Das marokkanische Schulsystem. Welche Auswirkungen hat es auf die Gesellschaft?


Hausarbeit, 2021

18 Seiten

Anonym


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Historische Entwicklungen des marokkanischen Bildungswesens

3 Das derzeitige marokkanischen Bildungswesen
3.1 Aktuelle Entwicklungen
3.2 Die private Bildungsinstitution Groupe Scolaire Jacques-Majorelle

4 Conclusio

Anhang

Bibliographie

1 Einleitung

Im Rahmen meines Lehramtsstudiums habe ich mich immer wieder mit der Rolle des Französischen innerhalb und außerhalb Frankreichs auseinandergesetzt. Im Laufe des Seminares Das Französische in Kontakt mit anderen Sprachen konnte ich mein bereits bestehendes Interesse in diesem Wissenschaftsgebiet weiter ausbauen und habe mich im Zuge dessen in der vorliegenden Arbeit genauer mit dem marokkanischen Schulsystem beschäftigt. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die sprach- und bildungspolitischen Entwicklungen gelegt, die das Bildungswesen geprägt haben und bis heute beeinflussen.

Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht daher in dem Versuch, die bildungs- und sprachpolitischen Entwicklungen Marokkos und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft des Maghreb-Staates darzustellen, wobei auf eine private Bildungseinrichtung in Marrakesch Bezug genommen wird, um die Umsetzung aktueller sprach- und bildungspolitischer Bestrebungen zu verdeutlichen. Da Schule immer im Kontext von Gesellschaft zu betrachten ist (vgl. Butzke-Rudzynski 1992 : 15) und die historischen Entwicklungen Marokkos einen wesentlichen Einfluss auf das heutige Schulsystem dort haben, wird in einem ersten, theoretischen Abschnitt auf wesentliche historische, bildungs- wie auch sprachpolitische Ereignisse und deren unmittelbare Auswirkungen auf das Bildungswesen des Maghreb-Staates eingegangen. Der Beginn der Betrachtungen dieses Kapitels soll mit dem aktiven Eingriff in die Bildungspolitik seitens der Protektoratsmacht zusammenfallen, um deren Zusammenwirken möglichst genau beschreiben zu können. Basierend auf den vorherigen Ausführungen sollte im nächsten Abschnitt normalerweise die Implementierung des Französischen bzw. der Aufbau des Sprachenunterrichts in exemplarisch ausgewählten Primarschulen Marrakeschs folgen. Leider erwies es sich bei der Recherche als äußerst schwierig, fundierte Informationen zum spezifischen Aufbau des Sprachunterrichts zu bekommen. Insbesondere im Bereich der staatlichen Schulen hat sich herausgestellt, dass für die meisten Schulen keine Website mit öffentlich zugänglichen Informationen existiert. Anfragen auf Informationsauskunft, die direkt an die Bildungseinrichtungen gestellt wurden, blieben unbeantwortet. Ein Vergleich zwischen den Gegebenheiten in einer spezifischen, öffentlichen bzw. privaten Schule konnte daher aus Mangel an auffindbaren Ressourcen nicht durchgeführt werden. Stattdessen wurde dieser Teil durch eine Analyse aktueller Entwicklungen im Bildungssystem ersetzt. Dazu wird in einem zweiten Teil auf aktuelle bildungs- und sprachpolitische Gegebenheiten im Allgemeinen eingegangen, die in einem letzten Abschnitt durch eine analytische Betrachtung der privaten Bildungseinrichtung Groupe Scolaire Jacques-Majorelle in Marrakesch präzisiert werden. Als Datengrundlage werden hier die Informationen der Schulwebsite um entsprechende Informationen des französischen Konsulats in Marokko und zwei weiterer bildungs- und sprachpolitischer Institutionen komplettiert. Abschließend erfolgt in der Conclusio eine Zusammenfassung der im Verlauf der vorliegenden Arbeit gewonnenen Erkenntnisse.

2 Historische Entwicklungen des marokkanischen Bildungswesens

Der Beginn der folgenden Beschreibungen soll auf das Jahr 1912 datiert werden, als mit der Unterzeichnung des Vertrages von Fès die Protektoratszeit Frankreichs über Marokko begann. Zu dieser Zeit das hautsächlich das traditionelle marokkanische Bildungswesen weit verbreitet, bevor die französische Protektoratsverwaltung ab 1921 ein modernes, dem französischen Mutterland nachgestaltetes, staatliches Unterrichtswesen einführte, das parallel neben der traditionell muslimischen Ausbildung existieren sollte. Dabei boten diese neuen Bildungseinrichtungen trotz ihrer Zugehörigkeit zum staatlichen Bildungssektor eine hochwertige Ausbildung ausschließlich für Europäer und das gut gestellte marokkanische Bürgertum. Marokkanische Jugendliche, insbesondere Mädchen, deren Familien nicht über finanzielle bzw. politische Mittel verfügten, wurden bis zum Ende der Protektoratszeit stark vernachlässigt. „Die Metropole intendierte die Herausbildung einer kleinen marokkanischen Elite, die die Leistungsfähigkeit des Regierungsapparates fördern sollte" (Butzke-Rudzynski 1992 : 73). Es ging also vorrangig um die „Ausbildung zur Übernahme von protektoratsfördernden Positionen" (Butzke- Rudzynski 1992 : 75), welche mit der Herabstufung der marokkanischen Abschlüsse einherging und eine kleine Bildungselite hervorbringen sollte (vgl. Zouggari 2005 : 455). Für die unteren Bevölkerungsschichten wurden v.a. in ländlichen Gebieten sogenannte écoles rurales gegründet, welche hauptsächlich der Alphabetisierung von Jungen dienten und ihnen lediglich elementare Schulkenntnisse vermitteln sollten. Damit verfolgte man das Ziel, die Sprachbarrieren zwischen der Landbevölkerung und der für sie zuständigen Inspektoren und Regierungsbeamten möglichst niedrig zu halten (vgl. Butzke-Rudzynski 1992 : 76).

Während die Etablierung des modernen Schulwesens in den urbanen Gebieten, abgesehen von den Unruhen 1945 infolge der Bildungsdiskriminierung und der Herabwürdigung landeseigener Abschlüsse durch die Protektoratsmacht, verhältnismäßig friedlich ablief, war die Einführung des neuartigen Schulsystems in den Berberregionen von militärischen Auseinandersetzungen gekennzeichnet (vgl. Kolboom et al. 2008 : 495). Durch die Errichtung von französischen Schulen und der Unterrichtung der Sprache Eroberer sah die Berberpolitik vor, die Ausbreitung der arabischen Sprache im Keim zu ersticken und jegliche Kommunikationsbasis zu zerstören, die nicht auf dem Französischen basierte (Zouggari 2005 : 456). Im Sinne der „zivilisatorischen Mission" (vgl. Kolboom et al. 2008 : 494) propagierte die französische Protektoratsmacht Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten für die Söhne der Stämme, sofern diese die Herrschaft der Protektoratsmacht anerkannten. De facto war allerdings ein Aufstieg nur für wenige berberabstammende Jugendliche möglich und die Errichtung der Schulen galt daher, wie es Martina Butzke-Rudzynski (1992 : 76) bezeichnet, sowohl als „'moyen de pacification' als auch Symbol der Unterwerfung". Die Protektoratsmacht vermittelte i.S. eines allgemeinen Bildungsangebotes die französische Sprache, hielt aber gleichzeitig Beschränkungen aufrecht, die es den Berbern fast unmöglich machten, soziale Aufstiegschancen wahrzunehmen und so in die Bildungselite aufzusteigen.

Nach der Unabhängigkeit 1956 verfügte Marokko über drei Formen im Schulwesen: das staatliche Unterrichtswesen, das private Unterrichtswesen und traditionell muslimische Schulen. Um das vorherrschende Bildungswesen im Sinne des arabischen Nationalismus und der damit einhergehenden Arabisierungspolitik umfassend zu reformieren, entwickelte eine Regierungskommission um Erziehungsminister Abdelkrim Benjelloun 1959 die vier Prinzipien Arabisation, Généralisation, Unification und Marocanisation, um u.a. das breit gefächerte Schulwesen zu vereinheitlichen und das Schulsystem aufzuwerten (Nissabouri 2005 : 215). Dieses Vorhaben scheiterte jedoch aufgrund der Nichtbeachtung der damals vorherrschenden sprachlichen Situation der Schülerschaft. Von eben jenen sprach ein nicht unerheblicher Teil eine von vielen stark regional gefärbten Varietäten des Arabischen, weshalb es zu einer großen Herausforderung wurde, eine einheitliche sprachliche Basis zu finden. Der in Marokko vorherrschende Multilingualismus bzw. der Sprachkontakt zwischen Arabisch1, Französisch und den berberischen Regiolekten wurde damit zu einer großen Herausforderung für das Bildungswesen. Es entwickelte sich ein starkes Stadt-Land-Gefälle, im Zuge dessen die berberophonen Schüler vom Land benachteiligt blieben, denn ihre Muttersprache war und ist bis heute größtenteils das Tamazight, welche als Unterrichtssprache und Unterrichtsfach weiterhin unbeachtet blieb. Das Französische wurde neben dem Hocharabischen zur Hauptunterrichtssprache und so mussten sich v.a. die Kinder aus den ländlichen Gebieten „mit zwei völlig unbekannten, gleichzeitig in jeglicher Hinsicht ebenso unterschiedlichen (Lexik, Syntax, Phonologie) Sprachen auseinandersetzen" (vgl. Butzke-Rudzynski 1992 : 109). Im ländlichen Raum bestand nämlich meist nicht die Notwendigkeit, im Alltag mit einer anderen Sprache als dem Masirischen2 (Tamazight, Amazigh, Berberisch) zu kommunizieren. Zudem war (und ist bis heute) die Rate an Analphabeten unter der ländlichen Bevölkerung deutlich höher als die der urbanen Bevölkerung.3 Schon allein aus diesem Grund war der Zugang der Landbevölkerung zur Bildung und damit zum sozialen Aufstieg so gut wie unmöglich. Folglich ergab sich im marokkanischen Bildungswesen und in der Gesellschaft eine Hierarchie der Sprachen, die ausschlaggebend für die schulische Laufbahn wurde und dem Fremdsprachenunterricht eine erhöhte Stellung zuwies. Sprache wurde so zu einem restriktiven Faktor für viele den unteren bzw. ländlichen Gesellschaftsschichten angehörigen Jugendlichen.

Gleichzeitig blieb trotz weitreichender Arabisierungsbestrebungen in den 1960er Jahre, infolge derer das Hocharabische die Funktion des Französischen übernehmen sollte, das Funktionieren des umstrukturierten Bildungswesens von der Präsenz französischer Coopérants bzw. deren Sprache abhängig.

„Das Schulwesen stand im Dienste der indirekten Unterbindung einer tatsächlich sich verwirklichenden Unabhängigkeit. Die massive Präsenz der Coopérants innerhalb des Unterrichtswesens mußte [sic] jegliche Eigenentwicklung unterbinden." (Butzke-Rudzynski, 1992, S. 92)

Obwohl also die marokkanische Regierung mithilfe sprachpolitischer Entscheidungen versuchte, die Dominanz der ehemaligen Protektoratsmacht zuu brechen, blieb das Bildungswesen in Marokko weiterhin von dieser abhängig. Zu den genannten Eigenentwicklungen, die Frankreich als potenzielle Gefährdung der eigenen Vormachtstellung ansah, zählte u.a. der sich ergebende Bildungsdrang der Marokkaner. Die Zahl der marokkanischen Lehrkräfte wurde daraufhin durch die französische Bildungspolitik absichtlich sehr niedrig gehalten (Butzke-Rudzynski 1992 : 91), um die bisherigen Machtverhältnisse möglichst aufrecht zu erhalten.

Trotz der 1969 erreichten, vollständigen Marokkanisierung der Primarstufe, hat sich die französische Sprache bis heute fest in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern im Sekundar- und Hochschulbereich etabliert (Bourdereau 2006 : 27). Durch diese domänenabhängige Dominanz ist der ehemaligen Protektoratsmacht gelungen, seinen Einflussbereich nach 1956 zwar pro Forma zu verringern, diesen de facto aber in wesentlichen, den Lebenslauf von Jugendlichen maßgeblich beeinflussenden Bereichen, durch die Aufrechterhaltung der Verwendung ihrer Sprache weiterhin zu sichern. In diesem Kontext galt das Bildungswesen als wesentliches Medium, um sprachpolitische Entscheidungen durchzusetzen. Die französische Sprache stand damit „im Dienste von Machtkonstellationen, ökonomischen Interessen sowie weltanschaulichen Durchsetzungsbemühungen bezüglich sozialer, religiöser oder politischer Ideologien" (vgl. Butzke-Rudzynski 1992 : 14) und galt daher als wesentliches bildungspolitisches Instrumentarium.

Vor dem Hintergrund der bisher geschilderten historischen Entwicklungen der Sprach- und Bildungspolitik Marokkos wird der folgende Abschnitt nun die derzeitigen Entwicklungen im marokkanischen Bildungssystem und die sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Konsequenzen genauer beleuchten.

3 Das derzeitige marokkanischen Bildungswesen

3.1 Aktuelle Entwicklungen

Nicht nur Artikel 32 der Constitution Marocain, sondern auch einige internationale Rechtstexte wie beispielsweise die Convention du 20 novembre 1989 halten das Recht auf Schulbildung als Grundrecht marokkanischer Bürgerinnen fest. 1963 wird unter König Hassan II. die allgemeine Schulpflicht für alle sechs bis 13-Jährigen gesetzlich festgelegt, um den bis dahin historisch niedrigen Einschulungsquoten Einhalt zu gebieten und den neuen Generationen systematisch zur Alphabetisierung zu verhelfen (Fürtig et al. 2016 : 47). Bis heute lassen sich dabei einige wesentliche Unterschiede zwischen dem privaten und staatlichen Bildungsbereich feststellen, von denen im Folgenden nun einige genannt werden sollen.

Im öffentlichen Sektor unterstehen die Bildungsinstitutionen dem ministère de l'Education nationale, de l'enseignement supérieur, de la formation et de la recherche scientifique (MEN), welches 1999 aus den 72 marokkanischen Provinzen 16 regionale, administrative Einheiten schuf und das öffentliche Schulwesen damit umfassend dezentralisierte (Conseil Supérieur de l'Education 2014 : 46). Seitdem verfügt jede Region über eine académie régionale d'éducation et de formation (AREF), welche Verantwortung gegenüber den einzelnen Provinzen trägt und einen Teil des nationalen Schullehrplanes stellt.

[...]


1 Bzw. innerhalb der arabischen Triglossie zwischen dem modernen Standardarabisch, dem klassischen Arabisch des Korans und dem marokkanischen Arabisch

2 Das Tamazight war die war die Sprache der Masiren, den Ureinwohnern Nordafrikas, deren Land bereits vor der Besiedlung der Phönizier im 14. Jh. der Maghreb (arab. „Westen") war. Daher wird „Masirisch" synonym zu „Tamazight" gebraucht.

3 Laut Angaben der Weltbank galten 1960 rund 70 % der Gesamtpopulation als Landbevölkerung, 2019 lag dieser Wert noch bei rund 37 %. (vgl. Banque Mondiale, Population rural (% de la population totale) - Morocco, 2019) Gemäß der Angaben von Wirtschaftsexperten der Germany Trade & Invest GTAI, welche dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zugeordnet ist, sollen 2020 rund 25 % der über 15-Jährigen immer noch als Illiteraten gelten. (vgl. Baba 2020)

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Das marokkanische Schulsystem. Welche Auswirkungen hat es auf die Gesellschaft?
Hochschule
Universität Augsburg
Jahr
2021
Seiten
18
Katalognummer
V1007894
ISBN (eBook)
9783346399359
ISBN (Buch)
9783346399366
Sprache
Deutsch
Schlagworte
schulsystem, welche, auswirkungen, gesellschaft
Arbeit zitieren
Anonym, 2021, Das marokkanische Schulsystem. Welche Auswirkungen hat es auf die Gesellschaft?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1007894

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Das marokkanische Schulsystem. Welche Auswirkungen hat es auf die Gesellschaft?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden