Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Beschreibung und Verwendung zentraler Begrifflichkeiten
2.1 Sonderpädagogik und sonderpädagogischer Förderbedarf
2.2 Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt
2.3 Lese-Rechtschreibförderung
3 Theoretische Einbettung
3.1 Selbstgesteuertes Lernen
3.2 Konstruktivismus
3.3 Mobile Learning
4 Einsatz digitaler Medien in der Förderschule für geistige Entwicklung
4.1 Mobile Learning und selbstgesteuertes Lernen mit digitalen Medien
4.2 Einsatz von Tablets im Unterricht
4.3 Aktueller Forschungsstand bezüglich der Nutzung und Einfluss- faktoren von digitalen Medien auf Schülerleistungen
5 Analyse des Einsatzes von Tablets in der Förderschule
5.1 Möglichkeiten derLese-Rechtschreibförderung
5.2 Grenzen des Einsatzes und der Förderung
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang: Medienkonzept Förderschule
1 Einleitung
ln unserer Gesellschaft sind die Fähigkeiten zur verbalen Kommunikation sowie das Lesen und Schreiben wichtige Kulturtechniken, welche notwendige Fähigkeiten zur sozialen Interaktion und Fähigkeiten der sozialen Teilhabe beinhalten. Aus diesem Grund werden in allen Schulformen sowohl die Sprach- als auch die Lese-Rechtschreibfertigkeiten der Schülerinnen gefördert. Für Jugendliche bedeutet dies vor allem, sich Wissen anzueignen und Gestaltungsformen und Techniken zu übernehmen, um perspektivisch eine berufliche Handlungsfähigkeitzu erlangen (vgl. BMFSFJ, 2017, S. 100). Hinzu kommt, dass die Kinder und Jugendlichen durch die Technologisierung und den gesellschaftlichen Wandel inzwischen von klein auf von digitalen Medien wie Smartphones, Tablets und Computern umgeben sind. Neben der Förderung der Kulturtechniken gehört es deshalb außerdem zu den Kernaufgaben von Schulen, die Heranwachsenden zu einem produktiven und kreativen, aber auch zu einem selbstbestimmten und kritischen Umgang mit digitalen Medien zu befähigen (vgl. Ebel, 2015, S. 13). Hierbei stellt sich nicht nur die Frage, wie das in den schulischen Unterrichtsalltag sämtlicher Schulformen eingebunden werden kann, sondern auch die Frage, welches pädagogische Potenzial digitale Medien für das schulische Lehren und Lernen im Sinne einer individuellen Förderung bieten können (vgl. ebd.).
Im Schuljahr 2014/15 ermittelte die Schulstatistik der Kultusministerkonferenz (KMK), dass in Deutschland insgesamt etwa 508.000 also knapp 7 Prozent aller Schülerinnen eine gezielte sonderpädagogische Förderung erhielten. Von diesen 7 Prozent besuchten circa 4,6 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf spezielle Förderschulen (vgl. BMFSFJ, 2017, S. 159-160). Im Gesetz über die Schulen im Land Brandenburg (BbgSchuIG) Teil 3, Abschnitt 6, § 30 (4) ist bspw. geregelt, dass sich die Förderschulen auf die unterschiedlichen Förderschwerpunkte Lernen, emotionale und soziale Entwicklung, Sprache, körperliche und motorische Entwicklung, Sehen, Hören, geistige Entwicklung und Kranke spezialisieren.
In den Schulen mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt geistige Entwicklung sind die Jugendlichen bedingt durch ihre unterschiedlichen Beeinträchtigungen häufig auf dem Wissensstand von Kita- und Grundschulkindern, jedoch im Körper eines Teenagers (14-18 Jahre). Zwischenmenschliche Kontaktaufnahme und Austausch innerhalb der Peergroups wird für sie zunehmend wichtiger. Deshalb entwickeln viele der Schülerinnen großes Interesse an digitalen Medien und deren Möglichkeiten der Interaktion. Laut JIM-Studie ist im Jahr 2018 für 16- jährige Jugendliche WhatsApp mit 95 Prozent die wichtigste App zur Kommunikation untereinander (vgl. MPFS, 2018, S. 38). Aus motivationstheoretischer Sicht kann dieses Interesse für die Lese-Rechtschreibförderung aufgegriffen werden. Dabei sollte den Schülerinnen mit digitalen Medien ein Medium zur Verfügung gestellt werden, welches sie interessiert und bei welchem sie intrinsisch motiviert sind, selbstgesteuert neue Fähigkeiten zu erwerben und sich Wissen anzueignen, das ihrem persönlichem Lernstand, gekoppelt mit ihrem biologischen Alter, entspricht.
Die vorliegende Arbeit untersucht deshalb die Möglichkeiten der Lese- Rechtschreib-Förderung von Jugendlichen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung in einer speziellen Förderschule durch Zuhilfenahme von Tablets. Die Forschungsfrage dieser Arbeit lautet somit: Inwiefern können Lese-Rechtschreibfertigkeiten von Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf unter Einbeziehung des selbstgesteuerten Lernens mithilfe von Tablets gefördert werden?
Im nachfolgenden Teil der Arbeit werden zunächst zentrale Begrifflichkeiten erläutert, bevor im anschließenden dritten Kapitel eine theoretische Einbettung in die konstruktivistische Lerntheorie und in die Konzepte des selbstgesteuerten Lernens und des Mobile Learnings erfolgt. Daraufhin wird im Kapitel 4 der Einsatz digitaler Medien in der Förderschule für geistige Entwicklung in Bezug auf die Lese-Rechtschreibförderung vorgestellt und anschließend im Kapitel 5 hinsichtlich seiner Möglichkeiten und Grenzen analysiert. Das abschließende Fazit enthält die wichtigsten Erkenntnisse und die Beantwortung der eingangs aufgestellten Forschungsfrage.
2 Beschreibung und Verwendung zentraler Begriffe
Für den in dieser Arbeit angesprochenen Bildungsbereich erfolgte in den letzten Jahren durch politisch bewusst veränderte Sprache ein Wandel innerhalb der Begrifflichkeiten. Diese Arbeit wird unter Verwendung der aktuellen Begriffe verfasst. Deshalb werden in dem folgenden Kapitel die Begriffe Sonderpädagogik und sonderpädagogischer Förderbedarf, Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt und Lese-Rechtschreibförderung näher erläutert.
2.1 Sonderpädagogik und sonderpädagogischer Förderbedarf
Die Sonderpädagogik als Wissenschaft beschäftigt sich mit der schulischen Förderung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichen Förderbedarfen. Deshalb ist sie in verschiedene Bereiche ausdifferenziert wie beispielsweise Lernbehindertenpädagogik, Geistigbehindertenpädagogik, Blindenpädagogik, Gehörlosenpädagogik oder Sprachheilpädagogik. Sie entstand ursprünglich als Sonderschulpädagogik mit der Etablierung von Sonderschulen. Die an diesen Schulen unterrichtenden Lehrkräfte (Sonder- oder Förderpädagogen) sind auf die verschiedenen Bereiche spezialisiert, um die Schülerinnen bestmöglich fördern zu können. Ziel der Förderung ist es, den Kindern und Jugendlichen ein großes Maß an gesellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen, denn eine Behinderung hängt auch davon ab, wie jemandem die Teilhabe an der Gemeinschaft mit anderen ermöglicht wird bzw. inwieweit derjenige eine persönliche und/oder materielle Unterstützung erfährt (vgl. Fornefeld, 2013, S. 59).
Um diese Förderung individuell und optimal zu gestalten, werden zunächst die vorhandenen Beeinträchtigungen der Kinder von Fachpersonal diagnostiziert und anhand dieser Diagnose ihr sonderpädagogischer Förderbedarf ermittelt. Dabei bestimmen laut KMK der „individuelle Entwicklungsstand, Ergebnisse der bisherigen Förderung, weitere Funktionsbeeinträchtigungen und nicht zuletzt Gegebenheiten des Umfeldes“ (ebd., 1998, Abs. 2) den individuellen Förder-bedarf des jeweiligen Kindes. Hat ein brandenburgisches Kind beispielsweise einen IQ von unter 70, wird es mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt geistige Entwicklung diagnostiziert. Bei einem anschließenden Feststellungsverfahren gemäß der Sonderpädagogikverordnung (SopV) Abschnitt 3, § 3 bei welchem der Förderausschuss (ebd., § 4) erfolgt, wird unter Berücksichtigung des Elternwunsches von dem staatlichen Schulamt eine Bildungsempfehlung ausgesprochen (vgl. ebd., § 5; vgl. KMK, 1998, Abs. 3.2), welche zumeist die Schulwahlempfehlung für eine Schule mit dem sonderpädagogischen Förderbedarf „geistige Entwicklung“ beinhaltet.
2.2 Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt
Bei einer Schule mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt handelt es sich um eine Schule für Schülerinnen mit Förderschwerpunkten wie Lernen, emotionale und soziale Entwicklung, sprachliche Entwicklung, körperliche und motorische Entwicklung, Sehen, Hören, geistige Entwicklung und Autismus. Kennzeichen dieser Schulform ist es, dass Kinder und Jugendliche je nach ihrem diagnostiziertem Förderschwerpunkt separiert unterrichtet werden, womit man den besonderen Bedürfnissen dieser Schülerinnen besonders gerecht werden und sie gezielt diesen individuellen Bedürfnissen entsprechend fördern möchte. Je nach Förderschwerpunkt werden sie von Lehrkräften mit Spezialausbildung wie Sonderpädagogik unterrichtet.
Bereits Anfang der 1970 Jahre erhielten Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in der Bundesrepublik Deutschland ein Bildungsangebot, welches nahezu ausschließlich in so genannten Hilfsschulen stattfand (vgl. Gebhardt & Heimlich, 2018, S. 1242). Aktuell werden diese Schulen, bedingt durch die Kulturhoheit der Länder, unterschiedlich benannt. Die Begriffe reichen von Sonderschule über Förderzentrum bis hin zu Schule mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt. Im Zuge der Inklusion soll diese Separierung deutschlandweit aufgehoben werden, um die Vielfältigkeit aller Schülerinnen wertzuschätzen und ein gemeinsames Lernen zu ermöglichen. Das Schulsystem soll dahingehend verändert werden, dass alle Kinder und Jugendlichen an Bildungsangeboten in allgemeinen Bildungseinrichtungen teilhaben können (vgl. ebd., S. 1242) und in so genannte inklusive Schulen, Inklusionsschulen oder Schulen für alle unterrichtet werden.
2.2 Lese-Rechtschreibförderung
Nicht (gut) Lesen und Schreiben zu können ist nicht nur ein gravierendes Problem innerhalb der Gesellschaft, sondern es ist gleichzeitig mit vielen Einschränkungen im persönlichen Alltag verbunden (vgl. Mand, 2008, S. 7). Aus diesem Grund besteht auch innerhalb der bildungspolitischen Debatte Einigkeit darüber, dass alles getan werden muss, um die Anzahl von Schülerinnen mit gravierenden Lese-Rechtschreibproblemen sinken zu lassen (ebd., S. 8). Das soll mithilfe gezielter Lese-Rechtschreibförderung erreicht werden. Adressaten sind neben Schülerinnen mit schwachen LeseRechtschreibleistungen auch Schülerinnen mit einer diagnostizierten LeseRechtschreibschwäche, Lernstörungen oder sonstigen kognitiven Beeinträchtigungen.
Für die Förderung der Lese-Rechtschreibkompetenzen liegen mittlerweile mehrere unterschiedliche Konzeptionen und Programme vor. Grundlage für die Einordnung des hier verwendeten Kompetenzbegriffs ist die Definition nach Weinert (vgl. Bertschi-Kaufmann, 2008, S. 14). So teilt ein Ansatz des Stufenlernens die Fortschritte im Lesen- und Schreibenlernen in die aufeinanderfolgenden Stufen der logographischen Phase (Identifizierung von Wörtern aufgrund spezieller Merkmale), der alphabetischen Phase (Umsetzung der Buchstaben eines Wortes in Laute) und der orthographischen Phase (Kennen von orthographischen Besonderheiten von Wörtern) (vgl. Tacke, 2007, S. 506). Valentin unterteilt sowohl das Lesen- als auch das Schreibenlernen feingliedriger in 6 Stufen (vgl. Mand, 2008, S. 15).
Laut Tacke vermitteln die Stufentheorien jedoch das Bild, dass jeder Mensch mit genügend Zeit auf der höchsten Stufe ankommt. Doch dem ist nicht so. So darf man bereits bei Kindern mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt Lernen nicht mehr von der Annahme ausgehen, dass sich ein typischer Verlauf der Lese-Rechtschreibentwicklung nachweisen lässt (vgl. ebd., 2007, S. 61). Deshalb gehen Klicpera und Gasteiger-Klicpera in Abgrenzung zu den Stufenmodellen in ihrem Modell davon aus, dass sich „die Lesekompetenz aus der Interaktion zwischen den individuellen Lernvoraussetzungen der Schüler und der Art des Leseunterrichts“ (zitiert in Tacke, 2007, S. 506) entwickelt. Um in diesem Sinne die Lese-Rechtschreibkompetenzen der Schülerinnen gezielt fördern zu können, ist es zunächst unabdingbar, genau festzustellen, an welcher Stelle der Lese- und Schreibentwicklung sich der Lernende gerade befindet (vgl. Mand, 2008, S. 62). Außerdem gilt es, die aktuelle Lesemotivation und die Interessen und Vorlieben bzw. Leseabsichten des Lernenden zu beachten, denn Lesen als „Textverstehen verlangt kognitive Leistungen, motivationale und emotionale Beteiligung“ (Hurrelmann, 2002, S. 277). Dabei kann der Lernende gerade im Hinblick auf das Lesen intrinsisch motiviert sein, weil er das Thema des Textes interessant findet (vgl. Artel, 2005, S.19). Ebenso verhält es sich mit dem Schreiben. Zusätzlich lässt sich anmerken, dass nach der self-teaching-hypothesis (vgl. Share, 1995, zitiert in Ricketts et. al., 2011, S. 48) das Lesen allmählich dazu führt, dass die im Text vorkommenden Wörter mit ihrer Rechtschreibung im Langzeitgedächtnis bzw. „im inneren Lexikon“ (Scheerer-Neumann, 2006, S. 16) abgespeichertwerden. Gegen diese Hypothese spricht hingegen, dass die Aufmerksamkeit vermehrt auf den Inhalt des Textes und nicht auf die Schreibung der Wörter gerichtet ist (LISUM, 2014, S. 25).
Bezugnehmend auf die individuellen Lernvoraussetzungen muss speziell für jede*n Schülerin ein entsprechender Lese-Rechtschreib-Förderunterricht entwickelt werden. So gibt es bspw. auf der Ebene des Wortlesens nach aktuellem Forschungsstand drei Möglichkeiten: „der direkte visuelle Zugang über eine Aktivationsausbreitung für Wörter, die bereits im Lexikon gespeichert sind, der indirekte Zugang über das phonologische System sowie für neue und komplexe Wörter ein Zugang über die morphologische Struktur“ (Christmann & Groeben, 1999, S. 151), welche den Lernern als unterschiedliche Übungsangebote vorgeschlagen werden können. Hierbei sind laut Tacke die vier übergreifenden Ansätze ganzheitlicher Unterricht, Spracherfahrungs- ansatz, synthetische Vorgehen und Methodenintegration für das Lesenlernen von besonderer Bedeutung (vgl. ebd., 2007, S. 506).
3 Theoretische Einbettung
Ausgehend davon, dass das Lernen als ein aktiver, selbstgesteuerter, konstruktiver, emotionaler, situativer und sozialer Prozess und nicht als eine passive Prägung verstanden wird (vgl. Renkl, 2018, S. 932), werden im folgenden Kapitel der Ansatz des selbstgesteuerten Lernens und die konstruktivistische Lerntheorie näher betrachtet. Und da sich diese Arbeit speziell mit dem Einsatz digitaler Medien beschäftigt, wird daran anschließend das didaktische Konzept des E-Learnings vorgestellt.
3.1 Selbstgesteuertes Lernen
Das Lernen unterliegt vielen Einflüssen. Einer dieser Einflüsse ist die interne Steuerung innerhalb des Lernenden. Diese interne Steuerung wird häufig als selbstgesteuertes Lernen bzw. synonym als autonomes, selbstbestimmtes, selbstorganisiertes oder autodidaktisches Lernen bezeichnet (vgl. Reinmann & Mandl, 2006, S. 645). Laut Kerres und de Witt rückten seit den den 1990er Jahren Ansätze in den Vordergrund, die diese „individuellen und sozialen Aktivitäten der Lernenden betonten, die Selbststeuerung des Lernprozesses ebenso wie den sozialen Kontext des Lernens“ (ebd., 2002, S.13).
Als Voraussetzung für das selbstgesteuerte Lernen müssen vom Lernenden überhaupt erst einmal seine möglichen Spielräume wahrgenommen werden, um ihm das Festlegen von Zielen, Zeiten oder Methoden zu ermöglichen (vgl. Weinert, 1982, S. 102). Hat der Lernende diese Spielräume erkannt, gilt es, selbst Entscheidungen bezüglich des Wissenserwerbs zu treffen. So bezieht sich das Prinzip der Selbststeuerung demzufolge „auf das didaktische Entscheidungsfeld, also auf die steuerbaren praktischen Operationen. Zu diesen zählen die Steuerung von Lernzielen, Lerninhalten, Lernzeiten, Lernmethoden, Lernmedien und Lernorten“ (Walber, 2005, S. 103). Laut Walber finden Entstehensprozesse von Wissen immer nach dem Prinzip der Selbstorganisation statt (vgl. ebd.). Hierbei werden die Lernenden zum Subjekt ihres selbstgesteuerten Lernprozesses. Die Lehrpersonen stehen ihnen dabei lediglich als Prozessinitiatoren, Beobachter, Bildungsbegleiter oder Berater zur Seite.
Diese Fähigkeiten zum selbstregulierten Lernen sind für Götz, Frenzel und Pekrun „Kernkompetenzen zur Realisierung autonomen und mündigen Lebens“ (ebd., 2018, S. 79), welche als bereichsübergreifende Kompetenzen gelten. Im Sinne von Schlüsselqualifikationen haben sie somit „eine zentrale Bedeutung für die selbstständige Planung, Überwachung und Steuerung von Handlungen und somit für Bildungsprodukte“ (ebd.).
3.2 Konstruktivismus
Die Lerntheorien mit konstruktivistischen Grundlagen sind zentral für den didaktischen Einsatz von digitalen Medien in Schulen (vgl. Süss, Lampert, & Trültzsch-Wijnen, 2018, S. 169). Hierbei wird angenommen, dass Wissen auf der Basis von Information aus der Umwelt vom Lerner aktiv konstruiert wird, also Lernende anhand von Sinneseindrücken eine subjektive Realität erzeugen (vgl. Höhne, 2017, o.S.), welche stark von den individuellen Vorerfahrungen der unterschiedlichen Lerner abhängig ist. Die Theorie des Konstruktivismus beschreibt demnach das Lernen als einen aktiven Konstruktionsprozess. Diese Sichtweise wurde bereits von Piaget und Wygotski vertreten und wird durch neue Erkenntnisse in der Hirnforschungen bekräftigt (vgl. Tippelt & Schmidt-Herta, 2018, S. 82). Aus diesem Grund steht nach Edelmann und Wittmann in konstruktivistischen Konzepten der aktiv Lernende, welcher relativ selbstständig das Lerngeschehen steuert, im Mittelpunkt (vgl. ebd., 2000, S. 287). Deshalb legen konstruktivistisch Modelle nahe, dass die Lernumgebungen derart zu gestalten sind, dass aktive Konstruktionsprozesse beim Lernenden angeregt und unterstützt werden (vgl. Tippelt & Schmidt-Herta, 2018, S. 82), bzw. dass für den Lernenden „eigene Konstruktionsleistungen möglich sind und kontextgebunden gelernt weden kann“ (Reinmann & Mandl, 2006, S. 626). Hierfür eignet sich besonders eine Lernumgebung, in welcher das Vorwissen, die Vorerfahrungen, die Einstellungen sowie die Interessen und die Denkstile des Lernenden eingebunden und genutzt werden (vgl. Götz, Frenzel, & Pekrun, 2018, S. 82). So besteht beim Konstruktivismus „die Aufgabe einer Lehrperson nicht darin, Wissen zu vermitteln, sondern die Lernenden durch ein ausgewogenes Maß an Instruktion in ihrem individuellen Lernprozess zu unterstützen“ (Höhne, 2017, o.S.). Für diese Unterstützung des Lernenden und die Umsetzung des konstruktivistischen Ansatzes eröffnen digitalen Medien vielfältige Möglichkeiten (vgl. Süss, Lampert, & Trültzsch-Wijnen, 2018, S. 171). So betrachten mehrere Ansätze, die dem Konstruktivismus nahestehen, „die neuen Kommunikations- und Informationstechniken als besonders gut geeignete Möglichkeiten zur Verbesserung des Lehrens und Lernens“ (zitiert in Reinmann & Mandl, 2006, S. 629).
3.3 Mobile Learning
Laut Rosier handelt es sich beim Mobile Learning um ein Lernen mit mobilen Endgeräten, das unabhängig von Ort und Zeit möglich ist (vgl. ebd., 2012, S. 62). Hierzu können auch Lernorte genutzt werden, die keinen Bezug zum Lerninhalt haben. Im Gegensatz zu anderen E-Learning Anwendungen wurden mobile Endgeräte deshalb speziell für den Einsatz unterwegs entwickelt und zeichnen sich bspw. durch eine eigene Stromversorgung, einen kleineren Bildschirm und einen geringeren Speicherplatz aus. Im Sinne von de Witt und Gloerfeld wird mobiles Lernen auch als ein pädagogisch motivierter und personalisierter Prozess betrachtet, der von den Lehrenden zum Teil mitgestaltet wird und bei welchem die Lernenden mithilfe eigener mobiler Endgeräte in Interaktionen treten und nachhaltig Wissen generieren können (vgl. ebd., 2018, S. 257). In der vorliegenden Arbeit werden diese mobilen Lernprozesse unter Verwendung von Tablets als mobile Endgeräte untersucht.
4 Einsatz digitaler Medien in der Förderschule für geistige Entwicklung
Laut Klafki sollte bei der Unterrichtsdidaktik ein Einsatz unterschiedlicher Medien auf allen Ebenen der Ziel-, Inhalts- und Methodenentscheidungen berücksichtigt werden, da verschiedene Medien auch unterschiedliche Zugangsweisen zu einem Thema ermöglichen (vgl. ebd., 2007, S. 131). Inzwischen empfiehlt auch die Kultusministerkonferenz den Einsatz von Medien in der Schule. Für sie versteht sich schulische Medienbildung „als dauerhafter, pädagogisch strukturierter und begleiteter Prozess der konstruktiven und kritischen Auseinandersetzung mit der Medienwelt“ (KMK, 2012, S. 3). Dabei sollen die Schülerinnen ihre Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die ein sachgerechtes, selbstbestimmtes, kreatives und sozial verantwortliches Handeln in der medial geprägten Lebenswelt ermöglichen, fortlaufend erweitern (vgl. ebd.). So zielt nach Stadermann und Schulz-Zander der Einsatz digitaler Medien im Unterricht ebenso auf die Förderung überfachlicher Kompetenzen in den Bereichen Selbststeuerung, Kooperation, Kommunikation und auf Problemlösestrategien (vgl. ebd., 2012, S. 51).
Diese Empfehlungen gelten übergreifend für alle Schulformen. Im Rahmenlehrplan für Schülerinnen und Schüler mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“ ist im Leitthema 5 „Der mobile Mensch“ unter dem Punkt „Kommunikationsmedien“ festgehalten, dass sowohl die Handhabung als auch die Bedienung von Medien als Möglichkeit verstanden wird, um Alltagssituationen bewältigen und Entfernungen überbrücken zu können (vgl. MBJS, 2011, S. 26). Aus diesem Grund hat bspw. die Exin Förderschule das Thema digitale Medien in ihrem 2017 entwickelten Medienkonzept aufgegriffen und speziell aufgegliedert (siehe Anlage).
4.1 Mobile Learning und selbstgesteuertes Lernen mit digitalen Medien
In der Förderschule für geistige Entwicklung liegt auf der individuellen Förderung der Schülerinnen das Hauptaugenmerk des Lehrkörpers. Laut dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport zielt eine individuelle Förderung auf die „zunehmende Selbststeuerung des Lernens, setzt voraus, dass die dafür nötigen Fähigkeiten vermittelt werden, und knüpft stets an die Stärken der Schülerin, des Schülers an“ (MBJS, 2011, S. 10). Die Frage ist jedoch, inwiefern bei der Zielgruppe Menschen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung die Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen als Grundlage vorausgesetzt werden kann. Außerdem zählt zu den grundlegenden Erkenntnissen der Lernpsychologie, „dass ein Lernerfolg ganz wesentlich davon abhängt, ob die Aktivierung bestimmter Lernprozesse gelingt. Dabei kann das Medium diese Lernprozesse anregen, sie aber sicherzustellen ist die Forderung an eine Lernaufgabe“ (Kerres, de Witt, & Stratmann, 2002, S. 10). Nach Kleinbub liegt Aktivierung dann vor, wenn nicht „die Lehrperson diejenige mit dem höchsten Aktionspotenzial ist“ (2010, S. 164), sondern die Aufgabe den „Lerner als Akteure in den Mittelpunkt rückt“ (ebd.). Hier ist es die Aufgabe der Lehrkräfte im Sinne der Schülerinnen für sie passende Lernaufgaben aus der Masse herauszufiltern, aus welchen die Jugendlichen anschließend selbst auswählen können, welche Aufgaben sie wann und in welcher Reihenfolge bearbeiten möchten.
Gemachte Fehler werden dabei von der App aufgezeigt, und können vom Lernenden selbst berichtigt werden. Dies ist laut Aebli besonders günstig, da gemachte Fehler möglichst sofort verbessert werden sollten, weil sich seiner Meinung nach nur die sofortige Verbesserung leistungssteigernd auswirkt (vgl. ebd., 2001, S. 340). Mithilfe von Datendistributions-Apps kann die Lehrkraft die Lernvorgänge der Schülerinnen nachverfolgen und die Lernaufgaben im Sinne von individuell abgestimmten Förderprogrammen jederzeit anpassen (vgl. Aufenanger, 2017, S. 26), wobei die Lernenden im Sinne des selbstgesteuerten Lernens in die Abstimmung mit einbezogen werden.
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