Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Abbildungsverzeichnis
II. Abkurzungsverzeichnis
III. Hinweis
1. Einleitung
1.1. Motivation
1.2. Themeneingrenzung und Aufbau
1.3. Vorgehensweise
2 Die Entwicklung
2.1. Entwicklung als sozialer Prozess
2.1.1. Normen
2.1.2.Sozialisation
2.2. Entwicklung der Personlichkeit
2.2.1. Entwicklungsaufgaben im Grundschulalter
2.3. Verhaltensauffalligkeiten
2.3.1. Das Klassifikationssystem
2.3.2. Zusatzcodierung
2.4.Inklusion von Heterogenitat
2.4.1.Sprechen und Kooperieren
2.5.Schulsozialarbeit
3. Methoden des Verhaltensaufbaus. und Verhaltensabbaus
3.1 Methoden des Verhaltensaufbaus
3.1.1. Verstarkerplan
3.1.2. Verstarker-Entzugs-Systeme
3.7.Methode des Verhaltensabbaus
4. Diskussion
4.1.Interpretation von Verhaltensaufbau und Verhaltensabbau
4.2. Limitation
4.3. Bezug zur Sozialen Arbeit
5. Fazit
IV. Literaturverzeichnis
V. Anhang
I. Abbildungsverzeichnis
Abb. 1. Vorgehensweise
Abb. 2. Das soziookologische Modell
Abb. 3. Das Modell der produktiven Realitatsverarbeitung
Abb. 4. Erscheinungsformen von Verhaltensauffalligkeiten
Abb. 5. Subtypen bei Storungsbeginn
Abb. 6. Schweregrad
Abb. 7. Tagesbeurteilung mit Punkten
Abb. 8. Wettkampf um lachende Gesichter
Abb. 10. Intrinsiche und Extrinische Motivation
II. Abkurzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
III. Hinweis
Die vorliegende Bachelorarbeit ist im Sinne der vereinfachten Lesbarkeit in der mannlichen Sprachform geschrieben. Dies soll keine Benachteiligung oder Bevorzugung der Geschlechter darstellen.
1. Einleitung
„Seine Hande waren zu klein fur die Handschellen“ ist die Schlagzeile des Nachrichtenbeitrags in der Onlinezeitung „Zeit“. Der Beitrag handelt von einem achtjahrigen Kind, der an einer Grund- schule in Florida verhaftet wurde. Wegen eines Zwischenfalls in der Kantine wurde die Polizei alarmiert. Das Kind wurde beim Essen von der Lehrkraft aufgefordert sich aufrecht zu setzten. Al- lerdings zeigte das Kind keine Reaktion. Er ignorierte weiterhin auch, als die Lehrerin ihn auffor- derte seinen Sitzplatz zu wechseln. Die Lehrerin geht auf den Schuler zu, welcher aussagt nicht angefasst werden zu wollen. Er bedroht die Lehrkraft, dass seine Mutter die Lehrkraft schlagen wurde, bis er schlieBlich selbst zuschlagt (Schmees, 2020).
Gewiss lost das Ereignis Emporung oder schockierte Reaktionen der Leser aus. Es ist jedoch an- zumerken, dass das Kind unter psychischen Schwierigkeiten leide und die Lehrerin eigenmachtig gehandelt habe (ebd.). Das Verhalten der Lehrkraft sorgt fur Kritik, da es sich um ein Kind handelt, dessen Verhaltensstatus bekannt ist. So stellt sich die Frage, wie die Lehrkraft reagieren sollte oder ob es keine Vorgehensweise gibt, die innerhalb des Kollegiums abgesprochen und ausgefuhrt wird. Ware im Umgang mit Verhaltensauffalligen nicht fachliches Wissen und bestimmte Methodik notwendig, um solche Eskalationen zu vermeiden?
Dabei sollte sich mit dem Thema Verhaltensauffalligkeit, mit Fokus auf Grundschulen, auseinan- dergesetzt werden. Soziale Arbeit ist in verschiedenen Bereichen mit verhaltensauffalligen Kindern tatig. Im Regelfall handelt es sich hier um Familienbezogene Arbeitsfelder. Allerdings besteht der Bedarf auch in Schulen, da haufig gewisse Kinder im Schulalltag eine Herausforderung darstellen. GemaB Frohlich-Gildhoff stoBen Fachkrafte im Unterricht an Grenzen ihres Aktionsradius (S. 118). Aus der Perspektive von Erwachsenen als auch der Mitschuler agieren Kinder mit Verhaltenssto- rung falsch. Hierbei soll die Schulsozialarbeit eine unterstutzende Hilfe sein. Das Angebot wird von Lehrkraften beansprucht, wenn das Verhalten eine Kindes bereits ihren Rahmen sprengt. Die So- ziale Arbeit kann in diesem Bereich durch Praventions- und InterventionsmaBnahmen eine helfen- de Hand sein. Auch Beratung und Kooperation mit den jeweiligen Lehrkraften gehort zum Aufga- benfeld der Schulsozialarbeit. Die verschiedenen Handlungsmoglichkeiten werden in dieser Arbeit vorgestellt.
Das zentrale Ziel der vorliegenden Arbeit ist es jedoch herauszufinden, wie Fachkrafte mit verhal- tensauffalligen Kindern umgehen und diese gegebenenfalls fordern. Dabei wird neben Pravention und Intervention besonders auf den direkten Umgang mit eben solchen Kindern geachtet. Somit ist die Forschungsfrage dieser Bachelorarbeit folgende: „ Inwiefern werden Grundschulkinder mit auf- falligem Sozialverhalten durch angewandten Methoden der Fachkrafte gefordert?“.
1.1. Motivation
Die Auswahl des Themas Verhaltensauffalligkeiten in der Grundschule beruht auf der beruflichen Tatigkeit der Verfasserin dieser Thesis. Als padagogische Erganzungskraft an einer Grundschule mit Fokus auf Heterogenitat, gestaltet sich der Alltag ab und an als herausfordernd. Im Umgang mit den Kindern wurde das Interesse auf das Thema Verhaltensauffalligkeiten geweckt. Sei es Kinder mit Behinderung, Inklusionsbegleitung oder mit Verhaltensauffalligkeiten, im Schulalltag werden alle Kinder individuell gefordert. Aufgrund der Zusammenarbeit mit Lehrkraften und Sonderpad- agogen lassen sich Einblicke in verschiedene Sachverhalte in der Institution Schule ermoglichen. Es ist anzumerken, dass der Umgang mit unter anderem aggressiven Kindern neben Feinfuhligkeit auch wissen bezuglich der Thematik voraussetzt. Aufgrund dessen wurde genau dieses Thema fur die Bachelorthesis gewahlt.
Fur das Verstandnis der Vorgehensweise in der vorliegenden Arbeit ist vorab die Beschreibung der Themeneingrenzung notwendig. Zudem wird gleichzeitig der Aufbau der Bachelorarbeit naher er- lautert.
1.2. Themeneingrenzung und Aufbau
Der Begriff Verhaltensauffalligkeit offnet ein sehr weites Feld an Thematik. Die meisten Arbeiten beziehen sich auf den Ursprung und Diagnose fur gestortes Verhalten. In der vorliegenden Bache- lorarbeit wird sich hauptsachlich mit den Begriffen der Entwicklung und Sozialisation befasst, um anschlieBend einen Bezug zur Verhaltensauffalligkeit zu nehmen. Dabei wird zunachst die Entwicklung hinsichtlich Normen und Sozialisation beschrieben. Daraus soll das Verstandnis fur die Verhaltensauffalligkeit herausgebildet werden. Thematisiert wird die Entwicklung des Kindes und die der Personlichkeit in Bezug auf Einflussfaktoren, wie die soziale Umwelt. Verschiedene Theori- en unterstutzen die Darstellung.
In der Gesellschaft leben und entwickeln sich Kinder in diversen Lebenssituationen und Familien- konstellationen. Die Heterogenitat im gesellschaftlichen Kontext wachst und ist auch in der Institution Schule erwahnenswert. Dennoch gibt es eine Erwartungshaltung vonseiten der Gesellschaft. Diese Normen werden nach Frohlich-Gildhoff dargestellt. Allerdings haben auch genetische Anla- gen und Umweltbedingungen eine Rolle in der Entwicklung des Menschen. Die Umweltbedingun- gen und Normen stehen im Bezug zur Sozialisation. Demnach wird auch das Thema Sozialisation auf Basis der Aussagen von Hurrelmann und Bronfenbrenner naher erlautert. Insbesondere Sozia- lisationsinstanzen, das soziookologische Modell und die produktive Realitatsverarbeitung finden Platz in Kapitel 2. Daruber hinaus werden die Entwicklungsaufgaben im Primarschulalter aufgelis- tet.
AnschlieBend erfolgt eine kurze Erklarung wie Verhaltensauffalligkeiten aus dem geschilderten Entwicklungsprozess auftreten. Dabei wird auch zwischen externalisierender und internalisierender Verhaltensstorung unterschieden. Zudem ist die Lehre von Kluge und die Differenzierung sechs Verhaltenstypen beachtenswert. Um zu veranschaulichen, anhand welcher Kriterien ein Verhalten als Storung diagnostiziert und kategorisiert wird, wird das Klassifikationssystem des DSM vorge- stellt. Dazu wird uber das DSM und die ICD informiert, um anschlieBend das Kriterienkatalog des gestorten Sozialverhaltens nach DSM vorzustellen. Anknupfend dazu sind Zusatzcodierungen, Be- stimmung des Schweregrads und sonstige Indikatoren ausfuhrlich anzugeben.
Nach der Thematisierung der UN-Behindertenrechtskonvention, werden Interventionsmoglichkei- ten wie Dialogfuhrung oder kooperative Beratung vorgestellt. Dies wird anhand der veroffentlichten Lehrplane des MSW erganzt und unterstutzt, um daraufhin einen Bezug zur Schulsozialarbeit her- zustellen. Im Unterkapitel 2.5 wird neben dem Aufgabenbereich auch die Ziele und Handlungsfel- der der Schulsozialarbeit erlautert.
In Kapitel 3 werden Methoden die im Rahmen des Schulalltags verwendbar sind deskriptiv darge- stellt. Dabei handelt es sich um Methoden des Verhaltensaufbaus und Verhaltensabbaus. Nach diesem Kapitel folgt eine Diskussion uber die Thematik. Es wird Bezug auf die vorgefuhrten Be- grifflichkeit genommen und sich mit den Methoden kritisch auseinandergesetzt. Ziel ist es dabei, anhand des Wissensstands, die Forschungsfrage zu beantworten. Das letzte Kapitel beinhaltet das Fazit, welches die wichtigsten Ergebnisse und aussagen bundelt und eine Schlussfolgerung mit Ausblick formuliert.
1.3. Vorgehensweise
Grundbaustein einer wissenschaftlichen Arbeit ist die Beschreibung der Vorgehensweise. Da im Vorherigen bereits der Aufbau der Thesis und dessen Eingrenzung im Themenbereich geschildert wurde, ist im Nachfolgenden der Verlauf von der Literaturerfassung bis hin zur Erstellung der Dis- kussion erklart.
Fur die vorliegende Bachelorarbeit erfolgte eine intensive Literaturrecherche. Zuerst wurde in der Online-Bibliothek der IU internationalen Hochschule Schlagwortartig nach „Verhaltensauffallige Kinder“ gesucht. Nach einer ersten Einsicht in ein Buch wurde gemaB des Schneeballprinzips im- mer mehr Literaturen herangezogen. Es wurde klar, dass die Suche verfeinert werden muss, da das Thema sehr umfangreich ist. Somit wurde eine eingegrenzte Recherche betrieben (Bortz & Doring, S. 160). Dafur stellten sich folgende Schlusselworter zusammen: Verhaltensstorung, Sozi- alverhalten, Inklusion, Grundschule, Grundschulkinder und Entwicklung. Anhand dieser wurde in der Online-Bibliothek der IU, in Google Scholar und einer Schulbibliothek nach geeigneter Literatur gesucht. Fur die Ubersicht der verschiedenen Themen wurde eine Mind-Map erstellt. Auf der Grundlage dieser konnte das Themenfeld eingegrenzt werden in Entwicklung, Sozialisation, Diagnose, Intervention und Schulsozialarbeit. Somit konnte mit der Verfassung des ersten Teils be- gonnen werden.
Um die Forschungsfrage zu beantworten, wurde mithilfe der Schlusselworter Methoden, Konzepte, Schule, Sozialverhalten, Storung in verschiedenen Datenbanken, Ausschau nach geeigneter Lite- ratur gehalten. Nach einem groben Einblick in verschiedene Literatur, war es moglich die Suche weiterhin zu verfeinern. Auf Basis der Schlusselworter Verhaltensaufbau und Verhaltensabbau konnte in der Online-Bibliothek IU und Google Scholar gesucht und zusatzlich Internetrecherche betrieben werden. Die Suchmaschine Google Scholar dient speziell fur allgemeine wissenschaftli- 3
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2. Die Entwicklung
Dieses Kapitel befasst sich mit dem Begriff der Entwicklung im Bezug auf Normen und Sozialisati- on, um daraus das Verstandnis fur die Verhaltensauffalligkeit zu schaffen. Vorerst wird sich auf die Entwicklung des Kindes konzentriert. Der Schwerpunkt der Entwicklung der Personlichkeit wird danach auf die Sozialisation gelegt. Dazu werden verschiedene Theorien dargestellt, um im Anschluss eine Verbindung zur Verhaltensentwicklung aufzubauen. Zuerst erfolgt ein Definitionsver- such fur den Begriff „Entwicklung“.
Die erstmalige Verwendung des Begriffs „Entwicklung“ ist auf das Jahr 1645 zuruckzufuhren. Im Vergleich zu heute ist die Bedeutung jedoch eine ganz andere. Der Begriff bezog sich auf das Auswickeln von Schriftrollen, wobei es gegenwartig Veranderungen in der menschlichen Lebens- phase andeutet. Ungeachtet der existierenden Entwicklungstheorien ist eine einheitliche Definition von Entwicklung nicht gegeben. Die Professionen verfugen verschiedene Perspektiven bezuglich der Begrifflichkeit (Flammer, 2017, S. 18).
Entwicklung kann als intraindividuelle Veranderung uber eine langere Zeit hinweg bezeichnet wer- den. Dabei handelt es sich beispielsweise um das Aneignen von Fahigkeiten wahrend der Kind- heit. Vorerst konnen intraindividuelle Veranderungen, die nicht als Entwicklung gelten, ausge- schlossen werden. Dies waren zum einen die Befindlichkeitsanderung, welche einstweilig erschei- nen und keine weitere Entwicklung bzw. Veranderung des Menschen anregen. Des Weiteren sind plotzliche Veranderungen wie Unfalle nicht als Entwicklung zu bezeichnen, da der neue Zustand nicht von dem vorherigen Entwicklungsstatus hervorgerufen wurde. Auf der anderen Seite konnte eine Anpassung des Menschen an die neuen Umstande notig sein, so dass Entwicklungsprozesse notwendig sind. Dadurch werden intraindividuelle Entwicklungsschritte ausgelost, die unter ande- rem das Verhalten des Individuums verandern (Lohaus & Vierhaus, 2019, S .4).
Bei der Verwendung des Entwicklungsbegriffs stoBt man des Ofteren auf das Wort Sozialisation. In der fruheren Zeit bezog sich Sozialisation auf die Eingewohnung in eine (kulturelle) Institution. Somit wurden Normen, Werte und Rollen akzeptiert und verinnerlicht. Ein Bezug zur Entwicklung existiert in diesem Fall nicht. Gegenwartig sind Sozialisation und Entwicklung zum Teil konvergie- rend, da Sozialisation die institutionellen Faktoren im Leben und Integrationsprozesse innerhalb einer Gesellschaft umfasst. Die Entwicklung hat ein durchaus weites Feld: Sie erstreckt sich von kulturellen, uber sozialen bis hin zu individuellen Prozessen (z.B. psychische Entwicklung) (Flam- mer, 2017, S. 22).
Demnach kann sich auf folgende Aussage gestutzt werden: „Entwicklung bezieht sich auf relativ uberdauernde und aufeinander bezogene intraindividuelle Veranderungen des Erlebens und Ver- haltens uber die Zeit hinweg“ (Trautner, 1992 zitiert nach Lohaus & Vierhaus, 2019, S. 4).
Die positive Veranderung der individuellen Kompetenzen rundet die Entwicklung an. Dazu gehoren zum einen die andauernden Veranderungen, sowohl auch kurzzeitige Veranderungen. Jedoch zei- gen sich ungunstige Entwicklungsprozesse als Verhaltensregressiv und irreversible. Daruber hin- aus spielt sich die individuelle Entwicklung des Menschen wahrend des demographischen und so- zialen Wandel der Gesellschaft ab. Beide Komponenten beeinflussen sich reziprok, so dass die Entwicklungspsychologie als sich immer andernde und revidierende Wissenschaft gilt (Flammer, 2017, S. 22 ff.).
2.1. Entwicklung als sozialer Prozess
Aufgrund der immer mehr wachsenden Vielfalt in der Gesellschaft, leben und entwickeln sich Kinder innerhalb diverser (familiarer) Lebenssituationen. Die Heterogenitat und individuellen Konstruk- te jener Familie pragt die Entwicklung des Kindes. Binnen des Grundschulalters werden Kinder miteinander verglichen, um zu beurteilen inwiefern Erwartungen erfullt werden. Die Erwartungen bzw. Normen beruhen beispielsweise auf dem Bildungssystem, die eine Homogenisierung zum Ziel haben. Allerdings zeigt die Diversitat sich bei Kindern als imposant, so dass eine einheitliche bzw. standardisierte Erziehungsstrategie nicht immer effektiv ist. So kann die Anwendung einer Erziehungsmethode bei einigen Kindern wirksam, jedoch bei anderen wiederum unwirksam sein. Aus diesem Grund ist es wichtig den Fokus nicht nur auf die Erfullung von Normerwartungen zu setzen, sondern auch die Heterogenitat wahrend der kindlichen Entwicklung zu berucksichtigen (Platte, 2014,S. 86 f.).
In dem folgenden Unterkapitel werden zunachst die gesellschaftlichen Normen wiedergegeben. AnschlieBend wird das Augenmerk auf die Sozialisation und dessen Instanzen und auf die Subsys- teme unserer Umwelt gelegt.
2.1.1. Normen
Wie bereits erwahnt besteht eine gegenseitige Normerwartung innerhalb der Gesellschaft. Dies kann aus der Perspektive des Bildungssystems sein, durch andere Institutionen oder Systeme. Frohlich-Gildhoff (2018) differenziert zwischen funf Normen. Die sozialen Normen umfassen ein weites Feld von der Familie bis hin zur Schulklasse und Gesellschaft. Auf dieser Ebene gelten die Normen als standhafte Regeln. So soll das Verhalten innerhalb eines Systems den festgelegten Normen entsprechen. Ein Beispiel dazu ist folgendes: Das Verlassen seines Sitzplatzes wahrend des Unterrichts wird von Lehrern nicht toleriert. Allerdings wird Erstklasslern Verstandnis gezeigt, da sie die Regeln erlernen und verinnerlichen mussen. Die zweite Norm ist statistisch und bezieht sich auf die Quantitat von Verhaltensweisen sowie auch Merkmalen. Ad hoc ist die Klassifizierung und Messung dieser grundlegend. Die Messung von physiologischen Eigenschaften erfolgt rei- bungsloser als die von psychologischen Merkmalen. So sind Korpergewicht und Intelligenz zwei solcher unterschiedlichen Merkmale. Um die Merkmale einer Norm zu bestimmen, werden auf der Grundlage einer Normalverteilung groBe Menschengruppen untersucht. Die Erfassung von Pro- zentrangen gestaltet sich problemlos unter Beachtung der Standardabweichung. Gleichzeitig sind Grenzbereiche fur Norm Abweichungen definierbar. Als normal werden Menschen betitelt, die de- terminierten Funktionen und Aufgaben entsprechen bzw. nachkommen. Dies wird auch funktionale Norm genannt. Daruber hinaus reprasentieren „Schonheitsideale“ den perfekten Menschen, wel- cher bestimmte bis zu allen Erwartungen erfullt. Die Ideale Norm bezeichnet diejenigen auch als vollkommen. Letztlich handelt die funfte Norm von selbstbestimmter Normalitat. Bei der subjektiven Norm konnen individuelle Normen und die Normen anderer ubereinstimmen.
Im Erziehungsprozess des Kindes erfolgt ein bewusster Einfluss, durch Zielvorgaben von Men- schen (z. B. durch die Eltern, Erzieher, Lehrer usw.). Hierbei werden soziale Aspekte und Normen fur - ihrer Ansicht nach - positive Entwicklung des Kindes vermittelt. Da Normen gesellschaftlichen und sozialen Erwartungen unterliegen, sind diese in verschiedenen Kulturen oder Landern unter- schiedlich. Bei der Entwicklung haben genetische Anlagen als auch Umweltbedingungen eine wichtige Rolle. Normen der Gesellschaft bzw. die Sozialisation generell ist ein Teil der Entwicklung eines Individuums. Um den Zusammenhang zwischen Entwicklung, Normen und Sozialisation zu verstehen, wird im nachsten die Sozialisation beschrieben. Zudem wird sich mit dazugehorigen Theorien auseinandergesetzt.
2.1.2. Sozialisation
Der Begriff Sozialisation wurde in der Vergangenheit im Sinne des Verstehens und Verankern von Normen der Gesellschaft bezeichnet. Dukenheim (1972) beschreibt den Menschen nicht nur als triebhaft, sondern auch als egoistisch und asozial. Somit sei es von Notwendigkeit den Menschen mittels Sozialisationsprozesse normentsprechenden zu erziehen. Heutzutage umfasst die Soziali- sation unter anderem die produktive Realitatsverarbeitung, die biologischen und psychischen An- lagen und die Umwelt. Dieser Prozess soll ebenso die Entstehung und Entwicklung der menschli- chen Personlichkeit, in Abhangigkeit von Anlage und Umwelt, begunstigen. Demnach ist Sozialisa- tion eine Entwicklung des Menschen unter Berucksichtigung verschiedener Aspekte. Der Entwick- lungsrahmen umfasst die Kindheit bis hin zum Erwachsenenalter, also fast die gesamte Lebens- laufbahn. In Verbindung zur Sozialisation ist die Personlichkeit als Zusammensetzung von Merk- malen, Eigenschaften und Verhaltensweisen des Menschen zu verstehen. Dies ergibt sich auf der Basis biologischer Anlagen und bewaltigten Herausforderungen im Leben.
Bildung und Erziehung sind zwei Bereiche, die verzahnt mit der Sozialisation sind. Die Bildung ist die Entwicklung der Selbstentfaltung und Selbstbestimmung. Dafur mussen okonomische, kulturel- le und soziale Umwelt kennengelernt und verstanden werden. Im Vergleich dazu ist Erziehung ein bewusster Einfluss auf Entwicklung, durch Zielvorgaben von Menschen. Hierbei werden soziale Aspekte und Normen vermittelt. Erziehung erfolgt durch Interaktionen zwischen Eltern und Kind, also zuhause als auch in Institutionen wie Kita und Grundschule (Hurrelmann & Brundel, 2003, S. 12 ff.).
Bei der Entwicklung des Menschen sind sowohl genetische Veranlagungen, als auch Umweltbe- dingungen von Bedeutung. Die zwei Faktoren stehen sich in wechselseitiger Beziehung zueinan- der. Haug-Schnabel und Bensel (2017, S. 24) erfassen somit folgende Aussagen:
- Ein Kind ist aktiv und entwickelt sich aus sich heraus.
- Ein Kind ist auch selektiv, es sucht nach bestimmten Erfahrungen gemaB seinen
Interessen und Neigungen, immer abhangig von seinem Entwicklungsstand.
- Die Umwelt stellt das Angebot an Erfahrungen bereit, die das Kind machen kann.
- Das Kind seinerseits bestimmt, was es annimmt.
- Ein Kind kann quantitativ und qualitativ nur so viel an Umweltangeboten annehmen, wie es ihm von seinem Entwicklungsstand her moglich ist.
- Ein Angebot jenseits seiner Bedurfnisse bleibt bestenfalls ungenutzt, kann aber schlimmsten- falls auch seine Entwicklung beeintrachtigen.
Sozialisationsinstanzen
Hinzufugend zur Aneignung und Verarbeitung von beiden Realitaten sind sogenannte Sozialisati- onsinstanzen. Dabei kann es sich um die Familie, die Schule oder um Peers handeln. Sie dienen als Vermittler einer auBeren Realitat. Die Rolle der Sozialisationsinstanzen ist es, ein Gleichge- wicht zwischen Anlage und Umwelt zu schaffen, so dass die Personlichkeitsentwicklung effektiv ist. Des Weiteren dienen Sozialisationsinstanzen als Modell zur Wahrnehmung und Problemlosung beider Realitaten, welches von der jeweiligen Zielgruppe aufgenommen und individualisiert wird. Die Zielgruppe sind im GroBen und Ganzen Kinder und Jugendliche. Der Fokus liegt dabei, den elementaren Bestandteil der Personlichkeitsentwicklung zu fundieren und Grundkompetenzen her- vorzubringen. Da die Instanzen abhangig von gesellschaftlicher Bedingungen oder auch Normen sind, beeinflussen die Rahmenbedingungen deren Handlungsverhalten (Hurrelmann & Brundel, 2003, S. 17 ff.).
Die Familie ist als primare Sozialisationsinstanz zu bezeichnen. Sie spielt nicht nur eine wichtige Rolle bei der Entwicklung emotionaler, sondern auch sozialer Kompetenzen. Im Weiteren ist das soziale Umfeld des Kindes, also die sekundare Sozialisationsinstanz, die Schule. Diese dient zur Forderung und Unterstutzung der primaren Instanz, um stabile sozial-emotionale Kompetenzen zu entwickeln. Neben der positiven Entwicklung ist negative Beeinflussung der Kompetenzen ebenso erdenklich. Eine Storung in den fruhen Kindheitsjahren kann Schwierigkeiten bei der Entwicklung von Kompetenzen verursachen. Ursache konnen beispielsweise Fehlentwicklungen in physischer und/oder in psychischen Bereichen sein. Kinder die unter Storungen oder Schadigungen in der Entwicklung leiden, sollten demnach gefordert und unterstutzt werden. Es ist von Bedeutung eine stabile Ich-Identitat aufzubauen. So konnen verschiedene Sozialisationsinstanzen eine Hilfe wah- rend der Bewaltigung des Problems sein. Demnach ist die Familie eines der notwendigen Bestand- teile fur die Entwicklung des Kindes (Schieren & Greubel, 2019, S. 58) .
Im Jahre 1998 haben Bronfenbrenner und Morris ein soziookologisches Modell entwickelt, welches die Familie als System betrachtet. Das Modell besteht aus funf Ebenen betreffend der gesamten menschlichen Umwelt. Im Folgenden werden die funf Subsysteme erlautert.
- Das Mikrosystem: Hierbei handelt es sich neben dem Individuum selbst, um die Kernfamilie in- klusive dessen Strukturen.
- Das Mesosystem: Die Ebene beinhaltet zwei oder mehrere Mikrosysteme, die eine reziproke Be- ziehung zueinander aufweisen. Zum Beispiel kann es sich um die Wechselbeziehung zwischen Kernfamilien oder Peers handeln.
- Das Exosystem: Sei es die Schule der Geschwister oder der Arbeitsplatz der Eltern, diese Ebene grenzt an Lebensbereiche, an denen das Individuum selbst nicht teilnimmt. Die indirekte Bezie- hung in dieser Ebene beeinflusst dennoch die Lebensbereiche den Individuums.
- Das Makrosystem: Das System reprasentiert die Gesamtgesellschaft. Sie beeinflusst die Entwicklung eines Individuums und streckt sich von den Rahmenbedingungen der Betreuung von Kindern, bis hin zur Religion aus.
- Das Chronosystem. Die funfte und somit letzte Ebene bezieht sich auf die Zeitdimensionen re- spektive die Veranderungen innerhalb des Individuums oder der Umwelt (Stamm, 2010, S. 87ff.).
Abb. 2. Das soziookologische Modell
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2. Entwicklung der Personlichkeit
Eine weitere Theorie bezuglich der Sozialisation beinhaltet die Verarbeitung von innerer und auBe- rer Realitat. Die Personlichkeit bedient sich der Grundlage von endogener, exogener und sozialer Bedingungen. Hierbei ist die Veranderung von genetischen Anlagen und der Umweltbedingungen nur in begrenzter Form moglich. Trotz dessen ist der Umgang, die Auseinandersetzung und die Verarbeitung beider Bedingungen individuell und singular.
Die gegenwartige Gesellschaft hat einen weiten Radius von sozialen Rollen und kulturellen Normen. Demnach haben Menschen mehr Bewegungsfreiheit, was die Vorgaben innerhalb einer Gesellschaft betrifft. Die Entwicklung der Personlichkeit eines Individuums steht unter Einfluss von gesellschaftlichen Vorgaben (Normen, Werte usw.). Wahrend der Personlichkeitsentwicklung findet eine Veranderung der Relation von innerer und auBerer Realitat statt. Beide Realitaten befinden sich immer wieder in neuen Gleichgewichtszustanden, die das Individuum verarbeitet und verin- nerlicht. Die folgende Abbildung dient zur Veranschaulichung dieser (Hurrelmann & Brundel, 2003, S. 15 ff.).
Verhaltensauffallige Kinder: Umgang und FordermaBnahmen in der Grundschule
Abb. 3. Das Modell der produktiven Realitatsverarbeitung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anhand der Abbildung wird deutlich, dass sich auf Grundlage der inneren und auBeren Faktoren die Personlichkeit entwickelt. Neben der genetischen Anlagen und der Personlichkeitsstruktur sind die physischen und psychischen Eigenschaften des Individuums Bestandteil der inneren Realitat. Im Gegenteil dazu besteht die auBere Realitat aus Rahmenbedingungen, wie Wohn- und Arbeitssi- tuation. Die Familie, Peers usw. bilden das Beziehungsnetzwerk in diesem auBeren Bereich.
In Betracht dessen entwickelt sich die Annahme, dass die Personlichkeitsentwicklung ein lebens- langer Prozess ist. Dieser steht unter standiger Verarbeitung von innerer und auBerer Realitat. Der Begriff „produktiv“ signalisiert in diesem Bereich die aktive Teilnahme des Individuums an dem Verarbeitungsprozess. Aus der bewussten Reflexion von Anlagen und bestehender Handlungsal- ternativen eines Menschen kristallisieren sich Entwicklungsaufgaben heraus. Das Individuum ist physischen und psychischen Veranderungen ausgeliefert und muss demnach diese Entwicklungs- aufgaben bewaltigen. Die Personlichkeit kann sich in Anbetracht der vorgefuhrten Theorie positiv als auch negativ entwickeln. Das menschliche Wesen ist partiell in der Lage Informationen be- wusst zu Verarbeiten. Dazu werden verschiedene Informationen verbunden und strukturiert. Hier- bei konnen die jeweiligen Informationen abgerufen und in Betracht gezogen werden, ob ein Ereig- nis eintreten kann1. Laut Hurrelmann (2003, S. 18f.) wurden Menschen das Verhalten einer Situation vorab gedanklich durchzuspielen und die Konsequenzen zu verinnerlichen, um daraufhin zu handeln.
2.2.1. Entwicklungsaufgaben im Grundschulalter
Bevor die Verhaltensauffalligkeiten aufgegriffen werden, wird in diesem Unterkapitel die Entwick- lungsaufgaben, denen Grundschuler konfrontiert sind, geschildert. Entwicklungsaufgaben sind kei- ne festgelegten Aufgaben oder alltaglichen Herausforderungen. Die erfolgreiche Bewaltigung von Entwicklungsaufgaben im Grundschulalter sind wichtig fur den Erfolg zukunftiger Aufgaben (Drilling, 2009, S. 290). Die Entwicklungsaufgaben kristallisieren sich aus Reifungsprozessen, gesell- schaftlichen Erwartungen oder individuellen Zielsetzungen heraus (Frohlich-Gildhoff, S. 56). Ge- maB Casee steht das menschliche Wesen diesen normativen Lebensereignissen gegenuber und muss die Entwicklungsaufgaben bewaltigen. Unter normativ wird ein vorhersehbares und erwar- tungsentsprechendes Ergebnis verstanden (z. B. Der Ubergang von der Kita in die Grundschule). Ein nicht normatives Lebensereignis ist beispielsweise eine Krankheit, die nicht vorhersehbar ist.
Entwicklungsaufgaben entstehen aus Erwartungen und Anforderungen, die wiederum aus folgen- den Faktoren resultieren (Casee, 2010, S. 39):
- Individuellen biologischen Veranderungen (zum Beispiel Geschlechtsreifung)
- Erwartungen der relevanten Meso- und Makrosysteme (zum Beispiel Erwartungen der Eltern an ihre Kinder) und
- individuellen Wunschen und Erwartungen des Individuums an seine eigene Entwicklung (zum Beispiel Auszug von zu Hause).
Im Ubergang von der Kita in die Grundschule wird erwartet, dass bereits gewisse Entwicklungs- aufgaben bewaltigt sind. Die Kinder entwickeln aus den Aufgaben wiederum Kompetenzen, um neuen Herausforderungen gegenuber zu stehen.
In der Schule werden elementare Kompetenzen und Fahigkeiten angeeignet, die ausschlagge- bend fur das weiterfuhrendes Leben ist. Die jeweiligen Entwicklungsaufgaben denen Kinder in ei- ner Altersspanne von sieben bis zwolf unterstehen sind im nachsten geschildert (Cassee, 2010, S. 286).
Physischer Bereich
- Feinmotorik und Augen-Hand-Koordination sind entwickelt,
- Gleichgewichtssinn ist altersgemaB ausgepragt
Sozialer Bereich
- Integration in die Schulklasse und Peergroup,
- Fahigkeit Wunsche auszusprechen,
- Verantwortungsbewusstsein,
- Freundschaften aufbauen, Verstandnis fur Gleichberechtigung, Normen und Regeln,
- Kooperation mit Gleichaltrigen
Emotionaler Bereich
- emotionale Reife,
- Selbststandigkeit,
- Konzentrationsfahigkeit, Leistungsbereitschaft,
- Ausdauer
Kognitiver Bereich
- Operationales Denken (z. B. etwas der Lange nach ordnen),
- moralisches Urteilsvermogen und Normgefuhl,
- verfugt Kulturtechniken (z. B. Lesen, Schreiben, Rechnen) und genugende Allgemeinbildung.
Die Verarbeitung der sozialen und physikalischen Umweltbedingungen erfolgt individuell und ein- malig. So entsteht ein groBer Spielraum der menschlichen Entfaltung. Der Gleichgewichtszustand der inneren und auBeren Realitaten ist von Bedeutung, damit eine erfolgreiche Personlichkeits- entwicklung gelingt. Im Falle der nicht erfolgreichen Bewaltigung von Entwicklungsaufgaben ist die Verarbeitung von Realitaten gestort. Demnach konnen Abweichungen im Sozialverhalten, physi- schen Storungen oder sogar korperlichen Krankheiten auftreten (Hurrelmann & Brundel, 2003, S. 153 f.).
2.3. Verhaltensauffalligkeiten
Die Erscheinungsformen von Verhaltensstorungen treten in verschiedenen Arten auf. Dabei kann es sich um Symptome oder direkt um eine Storung handeln. In der Regel wird zwischen externali- sierende und internalisierende Dimensionen unterschieden. Die externalisierende Dimension be- inhaltet sichtbare Verhaltensauffalligkeiten (Myschker & Stein, 2018, S. 63). Dazu gehoren disso- ziale Verhaltensweisen, wie direktes und indirektes aggressives Verhalten und oppositionelles Ver- halten. Die Aggressivitat kann gegenuber eine Person oder eines Objekts sein. Unter direktem ag- gressiven Verhalten wird das Zerstoren von Gegenstanden, physische und verbale Gewalt ge- nannt. Indirekte Aggressivitat ist, wenn der Tater unbekannt bleiben will, um nicht selbst zum Opfer zu fallen. Oppositionelles Verhalten liegt vor, wenn Kinder im UbermaB mit Erwachsenen streiten oder sich standig Regeln oder Anweisungen widersetzen. Dieses Verhalten wird anhand der ICD-10 und DSM-5 klassifiziert. Weitere Informationen daruber folgt im Unterkapitel 2.3.1.
Die internalisierende Dimension umfasst neben sozialem Ruckzug auch korperliche Beschwerden, Angstlichkeit oder Depressivitat. Dabei ist Schuchternheit, Trauer oder der Wunsch allein zu sein als sozialer Ruckzug zu bezeichnen. Bauch-, Kopf-, Rucken-, oder Muskelschmerzen sowie auch Einschlafprobleme sind korperliche Beschwerden. Die Kategorie Angstlichkeit beinhaltet neben Panikstorung auch Zwangsstorung und Phobien. Symptome wie Niedergeschlagenheit, erhohte Reizbarkeit, Schuldgefuhle oder Lustlosigkeit weisen auf depressive Verhaltensweisen hin.
Neben diesen zwei Dimensionen wird zusatzlich zwischen sozial unreifen und sozialisiert-delin- quente Verhalten differenziert. Das Erstere beschreibt einen nicht altersentsprechenden Entwick- lungszustand. Das Letztere bezieht sich auf Verantwortungslosigkeit, Frustration, Beziehungssto- rungen oder die Missachtung von Normen (ebd.). Die Abbildung 4. veranschaulicht die internalisie- renden und externalisierende Verhaltensstorungen.
Abb. 4. Erscheinungsformen von Verhaltensauffalligkeiten
Verhaltensauffalligkeiten
Externalisierende
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung (Muller & Sigrist, 2019, S. 7-11).
Anknupfend dazu ist die Untersuchung von Kluge und Kuhlmann erwahnenswert. Diese untersuch- ten abweichendes Verhalten von Schulern in einer Grundschule mit 9200 Schulern (Myschker & Stein, 2018, S.65). Dabei kam heraus, dass Verhaltensabweichungen zwar in externalisierend und internalisierend unterschieden wird, zudem noch zwischen Gruppenresistenz und Gruppenpassivi- tat bei Schulern differenziert werden kann. Im Rahmen der Untersuchung werden Symptome wie Konzentrationsschwache, Tagtraumen, Passivitat, Aggression gegenuber Mitschulern, UbermaB an Streiterin und Kontaktschwierigkeiten aufgewiesen. Daruber hinaus existiert ein Gruppenresis- tentes Verhalten. Dabei wenden sich die Schuler von Gruppennormen oder auch Gruppenmitglie- der ab und beeinflussen damit das Klima innerhalb der Gruppe. Es ist von Passivitat in der Gruppe die Reden, wenn Schuler sich zuruckziehen, wenig kommunizieren oder sogar verangstigt er- scheinen. 1976 entwickelt Kluge eine Lehre bezuglich Verhaltensabweichung von Schulern in Schulsituationen. Er unterscheidet zwischen sechs storenden Verhaltenstypen (Myschker & Stein, 2018, S. 65ff.):
Typ 1: Gruppenresistenz mit Misserfolgsmotivation, Konzentrationsprobleme und durchschnitt- liche bis uberdurchschnittliche Intelligenz
Typ 2: Gruppenresistenz mit Misserfolgsmotivation, Konzentrationsprobleme und unterdurch- schnittlicher Intelligenz
Typ 3: Autoaggressivitat mit Misserfolgsmotivation, Konzentrationsprobleme und durchschnittli- che bis uberdurchschnittliche Intelligenz
Typ 4: Autoaggressivitat mit Misserfolgsmotivation, Konzentrationsprobleme und unterdurch- schnittlicher Intelligenz
Typ 5: Gruppenpassivitat mit Misserfolgsmotivation, Konzentrationsprobleme und durchschnitt- liche bis uberdurchschnittliche Intelligenz
Typ 6: Gruppenpassivitat mit Misserfolgsmotivation, Konzentrationsprobleme und unterdurch- schnittlicher Intelligenz
Nach der Typologie sind alle Kinder und Jugendliche mit Verhaltensauffalligkeiten in eines der sechs Typen zuzuordnen. Allerdings beinhaltet diese Lehre keine Aussagen uber Ursachen oder MaBnahmen bezuglich Verhaltensauffalligkeiten und die Praxisrelevanz bleibt aus. Die Typologie orientiert sich an Ordnungsmuster und Klassifikationsfunktionen (ebd., S. 65ff.).
Fur die Erfassung einer Verhaltensauffalligkeit oder Verhaltensstorung reicht nicht allein das Auf- treten eines Symptoms. Vielmehr ist die Quantitat und die Dauer der Symptome von Bedeutung. Verschiedene Einflussfaktoren sind bezuglich der Entwicklung des Kindes gegeben. Sei es die Re- ziprozitat von Anlage, Umwelt oder die verzerrte Verarbeitung dieser, es kann Probleme in der Verhaltensentwicklung hervorrufen. Um Verhaltensauffalligkeit bei Kindern zu erkennen, zu be- schreiben und positive Entwicklung zu begunstigen, sind differente Aspekte zu beachten (vgl. Frohlich-Gildhoff 2018, S.15 ff.). Dazu wird im nachsten Bezug genommen.1
GemaB Langner (2009) ist das Verhalten aus biologischer Sicht eine wahrnehmbare aktive Veran- derung eines Individuums. Ein Organismus kann sich aufgrund seiner Gene oder durch das Ler- nen an seine Umwelt anpassen. Erganzend zu dieser Aussage ist die padagogische Perspektive, die folgendes Aussagt: Das Verhalten ist die Fahigkeit mit Sprache oder Handlungen auf andere zu reagieren. Eine unangemessene oder befremdliche Reaktion ist als Verhaltensauffalligkeit oder Verhaltensstorung zu betiteln. Um ein Urteil uber das Verhalten eines Individuums zu fallen wird normentsprechendes Verhaltens, welches gepragt durch eben diesen gesellschaftlichen und sozia- len Aspekten ist, als MaBstab gesetzt.2
Die Etablierung des Begriffs Verhaltensauffalligkeit substituierte in den 1970er Jahren das Wort Verhaltensstorung. Trotz dessen ist der Begriff Verhaltensstorung gegenwartig von verschiedenen Professionen in Verwendung. Einige Experten sehen die Begrifflichkeit als unangemessen, da sie wertend und subjektiv ist. Die Problematik hierbei ist, dass ein Verhalten nicht gestort ist, sondern storend wirkt. Im Gegensatz dazu wird der Gebrauch von Verhaltensauffalligkeit als weniger wer- tend angesehen (Palmowski, 2012). In der vorliegenden Arbeit werden beide Begriffe als Synonym verwendet.
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1 wird auch Antizipation genannt
2 dt. Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Storungen