Zur Kritik des modernen Subjekts bei Adorno und Foucault


Hausarbeit, 2021

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

1 Zum Gegenstand des modernen Subjekts

2 Zur Kritik des modernen Subjekts
2.1 Adornos Kritik des modernen Subjekts
2.2 Foucaults Kritik des modernen Subjekts

3 Gegenüberstellung der Kritiken Adornos und Foucaults am modernen Subjekt und Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Der Subjektbegriff ist ein zentrales Thema der modernen Philosophie und hat Auswirkung auf Soziologie, Politikwissenschaft und andere geisteswissenschaftliche Disziplinen. Er wurde bereits in der griechischen Antike, u. a von Aristoteles beschrieben, als ein tragendes Element von Handlungen und Eigenschaften. Menschen wie Gegenstände konnten unter diesem Begriff subsummiert werden (Koch et al. 2013: 15). Jedoch gelangte das Subjekt erst in der Neuzeit durch Philosophen wie Descartes, welcher einen wirkmächtigen Einfluss auf die moderne Erkenntnistheorie innehat, zu elementarer Bedeutung (ebd.).

Seit Beginn der Aufklärung in der Neuzeit, in welcher das moderne Subjekt konstituiert wurde, bis hinein in unsere Zeit, welche auch als Postmoderne oder Spätkapitalismus bezeichnet wird, wurde das moderne Subjekt stets weiterentwickelt, diskutiert und kritisiert. Hierfür lässt sich vor allem Immanuel Kant anführen, welcher der Sicht auf das Subjekt eine sogenannte „Kopernikanische Wende“ gab, indem er das Subjekt von Gott als seinem transzendentalen Auftraggeber befreit und erkennt, dass Urteile a priori stets subjektiv sind, da das Erkennen der Dinge an sich stets ein urteilsfähiges Subjekt voraussetzt. Das Subjekt wurde somit autonom, da es nur noch von seinen eigenen Erkenntnissen geleitet wird. (Zima 2007: 98 f). Jedoch blieb die Auseinandersetzung mit dem modernen Subjekt auch nicht bei Kant stehen. So wurde mit dem Aufkommen des Kapitalismus und seinen, alle Lebensbereiche durchdringenden Mechanismen die Autonomie des Subjekts infrage gestellt. Marx und Engels stellten beispielsweise 1845 in ihrer Abhandlung „Die Deutsche Ideologie“ die These auf, dass Subjekt nicht wie bei Kant durch autonomes Denken sein Bewusstsein bildet, sondern dass das Bewusstsein der Subjekte stattdessen von seiner äußeren Umwelt konstituiert wird (Engels; Marx 1978 [1845]: 27). Des Weiteren übten die beiden Philosophen Adorno und Foucault ebenfalls Kritik am modernen Subjekt, welche über die Kritik von Marx hinausging. Ausschlaggebend dafür war, besonders für Adorno, dass sich Marx‘ und Engels‘ Prognose der Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt nicht bewahrheitete, sondern dass die kapitalistischen Bedingungen statt der kommunistischen Revolution des Proletariats in Deutschland den Nationalsozialismus und die verwaltete Welt hervorbrachten (Engels; Marx: 1977 [1848]: 493).

Ziel dieser Arbeit ist es nun, Adornos und Foucaults Kritiken am modernen Subjekt aufzuzeigen und anhand dieser die Frage zu beantworten, ob und inwiefern emanzipatorisches Handeln1 in der Praxis noch möglich ist. Dabei soll zuerst der Begriff des modernen Subjekts von Descartes über Kant zu Adorno und Foucault umfänglich erläutert werden, während im Anschluss Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Kritik von Adorno und Foucault herausgearbeitet werden. Aus den Subjektkritiken beider Autoren werden anschließend die Antworten auf die zentrale Frage der Möglichkeit von emanzipatorischem Handeln in der Postmoderne bzw. im Spätkapitalismus abgeleitet. Zum Schluss dieser Arbeit wird darauf Position bezogen, ob Adornos oder Foucaults kritischer Ansatz bezüglich des Subjekts an die heutige Zeit und deren Handlungsmöglichkeiten anschlussfähiger ist.

1 Zum Gegenstand des modernen Subjekts

Wie bereits in der Einleitung vorweggenommen, soll in diesem Kapitel der Begriff des modernen Subjekts erläutert werden. Hierbei soll anhand der Geschichte dieses Begriffs versucht werden, eine Definition2 des modernen Subjekts darzulegen. Über erkenntnistheoretische Vorgänge sollen dabei die Probleme des modernen Subjekts dargelegt werden, welche Adorno und Foucault zum Anlass genommen haben, Kritik an ihm zu üben.

Vereinfacht gesprochen bezeichnet das moderne Subjekt ein Individuum, welches imstande ist, selbst zu denken, seine Meinung äußern kann und für diese die Verantwortung trägt, autonom handelt und in der Lage ist Dissens anzumelden (Zima 2007: 4). Diese, aus heutiger Sicht, grundlegend vorausgesetzten Eigenschaften für menschliche Individualität, hat es nicht schon immer gegeben. In vormodernen Zeiten ging der einzelne Mensch nämlich in einem kollektiv praktizierten Mythos auf. Emile Durkheim spricht hierbei auch von der „mechanischen Solidarität“, welche gleichmäßig auf alle Mitglieder dieses Kollektivs wirkt (ebd.). Im Feudalismus waren diese Kollektive beispielsweise die Familie, die Gilde oder die religiöse Gemeinschaft (Zima 2007: 5). Erst durch das Aufkommen der arbeitsteiligen Produktionsweise, welche charakteristisch für das kapitalistische Wirtschaftssystem ist, konnte sich der Einzelne3 aus diesen Kollektiven lösen. Dies liegt daran, dass mit der Industrialisierung auch die Urbanisierung und die Individualisierung miteinhergingen. Dieser Vorgang wird auch als die Modernisierung der Gesellschaft bezeichnet (Rosa et al. 2013: 15).

Allerdings beschäftigten sich bereits Theoretiker vor der Modernisierung der Gesellschaft mit dem modernen Subjekt. Der Mathematiker René Descartes beschrieb mit seinem berühmten Satz „Ich denke, also bin ich“ (Descartes 2017 [1637]: 22) das moderne Subjekt im 17. Jahrhundert. Descartes stellte einen Dualismus von Geist und Natur innerhalb eines Menschen her und betrachtet den Geist dabei als Ganzes, mit welchem der Mensch in der Lage ist, mittels der Vernunft die Wahrheit von der Unwahrheit zu unterschieden (Descartes 2017 [1637]: 6). Der Geist ist dabei an den Körper (Natur) des Menschen gebunden. Er leitete den Denkvorgang, welcher die Menschen zu Subjekten macht, von den mathematisch-logischen Vorgängen der Geometrie und der Algebra ab. Aus diesen entwickelte er vier Regeln für das logische Denken (Descartes 2017 [1637]: 14). Diese vier Regeln schreiben vor, „[.] niemals eine Sache für wahr anzunehmen, ohne sie als solche genau zu kennen [.] jede zu untersuchende Frage in so viel einfachere, als möglich und zur besseren Beantwortung erforderlich war, aufzulösen [.] mit den einfachsten und leichtesten Gegenständen [zu beginnen] und nur nach und nach zur Untersuchung der verwickelten [aufzusteigen] [und] alles vollständig zu überzählen und im Allgemeinen zu überschauen, um mich gegen jedes Übersehen zu sichern.“ (ebd.). Werden diese Regeln befolgt, so „kann man selbst den entferntesten Gegenstand endlich erreichen und den verborgensten entdecken.“ (Descartes 2017 [1637]: 15).

Aufgrund der dieser Ableitung des denkenden Subjekts aus der Mathematik, wird Descartes‘ Metaphysik auch als Rationalismus bezeichnet, in welchem es „[.] in jeder Sache nur eine Wahrheit gibt [.]“ (ebd.). Das kartesische Subjekt ist jedoch unvollkommen, da laut Descartes, Gott das einzig vollkomme Wesen ist und alles, was das Subjekt erkennen kann, von Gott stammt. Hierzu schreibt Descartes folgendes:

„Denn selbst jene von mir gesetzte Regel, dass Alles, was ich klar und deutlich erkenne, wahr sei, ist nur zuverlässig, weil Gott ist oder besteht, und weil er ein vollkommenes Wesen ist, und weil Alles in uns von ihm kommt; hieraus folgt, dass unsere Vorstellungen oder Begriffe als wirkliche Dinge, die, soweit sie klar und deutlich sind, von Gott kommen, wahr sein müssen. Wenn wir also auch falsche Vorstellungen haben, so können es nur die verworrenen und dunklen sein; denn insoweit nehmen sie an dem Nichts Teil, d.h. sie sind nur deshalb in uns verworren, weil wir nicht ganz vollkommen sind.“ (Descartes 2017 [1637]: 54).

Descartes‘ Subjekt ist somit noch nicht imstande, sich seine Umwelt vollkommen allein zu erschließen und ist von Gott abhängig, welcher von außen auf das Subjekt einwirken muss, damit es zu einer wahren Erkenntnis gelangt.

Der Frage, inwiefern das Subjekt in der Lage ist, eine höhere Macht, wie Gott zu denken, widmete sich Kant im 18. Jahrhundert. In seinem Werk Die Kritik der reinen Vernunft analysiert Kant die Arten der Erkenntnisse und Urteile, mit welchen die Subjekte zu einer Erkenntnis über ihre Umwelt, sowie über metaphysische Grundlagen gelangen können. Einleitend dazu stellt er die Frage „[.] ob es ein dergleichen von der Erfahrung und selbst von allen Eindrücken der Sinne, unabhängiges Erkenntnis gebe. Man nennt solche Erkenntnisse a priori und unterscheidet sie von den empirischen, die ihre Quellen a posteriori, nämlich in der Erfahrung haben.“ (Kant 2015 [1781 - 1787]: 59). Erkenntnisse a priori sind somit Erkenntnisse, welche nicht aus einer Erfahrung des Subjekts gewonnen werden, sondern von einer allgemeinen Regel abgeleitet werden. Diese Regel muss jedoch dem Subjekt bekannt sein, damit es eine Erfahrung aus ihr ableiten kann (Kant 2015 [1781 - 1787]: 59).

Neben beiden Formen der Erkenntnis, erarbeitet Kant auch zwei verschiedene Formen von Urteilen. Hierbei unterscheidet er zwischen analytischen und synthetischen Urteilen:

„In allen Urteilen, worin das Verhältnis eines Subjekts zum Prädikat gedacht wird [.], ist dieses Verhältnis auf zweierlei Art möglich. Entweder das Prädikat B gehört zum Subjekt A als etwas, was in diesem Begriffe A enthalten ist; oder B liegt ganz außer dem Begriff A, ob es zwar mit demselben in Verknüpfung steht. Im ersten Fall nenne ich das Urteil analytisch, in dem anderen synthetisch. Analytische Urteile (die bejahenden) sind also diejenigen, in welchen die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt durch Identität, diejenige aber, in denen diese Verknüpfung ohne Identität gedacht wird, sollen synthetische Urteile heißen. Die erstere könnte man auch Erläuterungs-, die andere Erweiterungsurteile heißen [.]“ (Kant 2015 [1781 - 1787]: 66).

Dabei sind alle analytischen Urteile stets a priori, da sie nicht auf Erfahrungen beruhen, sondern sich lediglich auf Begriffe stützen. Urteile a posteriori sind dahingegen immer synthetisch, da sie „in ihrem Bezug auf Erfahrung über den semantischen Gehalt der in ihnen enthaltenen Begriffe hinausgehen.“ (Mohr; Willaschek 1998: 15 f). Diese schematische Klassifikation stößt jedoch an ihre Grenzen, wenn versucht wird, metaphysische Sätze in Kants Schema von Erkenntnissen und Urteilen zu integrieren. Demnach ist nach Kant das Urteil „Alles, was geschieht, hat einen zureichenden Grund“ (Mohr; Willaschek 1998: 16) synthetisch, da der zureichende Grund nicht im Begriff des Geschehens enthalten ist und zugleich a priori, da es sich bei diesem Satz um einen sogenannten All-Satz handelt, welcher nicht induktiv durch Erfahrung bewiesen werden kann, da das Subjekt seine Erfahrung lediglich auf eine endlich viele Anzahl von Einzelfällen begründen kann (ebd.). Metaphysische Sätze sind somit a priori und synthetisch. Aus diesem Sachverhalt ergab sich für Kant die zentrale Frage, inwiefern es für das Subjekt möglich ist, synthetische Urteile a priori selbst zu denken, bzw. wie es möglich ist zu erfahrungsunabhängigem Wissen über die Welt zu gelangen (ebd.).

Die Frage nach den synthetischen Urteilen a priori bezeichnet Kant auch als die transzendentale Fragestellung (Mohr; Willaschek 1998: 17) und enthält für ihn die eigentliche Aufgabe der reinen Vernunft (Kant 2015 [1781 - 1787]: 72). Die daraus resultierende Transzendentalphilosophie beschreibt die Aspekte der Möglichkeit der Art von Urteilen. Dies sind zu einem die psychisch­kognitiven Bedingungen (Genesis), welche den Subjekten es erst überhaupt möglich machen, Urteile zu bilden und zum anderen die Gültigkeit (Geltung) dieser vom Subjekt gebildeten Urteile (Mohr; Willaschek 1998: 17). Laut Kant müssen diese beiden Aspekte streng voneinander unterschieden werden. Ebenso weist er darauf hin, dass die Transzendentalphilosophie nicht auf das „Entstehen der Erfahrung“ fokussiert ist, sondern darauf, was „in ihr liegt“ (ebd.). Eine transzendentale Untersuchung ist somit möglich, wenn die Erkenntnis auf apriorische Annahmen gestützt ist und ein synthetisches Urteil enthält. Wichtig ist es dabei zu untersuchen, inwiefern Begriffe a priori noch auf den Gegenständen der subjektiven Erfahrung beruhen. Fragt das Subjekt nach den notwendigen subjektiven Bedingungen, unter denen Erkenntnis erst möglich ist, so gelangt es schließlich zu synthetischen Urteilen a priori. Nicht-empirisches Wissen ist demnach auch kein Wissen von erfahrungstranszendentalen Gegenständen (ebd.)

Mit deiner transzendentalen Fragestellung knüpft Kant an Descartes‘ Metaphysik an, welche die entstehenden Lücken bei dem Versuch der Menschen, das Ganze zu erfassen, damit begründet, dass der Mensch unvollkommen ist und es dem äußeren Einfluss Gottes bedarf, um die Welt vollständig zu erfassen. Durch Kants Transzendentalphilosophie benötigt das Subjekt nun keinen äußeren Einfluss Gottes mehr, um die Welt als Ganzes zu begreifen, da sich laut Kant zwar die Bedingungen der Erkenntnis zugleich als die Bedingungen der Gegenstände der Erkenntnis erweisen, jedoch die Erkenntnis sich nicht nach ihren Gegenständen richtet, sondern sich die Gegenstände (insofern sie für das Subjekt erkennbar sind), richten sich nach den Bedingungen der subjektiven Erkenntnis (ebd.). Kant bezeichnet diesen einschneidenden Fortschritt der Erkenntnistheorie selbst als „Revolution der Denkart“ und vergleicht ihn mit der kopernikanischen Wende, welche den Übergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild beschreibt. Das menschliche Subjekt ist demnach imstande, die allgemeinen gesetzmäßigen Zusammenhänge der Wirklichkeit als a priori erkennen, da es sie selbst in die Dinge hineinlegt (Willaschek 1998: 18). Der Mensch als erkennendes Subjekt wird somit zum „Gesetzgeber der Natur“ und damit autonom (ebd.). Das Subjekt gehorcht und handelt infolgedessen nur noch den Gesetzen seiner eigenen Vernunft (Zima 2007: 101).

Mit seiner Transzendentalphilosophie gilt Kant als der Begründer des Deutschen Idealismus (Breitenstein; Hiltscher 2011: 69). Auch dieser, und insbesondere Kants Transzendentalphilosophie, wurden im Laufe der Geschichte mehrfach der Kritik unterzogen. Ein wichtiger Kritikpunkt an ihr ist, dass dadurch, das sich die Gegenstände der Erfahrung nach subjektiven Erkenntnisvermögen richten und nicht mehr die subjektive Erkenntnis nach den Gegenständen ein unüberwindbarer Dualismus zwischen der Erscheinung und dem Ding an sich entsteht (ebd.). Nämlich nimmt das Subjekt die Dinge lediglich wahr, wie sie ihm sinnlich erscheinen. Somit nimmt das Subjekt die Dinge nur so wahr, wie sie durch seinen Verstand erschaffen werden. Dieses Problem tritt jedoch bei Kant noch nicht auf, da Kant sich dem sicher ist, dass die Dinge dem Subjekt so erscheinen müssen, wie sie durch sein Erkenntnisvermögen hervorgebracht werden (Breitenstein; Hiltscher 2011: 69 f). Viele Philosophen versuchten daher, die kantschen Dualismen, zu welchen u.a. der Dualismus von Sinnlichkeit und Verstand und jeder von Erscheinung und Ding an sich, aufzulösen.

Hegel kritisierte Kants Transzendentalphilosophie dafür, dass sie auf dem Standpunkt des Bewusstseins beharrt und den Widerspruch von Verstand und Welt noch nicht aufgelöst hat. Demnach steht das Bewusstsein des Subjekts den Dingen distanziert gegenüber und ist nicht imstande zu systematischem Wissen zu gelangen (ebd.). Hegel versucht diese Distanz zu überwinden, indem die Darstellung des Absoluten in Form der Idee konstituiert. Diese manifestiert sich als dynamisch tätige Wirklichkeit in Geschichte, Gesellschaft und Natur, und reflektiert sich in den verschiedenen Wissensformen wie der Philosophie, der Kunst und der Religion. Diese Philosophie, welche alles Seiende in einem System des Geistes unterbringen möchte, wird durch die dialektische Bewegung strukturiert. Dadurch wird jeder denkbare Aspekt der gesellschaftlichen und natürlichen Wirklichkeit, sowie jedes philosophische und wissenschaftliche Gebiet in jenes System intergiert und bekommt seinen festen Platz zugewiesen (Breitenstein; Hiltscher 2011: 70). Kurz drückte Hegel dies mit seinem berühmten Satz „Das Wahre ist das Ganze“ (Hegel 1986 [1832 - 1845]: 24). aus. Dabei spielt auch die Geschichte bei Hegel eine bedeutende Rolle. Er versteht die Geschichte als ein zu-sich- Selbst-Kommen des Geistes, indem die dialektische Entwicklung des Begriffs der Geschichte und die realen historischen Geschichtsabläufe als eins gefasst werden (Breitenstein; Hiltscher 2011: 70).

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, sind Marx und Engels bedeutende Kritiker des hegelschen Idealismus, wie Hegels Philosophie von der Idee als das Absolute auch bezeichnet wird. Marx schreibt dazu folgendes in seine Abhandlung, „Feuerbach“, welche auch unter dem Namen die Thesen über Feuerbach bekannt ist:

„Die Menschen haben sich bisher stets falsche Vorstellungen über sich selbst gemacht, von dem, was sie sind oder sein sollen. Nach ihren Vorstellungen von Gott, von dem Normalmenschen usw. haben sie ihre Verhältnisse eingerichtet. Die Ausgeburten ihres Kopfes sind ihnen über den Kopf gewachsen. Vor ihren Geschöpfen haben sie, die Schöpfer, sich gebeugt. Befreien wir sie von den Hirngespinsten, den Ideen, den Dogmen, den eingebildeten Wesen, unter deren Joch sie verkümmern. Rebellieren wir gegen diese Herrschaft der Gedanken. Lehren wir sie, diese Einbildungen mit Gedanken vertauschen, die dem Wesen des Menschen entsprechen, sagt der Eine, sich kritisch zu ihnen verhalten, sagt der Andere, sie sich aus dem Kopf schlagen, sagt der Dritte, und - die bestehende Wirklichkeit wird zusammenbrechen.“ (Engels; Marx 1978 [1845 - 1846]: 13).

Ihre Kritik fußt auf dem Emporkommen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, welche sich im 19. Jahrhundert, beginnend im Westen, auf die nahezu ganze Welt ausbreiteten. Marx und Engels kritisieren dabei, dass die Idealisten die Ansicht vertreten, dass die gesamte materielle Welt das Produkt der Gedanken des Subjekts sei und somit auch durch diese formbar wäre (Engels; Marx 1978 [1845 - 1846]: 14). Somit sind der Ansicht der Idealisten nach, die Welt und die Verhältnisse, welche auf ihr herrschen, durch bloße Gedanken veränderbar. Marx und Engels lehnen diese Vorstellungen vehement ab, da sie erkennen, dass „[...] [die] Forderung, das Bewußtsein zu verändern, [...] auf die Forderung [hinausläuft], das Bestehende anders zu interpretieren, d. h. es vermittelt einer andren Interpretation anzuerkennen.“ (Engels; Marx 1978 [1845 - 1846]: 20). Des Weiteren bezeichnet er die „junghegelianischen Ideologen“ als „die größten Konservativen“ (ebd.), da deren Vorstellung, dass die materiellen Bedingungen auf der Welt durch die Gedanken und Ideen der Subjekte veränderbar sind, lediglich auf eine Neuinterpretation der materiellen Verhältnisse hinauslaufen und diese somit dennoch materiell bestehen bleiben (ebd.).

Entgegensetzt des hegelianischen Idealismus, schlagen Marx und Engels vor, die materiellen Bedingungen, unter denen das Subjekt lebt, zu betrachten, um deren Auswirkungen auf das Bewusstsein des Subjekts zu erfassen (ebd.). Demnach wird nach Marx und Engels die materielle Welt nicht mehr wie bei Hegel von dem Bewusstsein des Subjekts konstituiert, sondern das Bewusstsein der Subjekte von der materiellen Welt bestimmt (Engels; Marx 1978 [1845 - 1846]: 27). Die Philosophie von Marx und Engels wird demnach auch als Materialismus bezeichnet.

Ähnlich wie Hegel gehen Marx und Engels bei ihrer Analyse darüber, wie die materiellen Bedingungen die Gedanken der Subjekte formen, auf die Geschichte ein, wobei Marx und Engels ihren Fokus dabei auf die reale historische Geschichte legen. Sie fordern, dass es notwendig ist, die Geschichte der Menschheit zu betrachten, um daraus folgend Schlüsse auf das Bewusstsein der gegenwärtigen Subjekte zu ziehen (Engels; Marx 1978 [1845 - 1846]: 21). Der Aspekt der Geschichte ist für beide von zentraler Bedeutung, da diese die genauen Umstände beschreibt, wie sich die gegenwärtigen materiellen Bedingungen der Subjekte aus den vergangenen entwickelten. Die bedeutendste Rolle spielt dabei, wie die Menschen Dinge und Lebensmittel produzieren mussten, um ihre eigene Existenz zu sichern (ebd.). Diese Produktion für die Reproduktion des Lebens führte im Laufe der Geschichte zur Industrialisierung, mit welcher die Modernisierung (vgl. Einleitung) einhergeht.

Das Besondere an Marx und Engels‘ Materialismus ist, dass das Subjekt erstmals nicht als seine Umgebung beherrschender Akteur aufgefasst wird, sondern dass es nun seiner materiellen Umwelt unterworfen ist. Zusammenfassend hierzu steht in den Thesen über Feuerbach:

„Die Menschen sind die Produzenten ihrer Vorstellungen, Ideen pp., aber die wirklichen, wirkenden Menschen, wie sie bedingt sind durch eine bestimmte Entwicklung ihrer Produktivkräfte und des denselben entsprechenden Verkehrs bis zu seinen weitesten Formationen hinauf. Das Bewußtsein kann nie etwas Andres sein als das bewußte Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozeß.

[...] Ganz im Gegensatz zur deutschen Philosophie, welche vom Himmel auf die Erde herabsteigt, wird hier von der Erde zum Himmel gestiegen. D. h., es wird nicht ausgegangen von dem, was die Menschen sagen, sich einbilden, sich vorstellen, auch nicht von den gesagten, gedachten, eingebildeten, vorgestellten Menschen, um davon aus bei den leibhaftigen Menschen anzukommen; es wird von den wirklich tätigen Menschen ausgegangen und aus ihrem wirklichen Lebensprozeß auch die Entwicklung der ideologischen Reflexe und Echos dieses Lebensprozesses dargestellt.“ (Engels; Marx 1978 [1845 - 1846]: 26).

Aufgrund dieses radikalen Bruchs mit Hegels Idealismus wurde der gängige Ausspruch postuliert, Marx habe Hegel „vom Kopfe auf die Füße gestellt“ (Wiens 2018).

[...]


1 Unter emanzipatorischem Handeln wird in dieser Arbeit die Möglichkeit verstanden, mit welcher die Subjekte im Spätkapitalismus bzw. der Postmoderne, aus den Strukturen, die sie unterwerfen, ausbrechen und zu Individuation gelangen können (Kappeler 2020: 62).

2 Es wird lediglich von einem Versuch einer Definition gesprochen, da es unzählige Debatten und Ansichten über die Beschaffenheit des modernen Subjekts in der Literatur und in den Diskursen gibt. Eine vollständige Definition dieses Begriffs wäre somit im Rahmen einer Hausarbeit nicht möglich.

3 In dieser Arbeit wird aufgrund von Leserlichkeit des Textes das generische Maskulinum verwendet. Gemeint sich jedoch stets alle Geschlechter.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Zur Kritik des modernen Subjekts bei Adorno und Foucault
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Poststrukturalistische Politische Theorie
Note
1,7
Autor
Jahr
2021
Seiten
22
Katalognummer
V1106052
ISBN (eBook)
9783346479884
ISBN (Buch)
9783346479891
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Adorno, Foucault, Marx, Kant, Subjekt, Descartes, Ästhetische Theorie
Arbeit zitieren
Marleen Hascher (Autor:in), 2021, Zur Kritik des modernen Subjekts bei Adorno und Foucault, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1106052

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