Von Malinowski bis Spradley - Methoden der Feldforschung am Beispiel des Weihnachtsfestes in Berlin-Wedding


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 1998

23 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhalt:

1. Zur ethnographischen Methode Malinowskis
1.1. Einführung
1.2. Theorie
1.3. Tagebücher
1.4. Kritik

2. Die Teilnehmende Beobachtung
2.1. Begriffsbestimmung
2.2. Methodisches Vorgehen
2.3. J.P. Spradley (in Stichpunkten)
2.3.1. Beobachtungspunkte
2.3.2. Teilnehmer vs. Feldforscher
2.3.3. Gebrauch der Sprache
2.3.4. Arten von Feldnotizen

3. Weihnachten in Wedding
3.1. Allgemeine Angaben
3.2. Beobachtungen in den Familien
3.2.1. Erwartungshaltung der Eltern
3.2.2. Erwartungen und Vorstellungen der Kinder
3.3. Chronologie und Dramaturgie

4. Literatur

1. Zur ethnographischen Methode Malinowskis

1.1. Einführung

Die Beschäftigung mit Malinowskis ethnographischer Methode ist der Rückblick in eine Zeit, da die Ethnologie als wissenschaftliche Disziplin noch immer in den Kinderschuhen steckte. Malinowskis Beitrag für die Wissenschaft ist nicht als einer unter vielen zu betrachten, vielmehr ist er Gründer der sozialanthropologischen Methode. Er war der erste, der seine auf Forschungsreisen gemachten Erfahrungen in fremden Kulturen mit genauen, insbesondere aber systematischen Aufzeichnungen noch vor Ort dokumentierte. Grundlage für diese Vorgehensweise war seine Forderung nach einer präzisen Wissenschaft, umzusetzen in Form einer intensiven, methodisch geleiteten Feldforschungsarbeit. Der Umstand, dass Forschungsideal und Wirklichkeit des Feldes bisweilen weit auseinander lagen, hat nicht nur zu Kritik aus Forscherkreisen geführt, sondern auch und gerade ihm selbst zu schaffen gemacht, wie die Jahrzehnte nach seinem Tod veröffentlichten Tagebücher zeigen. Letztere haben eine Diskussion in den Sozialwissenschaften darüber ausgelöst, inwiefern ein/e Forscher/in in einer fremden Kultur überhaupt zu wissenschaftlicher Distanz in der Lage sein kann und die persönliche Situation der/des Feldforschenden mit in die Dokumentation der Arbeitsergebnisse einfließen darf oder muss.

1.2. Theorie

Malinowskis Denken gründet sich auf eine positivistisch-funktionalistische Position: Für sich stehende, isolierte Daten gibt es nicht. Sie erhalten erst durch die Interpretation durch den Forscher Sinn. Zu den „wesentlichen Voraussetzungen für eine zufriedenstellende ethnologische Forschungsarbeit“ gehört für Malinowski, „dass sie sich mit der Totalität aller sozialen, kulturellen und psychologischen Aspekte der Gemeinschaft“ befasse. Diese seien so miteinander verwoben, dass keiner verstanden werden könne, wenn man nicht alle anderen mit einbeziehe[1]. James G. Frazer ergänzt im Vorwort derselben Publikation[2], dass es für Malinowskis Methode bezeichnend sei, dass es stets die „Komplexität der menschlichen Natur“ berücksichtige. Malinowski sehe den Menschen plastisch, nicht eindimensional und bemühe sich ständig, sowohl die emotionale wie die rationale Grundlage menschlichen Handelns aufzudecken[3].

Malinowskis Herangehensweise an die Sozialanthropologie ist an die Naturwissenschaft angelehnt. Nicht umsonst hält er die Überprüfbarkeit von Aussagen für eine unbedingte Voraussetzung der Dokumentation von Arbeitsergebnissen, einen zentralen Wertmaßstab moderner Ethnographie. Der Wissenschaftler sei verpflichtet, dem Leser alle Bedingungen, unter denen das Experiment oder die Beobachtung zustande kam, mitzuteilen. Nur solche ethnographischen Quellen seien von zweifelsfreiem wissenschaftlichen Wert, in denen eine klare Grenze gezogen werden könne zwischen den Ergebnissen der direkten Beobachtung, Berichten und Interpretationen der Eingeborenen auf der einen Seite und den Schlussfolgerungen des Autors auf der anderen Seite.[4]

Des weiteren hält er die Schaffung angemessener Bedingungen ethnographischer Arbeit für wichtig. Er trennt „sporadisches Eintauchen in die Gesellschaft“ von einem „wirklichen Kontakt“ mit den Eingeborenen und setzt damit nicht nur eine bedingungslose Trennung von Einflüssen der Forschendenkultur, sondern auch eine unvoreingenommene Haltung der oder des Forschenden voraus. Nicht die Bestätigung vorgefertigter Theorien, sondern die ständige Umformung derselben aufgrund neu recherchierter Fakten, sei vornehmliches Forscherziel.[5]

Malinowskis Forderung nach einer exakten Wissenschaft manifestiert sich in seiner Beschreibung einer dreiteiligen Struktur der Untersuchung von Gesellschaft. Zunächst müssten die Organisation des Stammes und die Anatomie seiner Kultur aufgezeichnet werden. Ein solcher Umriss sei durch die Methode konkreter statistischer Dokumentation (etwa der chronologischen Aufzeichnung aller für den Untersuchungsgegenstand relevanten Ereignisse) zu erreichen. Dieses Schema müsse mit den Imoponderabilien des wirklichen Lebens (gemeint ist die persönliche Dimension gesetzmäßigen menschlichen Handelns) und dem spezifischen (gesellschaftsimmanenten) Typus von Verhalten ausgefüllt werden. Beides müsse durch ein minuziöses, detailliertes Beobachten mit Hilfe eines ethnographischen Tagebuches gesammelt werden, was durch den engen Kontakt mit den Eingeborenen möglich würde. Zur Vertiefung des Verständnisses sei die Teilnahme am Leben der Eingeborenen und in diesem Zusammenhang auch das Erlernen ihrer Sprache, über das bloße Beobachten hinaus, notwendig. Hier kommt der Begriff der „teilnehmenden Beobachtung“ ins Spiel. Schließlich müsse es eine Sammlung von ethnographischen Aufzeichnungen, charakteristischen Erzählungen, typischen Äußerungen u.s.w. als Dokument der Mentalität der Eingeborenen geben.[6]

1.3. Tagebücher

Malinowskis Forderung nach einer exakten Wissenschaft, welche die Gesellschaft in ihrer Totalität darstellt, ist aus seiner eigenen Forschererfahrung entstanden. Wie mit der Veröffentlichung seiner Tagebücher[7] deutlich wurde, ist er damit nicht nur mit seinen Forscherkollegen, sondern auch mit sich selbst hart ins Gericht gegangen. Seine Ansprüche, und dies ist ihm posthum vorgeworfen worden, kollidierten offenbar in nicht unerheblichem Maße mit der unzulänglichen Realität seiner eigenen Feldforschungsarbeit.

In den Tagebüchern werden eine Vielzahl von Themen seiner Forschungsarbeit genannt, und es gibt auch einige theoretische Überlegungen, vor allem aber handelt es sich um eine anschauliche Vermittlung der psychologischen und emotionalen Reaktionen eines Feldanthropologen auf eine ihm fremde Gesellschaft. Sie zeigen die dunkle Seite des Anthropologen, die Gefühle von Heimweh, Isolation, Depression, seine Tagträumereien, Eitelkeiten, Ängste, seine (bisweilen sexuellen) Fantasien, seinen Medikamentenmissbrauch, seine Zu- und Abneigungen gegenüber bestimmten Wissenschaftskollegen, seine Verbitterung über Missionare bis hin zu rassistischen Gedanken über Eingeborene, den inneren Kampf, den ein Feldforscher tagtäglich auszutragen hat, um sich zum mühsamen Werk der Feldbeobachtung zu zwingen und die Strategien der Bewältigung seiner persönlichen Probleme.

1.4. Kritik

Die Tagebücher haben eine Diskussion in den Sozialwissenschaften ausgelöst. Der Begründer einer Methode der Sozialanthropologie, die das Bild vom Feldforscher als allwissenden Tausendsassa entworfen hat, erscheint als unvollkommener Jedermann mit menschlichen Schwächen und alltäglichen Problemen. Dies wirkte wie ein Schock, weil die Position des Feldforschers innerhalb des wissenschaftlichen Prozesses bis dahin nicht thematisiert worden war. Nicht nur Malinowskis Charakter wurde kritisiert, sondern auch seine Methode in Frage gestellt, weil aller von ihm geforderter Perfektionismus im Lichte seiner eigenen Forschertätigkeit wie blanker Hohn erschien. Kann denn wissenschaftliche Distanz zum Untersuchungsgegenstand bewahren, wer die persönliche nicht besitzt? Darf denn ein Wissenschaftler sich selbst zum Teil derjenigen Prozesse machen, die er untersuchen will?

[...]


[1] „Argonauten des westlichen Pazifik“: S. 16

[2] „Argonauten des westlichen Pazifik“ (Syndikat, Frankfurt 1984)

[3] „Argonauten des westlichen Pazifik“: S. 9

[4] „Argonauten des westlichen Pazifik“: S. 26f.

[5] „Argonauten des westlichen Pazifik“: S. 28ff.

[6] „Argonauten des westlichen Pazifik“: S. 33ff.

[7] Bronislaw Malinowski: „Ein Tagebuch im strikten Sinne des Wortes“ (Frankfurt 1985)

Fin de l'extrait de 23 pages

Résumé des informations

Titre
Von Malinowski bis Spradley - Methoden der Feldforschung am Beispiel des Weihnachtsfestes in Berlin-Wedding
Université
Free University of Berlin  (Institut für Ethnologie)
Cours
Methoden der Ethnologie
Note
1,3
Auteur
Année
1998
Pages
23
N° de catalogue
V10427
ISBN (ebook)
9783638168533
ISBN (Livre)
9783638681629
Taille d'un fichier
537 KB
Langue
allemand
Mots clés
Methoden, Feldforschung, Teilnehmende Beobachtung
Citation du texte
Clemens Grün (Auteur), 1998, Von Malinowski bis Spradley - Methoden der Feldforschung am Beispiel des Weihnachtsfestes in Berlin-Wedding, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10427

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