Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Kurzer Einstieg in die Einwanderungsgeschichte Deutschlands
3. Fremde Kultur als Andersartigkeit - Entstehung eines sozialen Konstruktes
4. Mögliche Folgen für Menschen mit „Migrationshintergrund“
4.1 Bedeutung und Wirkung für Menschen mit „Migrationshintergrund der zweiten und dritten Generation“
5. Fazit: Gesellschaftliche Aufgabe
5.1 Eigene Perspektive
1. Einleitung
Laut Statistiken aus dem Jahre 2019 hatten in Deutschland 21,2 Millionen Einwohnerinnen einen Migrationshintergrund. Somit wies jede vierte in Deutschland lebende Person einen Migrationshintergrund auf. Die Prognosen deuteten darauf hin, dass diese Zahl stetig steigen würde (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, 2020). Zwei Drittel der 21,2 Millionen Menschen besaßen eigene Migrationserfahrungen (erste Generation), ein Drittel hatte dagegen keine eigenen Migrationserfahrungen (zweite und dritte Generation). Auch diese Anzahl der zweiten und dritten Generation ist heute noch steigend. Die 21,2 Millionen Menschen mit „Migrationshintergrund“ unterteilten sich in 13,6 Millionen Deutsche und 12,4 Millionen „Ausländer“ (vgl. ebd.).
Es wird deutlich, wie gering der Anteil der Menschen mit „Migrationshintergrund“ an der deutschen Gesamtbevölkerung von heute fast 82 Millionen Menschen ist. Gleichzeitig lässt die Statistik erkennen, dass gerade der Anteil an Menschen mit einem „Migrationshintergrund der zweiten und dritten Generation“ ansteigen wird. Es stellt sich die Frage, wieso Menschen darauf hingewiesen werden, einen Migrationshintergrund zu haben, obwohl sie keine eigenen Migrationserfahrungen besitzen? Warum ist es von Bedeutung, Menschen anhand von äußerlichen Merkmalen einer bestimmten Kultur zuzuschreiben?
Diese Hausarbeit beschäftigt sich also mit der Fragestellung, wie Zuschreibungen hinsichtlich der Menschen mit „Migrationshintergrund“ entstehen und welche Auswirkungen diese möglicherweise auf den einzelnen Menschen und das gesellschaftliche Zusammenleben haben. Die Begriffe „Migrationshintergrund“ und „Ausländer:innen“, werden in dieser Arbeit in Anführungszeichen gesetzt, da diese nicht als passende Ausdrücke empfunden werden. Damit erkennbar wird, um welche Alltagsproblematik es geht, werden die Begriffe trotzdessen verwendet.
Zunächst wird kurz die Einwanderungsgeschichte Deutschlands dargestellt, um den Prozess der Entstehung von gesellschaftlichen Verhältnissen, vor allem die der Migrationsbewegungen, deutlich zu machen. Danach wird näher darauf eingegangen, dass Menschen mit einem sogenannten „Migrationshintergrund“ oft als „fremd“ oder „anders“ empfunden werden, was auch sozial konstruiert wird. Daraufhin wird verdeutlich, welche Folgen dies auf einzelne Menschen und unsere Gesellschaft haben kann. Diese möglichen Folgen werden sodann beleuchtet. Des Weiteren wird die Bedeutung der Integration von Menschen mit „Migrationshintergrund aus der dritten Generation“ innerhalb der Gesellschaft aufgezeigt. Am Ende wird zu dem Thema Stellung genommen. Es wird der gesellschaftliche Anteil am Prozess der Entstehung von Migrationsbewegungen erläutert sowie eine eigene Perspektive dargestellt.
2. Kurzer Einstieg in die Einwanderungsgeschichte Deutschlands
Im Folgenden wird die Einwanderungsgeschichte in Deutschland dargestellt. Da Migrationsbewegungen schon immer stattfanden, wird sich auf die prägenden Ereignisse vom 19. bis zum 20. Jahrhundert konzentriert. Dabei werden auch Aus- und Durchwanderungen mit einbezogen.
Bereits im Jahre 1871 wurden saisonale landwirtschaftliche Beschäftigungen von russisch-polnischen Landarbeiter:innen ausgeübt, da diese von „Einheimischen“ kaum vollzogen wurden (vgl. Berlinghoff, 2018). Fast 40 Jahre später stieg die Zahl der „Ausländer“ rapide auf 1,3 Millionen an. Grund dafür waren die vielen geplanten Auswanderungen nach Nordamerika. Betroffen waren vor allem Menschen aus Osteuropa, die eine Durchwanderung planten, aber auf Grund von Krankheit, Arbeitsplatzangeboten oder den Verlust von finanziellen Mitteln in Deutschland „strandeten“ (vgl. ebd.).
Der erste Weltkrieg zwang die deutsche Regierung dazu, Migranten als Arbeiterinnen durch staatliche Kontrollen neu zu verteilen bzw. zurück in ihr Heimatland zu schicken. Es gab strenge Grenzkontrollen, Arbeitserlaubnisse oder einen Rückreisezwang (vgl. ebd.). Die nationalsozialistische Diktatur und der zweite Weltkrieg bewirkten ebenfalls Auswanderungen, vor allem von jüdischen Emigranten, und Vertreibungen aus den besetzten Gebieten Deutschlands (etwa neun Millionen Menschen). Dies sollte eine „Volksreinheit“ schaffen, welche Ziel des Nationalsozialismus war. Im Gegenzug gab es acht Millionen Zwangsarbeiter:innen aus Russland, Frankreich und Italien, die in Deutschland ausgebeutet wurden (vgl. ebd.).
Nach dem Krieg hatte Deutschland mit dem Wiederaufbau zu kämpfen. Es gab viele Überlebende, Übriggebliebene aus den Konzentrationslagern und Kriegsgefangene. Ebenfalls fanden Migrationsbewegungen in die USA statt und innerhalb Deutschlands von West nach Ost bis zum Mauerbau 1961. Zudem gab es große Flüchtlingsbewegungen, weshalb die Zwangsmigration für die Nachkriegszeit prägend war (vgl. ebd.). Durch den Wiederaufbau kam die Wirtschaft wieder in Schwung, sodass der Bedarf an Arbeitskräften stieg. Dieser Bedarf konnte durch die entstandene DDR nicht gedeckt werden, weshalb sich Unternehmen und Landwirte aus „Westdeutschland“ Gastarbeiter:innen aus dem Ausland, vor allem aus Österreich und Italien, beschafften (vgl. ebd.). Das Prinzip der „Gastarbeiter“ - Migration kann bezeichnet werden als „[...] dort arbeiten, um anschließend mit dem gesparten Geld zurückzukehren und neuen Arbeitskräften Platz zu machen.“ (Berlinghoff, 2018). Jedoch funktionierte das System nicht wie erhofft: Zwischen den 1950er und 1970er Jahren gingen elf Millionen Gastarbeiter:innen wieder zurück in ihre Heimat und 14 Millionen neue Gastarbeiter:innen kamen nach Deutschland. Die Aufenthalte verlängerten sich und die Arbeiter:innen holten ihre Familien nach Deutschland, wodurch die Zahl der Migrant:innen zunehmend stieg (vgl. Berlinghoff, 2018). Durch diese Gastarbeiter-Beschäftigungen entstand ein Anwerbeabkommen, welches besagte, dass ein Beschäftigungsverbot für jene „Ausländerinnen“ galt, die nicht aus den Anwerbe- oder den „nicht-westlichen“ Staaten kamen. Damit einhergehend entstand ein Anwerbestopp, welcher keine Auswirkungen auf bspw. italienische Gastarbeiter:innen hatte, jedoch auf türkische oder jugoslawische „Ausländerinnen“. Es stellte jedoch keinen Einwanderungsstopp dar, sondern eine Einschränkung des Zugangs auf den Arbeitsmarkt (vgl. ebd.).
In den 1970er bis 1980er Jahren wurden hauptsächlich Flüchtlinge aufgenommen und das Gastarbeiterprinzip eingestellt. Menschen konnten Schutz, Sicherheit und eine Chance auf ein besseres Leben in der Bundesrepublik suchen (Einwanderungsrecht). Zwischen 1988 und 1993 kamen weitere rund 7,3 Millionen Menschen nach Deutschland; Deutschland wollte sich zunächst nicht als Einwanderungsland zu erkennen geben (vgl. ebd.). Doch die „[...] Bürgerkriege des zerfallenen Jugoslawiens, die zunehmende Binnenmigration in Europa, wachsende globale Verflechtungen, vor allem aber ein zunehmend selbstbewusster Teil der eingewanderten Bevölkerung und ihrer Nachkommen führten schließlich gegen Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts dazu, dass die Bundesrepublik sich ihrer Einwanderungsgeschichte stellte und diese zunehmend auch offiziell anerkannte [...]“ (Berlinghoff, 2018). So entstand im Jahre 2000 ein neues Staatsangehörigkeitsrecht, welches die Einbürgerung, vor allem für die Nachkommen von Einwanderern, erleichterte. Zudem berief die Bundesregierung eine Kommission ein, um ein Migrationsrecht zu erarbeiten (vgl. Berlinghoff, 2018).
Die Einwanderungsgeschichte Deutschlands zeigt, welche Bedeutung Migrant:innen schon immer für das Land hatten und welcher Prozess nötig war, bis sich die Umstände dahin gehend entwickelten, dass alle in Deutschland lebenden Menschen als Teil der Gesellschaft anerkannt werden. Auch heute ist der Prozess der Akzeptanz und Anerkennung von Menschen aus dem Ausland und Menschen mit einem „Migrationshintergrund“ noch nicht abgeschlossen.
3. Fremde Kultur als Andersartigkeit - Entstehung eines sozialen Konstruktes
Im Hinblick auf die Geschichte Deutschlands waren Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen immer ein Teil der Gesellschaft. Durch die Globalisierung entstanden neue Migrationsbewegungen aus unterschiedlichen Beweggründen wie Flucht oder Hoffnung auf eine Chance für ein besseres Leben. Das bedeutet auch eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit verschiedenen Kulturen. Die Kultur des eigenen Landes wird in Frage gestellt und andere Kulturen werden als anders und fremd empfunden. Wieso ist das so?
Jede Person, jede soziale Gruppe, jede kulturelle Einheit hat eine eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wodurch verschiedene Erfahrungen gemacht wurden oder werden. Dementsprechend entstehen verschiedene Sicht-, Denk- und Verhaltensweisen, die von der gewohnten Umgebung geschaffen werden können (vgl. Schäffter, 1991: 11). Laut Schäffter gibt es verschiedene Modi des Fremderlebens, welche wiederum das Deutungsmuster im Umgang mit Fremdheit beeinflussen. Zunächst kann Fremdheit in einem Beziehungsverhältnis stehen, denn je näher das „Fremde“ ist, desto eher wird es als fremd wahrgenommen (vgl. Schäffter, 1991:12). Durch die Nähe wird sich das Gefühl des Befremdet-seins möglicherweise intensivieren, was dazu führt, dass „[...] latent zugrundeliegende Unterschiedlichkeiten eine soziale Bedeutung erlangen und sich zu persönlichen, gruppenbezogenen, politischen, ökonomischen und kulturellen Reibungsflächen aufbauen.“ (Schäffter, 1991: 11). Des Weiteren kann die Fremdheit als Unterscheidungsmöglichkeit dienen, weshalb die Frage aufkommt, „[. ] aus welchen Grenzsetzungen heraus eine kulturelle, nationale, soziale oder personale Identität ihre spezifische „Eigenheit“ ableitet und gegen Andersartigkeit kontrastiert.“ (Schäffter, 1991: 13). Diese „Eigenheit“ kann durch die innere und äußere Umwelt, Berührungspunkte, gemachte Erfahrungen usw. entstehen und somit die eigene Grenzsetzung beeinflussen. Dabei kann das „Fremde“ als auswärtig empfunden werden; es wird eine räumliche Trennung vollzogen, zum Beispiel anhand des Herkunftslandes (vgl. Schäffter, 1991:14). Das „Fremde“ kann auch als etwas Fremdartiges empfunden werden, wobei die eigenen Eigenarten eine zentrale Rolle spielen. Anhand der eigenen Eigenarten wird also bewertet, was bei anderen Personen als unpassend aufgefasst bzw. empfunden wird (vgl.bd.). Es gibt auch die Möglichkeit, dass das Fremde noch als etwas Unbekanntes betrachtet wird, sodass Offenheit dafür besteht, das Unbekannte kennenzulernen und sich mit den jeweiligen Erfahrungsbereichen vertraut zu machen (vgl. ebd.). Im Gegenteil dazu kann das Fremde als das letztlich Unerkennbare anerkannt werden, wobei die Möglichkeit des Kennenlernens nicht gegeben ist (vgl. ebd.).
Es wird deutlich, dass durch die Aufteilungen in soziale Gruppen Grenzen (Boundaries) zu anderen sozialen Gruppen, vor allem zu ethnischen Gruppen, gezogen werden, womit die Identifikation mit der eigenen Gruppe verstärkt wird (vgl. Antweiler, 2015: 250). Um Grenzen zwischen Gruppen ziehen zu können, muss es Unterscheidungen geben, die das „wir“ von „die anderen“ trennen. Es geht hierbei nicht um die unterschiedlichen (kulturellen) Lebensweisen, sondern eher um die Betonung der Unterschiede z.B. im Handeln oder in der Symbolik (z.B. Kleidung). Dabei werden einzelne Merkmale oder Verhaltensweisen betont, welche dann mit der jeweiligen Gruppe assoziiert werden (vgl. ebd.). Wie schon erwähnt, werden die Grenzen auch durch Nähe, also durch (direkte) Interaktion untereinander, gezogen und verstärkt. Durch die starke Identifikation mit einer Gruppe werden Gemeinsamkeiten teilweise ausgeblendet und sich stattdessen auf die Unterschiede fokussiert. Es entsteht eine kollektive Identität (vgl. Antweiler, 2015: 251ff.).
Bei der Unterscheidung von Menschen mit „Migrationshintergrund“ zu anderen Gruppen werden vor allem die Kriterien Kultur und Tradition herangezogen, obwohl sie individuell gesehen möglicherweise keine große Rolle spielen. Dadurch werden Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen als „exotisch“ und in Folge dessen „anders“ wahrgenommen, was durch die Medienberichterstattung noch verstärkt wird (vgl. Antweiler, 2015: 257). Kulturalisierung wird strategisch eingesetzt, sodass von einer „Globalisierung der Fremdheit“ (Rumford, 2013) gesprochen werden kann. Erstens „[...] blendet extremer Konstruktivismus oft die soziale Praxis und die materiellen Umstände aus, die das Denken und Handeln der Individuen zwar nicht determinieren, aber doch einschränken. Zweitens sind die Akteure selbst in ihrem Denken essen- tialistisch. Sie gehen in der Regel von klaren kulturellen Unterschieden aus. Ferner agieren und sprechen sie so, als seien die Grenzen alt, fixiert und quasi-genetisch“ (Antweiler, 2015: 257).
4. Mögliche Folgen für Menschen mit „Migrationshintergrund“
Die möglichen Folgen für Menschen mit „Migrationshintergrund“ sind durch das unterschiedliche Ausmaß der Stigmatisierung innerhalb der Gesellschaft sehr individuell. Es gibt jedoch Statistiken, die belegen, in welcher Lebenslage sich Familien mit „Migrationshintergrund“ befinden und die aussagekräftig genug sind, um diese Lebenslage als mögliche Folge der Stigmatisierung zu erkennen. Dabei werden die Bereiche Bildung, Arbeit, Einkommen, Wohnen und Gesundheit einbezogen.
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