Medien sind zu einem festen Bestandteil im Leben vieler Heranwachsender geworden und der Konsum von Fernsehen und Videospielen ist für viele nicht mehr wegzudenken. Doch im Rahmen der Nutzung beider Medien, ist die Konfrontation mit Gewaltdarstellungen nicht auszuschließen und von einigen Rezipient*innen auch erwünscht. Das Ziel dieser Arbeit ist es, herauszufinden, ob durch Gewaltdarstellungen im Fernsehen und in Videospielen die Gewaltbereitschaft Heranwachsender gesteigert wird. Die Effekte, welche Mediengewalt bei den Heranwachsenden auslöst, sollen ergründet werden.
Um die Forschungsfrage zu beantworten, ist eine Befragung mittels Fragebogen im Papierformat an einer Gesamtschule durchgeführt worden. Die Befragung richtete sich an heranwachsende Versuchspersonen zwischen 13 und 17 Jahren. Die Versuchspersonen wurden in ihren Klassenverbänden in gewohntem Umfeld befragt und im Vorhinein über die Durchführung der Studie aufgeklärt. Die Auswertung der Studie hat ergeben, dass Jungen und Mädchen Gewaltdarstellungen in den Medien unterschiedlich wahrnehmen. Eine allgemeine gesteigerte Gewaltbereitschaft nach dem Konsum von gewalthaltigen Medien wurde nicht festgestellt. In Bezug auf andere Menschen hält jedoch ein Großteil der Versuchspersonen eine gesteigerte Gewaltbereitschaft, vor allem durch den Konsum von Videospielen, für möglich. Für die sich daraus ergebende Problematik der gesteigerten Gewaltbereitschaft wurden im Anschluss an die Befragung Ansätze zur Prävention negativer Auswirkungen von Mediengewalt auf Heranwachsende herausgearbeitet.
Weiterführende Forschungen könnten sich auf Gewaltdarstellungen im Internet und deren Wirkung auf Heranwachsende beziehen, da die Nutzung des Internets für viele Heranwachsende einen festen Bestandteil ihres Medienkonsums darstellt.
Inhaltsverzeichnis
1 EINLEITUNG
2 GEWALTDARSTELLUNGEN IN VISUELLEN MEDIEN
2.1 Begriffsdefinition von „Gewalt“ und „Aggression“
2.2 Charakteristiken visueller Gewaltdarstellung - digitale spiele und Fernsehen im vergleich
2.3 DIE NUTZUNGSMOTIVE FÜR GEWALTDARSTELLUNGEN
2.3.1 Auf Seite der Rezipient*innen
2.3.2 Auf Seite der Medienunternehmen
2.4 Ein überblick über Wirkungstheorien der medien-und-gewalt-forschung
2.4.1 Die Katharsis-These
2.4.2 Die Habitualisierungsthese
2.4.3 Die sozial-kognitive Lerntheorie
2.4.4 Die Extinction-Transfer-Theorie
2.4.5 Die Stimulationsthese
2.4.6 Das General Aggression Model
2.4.7 Auswirkungen auf prosoziales Verhalten
3 BESONDERHEITEN BEI DER REZEPTION VON GEWALTHALTIGEN MEDIENINHALTEN BEI HERANWACHSENDEN
3.1 DIE WAHRNEHMUNG VON (MEDIEN-)GEWALT DURCH HERANWACHSENDE
3.2 Gewalt-und-medien-spirale
4 JUGENDGEWALT ALS GESELLSCHAFTLICHES PROBLEM
4.1 DIE POLIZEILICHE KRIMINALSTATISTIK
4.2 Straffälligkeit durch medien? Warum Heranwachsende zu Täter*innen werden
3.4 School-Shootings als Beispiel für jugendgewalt
5 ANSÄTZE ZUR PRÄVENTION NEGATIVER AUSWIRKUNGEN VON MEDIENGEWALT AUF HERANWACHSENDE
5.1 SCHULISCHE MAßNAHMEN
5.2 ERZIEHUNGSBERECHTIGTE
5.4 MEDIENUNTERNEHMEN
6 HINFÜHRUNG ZUM EMPIRISCHEN ARBEITSTEIL
6.1 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse
6.2 Hypothesen
7 QUANTITATIVE VERSUS QUALITATIVE FORSCHUNG
7.1 QUANTITATIVE FORSCHUNG
7.2 QUALITATIVE FORSCHUNG
7.3 AUSWAHL DER METHODE
8 METHODOLOGISCHE GRUNDLAGEN
8.1 AUSWERTUNG DER BEFRAGUNG
8.2 Form der Befragung
8.3 Formulierung des Fragebogens
9 BEFRAGUNG ZUR WIRKUNG VON MEDIALEN GEWALTDARSTELLUNGEN AUF HERANWACHSENDE
9.1 ABLAUF DER BEFRAGUNG
9.2 DIE PROBAND*INNEN
9.3 ANTWORTKATEGORIEN
10 DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER FORSCHUNGSERGEBNISSE
10.1 AUSWERTUNG DES FRAGEBOGENS
10.2 UNTERSCHIEDE ZWISCHEN MÄNNLICHEN UND WEIBLICHEN TEILNEHMERINNEN
11 DISKUSSION
11.1 ERGEBNISDISKUSSION
11.2 HERAUSFORDERUNG FRAGEBOGEN
11.2.1 Bewertung der Studie
11.2.2 Anknüpfungspunkte für weitere Forschung
12 MAßNAHMEN ZUR GEWALTPRÄVENTION BEI HERANWACHSENDEN
13 FAZIT
LITERATURVERZEICHNIS
ANHANG
Zusammenfassung
Medien sind zu einem festen Bestandteil im Leben vieler Heranwachsender geworden und der Konsum von Fernsehen und Videospielen ist für viele nicht mehr wegzudenken. Doch im Rahmen der Nutzung beider Medien, ist die Konfrontation mit Gewaltdarstellungen nicht auszuschließen und von einigen Rezipient*innen auch erwünscht. Das Ziel der Forschung ist es, herauszufinden, ob durch Gewaltdarstellungen im Fernsehen und in Videospielen die Gewaltbereitschaft Heranwachsender gesteigert wird. Die Effekte, welche Mediengewalt bei den Heranwachsenden auslöst, sollen ergründet werden.
Um die Forschungsfrage zu beantworten, ist eine Befragung mittels Fragebogen im Papierformat an einer Gesamtschule durchgeführt worden. Die Befragung richtete sich an heranwachsende Versuchspersonen zwischen 13 und 17 Jahren. Die Versuchspersonen wurden in ihren Klassenverbänden in gewohntem Umfeld befragt und im Vorhinein über die Durchführung der Studie aufgeklärt. Die Auswertung der Studie hat ergeben, dass Jungen und Mädchen Gewaltdarstellungen in den Medien unterschiedlich wahrnehmen. Eine allgemeine gesteigerte Gewaltbereitschaft nach dem Konsum von gewalthaltigen Medien wurde nicht festgestellt. Im Bezug auf andere Menschen hält jedoch ein Großteil der Versuchspersonen eine gesteigerte Gewaltbereitschaft, vor allem durch den Konsum von Videospielen, für möglich. Für die sich daraus ergebende Problematik der gesteigerten Gewaltbereitschaft wurden im Anschluss an die Befragung Ansätze zur Prävention negativer Auswirkungen von Mediengewalt auf Heranwachsende herausgearbeitet.
Weiterführende Forschungen könnten sich auf Gewaltdarstellungen im Internet und deren Wirkung auf Heranwachsende beziehen, da die Nutzung des Internets für viele Heranwachsende einen festen Bestandteil ihres Medienkonsums darstellt.
Abstract
Media became an inherent part in many adolescents lives. The use of television and video games became indispensable but while using both media, the confrontation with depictions of violence cannot be excluded. It is even desired by some recipients. The aim of the research is to find out which effects media violence has on adolescents. The central question is, whether depictions of violence increase the adolescents will to use violence.
To answer the central research question, a survey by means of a questionnaire in paper size was used. The test subjects were adolescents aged 13 to 17 years. They were questioned in their usual classrooms und told about the use of the questionnaire before the start.
The evaluation revealed that girls and boys reflect media violence differently. A general increase of the will to use violence from the questioned adolescents could not be determined. But related to other people, a big part of the adolescents thought it was possible that their will to use violence increases by using violent media. Especially after the use of video games. After the evaluation steps to prevent the increasing will to use violence after consuming media violence were worked out. Further researches could focus on depiction of violence in the internet since the use of the internet also became a part of adolescents media habits.
„Schlüsselbegriffe: Mediengewalt, Fernsehen, Videospiele, Medienwirkung, Heranwachsende“
„Key words: media violence, television, video games, media effects, adolescents“
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1, eigene Darstellung Kreisdiagramm zur Wirkung von Mediengewalt
Abbildung 2, eigene Darstellung zur Mediennutzung von Fernsehen und Videospielen
1 Einleitung
Bereits im dritten Jahrhundert vor Christus fanden Gladiatoren kämpfe statt. Eine blutige Tradition, die jedoch auch Kindern nicht vorenthalten wurde. Schon zu dieser Zeit war fraglich, welche Auswirkungen diese Bilder auf Kinder haben.
Heute wachsen Kinder und Jugendliche in Deutschland in einer Mediengesellschaft auf. Bildschirme mit medialen Botschaften befinden sich überall und ein Fernhalten der Heranwachsenden davon scheint unmöglich. Von klein auf werden sie so auch mit gewalthaltigen Inhalten konfrontiert. Doch wie wirkt sich die am Bildschirm erlebte Gewalt auf die Heranwachsenden aus?
Das Thema Mediengewalt erscheint zu jeder Zeit relevant, da Medien von nahezu allen Menschen in Deutschland konsumiert werden. Besonders nach schrecklichen Gewalttaten, die durch Heranwachsende verübt wurden, wird über gewalthaltige Medien diskutiert. Oftmals wird in diesem Kontext gewalthaltigen Videospielen eine Mitschuld an den Taten gegeben.
In dieser wissenschaftlichen Arbeit wird untersucht, ob visuelle Gewaltdarstellungen im Fernsehen und/oder in Videospielen die Gewaltbereitschaft Heranwachsender steigert. Mit Gewaltbereitschaft ist das innere Gefühl (bzw. die innere Bereitschaft), Gewalt auch in der Realität auszuüben, gemeint. Die Gewaltbereitschaft muss dabei jedoch nicht zwangsläufig in der Ausübung realer Gewalt gegen Individuen oder Sachen enden.
Im wissenschaftlichen Teil der Arbeit werden zunächst der Gewalt- und Aggressionsbegriff nach Zipfel (2019), Trepte und Reinecke (2013) sowie Beck und Schlichte (2014) erläutert. Zudem wird auf die charakteristischen Merkmale der Medien Fernsehen und Videospiele eingegangen sowie auf die gängigsten Theorien der Medien-und-Gewalt-Forschung, um einen Überblick über den bisherigen Forschungsstand zu geben.
Daran anschließend wird auf Besonderheiten in der Gewaltrezeption bei Heranwachsenden eingegangen. Hier wird der Fokus auch auf eine Risikogruppe gelegt, welche besonders empfänglich für den Konsum von Mediengewalt ist. Um das Problem der Jugendgewalt zu veranschaulichen, wird in Kapitel 4 auf die Veränderung von Jugendgewalt- sowie auf die gewalttätigen Heranwachsenden eingegangen. Dabei werden als Beispiel für extreme Jugendgewalt Amokläufe an Schulen und die Täterinnen thematisiert.
Der wissenschaftliche Teil endet mit der Beschreibung möglicher Präventionsstrategien im Bezug auf Mediengewalt und Gewalt im Allgemeinen sowie der Ausformulierung von Hypothesen als Hinführung zum empirischen Arbeitsteil.
Zur Erhebung der empirischen Daten wurde die Methodik der quantitativen Befragung mittels Fragebogen angewandt. In der Auswertung der Ergebnisse wird gesondert auf geschlechtsspezifische Unterschiede in den Angaben der Versuchspersonen eingegangen. Eine Interpretation des neuen Wissens und eine Beurteilung der angewandten Forschungsmethode folgen. Zudem werden weitere Maßnahmen zur Prävention gegen Gewalt bzw. zum Umgang mit Mediengewalt aufgeführt. Die daraus zu entnehmenden Handlungsempfehlungen für die Medienerziehung seitens der Erziehungsberechtigten und des schulischen Umfeldes sowie das Fazit mit Ausblick auf weitere Forschungsansätze, runden die Arbeit ab.
2 Gewaltdarstellungen in visuellen Medien
In diesem Kapitel wird die Gewaltdarstellung in den visuellen Medien „Fernsehen“ und „Videospiele“ thematisiert. Zunächst werden die Begriffe „Gewalt“ und „Aggression“ definiert. Es folgt die Erläuterung der charakteristischen Merkmale der Medien „Fernsehen“ und „Computerspiele“, auf welche im Verlauf der Arbeit immer wieder eingegangen wird. Daran anschließend werden die möglichen Nutzungsmotive für mediale Gewaltdarstellungen auf Seite der Rezipient*innen und Medienunternehmen aufgezeigt. Als letzter Unterpunkt folgt die Erläuterung wissenschaftlicher Wirkungstheorien aus der Medien-und-Gewalt- Forschung.
2.1 Begriffsdefinitionen von „Gewalt“ und „Aggression“
Für die Begriffe „Gewalt“ und „Aggression“ gibt es viele Beschreibungen. Es gibt jedoch nicht die eine (allgemein gültige) Definition. Daher werden in diesem Kapitel verschiedene Ansätze zur Definition beider Begriffe behandelt. Im alltäglichen Sprachgebrauch werden die Wörter oftmals synonym verwendet.
Laut Astrid Zipfel (2019) besteht Gewalt aus Zielgerichtetheit und der bewussten Absicht zur Schädigung eines anderen Individuums. Das Opfer (hierbei wird von einem Lebewesen ausgegangen) will diese Schädigung vermeiden. Durch Gewalt können sowohl Lebewesen als auch Sachen geschädigt bzw. beschäftigt werden. (vgl. Zipfel 2019: 16)
Zipfel (2019) teilt den Gewaltbegriff zudem in verschiedene Dimensionen auf und definiert diese wie folgt:
Personale- oder strukturelle Gewalt. Bei ersterer wird die Gewalt durch den Menschen ausgeführt. Bei letzterer durch das soziale System, in dem sie leben. (vgl. Zipfel 2019: 17) Bei der strukturellen Gewalt ist diese so in das soziales System eingebaut, dass sie dem Opfer nicht bewusst sein muss. Sie wird deutlich in ungleichen Machtverhältnissen oder Lebenschancen, bei denen das Individuum in seiner potenziellen körperlichen und geistigen Verwirklichung gebremst wird. Das bedeutet, eine freie Entfaltung eines jeden Individuums ist unter struktureller Gewalt nicht möglich. (vgl. Kunczik u. Zipfel 2006: 24)
Psychische und physische Schädigung. Diese Begriffe beschreiben die Schädigung des Gewaltopfers, welche psychisch und physisch erfolgen kann. Diesen Begriffen ordnet Zipfel (2019) auch die Sonderform der relationalen / sozialen Schädigung zu, bei welcher soziale Beziehungen beispielsweise durch Ausgrenzung geschädigt werden. (vgl. Zipfel 2019: 17) Auch die Mittel der Schädigung definiert Zipfel (2019). Dabei unterscheidet sie zwischen physischen- (in Form von gegenständlichen Waffen), verbalen- (durch Worte) und nonverbalen (durch Mimik, Gestik, aber auch das bewusste Ignorieren der betroffenen Person) Mitteln der Schädigung. (vgl. ebd.)
Die Zurechenbarkeit einer Gewalttat ist entweder direkt, wobei der Täter erkennbar ist, oder indirekt, wobei der Täter unerkannt bleiben will und die Sichtbarkeit der Folgen ist manifest / schmutzig wobei die Folgen sichtbar sind, oder aber latent / sauber, wobei die Folgen unsichtbar sind. (vgl. Zipfel 2019: 17)
Auch die Funktion von Gewalt kann unterschiedlich sein. Expressive Gewalt dient der Selbstdarstellung der Täter*innen. Bei impulsiver Gewalt wird Wut ausgelebt und bei der instrumentellen Gewalt dient die Gewalt als Mittel zum Erreichen von Zielen. (vgl. ebd.) Im Hinblick auf mediale Formate wird zwischen realer Gewalt (Nachrichten) und fiktiver Gewalt (z.B. ausgedachte Szenen in Filmen/Serien) unterschieden. Die mediale Präsentation von Gewalt wird in natürlich und künstlich unterteilt. Bei der natürlichen Gewalt handelt es sich um lebensechte und realistische Gewaltdarstellungen. Bei der künstlichen Gewalt wird diese verfremdet und unrealistisch dargestellt (z.B. in Zeichentrick). (vgl. Zipfel 2019: 17)
Beck und Schlichte (2014) definieren Gewalt als einen historisch wandelbaren Begriff. Als Beispiele für Gewalt nennen sie die beiden Weltkriege, Genozide (Völkermord), staatliche Repression, revolutionäre Gewalt, aber auch organisiertes Verbrechen und die häusliche Gewalt. Was als Gewalt bezeichnet wird, ist demnach nicht nur eine wissenschaftliche Frage, sondern immer auch eine politische. (vgl. Beck u. Schlichte 2014: 36f) Der Gewaltbegriff ist somit unter der Auswirkung von gültigen Rechtsformen und moralischen Vorstellungen wandelbar. Speziell auf die Deutsche Sprache bezogen, kann „Gewalt“ laut Beck und Schlichte (2014) gleichzeitig den körperlichen Angriff sowie die Autorität eines Staatsoberhauptes „mit dem selben Wort“ belegen. In der Deutschen Sprache wird der Gewaltbegriff „[...] seit jeher mit Macht und Herrschaft konnotiert.“ (ebd.). Das Wort gewaltig, welches Anerkennung (und somit etwas Positives) ausdrückt, kann als Beispiel für die ungenaue Definition von Gewalt gewertet werden. Denn heute hat Gewalt vor allem eine delegitimierende Bedeutung. (vgl. Beck u. Schlichte 2014: 39) Damit ist gemeint, dass die Gewalt in der heutigen Gesellschaft negativ angesehen bzw. verurteilt wird.
Trepte und Reinecke (2013) definieren Gewalt als aggressives Verhalten mit dem Ziel, einem anderen Individuum extrem zu schaden und dabei Verletzungen bis hin zum Tod in Kauf zu nehmen. (vgl. ebd. 142)
Aggression definieren Trepte und Reinecke (2013) als auf Schaden abzielendes Verhalten einer Person gegenüber einer anderen. Die Person, welche die Aggression ausführt, ist sich dabei voll bewusst, dass ihre ausgeführte Handlung der anderen Person schaden wird. Unbeabsichtigte Schädigungen stellen demnach keine Aggression dar. (vgl. ebd.: 142) Kunczik und Zipfel (2006) fassen drei vereinfachte Ursachen für die Entstehung von
Aggression zusammen. Zunächst sehen sie die Aggression in der menschlichen Natur verankert und als Trieb. Eine weitere Ursache können Frustration oder emotionale Erregung, sowie situative Faktoren oder eine Kombination daraus sein. Als dritte Ursache nennen sie Lernprozesse, wobei aggressives Verhalten (beispielsweise durch die Vorlage der Eltern) erlernt wird. (vgl. ebd. 23f)
Bauer (2004) definiert Aggressivität als Persönlichkeitseigenschaft. Das Individuum besitzt dabei eine überdauernde Gewaltbereitschaft. Die Aggression beschreibt das konkret realisierte Verhalten, d.h. die Ausübung der Gewalt. (vgl. Bauer 2004: 76) Somit wird deutlich, dass Aggressivität eine psychische Kategorie ist, die Eigenschaften bzw. Verhaltensweisen eines Individuums beschreibt.
2.2 Charakteristiken visueller Gewaltdarstellung — digitale Spiele und Fernsehen im Vergleich
In einer Welt des medialen Fortschritts sind Videospiele bei Heranwachsenden und Erwachsenen ein gleichermaßen beliebtes Medium. Laut Zukowski (2017) kann davon ausgegangen werden, dass Kinder heute bereits ab dem Alter von zehn Jahren mit Internetpornographie und gewalthaltigen Videospielen in Kontakt kommen. Computerspiele sind dabei für Heranwachsende, wie auch viele Erwachsene, zum Bestandteil ihres Alltags geworden. (vgl. Zukowski 2017: 260)
Kunczik und Zipfel (2006) vergleichen „Fernsehen“ und „Computerspiele“ und stellen dabei einige charakteristische Merkmale heraus. Demnach agieren die Zuschauer*innen des Fernsehprogramms passiv. Das heißt, während des Ansehens des Fernsehprogramms, ist auch die Beschäftigung mit anderen Dingen möglich. Spieler*innen eines Computer- bzw. Videospiels üben jedoch eine aktive Rolle aus, wodurch ihre Aufmerksamkeit ständig auf das Spiel gerichtet ist. Sie sind somit in die Handlungen des Spiels involviert und ihre Aufmerksamkeitsspanne ist durch eben diese Aktivität bei Computerspielen (wie auch Videospielen) höher. (vgl. Kunczik/Zipfel 2006: 295f) Zudem werden in Computerspielen bestimmte Verhaltensweisen durch Wiederholung trainiert. Kunczik und Zipfel (2006) verdeutlichen dies wie folgt:
„Ganze Sequenzen eines Tötungsaktes können in einzelnen Schritten detailliert und wiederholt nachvollzogen werden (z.B. Waffe und Munition besorgen, Waffe laden, Opfer stellen, zielen, Abzug betätigen usw.)“ (ebd.).
Dieses Trainieren von bestimmten Verhaltensweisen, wie beispielsweise Spielstrategien oder Tastenfolgen, ist essentiell für den Spielerfolg. Durch eine bessere Beherrschung des Spiels durch die Spieler*innen, verläuft es flüssiger. Auch der Belohnungsaspekt ist laut Kunczik und Zipfel (2006) ein nennenswerter Punkt. In vielen Computerspielen stellt Gewaltausübung das Hauptziel des Spiels dar und ist daher „[...] ausschließlich mit positiven Effekten verbunden“ (Kunczik u. Zipfel 2006: 296). Beim Ausüben von Gewalt im Spiel erfolgt eine direkte Belohnung der Spielerinnen, beispielsweise durch Punkte, Sound-Effekte oder den Zugang zu einem höheren Level. Bei Gewalthandlungen im Fernsehen wird dagegen nur das Verhalten der Schauspielerinnen belohnt. Somit findet eine stellvertretende Belohnung statt. (vgl. ebd.)
Filmische Gewaltsequenzen werden auch häufig nur kurzweilig gezeigt, während die Spielerinnen eines gewalthaltigen Computerspiels meistens ununterbrochen Gewalt ausführen und in Gewalthandlungen involviert sind. (vgl. Kunczik u. Zipfel 2006: 296)
Im Fernsehen gibt es verschiedene Darstellerinnen und damit Identifikationsfiguren. Auch eine Identifikation mit dem Opfer der Gewalthandlung ist möglich.
In Computerspielen wird dagegen „[. ] eine Identifikation mit einer bestimmten, zumeist violenten Figur nahe gelegt“ (vgl. Kunczik u. Zipfel 2006: 296). Das bedeutet, dass es keine andere Auswahlmöglichkeit gibt. In vielen Spielen stehen zudem verschiedene Spielfiguren (Avatare) zur Auswahl, die sich z.B. in Geschlecht, Persönlichkeit und Kampfstärke unterscheiden. Der*Die Spielerin kann die bevorzugte Figur auswählen, wodurch das Identifikationspotenzial verstärkt wird. Teilweise lassen sich Avatare auch komplett personalisieren, wodurch der*die Spielerin mit einem Avatar das Spiel bestreiten kann, welcher ihm*ihr selbst ähnelt oder seinem*ihrem Idealbild entspricht. (ebd.)
Informationen aus dem Fernsehen können zeitgleich bildlich, akkustisch, schriftlich, nonverbal (z.B durch Gestik und Mimik) und paarverbal (durch den Tonfall der Stimme) vermittelt werden. Der*die Rezipient*in kann dabei den Bilderfluss nicht selbst steuern und ist dem Programm ausgesetzt. (vgl. Schenk 2007: 117)
Er*Sie kann nicht selbst bestimmen, wie lange er*sie etwas ansieht, da Szenen und Bilder kontinuierlich wechseln. Bestimmte Wahrnehmungseindrücke, wie Geschmack, Geruch oder taktile Reize, welche im Alltag leicht zu erschließen sind, müssen über das Fernsehen indirekt vermittelt werden. Der*Die Rezipient*in hat zudem keine Überprüfungsmöglichkeit der nonverbalen und paarverbalen Informationen, wie es im Alltag durch die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht und Nachfragen möglich ist. (vgl. ebd.)
Klimmt (2001) führt an, Filme lösen Sozio-Emotionen aus, Spiele Ego-Emotionen. Damit spricht er den Aspekt an, dass sich der Zuschauer beim Ansehen von Filmen mit dem Protagonisten über seine Leistung freuen kann, während sich die Freude bei Computerspielen auf die eigene Leistung bezieht. Die emotionale Wirkung von Computer- und Videospielen ist daher besonders intensiv und führt zu einer „starken Spielmotivation“. (vgl. Klimmt 2001: 23)
Laut Heuser (2013) geht es sowohl bei Computer- bzw. Videospielen, als auch bei Fernsehangeboten um das Miterleben von auf einem Bildschirm visualisierter und ggf. akustisch untermalter Gewalt. Daher sollten die vorliegenden Mechanismen weitestgehend übereinstimmend sein. (vgl. Heuser 2013: 51f.) Damit meint er, dass sich Erkenntnisse über die Wirkung von Mediengewalt im Fernsehen auch auf Videospiele anwenden lassen. Die deutlich gehäufter vorliegenden Befunde aus der Medienwirkungsforschung zur Auswirkung von Gewaltdarstellungen in Fernsehangeboten lassen sich somit auch für dieselbe Forschungsfrage bei Computer- und Videospielen anwenden. (vgl. ebd.)
2.3 Die Nutzungsmotive für Gewaltdarstellungen
In den folgenden Unterkapiteln wird auf die Nutzungsmotive für Gewaltdarstellungen in visuellen Medien eingegangen. Zunächst werden mögliche Nutzungsmotive der Rezipient*innen erörtert, welche freiwillig Mediengewalt konsumieren. Anschließend wird auf die Vorteile der Nutzung von Mediengewalt für die Medienunternehmen eingegangen.
2.3.1 Auf Seite der Rezipient*innen
Die Rezipient*innen von Mediengewalt haben verschiedene Nutzungsmotive. Bonfadelli (2004) erarbeitete qualitative Befunde über einige der Motive für die Nutzung von Fernseh- und Videogewalt. Die Grundlage seiner qualitativen Studien bilden Gruppengespräche und Tiefeninterviews (d.h. Interviews, bei denen es um die Persönlichkeit der Versuchsperson geht) mit Jugendlichen. Bonfadelli stellte fest, dass die Beweggründe und Nutzungsmotive sehr individuell sind, wodurch auch die Effekte von Mediengewalt individuell verschieden sein können. (vgl. Bonfadelli 2004: 265f)
Der Konsum von Mediengewalt kann als Flucht vor konkret erlebten Problemen, beispielsweise im Elternhaus oder mit Gleichaltrigen, genutzt werden. Dabei dient der Medienkonsum als Ablenkung von der Realität und/oder zum Abreagieren aufgestauter Emotionen und hat folglich eine kompensatorische Funktion. (ebd.)
Auch Langeweile kann ein Grund für den Konsum von Mediengewalt sein. Dabei gewinnen Jugendliche durch den Konsum Stimulation, Spannung und erleben Abenteuer, welche in ihrem Alltag fehlen. Der Grund für das Fehlen dieser Merkmale in der Realität, können mangelnde Eigeninitiative oder innere Leere sein. (vgl. Bonfadelli 2004: 266)
Der Konsum von Mediengewalt kann unter Jugendlichen auch eine Mutprobe darstellen. Das gemeinsame Ansehen stärkt die Gruppenzugehörigkeit, aber der Gruppendruck kann auch als Zwang wirken. (ebd.) Auch die „Angst-Lust“ kann den Konsum von Mediengewalt begründen. Dabei ermöglicht das Ansehen von Gewalt (beispielsweise im Fernsehen) eine „[...] symbolische Auseinandersetzung mit ängstigenden Szenen und Symbolen in einer sicheren Situation, was zugleich wieder mit Lust verbunden ist.“ (Bonfadelli 2004: 266). Wenn in den gewalthaltigen Fernsehinhalten zudem am Ende die Täterin gefasst wird bzw. sich den Zusehenden bestätigt, dass sich die Gewaltanwendung nicht gelohnt hat, beruhigt dies die Rezipient*innen. (ebd.)
Als letzte Nutzungsmotive nennt Bonfadelli (2004) die Neugier und den Protest. Der Aspekt der Neugier kommt besonders bei pornografischen Inhalten vor, da Jugendliche durch diese etwas über den tabuisierten Bereich der Sexualität erfahren können. Beim Protest nutzen Jugendliche Gewaltmedien, um sich gegenüber den Erwachsenen, wie beispielsweise den Eltern oder Lehrkräften, abzugrenzen. Dieses Verhalten beschreibt Bonfadelli (2004) als jugendkulturelles Freizeitverhalten.
2.3.2 Auf Seite der Medienunternehmen
Während die Nutzungsmotive für Mediengewalt auf Seite der Rezipient*innen von Individuum zu Individuum verschieden sind, erscheinen die Nutzungsmotive der Medienunternehmen für den Einsatz von Mediengewalt klar definiert.
In der Fernsehbranche gilt das Motto: Emotionen erzeugen Aufmerksamkeit. Indem die Zuschauerinnen ihre Aufmerksamkeit nicht vom Bildschirm abwenden, erzielt der Sender Einnahmen. Es wird zu festen Zeiten eingeschaltet, wodurch teure Werbeblöcke verkauft werden. (vgl. Zukowski 2017: 36, 240)
Zur Erregung dieser Aufmerksamkeit bedarf es Beiträge, welche bei dem Zuschauerinnen möglichst starke Gefühle auslösen und sie folglich emotionalisieren. Da davon ausgegangen wird, dass positive Meldungen weniger Aufmerksamkeit erzeugen und somit weniger Einnahmen erbringen, wird besonders auf schockierende, erschreckende und somit negative Inhalte zurückgegriffen. (vgl. ebd. 36ff)
Glogauer (1994) plädiert dafür, dass die juristischen Fachleute der Medienunternehmen Kenntnisse über die psychologischen, pädagogischen und medizinischen Ergebnisse der Forschung zur Wirkung von Mediengewalt auf Heranwachsende haben müssen. (vgl. ebd. 1994: 172) Denn in den meisten Fällen von Nachahmungstaten auf Basis von medialen Gewaltdarstellungen, sind Kinder und Jugendliche die Ausführenden. (vgl. ebd. )
2.4 Ein Überblick über Wirkungstheorien der Medien-und-Gewalt- Forschung
Seit dem Beginn der Medien-und-Gewalt-Forschung wurden durch unterschiedliche Forschungsmethoden verschiedene Theorien herausgearbeitet, welche immer wieder um die selbe Frage kreisen: Wie wirken sich Medien auf die Rezipient*innen (dabei besonders im Hinblick auf Heranwachsende) aus? In diesem Kapitel werden einige der gängigsten Wirkungstheorien und Erkenntnisse aus der Medien-und-Gewalt-Forschung erläutert.
2.4.1 Die Katharsis-These
Als eine der ältesten Thesen der Medien-und-Gewalt-Forschung gilt die Katharsis-These, welche sich von den meisten Theorien unterscheiden lässt. Der Begriff Katharsis stammt aus dem Griechischen und bedeutet Reinigung.
Laut der Katharsis-These wird den Rezipient*innen durch Medieninhalte die Möglichkeit gegeben, „[...] Gewaltakte an fiktiven Modellen zu beobachten und in der Phantasie intensiv mitzuvollziehen.“ (Zipfel 2019: 32). Im übertragenen Sinne haben sie folglich die Möglichkeit, sich durch das Ansehen oder Ausführen fiktionaler Gewalt von eigenen Gewaltphantasien „zu reinigen“ (bzw. sich abzureagieren). Aufgrund der aktiven Teilnahme an fiktionalen Gewaltakten wird die Katharsis-These besonders im Zusammenhang mit Computer- bzw. Videospielen diskutiert.
Zusammenfassend stellt diese These als einzige positive Effekte von gewalthaltigen Medieninhalten heraus. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Bereitschaft zu realer Gewaltbereitschaft durch das Ausleben von Gewalt in der Phantasie verringert. Aggressionsneigungen werden dadurch unschädlich und ohne die Schädigung eines Individuums abgebaut. (vgl. ebd.)
In vereinzelten Experimenten haben sich zwar katharsische Effekte in Studien über gewalthaltige Computerspiele gezeigt, die Theorie gilt jedoch trotzdem als widerlegt, denn empirische Befunde, welche die These stützten, wiesen bei genauer Betrachtung methodische Mängel auf. Die überwiegende Mehrzahl der Studien der Medien-und-Gewalt- Forschung belegt zudem statt einer Verringerung eine (zumindest geringfügige) Steigerung der Gewaltneigung/Gewaltbereitschaft. (vgl. Zipfel 2019: 33)
2.4.2 Die Habitualisierungsthese
Die Habitualisierungsthese ist eine der meist diskutiertesten Thesen der Medien-und- Gewalt-Forschung. Laut dieser These führen Gewalt und mit Gewalt verknüpfte Pornografie in den Medien zu einer kognitiven und emotionalen Gewöhnung an das Gesehene. Auf die Gewöhnung folgt eine Abstumpfung (auch Desensibilisierung genannt) gegenüber gewalthaltigen Medieninhalten. Als Folge dessen nehmen die Rezipient*innen Gewalt als etwas Normales war, wodurch sich längerfristig das Mitgefühl der Rezipient*innen mit den Opfern einer Gewalttat verringert. (vgl. Bonfadelli 2004: 270) Dies ist problematisch, denn sobald sich die Hemmschwelle gegenüber Gewalt im Allgemeinen senkt, vergrößert sich die Chance, dass Rezipient*innen gelernte Gewaltmuster auch in der Realität ausführen. (vgl. ebd.) Zudem kann durch das sinkende Mitgefühl mit den Opfern einer Gewalttat die Bereitschaft zu Zivilcourage abnehmen.
Bonfadelli (2004) führt zudem an, dass die Gewöhnung an Mediengewalt zu einem nachlassenden Spannungsempfinden führt, wodurch das Bedürfnis nach immer stärkeren Gewaltstimuli, d.h. immer brutaleren Medieninhalten, entsteht.
Einen Beleg für die Habitualisierungsthese lieferte unter anderem Grimm (1992/1993) durch ein Experiment. Dazu zeigte er 38 Frauen und 43 Männern die Filmausschnitten zweier Horrorfilme. Gleichzeitig wurden Puls- und Hautwiderstand gemessen. Die Teilnehmerinnen gaben an, die Filme als anstrengend und spannend empfunden zu haben. Grimm stellte fest, dass sie sich nach häufiger Nutzung der Horrorfilme daran gewöhnten. Er schlussfolgerte, dass durch den intensiven Konsum von Horrorfilmen der Unterhaltungswert an Intensität verliert und damit die Konfrontation mit der Angst ihren Reiz verliert. Dieser Effekt ist unwiderruflich, wodurch Rezipient*innen immer stärkere Stimuli (wie beispielsweise noch brutalere Horrorfilme) benötigen, um wieder ein intensives Erlebnis zu haben. (vgl. Bonfadelli 2004: 270)
Laut Kunczik und Zipfel (2006) handelt es sich bei der Habitualisierungsthese um die gesicherte Annahme, dass sich Einstellungen bzw. Persönlichkeitsstrukturen nur in sehr seltenen Fällen dauerhaft durch einzelne Filme oder einzelne Fernsehsendungen verändern lassen. Es werden sich steigernde, langfristige Effekte betont. (vgl. Kunczic u. Zipfel 2006: 113f)
Kunczik und Zipfel (2006) unterscheiden das Habitualisierungskonzept in drei Formen. Die „nachlassende Orientierungsreaktiondie „systematische Desensibilisierung“ und die „nachlassende Reagibilität“ (gegenüber Gewalt.) Diese definieren sie wie folgt:
Das Nachlassen einer Orientierungsreaktion tritt bei wiederholter Reizdarbietung auf. Die Aufnahmefähigkeit für Umweltinformationen ist beim Menschen stark beschränkt, wodurch neuartige Reize, welche eventuell lebenswichtige Informationen beinhalten, besonders stark beachtet werden. (Kunczik u. Zipfel 2006: 115) Die Aufmerksamkeit gegenüber der Reizquelle ist demnach zunächst gesteigert. Bei wiederholter Darbietung schwächen die Reaktionen jedoch ab und bleiben schließlich ganz aus. Es kommt zur Habitualisierung (Gewöhnung) der Orientierungsreaktion, sobald sich der Reiz bei wiederholter Darbietung als ungefährlich bzw. unwichtig erwiesen hat. (vgl. ebd.)
Die nachlassende Reagibilität bezieht sich auf die Einstellung zu realer Gewalt. Die Einstellung dazu soll durch den täglichen Konsum mit Gewalt auf dem Bildschirm abstumpfen. Dieser Wahrnehmensveränderung auf Seite der Rezipient*innen können Konsequenzen folgen, wie eine sinkende Hilfsbereitschaft und eine ansteigende Neigung zu aggressivem Verhalten. (vgl. Kunczik u. Zipfel 2006: 116f) Die Auslegung der Habitualisierungsthese bedarf jedoch noch weiterer empirischer Überprüfung, da bislang vorliegende Studien keine Übereinstimmungen aufwiesen. (ebd.)
2.4.3 Die sozial-kognitive Lerntheorie
Die sozial-kognitive Lerntheorie gilt als eine der am häufigsten erforschten Theorien und wurde in vielen Laborexperimenten bestätigt. Dabei wurde diese Theorie von Albert Bandura 1978/1979 erstmalig aufgestellt. Sie besagt, dass Alltagsgewalt und Aggression wie anderes soziales Verhalten gelernt werden. Da die Medien tagtäglich Beispiele von „[...] Gewalt als erfolgreiches Mittel der Problemlösung [...].“ liefern, können Medieninhalte als Modelle zur Nachahmung fungieren. (vgl. Bonfadelli 2004: 269f)
Ob das Individuum die gelernten aggressiven Verhaltensweisen tatsächlich ausführt, hängt jedoch vor allem von Persönlichkeitsfaktoren, dem sozialen Kontext und der aktuellen Situation ab. Im Zusammenhang mit dem sozialen Kontext kann Gewalt beispielsweise negativ wahrgenommen worden sein (die Gewaltausübung wurde bestraft) oder aber positiv (die Gewaltausübung wurde positiv belohnt) (vgl. ebd.).
Laut Eisermann (2001) wird die Lerntheorie (auch Nachahmungsthese genannt) besonders „[...] in der Terrorismusdebatte sowie bei den medieninternen Diskussionen um professionelle Standards, bei der Berichterstattung über Banküberfälle oder Ausschreitungen bei Sportereignissen [...].“ beachtet und diskutiert (vgl. Eisermann 2001: 48). Bonfadelli (2004) kritisiert jedoch, dass bei den Laborbefunden das Problem der externen Validität auftritt. Es bleibt umstritten, wie häufig sich die gezeigten Effekte auch außerhalb der Laborbedingungen zeigen. In diesem Zusammenhang ist die Lerntheorie nur soweit es sich um kurzfristige Effekte handelt empirisch gut belegt. (Bonfadelli 2004: 270)
2.4.4 Die Extinction-Transfer-Theorie
Auf die Extinction-Transfer-Theorie wird besonders bei der Diskussion über die Wirkung violenter Computerspiele eingegangen. Bei dieser steht die Auslösung von Erregung durch Medieninhalte im Fokus. Dabei wird eine kurzfristige Aggressivitätssteigerung nach dem Ansehen violenter Medieninhalte als Resultat von allgemeiner Erregung angesehen.
Diese allgemeinen, unspezifischen Erregungszustände bilden das Triebpotenzial, das die Intensität nachfolgender emotionaler Reaktionen und Verhaltensweisen erhöht [...]“ (Zipfel 2019: 62).
Das passiert, weil sich noch nicht abgebaute, durch Medienstimuli ausgelöste Erregung und „[...] durch neue Situationen ausgelöste Erregungsreaktionen addieren.“ (ebd.).
Die Qualität der rezipierten Medieninhalte steht mit der Intensivierung von Emotionen und Verhaltensweisen jedoch nicht im Zusammenhang. Als Beispiel dazu nennt Zipfel (2019) erotische Medieninhalte, welche ebenso gewalttätiges Verhalten fördern können, während violente Inhalte auch „[...] in der Lage wären, prosoziale Handlungen zu intensivieren.“
Ob gewalttätige Handlungen auftreten, ist situationsabhängig. Eine Provokation kann beispielsweise einen aggressionsauslösenden situativen Reiz auslösen, indem sie von dem*der Rezipient*in als Ursache seiner*ihrer Erregung fehlinterpretiert wird. (vgl. ebd.)
2.4.5 Die Stimulationsthese
Die Stimulationsthese nach Leonard Berkowitz (1969; 1970) fußt auf der Annahme, dass der Zustand einer emotionalen Erregung, entstanden durch Frustration, nur zu einer Gewalthandlung führt, wenn geeignete Auslöser vorhanden sind. Zu diesen Auslösern lassen sich Reize zählen, die mit dem Auslöser des „gegenwärtigen Ärgernisses“ oder mit Erlebnissen der Vergangenheit assoziiert werden. Dazu zählen auch Medieninhalte. (vgl. Zipfel 2019: 63f) Im Rahmen der Stimulationsthese ging Berkowitz (1968) zudem davon aus, dass es Hinweisreize gibt, die generell aggressionsauslösend sind, wie beispielsweise Waffen. (ebd.)
Violente Sendungen oder Szenen in Filmen können beispielsweise kognitive Aggressionsfantasien auslösen und dadurch, als kurzfristige Wirkung, impulsives, aggressives Verhalten auslösen. Bevor es dazu kommt, erfolgt bei den Rezipient*innen eine durch die kognitiven Aggressionsfantasien ausgelöste Uminterpretation der aktuellen Situation bzw. ein Abbau von Aggressionshemmungen. (vgl. Bonfadelli 2004: 272)
2.4.6 Das General Aggression Model
Das General Aggression Model unterscheidet sich von den bereits genannten Theorien über die Wirkung von Gewaltmedien, da es nicht empirisch belegt werden kann und eine Modellannahme darstellt. Im Kontext der Medien-und-Gewalt-Forschung ist es dennoch zu beachten, da es die Ansätze älterer Forschungstheorien beinhaltet und im Kontext dieser Forschung viel diskutiert ist.
Dieses Modell (kurz GAM) wurde von Craig A. Anderson und Brad J. Busham entwickelt und ist aktuell das am meisten verwendete Modell in der Medien-und-Gewalt-Forschung. Dabei wurde es „[...] nicht speziell für die Erklärung der Wirkungen von Mediengewalt entworfen, aber sowohl von seinen Autoren als auch einer Vielzahl anderer Wissenschaftler intensiv auf entsprechende Fragestellungen angewandt.“ (Zipfel 2019: 76).
Das GAM integriert die Schlüsselideen mehrerer älterer Ansätze, wie beispielsweise des Extinction-Transfer-Modells, der Habitualisierungsthese und des Priming-Ansatzes. Dadurch wird versucht, kurz- und langfristige Wirkungen von Mediengewalt zu erklären. Der Hauptfokus des Modells liegt auf den kognitiven Effekten der Mediengewalt. (vgl. Zipfel 2019: 76)
Die Hauptannahme des GAM besagt, „[...] dass die Ausübung von Gewalt v.a. auf dem Lernen, der Aktivierung und der Anwendung aggressionsbezogener, im Gedächtnis gespeicherter Wissensstrukturen basiert.“ (ebd.).
Zunächst werden im GAM unmittelbare Ursachen und Prozesse dargestellt, die zu aggressivem Verhalten führen können. Dabei werden die Person und die Situation betrachtet. Auf die Person bezogen, sind dabei „[...] Wesenszüge wie ein instabiles bzw. übersteigertes Selbstbewusstsein, gewaltbezogene Überzeugungen aggressionsbezogene Ziele usw. von Bedeutung.“ (Zipfel 2019: 78)
Im Hinblick auf die Situation werden Umweltfaktoren, die das Handeln einer Person beeinflussen, wie z.B. aggressive Schlüsselreize, Provokation, Frustration, Schmerz, schlechte Laune usw. sowie der Konsum von gewalthaltigen Medieninhalten betrachtet. (ebd.)
Durch die Interaktion der beiden Input-Variablen Person und Situation entsteht der innere Zustand eines Individuums, welcher die Situation bewertet und über das Verhalten entscheidet. Dieser innere Zustand kann durch Kognitionen, Affekte und Erregung verändert werden.
Mit Blick auf die Kognitionen kann sich die Zugänglichkeit zu aggressiven Konstrukten im Hirn des Individuums erhöhen. Durch die wiederholte Aktivierung dieser Konstrukte sinkt die werden die entsprechenden Informationen und Verhaltensmuster leichter zugänglich. Die Zugänglichkeit kann dadurch auch chronisch werden, wodurch ein chronisches Gewaltverhalten entstehen kann. (vgl. Zipfel 2019: 78f)
Durch Affekte kann ein „Zustand der Feindseligkeit“ hervorgerufen werden. Dieser kann Umweltreaktionen zur Folge haben. Dabei wird das Individuum aufgrund des eigenen violenten Handelns mit feindseligen Situationen konfrontiert.
Die Input-Variablen Person und Situation können zu erhöhter Erregung führen, welche provozierte Handlungstendenzen verstärkt und als unangenehm empfunden werden kann. Erregung kann dadurch aggressionsauslösend wirken. (ebd.)
2.4.7 Auswirkung auf prosoziales Verhalten
Prosoziales Verhalten wird als Hilfsbereitschaft, anderen Personen oder Gruppen zu helfen, definiert. Die Hilfe geschieht freiwillig und nicht durch Zwang oder professionelle Verpflichtungen. Rothmund und Gollwitzer (2012) sehen eine mögliche negative Auswirkung auf die Bereitschaft zu prosozialem Verhalten durch den Konsum von Mediengewalt. Diese negative Auswirkung führen sie auf die folgenden drei psychologischen Wirkmechanismen zurück:
Emotionale Desensibilisierung und Empathieverlust, wodurch das Mitleid mit den Opfern sinkt. Normerosion, wobei aggressionsbezogene Normen verschoben werden und Gewalt als legitimes Mittel zur Lösung von Konflikten akzeptiert wird. Sobald Gewalt bzw. aggressives Verhalten akzeptiert wird, kann sich dies negativ auf die Hilfsbereitschaft gegenüber dem Opfer dieser Gewalt/Aggression auswirken.
Vertrauen und Kooperationsbereitschaft können durch den Konsum von gewalthaltigen Medieninhalten negativ beeinflusst werden. Das Verhalten und die Absichten von anderen Personen können dadurch als feindselig interpretiert werden— eine sinkende Kooperationsbereitschaft ist die Folge. (Rothmund u. Gollwitzer 2012: 326ff)
3 Besonderheiten bei der Rezeption von gewalthaltigen Medieninhalten bei Heranwachsenden
In diesem Kapitel wird auf einige Besonderheiten in der Rezeption von gewalthaltigen Medieninhalten bei Heranwachsenden eingegangen. Zunächst werden Unterschiede in der Wahrnehmung zwischen Gewalt bei Heranwachsenden und Erwachsenen aufgezeigt. Anschließend wird auf ein besonders schädliches Muster der Nutzung von Gewalt und gewalthaltigen Medieninhalten eingegangen: Die Gewalt-und-Medien-Spirale.
3.1 Die Wahrnehmung von (Medien-)Gewalt durch Heranwachsende
Kinder können Gewalt noch nicht so beurteilen wie Erwachsene. Sie nehmen vor allem physische Gewalt wahr und beurteilen diese Gewalt als negativ, wenn sie sehen, dass dem Opfer dadurch etwas Ernsthaftes zustößt. (vgl. Theunert, Pescher et al. 1994: 196f) Ihre Orientierung an der Opferperspektive basiert auf ihren Alltagserfahrungen. Dabei geraten sie häufig selbst in die Rolle des Opfers, da sie schwächer, als die Erwachsenen sind. Sie sind zumeist jedoch Opfer psychischer Gewalt. (vgl. ebd.) Besonders jüngere Kinder können zudem noch nicht zwischen Realität und fiktiver Darstellung unterscheiden, wodurch sie die Darstellungen für die Wirklichkeit halten und in ihr Verhaltensrepertoire aufnehmen. Die Bereitschaft, das gesehene Verhalten zu imitieren, tritt besonders auf, wenn die Kinder sich mit den Personen auf dem Bildschirm identifizieren können und/oder emotionale Beziehungen zu diesen aufbauen. (vgl. Glogauer 1994: 174)
Laut Kunczik und Zipfel (2006) gibt es eine Risikogruppe, die besonders empfänglich für Mediengewalt ist. Demnach wirkt sich die Gewaltdarstellung in den Medien vor allem auf das Aggressionsverhalten von jüngeren, männlichen Vielsehern aus, welche in Familien aufwachsen, in denen selbst sehr viel Fernsehgewalt konsumiert wird. Diese Jungen haben eine zu Gewalt neigende Persönlichkeit und erleben auch in ihrem realen, direkten sozialen Umfeld viel Gewalt. Sie sehen Gewalt als legitimes Mittel zur Lösung von Problemen. (vgl. Kunczik u. Zipfel 2006: 398) Die von ihnen konsumierten Medieninhalte zeigen realistische Gewaltdarstellungen oder Gewaltdarstellungen in humorvollem Kontext.
Die Protagonist*innen sind meist attraktiv und haben möglicherweise auch Ähnlichkeiten mit den jungen Rezipient*innen, wodurch sich diese mit ihnen identifizieren können. Die Gewalt anwendenden Protagonist*innen sind in ihrem Handeln erfolgreich und werden dafür entweder belohnt— oder zumindest nicht bestraft. Ein sichtbarer Schaden am Opfer (z.B. Verletzungen) wird nicht gezeigt, wodurch die Gewaltanwendung sauber wirkt. Diese verschiedenen genannten Faktoren interagieren miteinander, „[...], indem z.B. Eigenschaften des Rezipienten sowie dessen Erfahrungen in seinem sozialen Umfeld die Wahrnehmung von Gewaltdarstellungen beeinflussen [...].“ (Kunczik u. Zipfel, 2006: 398).
Kunczik und Zipfel (2006) geben zu bedenken, dass es keine „einfache Antwort auf die komplexe Frage nach der Entstehung von Gewalt und die Rolle der Medien gibt [...].“ (Kunczik u. Zipfel 2006: 399). In der bisherigen Forschung wurde die Gefährlichkeit von Mediengewalt nicht eindeutig geklärt, wodurch keine leicht verständlichen Aussagen über Ursache und Wirkung getroffen werden können. Gewalt in den Medien darf daher nicht verharmlost- jedoch auch nicht zum Sündenbock für Gewalt in der Gesellschaft gemacht werden. (ebd.)
[...]
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2020, Visuelle Gewaltdarstellung in Fernsehen und Videospielen. Wird dadurch die Gewaltbereitschaft Heranwachsender gesteigert?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1033193
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