soziale Beschleunigung

Verschiedene Denker, Dichter und Soziologen (Shakespeare bis Rousseau, Marx bis Marinetti, Charles Baudelaire bis Goethe, Proust und Thomas Mann)1 haben in den unterschiedlichen Epochen eine Beschleunigung im Alltag der Menschen feststellen können - auch heutzutage sind beschleunigende Transformationen wahrzunehmen. Sowohl im materiellen, als auch im sozialen und geistigen Bereich sind Beschleunigungstendenzen zu beobachten. Hartmut Rosa erforscht die moderne Gesellschaft um herauszufinden, in welchen Bereichen genau diese Beschleunigung sichtbar ist. Seine Antwort darauf: Alles. Dabei gibt es jedoch Ausnahmen, deren Beschleunigung nicht möglich ist, ohne einen Schaden oder Zerstörung in Kauf zu nehmen. Darunter fallen beispielsweise der Verlauf von Krankheiten, Schwangerschaften, die Dauer der Jahreszeiten oder die Reproduktion natürlicher Ressourcen (vgl. Rosa 2014:16f.).

3.1 Bereiche der Beschleunigung

Rosa unterscheidet in seiner Forschung drei verschiedene Bereiche der Beschleunigung: die Beschleunigung der Technik, die des sozialen Wandels und die Beschleunigung des Lebenstempos. Im Folgenden soll nun ein Überblick über diese drei Bereiche gegeben werden.

Beschleunigung der Technik

Als ersten Punkt nennt Rosa die Technik, die innerhalb der Gesellschaft zur Beschleunigung führt. Darunter versteht Rosa die Beschleunigung durch das Internet und die Globalisierung, in der Datenverarbeitung- und Übertragung sowie die Beschleunigung des Transports von Gütern und Wissen. Der Autor sieht aber die Technik nicht als Ursache der Beschleunigung, sondern er versteht diese als eine Reaktion auf den Faktor „immer weniger Zeit haben" (vgl. Rosa 2014:20f.). Rosa beschreibt die Auswirkungen dieser Art der Beschleunigung als prägnant für die Gesellschaft. Die „Wahrnehmung und Organisation von Raum und Zeit im sozialen Leben" ebd.:21) wird stark verändert. Die bereits oben genannten Beispiele Globalisierung und Internet haben, laut Rosa, das Verständnis von Raum und Zeit nicht nur verändert, sondern vernichtet (vgl. Harvey 1990:201-210). Institutionen wie beispielsweise Universitäten, Hotels oder Banken, sind nicht mehr nur lokal erreichbar, sondern auch global und im Internet vertreten - sie wurden zu „Nicht-Orten" (Augé 1994). Auch Kommunikationswege und Transportabläufe gewannen enorm an Geschwindigkeit, das Reisen beispielsweise dauert nicht mehr unbedingt Tage, sondern kann unter Umständen nur noch wenige Stunden in Anspruch nehmen (vgl. Rosa 2014:20f.). Rosa geht es dabei aber nicht um Spitzengeschwindigkeiten, sondern um die durchschnittliche Fortbewegungsgeschwindigkeit. Diese zu ermitteln ist jedoch eine Herausforderung, da sie nur schwer festzustellen ist (vgl. ebd.:125). Rosa nennt das Beispiel des Staus: Es wollen sich viele Menschen mit dem Auto schnell von A nach B bewegen, durch das erhöhte Verkehrsaufkommen kommt es allerdings zu Staus und die Fortbewegung wird verlangsamt (vgl. ebd.:125). Die Informationsübermittlung wurde ebenfalls schneller und es muss keine synchrone Kommunikation mit den Gesprächspartnern am gleichen Ort mehr stattfinden, da die Technik eine Kommunikation ermöglicht, die nicht zeitgleich stattfindet (vgl. ebd.:127ff.).

Beschleunigung des sozialen Wandels

In der Beschleunigung des sozialen Wandels sind die Veränderungen der Mode, Werte, Strukturen Einstellungen, Handlungs- und Orientierungsmustern sowie soziale Beziehungen und die Geflechte der unterschiedlichen Milieus inbegriffen. Rosa definiert soziale Beschleunigung als „Steigerung der Verfallsraten der Verlässlichkeit von Erfahrungen und Erwartungen" und als die „Verkürzung der als Gegenwart zu bestimmenden Zeiträume" (Rosa 2014:23f.), er untersucht dafür zuerst die Grundstrukturen der Gesellschaft: Familien und das Berufsleben, die als die (Re-)Produktionsstät- ten gelten. Die festen Grundstrukturen der Familien, wie sie Jahrhunderte lang zu beobachten waren, haben sich aufgelöst. In der klassischen Moderne und heute sind die Scheidungs- und Wiederverheiratungsraten angestiegen und langfristige Familienbande haben abgenommen (siehe Laslett 1988) - diesen Fakt sieht Rosa als ein Zeichen der Beschleunigung der Gesellschaft (vgl. ebd:22ff.). Auch im Berufsleben ist ein Wandel nicht von der Hand zu weisen. Während die Söhne in der Vor- und Frühmoderne die Berufe ihrer Väter erlernten und sich dies über Generationen hinweg ausübte, veränderte sich die Arbeitswelt in der klassischen Moderne dahingehend, dass Söhne und auch die Töchter nun ihre eigenen Vorstellungen der Berufe ausleben können. Während im Normalfall früher die Berufsentscheidung einmalig fiel, ist dieses Modell in der Spätmoderne nur selten vorzufinden und „der Berufswechsel findet schneller statt als Generationenwechsel" (Rosa 2014:25).

Beschleunigung des Lebenstempos

Als letzten Bereich benennt Rosa die Beschleunigung des Lebenstempos - Zeit wird als knapper werdende Ressource wahrgenommen und das Individuum steht unter dem Druck immer mehr in immer weniger Zeit zu schaffen, wie beispielsweise das Erreichen des Abiturs mithilfe der Idee des G8, Rosa benennt dies als eine Verkürzung bzw. Verdichtung der Handlungsepisoden. Der Mensch erfährt so ein Gefühl von Zeitknappheit, das dazu führt, dass er schneller isst, weniger schläft und für Freunde oder die Interaktion mit der Familie kaum noch Zeit hat. Der Autor mahnt hierbei jedoch zur Vorsicht bei solchen Aussagen, da es zur Beschleunigung des Lebenstempos bisher nur wenige Langzeitstudien gibt (vgl. Rosa 2014:26-33). Die Beschleunigung des Lebenstempos und die der Technik gehen dabei Hand in Hand, da die Technik es ermöglicht, immer mehr in immer weniger Zeit zu erledigen. E-Mails beantworten ist schneller als einen Brief schreiben, dadurch werden aber mehr E-Mails verschickt, als es bei Briefen der Fall wäre und der Mensch erledigt mehr in der gleichen Zeit, anstatt die Freizeit zu nutzen, die durch den Fortschritt der Technik möglich wäre. Die zu erledigenden Aufgaben unterliegen einer schnellen ansteigenden Wachstumsrate als die Beschleunigungsrate und Zeit wird dadurch trotz der technischen Beschleunigung vom Menschen als immer knapper werdend wahrgenommen (vgl.ebd.:31f.).

Die subjektiv empfundene Zeitnot, Zeitdruck und der stressförmige Beschleunigungszwang verleihen dem Menschen ein Gefühl des nicht-mehr-mitkommens (vgl. ebd.:136). Die zuvor genannte Verdichtung der Handlungsepisoden werden aber nicht nur deutlich, wenn mehr Aufgaben in kürzerer Zeit erledigt werden, sondern auch bei dem Versuch, mehrere Aktivitäten durch Multitasking durchzuführen. Anstatt eine Aktivität nach der anderen zu erledigen, soll dies möglichst parallel vonstattengehen. Dadurch benötigt aber jede einzelne Aktivität mehr Zeit, als wenn jede für sich erledigt worden wäre (vgl. ebd.:135f.).

Rosa kommt zu dem Schluss, dass die soziale Beschleunigung zu einem sich selbst antreibenden Prozess geworden ist, der sich in den drei Bereichen der Technik, des sozialen Wandels und der Steigerung des Lebenstempos wechselseitig beschleunigt und dadurch eine zirkuläre Struktur aufweist (vgl. ebd.:243).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Der Akzelerationszirkel (Rosa 2014:251)

Während es viele Bereiche in der Gesellschaft und im Leben gibt, gibt es auch einiges, das sich nicht beschleunigen lässt (siehe Kapitel 3.3) und manches verlangsamt sich sogar durch die Beschleunigung und den empfundenen Zeitdruck. Alle drei Bereiche der Beschleunigung müssen für sich betrachtet werden, stehen aber doch in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander (Abb. 1). Während die Technik zu Zeiteinsparungen verhelfen soll, stellt die Gesellschaft das Individuum unter Druck, mehr leisten zu müssen und das Lebenstempo eben dieses Individuums wird dadurch beschleunigt (vgl. Rosa 2005a:244).

3.2 Entschleunigung

Die soziale Beschleunigung betrifft die gesamte Gesellschaft, sich ihr entgegen zu setzen ist die soziale Entschleunigung. Auch damit befasst sich Rosa und unterteilt fünf Entschleunigungsformen. Für diese Arbeit sind jedoch nicht alle Formen relevant und so werden nur drei Bereiche der Entschleunigung näher erläutert2.

Natürliche Geschwindigkeitsgrenzen

Die natürlichen Geschwindigkeitsgrenzen bilden die erste Form der Entschleunigung. Wie bereits im Abschnitt der Beschleunigung erwähnt gibt es Bereiche, die nicht schneller gemacht werden können. Dies sind (meist physische) natürliche und anthropologische Prozesse wie Schwangerschaften, der Ablauf der Jahreszeiten oder Erkältungsverläufe. Auch die menschliche Wahrnehmung, die Verarbeitung dessen im Gehirn und im Körper oder natürliche Ressourcen wieder herzustellen bilden natürliche Geschwindigkeitsgrenzen. Wird der Versuch gestartet, diese Prozesse zu beschleunigen, wird deren Zerstörung in Kauf genommen. Auch soziale Beziehungen benötigen Zeit für einen vertrauensvollen Aufbau und können nicht beschleunigt werden. Durch die beschleunigte Technik und den Fortschritt in der Wissenschaft wurde im Laufe der Moderne aber bereits in einige natürliche Prozesse eingegriffen, so sind technisch veränderte Abläufe des natürlichen Hell-Dunkel-

Musters um eine Stunde reduziert worden, um Hühner zur Produktion von mehr Eiern zu bekommen (vgl. Rosa 2014:47).

Entschleunigungsoasen

Vor Beschleunigung „geschützte" Orte werden von Rosa als Entschleunigungsoasen bezeichnet. Modernisierungsprozesse könnten dort theoretisch stattfinden, praktisch gesehen sind sie jedoch von der Beschleunigung ferngehalten. Diese Bereiche sind frei von Beschleunigung und widersetzen sich gezielt den Modernisierungsdynamiken, sie sind kulturelle, soziale oder territoriale Nischen, die wie eine Insel oder eben eine Oase gesehen werden können. Inseln mitten im Ozean, die von der Gesellschaft ausgeschlossene Gruppen beheimaten oder Formen sozialer Praxis (z.B. Herstellung von Gütern nach alter Art, Whiskey beispielsweise) sind nicht von der Beschleunigung betroffen. Der Industriezweig, der sich mit eben solchen Gütern sozialer Praxis beschäftigt, läuft gut und Konsumenten sprechen auf die traditionellen Methoden an, da sie „Versprechen und ein Bild der Entschleunigung, Dauer und Stabilität" (Rosa 2014:48) bekommen (vgl. ebd.:48).

Entschleunigung als dysfunktionale Nebenfolge sozialer Beschleunigung Als dritte Form der Entschleunigung sind Nebenfolgen der Beschleunigung zu nennen. Dieser Bereich kennzeichnet sich durch die automatische Entschleunigung durch Beschleunigung. Bereits weiter oben wurde erwähnt, dass der Stau eine solche dysfunktionale Nebenfolge sein kann. Aber auch der menschliche Körper an sich reagiert auf Beschleunigung und Schnelllebigkeit, indem er beispielsweise Stress nicht mehr schnell genug verarbeiten kann und Depressionen die Folge sein können, dadurch verlangsamt der Mensch seinen Alltag automatisch (vgl. Rosa 2014:48f.). Nicht umsonst haben die Formen der Depression und des Burnout so gut wie in allen globalisierten Teilen der Erde in der Moderne zugenommen (siehe dazu Rosa 2009;2011a). Diese Folge der Beschleunigung ist dann nicht nur dysfunktionaler, sondern pathologischer Art. Der Zusammenhang von Beschleunigung, Stress und Entschleunigung wird auch deutlich, wenn Menschen ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren, da sie der geforderten Flexibilität und der Geschwindigkeit im Berufsleben nicht mehr standhalten können und dann aus der Firma entfernt werden, was eine (Langezeit-)Arbeits- losigkeit zur Folge haben könnte (vgl. Rosa 2014:49).

3.3 Soziale Beschleunigung im Zusammenhang mit Tieren

Das Zusammensein moderner Gesellschaften wird von expliziten und normativen Regeln reguliert und koordiniert. Durch die Beschleunigung der Gesellschaft entsteht ein konstanter Druck, dem die Menschen unterliegen. Dieses Gefühl kann aber nicht artikuliert werden und eine Beseitigung des Auslösers ist nicht möglich. Das Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt wird durch dieses Phänomen in verschiedenen Bereichen verändert - das soziale Miteinander, also Mitmenschen und Gesellschaft sind betroffen (vgl. Rosa 2014:59f.). An dieser Stelle können sich die Menschen an den Tieren und der Natur orientieren, da sie von der Beschleunigung der Technik, des sozialen Wandels und des persönlichen Lebenstempos nicht direkt betroffen sind: „Die zunehmende Technisierung unserer direkten Lebenswelt und ihre Reglementierung führt zu einem Natur- und Beziehungsverlust. In der kurzen Zeit der zivilisatorischen Entwicklung hat der Mensch noch keine optimale Anpassung an diese neue Umwelt erreicht [...]. Seine Erlebens- und Verhaltensmöglichkeiten sind nach wie vor auf natürliche Umgebungen abgestimmt, wir brauchen die Natur und gesunde soziale Beziehungen. Ein von vielen Menschen empfundenes „Unbehagen in der Kultur" (Daudert 2001:1, zit. n. Saumweber 2009:86).

Die Beschleunigung in allen Lebensbereichen, der empfundene Zeitdruck, die Anforderungen der Gesellschaft und das zuvor benannte Unbehagen in der Kultur könnten den Menschen dazu bringen, sich der Natur und den Tieren zuzuwenden. Die Auswirkungen von Beschleunigung, wie beispielsweise Stress oder schlimmere pathologische Folgen, können nur durch Entschleunigung „geheilt" werden. Manche Menschen empfinden Tiere dabei als hilfreich, da sie etwas Ursprüngliches und Vertrautes an sich haben. So wird beispielsweise berichtet, dass sich Menschen von Tieren verstanden und getröstet fühlen, wenn sie traurig sind. Solche Empfindungen sind allerdings als eine vermenschlichte Projektion auf das Tier zu verstehen, aber für den Menschen in seiner Situation hilfreich, da sie soziale und emotionale Unterstützung bieten, auch wenn sie den Umgang mit Mitmenschen nicht gänzlich ersetzen können (vgl. ebd.:79). Die genannten Bereiche der Entschleunigung wurden von Rosa zwar nicht in Bezug auf Tiere angewandt, können aber durchaus eine Rolle in der Mensch-Tier-Beziehung spielen. Auch wenn es Forschern gelungen ist, den Eilegrhythmus von Hühnern zu verändern, so fallen weitere Veränderungen im tierischen Rhythmus schwerer. Als Entschleunigungsoasen könnten Reiter- oder Bauernhöfe als Beispiel dienen, da Arbeits-, Wachstums- und Versorgungsschritte nicht gänzlich durch Maschinen oder den Fortschritt der Technik ersetzt werden können. Pferde putzen und satteln, Reitunterricht geben oder das Füttern der Tiere benötigt seine Zeit. Die Entschleunigung als dysfunktionale Nebenfolge von Beschleunigung wird deutlich, wenn der Mensch versucht, Tiere zu hetzen. Hat der/die Hundebesitzer_in nur wenig Zeit für eine Gassirunde, braucht der Hund trotzdem seine Zeit um zu schnüffeln, sich zu bewegen oder sein Geschäft zu erledigen. Achtet der/die Besitzer_in dies nicht, ist ein unausgeglichener Hund die Folge. Im Umgang mit Eseln, Kühen, Ziegen, Pferden usw. sind gestresste, gehetzte Menschen ebenfalls kontraproduktiv, da die Tiere auf Eile mit sogenanntem „Trotz" reagieren und beispielsweise stehen bleiben, anstatt schneller zu laufen.

Auf welchen Grundlagen genau die Mensch-Tier-Beziehung beruht und wie Mensch und Tier seit Urzeiten miteinander verbunden sind, soll im folgenden Kapitel dargestellt werden.

4. Grundlagen der Mensch-Tier-Beziehung

Im Sinne der zuvor beschriebenen Entschleunigungsoasen passt kein Tier besser als Vergleich, als die Schildkröte. Durch ihr gemütliches Tempo lehrt sie den Menschen Geduld und Nachsicht. So kann jedes Tier dem Menschen etwas anderes lehren: Eine Katze lehrt den Menschen das Loslassen können in Beziehungen, Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. Der Hund hingegen möchte genau dies nicht, da er Zuwendung und liebevolle Führung benötigt (vgl. Pietrzak 2001:21).

Im Folgenden soll zunächst ein historischer Abriss zur Entstehung einer Beziehung zwischen Mensch und Tier beschrieben werden. Daraufhin wird es eine knappe Übersicht über die Unterscheidungen innerhalb der tiergestützten Interventionen geben und ausführliche Beschreibungen zu den Grundlagen der Mensch-Tier-Beziehung werden folgen. Um die Kommunikation zwischen Mensch und Tier nachvollziehen zu können und um zu erkennen, welche Unterschiede es dabei in den Dialogen zwischen Menschen und bei Mensch-Tier-Kommunikation gibt, soll auch diese Thematik erläutert werden.

4.1 Historische Entwicklung der Beziehung zwischen Mensch und Tier

Bereits die primitiven Menschen, die prähistorischen Jäger, zeigten die Tendenz, wilde Tiere zu fangen und zu versorgen. Aus dieser Tendenz heraus entwickelte sich die Domestikation als natürliche Konsequenz in der Geschichte zwischen Mensch und Wildtier, dass zum Heimtier wurde (vgl. Galton 1895). Der Archäozoologe Bökönyi (1989) versteht unter der Domestikation eine Form der Symbiose, in der ein Partner (in diesem Fall der Mensch) den anderen (das Tier) von seiner natürlichen Umwelt isoliert, es zähmt und kontrollieren möchte, darüber hinaus züchtet und das Tier somit in eine neue Umgebung mit neuen, veränderten Fortpflanzungs-, Sozial- und Ernährungsverhältnissen umsiedelt. Im Gegensatz zu dieser besonderen, eher erzwungenen Symbiose, wie Bökönyi sie beschreibt, sieht Budiansky (1992) eine freiwillige, partnerschaftliche Symbiose in der Domestikation des Tieres. Bestimmte Spezies der Tiere könnten eine Form der Überlebensstrategie im Anschluss an den Menschen bemerkt haben und daraufhin seine Nähe gesucht haben. Diese Nähe zum Menschen bringt Versorgung, Pflege und Schutz mit sich - in Zeiten von knappen oder mangelnden Ressourcen ist die Domestikation somit eine Art Anpassung gewesen. Während Bökönyi die Domestikation als „Verbrechen gegen die Natur" versteht, sieht Budiansky eher einen natürlichen Verlauf in der Geschichte von Mensch und Tier, denn auch das Tier hat eine Rolle in der Beziehung inne. Nicht jedes Tier kann gezähmt werden, da bestimmte Verhaltenscharakteristika (beispielsweise extreme Scheu oder Aggressivität) eine Domestikationsbarriere darstellen (vgl. Steinkamp 2016:11f.). Um ein Tier domestizieren zu können, hatten die menschlichen Vorfahren bereits einige Kriterien, die das Tier erfüllen sollte. Das Tier sollte zäh sein und mit wenig Aufmerksamkeit und Fürsorge überleben, außerdem sollte es von Geburt an eine Bereitschaft zur Zuneigung dem Menschen gegenüber zeigen. Des Weiteren sollte das Tier eher bequemlich als zu aktiv sein, für den Menschen einen Nutzen haben, sich gut vermehren und in leicht kontrollierbaren Herden leben. Diese Kriterien erfüllen Hühner, Gänse und Enten sowie Schweine, Rinder, Ziegen, Schafe und Pferde. Die bereits erwähnten Domestikationsbarrieren bestehen hingegen bei Tieren wie Rehen oder Zebras, da sie zwar Herdentiere sind, jedoch trotz aller Domestikationsversuche stets wild bleiben und nicht leicht zu bändigen sind (vgl. Francis Galton, zit. n. Förster 2005:21).

Das erste bekannte domestizierte Tier war der Hund. Vor über 100.000 Jahren begann der Mensch, den Wolf zu zähmen und sich so den Hund zu erschaffen. Die Felder der Einsetzbarkeit dieser Tiere für den Menschen waren breit gefächert: Sie waren Wächter, Jagdbegleiter, vertilgten die Essensreste des Menschen, dienten als Transportmittel und waren dabei stets treue Gefährten des Menschen. Auch Katzen leben schon lange in der Nähe der Menschen. In Ägypten als heilig verehrt und auch später in Rom waren sie nicht weniger wertvoll. Viele angesehene Personen ließen sich mit ihrer Katze bestatten. Im Mittelalter jedoch wurden Katzen gejagt, vertrieben und getötet, da sie für eine unzähmbare Wildheit standen und in Unabhängigkeit vom Menschen lebten - die Katze konnte zwar an einen Ort, nicht aber an einen Menschen gebunden sein. Außerdem galt sie als Haustier der Hexen und war deshalb zusätzlich verpönt. Dadurch zogen sich die Katzen in die Wälder zurück und kehrten erst in der Neuzeit zurück in die Nähe der Menschen. In Herrenhäusern und Palästen war es ihre Aufgabe, für Wärme und Gemütlichkeit zu sorgen, auf dem Land hingegen hielt man Katzen hauptsächlich, um Schädlinge vom Haus fern zu halten (vgl. ebd.:21f.). Die Geschichte von Mensch und Pferd ist ebenfalls tausende Jahre alt. Während das Pferd vor 5.000 Jahren zunächst nur als Nahrungsquelle diente, erkennten die Menschen aber auch alsbald, dass sie hervorragend zum Ziehen und Tragen von Lasten eingesetzt werden konnten. Später stand das Pferd symbolisch für Macht und Majestät, da auf seinem Rücken und mit ihrer Hilfe die Welt entdeckt und erobert werden konnte. Außerdem zogen Mensch und Pferd gemeinsam in Kriege und standen immer Seite an Seite. Die Beziehung zwischen Mensch und Pferd unterscheidet sich in ihrer Intensität in der Beziehung zu anderen Tieren wie beispielsweise Hunden oder Katzen, da der Mensch das Pferd nicht nur streicheln und versorgen, sondern auf ihm reiten kann und so die Ganzheitlichkeit des Tieres spürt. Daraus entsteht eine heilsame und wertvolle Beziehung (vgl. ebd.:56f.): „(...) Das Besteigen des Pferderückens durch den Menschen [kann] als eines der Kulturereignisse [betrachtet werden], das von unschätzbarem Wert für die Weiterentwicklung der Menschheit (...) ist, und die dem Pferd eine Sonderstellung unter den Tieren einräumt" (Pie- trzak 2001:24).

Neben Hunden und Katzen gehören Pferde zu den Tierarten, die eine sehr starke Beziehung zu den Menschen eingehen können (vgl. Förster 2005:62).

Heute stehen domestizierte Tiere nicht mehr ausschließlich im Dienst des Menschen, sondern sie sollen einfach „da sein" und in der Nähe der Besitzer leben.

„ Viele Menschen bereichern mit Tieren ihr Leben, da sie erkannt haben, dass unsere menschliche Natur unmittelbar mit der Natur der Tiere verbunden ist. Wenn wir uns davon trennen, verlieren wir einen wichtigen Teil unseres Erbes" (Sheldrake 1999:32).

Nach diesem historischen Abriss zur Domestikation und dem Nutzen der Tiere soll im folgenden Kapitel erläutert werden, wozu diese Arbeit nicht dient und worauf der Fokus gelegt werden soll.

4.2 Was sind tiergestützte Interventionen?

Nach wie vor gibt es viele verschiedene Definitionen der tiergestützten Arbeit. Um jedoch trotzdem einen kleinen Einblick über die verschiedenen Begrifflichkeiten zu geben, bietet die 1977 gegründete Gemeinschaft von Interessierten an der tiergestützten Arbeit „Delta Society" erste Ansätze.

Die tiergestützten Interventionen (TGI) sind ein Sammelbegriff für insgesamt vier Richtungen der tiergestützten Arbeit und unterteilen sich in Therapie, Pädagogik, Fördermaßnahmen und Aktivitäten.

Tiergestützte Therapie

Die tiergestützte Therapie (animal-assisted Therapy, kurz AAT) ist eine Interventionsform, bei der das Tier ein fester Bestandteil der Behandlung ist und darum spezielle Kriterien erfüllen muss, da es direkt und mit festgelegtem Ziel am Patienten eingesetzt wird. Diese Form der TGI wird von einer professionellen und ausgebildeten Person durchgeführt, ist rein therapeutisch und setzt ein geschultes Mensch-Tier-Team voraus. Nach einer Situations- und Problemanalyse wird das Therapieziel und der Therapieplan unter Einbezug des Tieres definiert. Daraufhin finden zielgerichtete Interventionen statt, die kognitive, emotionale, körperliche und soziale Bereiche des Patienten fördern sollen. Jegliche Intervention wird dokumentiert (vgl. Ameli 2016:17).

Tiergestützte Pädagogik

Während bei der tiergestützten Therapie therapeutisch geschulte Personen Interventionen durchführen, ist dies bei der tiergestützten Pädagogik (animal-assistey Education, kurz AAE) nicht der Fall. Sie beschreibt Interventionen, die im Zusammenhang mit Tieren von Experten im (sonder-)pädago- gischen Bereich (beispielsweise Lehrpersonen) durchgeführt werden, jedoch ebenfalls ein für seinen Einsatz spezifisch trainiertes Tier voraussetzen. Auch diese Form der tiergestützten Arbeit erfolgt nach Zielvorgaben, diese sind konkret und kindorientiert. Zusammen mit dem Tier werden Lernprozesse initiiert, die schwerpunktmäßig die emotionale wie soziale Kompetenz des Kindes verbessern soll (vgl. Vernooij/Schneider 2018:41).

Tiergestützte Fördermaßnahmen

Die tiergestützten Fördermaßnahmen (TGF) sind, im Gegensatz zu den anderen Formen der TGI, im englischsprachigen Raum nicht bekannt und daher auch nicht übersetzt. Die TGF sind, anders als Therapie oder Pädagogik, nicht an spezielle Berufe gebunden. Sie können von Sozialarbeitern, Landwirten, Biologen usw. durchgeführt werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich diese Personen im Bereich der tiergestützten Interventionen weitergebildet haben. Nicht selten entscheiden sich auch Pädagogen für die TGF, wenn sie nicht pädagogisch oder therapeutisch mit Mensch und Tier arbeiten wollen. Ziel bei den Fördermaßnahmen sind zielgruppenspezifische Förderziele, z.B. physische oder soziale Aktivierung, Anregung, Kommunikation oder auch Motivation. Die Förderziele sind immer im emotionalen oder kommunikativen Bereich angelegt (vgl. Otterstedt 2017:11).

Tiergestützte Aktivitäten

Bei den tiergestützten Aktivitäten (animal-assisted Activities, kurz AAA) können die Bereiche sowohl pädagogisch, als auch therapeutisch oder eben neutral sein. Die Durchführenden sind geschulte Fachkräfte oder Freiwillige, die mit dem Tier zusammen das Ziel verfolgen, die Lebensqualität zu verbessern. Es gibt keinen klaren Unterschied zwischen den geschulten Kräften und den Freiweilligen, außerdem kann die Intervention an jedem beliebigen Setting durchgeführt werden (vgl. Ameli 2016:16). Das Zusammentreffen von Mensch und Tier ist ungezwungen und/oder spontan, ein direktes Ziel ist nicht geplant. Es geht lediglich um das Zusammensein von Mensch und Tier, gemeinsamen Aktivitäten und die Anwesenheit des Tieres stehen im Vordergrund (vgl. Hege- dusch/Hegedusch 2007:36). AAA können von mehr oder weniger ausgebildeten Personen durchgeführt werden und können zum Ziel haben, erzieherisch, rehabilitativ oder sozial zu wirken, auf jeden Fall wird die Steigerung des Wohlbefindens des Menschen angestrebt (vgl. Vernooij/Schneider 2018:34). Die tiergestützte Aktivität ist die einfachste Form der tiergestützten Interventionen, da sie jederzeit und von jedermann durchgeführt werden kann.

Wie zu erkennen ist, sind die Trennungen der Begrifflichkeiten teilweise schwierig und die Bedeutung dieser ineinandergreifend. Konkretere Definitionen sind nicht vorzufinden, da es beispielsweise allein für den Begriff der tiergestützten Therapie 20 verschiedene Definitionen und zwölf verschiedene Bezeichnungen gibt (vgl. Kruger/Serpell 2006:22f.). Zudem gibt es kein allgemeingültiges Berufsbild für die Bereiche der tiergestützten Interventionen, was vor allem an einem Mangel an finanzieller Unterstützung, z.B. durch Krankenkassen liegt (vgl. Ameli 2016:70).

In dieser Arbeit geht es weder um die therapeutischen, noch pädagogischen oder fördernden Maßnahmen mit Tieren, sondern allein die Aktivität mit dem Tier und die möglicherweise daraus resultierenden Wirkungen sollen im Fokus stehen, da die tiergestützte Aktivität überall dort stattfindet, wo Menschen auf Tiere treffen - also auch in der privaten Heimtierhaltung. Dieser kurze Exkurs sollte lediglich die Unterschiede der Begrifflichkeiten aufzeigen. Wieso Tiere auf den Menschen wirken und welche Erklärungsansätze es dafür gibt, soll das folgende Kapitel erläutern.

4.3 Erklärungsansätze zur Wirkung von Tieren auf den Menschen

Die gemeinsame Geschichte der Menschen und Tiere reicht wie zuvor beschrieben weit zurück. Früher wie heute haben Tiere teilweise ihre festen Aufgaben in der Gesellschaft, auch wenn sich diese enorm gewandelt haben - meistens sind Tiere einfach in der Nähe des Menschen, um da zu sein. Tiere mit einer Aufgabe, wie beispielsweise bei den tiergestützten Interventionen, haben oft das Ziel (bewusst oder unbewusst, geplant und dokumentiert oder spontan) vorhandene Ressourcen zu stärken und weniger ausgebildete Fähigkeiten, grade im emotionalen und sozialen Bereich, zu fördern sowie eine allgemeine Verbesserung der Kompetenzen (vgl. Vernooij/Schneider 2018:49). Dabei folgen Tiere als Teil der Natur ihren Instinkten und natürlichen Trieben und abstrahieren oder verallgemeinern nicht, wie Menschen es können. Sie bewerten auch nicht nach der äußeren Erscheinung oder dem Status des anderen Wesens (außer vielleicht bei der Paarung), schätzen in der Regel jedes Individuum und nehmen es so an, wie es ist. Diese Annahme gilt als Grundlage zu allen tiergestützten Interventionen (vgl. Heyer/Kloke 2013:19).

1961 entdeckte der Kinderpsychotherapeut Boris M. Levinson, dass einer seiner Patienten positive Reaktionen auf seinen Hund zeigte und dadurch begann die Entwicklung der wissenschaftlichen und praktischen Beschäftigung mit Hunden als Co-Therapeuten/-Pädagogen (vgl. ebd.:20). Levinson beobachtete, dass sein Hund ehrlich und direkt auf Patienten reagierte und stellte so die Theorie auf, dass ein grob behandelter Hund zurückweicht und sich von der Person abwendet, sobald aber seine Bedürfnisse beachtet werden und er als Hund geachtet wird, zeigt er sich als zuverlässig und der Hund belohnt den Patienten mit Schwanzwedeln und anderen Zeichen seiner Freude und Zuneigung, dadurch wird beim Menschen ein positives Gefühl ausgelöst. Außerdem lässt der Kontakt mit Hunden verkümmerte oder verdrängte Bedürfnisse aufleben, wie beispielsweise Kontakt und Nähe oder auch soziale Ängste im Umgang mit anderen Menschen werden erleichtert (vgl. ebd.:21). Nicht zuletzt deshalb, weil der Mensch im Kontakt mit dem Hund keine Angst vor Zurückweisung aufgrund sozialer Normen und Urteile haben muss. Weitere Erkenntnisse der Mensch-TierBeziehung und Studien werden im Kapitel 5 näher erläutert und dargestellt. Annahmen, wie beispielsweise dass die Anwesenheit des Tieres zur Stressreduzierung verhilft und so eine höhere Zufriedenheit beim Menschen auslöst, im schulischen/universitären Kontext, sogar eine Steigerung des Lernerfolgs mit sich bringt (vgl. Kuntze 2008:9f.), beruhen alle auf den drei Erklärungsansätzen, die im folgenden Kapitel vorgestellt werden sollen.

4.3.1 Die Biophilie-Hypothese

Ein Erklärungsansatz zur Wirkung von Tieren auf den Menschen stellt die 1984 entwickelte Annahme der Biophilie-Hypothese von dem Evolutions- und Soziobiologen Edward O. Wilson dar. Diese These ist eine oft genannte im Zusammenhang mit der Mensch-Tier-Beziehung und geht davon aus, dass die Biophilie eine angeborene Neigung aller Lebewesen ist, sich der Natur und dem Lebendigen zuzuwenden. Menschen fühlen sich demnach von Geburt an zu allem Lebendigen hingezogen und bereits Säuglinge beschäftigen sich lieber mit einer belebten Umgebung als mit einer unbelebten Umwelt. Die zu Beginn des dritten Kapitels aufgezeigte gemeinsame Geschichte von Mensch und Tier zeigt, dass die Spezies schon immer eng miteinander verbunden waren und sich diese Tatsache in allen Jahren der Evolution nicht grundlegend verändert hat. Biophilie „schließt demnach sowohl Attraktion als auch Aversion, Wertschätzung und Ehrfurcht ebenso wie Angst und Abneigung ein" (Wesenberg 2020:22). Olbrich (2003) umschreibt die evolutionäre Verbundenheit:

„[Sie] mag auf Verwandtschaft, auf Neugierde oder auch auf Beachtung des anderen Lebens aufgrund von Furcht zurückgehen; sie kann auf Ausnutzung der anderen Lebewesen oder auf Gemeinsamkeit im Sinne von Bindung oder von Kumpanei zielen; sie kann die Qualität des Erlebens von Schönheit, des Verspürens von Empathie oder von geistiger Einheit haben " (Olbrich 2003:70).

1993 wurde die Biophilie-Hypothese von Stephen Kellert weiterentwickelt und um neun Perspektiven der Biophilie ergänzt. Jeder Form dieser Perspektiven spiegelt eine spezifische Bezugnahme des Lebendigen gegenüber wider, die jeweils mit einer Wahrnehmung und Bewertung anderer Lebewesen und lebensähnlichen Prozessen einhergeht (siehe Anhang Tabelle 5:S.104f.). In jeder dieser Perspektiven wird deutlich, dass sie hauptsächlich Vorteile für den Menschen bieten, um sein Überleben zu ermöglichen und das Leben zu erleichtern. Während beispielsweise die ästhetische Perspektive zur Bewunderung und Bewahrung der Natur verhilft, hat die utilitaristische Perspektive Nachteile im Sinne der Tiere, da sie als Fleisch- und Kleidungslieferanten gesehen werden. Die dominierende oder negativistische Perspektive haben den Menschen in seiner Entwicklung der Technik und der Fertigkeiten vorangebracht, aber auch die Freiheit und den Lebensraum der Tiere eingeschränkt. Kellert betont dabei jedoch auch, dass die Voraussetzung für ein erfülltes, zufriedenes, emotional und kognitiv ausgewogenes Leben der Erhalt der Natur und der Kontakt zu anderen Lebewesen essentiell ist (vgl. Wesenberg 2020:24).

Die Annahme der Biophilie-Hypothese gilt als die Begründung für die Mensch-Tier-Beziehung und wird von vielen Autor_innen häufig als theoretische Grundlage erwähnt und zitiert. Das nun folgende Konzept der Du-Evidenz ergänzt sich dabei mit Wilsons bzw. Kellers These und setzt das Erkennen eines anderen Lebewesens als „Du" voraus.

4.3.2 Das Konzept der Du-Evidenz

Entwickelt wurde das Modell der Du-Evidenz 1931 von Theodor Geiger, der dieses Konzept lange vor anderen Erklärungsmodellen entwarf. Er sieht in der Du-Evidenz eine grundlegende Voraussetzung für individuelle soziale Beziehungen zwischen Tieren und Menschen. Mensch und Tier nehmen das Gegenüber wahr, erkennt dessen Eigenarten und können einen gemeinsamen Weg als Gefährten einschlagen. Da Menschen, ähnlich wie einige Tiere, Motive, Bedürfnisse und Affekte über unverkennbare gestische, mimische und lauthafte Äußerungen von sich geben, können sowohl Menschen als auch Tiere durch ihre Sozialisation die gegebenen Ausdrucksweisen zunächst wahrnehmen, dann decodieren und letztendlich deuten. Wird auf die Evolutionsgeschichte zurück geblickt, dann haben die Spezies der Menschen und auch der Tiere so genannte „social tools" entwickelt, die eine Kontaktaufnahme, ein Verstehen des anderen und zu guter Letzt das in Beziehung treten ermöglichen (vgl. Wesenberg 2020:24f.). Der Mensch schreibt dem Tier eine Partnerrolle zu und gibt ihm personale Qualitäten - vorneweg ist dies wohl am deutlichsten in der Namensgebung des Tieres zu erkennen. Dadurch erhält das Tier Individualität und hebt sich von anderen Tieren ab: „Die Namensgebung macht das Tier zum Teil der Familie, zum Adressaten von Ansprache und Zuwendung, zum Subjekt mit Bedürfnissen und Rechten, denen ebenso entsprochen wird wie im Falle der menschlichen Mitglieder" (Greiffenhagen/Buck-Werner 2011:23). Im Zusammenhang mit der Du-Evidenz sollte jedoch vor einem zu hohen Grad an Anthropomorphismus (griech. anthropos „Mensch" und morphe „Form, Gestalt" = menschliche Eigenschaften auf Außermenschliches übertragen) gewarnt werden (Germann-Tillmann/Merklin/Stamm Näf 2019:214f.). Oft bekommt das Tier nicht nur einen Namen, sondern ihm werden auch menschliche Gefühle und Eigenschaften zugeschrieben. Der Mensch spricht mit Tieren, fühlt sich mit ihm verbunden, er betrauert den Tod des Tieres und pflegt Erinnerungen an die gemeinsame Zeit, ganz ähnlich wie es bei zwischenmenschlichen Beziehungen der Fall ist (vgl. Vernooji/Schneider 2018:14). Ein Grund für dieses Phänomen ist, dass Tiere morphologische Eigenschaften besitzen, die Gefühle für Zuwendung und Fürsorge auslösen (vgl. Hegedusch/Hegedusch 2007:44). Überwiegt der Anthropomorphismus kann es jedoch passieren, dass der Mensch die tierischen Bedürfnisse seines Gegenübers weder wahrnimmt noch achtet. Das Tier kann dann nicht mehr seiner Art gerecht leben und agieren, meist nimmt es dadurch Schaden (vgl. Germann-Tillmann/Merklin/Stamm Näf 2019:215).

Greiffenhagen und Buck-Werner (2011) sprechen sich dafür aus, dass noch viel Forschung nötig sei, um dem Konzept der Du-Evidenz das zu geben, was es verspricht: „Eine Gemeinschaft von Tier und Mensch, welche die gegenseitige Ansprache unter der Voraussetzung des Satzes erlaubt: Du bist von meiner Art, wir sind Genossen" (ebd.:25), außerdem bemängeln sie, dass sich sowohl Psychologie als aus Zoologie bisher nur wenig der Symbiose zwischen Mensch und Heimtier zugewandt haben und die Fragen „Wer hat warum welches Tier? Was erhofft sich der Mensch, wenn er sich ein Tier kauft? Was bringt die Verbindung dem Tier? Wie, was und wie viel spricht der Mensch mit seinem Tier? Wie reagiert das Tier auf unterschiedliche Verhaltensstile von verschiedenen Familienmitgliedern? Welche Eigenschaften und Fähigkeiten machen das Tier zu einem Familienmitglied?" (ebd.:31) bisher ohne Antwort geblieben sind.

Die oben erwähnten Gefühle der Zuwendung und Fürsorge führen nun zu der Erklärung des folgenden Konzepts - die Ableitungen aus der Bindungstheorie. Da Tiere häufig unter das so genannte „Kindchenschema" fallen (beispielsweise ein unproportional groß wirkender Kopf im Vergleich zum Rumpf, siehe Eibl-Eibesfeld 1972:33) und dies einer der Gründe ist, wieso auf sie menschliche

Gefühle übertragen werden, ist es nicht verwunderlich, dass die Forschung genau dort ansetzt: In der Bindung zwischen Kind und Mutter und dies dann auf die Beziehung zwischen Mensch und Tier überträgt.

4.3.3 Ableitungen aus der Bindungstheorie

Die Bindungstheorie wurde von den (Kinder-)Psychologen John Bowlby (1969) und Mary Ainsworth (1963, 1972) aufgestellt und ist dient zur Erklärung von Mechanismen in emotional relevanten, langfristigen Beziehungen zwischen Menschen, ursprünglich zwischen Mutter und Kind. Bereits vorher gab es Erkenntnisse über das kindliche Bedürfnis nach Nähe und Körperkontakt sowie das mütterliche Pflegeverhalten, gesammelt von Harlow (1958) und Zimmermann (1959) und beobachtet bei Primaten. Affenbabys wurden von ihren Müttern getrennt und bekamen unechte „Ersatzmamas" - Drahtgestelle die einmal mit einer Milchflasche ausgestattet waren und einmal mit einem weichen Frottee überzogen. Die Affenbabys wählten das Frottee überzogene Gestell und kuschelten rund 18 Stunden am Tag mit ihm. Dem Gestell mit der Milchflasche hingegen wurde nicht solche Aufmerksamkeit geschenkt, was die Forscher überraschte (vgl. Beetz 2019:84). Dieses Ergebnis lässt sich auf alle Säugetiere mit einer langen Abhängigkeit der Nachkommen von der Mutter übertragen. Schließlich wendete Bowlby diese Erkenntnisse auf den Menschen an und beobachtete menschliche Mutter-Kind-Dyaden (1969, 1980). Ein Baby im ersten Lebensjahr zeigt eine Bindung an eine primäre Bezugsperson (Bindungsfigur), dieses Verhalten muss nicht erst erlernt werden, sondern ist angeboren: „ Verhaltenssysteme sind biologisch basierte, motivationale Kontrollsysteme, die Regeln und Verhalten, welche mit einem bestimmten Ziel verbunden sind, steuern (Marvin/Britner 2008). Die dazugehörigen Verhaltensweisen müssen nicht erlernt werden, sondern sind bereits in Form von angeborenen motorischen Mustern verfügbar" (Beetz 2019:84).

Das Kind sucht die Nähe zur Bindungsfigur und verhält sich dementsprechend (weinen, schreien, hinkrabbeln, Augenkontakt suchent etc.), dieser Prozess ist die Aktivierung des Bindungsverhaltens und tritt vor allem auf, wenn das Kind müde oder krank ist, Trost und Nähe oder Fürsorge der Bindungsfigur benötigt. Auch die Trennung von der Bindungsfigur aktiviert das Verhalten des Kindes, weil die Abwesenheit der Figur für das Kind als Gefahr eingestuft wird (vgl. ebd.:84f.). Die Bindung hat das Ziel, dass Nähe zwischen Mutter und Kind hergestellt wird und gewährleistet ist, dass dem Kind dadurch Schutz, Fürsorge und Pflege zukommen (vgl. Bowlby 1988:26f.). Außerdem kann durch die Bindungsfigur Stress des Kindes abgepuffert werden, diese Rolle muss nicht immer nur die Mutter tragen, sondern kann auch der Vater oder andere Bezugspersonen, die sich regelmäßig mit dem Kind beschäftigen, zuteilwerden. Die Bezugsperson deaktiviert durch ihr kindgerechtes Handeln das Bindungsverhalten des Kindes und wird so zu seinem „sicheren Hafen", auch die Exploration der Umgebung ist durch die Anwesenheit und das Bindungsverhalten möglich (vgl. Beetz 2019:85). Problematisch wird der Aspekt der Bindung, wenn keine sichere Bindung vorhanden ist, sondern Kind und Bindungsfigur in einem unsicher-vermeidenden, unsicher-ambivalenten oder desorganisierten Verhältnis stehen (für weitere Ausführungen siehe ebd.:86f.).

„Bindungen einzugehen ist dem sozialen Lebewesen Mensch nicht nur in der Kindheit ein Bedürfnis, selbst wenn sie dann besonders wichtig sind, sondern während der gesamten Lebensspanne. Die Fähigkeit, Bindungen aufzubauen und zu erhalten, ist ein Merkmal psychischer Gesundheit (Bowlby 1979). Bindungsbeziehungen sind vor allem darum wichtig, da Bindungsfiguren die wichtigste Quelle für soziale Unterstützung in Stresssituationen darstellen (Mikulincer/Shaver 2009)" (Beetz 2019:88).

Eng verknüpft mit dem Bindungsverhalten ist das Pflegeverhalten („Caregiving"), das jedoch einem eigenen System folgt. Ziele von Caregiving sind Schutz, Fürsorge, Trösten des Kindes und die Stressregulation, lösen also bei der Bindungsfigur Verhaltensweisen aus, die das Bindungsverhalten des Individuums deaktivieren bzw. stillen wollen. Dazu gehören Nähe, Rufen, Hochheben, Trösten, Augenkontakt herstellen, Streicheln, Körperpflege und das Umsorgen. Diese Verhaltensweisen werden aber nicht nur in akuten Situationen gezeigt, sondern werden als Stressprävention eingesetzt und führen zu einer Ausschüttung des Hormons Oxytocin3 bei Bindungsfigur und Kind (vgl. ebd.:60). Oxytocin wird im Hypothalamus (basales Zwischenhirn) produziert und dann über Nervenbahnen zur Hypophyse befördert. Weiterhin bringen Oxytocin enthaltende Nerven das Hormon in den Blutkreislauf und es wird im Gehirn freigesetzt. Stillen, Wärme, Berührungen oder Streicheln in vertrauensvollen Beziehungen regen die Ausschüttung des Hormons an (weiter dazu siehe Insel 2010; Uvnäs-Moberg 2003) (vgl. Betz 2019:78).

Die Ähnlichkeiten des sozialen Gehirns und die Mechanismen einer Sozialbeziehung ermöglichen jedoch nicht nur eine Beziehung bzw. Bindung zwischen Menschen, sondern auch zwischen Mensch und Tier (Kotrschal et al. 2010), Sozialbeziehungen sind dadurch über die Artgrenze hinaus möglich (vgl. Beetz 2019:92). An diesem Punkt wird wieder die Biophiliehypothese erwähnt, die die Affinität zu allem Lebendigen und der Natur beschreibt und als Bindeglied zwischen der Bindungstheorie und der Übertragung dieser auf die Mensch-Tier-Beziehung dient. Denn nicht nur die Anwesenheit einer Bindungsfigur, sondern auch eine sichere Bindung zwischen Mensch und Tier wirkt beruhigend auf den Menschen. In der Gegenwart eines Tieres (große Raubtiere ausgeschlossen), kann der Mensch sich sicher fühlen und zur Ruhe kommen. In der Evolutionsgeschichte konnte das Tier dem Menschen u.a. das Überleben sichern, indem das Tier dem Menschen in der Natur Gefahr und Sicherheit durch sein Verhalten und seine Wachsamkeit vermitteln konnte (siehe Julius et al. 2014). Damit eine Bindung von Mensch und Tier jedoch als Beziehung deklariert werden kann, müssen laut Ainsworth (1991) folgende Kriterien erfüllt sein:

- „Die Person ist eine zuverlässige Bezugsquelle für Trost, vermittelt ein Gefühl der Sicherheit und dient als sichere Basis für Exploration.
- Sie wird in belastenden Situationen bzw. bei emotionalem Stress aufgesucht,
-ungiert als sicherer Hafen.
- Die physische Nähe zu dieser Person ist mit positiven Emotionen gekoppelt, es wird also versucht, die Nähe zu ihr aufrechtzuerhalten.
- Die Trennung von dieser Person ist mit Trennungsschmerz verbunden." (Ainsworth 1991:93)

Viele Hunde- bzw. allgemein Tierbesitzer_innen haben, wenn nach diesen Kriterien gegangen wird, eine Beziehung zu ihrem Tier etabliert, auch wenn nicht alle Punkte zu 100% zutreffen. Mit beispielsweise einem Pferd oder einem Hund an seiner Seite erkundet der Mensch viel lieber seine Umgebung, als er es alleine tun würde. Außerdem vermissen Besitzerinnen ihre Tiere, wenn sie auf Reisen sind oder bei emotionalen Belastungen wird das Tier als Kontakt aufgesucht (Covert et al. 1985; Kurdek 2008; Mallon 1994; Rost/Hartmann 1994), dabei wird das Pflegeverhalten dem Tier gegenüber ausgelöst, dem Bedürfnis nach Nähe wird nachgegangen und kann den Stress beim Menschen mindern (Julius et al. 2014). Bei Studien (Covert et al. 1985; Julius et al. 2014; Mallon 1994; Melson 2003) wurde deutlich, dass 75% der befragten Kinder Trost und Unterstützung bei ihrem Heimtier suchen, weitere „Studien belegen, dass mehr Menschen eine sichere Bindung zu ihrem Tier entwickeln als eine sichere Bindung zu Menschen" (Beetz 2019:94). Es fällt Menschen oft leichter, eine Bindung zu einem Tier einzugehen als Beziehungen mit Menschen aufzubauen, da die Verhaltensweisen von Tieren leichter einzuschätzen sind, sie authentischer reagieren, dabei konstant sind und den Menschen unabhängig von sozialen Normen akzeptieren, eine Zurückweisung durch die Zugehörigkeit eines bestimmten Milieus spielt bei einer Beziehung zwischen Mensch und Tier beispielsweise keine Rolle (vgl. ebd.:94). Außerdem ist die Hemmschwelle, mit einem freundlichen Tier Körperkontakt aufzunehmen geringer, als die einen netten Menschen zu berühren (Prato-Previde et al. 2006). Die Mensch-Tier-Beziehung ermöglicht eine sichere Bindung zum Tier, auch wenn der Mensch im Umgang mit Menschen eine unsichere Bindung hat, es gibt aber auch Tierbesitzer, die gar keine Beziehung zu ihrem Tier aufbauen oder unsichere/desorganisierte Bindungsmuster zeigen (vgl. Beetz 2019:95).

Während nun die Aspekte der Bindung von Menschen zu Tieren beleuchtet wurden, soll auch die Bindung von Tieren zu Menschen kurz erwähnt werden. Besonders Hunde entwickeln eine Bindung zu ihren Besitzern. Dies ist zwar nicht ausnahmslos so, aber wenn eine Beziehung gegeben ist, ist sie meistens als sicher einzustufen (Topal et al. 1998). Während die sichere Bindung vom Menschen zum Tier zur Stressreduktion führt, profitiert auch der Hund von dieser Beziehung, da sich in Anwesenheit seines Menschen auch sein Stresslevel senkt und sowohl beim Menschen, als auch beim Tier, Oxytocin ausgeschüttet wird (Handlin et al. 2011; Odendaal 2000; Odendaal/Meintjes 2003). Bisher sind weitere Forschungen zur Bindung von Tieren zum Menschen nicht zu verzeichnen, aber auch hierbei ist die Biophiliehypothese ein Ansatzpunkt zur Erklärung der Wirkung von Menschen auf das Tier, da die Forschung davon ausgeht, dass nicht nur Menschen, sondern alle Lebewesen biophil sind (vgl. Beetz 2019:96).

Alle Modelle, die die Mensch-Tier-Beziehung und die Wirkung erklären können, sind nie als einzeln stehende Modelle zu verstehen, sondern als Ergänzungsmodelle. Jedes Modell wurde weiterentwickelt und verhilft zum Verständnis der Beziehung zwischen Mensch und Tier beizutragen.

„Der Stand der Theoriebildung zu Mensch-Tier-Beziehungen und ihren potentiellen Wirkungen bleibt nach wie vor eher unbefriedigend. Angesichts der Vielfältigkeit der Formen von Mensch-Tier-Interaktionen scheint dies allerdings auch kaum verwunderlich: Beziehungen zwischen Menschen und Tieren sind ähnlich facettenreich und multiplex wie zwischenmenschliche Verhältnisse, Bindungen und Interaktionen: gesellig und freundschaftlich wie utilitaristisch und nutzenorientiert, zugewandt und liebevoll wie feindselig und schädigend" (Wesenberg 2020:33).

Vernooij und Schneider (2018) sehen zwischen dem Konzept der Spiegelneuronen (siehe dazu Ver- nooij/Schneider 2010) und der analogen Kommunikation, wie sie zwischen Mensch und Tier stattfindet, ein komplett neues und spannendes Forschungsfeld (ebd.:13). Daher wird im folgenden Kapitel nun zunächst erläutert, wie Kommunikation überhaupt stattfindet, welche Aspekte und Unterschiede es zu beachten gibt und wie sich dies auf die Kommunikation mit Tieren auswirkt.

4.4 Die Kommunikation und Interaktion in der Mensch-Tier-Beziehung

Bevor auf die Kommunikation zwischen Mensch und Tier eingegangen wird, soll zunächst der Austausch von Signalen zwischen Menschen dargestellt werden.

Der Begriff der Kommunikation ist nicht eindeutig definiert und wird von vielen unterschiedlichen Disziplinen (z.B. Psychologie, Soziologie, Informatik) untersucht. Ihre unterschiedlichen Facetten werden auch im Bereich der Kommunikationswissenschaft, die sich in den Geisteswissenschaften etablierte, untersucht. Doch egal welche Disziplin betrachtet wird, hat Kommunikation immer den Austausch von Signalen zum Ziel (vgl. Schamel 2016:123). Der Verfasser des Buches „Praktische Kommunikation" Prof. Dr. Karl-Heinz Mintken definiert Kommunikation folgendermaßen: „Unter Kommunikation wird im weitesten Sinne jeder Austausch von Signalen (Nachrichten) verstanden, wobei mindestens eine Quelle (Ursprung der Nachricht) und mindestens eine Senke (Ziel der Nachricht) vorhanden sein müssen. Der Austausch kann mit einer bestimmten Absicht verbunden sein oder unbeabsichtigt erfolgen. Es kann sich um eine Kommunikation zwischen technischen Geräten (Datentausch) oder um Kommunikation zwischen Personen handeln"(Mintken 2013:11).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Kommunikationsmodell nach Shannon und Weaver (vgl. Mintken 2013:16)

Der Sender, also die Quelle einer Nachricht, möchte diese an einen Empfänger senden. Dazu kodiert die Quelle die Nachricht, z.B. durch Sprache, der Empfänger muss diese Nachricht dekodieren, um sie zu verstehen. Sender und Empfänger können nur richtig miteinander kommunizieren, wenn der Sender die richtige Kodierung verwendet und der Empfänger auch in der Lage ist, diese zu entschlüsseln. Unterschiedliche Sprachen oder verschieden ausgeprägter Wortschatz erschweren die indirekte Kommunikation oder machen sie unmöglich. Bei der direkten Kommunikation können Gestik und Mimik beim Verstehen einer Nachricht helfen. Es ist zu beachten, dass jeder Sender gleichzeitig auch immer ein Empfänger einer Nachricht ist und andersherum, da Quelle und Senke immer aufeinander reagieren (vgl. Schamel 2016:124).

Der Kommunikationswissenschaftler und Psychotherapeut Paul Watzlawick hat aus diesem Modell heraus fünf Axiome zwischenmenschlicher Kommunikation erstellt. Da sich dieser Teil der Arbeit jedoch hauptsächlich auf die Kommunikation zwischen Mensch und Tier fokussieren soll, werden nur die betreffenden Axiome vorgestellt4.

Das erste und wohl bekannteste Axiom ist „Man kann nicht nicht kommunizieren". Kommunikation findet immer statt, wenn mehr als eine Person in einer Situation ist. Diese Kommunikation erfolgt sowohl bewusst als auch unbewusst. „Handeln und Nichthandeln, Worte und Schweigen haben alle Mitteilungscharakter: Sie beeinflussen andere, und diese anderen können ihrerseits nicht nicht auf diese Kommunikation reagieren und kommunizieren damit selbst" (Watzlawick/Trunk 2011:14). Wenn also beispielsweise zwei Personen im gleichen Raum sind, die eine grüßt und die andere nicht antwortet, findet trotzdem Kommunikation statt. Es stellt sich die Frage, wieso die andere Person nicht auf den Gruß reagiert und es spielt eine Rolle, wie diese Person dabei Gestik und Mimik wirken lässt. Die grüßende Person kann daraus interpretieren, wieso die andere Person nicht auf den Gruß eingeht. Gestik und Mimik spielen auch bei dem nächsten Axiom eine tragende Rolle, nämlich bei der digitalen und analogen Kommunikation. Die gesprochene Sprache wird als digitale Kommunikation verstanden und erfasst Wörter als eine Abstraktion, die eine Abfolge von Zeichen in einer bestimmten Anordnung beinhaltet, mit der z.B. Gegenstände benannt werden können. In der Syntax von festen Regeln der Grammatik können Sätze gebildet und verbal ausgedrückt werden. Die analoge Kommunikation findet ausschließlich über nonverbale Kommunikation statt, in der Mimik, Gestik, Tonfall usw. vom Gegenüber wahrgenommen und interpretiert werden. Der Spielraum für die Interpretation ist groß und somit ist die nonverbale Kommunikation nicht immer klar zu verstehen (vgl. Schamel 2016:128). Watzlawick beschreibt diesen Aspekt wie folgt: „Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler und analoger Modalitäten. Digitale Kommunikationen haben eine komplexe und vielseitige logische Syntax, aber eine auf dem Gebiet der Beziehungen unzulängliche Semantik. Analoge Kommunikationen dagegen besitzen dieses semantische Potenzial, ermangeln aber der für eindeutige Kommunikationen erforderlichen logischen Syntax" (Watzlawick/Trunk 2011:32).

Kommunikation besteht demnach also aus verbalen und nonverbalen Anteilen. Es kann von kongruenten Nachrichten gesprochen werden, wenn sowohl die verbale als auch die nonverbale Kommunikation übereinstimmen. Der Mensch wirkt authentisch und „echt". Stimmen verbale und nonverbale Kommunikation aber nicht überein handelt es sich um inkongruente Nachrichten und die Kommunikationsaspekte sind nicht deckend (vgl. Schamel 2016:131). Inkongruente Kommunikation stiftet Verwirrung beim Empfänger, da die Botschaft nicht eindeutig zugeordnet werden kann. Menschen möchten sich durch diese Art der Kommunikation nicht festlegen oder versuchen etwas zu verschleiern (z.B. Gefühle) (vgl. ebd.:132).

Die analoge Kommunikation wird seit Urzeiten genutzt - Mensch und Tier kommunizierten damals vermutlich so. Die bloße Anwesenheit eines Tieres regt Menschen zu dieser Art der Kommunikation an. Da die analoge Kommunikation auch ohne Hirnrinde genutzt werden kann wirkt sie im Zusammenhang von Intelligenz, Rationalität und Analyse zunächst sehr primitiv, jedoch ist sie ein wichtiger Faktor, wenn es um Beziehungen und empathische Momente geht und sollte deshalb nicht als minder wichtig erachtet werden (vgl. Olbrich 2003:86). Mensch und Tier kommunizieren nonverbal, also analog, und diese Kommunikation ist frei von Ironie, Sarkasmus und Lüge (vgl. Greiffenhagen 1993:152). Genau wie bei zwischenmenschlicher Kommunikation können auch Mensch und Tier nicht nicht kommunizieren. Sobald ein Mensch auf ein Tier trifft und andersherum findet auch zwischen diesen zwei Individuen Kommunikation statt. Die digitale Kommunikation spielt im Zusammensein mit Tieren eine kleine Rolle, da Tiere nun mal nicht wie wir Menschen sprechen können und kein Dialog zustande kommen kann. Die analoge Kommunikation ist viel wichtiger und auch Tiere untereinander kommunizieren hauptsächlich so (vgl. Schamel 2016:132f.). Tiere können dem Menschen helfen die Verbindung von digitaler und analoger Kommunikation zu verbessern und somit inkongruente Nachrichten zu vermeiden (vgl. Olbrich/Otterstedt 2003:87). Damit der Mensch das Tier verstehen kann, muss er lernen, die nonverbalen Signale des Tieres richtig deuten zu können (z.B. die Stellung der Ohren). Im Gegensatz zu Menschen kommunizieren Tiere immer in direkten, situationsbezogenen und kongruenten Nachrichten. Regeln der Grammatik, der Interpunktion usw. sind in dieser Art der Kommunikation unwichtig (vgl. Schamel 2016:134). Während Worte lügen können, kann es die Körpersprache nicht: Der Selbstausdruck ist eine elementare Form der Kommunikation und spiegelt Gefühle und das Innenleben wider. Nähe und Distanz, Bewegungen im Raum, Blickkontakt, Atmung, Gedanken, Haltung, Gestik und Mimik spielen in den Gesamteindruck einer Person ein (vgl. Truckenbrodt/Fiegler 2004:20). Genau das ist es, worauf Tiere instinktiv bzw. intuitiv reagieren, nicht auf verbale Äußerungen, sondern auf die menschliche Stimmung und die innere Befindlichkeit sind ausschlaggebend. Schneider und Vernooij (2018) beschreiben dies so:

„ Tier geben allen Beteiligten die Möglichkeit, sich selbst ehrlicher wahrzunehmen, das eigene Verhalten selbstkritisch zu reflektieren und die Aufmerksamkeit auf die Vorgänge und Prozesse im Inneren zu richten. Aufgrund der Tatsache, dass ein Tier nicht fähig ist, in Kategorien zu denken und die Reaktionen auf das menschliche Verhalten daher immer frei von Vorurteilen, Zuschreibungen und Bewertungen sind, fällt es in der Regel erheblich leichter, durch ein Tier mit den eigenen Unzulänglichkeiten konfrontiert zu werden und diese auch zu akzeptieren. In der Interaktion mit Menschen würde sich dieselbe Person möglicherweise sofort persönlich angegriffen fühlen und eine Verteidigungs-, Abwehr- oder Rechtfertigungshaltung einnehmen. Ebenso, wie Tiere uns schonungslos mit unseren Schwächen, Ängsten und Sorgen, unserer Wut, Aggression und Frustration konfrontieren, spiegeln sie uns allerdings auch sofort jede Veränderung unserer inneren Einstellung" (Schneider/Vernooij 2018:24).

Nach diesem Überblick über die Geschichte zwischen Mensch und Tier, wie sich die Beziehung zwischen den Spezies erklären lässt und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen, wird das folgende Kapitel nun den Stand der Forschung näher darstellen. Da es zur Forschung im Bereich soziale Beschleunigung und den Erfahrungen mit Haustieren keine direkten Studien gibt, versuchen sich die dargestellten Ergebnisse von bereits durchgeführter Untersuchungen und Experimenten in ihrer Auswahl immerhin Aspekte des Forschungsfeldes der hier vorliegenden Arbeit anzunähern.

5. Stand der Forschung zur Heimtierhaltung

Im Bereich der sozialen Beschleunigung gibt es bisher zwar Studien, diese sind aber nicht annähernd mit der Mensch-Tier-Beziehung in Verbindung zu bringen5. Über die Heimtierhaltung und den positiven Effekt von Tieren auf den Menschen gibt es ebenfalls einige Studien, diese sind aber in solch unterschiedlichen Feldern beheimatet, dass es dabei stark zu filtern gilt, welche für den Forschungsgegenstand von Bedeutung sind und welche nicht.

In pädagogischen Studiengängen erfreut sich das Thema der Mensch-Tier-Beziehungen großer Beliebtheit und ist häufig Gegenstand von Abschlussarbeiten. Dabei stoßen die Studierenden allerdings auf das Problem, dass empirisch belastbare Daten Mangelware sind und auch keine theoretischen wissenschaftlichen Analysen als Ausgangspunkt der Arbeit vorhanden sind. Trotzdem halten die Studierenden an dem Projekt rund um das Thema tiergestützte Interventionen, Arbeit etc. fest. Trotz des Aufwandes und großem Fleiß enden die Arbeiten für alle Beteiligten dann in einem unbefriedigenden Ergebnis (siehe dazu Rose 2006) und verweigern sich einem sachlichen Zugriff auf das Thema (vgl. Spies 2012:115f.). Besonders beliebt sind Pferde und Hunde als Gegenstand der Arbeit, da sie ein pädagogisches Kommunikations- und Interventionsmedium darstellen, aber auch fester Bestandteil in sonderpädagogischen und schulpädagogischen Institutionen geworden sind. Außerdem werden sie bevorzugt in erwachsenbildnerischen Bereichen, wie etwa dem Führungskräftetraining, eingesetzt (vgl. ebd.:116). Tiere als Gegenstand der Abschlussarbeit erfordern dabei aber nicht nur Denken im pädagogischen Kontext, sondern eine interdisziplinäre Arbeitsweise, die sich in philosophischen, germanistischen, soziologischen, neurobiologischen usw. Bereichen ausdehnen (vgl. ebd.:119). Das Hauptproblem in der Forschung zur Mensch-Tier-Beziehung besteht darin, dass es keine validen, objektiven und zuverlässigen Messinstrumente gibt, die eine direkte Beziehung von Mensch und Tier messen können (siehe Olbrich/Otterstedt 2003), sondern bisher nur die Wirkung von Tieren auf Menschen untersucht wurde (vgl. Spies 2012:117).

„Die Erforschung der Beziehungen zwischen dem Menschen und seinen Heimtieren begann mit Einzelfallstudien; dieses frühe atheoretische Stadium der Forschung ist bis heute immer noch dominierend; das heißt es existiert ein erhebliches Defizit an einer systematischen, empirischen Erforschung der Zusammenhänge" (Bergler 2009:21).

Bergler sieht in der Planung, Durchführung und Auswertung von Untersuchungen zur Mensch-TierBeziehung außerdem fehlende emotionale Distanz seitens der Forscher_innen, was seiner Meinung nach den größten Risikofaktor für empirisch fundierte Ergebnisse darstellt (vgl. ebd.:21).

Eine Studie von Edenburg und Bouw (1994) zeigt, dass sich Menschen, die bereits von Geburt an mit Tieren aufgewachsen sind, auch später dazu zeigen, sich ein Tier anzuschaffen. Bei der Anschaffung des Heimtieres haben Kellert und Berry 1980 zwölf Merkmale herausgearbeitet, die darüber entscheiden, welches Tier sich angeschafft wird: 1. Ästhetik, 2. Intelligenz, 3. Phylogenetische Verwandtschaft zum Menschen, 4. Größe, 5. Ökonomischer Wert, 6. Erachtete Gefahr dem Menschen gegenüber, 7. Wahrscheinlichkeit von Beschädigung des Eigentums, 8. Kulturelle und historische Bedeutung, 9. Raubtiereigenschaften, 10. Morphologisches Erscheinungsbild, 11. Haut- und Felleigenschaften, 12. Fortbewegung (vgl. Steinkamp 2016:9f.). Kellert und Berry gehen davon aus, dass sich ein Mensch ein Tier anschafft, dass ihm im Verhalten, der Intelligenz, den Lebensumständen und der Kommunikation sehr ähnlich ist und/oder Ähnlichkeiten durch Nachahmung zeigen können („allelomimetisches Verhalten") (siehe auch Plous 1993a; Lagoni et al. 1994).

„Die Annahme von Intelligenz bei dem jeweiligen Tier ist hierbei eher spekulativ zu verstehen und hat einen subjektiven Einfluss auf die Auswahl eines Haustieres. Eine Studie von Eddy/Gallup/Povinelli (1993) unter Studenten der State University New York (Albany) zeigt eine positive Korrelation zwischen der Ähnlichkeit einer Tierart zum Menschen und der Einschätzung kognitiver Fähigkeiten dieser Tierart, beispielsweise der Fähigkeit, sich selbst (im Spiegel) zu erkennen und zwischen beabsichtigten und unbeabsichtigten Handlungen zu unterscheiden " (Steinkamp 2016:10).

Bergler geht davon aus, dass ein Heimtier dazu beitragen sollte, die Grundbedürfnisse seines Besitzers zu befriedigen, dabei bezieht sich die Beziehungsqualität immer auf unterschiedliche MenschTier-Beziehungen, als Mensch zu Hund, Katze, Vogel, Pferd, Fisch usw., und die eine Standardmethode „zur Erhebung aller Formen der Mensch-Tier-Beziehung gibt es nicht" (Bergler 2009:23). In seiner Studie von 2009 kommt Bergler zu folgendem Ergebnis im Bereich der Bedürfnisbefriedigung des/der Besitzer_in von Hunden und Katzen: Freundschaft und Partnerschaft ist demnach mit 80% bei den Katzenhalter_innen und 81% bei den Hundehalter_innen das wichtigste Bedürfnis, dicht gefolgt von der reinen Anwesenheit eines Lebewesens, das die Katzenhalter_innen mit 81% positiv befürworteten. Die Hundehalter_innen hingegen äußerten sich nicht dazu. Die Bedürfnisse mit den niedrigsten Prozentzahlen waren die Hilfe bei der Kindererziehung (43% für die Katzenhalter_innen, 36% bei den Hundehalter_innen) und die Gewinnung von Anerkennung und Prestige, was bei den Katzenhalter_innen gar nicht erwähnt wurde und die Hundehalter_innen dieses Bedürfnis zu 29% positiv bewerteten (siehe ebd.:24). Bei seiner Studie befragte Bergler die Halter aber auch zu den Nachteilen verschiedener Tierarten, dabei wurden folgende Aussagen getroffen: Während Hunde aus hygienischen Aspekten, eingeschränkter Mobilität, eventuelle Gefährdung von anderen (z.B. Kindern), dem Zeitaufwand, finanziellen Belastungen usw. abgelehnt wurden, hatten Katzen im Vergleich die wenigsten Nachteile. Eingeschränkte Mobilität und finanzieller Aufwand wurden ebenso wie beim Hund genannt, aber auch die Beeinträchtigung der Lebensqualität spielten eine Rolle für die Begründung gegen die Anschaffung einer Katze. Fische wurden durch eine geringe emotionale Bindung zur/zum Halter_in abgelehnt, außerdem war für die Befragten der Pflegeaufwand des Aquariums zu hoch. Eine finanzielle Belastung durch die Fischhaltung wurde aber auch bei dieser Tierart genannt. Bei Pferden standen die Geruchs- und Schmutzbelästigung sowie das Krankheitsrisiko (bei Halter_in) an erster Stelle gefolgt von der eingeschränkten Lebensplanung. Einige der befragten Personen sahen zudem im pferdigen Umfeld unbefriedigende Sozialkontakte. Zudem wurden Befürchtungen von Fehlern im Umgang mit dem Pferd erwähnt, finanzielle Belastungen und die Verlustangst, wenn das Tier stirbt oder abgegeben werden muss (siehe ebd.:30). Der Nahrungsmittelkonzern „Mars", der unter anderem Tierfutter herstellt, hat 2013 eine Heimtierstudie durchführen lassen. Zu Beginn der Studie wird ebenfalls bemängelt, dass erst vor der Jahrtausendwende ein Fortschritt im Bereich der Forschung zur Mensch-Tier-Beziehung und damit einhergehenden qualitativ einwandfreien Studien zu verzeichnen ist sowie die Etablierung der „Anthrozoologie" im Rahmen eines akademisch anerkannten Forschungsfeldes (vgl. Welsch 2012:48).

„Zu einer Stärkung des europäischen Forschungsfeldes Mensch-Tier-Beziehung und tiergestützte Interventionen bedarf es sowohl einer vermehrten Anerkennung der wissenschaftlichen Wertigkeit der Thematik als auch mehr Fördermitteln für Hochstandardforschung von z.B. DFG in Deutschland (...) neben der langjährigen Unterstützung durch Mars/Waltham und dem Industrieverband Heimtierbedarf. Es fehlen zurzeit noch entsprechende Studiengänge an Hochschulen und Universitäten, welche dem wissenschaftlichen Nachwuchs das Basiswissen vermitteln und eine gute Einbettung der Studien gewährleisten (...)" (ebd. :51).

Zusammengefasst fand die Mars-Studie anhand repräsentativer Befragungen in Deutschland zu ihren Heimtieren heraus, dass sie eine wichtige Rolle im Leben der Deutschen spielen. Zwei von drei Bürger_innen sind mit mindestens einem Heimtier in ihrer Kindheit aufgewachsen. Sowohl Tierhal- ter_innen als auch Nicht-Tierhalter_innen sind sich außerdem einig, dass Kinder grundsätzlich mit einem Haustier aufwachsen sollten. Tiergestützte Einsätze in Schulen oder Seniorenheimen werden vom Querschnitt der Bevölkerung als interessant wahrgenommen und sie sind offen demgegenüber. Die Mehrheit der Deutschen (69%) würden es begrüßen, wenn pädagogische Institutionen, wie etwa Schulen, ihren Schüler_innen den richtigen Umgang mit Hunden mithilfe von Hundebesuchsdiensten vermitteln würden. 38% der befragten Personen halten tiergestützte Therapien für wichtig. Außerdem schätzen die Deutschen an ihren Heimtieren deren Gesellschaft, den Anreiz zur Bewegung und gemeinsame Freizeitaktivitäten. Auch die Wichtigkeit der Heimtiere in deutschen Haushalten steigen, mehr als die Hälfte der Befragten sieht im Heimtier ein Familienmitglied, dass das Familienleben bereichert. Zudem wir das Sozialleben bereichert meinen 61% der befragten Bürger - Tiere seien wichtig bzw. sehr wichtig für den Kontaktaufbau zu anderen Menschen. Die vielfältigen Leistungen, die Heimtiere erbringen können und deren Nutzen für die Gesellschaft sowie jedes Individuums sollte mehr Anerkennung erfahren, dies meinen drei von vier Deutschen in der Befragung (vgl. ebd.:63).

Weitere erkenntnisreiche Studien führt Andrea Beetz, Expertin auf dem Gebiet der Mensch-TierForschung, an. Soziale Interaktionen können mithilfe von Tieren gefördert werden. Der Kontakt zu Tieren ist einfach und die Anwesenheit eines Tieres vereinfacht auch den Kontakt zu anderen Menschen, Tiere haben demnach die Rolle eines sozialen Katalysators inne. Deutlich wird dies bei Menschen, die sich während eines Spaziergangs begegnen. Hundehalter_innen werden häufiger angesprochen als Menschen, die ohne Tier spazieren gehen, und die Kontaktaufnahme wirkt weniger befremdlich (vgl. Beetz 2019:64). Diese „Eisbrecherfunktion" baut Hemmungen ab (vorausgesetzt die Tiere sehen freundlich aus) und so werden z.B. auch Rollstuhlfahrer freundlicher behandelt, wenn sie einen Assistenzhund dabeihaben (siehe Hart et al. 1987). Wells (2004) stellte bei einer Beobachtungsstudie fest, dass bei diesem Phänomen aber auch die Rasse des Hundes eine Rolle spielt. Im therapeutischen Bereich wurde die Interaktion mit dem/der Psychotherapeut_in stärker, wenn ein Tier mit im Raum anwesend war (siehe Wesley et al. 2009), da Tiere die positive Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Kommunikation und Interaktion fördern (vgl. Beetz 2019:65). Im schulischen Bereich stellte sich heraus, dass Tiere im Klassenraum einen positiven sozialen Austausch zwischen Schüler_innen und auch zwischen Schüler_innen und Lehrer_innen bewirken konnten. Die gegenseitige Aufmerksamkeit war größer, es gab ein besseres Miteinander und eine gute Leh- rer_in-Schüler_in-Beziehung (siehe Hergovich et al. 2002; Kotrschal/Ortbauer 2003).

Des Weiteren haben Tiere laut Beetz eine beruhigende Wirkung auf Menschen. So wurden Untersuchungen gemacht, bei denen zwei verschiedene Situationen beobachtet wurden: einmal eine Situation, bei der bewusst Angst und Stress ausgelöst wurden und einmal Situationen, die in einem entspannten Umfeld stattfanden. Letztere der beiden Situationen ist jedoch schwer nachzuweisen, da sich die Frage stellt, wie ein Tier in einer ruhigen Situation beruhigend wirken soll (siehe Straat- man et al. 1997; Wilson 1991). Trotzdem wurde versucht, solche Situationen zu untersuchen. Beispielsweise wurden Besuche im Krankenhaus und auch im Seniorenheim jeweils mit und ohne Tier gemacht. Bei den Herzinfarktpatienten reduzierte sich die Angst während sie von einer freundlichen Person mit Hund besucht wurden mehr als bei einem freundlichen Besuch ohne Hund (siehe Cole et al. 2007). Die Senioren im Heim wurden durch einen Besuch mit Hund ruhiger, entspannter und die orientierten sich eher an der Person mit und als bei einem Besuch ohne Tier (siehe Crowley- Robinson et al. 1996).

Es wurden aber auch Untersuchungen gemacht, bei denen bewusst Stressoren eingesetzt wurden. In einer Versuchsreihe wurde den Teilnehmerinnen eine Tarantel gezeigt und sie wurden darauf hingewiesen, dass sie diese später in die Hand nehmen sollen. Diese Aussicht lösten Stress und teilweise Angst aus. Anschließend bekamen die Teilnehmerinnen je nach Versuchsgruppe ein Kaninchen, eine Schildkröte, ein Stoffkaninchen oder eine Spielzeugschildkröte vorgesetzt, diese Tiere bzw. Gegenstände konnten gestreichelt oder einfach nur angesehen werden. Die Teilnehmerinnen sollten anschließend anhand einer Angstskala ihr Angstlevel benennen. Es kam heraus, dass sich die Angst bei den Versuchspersonen reduzierte, die ein lebendiges Tier streicheln und ansehen konnten, während bei den unbelebten Dingen keine Verbesserung der Angstempfindung zu erkennen war (siehe Shiloh et al. 2003).

In einer weiteren Untersuchung gab es Patient_innen, die eine Elektrokrampf-Therapie bevorstehen hatten. Verschiedene Versuchsgruppen bekamen vorher beispielsweise die Möglichkeit für 15 Minuten mit einem Tier zu interagieren oder ein Magazin zu lesen. Die Personen, die mit einem Tier in Kontakt kamen, hatten vor der Prozedur der Therapie bis zu 37% weniger Angst als die Personen, die gelesen hatten (siehe Barker et al. 2003).

Es wurden außerdem Kinder unter Stress gesetzt, sie sollten vor fremden Erwachsenen einen Vortrag halten und Kopfrechnen. Nach dieser Stresssituation folgte eine Ruhephase, in der die Kinder in der Anwesenheit eines Hundes deutlich entspannter waren als Kinder, die in der Gegenwart eines Erwachsenen oder Stoffhundes waren (siehe Beetz et al. 2011).

Während in einigen dieser Versuche lediglich die subjektive Empfindung von Stress und Angst anhand von psychologischen Fragebögen und Skalen ermittelt wurde, wurden aber auch objektive, physiologische Messdaten erhoben und somit das Stress- und Angstlevel der Proband_innen nachgewiesen (vgl. Beetz 2019:67f.).

Nachdem ein positiver Effekt von Tieren auf den Menschen im Bereich der beruhigenden Wirkung nachgewiesen werden konnte, liegt nun der Fokus auf der stressreduzierenden Wirkung. Es gibt psychische und physische Bedrohungen, Überforderung, Krankheit, Verletzung oder hohe Anforderungen (beispielsweise in der Schule oder der Universität), die als Stressoren für das Individuum fungieren. Durch Stress werden körpereigene Stresssysteme aktiviert, die den Körper auf eine Kampf-oder-Flucht-Reaktion vorbereiten und dem Körper Energie für die jeweilige Reaktion zur Verfügung stellen (vgl. ebd.:68).

[...]


1 Näheres dazu in Rosa 2005a:71-88.

2 Alle Formen sozialer Entschleunigung nachzulesen in Rosa 2014:47-54.

3 Oxytocin wird auch „Bindungshormon" genannt, es stärkt das Vertrauen und fördert soziale Beziehungen.

4 Komplett nachzulesen in Schamel, M. (2016): Kommunikation in der Mensch-Tier-Beziehung.

5 Auf Nachfrage hin bestätigten dies Hartmut Rosa (soziale Beschleunigung) und auch Andrea Beetz (Expertin für Mensch-Tier-Bezie- hungen).

Excerpt out of 116 pages

Details

Title
Erfahrungen mit Haustieren und soziale Beschleunigung
College
Justus-Liebig-University Giessen
Grade
1
Author
Year
2020
Pages
116
Catalog Number
V1005972
ISBN (eBook)
9783346389565
ISBN (Book)
9783346389572
Language
German
Keywords
erfahrungen, haustieren, beschleunigung, rosa entschleunigung
Quote paper
M.A. Erziehungswissenschaften Melissa Winkler (Author), 2020, Erfahrungen mit Haustieren und soziale Beschleunigung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1005972

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