Suhrawardi über platonische Ideen und die Philosophie der Erleuchtung. Vergleich von Existenzbegriffen bei Suhrawardi und bei Avicenna


Hausarbeit (Hauptseminar), 2021

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

INHALTSVERzEICHNIS

1 Einleitung

2 Existenzbegriff

3 Platonische Ideen
3.1 Suhrawardiis Furrede
3.2 Mogliche Gegenrede

4 Fazit

Literatur

1 EINLEITUNG

Wir mochten in dieser Arbeit Suhrawardiis Beweis der Existenz platonischer Ideen in den Absatzen 94 und 95 seiner Philosophie der Erleuchtung1 er- lautern, verstehen und kritisieren. Da sein Beweis wiederum eine Kritik an der Widerlegung derselbigen durch Avicenna2 ist, werden wir auch auf diese eingehen. Beide Beweise basieren auf den jeweiligen Existenzbegriffen. Daher mochten wir uns zuerst knapp mit den jeweiligen Verstandnissen von Existenz, wie sie in Suhrawardii: Philosophie der Erleuchtung, S. 67ff. und Avicenna: The Metaphysics of the Healing, S. 45f. zu finden sind, befassen, insbesondere den Einschrankungen im Bezug auf die Existenz in der intel- lektuellen Welt im Vergleich zur dinglichen Welt. Auf diesen basierend folgt dann die Diskussion der Beweise zu den platonischen Ideen. Wir werden ver- suchen, Suhrawardiis Argumentation anhand seines eigenen Existenzbegriffes anzugreifen und zuletzt die Vereinbarkeit beider Standpunkte diskutieren.

2 Existenzbegriff

Das Sein behandelt Suhrawardii ab Absatz 57 des vorliegenden Werkes.3

Fur Suhrawardii ist das Sein ein „intelligible[r] Bedeutungsgehalt, der all- gemeiner als alle anderen ist“.4 Wie Kaukua weiter ausfuhrt, lasst diese Formulierung die Moglichkeit eines vom peripatetischen5 Verstandnis des Seins abweichenden Verstandnis desselbigen: „In other words, we can say that Suhrawardii begins by identifying being with being known: on the fun­damental level, to be is to appear. “6 Dies bettet das Sein als Grundprinzip in seine Philosophie des Lichts ein, das soll hier jedoch nicht Gegenstand sein. Vielmehr fahrt Suhrawardii fort und zeigt, wie in Argumentation 1 dargelegt, dass das Sein ein rein intellektueller Begriff sein muss.7

Fur Avicenna hingegen ist das Sein auch allgemein. Jedoch gibt es eine Zweiteilung.

Existence may belong to a thing in itself (as, for example, the existence of the human as human), and it may [belong to it] accidentally (as, for example, the existence of Zayd as white).8

Also teilt sich das Sein in zwei grundlegend unterschiedliche Arten, namlich jenes, das in etwas anderem ist (kontingent) und jenes, das nicht in etwas anderem sein kann (notwendig).

the existent is of two divisions. One of them is the existent in another thing (that other thing being [one] that realizes subsis­tence and species in itself) in a manner dissimilar to the existence of a part of [that other], but whose separation from that [other] cannot take place. This is the existent in a subject. The second is the existent that does not inhere in any other thing in this manner. Hence, it would not be in a subject at all. This is substance.9

In unserer direkten Realitat begegnen wir nur dem kontingenten Sein.10

Suhrawardiis Argument konzentriert sich hier jedoch auf die Differenzierung zwischen „Sein“ und „Seiendem“. Suhrwardii nimmt dazu an, das Sein sei in der Substanz. Ware dies jedoch der Fall, so musste es das Gleiche wie das Seiende sein. Denn wenn Sein in etwas auftritt, so ist dieses etwas Seiendes. Diese Behauptung widerlegt er jedoch sogleich. Denn nun wurde Ist das Sein intellektuell oder (auch) dinglich?

Argumentation 1: Die Begriffe Sein, Quidditat, Dinghaftigkeit und Wesen sind rein intellektuell. a

wenn Sein lediglich ein anderer Ausdruckfur die Schwarze ware, dann wurde es nicht in ein und derselben Bedeutung auf die Weifie, die Schwarze und die Substanz zutreffen. 4

sonst wenn man es andererseits als einen Bedeutungsgehalt betrachtet, der allgemeiner ist als die Substantialitat, dann wenn es an sich selbststandig ist, dann kann es nicht von der Substanz ausgesagt werden, denn es steht dann im selben Verhaltnis zu ihr wie zu anderem. 4 sonst wenn es jedoch in der Substanz ist, dann tritt es zweifellos in ihr auf, und dieses Auftreten ist das Sein. Wenn jedoch das Sein auftritt, so ist es ein Seiendes.

wenn man nun die Tatsache, dafi es seiend ist, lediglich als einen anderen Ausdruck fur das Sein selbst ansieht, dann wurde »seiend« nicht in ein und derselben Bedeutung auf das Sein und auf anderes zutreffen; denn bei den Dingen besagt der Begriff des Seienden, dafi das Seiende etwas ist, dem Sein zukommt, beim Sein selbst jedoch wurde er besagen, dafi das Seiende mit dem Sein identisch ist. Von der Gesamtheit der Dinge sagen wir jedoch nur dann etwas, wenn dies in ein und derselben Bedeutung geschieht. 4

sonst wenn wir aber sagen: »Die Schwarze, von der wir angenommen hatten, sie sei abwesend, ist jetzt; zuerst ist ihr Sein nicht aufgetreten, dann ist es aufgetreten; das Auftreten des Seins ist also etwas anderes als dieses selbst« - wenn wir dies sagen, dann kommt dem Sein Sein zu, und dasselbe trifft dann auch auf das Sein des Seins zu und so fort. Das gemeinsame Vorhandensein unendlich vieler geordneter Eigenschaften ist jedoch absurd. 4

a Sihab ad-Din Yahya Suhrawardi: Philosophie der Erleuchtung - Hikmat al-ishraq . Hrsg. und ubers. v. Nicolai Sinai. Berlin 2011, S. 67.

der Begriff seiend in unterschiedlicher Bedeutung auf Dinge und das Sein selbst zutreffen, was wiederum der anfanglichen Definition von Sein,11 vielmehr allerdings der Grundidee des Definierens widerspricht.

Das Auftreten des Seins (also das Seiende) muss entsprechend mit dem Sein identisch sein, denn sonst musste dem Sein Sein hinzukommen, was in einen unendlichen Regress fuhrt. Diesen Gedanken fuhrt auch Kaukua fort, wenn er sagt: „appearing as an object requires a subject to which the object appears".12 Somit bettet Suhrawardi seinen Seinsbegriff spater auch als das „Auftreten“ in seine Philosophie des Lichts ein13 Im Folgenden geht es um die Moglichkeit des Seins in der dinglichen Welt aufzutreten. Suhrawardi widerlegt dies ahnlich zum vorherigen Argument.

Tritt das Sein in der dinglichen Welt auf?

Argumentation 2: Das Sein tritt nicht in der dinglichen Welt auf. a wenn das Sein in der dinglichen Welt auftritt, dann mufi dem Sein ein weiteres Sein zukommen, sodafi sich ein Regrefi ergibt.

Also ist es nicht so, dass dem Sein selbst eine Quidditat des Seins innewohnt; wenn man eine Vorstellung von ihrem Begriff hatte, dann konnte man noch daruber im Zweifel sein, ob ihr nun Sein hinzukommt oder nicht.

wenn ihr Sein hinzukommt, dann dann mufite ihr ein zusatzliches Sein zukommen und es wurde sich ein Regrefi ergeben. 4

a Sihab ad-Din Yahya Suhrawardi: Philosophic der Erleuchtung - Hikmat al-ishraq. Hrsg. und ubers. v. Nicolai Sinai. Berlin 2011, S. 68.

Auch kann das Sein der Quidditat gegenuber nicht zusatzlich sein, da sonst, wie in Argumentation 3 dargelegt, eine unendliche Zahl an Relationen notwendig wurde, welche jeweils wieder ein Sein hervorriefen.14

Bereits die hohe Zahl ahnlicher Argumentationen mit gleichem Ziel macht klar, dass die rein intellektuelle Natur des Seins fur Suhrawardiis Gedanken- gang sehr wichtig ist.

Trate das Sein in der dinglichen Welt in Substanz auf, so bedurfte es eines Substrates. Mit der Einfuhrung dieses Substrates jedoch stellt sich die Frage der Reihenfolge. In Argumentation 4 widerlegt Suhrawardii einzeln die ver- schiedenen Moglichkeiten und schliefit somit insgesamt die Moglichkeit aus, dass das Sein in der dinglichen Welt als Substanz auftritt.

Weiteres Gegenargument.

Argumentation 3: Das Sein ist der Quidditat gegenuber nicht zusatzlich. a wenn Sein etwas ware, das der Quidditat zukame, dann stunde es in einer Beziehung zu ihr, und dieser Beziehung mufite ihrerseits Sein zukommen. Das Sein dieser Beziehung mufite dann wiederum in einer Beziehung zu dieser Beziehung stehen, und so ginge es dann endlos fort. 4

a Sihab ad-Dm Yahya Suhrawardi: Philosophie der Erleuchtung - Hikmat al-ishraq. Hrsg. und ubers. v. Nicolai Sinai. Berlin 2011, S. 68.21.

Weiteres Gegenargument.

Argumentation 4: Das Sein ist nicht Substanz. a

wenn das Sein tatsachlich in der dinglichen Wirklichkeit auftrate und Substanz ist, dann mufite es ein Zustand in etwas anderem sein wenn es zunachst selbststandig vorhanden ist und sein Substrat erst anschliefiend auftritt, dann wurde es seinem Substrat vorangehen. 4

sonst wenn sein Substrat zeitgleich mit ihm auftritt, dann wurde dieses zusammen mit dem Sein auftreten, nicht durch das Sein, was absurd ist. 4

sonst wenn das Sein nach seinem Substrat auftritt, dann ist das ein offensichtlicher Widerspruch. 4

Suhrawardi fuhrt in Argumentation 5 weiter aus, dass das Sein auch nicht in einem festen Verhaltnis zur Substanz steht, weder als Zusatzliches, noch anderweitig als Akzidens.

Argumentation 5: Das Sein ist nichts zur Substanz Zusatzliches und auch kein Akzidens. "

wenn das Sein in der dinglichen Wirklichkeit etwas gegenuber der Substanz zusatzliches ware, dann wurde es der Substanz innewohnen und ware dann den Peripatetikern zufolge eine Qualitat, denn es ware ein fester Zustand, dessen Vorstellung - wie ihre Definition der Qualitat lautet - nicht erfordert, dafi man die betreffende Substanz in einzelne Teile zerlegt oder in Beziehung zu etwas anderem setzt.

wenn das Sein in der dinglichen Wirklichkeit etwas Zusatzliches ist weil die Quidditat ja ohne das hinzutreten irgendeines Kausalfaktors nicht vorhanden ware, dann setzt man eine Quidditat voraus, zu der man in einem zweiten Schritt das Sein hinzufugt, wahrend ein Gegner behaupten kann, es sei die Quidditat selbst, die aus der Wirkursache resultiere. Die Debatte kehrt dann wiederum zu diesem zusatzlichen Sein zuruck, namlich der Frage, ob die Wirkursache diesem noch etwas anderes zuteil werden lafit oder ob es bleibt, wie es ist. i sonst wenn das Substrat einem qualitativen oder sonstigen Akzidens vorausginge,b dann mufite das Seiende also dem Sein vorausgehen, was unmoglich ist. i Aufierdem ware das Sein nicht das schlechthin allgemeinste unter den Dingen, sondern der Begriff der akzidentellen Qualitat ware allgemeiner als es. i

sonst wenn das Sein ein Akzidens ware, dann wurde es aufierdem nur in einem Substrat subsistieren. Dafi es in einem Substrat subsistiert, bedeutet jedoch, dafi es nur durch dieses Substrat vorhanden ist und zu seiner Verwirklichung dieses Substrates bedarf. Es ist nun zweifellos so, dafi dieses Substrat durch das Sein vorhanden ist, so dafi beide im jeweils anderen subsistieren wurden, was absurd ware. i

a Sihab ad-Din Yahya Suhrawardi: Philosophie der Erleuchtung - Hikmat al-ishraq. Hrsg. und ubers. v. Nicolai Sinai. Berlin 2011, S. 69.

b wie sie (die Peripatetiker) es behaupten

Zusammenfassend lasst sich also sagen, dass fur Suhrawardii der Seinsbegriff rein intellektuell ist. Er geht noch weiter und schliefit alle denklichen Wege aus, mittels derer das Sein in der dinglichen Welt auftreten konnte, sei es nun als Akzidens, als Teil der Substanz oder als anderes zusatzliches.15 Somit ist das Sein nicht langer etwas, was sich in der dinglichen Welt erkennen lasst, sondern wird zu einem Urteil des Intellekts. Das Sein wird also vom Individuum den Dingen zugeschrieben.

Fur Avicenna hingegen ist Existenz, bzw. das Sein, ein Grundprinzip, das allen Dingen in der dinglichen Welt innewohnt und sich in notwendiges und kontingentes Sein teilt, in diesen jedoch den gleichen Bedeutungsgehalt hat.

[...]


1 Sihab ad-Din Yahya Suhrawardi: Philosophic der Erleuchtung - Hikmat al-ishraq. Hrsg. und ubers. v. Nicolai Sinai. Berlin 2011,S.96ff.

2 vgl. Avicenna: The Metaphysics of the Healing: a parallel English-Arabic text - al-Ilahryat min al-Shifa'. Hrsg. und ubers. v. Michael E. Marmura (Islamic translation series). Provo, UT 2004,S.152ff.

3 Suhrawardii: Philosophie der Erleuchtung, S. 67f.

4 Ebd., S. 67 .

5 Wenn Suhrawardii von den Peripatetikern spricht, so meint er nicht wie ublich die Aristoteliker, sondern Avicenna und dessen Anhanger. Vgl. Peter Adamson: Leading Light: Suhrawardi. url: https://historyofphilosophy.net/suhraward%C4%AB (besucht am 14. 03. 2021).

6 Jari Kaukua: „Ictibari Concepts in Suhrawardi: The Case of Substance". In: Oriens 48 (Juni 2020). S. 40-66, hier: S. 56.

7 Hinweis zu den als „Argumentation" betitelten Schemata: hierdurch sollen Argumentationen in ihre einzelnen Bestandteile aufgegliedert werden. Der jeweilige Text ist grofitenteils mit der betreffenden Textstelle identisch, die Textstelle ist stets unterhalb der Argumentation angegeben. Jedoch werden Synonyme der Worte „wenn" und „dann" stets durch diese ersetzt, desweiteren werden einige Stellen umformuliert um grammatikalisch korrekt zu bleiben. Das Symbol markiert stets einen Widerspruch, durch den ein „Zweig" der Argumentation geschlossen wird. Wenn alle Zweige einer Argumentation geschlossen werden, so ist die Pramisse der Argumentation widerlegt.

8 Avicenna: The Metaphysics of the Healing, S. 45.

9 Ebd.

10 Michael E. Marmura: Art. „AVICENNA IV. Metaphysics". In: Encyclopedia Iranica (III) 1 (2011). S. 73-79. url: https://www.iranicaonline.org/articles/avicenna- iv (besucht am 14. 03. 2021).

11 „Es handelt sich um einen intelligiblen Bedeutungsgehalt, der allgemeiner als alle anderen ist." Suhrawardii: Philosophie der Erleuchtung, S. 67.

12 Kaukua: „Ictiban Concepts in Suhrawardi", S. 62.

13 „Nicht Sein, sondern Licht ist das Ersterkannte und Prinzip aller Erkenntnis"(vgl. Rudiger Arnzen: Platonische Ideen in der arabischen Philosophie: Texte und Materialien zur Begriffsgeschichte von suwar aflatuniyya und muthul aflatuniyya [Scientia Graeco-Arabica]. Berlin, New York 2011, S. 123). Jedoch muss dieses Licht auftreten um erkannt zu werden, sodass fur das erkennende Individuum nach wie vor Sein an erster Stelle steht.

14 denn jeder dieser Relationen muss wiederum Sein zukommen. a Sihab ad-Din Yahya Suhrawardi: Philosophie der Erleuchtung - Hikmat al-ishraq. Hrsg. und ubers. v. Nicolai Sinai. Berlin 2011, S. 68f.

15 vgl. dazu Argumentation 3, Argumentation 4 und Argumentation 5.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Suhrawardi über platonische Ideen und die Philosophie der Erleuchtung. Vergleich von Existenzbegriffen bei Suhrawardi und bei Avicenna
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Philosophisches Seminar)
Veranstaltung
Philosophie des Lichtes bei Suhrawardī
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
14
Katalognummer
V1030143
ISBN (eBook)
9783346443885
ISBN (Buch)
9783346443892
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Philosophie des Lichts, Illuminationsphilosophie, Suhrawardī, Avicenna, platonische Ideen
Arbeit zitieren
Floris Remmert (Autor:in), 2021, Suhrawardi über platonische Ideen und die Philosophie der Erleuchtung. Vergleich von Existenzbegriffen bei Suhrawardi und bei Avicenna, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1030143

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