Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Schätzung der erwarteten Rendite
2.1 Erwartete Renditen in der Portfoliotheorie
2.2 Überblick über Schätzansätze
2.3 Schätzproblematik und Motivation des Lösungsansatzes
3 Charakteristikabasierte Modelle
3.1 Ansatz von Lyle, Callen und Elliot (2013)
3.1.1 Modell
3.1.2 Empirische Untersuchung
3.2 Ansatz von Lyle und Wang (2015)
3.2.1 Modell
3.2.2 Empirische Untersuchung
3.3 Ansatz von Wang (2018)
3.3.1 Modell
3.3.2 Empirische Untersuchung
4 Diskussion
5 Zusammenfassung und Ausblick
Anhang
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Wenn Kapital am Finanzmarkt angelegt wird, ist die erwartete Rendite, eine der Hauptkriterien nach denen entschieden wird, ob ein Investment getätigt werden sollte oder nicht. Vor allem in der von Harry Markowitz 1952 entwickelten modernen Portfoliotheorie ist die erwartete Rendite, beispielsweise in der Portfoliooptimierung, von grundlegender Bedeutung. Eine möglichst genaue Bestimmung dieser Größe ist daher essenziell; denn Abweichungen von erwarteten Renditen zu realisierten Renditen in der Zukunft können eine Portfoliozusammensetzung signifikant negativ beeinflussen und somit zu ineffizienten Portfolios und Verlusten führen.
Allerdings liegt bei der Bestimmung der erwarteten Rendite auch ein grundlegendes Problem in der Wissenschaft. Die Schwierigkeit diesbezüglich liegt nicht nur in der Frage, auf welche Art und Weise die erwartete Rendite als nicht beobachtbare Größe geschätzt werden kann, sondern auch in den Fragen wie und vor allem welche Faktoren die Renditen in der Zukunft beeinflussen können.1 Die Suche nach diesen Faktoren ist der zentrale Forschungsgegenstand zahlreicher Arbeiten, wie beispielsweise Green et al. (2017), welche in dem amerikanischen Kapitalmarkt 94 herkömmliche Unternehmenscharakteristiken auf einen unabhängigen Zusammenhang mit den entsprechenden monatlichen Renditen untersuchten.
In der Literatur gibt es diesbezüglich unterschiedliche Ansätze mit dem Ziel, Renditen auf Basis verfügbarer Informationen möglichst genau zu prognostizieren. Im Vergleich zu früher, wo Zeitreihenschätzer und lineare (multi-) Faktorenmodelle benutzt wurden, präferieren Wissenschaftler*innen heutzutage vermehrt Modelle, die auf grundlegenden und zum aktuellen Zeitpunkt verfügbaren Informationen von Unternehmen, sogenannten Fundamentaldaten, basieren.2 Diese Ansätze werden in der Literatur auch charakteristikabasierte Modelle genannt.
Diese Bachelorarbeit leistet einen Beitrag zu der Vorstellung ausgewählter charakteristikabasierter Modelle für die Schätzung erwarteter Renditen und erörtert die Gründe für die getroffenen Annahmen und die gewählte Struktur hinter diesen Modellen. Des Weiteren beschreibt diese Arbeit entsprechende empirische Untersuchungen bezüglich der Schätzgüte im Vergleich zu herkömmlich genutzten Schätzern, um dann abschließend die vorgestellten Modelle auf Vorteile und Nachteile zu untersuchen.
Der Aufbau dieser Arbeit gliedert sich wie folgt: Das Kapitel 2 schafft zunächst einen allgemeinen Überblick über die Schätzung von erwarteten Renditen und deren Bedeutung in der Finanzierungswissenschaft, speziell in der modernen Portfoliotheorie. Außerdem verdeutlicht es die Motivation hinter der Entwicklung neuer Schätzmodelle auf der Basis von Fundamentaldaten. Das Kapitel 3 ist das Kernstück dieser Arbeit. Hier werden zunächst drei ausgewählte charakteristikabasierte Modelle vorgestellt, welche dann im Laufe des Kapitels in empirischen Untersuchungen dargestellt und erläutert werden. Dabei wird vor allem der Vergleich zu herkömmlichen Schätzern, wie dem CAPM oder dem Dreifaktorenmodell von Fama und French, gezogen. Im Kapitel 4 werden dann die vorgestellten Modelle im Hinblick auf Vorteile und Nachteile miteinander verglichen und diskutiert. Das fünfte und letzte Kapitel der Arbeit schließt mit einem Fazit ab und gibt einen kurzen Ausblick über zukünftige Ansätze und Perspektiven.
2 Schätzung der erwarteten Rendite
Das vorliegende Kapitel beschäftigt sich mit den Grundlagen und der Relevanz der erwarteten Rendite in der Finanzierungslehre. Der erste Teil verdeutlicht zunächst den Stellenwert der erwarteten Rendite in der Portfoliotheorie (2.1). Der nächste Abschnitt schafft dann einen kurzen Überblick über verschiedene Schätzansätze (2.2), wobei dort das Residual Income Modell (RIM) von Ohlson (1995) vertiefend betrachtet wird, um dann im letzten Teil die Problematik von herkömmlichen Schätzern zu erklären und die Motivation hinter dem Trend zu charakteristabasierten Ansätzen darzulegen (2.3).
2.1 Erwartete Renditen in der Portfoliotheorie
Die von Markowitz im Jahr 1952 entwickelte Portfoliotheorie beschreibt ein Konzept zur Optimierung von Portfolios, welches noch heute von Relevanz ist. Dabei werden die einzelnen Assets nicht mehr ausschließlich nach der Höhe der jeweiligen erwarteten Rendite ausgewählt, sondern in einem Portfolio mit dem für den Anleger optimalen Gesamtverhältnis der Assets von Profitabilität zum Risiko.3 Die erwartete Rendite steht dabei für die Profitabilität und kann aus der durchschnittlichen Rendite der einzelnen Assets beschrieben werden.4 Die Varianz hingegen steht für das entsprechende Risiko und wird dabei aus den gewichteten Einzelvarianzen und der Kovarianz zwischen den entsprechenden Assets beschrieben. Unter der Annahme, dass die Auswahl eines Portfolios nach nicht korrelierenden Assets getroffen wurde, kann somit die Varianz des Portfolios signifikant reduziert werden. Dieser Diversifikationseffekt ist dabei eine grundlegende Erkenntnis von Markowitz, wobei das Risiko eines Assets in zwei Arten unterteilt werden kann. Einerseits kann das unsystematische Risiko, also das Risiko auf Unternehmensebene, durch eine hinreichend große Anzahl an Assets im Portfolio minimiert werden und andererseits kann das systematische Risiko, also das Risiko auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene, jedoch nur zum Teil diversifiziert werden.5 Unter der Bedingung, dass die erwarteten Renditen und die entsprechenden Varianzen ermittelt wurden, kann in der Theorie somit jeder Investor individuell entscheiden, wieviel Rendite er für Sicherheit aufgeben will. Diese Beziehung ist in dem von William F. Sharpe (1964), John Lintner (1965) und Jan Mossin (1966) aufgestellten Capital Asset Pricing Modell (CAPM) dargestellt worden. Allerdings ist eine möglichst genaue Schätzung der erwarteten Rendite, welche das Risiko am Markt mit einbezieht, von essenzieller Bedeutung und der einzige Weg die Effizienz von Portfolios zu steigern.
2.2 Überblick über Schätzansätze
In der Literatur gibt es eine große Anzahl von verschiedenen Schätzansätzen für die erwartete Rendite. Vor allem wurden in der Vergangenheit Zeitreihenschätzer benutzt, um die erwartete Rendite aus dem arithmetischen Mittel vergangener Renditen zu berechnen. Der Vorteil dieser Anwendung liegt vor allem in der Einfachheit des Ansatzes. Mit der Zeit wurden jedoch Schätzansätze immer beliebter, die auf zum Schätzzeitpunkt aktuelle Informationen zurückgreifen. Dabei kann zwischen beobachtbaren Informationen, also realisierten Daten, wie vergangene Gewinne, und nicht beobachtbaren Informationen, also von Analysten geschätzte Informationen, wie beispielsweise Gewinnschätzungen oder Dividendenschätzungen, unterschieden werden.6
Faktorenmodelle basieren auf der Annahme, dass die erwartete Rendite anhand von wenigen Faktoren erklärt und geschätzt werden kann. Diese Annahmen resultieren jedoch nicht aus Ableitungen von theoretischen Modellen, sondern basieren alleine auf den Resultaten empirischer Untersuchungen, wobei Zusammenhänge zwischen realisierten Renditen und verschiedenen Faktoren beobachtet wurden.7 Banz (1981) beispielswiese prägte dabei den „Size Effekt“, welcher impliziert, dass kleine Unternehmen im Durchschnitt höhere Renditen erwirtschaften als größere Unternehmen. Dies resultiert aus der Tatsache, dass die Größe eines Unternehmens als Risikofaktor im Sinne der Markteffizienzhypothese gesehen werden kann, wobei kleine Unternehmen durch eine geringere Anzahl von Information ein höheres Risiko bergen.8 Vor allem der positive Zusammenhang vom Buchwert-Kurswert-Verhältnis (BKV) und der Rendite vom Eigenkapital, der sogenannte „Value Effekt“, ist dabei von grundlegender Relevanz, da dieser Effekt unabhängig von dem Untersuchungszeitraum und der Auswahl des Kapitalmarktes bewiesen wurde. Chan et al. (1991) zeigten beispielsweise auf dem japanischen Kapitalmarkt bzw. Fama und French (1992) auf dem amerikanischen Kapitalmarkt, dass Value-Aktien im Vergleich zu sonstigen Aktien eine langfristig überdurchschnittlich hohe Rendite erzielten. Unternehmen mit einem hohen BKV werden am Markt zwar als nicht zukunftsfähig bewertet, jedoch tendieren Investoren dazu als positiv empfundene Investments überzubewerten und als negativ empfundene Investments unterzubewerten.9 Die daraus resultierende Folge ist die, dass schlechter bewertete Unternehmen mit höherer Wahrscheinlichkeit am Markt überraschen und somit auf lange Sicht höhere Renditen erzielen können als durchschnittliche Unternehmen am Markt. Auf der Basis solcher Erkenntnisse entstanden dann Faktorenmodelle, wie beispielsweise das von Fama und French (1993) entwickelte Dreifaktorenmodell, um auf Basis der drei Faktoren Unternehmensgröße (1), Value (2) und Marktrisiko (3) die Rendite zu prognostizieren.
In der jüngeren Vergangenheit hingegen wurden vermehrt Schätzmodelle entwickelt, die auf Fundamentaldaten von Unternehmen und gleichzeitig auf einer soliden theoretischen Grundlage basieren. Das wohl bekannteste Modell ist das von Ohlson im Jahr 1995 geschaffene RIM, welches als zentrale Größe den Residualgewinn beinhaltet, eine Kennzahl, die dafür genutzt wird, den Wert eines Unternehmens zu bestimmen. Dieser Ansatz wurde aus dem Dividendenbarwertmodell hergeleitet und ermöglicht, die erwartete Rendite aus beobachtbaren Informationen und aktuellen Schätzungen über zukünftige Bilanzgrößen zu prognostizieren.10
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Marktwert des Eigenkapitals Vt ist die Summe des aktuellen Buchwertes Bt und des diskontierten Wertes aller zukünftigen Residualgewinne, wobei der Residualgewinn, als erwarteter Gewinn Gi/r abzüglich des Produkts von jährlichen Eigenkapitalkosten ^ und den erwarteten Buchwerten der Vorperiode dargestellt wird. Die Umstellung der Gleichung (2.2.1) nach ^ ermöglicht somit die Bestimmung der erwarteten Rendite aus zum aktuellen Zeitpunkt gegebenen Informationen. Diese geschätzte Rendite wird in der Literatur auch implizit erwartete Rendite genannt.11
Zunächst müssen grundlegende Annahmen an das Modell geklärt werden. Das Kongruenzprinzip (engl. clean surplus accounting), als ein weitverbreiteter Grundsatz in der heutigen Rechnungslegung, ist dabei von Relevanz, da es einen direkten Zusammenhang zwischen der Erfolgsebene und der Zahlungsebene eines Unternehmens herstellt. Die daraus resultierende Kongruenzbeziehung besagt somit, dass sich eine Veränderung des Buchwertes vom Eigenkapital lediglich aus der Differenz von Gewinn und allen Gewinnausschüttungen jeglicher Art zusammensetzt, welche wie folgt dargestellt werden kann:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es wird somit angenommen, dass der bilanzielle Gewinn jeden getätigten Geschäftsvorgang impliziert. Dies ist insofern relevant, da das Kongruenzprinzip als Voraussetzung dient, welches die Umwandlung des Dividendenbarwertmodells in das RIM-Modell und umgekehrt ermöglicht.12 Allerdings gibt es in der Praxis, speziell in den internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS), Geschäftsvorgänge, die nach dem dirty surplus accounting behandelt werden müssen.13
Darüber hinaus erweiterte Ohlson das Grundmodell um eine bedeutende Annahme. Die Linearen Informations Dynamiken (LID), nach denen angenommen wird, dass sich die Residualgewinne durch ein lineares, autoregressives Modell ersten Grades beschreiben lassen. Daraus resultiert, dass der Residualgewinn in Abhängigkeit von zwei Variablen ausgedrückt werden kann. Zum einen dem Residualgewinn x“ aus der vorherigen Periode und zum anderen aus sonstigen Informationen vt, da angenommen wird, dass der aktuelle Marktwert von Informationen abhängt, die über die bilanziellen Daten hinaus gehen.14 Das Verhältnis kann wie folgt beschrieben werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Durch die Substitution der LID (2.2.3) in die Ausgangsformel (2.2.1) entwickelte Ohlson (1995) eine Bewertungsformel für den Marktwert des Eigenkapitals in einer linearen Abhängigkeit von buchhalterischen Größen und sonstigen Informationen, die als Basis für die folgenden noch vorzustellenden Modelle dient.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.3 Schätzproblematik und Motivation des Lösungsansatzes
Wie in Kapitel 2.1 vorgestellt ist15 die erwartete16 Rendite von signifikanter Bedeutung für die Bestimmung der optimalen Portfolioallokation. Gleichwohl besteht noch immer eine große Hürde, den theoretischen Ansatz von Markowitz in die Praxis zu implementieren.17
Vor allem durch die große Anzahl von am Kapitalmarkt handelbaren Unternehmen besteht ein großer Aufwand, sämtliche Parameter zu bestimmen. Aber auch die Art des Schätzansatzes muss sorgfältig ausgewählt werden. Wie in Kapitel 2.2 vorgestellt, gibt es eine Vielzahl von Schätzmodellen, welche auf verschiedenen Ansätzen beruhen, Vor- und Nachteile aufweisen und daher unterschiedlich gut geeignet sind für die Bestimmung erwarteter Renditen.
Der traditionelle Ansatz ist das Schätzen erwarteter Renditen auf Basis eines Zeitreihenschätzers. Diese Methode wurde von vielen Wissenschaftler*innen auf ihre Schätzungsgüte hin empirisch untersucht und für nicht sehr zuverlässig befunden, da die erwarteten Renditen auf Basis historischer Daten unter anderem keine Schwankungen berücksichtigen können.18 Elton beispielsweise legte die Wichtigkeit der Suche nach Alternativen dar und ermutigte die Wissenschaft neue Ansätze zu schaffen.19 Aber auch Merton fasste in seiner Arbeit zusammen, dass die früher realisierten Renditen nur eine sehr verzerrte Schätzung der erwarteten Renditen abgeben und diese durch die Einbeziehung von buchhalterischen Größen positiv beeinflusst werden können.20
Auf der anderen Seite stehen die Faktorenmodelle. Diese basieren, wie im vorherigen Kapitel beschrieben, auf der Annahme, dass die erwartete Rendite sich anhand von Faktoren erklären lässt. Diese Beziehungen lassen sich jedoch nicht auf theoretische Modelle zurückführen, welches ein grundlegendes Problem faktorenbasierter Modelle darstellt, obwohl zu beachten ist, dass viele empirische Untersuchungen Beziehungen zwischen erwarteter Rendite und firmenspezifischer oder auch makroökonomischer Faktoren belegen.21 Andere Wissenschaftler*innen, wie Black (1993) oder auch Saleh (2020) sehen die Ableitung von Faktoren aus Daten deutlich kritischer. Dies resultiert vor allem aus der Tatsache, dass die Beeinflussung von Daten aufgrund von Stichprobenverzerrungen und vor allem bewusstem P-Hacking nicht ausgeschlossen werden kann.22 Das bedeutet, dass am amerikanischen Kapitalmarkt gemessene Zusammenhänge nicht zweifelsohne auf andere Kapitalmärkte transferierbar sind und dass signifikante Zusammenhänge durch die Art und Länge einer empirischen Untersuchung künstlich erzeugt werden können.23 Des Weiteren wird argumentiert, dass beobachtete Zusammenhänge auf Basis von realisierten Daten nicht zwangsweise einen Zusammenhang mit zukünftigen Daten liefern.24
Charakteristikabasierte Modelle, wie das RIM, hingegen sind hierbei im Vorteil, da sie nicht auf der Basis von Datensamples entstanden sind und somit nicht durch Stichproben verzerrt sein können. Mehr noch fußen diese Modelle auf anerkannten, theoretisch stabilen Modellen. Speziell bei Ohlson (1995) ist dies, wie im vorherigen Kapitel beschrieben, das Dividendenbarwertmodell, welches in der Praxis, als weit verbreitetes Modell, zur Bewertung von Unternehmen verwendet wird. Trotz der theoretischen Äquivalenz beider Modelle ist das RIM diesbezüglich im Vorteil, da sich hiermit auch Unternehmen bewerten lassen, welche keine Dividenden ausschütten und dass das Modell in Bezug auf Änderungen in den langfristigen Wachstumsraten nicht mehr so anfällig ist.25
Allein die Möglichkeit finanzwissenschaftliche Theorien, wie das CAPM, empirisch auf Basis von zum Zeitpunkt der Prognose verfügbaren Informationen und eben nicht auf realisierten Renditen zu überprüfen, ist es wert, die Aufmerksamkeit auf diese neuen Ansätze zu richten, welche in den letzten Jahrzehnten entstanden sind.26
3 Charakteristikabasierte Modelle
Dieses Kapitel schafft einen Überblick über drei Ansätze zur Schätzung von erwarteten Renditen auf der Basis von Fundamentaldaten, wobei die Vorstellung bei jedem dieser drei Modelle in zwei Abschnitte aufgeteilt ist. Zunächst wird das entwickelte Modell präsentiert, um im nächsten Schritt die Implementierung im Rahmen der empirischen Untersuchung zu beschreiben und die daraus resultierenden Erkenntnisse vorzustellen.
Die Reihenfolge der Modelle erfolgt nach einem chronologischen Schema. In Kapitel 3.1 wird zunächst ein von Lyle, Callen und Elliott im Jahr 2013 entwickeltes Modell vorgestellt, welches eine Erweiterung des RIM-Modells von Ohlson (1995) darstellt. In Kapitel 3.2 wird dann ein Ansatz von Lyle und Wang aus dem Jahr 2015 beschrieben, der auf dem Ansatz von Vuolteenaho (2002) basiert, um dann schließlich in Kapitel 3.3 ein Modell von Wang aus dem Jahr 2018 vorzustellen, welches auf der Kombination eines Bewertungsmodells von Clubb (2013) und einer von Ashton und Wang (2013) entwickelten Wachstumsgröße basiert.
3.1 Ansatz von Lyle, Callen und Elliot (2013)
Der Schätzansatz von Lyle, Callen und Elliot (2013)27 ist ein Modell, welches auf der Basis des RIMs entwickelt wurde und dieses um das dynamische Risiko in der Wirtschaft ergänzt. Dies resultiert aus der Annahme, dass Aktien mit einer höheren negativen Kovarianz zum dynamischen Risiko in der Wirtschaft auch durchschnittlich höhere Renditen generieren.28 Dabei werden drei Erkenntnisse vorgestellt. Die erste stellt ein lineares Bewertungsmodell des Markwertes in Abhängigkeit von buchhalterischen Größen dar. Die zweite beschreibt die Dynamiken der erwarteten Renditen unter der Annahme, dass die erwarteten Renditen gegen ihre gegenüberstehenden Kapitalkosten konvergieren.29 Die dritte und wichtigste Erkenntnis beschreibt die erwartete Rendite bzw. die Kapitalkosten als lineare Funktion von inflationsbereinigten buchhalterischen Größen und Fundamentaldaten.
3.1.1 Modell
Der Marktwert des Eigenkapitals kann wie folgt ausgedrückt werden, wobei der zweite Term in der Gleichung die Erweiterung des RIM Modells, also das gesamtwirtschaftliche Risiko, darstellt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Des Weiteren sind zwei Annahmen über die Dynamiken der Residualgewinne und die Dynamiken des stochastischen Diskontierungsfaktors zu treffen:
Zum einen folgen die erwarteten Residualgewinne, wie in Kapitel 2.2 beschrieben, einer autoregressiven Form ersten Grades und können wie folgt ausgedrückt werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Unterschied in der Darstellung der Gleichung (3.1.2) zum ursprünglichen Modell kann auf die zugrundeliegenden Risikoneigungen zurückgeführt werden. Während Ohlson (1995) Risikoneutralität voraussetzt, also eine Welt ohne Risikoprämien, sind die Kapitalkosten bzw. die Eigenkapitalkosten gleich dem risikofreien Zinssatz. Unter der Annahme, dass Renditen in der langen Frist gegen die Kosten konvergieren, würde der Residualgewinn gegen 0 laufen.30 Dies resultiert aus der Tatsache, dass hohe Renditen Konkurrenten auf den Plan rufen, die in den Markt einsteigen und somit aufgrund des Wettbewerbs die Renditen drücken. Lyle et al. (2013) hingegen gehen, ähnlich wie Feltham und Ohlson (1999), von Risikoaversion aus. Hierbei konvergieren die Renditen in der langen Frist auch wieder gegen die Kosten. Jedoch würde diesmal das langfristige Gleichgewicht des Residualgewinns aufgrund der Einbeziehung der Risikoprämien gegen einen Wert größer null laufen. Der Effekt wird im Modell durch die Variable xf ausgedrückt. Dieser Veränderung wurde gewählt, da Investoren bei gleichen Erwartungswerten stets die sicherere Anlage präferieren würden, also risikoavers sind.
Zum anderen gehen Lyle et al. (2013) von der Annahme aus, dass der stochastische Diskontierungsfaktor einer linearen Dynamik folgt, wobei er eine einfach anzuwendende und universelle Möglichkeit ist, den heutigen Wert zukünftiger Zahlungsströme unter Berücksichtigung einer zufälligen Größe, in diesem Fall des erwarteten Marktrisikos, zu ermitteln.31
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im nächsten Schritt kann durch Substitution der definierten Annahmen (3.1.2) und (3.1.4) in die Ausgangsformel (3.1.1) die Gleichung (3.1.6) für die Bestimmung des Marktwertes vom Eigenkapital in Abhängigkeit von buchhalterischen Größen, sonstigen Informationen und dem gesamtwirtschaftlichen Risiko dargestellt werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Auf Basis der Gleichung (3.1.6) und den Erwartungen können somit32 Schlüsse auf die Beziehung der Fundamentaldaten bzw. des gesamtwirtschaftlichen Gesamtrisikos zum Marktwert des Eigenkapitals gezogen werden. Zum einen deckt sich die inverse Beziehung von Unsicherheit in Form des Marktrisikos und des Marktwertes des Eigenkapitals mit der Literatur und dem allgemeinen Verständnis von Unsicherheit auf Finanzmärkten.33 Zum anderen zeigen die gewählten Fundamentaldaten einen positiven Zusammenhang mit dem Marktwert.
In der nächsten Proposition modellieren Lyle et al. die Veränderungen der Eigenkapitalrendite und der Kapitalkosten über die Zeit, um zu zeigen, wie sich unternehmensspezifische Kapitalkosten zu den entsprechenden Renditen verhalten. Durch Substitution der Gleichung (3.1.4) in (3.1.6) kann die Gesamteigenkapitalrendite, also die Veränderung des Marktwertes des Eigenkapitals ohne Abzug der Dividende, wie folgt dargestellt werden:
[...]
1 Vgl. Elton (1999), S.1199.
2 Vgl. Lee et al. (2020), S.24.
3 Vgl. Markowitz (1952), S.77.
4 Vgl. Reinschmidt (2006), S.5.
5 Vgl. ebd., S.10.
6 Vgl. Hagemeister (2009), S.6.
7 Vgl. Hagemeister & Kempf (2007), S.1.
8 Vgl. Crain (2011), S.3.
9 Vgl. Chan & Lakonishok (2004), S.85.
10 Vgl. Hagemeister & Kempf (2007), S.5.
11 Vgl. Hagemeister (2009), S.10.
12 Vgl. ebd., S.11.
13 Vgl. Krotter (2006), S.8.
14 Vgl. Liu & Ohlson (2000), S.322.
15 Vgl. Zimmermann & Prokop (2002), S.273.
16 Vgl. Ohlson (1995), S.668.
17 Vgl. Hagemeister (2009), S.56.
18 Vgl. Pastor et al. (2008), S.2861.
19 Vgl. Elton (1999), S.1218.
20 Vgl. Merton (1980), S.354.
21 Vgl. Hagemeister & Kempf (2007), S.1.
22 Vgl. ebd., S.1.
23 Vgl. Head et al. (2015), S.3.
24 Vgl. Lyle et al. (2013), S.912.
25 Vgl. Hagemeister (2009) S.13.
26 Vgl. Hafemeister & Kempf (2007), S.2.
27 Das Modell und die entsprechende empirische Untersuchung auf den Seiten 10 bis 17 beziehen sich auf die Arbeit von Lyle et al. (2013).
28 Vgl. Ang et al. (2006), S.260.
29 Vgl. Mikosz et al. (2019), S.272.
30 Vgl. Zimmermann & Prokop (2002), S.273.
31 Vgl. Cochrane (2005), S.6 f.
32 Vgl. Heidorn & Schäffler (2017), S.148.
33 Vgl. Ang et al. (2006), S.296.