Erklärungen für die Annexion der Krim durch Russland. Die Theorien des neuen Liberalismus und des Sozialkonstruktivismus


Dossier / Travail de Séminaire, 2020

18 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Konfliktdarstellung der Annexion der Krim durch Russland im Überblick

3. Theorie 1: Neuer Liberalismus
3.1 Grundzüge des Neuen Liberalismus
3.2 Anwendung auf den Konflikt

4. Sozialkonstruktivismus
4.1 Grundzüge des Sozialkonstruktivismus
4.2 Anwendung auf den Konflikt

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Die 2013 wirtschaftlich geschwächte Ukraine stand zwischen dem Einflussbereich des Ostens und des Westens. Demonstrationen, Todesopfer, ein Machtwechsel und die später zunehmende Westbindung waren Folgen der Zeit bis Mitte 2014.1 Die Annexion der Krim im März 2014 war das Resultat eines politisch-verärgerten Russlands mit Putin als Präsident, aufgrund des ukrainischen Machtwechsels. Diese Aneignung der bis dahin „[…] Autonomen Republik innerhalb der Ukraine […]“2 sorgte nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene für starke Beachtung und Diskussionsbedarf.

„Es gelang in kurzer Zeit, die Staatskrise abzuwenden und eine außenpolitische Neuorientierung auf dem Weg zu bringen. Doch die Ukraine geriet in starke Turbulenzen, weil Russlands Führung den Machtwechsel in Kiew nicht akzeptierte. Mit der Begründung, das „historische Russland“ wieder zu errichten, annektierte Russland die Krim […]. Das Ziel ist offenbar, die Ukraine in den russischen Hegemonialbereich zurückzuführen.“3

In der vorliegenden Arbeit soll zunächst ein Überblick darüber gegeben werden, welche Beweggründe und Umstände zu der Annexion der Krim durch Russland geführt haben. Diese Ausführungen bilden die Grundlage für die nachgestellten Erklärungen, bei dem die Annexion der Krim aus Sicht zweier Theorien dargestellt wird. Im Anschluss daran werden die Theorien des Neuen Liberalismus nach Moravcsik und des Sozialkonstruktivismus nach Wendt herangezogen, um die Annexion der Krim erklären zu können. Zunächst kommt es zu einer Darstellung der Theorie des Neuen Liberalismus, daran anschließend wird ein Bezug zwischen der Theorie und des internationalen Sachverhalts hergestellt.

Analog wie im dritten Kapitel, erfolgt im vierten Kapitel die Darstellung des Sozialkonstruktivismus und die Herstellung des Bezugs zum Sachverhalt. Das fünfte Kapitel führt zu einer Bildung des Resümees, welche Theorie aus meiner Sicht und auf Grundlage der zuvor entwickelten Feststellungen am geeignetsten ist, um die Annexion der Krim international erklären zu können.

2. Konfliktdarstellung der Annexion der Krim durch Russland im Überblick

Der Beginn der Krise in der Ukraine und darauffolgenden auf der Halbinsel Krim stellte die Ablehnung des Assoziierungsabkommen mit der EU durch den ukrainischen Präsidenten Janukowitsch im November 2013 dar. Daraufhin kam es zu starken Protesten in Kiew, da pro-europäische Demonstranten sich durch das Abkommen eine Chance auf eine Mitgliedschaft mit der EU erhofften. Durch das Handeln von Janukowitsch entstand die Anmutung in der Bevölkerung, dass sich der Präsident an die Seite Moskau stellte, anstatt an die Seite des Westens. Die Ukraine befand sich zwischen den Lagern des Westens mit der EU auf der einen Seite und des Ostens mit Russland auf der anderen Seite. Zu dieser Zeit befand sich die Ukraine in einer wirtschaftlich angespannten Situation, beispielsweise waren die Zinsen der Staatsanleihen mit zehn Prozent zu hoch- eine Wirtschaftskrise stand unmittelbar bevor. Dies sorgte für Handlungsbedarf in der Ukraine. Die Ukraine sah sowohl in einer Westbindung als auch in einer Verbindung mit Russland Vorteile. Russland sah die Notwendigkeit in dieser Situation zu handeln und unterstützte die Ukraine wirtschaftlich. Trotz dessen stellte sich Kiew nicht auf die Seite Russlands, sondern hielt sich ein Handeln mit der EU offen.4 So entstand für Russland folgendes Dilemma:

„Moskau war nicht in der Lage, Kiew mit der Drohung, den Kredit zurückzufordern, unter Druck zu setzen. Dies hätte zur Zahlungsunfähigkeit in der Ukraine führen können (und einer schweren Wirtschaftskrise), sodass für Moskau ein erheblicher finanzieller und Imageschaden entstanden wäre. Oder der Westen hätte Kredite ausgereicht und an Ansehen und Einfluss gewonnen. Kiew hatte freie Hand. […] Die West-Ost-Spaltung der Ukraine war offensichtlich.“5

„Innerhalb weniger Monaten, zwischen November 2013 und Februar 2014, ist aus einem innenpolitischen Konflikt eine internationale Krise geworden.“6 Der russische Präsident Putin schlug auf dem EU-Russland-Gipfel im Januar 2014 eine Freihandelszone zwischen der Zollunion und der EU vor, um die Ukraine aus dem Entscheidungsdilemma zwischen Ost und West zu befreien, die EU ging jedoch auf diesen Vorschlag nicht weiter ein, da sie die Ernsthaftigkeit des Vorschlags in Frage stellte.7 Die gewaltsamen Proteste auf dem Maidanplatz in der Ukraine nahmen zu. Im Zuge dieser Entwicklung kam es zu einer Veränderung der Demonstrantengruppen. Waren die Demonstranten zunächst vorwiegend pro-europäisch und pro-demokratisch orientiert, gewannen im Laufe der Entwicklungen auch nationalistische und faschistische Gruppen an Bedeutung, welche vorwiegend anti-europäische und anti-demokratische Einstellungen vertraten. Zahlreiche Ausschreitungen und Todesopfer waren die Folge. Da die ukrainischen Innenpolitiker keine Schlichtung durchsetzen konnte, reisten die Außenminister von Deutschland, Frankreich und Polen in die Ukraine, um den Ausschreitungen ein Ende zu bereiten, diese Gruppe konnte folgende Ergebnisse in der Zusammenarbeit mit der Ukraine erzielen:8

„[…] vorgezogene Präsidentschaftswahlen noch 2014, den Rücktritt der Regierung, einen nationalen Dialog über notwendige Reformen einschließlich einer Verfassungsreform (20. Februar 2014). […] Erst [Janukowitsch] peinliches Verschwinden, nicht eine Intervention westlicher Staaten, machte den nachfolgenden politischen Umsturz in Kiew möglich. […] Die neue Regierung stützte sich lediglich auf die Vaterlandspartei der früheren Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und die nationalistische Swoboda-Partei sowie den Rechten Sektor.9

Nach dem vollzogenen Regierungswechsel Anfang 2014 zeigte sich vor allem Russland sehr unzufrieden mit dieser Situation. Die Ukraine-Krise verdeutlichte Putin, dass es einer Bevölkerung möglich war einen autoritären Präsidenten durch legitime Proteste zur Flucht und somit zur Aufgabe seines Amtes zu bewegen. Die russische Regierung beschloss Maßnahmen gegen die neue Regierung in der Ukraine vorzunehmen, zunächst mit verstärkter Propaganda gegen den Machtwechsel und der Verweigerung des Kontakts zur Ukraine. Das primäre Ziel Russlands lag nun darin den Machtwechsel rückgängig zu machen, da es jedoch unwahrscheinlich schien Janukowitsch wieder in das Amt einzusetzen10,

„[…] konzentrierte sich Moskau auf zwei Felder: Die Annexion der Krim und die Destabilisierung des Ostens und Südens der Ukraine. Während die Beziehungen zu Russland immer stärker kriegsähnlichen Charakter annahmen, entwickelte die neue Regierung in Kiew enge Kontakte und eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit der EU und der USA. […] Niemals zuvor war die Ukraine oder ein anderes Land in ehemaligen sowjetischen Machtbereich einer solchen Zerreißprobe ausgesetzt gewesen. Am 21. März wurde in Brüssel das Assozierungsabkommen mit der EU unterzeichnet […].“11

Auf der ukrainischen Halbinsel Krim war die Stimmung bezüglich des vollzogenen Machtwechsels in der Ukraine ebenfalls zwiegespalten, so kam es erneut zu Demonstrationen. Am 27. Februar begann die Okkupation unbekannter bewaffneter Kräfte auf der Krim, später stellte sich heraus, dass es russische Spezialtrupps waren. Diese Kräfte besetzten das Regionalparlament, hissten die russische Flagge und wählten Aksjonow, als Anhänger der Partei ‚Russische Einheit‘ zum neuen Regierungschef. Dieser Akt gilt als verfassungswidrig, da es eigentlich die Zustimmung des Präsidenten der Ukraine benötigte. Dieses nun neu eingesetzte Regionalparlament determinierte am 6. März 2014 den Abschluss der Krim an die Russische Föderation. Das darauffolgende Referendum ließ den Abstimmenden die Wahl, entweder für die Variante A: ‚der Anschluss der Krim an Russland‘ oder für die Variante B: ‚die Wiederherstellung der Verfassung 1992 mit der Krim als Teil der Ukraine‘ zu stimmen. Der Ausgang des umstrittenen Referendums fiel eindeutig zu Gunsten der Variante A aus. Am 18. März kam es zu dem Vertragsabschluss der Eingliederung der Krim an Russland durch Putin und der Regionalregierung der Krim.12 Am Ende des Abschnittes lässt sich festhalten, dass die Annexion der Krim durch Russland als ein Akt der Machtbehauptung gegenüber der Ukraine, aber auch gegenüber dem Westen gewertet werden kann. Russland wollte seine Stellung in dem internationalen System demonstrieren und gleichzeitig seinen Hegemonialbereich vergrößern, in dem er die Krim für sich beanspruchte, schließlich hatte Russland schon die Ukraine an die EU und somit an den ‚unbeliebten‘ Westen ‚verloren‘.

3. Theorie 1: Neuer Liberalismus

3.1 Grundzüge des Neuen Liberalismus

Im Folgenden soll vor allem auf das Erklärungsmodell des Neuen Liberalismus von Andrew Moravcsik Bezug genommen werden. Dieser vertritt den Grundgedanken, dass die Außenpolitik eine Fortsetzung der Innenpolitik ist, aufgrund dessen ist es möglich das außenpolitische Handeln auf innenpolitische Einstellungen und Handlungen zurückzuführen.13 Der Leitgedanke des Neuen Liberalismus liegt darin, dass die innerstaatlichen Strukturen und Prozesse im Zusammenhang mit der internationalen Politik stehen und diese zur Erklärung internationaler Sachverhalte herangezogen werden. Die handelnden Akteure im internationalen System werden dabei nicht als einheitlich handelnde Akteure verstanden.14

Das „[…] außenpolitische Handeln der Staaten […] [wird durch eine] Vielzahl und Vielfalt innerstaatlicher und gesellschaftlicher Akteure mit unterschiedlichen Zielen und unterschiedlicher Durchsetzungskraft geprägt.“15

Moravcsik stellte in Bezug der vorausgehenden Erläuterungen drei Kernannahmen auf, welche nun im Folgenden erläutert werden. Die erste Kernannahme wird bezeichnet als der Vorrang des sozialen Akteurs und der Gesellschaft vor dem Staat. Diese Annahme meint, dass es vor allem die Individuen und gesellschaftliche Gruppen im Fokus der Betrachtung stehen. Diese versuchen nicht nur ihre Interessen innerstaatlich, sondern auch in der internationalen Politik durchzusetzen. Das Handeln der innerstaatlichen Individuen und Gruppen ist dabei durch Vernunft und Scheu an Risiko geprägt, da sie um die Wirkgewalt der Regierungsentscheidungen rivalisieren. Der Staat wird dabei als Ergebnis gesellschaftlicher Verhältnisse betrachtet. Der liberale Ansatz erfasst die Interessen innerhalb der Gesellschaft nicht als homogenes Gebilde, sondern als einen ständigen Wettkampf zwischen den Interessen der Mehrheit (Gruppe) und des Einzelnen, aus diesem Grund besteht kein exogenes Interesse.16 Moravcsik bewertet Auseinandersetzungen für wahrscheinlich, wenn „[…] divergierende Wertvorstellungen über das gesellschaftliche Zusammenleben, Konflikte über knappe Ressourcen sowie ungleiche politische Zugangsmöglichkeiten innerhalb des Staates bestehen.“17 Die zweite Kernannahme betrifft die Innergesellschaftliche Repräsentationen und staatliche Präferenzbildung. Diese besagt, dass Staaten als Vermittler („Transmissionsriemen“) zwischen der Innen- und Außenpolitik dienen, so ist eine Kumulation gesellschaftlicher Interessen nach Außen möglich. Im Fokus der Regierung eines Staates sowie bei der Betrachtung der Interessen der gesellschaftlichen Akteure ist die Sicherheits- und Machtmaximierung eher zweitrangig, vorrangig gilt hierbei das Streben nach Wohlfahrt.18 Bei der dritten Kernannahme Internationale Umwelt und interdependente Präferenzordnungen wird „[die] theoretische Verbindung zwischen den staatlichen Präferenzen und dem Außenverhalten von Staaten […] durch das sogenannte „policy interdependence“ hergestellt.“19 Dies soll heißen, dass die Verteilung und die Interaktion der staatlichen Präferenzen die Struktur der internationale Politik erklären kann. Hierbei gibt es drei Arten der Verteilung der voneinander abhängigen Präferenzen. (1) Sind die Präferenzen unterschiedlicher Staaten miteinander vereinbar, so ist die Chance einer Kooperation hoch. (2) Ist dies nicht der Fall und die Präferenzen divergieren, so ist die Möglichkeit entstehender Spannungen und Konflikte hoch. (3) Sind die Präferenzen zwar unterschiedlich, jedoch ergänzen sie sich gegenseitig, so entwickeln sich Anreize, welche eine Kooperation zwischen den Staaten möglich machen. Anzumerken gilt, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass der Staat aus der internationalen Umwelt Handlungsimpulse empfängt, diese sind jedoch nicht an der internationalen Machtverteilung ausgerichtet, sondern an den internen Willen des Staates, aus dem das Handeln des Staates im internationalen Raum resultiert.20 Am Ende des Abschnittes lässt sich konstatieren, dass die Theorie des neuen Liberalismus internationale Sachverhalte dadurch erklären, dass der jeweilige Staat keine ‚black box‘ darstellt, da nicht das alleinige äußere Agieren der Staaten, sondern die innerstaatlichen Prozesse und Strukturen relevant auf das internationale System und deren Beziehungen einwirken. Der Staat handelt im internationalen System nach den gesellschaftlichen und innerstaatlichen Interessen, da die Außenpolitik im neuen Liberalismus als Fortsetzung der Innenpolitik verstanden werden kann.

[...]


1 (Vgl. Wipperfürth 2015, S. 22ff.)

2 (Vgl. bpb 2019)

3 (Simon 2014, S. 9)

4 (Vgl. Wipperfürth 2015, S.21f.)

5 (Wipperfürth 2015, S.22)

6 (Staack 2015, S. 26)

7 (Vgl. Wipperfürth 2015, S. 23)

8 (Vgl. Staack 2015, S.26f.)

9 (Staack 2015, S. 27)

10 (Vgl. Simon 2014, S.9, 20)

11 (Simon 2014, S. 20f.)

12 (Vgl. bpb 2019)

13 (Vgl. Hasenclever 2010, S.76)

14 (Vgl. Schimmelfing 2015, S. 138f.)

15 (Schimmelfing 2015, S. 140)

16 (Vgl. Schieder, Neuer Liberalismus 2010, S. 193f.)

17 (Schieder, Neuer Liberalismus 2010, S. 194)

18 (Vgl. Schieder, Neuer Liberalismus 2010, S. 195f.)

19 (Schieder, Neuer Liberalismus 2010, S. 196)

20 (Vgl. Schieder, Neuer Liberalismus 2010, S. 196f.)

Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Erklärungen für die Annexion der Krim durch Russland. Die Theorien des neuen Liberalismus und des Sozialkonstruktivismus
Université
Friedrich-Alexander University Erlangen-Nuremberg
Note
1,3
Auteur
Année
2020
Pages
18
N° de catalogue
V1042568
ISBN (ebook)
9783346463760
ISBN (Livre)
9783346463777
Langue
allemand
Mots clés
Annexion Krim, Politik Internationale Beziehungen, Sozialkonstruktivismus, neuer Liberalismus, Politik
Citation du texte
Franziska Lax (Auteur), 2020, Erklärungen für die Annexion der Krim durch Russland. Die Theorien des neuen Liberalismus und des Sozialkonstruktivismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1042568

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