Next Generation EU. Ein neuer Name für ein altes Projekt?


Thèse de Bachelor, 2020

47 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

I. Abkürzungsverzeichnis

II. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Historische Einordnung des Wiederaufbaufonds und wirtschaftliche Ausgangssituation in Europa

3. Der Aufbauplan „Next Generation EU“
3.1 Hintergrund
3.2. Der Wiederaufbaufonds
3.2.1 Zweck und Umfang
3.2.2 Aufbau- und Resilienzfazilität
3.3 Finanzierung des Wiederaufbaufonds
3.4 Rechtlichte Implementierung des Wiederaufbaufonds

4. Kritische Analyse
4.1 Kompetenzverschiebung von den Nationalstaaten auf die EU-Ebene
4.1.1 Rechtliche Überführung des ESM in EU-Recht
4.1.2 Der EU-Finanzminister
4.1.3 Möglichkeit einer EU-Steuerhoheit
4.2 Politisierung der Programmüberwachung
4.2.1 Allgemeine Zielsetzungen der „Kommission von der Leyen“
4.2.2 Technokratie weicht Politisierung
4.3 Unterminierung des Prinzips „Nothilfe gegen Auflagen“
4.4 Risiken
4.5 Lösungsvorschläge

5 Fazit

6 Literaturverzeichnis

I. Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

II. Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Veränderung des BIP der EU-Mitgliedsstaaten

Abbildung 2: Staatsverschuldung der EU-Mitgliedsstaaten relativ zum BIP

Abbildung 3: Recovery and Resilience Facility – erwarteter Mittelabruf durch die EU-Länder

Abbildung 4: Eigenmittel 2018

Abbildung 5: geschätzte Eigenmittel 2027

1. Einleitung

Nach der Einigung des Europäischen Rates Mitte Juli in Bezug auf den Haushalt 2021-2027 und die finanziellen Ausgleichshilfen für zu erwartende Pandemieschäden deuten sich beträchtliche strukturelle Veränderungen der Europäischen Union auf unterschiedlichen Ebenen an. Im Rahmen des Wiederaufbaufonds plant sie eine Reform ihrer Eigenmittel und eine gemeinsame Verschuldung auf Unionsebene. Der europäische Wiederaufbaufonds trägt den Namen „Next Generation EU“ und soll hierbei ebenfalls namentlich auf die historische Tragweite der Maßnahmen verweisen.

Die Arbeit beschäftigt sich im Schwerpunkt mit der Ausgestaltung des Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ und versucht diesen kritisch zu analysieren. Dabei soll abschließend besonders die Fragestellung, inwiefern der Wiederaufbaufonds langfristig zur Krisenprävention geeignet ist, beantwortet werden. Im Zuge der Darstellungen findet vereinzelt ein Rückgriff auf die Idee eines Europäischen Währungsfonds als Vergleichskonzeption statt.

Zunächst erfolgt eine historische Einordnung des Wiederaufbaufonds in die Geschichte unterschiedlicher wirtschafts- und währungspolitischer Fonds auf europäischer Ebene. Im Anschluss wird die wirtschaftliche Ausgangssituation im Zuge der COVID-19-Pandemie dargelegt, wobei besonders Wachstums- und Staatsverschuldungsprognosen betrachtet werden.

In der Folge wird die Ausgestaltung des Aufbauplans skizziert. Dabei liegt der Fokus der Betrachtung auf der Aufbau- und Resilienzfazilität. Weiter findet ein Abriss der angedachten Finanzierung des Aufbauinstruments statt und es wird eine knappe Bewertung der rechtlichen Implementierung vorgenommen.

Danach werden unterschiedliche Strukturbrüche, welche sich durch die Reformbemühungen der EU-Kommission manifestieren, aufgezeigt. Anhand der Möglichkeit eines EU-Finanzministers und einer EU-Steuerhoheit werden Kompetenzübertragungen von Mitgliedsstaaten auf Unionsebene verdeutlicht. Im gleichen Zusammenhang wird auf mögliche Politisierungsintentionen im Wiederaufbaufonds verwiesen. Diese werden durch eine kurze Darstellung der politischen Leitlinien der „Kommissionspräsidentschaft von der Leyen“ umrahmt. Weiter wird geprüft, inwiefern durch den Wiederaufbaufonds eine Abkehr von auflagenabhängiger Kreditvergabe zugunsten bedingungsloser Transfers vollzogen wird. Abschließend werden die aus dem Wiederaufbaufonds resultierenden Risiken dargelegt und alternative Lösungsvorschläge angedeutet. Die Ausarbeitung endet mit einem Fazit und gibt einen kurzen Ausblick.

2. Historische Einordnung des Wiederaufbaufonds und wirtschaftliche Ausgangssituation in Europa

Trotz dessen, dass der Begriff „Wiederaufbaufonds“ im Zuge der COVID-19-Krise 2020 zum ersten Mal aufkam, so ist die Idee, welche hinter dem Fonds steht, keinesfalls neu. In der Vergangenheit gab es schon häufiger Konzepte zur Errichtung eines Fonds, der wirtschafts- und währungspolitische Aufgaben in Europa wahrnehmen sollte. Die einzelnen Vorschläge in der Ausgestaltung eines solchen Fonds unterscheiden sich dabei im Zeitverlauf stets vor dem Hintergrund der jeweiligen aktuellen Diskussion.

„Mit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems 1973 mussten die Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ein eigenes geld- und währungspolitisches Regelwerk entwerfen.“1 In diesem Zusammenhang, und auch als Vorbereitung auf die Entwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), wurde der Europäische Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit (EFWZ) eingerichtet.2 Im Vorfeld des EFWZ wurde seitens der Länder der Europäischen Gemeinschaft (EG) der erste Versuch unternommen sich zu einer Art WWU zu koordinieren. Die sogenannte „Währungsschlange“ bezeichnete 1972 ein System, welches vorsah, dass die Schwankungsbreiten zwischen den Währungen einiger europäischer Länder in einem engen Korridor gehalten werden sollten.3 Primäres Ziel des EFWZ war dementsprechend die ordnungsgemäße Überwachung der „Währungsschlange“ und die schrittweise Verringerung der Bandbreiten zwischen den teilnehmenden Währungen.4 Vorübergehend, besonders mit Blick auf die erste Ölkrise von 1973, schieden Länder wie Frankreich, Großbritannien oder auch Italien aus. Dabei spielten vor allem Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf wirtschaftspolitische Maßnahmen im Zug der Krise eine Rolle. Durch die Austritte gewichtiger EG-Mitgliedsstaaten aus dem Europäischen Wechselkursverbund (EWKV) entwickelte sich die D-Mark innerhalb des Verbundes immer mehr zu einer Art Leitwährung. Der erste Anlauf für eine europäische Währungspolitik war somit gescheitert. In Bezug auf die Bewertung von Errichtung des EWKV und EFWZ sei jedoch festzuhalten, dass diese zu einer erheblichen Intensivierung der währungspolitischen Zusammenarbeit zwischen den EG-Mitgliedsstaaten geführt hatte.5 1978 wurde auf Vorschlag des französischen Präsident Giscard d’Estaing und des deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt ein erneuter Vorstoß für engere währungspolitische Zusammenarbeit europäischer Währungsintegration gewagt.6 Diese Initiative endete 1979 mit dem Beschluss des Europäischen Rats zur Inkraftsetzung eines neuen „Europäischen Währungssystems“ (EWS). Teil des EWS war der Wechselkursmechanismus (WKM). Das EWS wurde als Paritätengitter bilateraler Wechselkurse aufgebaut, welches eine maximale Bandbreite von ± 2,25 % vorsah.7 Der EFWZ war in das EWS insofern integriert, dass er als Vorläufer eines Europäischen Währungsfonds (EWF) gelten sollte.8 Das Aufgabenspektrum des EFWZ hatte zentralbankähnliche Züge, da er für die „Zurverfügungstellung von Anfangsmengen an ECU9 an die Zentralbanken“, „die Abwicklung des Saldenausgleichs zwischen den EWS-Zentralbanken“, aber auch kurzfristig für „die Durchführung des kurzfristigen Währungsbeistandes zwischen den Zentralbanken“ verantwortlich war.10 Der EFWZ bestand bis 1994 weiter und seine Aufgaben wurden im Anschluss vom Europäischen Währungsinstitut (EWI), der Vorgängerinstitution der Europäischen Zentralbank (EZB), wahrgenommen.11 Der Beschluss des Europäischen Rates vom 05.12.1978, der die Schaffung eines Europäischen Währungsfonds vorsah, war jedoch ohne großen Nachdruck und wurde zunächst nicht weiter verfolgt.

Erst mit der Griechenland-Krise 2010 gewann der Begriff EWF wieder an Bedeutung in der öffentlichen Debatte. Der damalige deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble formulierte seine Idee für einen EWF als Instrument zur Krisenbekämpfung.12 In Anbetracht der weiteren möglichen Staatsinsolvenzen von Irland, Portugal, Spanien und Zypern, stehen die aufgespannten Rettungsschirme der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) als Synonyme für einen EWF.13 Hierbei sollte der ESM die Zahlungsfähigkeit von überschuldeten Krisenmitgliedstaaten durch Kreditvergabe sichern, welche an Reformbedingungen geknüpft war.

Im Dezember 2017 veröffentlichte dann die damalige Europäische Kommission (EK), unter Führung des Präsidenten Juncker, ihren Vorschlag „weitere Schritte zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion“, in welchem die Umwandlung des ESM zu einem EWF eine Schwerpunktreform darstellte.14 Hauptaugenmerk bei diesem Vorschlag war die Überführung des Notfallfonds von Völkervertragsrecht in supranationales EU-Recht. Neben der Möglichkeit zur Integration weiterer Fonds in den EWF hatte Juncker ebenso die Einsetzung eines Europäischen Finanzministers vorgesehen. Die Reformnotwendigkeit wurde damals seitens des Präsidenten mit der Stärkung der Einheit der EU, einer besseren Effizienz und der demokratischen Rechenschaftspflicht begründet.

Im Jahr 2020 steht nun ein neues Umsetzungsvorhaben zur Verwirklichung eines Europäischen Währungsfonds im Raum: der Wiederaufbaufonds der EU-Kommission als Reaktion auf die COVID-19-Krise.

Bereits in der Frühjahrsprognose der EU-Kommission wurde die COVID-19-Krise als tiefgreifendste Rezession seit den 1930er Jahren bezeichnet.15 Im Sommer wurde diese Konjunkturprognose als noch gravierender eingestuft und dementsprechend nach unten korrigiert.

Abbildung 1 zeigt die länderspezifischen Veränderungen des Bruttoinlandsproduktes (BIP), wobei besonders die Prognosewerte für die Jahre 2020 und 2021 zu betrachten sind. Aufgrund von anhaltenden Maßnahmen, in Form von wirtschaftlichen Einschränkungen16 und Ungewissheit in der Krise, hat sich der erwartete Wachstumsrückgang für das Jahr 2020 verschärft. Gleichzeitig haben sich die Erwartungen an einen potenziellen Aufschwung im Jahr 2021 gedämpft. Für die Gesamtunion ist von einem wirtschaftlichen Rückgang von 8,3 % im Jahr 2020 auszugehen.

Die mediterranen Staaten verzeichnen zum Teil Veränderungen von -10 % im Vergleich zum Vorjahr. Deutschland kommt im europaweiten Vergleich besser durch die Krise und büßt „lediglich“ 6,3% des BIP ein.Weiter zeigen die Prognosen der Kommission aus dem

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Veränderung des BIP der EU-Mitgliedsstaaten Quelle: Europäische Kommission (2020j) S.38

Frühjahr, dass die durchschnittliche Schuldenquote in der Union im Jahr 2020 auf ca. 95 % des BIP steigen wird. Abbildung 2 zeigt die jeweiligen Staatsschuldenquoten in Relation zum BIP auf. Hierbei ist ebenso die vergleichsweise starke Verschuldung der Mittelmeerstaaten, welche voraussichtlich alle mit über 100 % des BIP verschuldet sein werden, zu betrachten. Italien und Griechenland stellen in diesem Kontext nochmal Ausreißer dar, da dort mit fast 160 % bzw. 200 % zu rechnen ist. Die Staatsverschuldung in Deutschland bleibt mit ca. 75 % noch unter dem EU-Durchschnitt, ist aber im Vergleich zu 2019 um etwa 15 Prozentpunkte gestiegen. Bei Eintritt dieser Prognosewerte würde der Schuldenstand innerhalb der Union auf ein historisches Niveau ansteigen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 10: Staatsverschuldung der EU-Mitgliedsstaaten relativ zum BIP Quelle: Europäische Kommission (2020a) S.188

3. Der Aufbauplan „Next Generation EU“

In Bezug auf den europäischen Wiederaufbauplan wird zunächst der Hintergrund der Diskussion dargestellt. Im Anschluss wird die Ausgestaltung des Wiederaufbaufonds beschrieben. Nachdem die Finanzierungsfrage des Plans dargelegt wurde, wird eine wertende Betrachtung der rechtlichen Implementierung vorgenommen.

3.1 Hintergrund

Hintergrund der aktuellen Debatte um den Aufbauplan „Next Generation EU“ (NGEU) ist die COVID-19-Pandemie. Bereits im Mai 2020 hatte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Vorschlag vorgestellt, welcher „den dringendsten Notwendigkeiten des Aufbaus in den EU-Mitgliedsstaaten und ihrer Partner gerecht […]“17 werden sollte. Der Vorschlag sah vor, dass die Aufbaumaßnahmen NGEU in den künftigen mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) eingebettet werden.18 Auf einer außerordentlichen Tagung des Europäischen Rates in Brüssel im Juli 2020 wurde der Kommissionsvorschlag von den EU-Staaten verhandelt, sodass man am Ende einen Kompromiss als Schlussfolgerungen des Gipfels vorstellen konnte.19

Der Europäische Rat betont im Vorfeld der inhaltlichen Ausgestaltung dabei, dass die COVID-19-Krise eine historische Herausforderung für Europa sei und wirtschaftliche Sofortmaßnahmen nötig seien, um den sozioökonomischen Schaden der Krise zu minimieren. Zusätzlich solle der Ansatz dazu beitragen, dass Konvergenz innerhalb der Union gefördert wird, Widerstandsfähigkeit gewonnen und der Wandel der Europäischen Union weiter vorangetrieben wird.20 Weiter seien die Maßnahmen von NGEU umfangreich, zielgerichtet und zeitlich begrenzt. Wichtig sei außerdem, dass NGEU und MFR nicht nur zur Krisenbewältigung beitragen sollen, sondern besonders die Kommissionsvorhaben in Hinblick auf den „European Green Deal“ und die digitalen Umgestaltung Europas unterstützen. Dementsprechend beurteilt die EU-Kommission NGEU und MRF als wichtigste europäische Instrumente.21

3.2. Der Wiederaufbaufonds

In der Darstellung des Wiederaufbaufonds wird zunächst die Zweckbestimmung und der finanzielle Umfang des Programms dargelegt. Im Anschluss wird beschrieben wie die Aufbau- und Resilienzfazilität ausgestaltet ist. Bezüglich der Finanzierungsfrage des Wiederaufbaufonds wird besonders auf die Anleihenermächtigung der Kommission, das Anheben der Eigenmittelobergrenzen und Reformvorhaben zur Einführung neuer Eigenmittel eingegangen.

3.2.1 Zweck und Umfang

Das von der Kommission erklärte Ziel des Wiederaufbaufonds sei „die unmittelbaren wirtschaftlichen und sozialen Schäden, die durch die Coronavirus-Pandemie entstanden sind, zu beheben“.22 In einer solch außergewöhnlichen Situation wie dieser sei ein einheitliches Vorgehen auf Unionsebene erforderlich, um „eine weitere Verschlechterung der Wirtschafts- und Beschäftigungslage sowie des sozialen Zusammenhalts zu verhindern und eine nachhaltige und robuste Erholung der Wirtschaftstätigkeit zu fördern“.23

Der nun getroffene Kompromiss von EU-Rat und Kommission umfasst, wie der vorherige Kommissionsvorschlag, offiziell ein Volumen von 750 Milliarden Euro.24 Hierbei ist anzumerken, dass sich durch die Verhandlungen das Verhältnis zwischen Zuschüssen und Darlehen stark geändert hat. Der eigentliche Kommissionsvorschlag sah vor, 500 Milliarden Euro als Zuschüsse zu vergeben und 250 Milliarden Euro als Darlehen.25 In Brüssel wurde sich darauf geeinigt, dass das Darlehensvolumen auf 360 Milliarden Euro ausgeweitet und Zuschüsse lediglich in Höhe von 390 Milliarden vergeben werden.26 Hierbei gliedern sich die Zuschüsse in 312,5 Milliarden Euro, welche als Finanzhilfen über eine Aufbau- und Resilienzfazilität ungebunden vergeben werden, und 77,5 Milliarden Euro gebundene Zuschüsse, welche bereits bestehende EU-Förderprogramme finanziell aufstocken sollen.27

3.2.2 Aufbau- und Resilienzfazilität

Da der Großteil des Gesamtvolumens von NGEU in eine neu zu schaffende Aufbau- und Resilienzfazilität fließt28, stellt diese den Schwerpunkt des Wiederaufbaufonds dar. Aufgabe der Fazilität sei es, die Mitgliedsstaaten bei Investitions- und Reformvorhaben zu unterstützen.29 In diesem Zusammenhang spricht die Kommission von „maßgeschneiderten nationalen Konjunkturprogrammen“.30 Für die Kommission stellt sich die Fazilität als innovatives Instrument zur Umsetzung von finanziellem Beistand gegenüber den Mitgliedstaaten dar.31 In dem Vorschlag zur Errichtung einer solchen Fazilität wird betont, dass die allgemeine Zielsetzung des Instruments darin besteht „Förderung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts“ zu sein.32 „Dafür sollte sie dazu beitragen, die Resilienz und Anpassungsfähigkeit der Mitgliedstaaten zu verbessern, die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise abzumildern und den ökologischen und digitalen Wandel zu unterstützen“.33

Mit Blick auf die Vergabe der Mittel sollen Mitgliedstaaten nationale Aufbau- und Resilienzpläne erstellen, in welchen die spezifischen Reform- und Investitionsbedarfe der einzelnen Länder für die Jahre 2021-2023 dargestellt werden.34 Dabei wird hervorgehoben, dass die Kriterien in „Übereinstimmung mit den länderspezifischen Empfehlungen“ der EU-Kommission stehen und zur grünen und digitalen Wende beitragen müssen. Vorrangiges Ziel soll dabei die Stärkung des Wachstumspotenzials, die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie die Festigung der wirtschaftlichen und sozialen Resilienz des Mitgliedsstaats sein. Die national ausformulierten Pläne sollen anschließend vom Rat, auf Vorschlag der Kommission, mit qualifizierter Mehrheit gebilligt werden.35 Die Genehmigung zur Förderung der Finanzierung von Projekten durch den Wiederaufbaufonds sei bis Ende 2023 möglich. In den Schlussfolgerungen heißt es weiter: „Entsprechende Zahlungen werden bis zum 31. Dezember 2026 geleistet“.36 Das jährliche Darlehensvolumen, welches von einem Mitgliedsstaat abgerufen werden kann, solle dabei nicht größer als 6,8 % des jeweiligen Bruttonationaleinkommens (BNE) sein.37

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 zeigt die erwarteten länderspezifischen Abrufe der Mittel aus der Aufbau- und Resilienzfazilität. Relativ zum nationalen BNE38 erhalten vor allem osteuropäische Mitgliedsstaaten (Kroatien, Bulgarien und Rumänien) und Griechenland am meisten Zuschüsse. Die südeuropäischen Länder profitieren mit Anteilen von 3%-6% im Vergleich zum BNE ebenso, während die skandinavischen Staaten, Deutschland, Österreich und die Niederlande Zuschüsse von weniger als 1% des jeweilen BNE erwarten. Auffällig ist, dass laut dieser Prognose etwas 50% aller Mittel auf Italien und Spanien entfällt.

3.3 Finanzierung des Wiederaufbaufonds

Im Rahmen der Finanzierung des Wiederaufbaufonds, sieht die EU-Kommission vor, dass im Namen der Europäischen Union Mittel aufgenommen werden sollen.39 Laut Schlussfolgerungen des Europäischen Rates soll diese Ermächtigung über einen neuen Eigenmittelbeschluss geschehen.40 Die EU-Kommission hatte bereits im Jahr 2018, unter dem damaligen Präsidenten Juncker, einen Vorschlag über eine Reform des Eigenmittelsystems in der EU eingebracht.41 Im Zuge der COVID-19-Pandemie wurde dieser Vorschlag im Mai 2020 abgeändert.42 Maßgebliche Änderung zu dem ursprünglichen Vorschlag sind hierbei:

1) Die Union soll die Kommission ermächtigen, Mittel am Kapitalmarkt zur Bewältigung der COVID-19-Krise aufzunehmen.43
2) Die Eigenmittelobergrenzen werden zusätzlich im Zuge der Krisenbewältigung angehoben.44

Darüber hinaus lassen die Schlussfolgerungen des EU-Rates erahnen, dass die EU eine Reform des Systems der Eigenmittel im Blick hat.45

Der abgeänderte Vorschlag der Kommission sieht vor, dass die aufgenommenen Mittel bis zu 750 Milliarden Euro betragen können.46 Die am Kapitalmarkt aufgenommenen Mittel sollen dann auf den Wiederaufbaufonds übertragen werden und zur Bewältigung der Folgen der Ausnahmesituation dienen.47 Dass diese außerordentlich, zeitlich- und in ihrer Höhe begrenzt seien, wird im Änderungsvorschlag zur Eigenmittelverordnung betont.48

Die abgeänderte Eigenmittelverordnung sieht vor, dass die Tilgung des aufgenommenen Kapitalbetrags, und die fälligen Zinsen, über den EU-Haushalt finanziert werden.49 Auch diesbezüglich merkt der Kompromiss von Kommission und EU-Rat an, dass eine Erhöhung der Eigenmittelobergrenzen, um 0,6 Prozent aufgestockt, ausschließlich zur „Deckung aller Verbindlichkeiten […] zur Bewältigung der Folgen der COVID-19-Krise“ genutzt werden soll.50 Eigenmittelobergrenze meint dabei, dass für die Finanzierung des Unionshaushalts eine Gesamtobergrenze besteht. „Gemäß Eigenmittelbeschluss dürfen die Eigenmittel insgesamt nicht mehr als 1,23 Prozent des BNE der EU betragen“.51 Um einen „ausreichenden Handlungsspielraum“ zu garantieren, wird die neue ständige Eigenmittelobergrenze auf 1,4% des BNE der EU angehoben. Dies begründet die Kommission durch den „Brexit“ und „krisenbedingte technische Anpassungen“.52 Die 0,6 Prozent Aufstockung sorgt dafür, dass die EU, mit einer vorübergehenden Eigenmittelobergrenze von 2 Prozent der BNE, den bisher größten Handlungsspielraum hat. Damit solle besonders verdeutlicht werden, dass die Union seiner Rückzahlungspflicht unter allen Unterständen nachkommen kann.53

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Jedoch sei die Anhebung der Obergrenze zeitlich begrenzt bis „alle diese Verbindlichkeiten nicht mehr bestehen und bis spätestens zum 31. Dezember 2058“54. Ebenso seien die zusätzlichen Beträge lediglich zur Tilgung der NGEU-Mittel vorgesehen und dürften nicht für anderweitige Verbindlichkeiten verwendet werden.55

Des Weiteren strebt die Union in der Zukunft eine Reform der EU-Eigenmittel an. Die bisherigen EU-Eigenmittel gliedern sich in BNE-Eigenmittel, Traditionelle-Eigenmittel und Mehrwertsteuer-Eigenmittel.56

Die Abbildung 1 zeigt beispielhaft die Zusammensetzung und Herkunft der bisherigen EU-Eigenmittel für das Jahr 2018. Die Abbildung enthält nicht die sonstigen Einnahmen der Union und den vom Vorjahr übertragenen Saldo.57

Abbildung 25: Eigenmittel 2018 Quelle: Perry u. Sapala (2018) S.13

In den kommenden Jahren sollen neue Eigenmittel eingeführt werden. Ausgangspunkt soll hier 2021 die Einführung einer Abgabe für „nicht recycelte Kunststoffabfälle“ sein. Laut Kommission bestünden Vorschläge zur Schaffung zusätzlicher Eigenmittel in den Bereichen „CO2-Grenzausgleichssystem“und „Digitalabgabe“. Ferner könnten weitere Eigenmittel durch das Ausweiten des Emissionshandelssystems auf den Luft- und Seeverkehr, sowie die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, generiert werden.58 Hierbei sollen die Einnahmen aus den neu eingeführten Eigenmittelquellen ausschließlich für die vorzeitige Rückzahlung von NGEU-Mitteln verwendet werden.

Die Abbildung 2 ist eine Schätzung der Eigenmittelzusammensetzung für das Jahr 2027. Die Darstellung bezieht sich also auf die Überlegungen vor NGEU, aber verdeutlicht, dass die Union bereits vor der COVID-19-Pandemie konkrete Überlegungen zur Diversifikation der Eigenmittelbeschaffung hatte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 Meyer, Dirk (2020a), S. 308

2 Siehe Europäische Zentralbank, Der Europäische Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit (1973-1993)

3 Vgl. Mayer, Thomas (2013), S. 24

4 Siehe Europäische Zentralbank, Der Europäische Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit (1973-1993)

5 Vgl. Galahn, Gunbritt (1996), S.34-35

6 Vgl. ebd., S. 36

7 Vgl. Mayer, Thomas (2013), S.26

8 Vgl. Europäischer Rat (1978), Artikel 1.4

9 European Currency Unit – Europäische Währungseinheit in der nationale Währungen über einen Währungskorb zusammengefasst wurden.

10 Vgl. Stuchlik, Karl-Heinz u. Kleinheyer, Norbert (1987), S.91

11 Siehe Europäische Zentralbank, Der Europäische Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit (1973-1993)

12 Vgl. Reuters (2010)

13 Meyer, Dirk (2020a), S.309

14 Vgl. Europäische Kommission (2017a)

15 Vgl. Europäische Kommission (2020a), S.9

16 Beispielhaft hier sind Lockdownmaßnahmen und branchenspezifische Hygienevorschriften.

17 Europäische Kommission (2020c), S.1

18 Vgl. Europäische Kommission (2020b)

19 Vgl. Europäische Kommission (2020k)

20 Vgl. ebd., S.1

21 Vgl. ebd., S.2

22 Europäische Kommission (2020d)

23 Vgl. Europäische Kommission (2020f), S.7

24 Vgl. Europäische Kommission (2020k), A5

25 Vgl. Europäische Kommission (2020f), Artikel 3

26 Vgl. Europäische Kommission (2020k), A6

27 Vgl. ebd., A14

28 672,5 Mrd EUR von 750 Mrd EUR

29 Vgl. Europäische Kommission (2020e), S.6

30 Vgl. ebd., S.7

31 Vgl Europäische Kommission (2020g), Erwägungsgrund 8

32 Vgl. Europäische Kommission (2020g), A14

33 Ebd.

34 Vgl. ebd., A18

35 Vgl. ebd., A19

36 Ebd., A13

37 Vgl. ebd., A15

38 Auf Basis des Jahres 2019

39 Vgl. Europäische Kommission (2020h), S.2

40 Vgl. Europäische Kommission (2020k), A5

41 Siehe Europäische Kommission (2018)

42 Siehe Europäische Kommission (2020h)

43 Vgl. ebd., S.2

44 Vgl. Europäische Kommission (2020h), S.3

45 Vgl. Europäische Kommission (2020k), A29

46 Vgl. Europäische Kommission (2020h), S.2

47 Vgl. ebd., (2) (13b)

48 Vgl. ebd., eingefügter Artikel 3b)

49 Vgl. ebd., (2)

50 Vgl. Europäische Kommission (2020k), A9

51 Siehe (BMF), EU-Haushalt und mittelfristige Finanzplanung

52 Vgl Europäische Kommission (2020b)

53 Vgl. ebd.

54 Europäische Kommission (2020h), Artikel 3c)

55 Vgl. edb

56 Siehe Europäische Kommission, EU-Haushalt – Eigenmittel

57 Sonstige Einnahmen und vom Vorjahr übertragener Saldo machen weniger als 10% der EU-Gesamtmittel aus.

58 Vgl. Europäische Kommssion (2020k), A29

Fin de l'extrait de 47 pages

Résumé des informations

Titre
Next Generation EU. Ein neuer Name für ein altes Projekt?
Université
Helmut Schmidt University - University of the Federal Armed Forces Hamburg  (Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre insbesondere Ordnungsökonomik)
Note
1,3
Auteur
Année
2020
Pages
47
N° de catalogue
V1009581
ISBN (ebook)
9783346397317
ISBN (Livre)
9783346397324
Langue
allemand
Mots clés
EU, Wiederaufbaufonds, Coronahilfen, Recoveryfund, Next Generation EU, Ordnungsökonomik, Staatsschulden, Europa, europäischer Finanzminister, Haushaltsrecht, Euro, Corona, europäische Integration, Steuerhoheit, COVID-19, VWL, Volkswirtschaftslehre, Ökonomie
Citation du texte
Arwed Naß (Auteur), 2020, Next Generation EU. Ein neuer Name für ein altes Projekt?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1009581

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