Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ausgangssituation des Projektes „FAIRhandlungen"
3. Thema und Zielsetzung des Projektes
4. Theoretisch-wissenschaftlicher Kontext
4.1 Konflikte und Verhandlungen - ein Definitionsversuch
4.2 Konflikte in Organisationen
4.3 Der Faktor Mensch
4.4 Bisherige Trainingsansätze im Bereich Konflikt- und Verhandlungsfähigkeit
4.5 Ausblick auf das Projekt „FAIRhandlungen"
5. Entwicklung des Trainingsprogrammes „FAIRhandlungen"
5.1 Analyse des Trainingsbedarfes
5.2 Festlegung der Trainingsziele
5.3 Bewertungskriterien festlegen, Erfolgsfaktoren für den Transfer berücksichtigen und Entwicklung der Trainingsmethoden
5.4 Implementierung des Trainingsprogrammes „FAIRhandlungen"
5.5 Evaluation des Trainings
6. Inhalte des Trainingsprogramms „FAIRhandlungen"
6.1 Inhalte zur Verbesserung des Selbstmanagements
6.1.1 Die fünf Stadien des Zürcher Ressourcen Modells®
6.1.2 Die fünf Trainingsphasen des Zürcher Ressourcen Modell®
6.2 Theoretische Inhalte
6.2.1 Der Faktor Mensch im Konflikt
6.2.2 Theoretisches Wissen für praktisches Handeln
6.2.3 Erfahrungsorientiertes Lernen
6.3 Geplanter Ablauf des Trainingsprogramms
7. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 6-1: Rubikon-Prozess, eigene Darstellung in Anlehnung an Storch/ Krause
1. Einleitung
„Lasst uns nie aus Angst verhandeln, aber lasst uns auch nie Angst vor Verhandlungen haben." John F. Kennedy
Die vorliegende Projektarbeit beschäftigt sich mit moderner, wissenschaftlich basierter Persönlichkeitsarbeit in betrieblichen Strategien zur Konfliktbewältigung und Verhandlungsfähigkeit, einem zentralen Fachthema auch der Personalentwicklung von Organisationen.
Intention dieser Arbeit bzw. des Projektes „FAIRhandlungen" ist eine Verbesserung der sozialen Kompetenzen im Bereich von Konfliktbewältigung und Verhandlungsfähigkeit von Mitarbeitenden in Unternehmen. Diese relativ breit anmutende Themenstellung wurde gewählt, da in einem komplex dynamischen Umfeld, wie Unternehmen und vor dem Hintergrund der Megatrends der Arbeitswelt, die Konflikt- und Verhandlungsfähigkeit eine entscheidende Stellgröße für betriebswirtschaftliche Ergebnisse und die Gesundheit der Mitarbeiter darstellt und voraussichtlich zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Insbesondere der demographische Wandel, die Digitalisierung und die Globalisierung, um nur drei der aktuellen Megatrends der Arbeitswelt zu nennen, bedrohen vor dem Hintergrund des notwendigen Wandels das Sozialkapital von Gesellschaften und Unternehmen (Ernste 2015, S. 79-80). Das Sozialkapital kann erhalten bzw. sogar erhöht werden, wenn Menschen in die Lage versetzt werden Konflikte erfolgreich zu bewältigen.
Anlass für diese Projektarbeit ist der konkrete Auftrag aus einem Konzern. Dort machte sich bei mehreren Geschäftsverhandlungen die mangelhafte Konflikt- und Verhandlungsfähigkeit negativ bemerkbar, indem mehrere Aufträge an Mitbewerber vergeben wurden. Mehrere Millionen Euro Umsatz konnten so nicht generiert werden. Des Weiteren kommt es bei dem international agierenden Konzern immer wieder dazu, dass sich Konflikte negativ auf die Zusammenarbeit auswirken.
Dies kollidiert mit der Konzernstrategie, wo tadelloser Service und weiteres (gesundes) Wachstum oberstes Gebot sind. Letzteres wird durch anhaltende Konflikte gelähmt oder kommt sogar zum Erliegen. In dem aktuell stattfindenden Veränderungsprozess in Richtung agile Organisation mit dem Ziel die Innovationsfähigkeit zu steigern, kommt es zunehmend auf die Verhandlungsfähigkeiten aller Mitarbeitenden an.
Die vorliegende Projektarbeit stellt zunächst die Ausgangssituation im Unternehmen dar, konkretisiert das Thema und verfolgte Ziele, skizziert theoretische-wissenschaftliche Grundlagen, begründet die verwendeten Inhalte, skizziert final den chronologischen Ablauf des Projektes und zieht ein Fazit über bereits durchgeführte Veranstaltungen.
2. Ausgangssituation des Projektes „FAIRhandlungen
Ein international tätiger deutscher Großkonzern bzw. die dortigen Personalentwickler haben erkannt, dass es immer wieder zu Konflikten und misslingenden Verhandlungen kommt. Diese Geschehnisse haben negativen Auswirkungen auf Kundenbeziehungen und Interaktionen zwischen den Mitarbeitenden.
Neben den in Kapitel 1 geschilderten Umsatzverlusten, kam es innerhalb des Unternehmens zu menschlichen „Ausrutschern", so dass zahlreiche Beziehungsgeflechte aktuell beschädigt sind und es einer gelingenden Aufarbeitung bedarf. Darüber hinaus soll solchen Entwicklungen zukünftig vorgebeugt werden.
Eine Unternehmensberatung, für die ich als Freelancer tätig bin, kontaktierte mich und bat um die Erstellung eines Konzeptes, welches die Mitarbeiter zu erfolgreichen, nachhaltigen und fairen Verhandlungen befähigt. Die Personalentwicklung möchte zunächst mit einem Pilotprojekt beginnen, um die Konzeption auf Effektivität und Effizienz zu überprüfen. Dieses Pilotprojekt soll sich auf eine Geschäftseinheit im Bereich Vertrieb konzentrieren, wo erfahrene Vertriebler tätig sind, die inhaltlich komplexe Verhandlungen mit potenziellen Geschäftspartnern durchführen. In der jüngsten Vergangenheit sind erfolgreiche Verhandlungen jedoch häufig gescheitert.
In einer ersten Telefonkonferenz wurden folgende Eckdaten seitens der Personalentwicklung des Konzerns, dem Leiter der Geschäftseinheit des Vertriebes, dem Chief Finance Officer und einem Mitarbeiter des Vertriebsteams benannt:
Im Pilotprojekt sollen 18 Personen, verteilt auf beide Geschlechter, teilnehmen. Blended-Learn- ing-Formate sind im Unternehmen bekannt, geläufig und seitens der Unternehmensführung ausdrücklich erwünscht. Die dazu erforderliche Infrastruktur ist bereits implementiert und mir durch bereits durchgeführte Trainingsmaßnahmen bekannt. Die Teilnehmenden haben Erfahrungen und Vorwissen im Bereich Konfliktbewältigung und Verhandlungsführung (Anm.: Es konnten jedoch keine Angaben hinsichtlich des Inhaltes und dem Stand des Vorwissens gemacht werden). Dennoch würde es vielen Teilnehmenden nicht gelingen während der Verhandlungen ihr Wissen umzusetzen. Eine Ursache sei, dass sie ihre Emotionen nicht ausreichend kontrollieren könnten. Im Nachgang an eine Verhandlung würden den Teilnehmenden zwar gute Ideen kommen, wie man hätte besser handeln können, aber in der realen Situation käme es immer wieder zu „Blackouts".
Aus den vorgenannten Gründen seien direkte Trainings mit anschließenden Reflexionsmöglichkeiten ausdrücklich erwünscht. Eine Herausforderung bzw. Besonderheit besteht zusätzlich darin, dass bisher bei den Teilnehmenden die Einstellung vorherrsche, dass man in Verhandlungen nur gewinnen oder verlieren kann. Diese führt dazu, dass die Mitarbeitenden nach Verhandlungen entweder himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt sind. Zudem ist eine Trainerpersönlichkeit erwünscht, die über einen reichhaltigen Erfahrungsschatz bei Verhandlungen verfügt, da die Teilnehmenden nicht jeden Trainer ohne Weiteres akzeptieren.
Die Teilnehmenden haben schon einige Trainingsveranstaltungen im Bereich Kommunikation, Konflikt und Verhandlungen besucht. Bisherige Trainings im Bereich Konflikt- und Verhandlungstraining zielten auf reine Wissensvermittlung ab, dauerten meist einen Tag und zeigten kaum Nachhaltigkeit, da es auch zu wenig direkte Trainingsmöglichkeiten mit anschließender Reflexion gegeben habe (Anm.: laut Leiter Vertrieb und dem an der Fokusgruppe teilnehmenden Mitarbeiter).
Für eine neue Konzeption gibt es innerhalb des Konzerns bisher keine konkreten Vorstellungen (Anm.: Es sollen in jedem Fall Trainingsmöglichkeiten eingeplant werden) und keinen festgelegten Rahmen, wie die unter Kapitel 3 genannten Ziele erreicht werden sollen. Wesentlich sei es die Konflikt- und Verhandlungsfähigkeit zu erhöhen, um künftig erfolgreicher in- und außerhalb des Konzerns zu agieren.
3. Thema und Zielsetzung des Projektes
Das Praxisprojekt „FAIRhandlungen" basiert auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und hat als Ziel eine nachhaltige Konzeption für Konflikt- und Verhandlungstrainings zu entwickeln, das die Handlungspotenziale der Teilnehmenden erweitert und eine hohe Transfereffizienz aufweist. Durch den von mir entwickelten Neologismus „FAIRhandlungen", soll zugleich ausgedrückt werden, dass es darum geht Verhandlungen zu führen, die fair ablaufen und Win-Win- Situationen als Ziel haben.
Bei der Konzeption wird der stufenförmigen Entwicklung für Trainingsprogramme von Kauffeld gefolgt (2016, S. 13). So wird zunächst der Trainingsbedarf entwickelt, die Trainingsziele und Bewertungskriterien festgelegt, Erfolgsfaktoren für den Transfer berücksichtigt, Trainingsmaßnahmen entwickelt und selektiert, das Trainingsprogramm implementiert und die Trainingsergebnisse evaluiert.
Die schrittweise Entwicklung des Trainingsprogrammes „FAIRhandlungen" nach den Vorgaben von Kauffeld findet sich in Kapitel 5.
4. Theoretisch-wissenschaftlicher Kontext
Das folgende Kapitel verdeutlicht, was unter Konflikten und Verhandlungen verstanden wird, welche Untersuchungen es zu Konfliktkosten in Organisationen gibt und die Bedeutung von Konflikten in Organisationen. Zudem soll geklärt werden, welche Rolle der Faktor Mensch in Organisationen spielt, wie klassische Trainingsansätze aussehen und gibt final einen Ausblick welche aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse das Projekt „FAIRhandlungen" berücksichtigt.
4.1 Konflikte und Verhandlungen - ein Definitionsversuch
Die Begriffe Konflikte und Verhandlungen werden in der Wissenschaft unterschiedlich definiert, da Konflikte in verschiedenen Aggregaten vorliegen können (Tries und Reinhardt 2008, S. 50). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit stehen die interpersonalen Konflikte und deren Bewältigung im Vordergrund. Ein interpersonaler Konflikt liegt vor, wenn folgende drei Bedingungen erfüllt sind: (1) Interdependenz der Akteure; (2) Zieldivergenz zwischen den Akteuren; (3) eine fehlende Alternative (Tries und Reinhardt 2008, S. 42). Diese drei Bedingungen lassen Verhandlungen, als eine geeignete Methode erscheinen, um Konflikte für beide (oder mehrere) Parteien erfolgreich bewältigen zu können. Nach Pruit und Carnevale lässt sich Verhandeln definieren als eine Diskussion zwischen zwei Parteien mit dem Ziel zu einer Einigung zu kommen (1993).
4.2 Konflikte in Organisationen
Konflikte haben eine immense Bedeutung für Organisationen und die darin arbeitenden Menschen, da sich der Konfliktverlauf erheblich auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Beteiligten auswirkt. Demzufolge wirkt sich der Verlauf eines Konfliktes ebenfalls immens auf die Qualität der sozialen Systeme, wie z. B. das Team, in denen er stattfindet, aus. Essenziell ist es jedoch zwischen funktionalen und dysfunktionalen Konflikten zu unterscheiden, da nur letztere die Unternehmensleistung bzw. das Wohlbefinden negativ beeinträchtigen (KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft 2009, S. 18). Im Gegenteil kann eine gelingende Konfliktbewältigung sogar zu einer Verbesserung des sozialen Systems und einer Erhöhung der Innovationsfähigkeit führen, was ausdrücklich erwünscht ist.
Während funktionale Konflikte Treiber für Innovation, Wohlbefinden und Persönlichkeitsentwicklung darstellen können, hemmen dysfunktionale Konflikte selbige. Daher ist es wünschenswert für Unternehmen dysfunktionale Konflikte zu vermeiden.
Deren Kosten sind - selbst, wenn man das menschliche Leid einmal außen vor lässt - sogar erheblich: Derartige Konflikte verursachen Reibungskosten für das Unternehmen und führen zu gesundheitlichen Beanspruchungen bei Mitarbeitenden. Aufgrund dieser Erkenntnisse beschäftigen sich seit einiger Zeit mehrere Institutionen aus Wissenschaft und Beratung mit dem Ziel dysfunktionale Konfliktkosten quantifizierbar zu machen und kommen zu dem Ergebnis, dass diese bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen bis zu 19 Prozent der Gesamtkosten ausmachen (KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft 2009, S. 21).
Weitere Fakten vermögen diese eindrucksvolle Zahl zu bestätigen: Zehn bis 15 Prozent der Arbeitszeit werden in jedem Unternehmen für Konfliktbewältigung benötigt und Führungskräfte verbringen 30 bis 50 Prozent ihrer wöchentlichen Arbeitszeit direkt oder indirekt mit Reibungsverlusten, Konflikten oder Konfliktfolgen. Die entstandenen Fehlzeiten aufgrund betrieblicher bedingter Ängste und Mobbing am Arbeitsplatz belasten Unternehmen jährlich mit ca. 30 Milliarden Euro. Zudem betragen die Kosten pro Mobbingfall im Durchschnitt 60.000 €. Darüber hinaus belasten Fluktuationskosten, Abfindungszahlungen, Gesundheitskosten aufgrund innerbetrieblicher Konflikte Unternehmen jährlich mit mehreren Milliarden Euro. Schätzungsweise gehen ein Prozent der Mitarbeiterkosten p. a. für unverarbeitete Konflikte verloren und ca. 25 Prozent des Umsatzes hängen von der Kommunikationsqualität ab. In Zusammenhang mit diesen Erkenntnissen erscheint es daher plausibel, dass die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG im Rahmen Ihrer Studien für Konfliktkosten ein Reduktionspotenzial von 25 Prozent aufzeigen (2009, S. 20).
Dies verdeutlicht das große Rationalisierungspotenzial in diesem Bereich und offenbart, dass sowohl die Organisation als auch deren Mitarbeitende von einer Persönlichkeitsarbeit, die auf eine Verbesserung der Konflikt- und Verhandlungsfähigkeit abzielt, profitieren können.
Insbesondere in der heutigen Zeit werden Mitarbeitende, allen voran Führungskräfte, in Unternehmen zunehmend mit Konflikten und deren Auswirkungen konfrontiert, ohne dass man den beteiligten Akteuren einfach aus dem Weg gehen könnte. Dass es im Kontext von Unternehmen dringenden Handlungsbedarf gibt, zeigen dysfunktionale Konflikte und Mobbingfälle leider immer wieder. Beschäftigt man sich mit diesen Geschichten, stellt man leider viel zu häufig fest, dass die menschliche Fantasie der Wirklichkeit teilweise noch weit hinterherhinkt. Groß angelegte Projekte sind bisher jedoch meist Fehlanzeige. Liegt es möglicherweise daran, dass die Kosten von dysfunktionalen Konflikten in- und außerhalb der Organisation kaum von Controlling-Prozessen erfasst werden bzw. können?
Obwohl das Thema Konflikt- und Verhandlungsfähigkeit nahezu alle Prozesse und Abläufe innerhalb von Organisationen tangiert und daher auf einem möglichst hohen Niveau bei allen Mitarbeitenden präsent sein sollte, wird das Thema im Bereich der Personal- und Organisationsentwicklung meist nur am Rande behandelt. Zwar hat jeder von uns bestimmt am eigenen Leib erfahren, wie bedeutsam Konflikte sein können und wie sehr sie uns zu schaffen machen, doch leider besteht fast immer noch eine curriculare Fehlanzeige (Tries und Reinhardt 2008, S. 20).
Dies ist fatal, da künftig Konflikte bzw. deren erfolgreiche Bewältigung in Unternehmen zunehmend erfolgskritischer werden. So verändert der in Kapitel 2 genannte Konzern aktuell seine Strukturen in Richtung Matrix-Organisation und multifunktionale Projektteams, so dass ein gelingender Austausch und ein hohes Ausmaß an Reflektion geboten ist, um erfolgreich den nächsten Reifegrad zu erreichen (Bär et al. 2015, S. 80). Die Reifegrade von Unternehmen sind nicht im Blickpunkt der vorliegenden Projektarbeit und werden demzufolge an dieser Stelle nicht näher beschrieben. Für die strategische Passung des Projektes in den parallel stattfinden Veränderungsprozess, wurden sie jedoch berücksichtigt und es ist davon auszugehen, dass der Konzern, in dem das Projekt stattfindet, sich auf dem Sprung vom fünften zum sechsten Reifegrad befindet (Bär et al. 2015, S. 69-105; Laloux 2015). Dies ist daran erkennbar, dass sich das Unternehmen wegbewegen möchte von herausragenden Einzelleistungen, internen Wettbewerben mit Belohnung und mehrfachen Berichtswegen hin zu Flexibilität, langfristiger Erfolgssicherung und kollaborativer Arbeit (Bär et al. 2015, S. 83-88).
Strukturelle bzw. verhältnisorientierte Maßnahmen sollten demzufolge ebenfalls getroffen werden, da Konflikte nicht im luftleeren Raum stattfinden und oft Strukturen und Prozesse Auslöser für Konflikte sind. Damit befasst sich ein gesondertes Projekt.
4.3 Der Faktor Mensch
Woran liegt es, wenn selbst erfahrenen Verhandler, die über ausreichend Wissen, Verhandlungsstrategien und Taktiken verfügen, scheitern? Wie kann es sein, dass ein Trainingsansatz, der auf reiner Wissensvermittlung basiert, im Bereich Konflikt- und Verhandlungstraining, nicht ausreichend ist? Möglicherweise an der Person selbst bzw. an deren Identität(en) (Shapiro 2018, S. 21-23). Das folgende Zitat von Daniel Shapiro, Professor für Psychologie an der Harvard Medical School, Gründer und Direktor des „Harvard International Negotiation Programm" verdeutlicht, dass Managementsysteme und Wissen allein keine Antwort sind und die Wichtigkeit von persönlichkeitsbasierter Arbeit (Shapiro 2018, S. 6):
„Jede Generation hält sich für reifer,
fortschrittlicher und moderner
als alle anderen vor ihr.
Doch egal wie weit sich die Gesellschaft
entwickeln mag, sind und bleiben wir Menschen
in Konflikten immer eines: Menschen.
Die größte Herausforderung sind Konflikte,
in denen unsere Grundwerte auf dem Spiel stehen.
Wie können wir verhandeln,
wenn es um Dinge geht,
die nicht verhandelbar sind?"
Bei Fragen der Identität geraten klassische Trainingsansäte recht schnell an ihre Grenzen. Möglicherweise war auch dies ein Grund, weshalb der neuere Ansatz des Harvard-Negotiation-Pro- gramm die Persönlichkeit der Beteiligten aktuell in den Vordergrund stellt (Shapiro 2018, S. 2129).
Dieser Ansatz berücksichtigt die Erfahrungen vieler Konflikte, an deren Ende sich viel zu häufig mehrere Parteien unvereinbar gegenüberstanden, sich hochaggressiv begegneten und der Verstand völlig ausgeschaltet schien. Dass dieser Anschein korrekt ist, konnte mittlerweile wissenschaftlich belegt werden, da tatsächlich der präfrontale Cortex, der Teil des Gehirns, der für situationsangemessene Handlungen zuständig ist, bei emotional aufgeladenen Situationen auf Tauchstation geht (Bauer 2013, S. 57). In solchen Situationen reagieren Menschen dann rein aus ihren, meist aggressiven Emotionen heraus und können sich nicht mehr bremsen. Doch die Nachteile sind nicht auf eine einzelne Situationen beschränkt: wenn Menschen aufgrund ihrer Erziehung ihre Aggressionen nicht unterdrücken können, kann es sein, dass diese Nachteile selbst durch die besten Trainings- oder Therapiekonzepte nicht aufgeholt werden können. Obgleich die Trainings- und Therapiemöglichkeiten nicht bei allen Individuen gleich groß sind, lohnt sich dennoch der Versuch einer Verbesserung, da wir Menschen Träger eines „social brains" sind und sich erst in unterstützenden sozialen Kontexten unsere neurobiologischen Potenziale voll entfalten können (Bauer 2013, S. 109).
Die Quelle für Konflikte und misslingende Verhandlungen liegt somit vielfach im Menschen selbst. So trivial dies klingen mag, so schwer ist es gleichzeitig zu verändern, da der Mensch im Laufe seiner Biografie sein Verhalten an die Erwartungen und seine Bedürfnisse entweder an die ihn umgebende Umwelt anpasst oder diese ablehnt. Häufig kommt daher, insbesondere in Konflikten und Verhandlungen, auch ein Verhalten zum Vorschein, dass den Menschen immer mehr nach dem Motto „Vorteile jetzt - Folgen kommen nach der Sintflut - die heißt heute Tsunami" handeln lässt (Tries und Reinhardt 2008, S. 25).
Demzufolge sind Trainingsprogramme im Bereich Konflikt- und Verhandlungsfähigkeit ohne Einbezug der Persönlichkeit, unter Berücksichtigung der dargelegten Erkenntnisse ungenügend. Dass diese jedoch im Alltag noch häufig anzutreffen sind, legt das folgende Kapitel dar.
4.4 Bisherige Trainingsansätze im Bereich Konflikt- und Verhandlungsfähigkeit
Bisherige Trainings im Bereich Konflikt- und Verhaltenstrainings befassen sich meist ausschließlich mit der Vermittlung des erwünschten Verhaltens, ohne die Persönlichkeit der Trainierenden zu berücksichtigen. Da es jedoch gar nicht so leicht ist die Haltung von „Ich muss den anderen besiegen", in eine „win-win-Einstellung" umzuformen, wird sogar empfohlen, dass Verhand- lungs- und Konflikttrainings mindestens zwei Tage andauern (Ryschka 2011, S. 248). Ist dieser Ansatz dann ausreichend?
Mitnichten, denn Verhandlungen und Konflikte finden in einem komplexen dynamischen Umfeld statt und es sollte die Frage gestellt werden, ob man dieser Komplexität mit derartigen Konzepten gerecht werden kann. Reicht es wirklich aus, sich einzig und allein auf gewünschtes Verhalten zu konzentrieren? In vielen Konzeptionen zu diesen Themen ist dies jedoch der Fall und oftmals soll die Persönlichkeit sogar außen vor gelassen werden. Dementsprechend bildet die Trennung von Person und Gegenstand, eine der vier Grundannahmen des weltberühmten ursprünglichen Harvard-Konzeptes, um Emotionen keine entscheidende Rolle zukommen zu lassen (Ryschka 2011, S. 248). Dies mag zwar verdeutlichen, um welche Sache es in der Verhandlungen geht, lässt jedoch die Geschichten der beteiligten Personen und die sie umgebenden Kontexte außen vor. In der Praxis zeigt sich jedoch nach wie vor, oder gerade deshalb, eine erhebliche Diskrepanz zwischen gewünschten und erreichtem Resultat der Weiterbildung. Mehrere Studien belegen, dass - insbesondere bei Soft-Skill-Trainings - rund 90 Prozent der vermittelten Inhalte nach kürzester Zeit verloren gehen (Schmelzer und Stetter 2019, S. 38). Eine Ursache hierfür liegt darin, dass das vermittelte Wissen im Alltag nicht ausreichend trainiert werden kann und somit keine hohe Transfereffizienz gewährleistet ist. Weiterhin ursächlich könnte die Tatsache sein, dass die Persönlichkeit der Trainierenden häufig keine Rolle spielt. Daher braucht es neue Ansätze.
4.5 Ausblick auf das Projekt „FAIRhandlungen"
Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Erkenntnisse wird schnell klar, dass bisherige Trainingsansätze nicht ausreichend sind, um Menschen nachhaltig zu entwickeln. Untermauert wird dies durch die Erkenntnisse der Neurobiologie bzw. Neuroplastizität, die unterstreichen, dass Menschen auf eine zahlreiche Aktivierung der neuronalen Netzwerke angewiesen sind, um neue Verhaltensweisen im Alltag zu etablieren und alte Automatismen abzulegen (Storch und Krause 2014, S. 66-81).
Die bisherige Haltung der Mitarbeitenden der Vertriebsabteilung, die nur in Gewinner und Verlierer unterteilt, kann bei der zunehmenden Komplexität und Transparenz von Unternehmen, die über social media schnell in alle Welt transportier sind, erhebliche negative Auswirkungen auf die Reputation des Konzerns haben. Auch aus diesen Gründen soll sich diese Haltung dementsprechend verändern und Verhandlungen künftig fairer ablaufen. Bei all diesen wichtigen Zielen stellt sich überdies auch die Kosten-Nutzen-Frage. Wie kann es gelingen sinnvoll hier einen Spagat zwischen Haltungsveränderung, Wissensvermittlung, Training und Kosten zu erreichen?
Schmelzer und Stetter (2019) plädieren bei solchen Bedarfen für die Methode des Blended Learnings, einer Mischform aus digitalem und analogem Lernen. Dabei geht es jedoch nicht nur darum einfach alte Lernformate in die digitale Welt zu übertragen, sondern vor allem auch Zeiträume für Trainingsphasen zu schaffen, damit Teilnehmende die Gelegenheit haben neues Verhalten einzuüben und für einen gelingenden Lernprozess ebenso zu reflektieren. Blended Learning bietet für eine neue Art der Verhandlungsführung somit einen idealen Ansatz, da es neben der Wissensvermittlung ebenso des vielfachen Trainings und vor allem der Arbeit an der eigenen Persönlichkeit bedarf. Ansonsten wird es wahrscheinlich nicht möglich sein, das gewünschte Verhalten auch in emotional aufgeladenen Situationen tatsächlich zu zeigen, was jedoch zwingend erforderlich ist. Verdeutlichen mag dies die Analogie zu einem Fußballspieler: Es reicht nicht aus dem Spieler zu erklären, wie das Spiel abläuft, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, es auszuprobieren und seine Fähigkeiten, idealerweise unter professioneller Trainingsbegleitung, zu verbessern. Denn es wird auch hier immer wieder Spieler geben, die ihre Emotionen nicht unter Kontrolle halten können und trotz des besseren Wissens aufgrund ihres regelwidrigen Verhaltens vom Platz gestellt werden. Mehr Regelkunde und mehr spielerisches Training sind dann unzureichend. Daher braucht es Ansätze, die sich mit der Persönlichkeit der jeweiligen Menschen befassen und nicht rein bipolar zwischen „richtig" und „falsch" unterscheiden.
[...]