Co-Teaching und multiprofessionelle Zusammenarbeit als Gelingensbedingung inklusiver Schulen

Die inklusive Lehrerbildung am Beispiel der Leibniz Universität Hannover


Trabajo de Investigación, 2019

34 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Co-Teaching
2.1 Vorteile von Co-Teaching und multiprofessioneller Zusammenarbeit
2.2 Die sechs Formen von Co-Teaching

3 Die sonderpädagogische Lehramtsprofessionalisierung

4 Analyse der Prüfungsordnung und der Vorlesungsverzeichnisse für angehende Lehrkräfte des Faches Sport

5 Die universitäre Lehramtsausbildung am Beispiel der Leibniz Universität Hannover
5.1 Methodik
5.2 Ergebnisse
5.3 Reflektion

6 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

1 Einleitung

Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2009 verpflich­tete sich Deutschland dazu, alle öffentlichen Schulen in inklusive Bildungseinrichtungen umzustrukturieren. So wurde beispielsweise in Niedersachsen im März 2012 das Gesetz zur Einführung der inklusiven Schule verabschiedet, das die Schulen aufforderte, allen Lernen­den einen „barrierefreien und gleichberechtigten Zugang“ (Niedersächsisches Kultusminis­terium, 2015, S. 8) zu realisieren, sodass „Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinde­rung gemeinsam erzogen und unterrichtet“ (Niedersächsisches Kultusministerium, 2015, S. 8) werden können.

Die verbindliche Umsetzung der Behindertenrechtskonvention veranlasste die Hochschulen dazu, ihre universitäre Ausbildungspraxis für angehende Lehrkräfte in Hinblick auf die neuen Anforderungen an ein inklusives Schulsystem zu modifizieren. Daher forderte das Niedersächsische Kultusministerium (2013, S. 5), dass alle lehrerbildenden Studiengänge sich intensiver mit den „pädagogischen und didaktischen Basisqualifikationen in den The­menbereichen Umgang mit Heterogenität und Inklusion“ beschäftigen sollen. Zusätzlich sol­len sonderpädagogische Ausbildungsinhalte implementiert werden, in denen alle zukünfti­gen Lehrkräfte sonderpädagogische Grundlagen der Diagnostik sowie Kenntnisse über den didaktischen und methodischen Einsatz von Förder- und Unterstützungsangebote erwerben (Niedersächsischer Verbund für Lehrerbildung, 2014, S. 4).

Um der Heterogenität einer inklusiven Schule gerecht zu werden, wird empfohlen, die Un­terrichtsform des Co-Teaching1 in den Unterricht zu integrieren (Arndt & Gieschen, 2013, 41; Idel et al., 2012, 9; Werning, 2011, 7). Hierbei handelt es sich um eine kooperative Lehr­methode, in der zwei Lehrkräfte, darunter eine Regelschullehrkraft und eine Lehrkraft der Sonderpädagogik, multiprofessionell zusammenarbeiten und gemeinsam die Verantwortung für den Unterricht übernehmen (Friend et al., 2010, S. 11). Co-Teaching bzw. multiprofes­sionelle Kooperation wird als zentraler und gewinnbringender Faktor für die Entwicklung inklusiver Schulen angesehen. Ohne diese Form der Kooperation seien nach Koch (2015, S. 157) „inklusive Schulen [...] nicht zu realisieren.“

Aufgrund des hohen Potentials von Co-Teaching beschloss die Hochschulrektoren- und Kul­tusministerkonferenz (2015, S. 3), dass für den professionellen Umgang mit Diversität und Vielfalt auch kooperative Basiskompetenzen, die das Unterrichten in multiprofessionellen Teams ermöglichen, ausgebildet werden müssen:

Empfehlenswert sind daher multiprofessionelle Teams, um den komplexen beruflichen Aufga­ben beim Umgang mit Vielfalt sowie der Zusammenarbeit [...] gerecht zu werden. Eine profes­sionelle Haltung zu den Grenzen der eigenen Kompetenz, die Kenntnis der Potentiale anderer Professionen und die Bereitschaft zur kollegialen Kooperation sind wesentliche Elemente des Lehrerberufs, die zusätzlich an Bedeutung gewinnen und auch von den an Hochschulen Lehren­den vorbildhaft berücksichtigt werden sollten. Damit die mit der Lehrerbildung für einen inklu­siven Unterricht verbundenen Erwartungen von den Hochschulen erfüllt werden können, sollten auch die Hochschul- und Fakultäts- bzw. Fachbereichsleitungen dem Thema die nötige Priorität einräumen.“ (Hochschulrektorenkonferenz und Kultusministerkonferenz, 2015, S. 3).

Diese Forschungsarbeit geht der Frage nach, inwiefern die Studierenden, insbesondere die der Regelschullehrämter, auf Co-Teaching und auf die neuen Anforderungen einer inklusiven Schule vorbereitet werden. Dabei gilt es herauszufinden, ob die Lehreraus­bildung den oben genannten Erwartungen gerecht wird und ob im Rahmen des Studi­ums genügend sonderpädagogische und kooperative Kompetenzen vermittelt werden. Zur Beantwortung dieser Frage wurde an der Leibniz Universität Hannover eine quan­titative Studie durchgeführt, bei der 101 Studierende des Regelschullehramtes einen Fragebogen über ihre universitäre Vorbereitung auf einen inklusiven Schulunterricht ausfüllten. Darüber hinaus soll noch ein Blick in die gemeinsame Prüfungsordnung für den Masterstudiengang „Lehramt an Gymnasien“ der Leibniz Universität Hannover geworfen werden, um das Curriculum hinsichtlich sonderpädagogischer und inklusi­onsrelevanter Themen zu analysieren. Vorab sollen die Vorteile von Co-Teaching für die Realisierung eines inklusiven Unterrichts und die sechs Kooperationsformen nach Friend (2010, S. 12) näher beleuchtet werden, ehe der Fokus auf die unterschiedlichen Lehramtsprofessionalisierung gelegt wird.

2 Co-Teaching

2.1 Vorteile von Co-Teaching und multiprofessioneller Zusammenarbeit

Aufgrund der Umgestaltung in inklusive Schulen sind die Lehrkräfte immer komplexer wer­denden Herausforderungen ausgesetzt, die nur in Form von Teams bewältigt werden können (Röder, 2017, S. 30). Durch die multiprofessionelle Zusammenarbeit von Regelschul- und sonderpädagogischen Lehrkräften kann ein Synergieeffekt entstehen, von dem sowohl die Lernenden als auch die Lehrenden profitieren können. Regelschullehrkräfte sind in ihren Fächern fachwissenschaftlich und fachdidaktisch gut ausgebildet. Um jedoch einen binnendifferenzierten Unterricht zu gestalten, bedarf es zusätzlich an diagnostischen, erzie­herischen, sonderpädagogischen und inklusiven Kompetenzen, die besonders Sonderpäda- goginnen und Sonderpädagogen aufweisen.

Dadurch, dass zwei Lehrkräfte zusammen unterrichten, können zum einen differenzierte In­halte, Methoden und Lernzugänge angeboten werden. Zum anderen ist es möglich, in fle­xiblen Kleingruppen niveaudifferenziert zu arbeiten. Durch die Anwesenheit von zwei Lehr­kräften und durch den Einsatz kleinerer Gruppen können die Lernenden deutlich mehr Zu­wendung und individuelle Unterstützungen als bei einer einzigen Lehrkraft erhalten. Somit kann gewährleistet werden, dass auf die individuellen Voraussetzungen und Bedürfnisse al­ler Schülerinnen und Schüler professionell eingegangen werden kann und dass daraus resul­tierend alle Lernenden einen Zugang zu einem gemeinsamen Lerngegenstand erhalten kön­nen. Beide Lehrkräfte können unterschiedliche Ideen und Impulse in den Unterricht einbrin­gen, sich gegenseitig anregen und ergänzen. Dies kann eine Intensivierung, Dynamisierung sowie eine Vertiefung von Unterrichtsgesprächen und somit eine steigende Unterrichtsqua­lität zur Folge haben (Johnson, 2014). Des Weiteren können objektivere Bewertungen und qualitativ hochwertigere Feedbacks zustande kommen, sofern sie von beiden Lehrkräften als Team durchgeführt werden (Kricke & Reich, 2016, S. 62-63).

Während es im deutschsprachigen Raum kaum repräsentative Forschungsergebnisse über die Auswirkungen von Co-Teaching gibt (Arndt & Gieschen, 2013, S. 41-42), weisen inter­nationale empirischen Forschungen positive Effekte von multiprofessioneller Zusammenar­beit nach: Carless und Walker (2006) konnten mithilfe einer qualitativen Fallstudie, bei der sie einen auf Co-Teaching basierten Englischunterricht einer weiterführenden Schule in Hongkong beobachteten und anschließend mit den Lernenden Interviews durchführten, eine Steigerung der Motivation und erhöhtes Schülerinnen- bzw. Schülerengagement im Unter­richt belegen. Jang (2006) untersuchte in einem Quasi-Experiment, die Mathematikleistun­gen in vier taiwanischen Klassen der achten Jahrgangsstufe. Dabei war der Mathematikun­terricht zweier Klassen durch den Einsatz zweier multiprofessionellen Lehrkräfte in Form von Co-Teaching geprägt. Die anderen zwei Klassen, die als Kontrollgruppen dienten, wur­den traditionell von einer Lehrkraft unterrichtet. Nach intensiven Unterrichtsbeobachtungen, Interviews mit Lernenden und Lehrkräften, Fragebögen und mathematischen Leistungstests, die die Schülerinnen und Schüler absolvierten, konnte Jang eine Verbesserung der Mathe­matikleistungen belegen, wenn die Lernenden zuvor von zwei Lehrkräften im Co-Teaching unterrichtet wurden.

Auch die empirischen Untersuchungen von Lee und Smith (1996) sowie Hang und Rabren (2009) bestätigen, dass multiprofessionelle Zusammenarbeit die Unterrichtsqualität, das Selbstvertrauen und die Lernleistungen der Lernenden positiv beeinflussen können.

Arndt & Gieschen (2013) untersuchten erstmals im deutschsprachigen Raum die Perspektive von Schülerinnen und Schülern auf die multiprofessionelle Kooperation zwischen Lehrkräf­ten der allgemeinen Schulen und der Förderschulen. Dafür führten sie an zwei integrierten Gesamtschulen in Hannover mit 22 Schülerinnen und Schülern Interviews. Die Probanden besuchten jeweils eine Klasse der 5. bis 7. Jahrgangsstufe, in denen Co-Teaching stattfand. Aus den Interviews ging überwiegend eine positive Bewertung der Lernenden von Co­Teaching hervor. Insbesondere hoben die Lernenden die schnellere und individuellere Un­terstützung durch den Einsatz zweier Lehrkräfte positiv hervor. Die Schülerinnen und Schü­ler betonten, dass sie den Lehrkräften mehr Fragen stellen konnten, die schnell und intensiv beantwortet wurden. Die Lernenden nahmen darüber hinaus eine Leistungsdifferenzierung wahr, die als vorteilhaft beschrieben wurde. Durch die Aufteilung der Klasse war es möglich, dass eine Lehrkraft den Leistungsschwächeren den Lerninhalt kleinschrittig und langsamer erläutern konnte, während die anderen Schülerinnen und Schüler selbständig weiterarbeiten konnten. Zusätzlich zeigte die Studie, dass Co-Teaching zu einer Verbesserung der Arbeits­atmosphäre und des Lernzuwachses führen kann. Die Lernenden fanden beim Co-Teaching einen Unterricht, in dem sie konzentrierter und besserer lernen konnten. Die ruhigere Unter­richtssituation, die individuelle Förderung und die umgesetzte Binnendifferenzierung führ­ten zu einem subjektiv empfundenen höheren Lernfortschritt (Arndt & Gieschen, 2013, S. 48-50).

Auch auf Seiten der Lehrkräfte wird Co-Teaching positiv wahrgenommen. Während Wessel (2005, S. 101-102) eine Entlastung sowie eine Arbeitserleichterung der Regelschullehrkräfte durch die Zusammenarbeit mit Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen beschreibt, er­fahren nach einer Studie von Jacobs (2005, S. 234) Lehrkräfte beider Professionen Co­Teaching als eine Unterrichtsform, in der sie sich persönlich, pädagogisch und didaktisch weiterentwickeln können. Findet nach dem Unterricht regelmäßig eine Reflexion statt, in der die Lehrkräfte sich gegenseitig ein Feedback geben, können mögliche Schwächen besei­tigt und der Unterricht optimiert werden. Darüber hinaus können Formen des Co-Teaching zu intensiveren und besseren Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen beitragen (Clauß- Cordes & Wester, 2009, S. 9-10).

2.2 Die sechs Formen des Co-Teaching

Bezüglich der multiprofessionellen Zusammenarbeit von Regelschullehrkräften und Sonder- pädagoginnen sowie Sonderpädagogen stellen Friend et al. (2010, S. 12) sechs effektive For­men des Co-Teaching vor, die in der deutschsprachigen Literatur vielfältig rezipiert wurden:

1. One teach, one observe
2. Station teaching
3. Parallel teaching
4. Alternative teaching
5. Teaming
6. One teach, one assist

Bei der Kooperationsform One teach, one observe übernimmt eine Lehrkraft den Unterricht, während die andere Lehrperson die Rolle als Beobachterin bzw. Beobachter einnimmt. Der Beobachtende hat die Möglichkeit, die Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf ihre Be­dürfnisse und Schwächen zu diagnostizieren, sodass aus diesen pädagogischen und diagnos­tischen Erkenntnissen entsprechende Unterstützungsmaßnahmen für die nächsten Unter­richtsstunden angeboten und ein schülerzentrierter sowie differenzierter Unterricht gestalten werden kann (Harting, 2014, S. 59).

Im Stationsunterricht bzw. Station teaching wird der Lerninhalt auf unterschiedliche Statio­nen aufgeteilt. Dabei planen die Lehrkräfte arbeitsteilig zwei oder mehrere Lernstationen und übernehmen die Verantwortung für die Lernenden, die an ihrer Station tätig sind. An den Stationen können verschiedene Unterrichtsaktivitäten, Lernmethoden und Medien an­gewendet und unterschiedliche Inhalte differenziert bearbeitet werden. Darüber hinaus kön­nen die Schülerinnen und Schüler, deren Arbeits- und Lernprozess von der Lehrkraft beo­bachtet wird, individuell durch geeignete Hilfestellungen gefördert werden (Werning, 2015, S. 116-118).

Bei der Form des Parallel teaching wird die Lerngruppe nach bestimmten Kriterien (z. B. nach dem Lerntyp, dem Leistungsstand etc.) in zwei Gruppen geteilt, die jeweils von einer Lehrkraft unterrichtet werden. Nach Friend et al. (2010, S. 12) werden in beiden Lerngrup­pen die gleichen Unterrichtsinhalte thematisiert, wobei jedoch unterschiedliche Materialen und Methoden zum Einsatz kommen. Bei dieser Kooperationsform können die Lernenden sich aktiver in den Unterricht einbringen, während sich die Lehrkraft aufgrund der kleineren Lerngruppe intensiver mit den Fragen und Problemen der Schülerinnen und Schüler ausei­nandersetzen kann (Johnson, 2015).

Alternative teaching ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Lehrkraft die Mehrheit der Klasse unterrichtet und die andere Lehrperson mit einer kleinen Gruppe an einem extra gestellten Tisch arbeitet. Dieses Konzept ermöglicht einen niveaudifferenzierten Unterricht, bei der ein Thema auf unterschiedlichen Anforderungsniveaus und Methoden erschlossen wird. Be­sonders bei der kleineren Gruppe erhalten die Lernenden individuelle Unterstützung und Betreuung (Harting, 2014, S. 65-66).

Wenn beide Lehrkräfte aktiv den Unterricht für die gesamte Lerngruppe leiten und zusam­men an der Unterrichtsgestaltung mitwirken, spricht man von teaming bzw. Team teaching (Friend et al., 2010, S. 12). Dieser Ansatz „betont stärker die Gemeinsamkeit und weniger die individuelle Förderung der einzelnen Schülerinnen und Schüler (Harting, 2014, S. 67).“ Die beiden Lehrkräfte können jeweils verschiedene Ideen und Impulse in den Unterricht integrieren und sich gegenseitig ergänzen (Harting, 2014, S. 67). Gleichzeitig profitieren die Lernenden von der didaktischen und pädagogischen Expertise zweier Lehrkräfte. Dabei kön­nen die Lehrerinnen und Lehrer unterschiedliche Vermittlungsstrategien anwenden und eine Vielzahl von Lerntypen ansprechen, aus der eine Erhöhung der kognitiven Aktivierung der Schülerinnen und Schüler resultieren kann (Werning, 2015, S. 117-118).

Eine weitere Form der Zusammenarbeit stellt der Ansatz One teach, one assist dar. Bei die­sem Modell, bei dem keine gemeinsame Unterrichtsplanung und -vorbereitung nötig ist, lei­tet eine Lehrkraft hauptverantwortlich den Unterricht, während die andere Lehrperson als Unterstützer bzw. Assistent fungiert und einzelnen Lernenden in den Arbeitsphasen indivi­dualisierte Hilfestellungen gibt. Ein großer Vorteil dieser Methode besteht in der Flexibilität der assistierenden Lehrkraft, da diese dort unterstützen und eingreifen kann, wo gerade Be­darf besteht (Harting, 2014, S. 60-61).

3 Die sonderpädagogische Lehramtsprofessionalisierung

Eine inklusive Schule ist „durch die Zusammenarbeit der Lehrkräfte der allgemeinen Schule und der Förderschule“ (Waje & Wachtel, 2013, S. 282) gekennzeichnet. Aus diesem Grund betont die Kultusministerkonferenz in ihrem Beschluss über die „Inklusive Bildung von Kin­dern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen“ (2011, S. 19), dass „Lehrerinnen und Lehrer mit unterschiedlichen Lehrämtern und Ausbildungen [...] gemeinsam für die unterrichtlichen Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsangebote verantwortlich [sind]. Dies kann eine gemeinsam durchgeführte und verantwortete Diagnostik, die Planung und Realisierung des unterrichtlichen Lernangebots, angemessene Bildungs-, Beratungs- und Unter­stützungsangebote, Leistungsmessung und -bewertung und die Vergabe von Abschlüssen, bis hin zur Kooperation mit weiteren Partnern im Umfeld der Schule und der Region umfassen.“

Diese multiprofessionelle Zusammenarbeit, die sich im Unterricht an den Kooperationsfor­men des Co-Teaching bedienen soll (Waje & Wachtel, 2013, S. 282), bringt neue Anforde­rungen und ein verändertes Tätigkeitsprofil sonderpädagogischer Lehrkräfte mit sich.

Nach Reiser (1998, S. 48) ist die traditionelle Arbeit an Förderschulen durch eine organisa­torische separierende Service-Leistung geprägt, die sich dadurch auszeichnet, dass die För­derschullehrkräfte Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen, die aus den allgemeinen Schulen herausgenommen wurden, im eigenen Unterricht auf Grundlage einer Diagnostik individuell fördern. An inklusiven Schulen erbringen die Sonderpädagoginnen und Sonder­pädagogen eine institutionalisierte systembezogene Service Leistung. Diese umfasst, dass alle Kinder zusammen mit Regelschullehrkräften individuell gefördert werden. Hierbei übernimmt die sonderpädagogische Lehrkraft gleichberechtigt die Verantwortung für den Unterricht und für alle weiteren schulischen Tätigkeitsbereiche (Lütje-Klose & Miller, 2017, S. 106). Anstatt einer frühzeitigen Spezialisierung auf den didaktischen und methodischen Unterricht für Kinder mit bestimmten Förderschwerpunkten (Papst 2015, S. 144-145) verla­gert sich das Aufgabenprofil in inklusiven Settings auf die multiprofessionelle Zusammen­arbeit in Teams (Brand, Rischke & Ziemlich, 2015, S. 117), Beratung, Diagnostik, Schul­entwicklung (Lütje-Klose & Miller, 2017, S. 107) und besonders auf administrative Aufga­ben (Melzer & Hillenbrand, 2013, S. 197). In Bezug auf das Aufgaben- und Rollenverständ­nis betonen Lütje-Klose & Miller (2017, S. 107), dass der Aspekt des Unterrichts in der sonderpädagogischen Literatur bzw. in Studien zwar benannt wird, jedoch im Vergleich zu den anderen Bereichen nicht mehr „die zentrale Rolle spielt“.

Die Studie von Brand et al. (2015) ging der Frage nach, ob die Studierenden in der sonder­pädagogische Lehrerbildung für das Fach Sport auf das oben beschriebene neue Tätigkeits­feld an inklusiven Schulen vorbereitet werden. Dafür führten sie systematisierende Exper­teninterviews mit wichtigen Ausbildungsverantwortlichen durch, die an unterschiedlichen Universitätsstandorten in Hessen, Bayern und Nordrhein-Westfalen tätig sind. Aus der Un­tersuchung ging hervor, dass das Sportstudium zwar auf inklusionsbezogene Thematiken eingeht, jedoch sei „eine fachbezogene Neujustierung sonderpädagogischer Professionalität bislang [...] kaum erfolgt“ (Brand et al., 2015, S. 123). Kooperative Aspekte, wie z. B. Teamarbeit mit Lehrkräften anderer Professionen im inklusiven Unterricht, werden im Sportstudium vernachlässigt. Zusätzlich findet eine strikte Trennung beider Professionen statt. Die Studierenden beider Lehrämter studieren isoliert voneinander und werden jeweils als Einzelkämpfer ausgebildet.

Darüber hinaus postulieren Brand et al. (2015, S. 122-123), dass die Studierenden generell nicht ausreichend auf ihre Rolle als Lehrkraft an inklusiven Schulen ausgebildet werden. Zum einen werden viele Praktika nicht an inklusiven Schulen absolviert, wodurch nicht alle Studierende praktische Erfahrung über inklusiven Unterricht sammeln können. Zum anderen werden Praktika, die trotzdem in einem inklusiven Bildungssystem stattfinden, nicht fach­spezifisch betreut. Zusätzlich gäbe es kaum Veranstaltungen, die die Studierenden in Hin­blick auf einen inklusiven Sportunterricht und auf die unterschiedlichen Förderschwer­punkte vorbereiten. Eine weitere Problematik bestände darin, dass aufgrund eines Mangels an Personal mit entsprechender förderschulpädagogischer Expertise und einer geringen An­zahl an Studierenden im Förderschulbereich mit dem Unterrichtsfach Sport kaum adressa­tenspezifische und förderschuldidaktische Seminare angeboten werden können.

4 Analyse der Prüfungsordnung und der Vorlesungsverzeich­nisse für angehende Lehrkräfte des Faches Sport

Das Curriculum für das Fach Sport an der Leibniz Universität Hannover sieht das Pflicht­modul „Heterogenität im Schulsport“2 (Leibniz Universität Hannover, 2018, S. 68-69) vor, das aus den Veranstaltungen Anfängerschwimmen, Psychomotorische Bewegungsförderung sowie Helfen und Sichern besteht. Während bei der Psychometrischen Bewegungsförderung sonderpädagogische Handlungskompetenzen vermittelt werden sollen, um allen Kindern eine Entwicklungsförderung durch unterschiedliche Körper- und Bewegungserfahrungen zu ermöglichen, wird bei einem Blick in die Seminarpläne der anderen beiden Lehrveranstal­tungen deutlich, dass der Fokus nicht auf die Qualifizierung inklusiver und sonderpädago­gischen Kompetenzen gelegt wird: Anstatt Diversität und Heterogenität wird bei Helfen und Sichern die allgemeine Sicherheit von Sportstätten, der angemessenen Umgang mit Sport­geräten, der situationsangemessene Einsatz von Hilfe- und Sicherheitsmaßnahmen themati­siert. Hier steht insbesondere das „Erlernen von Basisfertigkeiten zum Helfen, Bewegungs­begleiten und Sichern“ (siehe Anhang, S. 25) im Fokus. Beim Anfangsschwimmen lernen die Studierenden die methodische und didaktische Herangehensweise zur Wassergewöh­nung und -bewältigung für Nichtschwimmerinnen und Nichtschwimmer kennen. Inklusiver bzw. integrativer Anfängerschwimmunterricht, der sich mit dem Anfangsschwimmunter­richt für Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen beschäftigt, steht allerdings nicht im Vordergrund und wird lediglich nur kurz angeschnitten (siehe An­hang, S. 26). Somit zeigt sich, dass zwar ein Pflichtmodul für alle Studierenden existiert, das den Umgang mit Heterogenität vorschreibt, aber inklusive Themen unberücksichtigt lässt. Inklusionsrelevante und sonderpädagogische Veranstaltungen werden überwiegend vom Ar­beitsbereich Sport und Erziehung angeboten und können nur in den Modulen Fachdidaktik (bestehend aus drei Seminaren), Vertiefung Erziehungs-, sozial- und gesellschaftswissen­schaftliche Sporttheorie (drei Seminare) und Wahlvertiefung Sporttheorie (ein Seminar) be­legt werden. Beim Modul Fachdidaktik müssen alle drei Veranstaltungen dem Arbeitsbe­reich Sport und Erziehung zugeordnet werden. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei der Vertiefung Erziehungs-, sozial- und gesellschaftswissenschaftliche Sporttheorie um eine ein­zige verpflichtende Veranstaltung, die aus diesem Arbeitsbereich gewählt werden muss. Darüber hinaus hat man in diesem Modul noch die Möglichkeit, ein weiteres Seminar aus dem Fachbereich Sport und Erziehung zu besuchen. Bei dem Modul Wahlvertiefung Sport­theorie haben die Studierenden die Wahl, ob sie an einem Seminar aus dem Bereich Sport und Erziehung, Sport und Gesellschaft, Sport und Training oder aus Sport und Gesundheit teilnehmen (Leibniz Universität Hannover, 2018, S. 68-70). Somit hat man im Laufe des Studiums vier verpflichtende sporterzieherische Veranstaltungen, die optional durch geziel­tes Auswählen auf insgesamt sechs Seminare erhöht werden können, in denen inklusive und sonderpädagogische Inhalte im Fokus stehen.

Dass an vier bzw. sechs sporterzieherische Seminare teilgenommen wird, impliziert jedoch nicht, dass die Studierenden automatisch mit inklusiven und sonderpädagogischen Frage­stellungen konfrontiert werden. Bei einer Analyse der Vorlesungsverzeichnisse der letzten zehn Semestern (Wintersemester 14/15 bis Sommersemester 2019) im Fach Sport wird er­sichtlich, dass insgesamt 96 Veranstaltungen aus dem Arbeitsbereich Sport und Erziehung angeboten wurden, wovon nur 11 Seminare (=11,5%) ihren Schwerpunkt auf Inklusion und 12 Kurse (=12,5%) auf sonderpädagogische Fragestellungen setzten. Des Weiteren zeigte die Analyse, dass Co-Teaching nur bei zwei Kursen (=2,1%) inhaltlicher Schwerpunkt war (Institut für Sportwissenschaft, 2019).3 Die geringe Anzahl an sporterzieherischen Pflicht­veranstaltungen, die Unterrepräsentation von inklusiven sowie sonderpädagogischen Inhal­ten und ein Losverfahren, das über die Platzvergabe entscheidet, tragen dazu bei, dass Stu­dierenden nur an wenigen derartigen Seminaren teilnehmen können und sich somit im ganzen Studium kaum inklusive, kooperative und sonderpädagogische Kompetenzen aneig­nen können.

Nach Moser & Demmer-Dieckmann (2012, S. 159) muss jede Lehrkraft in der Lage sein, den Lerngegenstand auch für Lernenden mit Förderschwerpunkten und Behinderungen dif­ferenziert zu vermitteln. Für das Fach Sport wird daher eine Verknüpfung sportbewegungs­wissenschaftlicher und sonderpädagogischer Ausbildungsinhalte benötigt. Sowohl die theo­retischen Seminare als auch die einzelnen Praxiskurse, wie z. B. Tischtennis, Fußball etc., müssen daher zum Ausdruck bringen, wie ein Sportunterricht konzipiert werden kann, der auch behinderte Schülerinnen und Schüler mit einbezieht. Für die Analyse wurden beispiel­haft acht Seminarpläne (siehe Anhang, S. 27-33) von Praxiskursen herangezogen, die im Hinblick auf sonderpädagogische und inklusive Themen untersucht wurden. Dabei fiel auf, dass, obwohl Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen ebenfalls an diesen praktischen Lehrveranstaltungen teilnehmen, nur drei von acht Praxisveranstaltungen in jeweils einer Doppelstunde einen inklusionsspezifischen Zugang zum Erlernen von bestimmten Bewe­gungen und Sportarten wählten. Eine Implementierung sonderpädagogischer Inhalte in den Sportkursen findet somit nur in einem geringen Maße statt.

In Bezug auf praktische Erfahrungen in inklusiven Settings lässt sich positiv hervorheben, dass die angebotenen Praktika hauptsächlich an inklusiven Schulen durchgeführt werden, in denen Co-Teaching und multiprofessionelle Zusammenarbeit im Unterricht integriert ist (z. B. IGS Garbsen, IGS List). Aus diesem Grund werden bei den meisten Praktika die „Bereit­schaft zum Co-Teaching mit Studierenden des Studienziels Lehramt für Sonderpädagogik [...] erwartet“ (Institut für Sportwissenschaft, 2018, S. 45). Allerdings muss hierbei betont werden, dass die Studierenden aufgrund einer kurzen Praktikumsdauer von fünf Wochen nicht viele eigenverantwortliche Unterrichtsstunden in Form von Co-Teaching halten kön­nen.

Zusätzlich werden im Forschungsmodul im Durchschnitt alle zwei Semester Veranstaltun­gen angeboten, in denen Studierenden Projekte in inklusiven Settings initiieren und reflek­tieren (z. B. Digitale Medien im inklusiven Sportunterricht, Inklusion und Integration im Kontext von Erziehung und Bildung). Dabei beschäftigen sich die Teilnehmenden u. a. mit sportpädagogischen Grundlagen für einen gelingenden Sportunterricht in heterogenen Grup­pen und mit der Rolle der Lehrkraft im inklusiven Sportunterricht. Von 38 Projektveranstal­tungen, die in den letzten zehn Semestern zur Auswahl standen, konnten nur bei fünf Semi­naren (=13%), Projekte in inklusiven Settings durchgeführt werden (Institut für Sportwis­senschaft, 2019). Da Studierende nur ein Projektseminar im Rahmen ihres Studiums besuchen müssen, ist auch hier die Wahrscheinlichkeit groß, dass viele in diesem Modul keine inklusiven Erfahrungen sammeln werden.

Studierende des Master of Education sind verpflichtet, zwei Pflichtmodule der Erziehungs­wissenschaften und ein Modul der Psychologie zu belegen. Im Bereich der Erziehungswis­senschaften müssen die Studierenden im Modul Pädagogisches Handeln in der Schule (EW 1) das Seminar Unterrichten im Kontext der Lerngruppe besuchen (Leibniz Universität Han­nover, 2018, S. 15). Hierbei wird insbesondere der Umgang mit heterogenen Lerngruppen und die Planung von Unterricht, die die Vielfalt und die unterschiedlichen Lernvorausset­zungen der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt, thematisiert. Die anderen Veranstal­tungen der Erziehungswissenschaft und die der Psychologie, die ihren Fokus auf die Steige­rung der Motivation sowie der Unterrichtsqualität und auf das erfolgreiche Führen von Leh- rer-Schüler-Interaktionen legen, ziehen inklusionsspezifische und sonderpädagogische The­men nicht in Betracht. In der Psychologie beschäftigen sich zwar einige Kurse mit der Di­agnostik und Beratung. Jedoch handelt es sich hierbei nicht um sonderpädagogische, son­dern um psychologisch-pädagogische Grundlagen der Diagnostik (Institut für Erziehungs­wissenschaft, 2019; Institut für Psychologie, 2019).

Im Fächerübergreifender Bachelor müssen zusätzlich zwei Lehrveranstaltungen in dem Mo­dul Schlüsselkompetenzen absolviert werden. Dabei muss ein Seminar aus dem Bereich All­gemeine Kompetenzen zur Förderung der Berufsfähigkeit stammen, in den mehrere Veran­staltungen zu den Themen Teamarbeit und Diversität angeboten werden (Leibniz Universität Hannover, 2019, S. 79). Jedoch handelt es sich hierbei um keine Pflichtveranstaltungen. Die Studierenden können je nach Interesse oder nach individuellen Zeit- bzw. Stundenplanvor­stellungen andere Kurse wählen, die andere Themenschwerpunkte aufweisen.

Um sich intensiver für die multiprofessionelle Zusammenarbeit und für inklusiven Unter­richt mit heterogenen Lerngruppen zu qualifizieren, bleibt den Studierenden nichts anderes übrig, als an außercurricularen Veranstaltungen der Universität teilzunehmen.

[...]


1 Der Begriff Co-Teaching wird von vielen Autorinnen und Autoren oft synonym zu dem Begriff Teamteaching verwendet. Allerdings unterscheiden sie sich in der Zusammensetzung der Lehrkräfte. Während beim Co­Teaching eine Regelschullehrkraft und eine Lehrkraft der Sonderpädagogik gemeinsam den Unterricht gestal­ten, ist es beim Teamteaching egal, aus welchem Professionalisierungsbereich die Lehrkräfte kommen.

2 Sport ist die einzige Fachwissenschaft an der Leibniz Universität Hannover, die dieses Modul in ihrem Cur­riculum etabliert hat.

3 Die Daten wurden aus den einzelnen Vorlesungsverzeichnissen des Instituts für Sportwissenschaft an der Leibniz Universität Hannover gewonnen.

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Detalles

Título
Co-Teaching und multiprofessionelle Zusammenarbeit als Gelingensbedingung inklusiver Schulen
Subtítulo
Die inklusive Lehrerbildung am Beispiel der Leibniz Universität Hannover
Universidad
University of Hannover
Calificación
1,0
Autor
Año
2019
Páginas
34
No. de catálogo
V1045299
ISBN (Ebook)
9783346471338
Idioma
Alemán
Palabras clave
co-teaching, zusammenarbeit, gelingensbedingung, schulen, lehrerbildung, beispiel, leibniz, universität, hannover
Citar trabajo
Tobias Schlüter (Autor), 2019, Co-Teaching und multiprofessionelle Zusammenarbeit als Gelingensbedingung inklusiver Schulen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1045299

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