Einige Grundgedanken Karl Löwiths


Research Paper (postgraduate), 2003

12 Pages


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Einige Grundgedanken Karl Löwiths

Motive des Löwithschen Philosophierens

Karl Löwith (1897-1973) ist bekannt als ein Philosoph, der die Erfahrung vom »Umsturz und von der Auflösung der bürgerlichen Welt und ihrer alt gewordenen Kultur« (Riedel 1970: 124) durch das Erleben zweier Weltkriege, den NS und den dazugehörigen Zeitgeist am eigenen Leibe gemacht und der dies auf höchst eigene, ebenso stoische wie radikale Weise verarbeitet hat. Charakteristisch für seine Vorgehensweise in seinen Schriften ist das »Verfahren der Entfaltung des eigenen Philosophierens im Medium philosophierender Philosophiegeschichtsschreibung« (Saß 1974: 3), d.h. er hat seine eigene Position, ganz ähnlich wie Heidegger, doch ohne dessen gewaltsame Tendenz, nicht abgelöst von philosophiehistorischen Untersuchungen dargestellt. »Er spiegelt das Werk des einen im anderen, um aus der Brechung der Gedanken den Maßstab anzudeuten, an dem es selbst und sein Verhältnis zur Zeit beurteilt werden muß« (Riedel 1970: 126).

Er hat keine ›Lehre‹ hinterlassen, sondern kunstvoll und schriftstellerisch elegant die metaphysische Tradition auf ihre ›philosophiefremden‹ theologischen Implikationen hin befragt und diese so zu destruieren versucht. So wird der Leser seiner Schriften dann damit in Atem gehalten, wie Löwith »die kopernikanische Wendung noch einmal an sich und an ihr« (Plessner 1967: 8) vollzieht. Daher beinhalten Löwiths philosophiehistorische Studien letztlich eine Theorie der Moderne (vgl. Ries 1992: 129), die das Aufkommen des modernen Nihilismus erklärt und zur Unbefangenheit einer naturhaften Bewusstseinshaltung finden will, die sich von den ›Sinnfragen‹ der christlichen Überlieferung befreit hat.

Der Ablösung des Denkens von der christlichen Heilsgewissheit, dem Zerfallsprozess der Hegelschen Philosophie im 19. Jahrhundert, der schließlich im europäischen Nihilismus gipfelt, setzt er das griechische Weltdenken entgegen, und zwar: »die eine Welt als Welt der Natur, deren Seinsordnung sich über alle geschichtlichen Weltalter, Zeitalter und Weltnöte hinaus als immer ›dieselbe‹ erweist.« (Ries 1992: 1). Gegenüber jeder akademischen Schulphilosophie verweist Löwith damit auf eine »aporetische Skepsis« (Ries: 129), vor allem im Hinblick auf das Fortschrittsdenken: »Es ist diese Berufung auf die Fatalität der Geschichte, die Löwith selbst nicht mehr reflektiert« (Riedel 1970: 131). Steht man zur Löwithschen Position eher affirmativ als kritisch, so müsste man eine skeptische epoché mitvollziehen, die anders als diejenige Husserls nicht durch Reduktion auf das transzendentale Ich zur absoluten Erkenntnisgewissheit kommt, sondern die das theorein in der Betrachtung des Kosmos zur Lebenshaltung macht, zu einem beständigen Exerzitium (vgl. Donaggio 2000: 47). Noch radikaler als Heidegger geht daher Löwith hinter die Geschichtsphilosophie zurück und verortet die ursprüngliche Dimension der Philosophie unmittelbar in der Natur oder in der Physiologie (vgl. Amorim Almeida 1976: 130), um ein Wissen, eine ›Weltweisheit‹, wiederzugewinnen, für die »das historische Bewußtsein keinen Maßstab hat« (Riedel 1970: 132).

Nietzsches Lehre von der ewigen Wiederkehr markiert dabei für ihn den entscheidenden Wendepunkt zur Überwindung der Metaphysik. Das hat zu dem (Miss-)Verständnis geführt, dass Löwith damit »den anspruchsvollen Kulissenwechsel von der Moderne zur Antike inszenieren möchte« (Habermas 1963: 195), also eine Rückkehr zur Kosmotheologie intendiert. Doch kann man ihm schwerlich einen naturalistischen Dogmatismus nachweisen. Es geht vielmehr um » ›einen neuen Standpunkt‹ jenseits von christlich und heidnischer Tradition« (Ries 1992: 131). »In Löwith hat der Zweifel an den Verklärungen der Metaphysik, die das Bild des Menschen durch geschichtliche Sinndeutungen verstellt und seine faktische Situation in der Welt verdeckt, von Anbeginn gelebt« (Riedel 1970: 121). Überwindung der Metaphysik findet für Löwith jedenfalls da statt, wo »der kritische Überschritt zur Anerkennung eines zweckfreien und gottlosen Weltalls geschieht, von dem auch der Mensch nur eine endliche Modifikation ist« (Löwith 1967a: 339).

Systematisch erschließt sich demnach das Löwithsche Denken, indem seine Destruktion der Geschichtsphilosophie bzw. des Historismus sowie die Intention der Wiedergewinnung des Kosmos nachvollzogen und sein Denken zwischen Nietzsche und Heidegger bedacht werden. Studien über Löwith und Heidegger liegen bereits vor (über Löwiths Auseinandersetzung mit Natur und Geschichte sowieso), jedoch noch keine, die die konstitutive Bedeutung Nietzsches für Löwith in den Mittelpunkt stellt, mit dem er über Husserl und Heidegger hinausgeht (vgl. Riedel 1970: 129). Darin und in der Frage, ob das von Löwith selbst konstatierte »Scheitern von Nietzsches ›letztem Experiment‹ - der Wiedergewinnung der vorchristlichen Welt mit Hilfe der Lehre von der ewigen Wiederkunft auch als Scheitern von Löwiths philosophischer Intention gelesen werden (muss)« (Covic 1997: 192), könnte eine geeignete Fragestellung für eine Dissertation liegen.

Verfallsgeschichte versus Kosmotheologie?

Unter dem Druck einer antizipierten Zukunft stehend, sehe sich der moderne Mensch der ›griechischen Versuchung‹ ausgesetzt, er erträume sich der umfassend verzeitlichten Wirklichkeit widersprechende Einheiten, »vor allem das Bild einer außergeschichtlichen Realität, der man einen von der Moderne unangefochtenen Platz zuweisen könnte. Daß ein solcher Platz wieder zu besetzen wäre und daß folglich in der Moderne die Dynamik der Verzeitlichung zu unterlaufen ist, scheint in der Tat Löwith angenommen zu haben«, heißt es in einem neueren Buch (Liebsch 1995: 18).

Tatsächlich hat Löwith gegen den neuzeitlichen Historismus einen ›natürlichen Weltbegriff‹ gesetzt, der sich am griechischen Verständnis vom Kosmos orientiert, und sich dazu vor allem auf die pseudoaristotelische Schrift »Über die Welt«* berufen: »Als Kosmos ist die Welt weder ein Chaos noch eine aus dem Nichts erschaffene Schöpfung, die durch den widergöttlichen Eigenwillen des Menschen verdorben wurde und seitdem erlösungsbedürftig ist, sondern geradezu göttlich.« (Löwith 1959/1960: 277).

Löwith suche mit Hilfe der urbanen Verhaltenheit des der Antike zugewandten Jakob Burckhard und der von der Willensmetaphysik abgelösten »Hälfte des festgehaltenen Nietzsche den Absprung zu finden von den Klippen des historischen Bewußtseins überhaupt«, hatte schon, ähnlich konsterniert, Habermas festgestellt (1963: 196). Man tut sich schwer mit Löwiths Kritik der Geschichtsphilosophie.

Schon 1939 hat Löwith in seinem Buch »Von Hegel zu Nietzsche« die These vertreten, dass die philosophiegeschichtliche Entwicklung des 19. Jahrhunderts eine ›tödliche Konsequenz‹ (Leo Strauss) vorbereitet habe, nämlich die Verwandlung des europäischen Humanismus, wie er von Goethe und Hegel repräsentiert wird, in einen deutschen Nihilismus wie bei Ernst Jünger, der in jenen radikalen Willen zur Destruktion mündet, den Nietzsche vorhergesehen hat. Der Zerfall und die Verkehrung der Hegelschen Philosophie in den Marxismus einerseits und den Existenzialismus (Kierkegaard) andererseits sind für Löwith Vorboten »jenes ruinösen Zusammenhanges von existenzialer Entweltlichung und politischem Messianismus« (Ries 1992: 7), der in Heideggers nackter ›Entschiedenheit‹ den Höhepunkt seiner säkularen Verstiegenheit findet. Es ist dieses Destruktionspotential, das einer chiliastisch gestimmten Philosophie innewohnt, die sich vom theoretischen Weltdenken ab- und dem zeitgeschichtlichen Handeln zuwendet, das Löwith aufdecken will.

Die »Verschränkung von Emanzipations- und Verfallsgeschichte« (Ries 1992: 114), wie sie sich in der neuzeitlichen Philosophie darstellt, bleibt auch später das zentrale Thema Löwiths, was ihm die Kritik eingetragen hat, er unterscheide nicht sorgfältig genug zwischen Welt- und Philosophiegeschichte (vgl. Covic 1997: 184). So steht in seiner Studie »Weltgeschichte und Heilsgeschehen« das verfallsgeschichtliche Moment im Vordergrund - »daß die moderne Geschichtsphilosophie dem biblischen Glauben an eine Erfüllung entspringt und daß sie mit der Säkularisierung ihres eschatologischen Vorbildes endet« (Löwith 1949/1953: 12) -, während es ihm in der Abhandlung »Gott, Mensch und Welt in der Metaphysik von Descartes bis zu Nietzsche« darum geht, die sogenannte Emanzipationsgeschichte aufzuzeigen, in der »sich die christliche Botschaft vom Reich Gottes von der Kosmotheologie der Griechen und der moderne, emanzipierte Mensch von der biblischen Anthropotheologie befreit hat, in welcher Mensch und Gott eine Partnerschaft bilden« (Löwith 1967b: 3). Mit der erstmals von Augustin durchdachten Innerlichkeit des christlichen Selbst tritt der Mensch aus der »umfassenden Ordnung der Welt« heraus und »wird ortlos und heimatlos im Ganzen der Welt, eine kontingente und schließlich absurde, man weiß nicht wie und von woher in sie hineingeworfene Eksistenz« (Löwith 1967b: 12). Fortschrittsdenken und ›Emanzipation‹ erweisen sich schließlich als bloße Depotenzierung der Welt zugunsten des Verfügungswillen des Menschen (vgl. Ries 1992: 192). Die heilsgeschichtlichen Denkstrukturen hält Löwith demnach »mit Feuerbach in ihren säkularisierten Formen für in naturkundlichem Sinne pathologisch« (Saß 1974: 5), und dies deshalb, weil dahinter die Maßlosigkeit steht, den Sinn der Geschichte erkennen und die Zukunft selbst erschaffen zu wollen (vgl. Dabag 1989: 7). Eine genuin philosophische Haltung besteht für Löwith jedoch nicht in der Frage nach »den wechselnden Geschicke der Geschichte, die jeweils auch anders sein könnten«, sondern im Bedenken des Immer-Seienden und des Ganzen des von Natur aus Seienden:

»› Weltgeschichte‹ ist wörtlich genommen ein Mißgriff, denn weltumspannend oder universal ist nur die eine von Natur aus bestehende Welt, innerhalb derer unsere geschichtliche Menschenwelt etwas Vorübergehendes ist. Sie verschwindet im Ganzen der Welt etwa so, wie auf einem Bilde von Breughel Ikarus, der nach seinem Sturz im Meer versinkt und von dem nur noch ein Bein sichtbar ist. Am Horizont des Meeres sieht man die Sonne, während am Ufer ein Fischer hockt und am Land ein Hirt seine Herde hütet und ein Bauer die Erde pflügt, als sei zwischen Himmel und Erde gar nichts geschehen.« (Löwith 1961: 314)

Löwiths Anliegen, die Legitimität der Geschichtsphilosophie aufgrund ihrer theologischen Wurzeln zu bestreiten, ist in der Sekundärliteratur fast durchweg kritisiert worden (vgl. Dabag 1989: 4ff.; neuerdings Covic 1997). Maßgeblich dafür bis heute dürfte die Einschätzung von Habermas sein, Löwiths Arbeiten seien widersprüchlich, weil sie selbst nicht aus »einer seit Hegel verbindlichen Logik der geschichtlichen Entwicklung« heraustreten könnten; Löwith zeige nicht auf, wodurch er selbst legitimiert sei, »mit Hilfe des Anspruchs, Geschichte vernünftig begriffen zu haben, den Anspruch historischen Begreifens als solchen zu entkräften.« (Habermas 1963: 201). Löwith reproduziere Ansichten aus der Antike affirmativ als unverrückbare Einsichten und entziehe sich damit dem zeitgeschichtlichen Problemdruck (206). Löwith ignoriere die technischen Wissenschaften in ihren praktischen Folgen; Distanzierung von Pragmata und Rückkehr zur reinen Kontemplation sei objektiv nicht mehr möglich (215). Noch schärfer formuliert es neuerdings Wolin: »But the idea that one must reject historical consciousness entirely is itself an extreme measure. It sanctions the abandonment of history as a realm of senseless contingency. It is to confuse the excess of modern historical consciousness - the crimes of totalitarian states - with the entirely legitimate emergence of democratic freedoms coincident with the revolutionary era. To his discredit, Löwith refuses to recognize the moral legitimacy of the modern age: the fact that acts of democratic self-determination are able to compensate for and offset historical contingency«; allzu viel stoischer Rückzug könne auch schlicht als das Vermeiden, einen Standpunkt zu beziehen, verstanden werden (Wolin 2001: 98). Aus theologischer Sicht wird darüber hinaus moniert, dass Löwith der natürlichen Welt ›divinatorische‹ Prädikate zuschreibe: wenn Löwith schreibe, die Natur sei ›ewiges Leben und höchste Weisheit, der allesdurchherrschende Logos der alles umfassenden Physis‹, bediene er sich einer theologischen Sprache, die weniger die Natur beschreibe als den Verfasser als einen nach verlässlichem religiösen Halt suchenden Menschen offenbare; die Natur sei endlich bedingt wie der Mensch: »Dort, wo eine Kreatur ›der Schrecken der anderen‹ sein kann, ist das Ganze und Heile, das der Mensch sucht, so abwesend wie in seiner eigenen Geschichte.« (Dietrich 1986: 243). Es bleibt allerdings fraglich, ob solcherart moralisierende Statements und christliche Attributionen die Tiefenschicht Löwithscher Skepsis und Weltzugewandtheit Nietzscher Prägung wirklich zu erfassen in der Lage sind.

›Atheismus und eine Art zweiter Unschuld gehören zueinander‹, heißt es bei Nietzsche (zit.n. Ries 1992: 133). Wenn die Aufmerksamkeit weg von den Dingen, die man ändern kann, hin zur Grunderfahrung einer natürlich sich ordnenden Welt gerichtet wird, dann kann das auch als eine im »therapeutischen Hintersinn« (Ries 1992: 132) gemeinte ›Entlastung‹ des Menschen (vom Machbarkeitswahn, von Moral, von hochtrabender Metaphysik) gelesen werden. Dementsprechend heißt es im Nietzsche-Abschnitt von »Gott, Mensch und Welt«:

» Mit der Eliminierung eines bewußten göttlichen Wollens, göttlicher Absichten und einer sittlichen Weltordnung zeigt sich die Welt wieder so, wie sie ursprünglich ist: jenseits von Gut und Böse, als eine ›Unschuld des Werdens‹, inbegriffen den Menschen, an dem auch niemand schuld ist, weder ein Gott noch er selbst.« (Löwith 1967b: 133).

Zwischen Nietzsche und Heidegger

Die entscheidenden Stichpunkte zu diesem Thema finden sich auch hier schon bei Habermas: Löwiths ›Überwindung‹ des Historismus führe ihn in größte, ihm sicher unbequeme Nähe zu Heideggers prätentiöser ›Verwindung‹ des metaphysischen Denkens. Löwith teile mit Heidegger das Bedürfnis, die Geschichte der Ontologie zu rekonstruieren; sein Thema der ›Entweltlichung der Welt‹ sei gleichermaßen eine Geschichte der Seinsvergessenheit (vgl. Habermas 1963: 202). Im Unterschied zu Heidegger behaupte Löwith jedoch gegen dessen ontologische Auszeichnung der Vorsokratiker die griechisch-römische Einheit des kosmologischen Denkens. Heidegger kokettiere mit dem eschatologischen Bewusstsein, während Löwith in der Einheit des christlichen und säkularen Glaubens die eigentliche metaphysische Verstellung sehe. An Nietzsches Stellenwert würden sich beider Geister scheiden. Aber entscheidend sei, dass Löwith wie Heidegger auf eine Rückkehr zu einer rechtverstandenen Ontologie bzw. deren ›Wiederholung‹ setzten; Löwith führe mit Heidegger das Verhängnis der zweitausendjährigen abendländischen Entwicklung auf die Hintergeschichte eines philosophisch und theologisch maßgebenden Weltverständnisses zurück: »ob nun die metaphysische Verstellung des Seins im exaltierten Andenken oder die Entheiligung des Kosmos durch skeptische Weisheit sei´s beschworen sei´s bezwungen werden soll« (Habermas 1963: 203). Die einzig gravierende Differenz bleibe Heideggers durchgehaltene Bindung der Wahrheit an die geschichtliche Welt der Menschen.

Heidegger hatte versucht, die Metaphysik zu ›verwinden‹, indem er den Zusammenhang von Ontologie und Theologie aufdeckte, der für ihn die ursprüngliche Frage nach dem Sein selbst verstellt (vgl. Amorim Almeida 1976: 114f.). Die Ontologie als Lehre vom Sein des Seienden handele vom anwesenden und verfügbaren Sein, in dem das Seiende begründet sei. Dieses Sein bedarf nun aber auch selbst einer Gründung in einem Seienden, das in besonderer Weise die Forderung nach stetiger Anwesenheit erfülle. Dies findet die Metaphysik in der causa sui, im in sich selbst stehenden Göttlichen. So einigt für Heidegger die ›Ontologik‹ und ›Theologik‹ dasselbe Fundament: »die Einheit dessen, was in der Ontologik und Theologik befragt und gedacht wird: Das Seiende als solches im Allgemeinen und Ersten in Einem mit dem Seienden als solchem im Höchsten und Letzten.«(Heidegger 1957: 52). Das ist für Heidegger die onto-theologische Verfassung der Metaphysik, in der das Letzte das Erste begründet und das Erste seinerseits das Letzte und die in dem Maße ›verwunden‹ werden kann, in dem sich wiederholend zur Dimension der Selbstheit des Seins hingewandt wird, die die abendländische Metaphysik vergessen und verstellt hat. Dieser Rückgang sei sozusagen zur ›Rettung des Denkens‹ erforderlich, denn die Metaphysik habe sich vollendet, ihre Möglichkeiten seien ausgeschöpft und sie sei in den Einzelwissenschaften aufgegangen; die (abendländische) Philosophie wäre damit am Ende (vgl. Heidegger 1964: 62f.).

Löwith geht auch davon aus, dass es mit der onto-theologischen Metaphysik ein Ende hat (und vielleicht ist diese Nähe zum Heideggerschen Denken heute nicht mehr ›unbequem‹, sondern geradezu zeitgemäß); bei ihm heißt es: »mit der metaphysischen Theologie von Descartes bis zu Hegel und ihren Gottesbeweisen [ist] es vorbei.« (Löwith 1967b: 1). Heideggers kryptotheologisches Seinsdenken, das sich mit einem geschichtlichen ›Wahrheitsgeschehen‹ verbindet und dies zu Beginn des NS folgerichtig als politisches Schicksalsgeschehen auslegte, hat er jedoch scharf kritisiert (vgl. Ries 1992: 120 f.): »Der unerhörte Anspruch dieses Denkens besteht darin, daß es die gesamte Geschichte der abendländischen Philosophie auf die Waage stellt und durch die Erinnerung an das ›anfängliche‹, vorsokratische Wesen der Wahrheit einer ankommenden Wende der Weltgeschichte zur Sprache verhelfen möchte.« (Löwith 1953: 129). Die Sache des Denkens gehe für Heidegger immer auch auf ein (nicht näher bestimmtes, religiöses) »Kommendes«, eine Art Advent hin, dessen Prophet Heidegger selbst ist, und seine Philosophie bleibe daher eschatologisch orientiert.

Dass Löwith sich schon sehr früh, zur Zeit seiner Dissertation und der bei Heidegger verfassten Habilitation, vom Heideggerschen Denken vor allem mit Hilfe von Nietzsche abgrenzte, ist in einem neueren Aufsatz auch mit Hinweisen auf private Äußerungen Löwiths in Briefen herausgestellt worden (vgl. Donaggio 2000). Schon früher ist aufgefallen, dass Löwith im Hinblick auf die Frage nach der ursprünglichen Dimension allen philosophischen Denkens einen »einzigartigen Platz« einnimmt, vor allem weil er gegenüber Heidegger eine selbständige Position bezog (vgl. Amorim Almeida 1976: 134). Denn mit seinem Naturbegriff als - nach Nietzsche - ewige Wiederkehr verabschiedet er gänzlich das geschichtsphilosophische Denken (dass es um ein eschatologisch oder chiliastisch ausgerichtetes Denken nicht schade wäre, könnte man - Wolin und Habermas entgegenhaltend - nicht nur im Hinblick auf das ›Tausendjährige Reich‹ Hitlers annehmen, sondern auch bezogen auf aktuelle ›Religionskriege‹ - von ›moralischem‹ Fortschritt keine Spur).

Löwiths Nietzsche-Interpretationen sind dadurch gekennzeichnet, dass er den philosophischen Gehalt seines Denkens aus sich selbst heraus zu verstehen versucht, d.h. als Problemstellung einer als vollendeten Nihilismus diagnostizierten Moderne (vgl. Ries 1992: 86). Zugleich steht Löwiths eigenes Weltdenken in enger Verbindung mit Nietzsches Intention, eine nicht-christliche Sichtweise zu gewinnen, indem »er versuchte, den exzentrisch gewordenen Menschen in den ewigen ›Grundtext‹ der Natur ›zurückzuübersetzen‹.« (Löwith 1935/1955: 382). Nietzsche selbst schreibt:

» ...dass auch unter solcher schmeichlerischen Farbe und Übermalung der schreckliche Grundtext homo natura wieder heraus erkannt werden muss. Den Menschen nämlich zurückzuübersetzen in die Natur; über die vielen eitlen und schwärmerischen Deutungen und Nebensinne Herr werden, welche bisher über jenen ewigen Grundtext homo natura gekritzelt und gemalt wurden; machen, dass der Mensch fürderhin vor dem Menschen steht, wie er heute schon, hart geworden in der Zucht der Wissenschaft, vor der anderen Natur steht, mit unerschrocknen Oedipus-Augen und verklebten Odysseus-Ohren, taub gegen die Lockweisen alter metaphysischer Vogelfänger, welche ihm allzulange zugeflötet haben: ›du bist mehr! du bist höher! du bist anderer Herkunft!‹ - das mag eine seltsame und tolle Aufgabe sein, aber es ist eine Aufgabe - wer wollte das leugnen!« (Nietzsche 1988: 169 [Aph. 230])

Bei Nietzsche gehe es keineswegs darum, wie Löwith vermutet habe, ›auf der Spitze der Modernität‹ einen Rückgang in den Kosmosgedanken der Antike vorzunehmen; Löwith habe damit wohl eher seine eigene Auseinandersetzung mit dem Problem des historischen Bewusstseins an Nietzsche herangetragen, heißt es in einer maßgeblichen Nietzsche-Interpretation (vgl. Abel 1984: 15). Die Wiederkunftslehre stelle eine »Überwindung des Nihilismus« dar; sie beinhalte ein ursprünglich-einheitliches Welt- und Selbst-Verständnis, das als unausweichlich angesehen werden könne, wenn man den Dunstkreis an Problemstellungen der abendländischen Tradition, wie z.B. Transzendenz, den Anfang der Welt in der Zeit, den Schöpfergott, die Teleologie, moralische Ontologie, Erlösungsbedürftigkeit, das metaphysisch Letztbegründende, verlässt (ebd.: VIII). Lässt sich demnach Löwiths Auseinandersetzung mit Nietzsche wirklich so schnell vom Tisch wischen? War nicht Löwith vielmehr einer der ersten, der das innovative Potential Nietzsches ausgelotet hat - als Löwith 1923 über Nietzsche promovierte, tat er das gegen den Rat Heideggers, der ihm damals sagte: »Ich verstehe Ihr Interesse für Nietzsche nicht; er hat doch nur Aphorismen ausgespuckt!« (vgl. Donaggio 2000: 41, Fn. 16).

Nietzsche hatte »dreitausend Jahre Naturverachtung zugunsten eines absoluten Geistes« vor Augen, der er Perspektivismus und die Wiederentdeckung von unendlichen Möglichkeiten, die Welt zu deuten, entgegen hielt: »Darum beschwor er so vehement die antike Götterwelt.« (Hillebrand 1991: 4). Löwith misst Nietzsches Philosophie geradezu am griechischen Denken, um zu überprüfen, ob sie wirklich einem Denken gewachsen ist, das noch nicht von der jüdisch-christlichen Tradition ›kontaminiert‹ ist, die sich seit Hegel ohnehin überlebt hat. Das griechische Weltverständnis hat für Löwith vielleicht als Weberscher ›Idealtypus‹ für unverstellte theoria fungiert, zu dem aber nicht einfach zurückgekehrt werden kann. Dies würde erklären, warum sich Löwith ›in seine skeptische Position zurückzieht‹ (vgl. Covic 1997: 190), nachdem er Nietzsches »Zarathustra« als Versuch der ›Wiederanverlobung der alten, natürlichen Welt‹ gedeutet hat. Nach Löwith scheitert Nietzsche damit, denn er war »so durch und durch christlich und modern, daß ihn nur eine Frage beschäftigte: der Gedanke an die Zukunft und der Wille, sie zu schaffen...Kein Grieche gab sich mit der entfernten Zukunft ab.« (Löwith 1949/1953: 237). Nietzsches Grundbegriff des Willens zur Macht passe nicht zur Kosmologie, da der ewige Kreislauf des Kosmos jenseits von Wille und Vorsatz sei. Die ewige Wiederkunft sei für Nietzsche der ›schrecklichste‹ Gedanke und das ›größte Schwergewicht‹, weil er nicht mit seinem Willen zur künftigen Erlösung zu vereinbaren sei; während für die Griechen die Kreisbewegung der himmlischen Sphären per se einen universalen Logos und eine göttliche Vollendung dargestellt hätten. Das Fatum, vor dem die Griechen Furcht und Ehrfurcht empfanden, sollte nach Nietzsche in einer übermenschlichen Anstrengung geliebt und gewollt werden, so dass er einen ethischen Imperativ statt theoretischer Schau einführte, das eine individuelle Verantwortlichkeit ›einhämmerte‹, die den Glauben an die Gegenwart Gottes und die Erwartung des Jüngsten Gerichts ersetzen sollte. »All dieses Wollen, Schaffen und Zurückwollen ist völlig ungriechisch, unklassisch, unheidnisch; es stammt aus der jüdisch-christlichen Tradition, aus dem Glauben, daß Welt und Mensch aus Gottes Willen geschaffen sind. Nichts ist in Nietzsches Philosophie so auffallend wie die Betonung unseres schöpferischen und willensmäßigen Wesens, schöpferisch durch den Willensakt, wie bei dem Gott des Alten Testaments. Für die Griechen war das Schöpferische des Menschen ›eine Nachahmung der Natur‹.« (Löwith 1949/1953: 238). So hat Nietzsche für Löwith die neuzeitliche Krise im Verhältnis von Mensch und Welt nicht behoben, sondern eher noch verschärft zu Bewusstsein gebracht (vgl. Ries 1992: 96), da seine Philosophie in zwei nicht zu vereinbarende Bruchstücke auseinanderfällt. Und zwar in die Wiederkunftslehre als objektive, naturwissenschaftlich fassbare Tatsache und in die subjektive Willensmetaphysik als ethischen Imperativ, der die Kluft zur allem menschlichen Wollen gegenüber gleichgültigen ewigen Welt nur künstlich und mit desparaten Anstrengungen überwinden will: »Sein Versuch, aus dem endlichen Nichts des sich selber wollenden Ich in das ewige Ganze des Seins zurückzufinden, mündet schließlich in der Verwechslung seiner selbst mit Gott, um den alles herum zur Welt wird.« (Löwith 1935/1955: 109).

Die Frage ist, ob Löwith tatsächlich »die Projektion der Rückkehr zur natürlichen Welt als Grundintention und wichtigsten Programmpunkt seiner Philosophie außerhalb des Mediums von Nietzsches Denken einfach nicht entwerfen« (Covic 1997: 192) konnte und daher aus denselben Gründen, die Löwith selbst für das Scheitern Nietzsches nennt, scheitern muss?

Literatur

Abel, Günter (1984): Nietzsche: die Dynamik der Willen zur Macht und die ewige Wiederkehr, Berlin 2. Aufl. 1998

Amorim Almeida, Roberto de (1976): Natur und Geschichte. Zur Frage nach der ursprünglichen Dimension abendländischen Denkens vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen Martin Heidegger und Karl Löwith. Meisenheim/Glan (zugl. Diss. München 1973)

Covic, Ante (1997): Die Aporien von Löwiths Rückkehr zur »natürlichen Welt«, in: Philosophisches Jahrbuch 104, 182-192

Dabag, Mihran (1989): Löwiths Kritik der Geschichtsphilosophie und sein Entwurf einer Anthropologie. Bochum (zugl. Diss. Bochum 1986)

Dietrich, Gerhard-Heinrich (1986): Das Verständnis von Natur und Welt bei Rudolf Bultmann und Karl Löwith. Eine vergleichende Studie. Theol. Diss. Hamburg

Donaggio, Enrico (2000): Zwischen Nietzsche und Heidegger. Karl Löwiths anthropologische Philosophie des faktischen Lebens, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 48, 37-48

Habermas, Jürgen (1963): Karl Löwith. Stoischer Rückzug vom historischen Bewußtsein, in: Ders., Philosophisch-politische Profile. Frankfurt/M. 1987, 195-216

Heidegger, Martin (1957): Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik, in: Ders., Identität und Differenz, Stuttgart 10. Aufl. 1996, 31 - 67

Heidegger, Martin (1964): Das Ende der Philosophie und die Aufgabe des Denkens, in: Ders., Zur Sache des Denkens, Tübingen 1969, 61 - 80

Hillebrand, Bruno (1991): Ästhetik des Nihilismus. Von der Romantik zum Modernismus, Stuttgart

Liebsch, Burkhard (1995): Verzeitlichte Welt. Variationen über die Philosophie Karl Löwiths. Würzburg

Löwith, Karl (1935/1955): Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkehr, in: Ders., Sämtliche Schriften 6: Nietzsche, Stuttgart 1987, 101-384

Löwith, Karl (1939): Von Hegel zu Nietzsche - Der revolutionäre Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts, in: Ders., Sämtliche Schriften 4: Von Hegel zu Nietzsche, Stuttgart 1988, 1 - 490

Löwith, Karl (1949/1953): Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie, in: Ders., Sämtliche Schriften 2: Weltgeschichte und Heilgeschehen. Zur Kritik der Geschichtsphilosophie, Stuttgart 1983, 7 - 239

Löwith, Karl (1953): Heidegger - Denker in dürftiger Zeit, in: Ders., Sämtliche Schriften 8: Heidegger - Denker in dürftiger Zeit. Zur Stellung der Philosophie im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1984, 124 - 234

Löwith, Karl (1959/1960): Die beste aller Welten und das radikal Böse im Menschen, in: Ders., Sämtliche Schriften 3: Wissen, Glaube und Skepsis. Zur Kritik von Religion und Theologie, Stuttgart 1985, 275 - 298

Löwith, Karl (1960): Mensch und Menschenwelt, in: Ders., Sämtliche Schriften 1: Mensch und Menschenwelt. Beiträge zur Anthropologie, Stuttgart 1981, 295 - 328

Löwith, Karl (1961): Vom Sinn der Geschichte, in: Ders., Der Mensch inmitten der Geschichte. Philosophische Bilanz des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1990, 305 - 319

Löwith, Karl (1967a): Der Atheismus als philosophisches Problem, in: Ders., Sämtliche Schriften 3: Wissen, Glaube und Skepsis. Zur Kritik von Religion und Theologie, Stuttgart 1985, 299 - 304

Löwith, Karl (1967b): Gott, Mensch und Welt in der Methaphysik von Descartes bis Nietzsche, in: Sämtliche Schriften 9: Gott, Mensch und Welt in der Metaphysik der Neuzeit - G.B. Vico - Paul Valéry, Stuttgart 1986, 1 - 194

Nietzsche, Friedrich (1988): Jenseits von Gut und Böse, in: Ders., Jenseits von Gut und Böse - Zur Genealogie der Moral, hrsgg. v. G. Colli u. M. Montinari, München; Berlin/New York 2. Aufl. (KSA Bd. 5)

Plessner, Helmut (1967): Geleitwort, in: Hermann Braun u. Manfred Riedel (Hrsg.), Natur und Geschichte. Karl Löwith zum 70. Geburtstag. Stuttgart, 7-9

Riedel, Manfred (1970): Karl Löwiths philosophischer Weg, in: Heidelberger Jahrbücher 14. Hrsg. von der Universitäts-Gesellschaft Heidelberg, 120-133

Ries, Wiebrecht (1992): Karl Löwith. Stuttgart

Saß, Hans-Martin (1974): Urbanität und Skepsis. Karl Löwiths kritische Theorie, in: Philosophische Rundschau 21, 1-23

Wolin, Richard (2001): Heidegger's Children. Hannah Arendt, Karl Löwith, Hans Jonas, and Herbert Marcuse. New York

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* nach Text und Übersetzung von Paul Gohlke 1949 (Reihe: Aristoteles, Die Lehrschriften, Bd. 4,4, Paderborn); s. z.B. Löwith 1960: 298, Fn. 4

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Details

Title
Einige Grundgedanken Karl Löwiths
Author
Year
2003
Pages
12
Catalog Number
V108639
ISBN (eBook)
9783640068340
ISBN (Book)
9783656468349
File size
508 KB
Language
German
Notes
Es handelt sich um eine kleine Vorarbeit für meine Doktorarbeit, einen Überblick zum Stand der "Löwith-Forschung".
Keywords
Einige, Grundgedanken, Karl, Löwiths
Quote paper
Heike Obermanns (Author), 2003, Einige Grundgedanken Karl Löwiths, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108639

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