Das Reitermotiv in der Malerei - Wandel der Bedeutung vom Mittelalter bis zu Picasso


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2008

80 Páginas, Calificación: 1,5


Extracto


Inhalt

1 Einleitung

2 Mensch und Pferd
2.1 Von der Jagdbeute zum Reittier
2.2 Das Pferd als göttliches Tier
2.3 Das Pferd als Arbeitstier

3 Pferd und Reiter als Sinnbild
3.1 Anthropomorphisierung des Pferdes
3.2 Das Pferd als Symbol männlicher Triebe
3.3 Göttlich-Dämonischer Bereich
3.4 Das Pferd als Statussymbol

4 Das Reitermotiv in der Malerei
4.1 Das Mittelalter
4.1.1 Apokalyptische Reiter
4.1.1.1 Beatuskommentar, M. 11. Jahrhundert
4.1.1.2 Beatuskommentar, A. 13. Jahrhundert
4.1.2 Der Heilige Georg als Drachentöter
4.2 Leonardo da Vinci: Anghiarischlacht 1504-1506
4.3 Michelangelo de Caravaggio: Bekehrung Sauli 1600/01
4.4 Das barocke Reiterportrait
4.4.1 Wegbereiter Tizian: Karl V zu Pferd, um 1547
4.4.2 Diego Velázquez: Reiterportraits der königlichen Familie, 1634-1636
4.4.3 Anthonis van Dyck: Karl I zu Pferde, um 1638
4.5 Das 18. Jahrhundert - Klassische Epoche des englischen Pferdeportraits
4.6 Das Reiterportrait in der Malerei napoleonischer Zeit
4.6.1 Jacques-Louis David: Bonaparte, die Alpen überschreitend, 1800
4.6.2 Francisco de Goya: Der 2. Mai 1808 in Madrid: Kampf der Mamelucken, 1814
4.7 Arnold Böcklin: Der Kampf auf der Brücke, 1889
4.8 Das beginnende 20. Jahrhundert
4.8.1 Max Liebermann. Reiter und Reiterin am Strand, 1903
4.8.2 Pferd und Reiter bei Franz Marc
4.8.2.1 Der heilige Julian der Gastfreie, 1913
4.9 Picasso: Guernica, 1937

5 Zusammenfassung

6 Bildteil

7 Literaturverzeichnis

8 Bildnachweis

Vorwort

Die Frage danach, was die Künstler und Auftraggeber zu beinahe allen Zeiten an der Darstellung von Pferd und Reiter faszinierte, stellt sich kaum mehr, hat man einmal die Kreatur Pferd in ihrer ganzen Pracht und Vitalität erlebt. Doch das Rätsel darum, was die Künstler der verschiedenen Zeiten mit ihren fassettenreichen Darstellungen von Pferd und Reiter ausdrücken wollten, bleibt. Bei dem Versuch, diese komplexen Bedeutungen zu entschlüsseln, scheint es sich um ein interdisziplinäres Projekt zu handeln, welches insbesondere für den Kunstunterricht spannende Möglichkeiten für fächerübergreifenden und projektbezogenen Unterricht bieten kann.

Als erster Einblick in die Komplexität des Gegenstandes kann diese Arbeit vielleicht die Grundlage für weitere Überlegungen zu einer möglichen Einbindung in den Unterricht bilden. Das Thema des Reitermotivs in der Malerei könnte eine Möglichkeit bieten, sich mit den Schülern auf anderen Wegen Gemälden wie Goyas

2. Mai 1808 und selbst Picassos Guernica zu nähern. Das Interesse junger Menschen für das Reiten, aber auch der Einstieg vom real existierenden Pferd zu Reiterbildnissen des Barock bietet die Möglichkeit, die reale Lebenswelt in den kunsttheoretischen Unterricht einzubinden.

1 Einleitung

Die einstige Zuneigung des Menschen zum Pferd ist für die Mehrheit der Individuen unseres industrialisierten Zeitalters schwer nachvollziehbar und scheint nur noch rudimentär in den Schwärmereien pubertierender Mädchen vorzukommen. Doch waren das Wissen um seinen Wert und die Hoffnung auf eine freundschaftliche Verbindung mit dem Pferd lange Zeit tief verwurzelt im Wesen des Menschen und hinterließen deutliche Spuren in beinahe allen Kulturen der letzten Jahrtausende. Ohne das Pferd wären viele Mythen der Antike nicht in der Form überliefert, in der wir sie kennen: Hätte Homer über den Trojanischen Krieg geschrieben ohne den Mythos des Trojanischen Pferdes? Was wären die Griechen ohne Quadriga, der Olymp ohne Pegasus? Auch unsere durch das Christentum geprägte Kultur wäre ohne das Pferd um einige markante Besonderheiten ärmer: Was wären die Kreuzzüge ohne Ritter gewesen? Wie hätte sich eine Briefkultur ohne Postkutschen entwickelt? Hätten die Kulturen schon vor Jahrhunderten einen derart fruchtbaren Austausch erleben können ohne ein auf der equiden Zugkraft basierendes Transportwesen? Ohne das Pferd wäre der Mensch kaum in der Lage gewesen, schon frühzeitig auch die entlegensten Plätze der Erde zu erkunden. Seitdem sich die Wege von Mensch und Pferd kreuzten, sind beide ohne den anderen nicht mehr denkbar. Ihren stärksten Ausdruck findet diese symbiotische Einheit im Reitermotiv.

Vor dem Hintergrund der für den Menschen bedeutsamen Vereinigung mit dem Pferd nimmt die vorliegende Untersuchung des Reitermotivs, welches in der Malerei vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert in mannigfaltiger Form bildkünstlerisch bearbeitet wurde, ihren Anfang. Doch unterliegt die Bedeutungsebene, wie die Beziehung zwischen Mensch und Pferd auch, einem Wandel, den genauer zu erkunden und zu beschreiben das Ziel dieser Arbeit ist. Pferd und Reiter gehören sicher zu denjenigen Symbolen, deren Gehalt sich in Abhängigkeit des zeitgeschichtlichen Kontextes und einer individuellen Künstlersymbolik verändert.

Die Frage nach der Deutung von Sinnbildern in Werken der bildenden Kunst wie in der Literatur ist eine bedeutsame, ohne die keine Interpretation stattfinden kann. Umso erstaunlicher ist es, dass sich die explizit Pferd und Reiter in der bildenden Kunst behandelnde Literatur vornehmlich auf Analysen der Form stützt und die Motive wenig interpretierend behandelt. Zwar wird gemeinhin auf die Wirkungen von Form und Farbe der Gemälde eingegangen und finden ikonographische

1 Einleitung

Analysen statt, doch Hinweise auf die sinnbildhafte Wirkung der Motive sucht der Leser oftmals vergebens. Dabei ist es dem ikonographisch vorgebildetem Rezipienten doch kaum möglich, Caravaggios Bekehrung Sauli zu betrachten, ohne über die Farbe des Pferdes zu stolpern. Warum ist des Heiligen Paulus Pferd bei Caravaggio ein Schecke? Stellen nicht Schimmel konventionalisiert die Pferde der Heiligen dar? Zu glauben, dass der Schecke allein der Betonung des für Caravaggio typischen Chiaroscuro dient, fällt schwer zu glauben.

Anliegen dieser Arbeit ist es, beispielhaft anhand einer kleinen Auswahl von Werken der Malerei vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert die Sinnbildhaftigkeit des Reitermotivs sowie deren Wandel zu untersuchen und seine Vielschichtigkeit zu demonstrieren. Die behandelten Gemälde stehen stellvertretend für bestimmte vom Mittelalter bis in die Moderne wiederkehrende Gehalte. Zu betonen bleibt, dass es sich bei den ausgewählten Werken ausschließlich um Kunst unserer abendländischen Kultur handelt und sich auch die vorliegende Arbeit nur auf Reitermotive in der Malerei der christlich geprägten europäischen Welt bezieht. Die ebenfalls vielfältige Bearbeitung des Motivs in der Kunst außereuropäischer Kulturen bliebe an anderer Stelle zu untersuchen.

Da die Verwendung des Reitermotivs in der Malerei in engem Zusammenhang mit der Bedeutung des Pferdes für die Kulturgeschichte des Menschen steht, kann die Betrachtung des Gegenstands nicht ohne einen Blick auf die Geschichte der MenschPferd-Symbiose stattfinden. Eine knappe Einführung hierzu, sowie eine Darstellung einiger wichtiger Symboliken des Pferdes gehen somit der Behandlung des konkreten Gegenstandes voraus.

In den Kapiteln des Hauptteiles werden anschließend die ausgewählten Gemälde diskutiert und unter Berücksichtigung sozial-historischer oder der Künstler psychologisch-biografischer Hintergründe interpretiert. Die Arbeit soll in ihrer Gesamtheit einerseits den exemplarischen Vergleich zwischen sinnbildhaften Darstellungen des Reiters in der Malerei zu verschiedenen Zeiten vom Mittelalter bis in die Kunst der Moderne leisten, wodurch sie einen Beitrag zur Ikonologie des Reiters liefert. Andererseits soll sie zeigen, dass eine veränderte Symbolik des Motivs in Abhängigkeit des Wandels der menschlichen Gesellschaft stattfindet und diesen eventuell widerspiegelt.

2 Mensch und Pferd

Die Evolution des Pferdes vom fuchsgroßen drei- und vierzehigen Eohippus, welcher als Laubfresser den urkontinentalen Dschungel des Eozäns bewohnte, hin zum Vollblut heutiger Rennbahnen nahm nachweislich ca. 50 Millionen Jahre in Anspruch und ist aufgrund gut erhaltener Skelettfunde besser dokumentiert als die der Hominiden (Meyer/Meyer 2002, 10). Es ist bemerkenswert, dass eine Tierfamilie lang genug auf der Erde überlebt hat um eine so herausragende Evolution zu durchleben. Aufgrund der Hartnäckigkeit der Equiden konnte der direkte Urahne des heutigen Hauspferdes vor zwei Millionen Jahren in das bereits mehrfach von der immer wieder aussterbenden endemischen Art besiedelte Eurasien einwandern und lang genug überleben um vom Menschen domestiziert zu werden, während die auf dem amerikanischen Kontinent verbliebene Art des Equus ferus vor 10.000 Jahren ausstarb (Meyer/Meyer 2002, 12).

2.1 Von der Jagdbeute zum Reittier

Als Grund für das Aussterben der Art in verschiedenen Regionen der Erde rückt der Mensch mit seinen schon damals wenig nachhaltigen Jagdmethoden als Ursache in den Blick der Wissenschaftler (Meyer/Meyer 2002, 13). Die allgemein gültige Vorstellung vom hehren Wilden, der im Einklang mit der Natur nur das Nötigste nimmt, hält wissenschaftlichen Untersuchungen nicht stand. Wie paradox, dass der Mensch selbst es vor dem endgültigen Aussterben bewahrte, als er das Pferd vor mehr als 5000 Jahren domestizierte. Die Beziehung zwischen Mensch und Pferd nahm mit der Rettung durch den ärgsten Feind ihren Anfang.

Durch gezielte Selektion entstanden innerhalb der folgenden Jahrtausende größere Pferderassen, die neben der Nutzung als Zugtier auch das Reiten erlaubten. Für die nächsten 3000 Jahre sollte die nun etablierte Wunderwaffe Pferd in der Kavallerie wichtigstes Kriegsutensil bleiben (Meyer/Meyer 2002, 16). Seine Schnelligkeit und Wendigkeit, aber auch Ausdauer, Treue und geduldige Leidensfähigkeit machten das Pferd zum idealen Partner des Menschen. Diese eher parasitäre aber oft als Symbiose bezeichnete Beziehung zwischen Mensch und Pferd bedeutete zwar oftmals Qual und Tod für das Einzelpferd, doch sicherte sie letztlich das Überleben der Art. Heute existieren weltweit mehrere 100 Pferderassen, deren Exemplare Stockmaße von 60 bis zu 180 Zentimetern erreichen (Meyer/Meyer 2002, 17).

2.2 Das Pferd als göttliches Tier

Bevor es überwiegend als Zug- oder gar Reittier genutzt wurde, stand das Pferd in vielen Kulturen des Altertums in enger Verbindung zu den Göttern. Baum (1991, 66) beschreibt vor Allem die Verbindung des Pferdes zur Mondgöttin, die aus den halbmondförmigen Hufabdrücken herrühren könnte. Das Kommen und Gehen des Mondes mit seinen Zwischenstufen der zu- und abnehmenden Stadien steht in enger Verbindung zum weiblichen Zyklus und versinnbildlicht gleichermaßen das Werden und Vergehen des Lebens. Diese Symbolik des Pferdes für die Weiblichkeit aufgrund seiner Verbindung zur Mondgöttin - der Mond ist in beinahe allen Kulturkreisen weiblichen Geschlechts - machte es gleichzeitig zum Symbol für Werden und Vergehen (Baum 1991, 66).

Baum (1991, 67) führt des Weiteren eine weit reichende Wassersymbolik des Pferdes bei den Griechen an, die sich nicht zuletzt aus der Verbindung des Mondes zum Wasser - man bedenke die Gezeiten - erklären lässt. In der Philosophie Jungs wird das Pferd aufgrund seiner Verbindung zum Meer als Sitz der Weltseele zum Seelensymbol (Baum 1991, 67). Auch Platon benutzt das Pferd für sein Seelengleichnis, in welchem ein Gespann die drei Teile der Seele symbolisiert (Kunzmann/Burkard/Wiedmann 1991, 43).

Obwohl sich die ursprüngliche Verbindung des Pferdes zum Wasser in anderer Literatur weniger findet, erscheint sie durchaus schlüssig, da sie auch in der griechischen Mythologie wieder zu finden ist. So fährt Poseidon, Vater des Pegasus mit zweispännigem Wagen über die Wellen des Meeres (Bellinger 2002, 406). Die Gottnähe des Pferdes, insbesondere des Schimmels, ist für viele Kulturen und Völker belegt. Wie der griechische Sonnengott, durch den dem Pferd gleichsam eine Lichtsymbolik zu teil wurde, so bediente sich auch der germanische Sturmgott Wotan des Pferdes zur Fortbewegung (Meyer/Meyer 2002, 44). Als der Mensch zum Ackerbauern wurde und damit begann, Haustiere zu halten, verlor sich die ehrbare Position des Pferdes als Gottesbegleiter. Ab diesem Zeitpunkt stand das Pferd unter dem physischen Schutz des Menschen und bedurfte seiner Pflege.

2.3 Das Pferd als Arbeitstier

Die Lust am Reiten begründet Schaefer (1931, 13) mit dem Gefühl der Erhöhung über den Boden in die Lüfte, einem vogelgleichen Dahinfliegen, dem Verschmelzen von Leib mit Leib und der geistigen Erhöhung über das Pferd durch dessen Beherrschen. Mit der veränderten Nutzung des Pferdes vom Zug- zum Reittier wurden neben den legendären Streitwagen die Kavallerien des Altertums bedeutend. Zur Ritterzeit bekommt die Mensch-Pferd-Partnerschaft eine weitere neue Ausrichtung. Streitrosse, die bis zu 170 Kilogramm in Rüstung gekleideten Ritters zu tragen hatten (Meyer/Meyer 2002, 36), bildeten das Zentrum und den Ausgangspunkt einer ganzen Kultur aus Wettkämpfen und Hoffesten. Das Rittertum bildete eine höhere Gesellschaftsschicht aus und das im wahrsten Wortsinn. Denn der Ritter mit seinem Pferd als Sitz erhöhte sich physisch über das Fußvolk und bildete somit den höheren Stand (Meyer/Meyer 2002, 36).

Mit der Intensivierung der Landwirtschaft im 18. Jahrhundert stieg die Nachfrage nach kräftigeren Zugpferden, womit das Zeitalter großer schwerer Kaltblüter, die bis zu 1100 Kilogramm schwer wurden (Meyer/Meyer 2002, 49), begann. Allerdings verdrängten Dampfmaschine und letztendlich der Verbrennungsmotor das Pferd nach und nach von seiner Position des unabdingbaren Helfers des Menschen, als die Industrialisierung schon wenige Jahrhunderte später die Welt veränderte. Im 20. Jahrhundert verlor es im vollständig industrialisierten Westen unserer abendländischen Kultur endgültig seine Aufgabe als Arbeitstier und fristet seit dem ein nischenhaftes wenngleich weniger beschwerliches Dasein als Begleiter des Menschen in dessen Freizeit. Es gilt zu betonen, dass eine Entwicklung des Pferdes hin zum Freizeittier vor allem in den Industrienationen der so genannten Ersten Welt stattfand, wogegen in weniger entwickelten Ländern das Pferd noch immer die Rolle des geduldigen Arbeitstieres spielt. Letztlich ist auch ein Pferdeleben abhängig von Vor- oder Nachteil der Herkunft.

3 Pferd und Reiter als Sinnbild

Baum (1991, 18) hält eine komplette Darstellung der Beziehung zwischen Mensch und Pferd in ihrer Jahrtausende währenden Komplexität für unmöglich, weshalb sie auch die Ikonographie des Pferdes für sehr unvollständig hält (Baum 1991, 18). Generell eignen sich Tiere sehr gut zum Symbol, nicht zuletzt weil sie aufgrund ihrer dem Menschen unähnlichen Gestalt und sensuellen Fähigkeiten Faszination und Bewunderung, aber auch Angst, auslösen (Baum 1991, 18). Die bedrohliche Ausstrahlung des Unbekannten und Unbeherrschbaren ließen Tiere schon seit Menschengedenken zu gefürchteten aber auch gottähnlich verehrten Kreaturen werden.

Wie das Mensch-Tier-Verhältnis so ist auch die Symbolik von Tieren in ihrer Bedeutung wandelbar oder von vornherein vielschichtig, so dass selbst Gegensätzliches durch ein und dieselbe Tierart ausgedrückt werden kann. Eine solch gegensätzliche Symbolik scheint nun auch auf das Pferd als solches und auf seine Verbindung zum Menschen im Reitermotiv zuzutreffen, da es einerseits als Rappe für Tod und Verderben stand, andererseits aber als Schimmel zum Symbol der Christenheit wurde und heilige Eigenschaften der Reinheit und des Guten symbolisierte. Auf der Grundlage der Stellung des Pferdes als den Göttern nahes Geschöpf entstand eine Symbolik des Reiters, die in ihrer Entwicklung bis heute nicht abgeschlossen zu sein scheint und an Mannigfaltigkeit zunimmt.

Wie im ersten Kapitel dargelegt hatte das Pferd aufgrund seiner besonderen Beziehung zum Menschen schon seit Menschengedenken einen festen Platz im Glauben und in den Mythen der Völker. Im Folgenden werden kurz einige Bedeutungen des Pferdes als Sinnbild zusammengefasst, bevor konkret das Reitermotiv in der Malerei untersucht wird.

3.1 Anthropomorphisierung des Pferdes

Mit der jahrtausendelangen Nutzung des Pferdes als Gefährte im Krieg ging eine Verklärung über das Wesen des Pferdes einher. Vom hippologischen Standpunkt aus betrachtet ist das Pferd an der Seite des Menschen als „ängstlich, schreckhaft, demütig, willenlos, innerlich blind und dösend“ (Schaefer 1931, 11) einzuschätzen.

Doch kulturell überliefert ist es uns als „tapfer, adlig, stolz, großmütig und prächtig“ (Schaefer 1931, 11).

Die ursprüngliche Ähnlichkeit des Menschen zum Tier ist für Baum (1991, 98f) der Grund für eine bis heute übliche Anthropomorphisierung des Tieres. Körperliche und seelische Eigenschaften des Menschen werden auch auf das Pferd übertragen, so dass das hochspezialisierte friedlich in Herdenverbänden lebende Fluchttier mit menschlichen Fähigkeiten, Befindlichkeiten aber auch unerwünschten Eigenschaften wie Hochmut ausgestattet wird. Als tatsächlich zwischen Mensch und Pferd ähnliche Eigenschaften können die dem Pferd inne wohnenden Antipoden von Kontaktfreudigkeit und Distanziertheit sowie Geselligkeit und Individualität (Baum 1991, 99) gelten. All die anderen dem Pferd zugeteilten Merkmale nennt Baum (1991, 99) Projektionen menschlicher Befindlichkeiten, durch welche charakterliche Analogien zwischen Mensch und Pferd vorgetäuscht werden.

3.2 Das Pferd als Symbol männlicher Triebe

Als Symbol für die Triebe der männlichen Libido stellte das Pferd in der christlichen Frühzeit eine dämonische Gefahr dar, vor der es sich zu schützen galt. Aus diesem Grund sind insbesondere dunkle Pferde, deren Symbolgehalt durch die Böses assoziierende Farbigkeit erhöht wird, in der rein sakralen frühen mittelalterlichen Kunst kaum vorfindbar. Als Symbol eben jener dämonisch-bösen Kraft hat das (dunkle) Pferd hin und wieder Zugang zur christlichen Kunst als Antipode des Guten oder des Lebens wie etwa als Verbündeter des Bösen in Darstellungen der apokalyptischen Reiter oder der Personifizierung des Todes gefunden.

Doch gerade die Symbolik von Triebhaftigkeit und Leidenschaft ließ das Pferd später zur wichtigen Figur in Heiligendarstellungen werden, worauf in folgenden Kapiteln konkret einzugehen sein wird.

3.3 Göttlich-Dämonischer Bereich

Seit dem Altertum wurden dem Pferd übernatürliche Fähigkeiten zugeschrieben, weshalb es in vielen indogermanischen Kulturen nicht nur als den Göttern nahe stehend, sondern auch als zukunftsweisend verehrt wurde (Baum 1991, 29). Seine göttliche Nähe ist in den Mythen der Antike überliefert, in denen es als geflügeltes Pferd Pegasus, als den Sonnenwagen ziehender Diener Helios’, als Begleiter Poseidons und als Teil des Kentaur als menschlich-göttliches Mischwesen auftritt. Die Position des göttlichen Reittieres wird auch vom Christentum übernommen:

Christus und die himmlischen Heerscharen erscheinen auf weißen Pferden (Kirschbaum 1971, 534). Der Reiter erhält in diesem Sinn nach Kirschbaum (1971, 535) als Motiv die Bedeutung des Lichtbringers, Siegers, Friedenschöpfers, Messias und Heilandes.

Auch im eschatologischen Bereich ist das Pferd im Christentum wiederzufinden. Als Reittier der Seele dient es dieser auf dem Weg in eine jenseitige Welt und zwar sowohl ins Paradies als auch in die Hölle. „In der Hölle selbst aber kommt das Pferd weder in der Bibel noch in der Kunst vor“ (Kirschbaum 1971, 414).

3.4 Das Pferd als Statussymbol

Noch heute bewahrt das Pferd eine starke Symbolkraft. In der Werbe- und Unterhaltungsindustrie wird es als Symbol für Freiheit und Abenteuer, für Kraft und Schnelligkeit aber auch für ungezügeltes Temperament eingesetzt. In der Modefotografie hat es einen festen Platz als Sinnbild für Luxus, Eleganz und Glamour. Obwohl das Pferd aufgrund unserer industrialisierten Welt, in welcher die Stadt den bevorzugten Lebensraum des Individuums bildet, als Partner des Menschen immer weiter zurück gedrängt wurde, behauptet es noch seine Stellung als Prestigeobjekt und Statussymbol. Da Seltenes schon immer ganz besonders begehrt war, ist diese Stellung des Pferdes wohl gerade mit seinem seltenen Auftreten zu erklären. Der Ausgang der Statussymbolik des Pferdes in Europa ist in der Pferdemalerei des 18. und 19. Jahrhunderts zu suchen, wobei sicher auch die Extravaganz der Reittiere des Barock als Hinweis auf Status gelesen werden kann. Ausführlich werden diese Aspekte in den jeweiligen Kapiteln zur Betrachtung des Reitermotivs in der Malerei behandelt.

4 Das Reitermotiv in der Malerei

So wie geträumte Symbole - werden sie psychologisch analysiert und interpretiert - Erinnerungen aus unserem Unterbewusstsein darstellen und anregend für den Geist sein können (Fontana 1994, 49), so lösen in der Malerei verwendete Symbole ähnliche Effekte beim Betrachter aus. Teilweise konventionell vereinheitlicht, teilweise individuell einzigartig zeigen Symbole in der bildenden Kunst Wirkungen, die zweierlei Ursachen haben. Es muss zwischen den Intentionen des Produzenten beim Gebrauch von Symbolen einerseits und den durch Assoziationen hervorgerufenen willkürlichen oder unwillkürlichen Auswirkungen beim Rezipienten andererseits unterschieden werden. Während erstere durch Konventionen der Zeit und eine individuelle Symbolik des Malers bedingt und relativ festgelegt sind, können letztere erheblich variieren. Die Konventionen können beim Betrachten die Gleichen wie bei der Entstehung des Werkes sein, oder aber, bei größerer zeitlicher Distanz, gesellschaftlichen Veränderungen unterliegen und sich damit deutlich von jenen unterscheiden. Aufgrund der individuellen Weltsicht des Betrachters kommen bei der Rezeption eigene Symbolwerte hinzu, die dem Künstler ebenfalls fremd gewesen sein können. Aus diesem Grund können Interpretationen von Symbolen in der bildenden Kunst nie ganz frei von den rezeptionsbedingten Zusätzen sein und nur bedingt als vom Künstler bewusst angestrebte Essenz gedeutet werden. Diese Tatsache spielt auch bei der Deutung des Reitermotivs eine Rolle und kann entweder als Manko oder aber als Gewinn gedeutet werden.

Baum (1991, 127) stellt die These auf, dass das Pferd in beinahe allen Mensch-Pferd- Darstellungen den Menschen steigert, spiegelt oder kontrastiert und damit zum wesentlichen Ausdrucksträger wird. Welcher Art dieser Ausdruck in den jeweiligen Gemälden ist, wird einerseits Teil der folgenden Betrachtungen sein. Andererseits soll im Verlauf der nächsten Kapitel ein Wandel in der Darstellung von Pferd und Reiter aufgezeigt werden, den Baum (1991, 127) als Anzeichen für kulturellen Wandel deutet. Dabei sollen die Gemälde vor Allem in Bezug auf die Konventionen der Entstehungszeit und aus der Sicht des Künstlers interpretiert werden. Die subjektive Sicht des Rezipienten soll möglichst Außeracht gelassen werden, was aber aufgrund der vorhergehenden Ausführungen sicher nicht immer vollständig gelingt.

4.1 Das Mittelalter

Obwohl oft gefürchtet, beargwöhnt und mit allerlei Aberglauben belegt, galten Tiere im Mittelalter als unheilabwendend, weshalb Tiermasken oder substituierend auch Körperteile verschiedener Tiere an Orten angebracht wurden, an denen Menschen, Vieh und Besitz vor eventuell vorkommenden Dämonen beschützt werden mussten (Schmidt/Schmidt 2007, 14). Zu begründen ist dieser Glaube an die unheilabwendende Kraft des Tieres mit der biblischen Theorie, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und somit Dämonen mit Dämonen zu vertreiben. Schmidt und Schmidt (2007, 14) berichten von einer wahren Tierornament-Flut, die bereits im romanischen Zeitalter des 11. und 12. Jahrhunderts die sakralen Bauten im germanischen Raum zu überschwemmen begann.

Die Fähigkeit des Tieres, für all das Unerklärliche einzustehen, gewann im Mittelalter an Bedeutung für den Menschen, da dieser schon allein durch den Wandel des Glaubens, welcher jahrhundertealte Weltbilder zerstörte und als fälschlich entlarvte, an kollektiver Verunsicherung litt. Besonders bedrohlich erschienen Mischwesen, die zwar nicht in die göttliche Ordnung passten, aber eventuell doch zu existieren schienen. Sie vermochten es, die Kräfte verschiedener Kreaturen in sich zu vereinen, weshalb sie einerseits bedrohlich andererseits für die Abwehr ebensolcher Dämonen nützlich erscheinen mussten. Die Zeit der exzessiven Darstellung von Tieren in der sakralen Bauplastik ging mit dem Beginn der Gotik zu Ende, als Heilige, Apostel und Propheten an die Steller der unheilabwendenden Tiere traten.

Während es in der Antike nicht nur als Partner des Menschen, sondern wie auch bei den Germanen als gottnahes und wissendes Wesen gepriesen wurde, veränderte sich die kulturelle Bedeutung des Pferdes im Mittelalter. Grundsätzlich ist sie teilbar in einen sakralen und einen profanen Sinnbereich. Eine profan anmutende Sphäre bildete das Rittertum, welches unweigerlich eng mit dem Pferd verbunden war. Das gesamte Erscheinungsbild des Ritters sowie seine militärische Effizienz hingen nicht zuletzt von seinem Pferd ab (Schumacher 1994, 41). Als Streiter Gottes sind Ritter mit dem Beginn der Kreuzzüge im 12. Jahrhundert allerdings nicht losgelöst von der christlichen Sphäre zu betrachten. Die Gestalt des christlichen Ritters wurde zum Ideal des Rittertums (Schumacher 1994, 41). In diese christlich ausgerichtete Darstellung des Ritters lassen sich zahlreiche Darstellungen ritterlicher Heiliger

einreihen, als deren prominentester Vertreter der heilige Drachentöter Georg auf dem christlich reinen weißen Pferd zu nennen ist (Abb. 2).

Die Bedeutung des Pferdes kann für das Mittelalter weiterhin in gutes und böses Prinzip geteilt werden. Einerseits wurde die Lichtsymbolik des weißen Pferdes als Sonnenpferd des Helios in die christliche Ikonographie übernommen und durch den reitenden Christus legitimiert, wodurch der Schimmel zum Christus- und Kirchensymbol wurde (Kirschbaum 1971, 411), andererseits aber wurden ihm die negativen Eigenschaften Triebhaftigkeit, Leidenschaft, Fleischeslust und Stolz im Sinne von Superbia zugeschrieben. Das mit dem Pferd verbundene Negative steigerte sich von Ketzerei bis hin zum Symbol des Antichristen (Kirschbaum 1971, 412). Des Weiteren galt im vermeintlich dunklen Zeitalter zwischen Antike und Neuzeit der Glaube, der Tod würde die Seele auf einem Pferd verschleppen. Baum (1991, 33) führt einige Redewendungen des Mittelalters an, welche dies zu belegen scheinen. Wendungen wie „der Reiter soll mich holen“ (Baum 1991, 33) weisen das Pferd als Gehilfen des Todes aus. Allerdings lässt der Spruch „er hat dem Tod eine Scheffel Hafer gegeben“ (Baum 1991, 33) die Beziehung des Pferdes zum Tod als doppeldeutig erscheinen. Es wäre zu entscheiden, ob der Tod den Hafer für sein Reittier oder in Gestalt eines Pferdes für seinen eigenen Magen benötigte. Ob sich die Todessymbolik daher eher auf den Reiter oder auch auf das Pferd als solches bezog, bleibt offen. Nach Baum (1991, 33) galten reiterlose Pferde in jedem Fall als Todesboten. Auch bei Molsdorf (1926, 241) ist die Todessymbolik des Pferdes betont. Er bezieht sich allerdings auf die Offenbarung des Johannes (Offb 6; 8), wonach der Tod auf einem Pferd reitet. Der anfänglich als Jüngling dargestellte Todesreiter nahm erst mit der Zeit immer mehr die Gestalt eines Skeletts an, während sein Pferd parallel zu einer ausgemergelten Schindmähre verfiel (Molsdorf 1926, 241).

In der mittelalterlichen Buchmalerei als Illustration biblischer Ereignisse erfuhr das Reitermotiv in seiner Symbolik zentral sakrale Bedeutung. Die mittelalterliche Darstellung der apokalyptischen Reiter soll im Folgenden untersucht werden.

4.1.1 Apokalyptische Reiter

Die mittelalterlichen Darstellungen der Apokalypse illustrieren das sechste Kapitel der Offenbarung, in der Johannes von der Vision vom Ende der Welt berichtet. Die apokalyptischen Reiter als Vorboten des nahenden jüngsten Tages eröffnen diese Vision beim Brechen der ersten vier Siegel des Buches, in welchem die Offenbarung Jesu Christi enthalten ist. Das Christus symbolisierende Lamm bricht die Siegel, worauf jeweils ein Reiter als Verkörperung einer der „vier sich in der Menschheitsgeschichte immer wiederholenden Katastrophen“ (Schiller 1991, 38) aus dem Buch hervorbricht. Beim Öffnen des ersten Siegels entspringt dem Buch „ein weißes Pferd, und der darauf saß, hatte einen Bogen; und ihm wurde ein Siegeskranz gegeben“ (Offb 6; 2). Während das weiße Pferd wie auch weiße Lilien für die Reinheit steht, kann der Bogen mit seiner Symbolik als Kriegswaffe einerseits und mit dem Regenbogen, den Gott Noah als Zeichen des göttlichen Bundes sendet (1Mo 9; 11-14) andererseits in Verbindung gebracht werden. In jedem Fall steht der Reiter für den Sieg und wird vereinzelt als siegreicher Christus gedeutet. Schiller (1991, 38) interpretiert ihn aufgrund des Bogens als Waffe östlicher Horden als Symbol des allgemeinen Völkerkrieges, aus welchem zwar einer als Sieger hervorgeht, aber andere als Verlierer durch Zerstörung und Tod untergehen. Eine Deutung als die Feinde Gottes besiegender himmlischer Reiter sieht Schiller (1991, 38) allerdings in der Beatusapokalypse realisiert.

Mit dem Öffnen der nächsten drei Siegel folgen dem ersten weitere Reiter nach. Die Johannesoffenbarung (Off 6; 3-8) beschreibt das Erscheinen eines Reiters auf feuerrotem Pferd, der mit dem Schwert in der Hand als Bote des unter den Menschen immer wieder ausbrechenden Krieges gilt. Das Rot des Pferdes symbolisiert die Aggression und Erbarmungslosigkeit des Krieges. Außerdem steht es für das Blut seiner Opfer. Bei Schiller (1991, 38) wird dieser Reiter konkreter als Bürgerkrieg, den Krieg der Menschen eines Volkes, gedeutet.

Der dem Zweiten folgende Reiter auf einem Rappen steht für den Hunger, der infolge von Kriegen und aufgrund ausbleibender oder ungenügender Ernten die Menschen heimsucht und ebenfalls Opfer fordert. Eine vom Reiter mitgeführte Waagschale symbolisiert die Zuteilung dessen, was dem Land abgewonnen werden konnte (Schiller 1991, 39), und das Schwarz des Pferdes verdeutlicht das dämonische

unabwendbare Böse, welches unsichtbar und oft nur mit übersinnlicher Macht erklärbar über die Menschen hereinzubrechen und sie zu verderben vermag.

Als letztes folgt ein vierter Reiter auf fahlem Pferd, welchem - ähnlich dem toten blutleer-grauen Menschen - die Farbe des Lebens entwichen zu sein scheint. Obwohl der Rappe für das Dämonische und die Nacht steht, wird der Tod, wie dieser Reiter in der Offenbarung (Off 6; 8) selbst genannt wird, durch ein fahles Pferd gekennzeichnet. Die Analogie zum toten Menschen liefert den symbolischen Gehalt, wodurch sein Pferd in fahlem Grau zum entscheidenden Merkmal des Reiters wird. Nach Schiller (1991, 38) wurde der Tod meist mit der Massensterben verursachenden Pest gleichgesetzt. Als weiteres Attribut wird in der Offenbarung (Off 6; 8) auch der Hades genannt, der dem Reiter folgt und als Inferno in Form des Höllenschlunds mannigfaltige Darstellung in der Buchmalerei des Mittelalters erfahren hat. Der Tod selbst ist oftmals nicht abweichend von den anderen Reitern als vitaler junger Mensch dargestellt, der sich, wenn überhaupt, in seiner Kleidung unterscheidet. Die Wiedergabe des Todes als ausgemergelt skeletthaftes Wesen auf klappriger Schindmähre entwickelte sich erst im weiteren Verlauf des Mittelalters (Molsdorf 1926, 241).

Während die Darstellungen der ersten drei Reiter nur wenige Abweichungen in den verschiedenen Werken der mittelalterlichen Buchmalerei erfahren haben, ist der Tod aufgrund der noch nicht etablierten Darstellung als Skelett in sehr unterschiedlicher Weise bildhaft überliefert. Auch Schiller (1991, 40) merkt an, dass es „im frühen Mittelalter […] offenbar noch keinen eindeutigen Gestalttypus für den Tod gab“ (Schiller 1991, 40). Außerdem seien Tod und Teufel zu dieser Zeit noch nicht voneinander unabhängig behandelt, sondern vielmehr gleichgesetzt worden (Schiller 1991, 40). Darstellungsweisen des das Totenreich hütenden Infernus als dämonische Teufelsgestalt wurden ebenfalls auf den vierten apokalyptischen Reiter übertragen (Schiller 1991, 41). Ein kurzer Vergleich zweier unterschiedlicher Darstellungen des vierten Reiters soll dies verdeutlichen.

4.1.1.1 Beatuskommentar, M. 11. Jahrhundert (Abb. 3a/b)

Diese den Text der Apokalypse illustrierende Malerei aus Saint-Server stellt neben den Reitern auch die so genannten Thronwesen dar, die als Urheber des in der Offenbarung beschriebenen Aufrufes „Komm!“, auf welchen jeweils ein Reiter erscheint, aufgefasst werden (Schiller 1991, 39). Als jeweils mit sechs Flügeln und vielen Augen ausgestattetes Evangelistensymbol dargestellt erfasst jedes nacheinander die Hand des sehenden Johannes im Moment des Erscheinens des jeweiligen Reiters. Die Reiter sind im Rechteck über zwei Seiten hinweg neben- und übereinander angeordnet und sind, dem Wortlaut der Offenbarung folgend, mit ihren jeweiligen Attributen ausgestattet. Der vierte Reiter im rechten unteren Viertel der Illustration ist, wie die drei Reiter vor, ihm als junger Mensch auf einem vitalen Pferd abgebildet, welches de facto, indem es steigend dargestellt ist, ganz besonders lebendig erscheint. Interessant ist die Auslegung Schillers (1991, 39), der bei ihr als Tod und Infernus benannte vierte Reiter säße rücklings auf seinem Pferd. Da sie nicht angibt, worauf sich diese Aussage stützt, kann eine Widerlegung allenfalls unter Zuhilfenahme der menschlichen Anatomie begründet werden. Betrachtet man den Reiter vom Fuß zur Hüfte, so ist die Annahme, er würde falsch herum im Sattel sitzen nicht haltbar: Die bespornte Ferse zeigt zum Betrachter, während die Fußspitze zum Pferdekopf weisend korrekt im Steigbügel steckt.

Der vom Betrachter aus rechte Arm des Reiters ist seitlich ausgestreckt, weist aber eine leichte Beugung des nach oben zeigenden Ellenbogens auf, wobei die Handfläche - deutlich an der Darstellung der Daumenkeule erkennbar - zum Betrachter gedreht ist. Wäre nun die Vorderseite des Reiters dem Betrachter zugewandt, so müßte bekanntermaßen der Ellenbogen nach untern, der Daumen aber nach oben zeigen. Trotz seiner ungesund anmutenden Stellung bestätigt auch der linke Arm die These, der Reiter säße normal auf seinem Pferd. Eine derartige Stellung des Armes ist anatomisch nur in normaler Sitzhaltung möglich.

Das Pferd scheint in einer nach links gerichteten Bewegung befindlich zu sein. Seine vordere Körperhälfte ist bereits seitlich dargestellt, während der hintere Teil mit Ausnahme der Beine, die ebenfalls nach links zeigen, als von hinten erkennbar ist. Diese schematische Darstellung der Wende des Pferdes setzt sich im Reiter fort, indem Kopf und linker Arm bereits in seitlicher Ansicht erscheinen, obwohl Rumpf, Beine und rechter Arm wie der Hinterleib des Pferdes noch in rückwärtiger Ansicht abgebildet sind. Die korrekte Darstellung der Gelenksbeweglichkeit und der Daumen waren schon bei den typischen seit-frontal Darstellungen der Ägypter bedeutend für die Wiedererkennung und sind auch in der behandelten Darstellung des vierten Reiters berücksichtigt. Er sitzt, wie die anderen drei auch, normal auf seinem Pferd,

Das Reitermotiv in der Malerei - Mittelalter

so dass seine Reithaltung nicht als spezifisches Merkmal des Todes gedeutet werden kann.

Was aber für den Vergleich der Darstellungen im Beatuskommentar wesentlich bedeutsamer erscheint, ist die Gestaltung der Haare des Todes als Flammen. Obwohl die Figur an sich menschlich ist, weist sie diesen deutlichen Hinweis auf Hölle und Fegefeuer auf, der sie in die Nähe des Teufels rückt oder sie mit diesem sogar gleichsetzt, da Tod und Teufel im frühen Christentum synonyme Begriffe waren (Schiller 1991, 39).

4.1.1.2 Beatuskommentar, A. 13. Jahrhundert (Abb. 4a/b)

Die Nähe des vierten Reiters zum Teufel wird in der Gestaltung des Beatuskommentars aus dem 13. Jahrhundert wesentlich deutlicher betont. Der Tod reitet auch hier auf einem hellen Pferd in normalem Fütterungszustand, ist aber selbst als Mischwesen dargestellt, was im Mittelalter wie oben bereits erläutert das gefürchtete Dämonische symbolisierte. In den Steigbügeln stecken große Vogelfüße mit langen Krallen, die Beine, wie auch der Rest des Körpers, sind tierähnlich lang behaart und das Gesicht des Wesens weist die Fratzenhaftigkeit einer Maske auf. Neben langen Hörnern auf dem Kopf hat der Tod Eselsohren. Das einzig menschlich anmutende sind die Hände, deren gotisch lange Rechte auf den dritten Reiter deutet. Betrachtet man diese Version des vierten Reiters losgelöst vom Rest der Illustration, drängt sich die Vermutung auf, der Tod sei hier unbedingt mit dem Teufel gleichgesetzt. Allerdings scheint dieser, ähnlich mischwesenhaft ausgestaltet, in Blickrichtung des Reiters hinter dessen Pferd zu stehen und seinerseits auf den Tod zu deuten oder mit ihm zu kommunizieren. Thema der Unterredung könnte der dritte Reiter sein, durch welchen jene Umstände symbolisiert werden, die dem Tod wie dem Teufel viele Opfer in die Hände spielen. In diesem Sinn begründet eine solche Auslegung der Darstellung eine Entwicklung von der Einheit von Tod und Teufel hin zur Unabhängigkeit beider Prinzipien während des Mittelalters. Während die Illustration aus dem 11. Jahrhundert den Todesreiter mit dem Teufel gleichzusetzen und in einer Person darzustellen scheint, ist in der Version aus dem spätmittelalterlichen 13. Jahrhundert eine deutliche personelle Unterscheidung zwischen beiden erkennbar.

4.1.2 Der Heilige Georg als Drachentöter (Abb. 2)

Neben einer betont negativen Konnotation des Pferdes als Sinnbild von Tod, Hexen, Teufel, Dämonen und des Unheimlichen und Unerklärlichen im Allgemeinen, ist eine positive Konnotation von Pferd und Reiter im sakralen Bereich nachweisbar. Neben dem Kirchensymbol wurde der Schimmel zum Reittier der aufsteigenden Seele und Insignie des christlichen Kaisers als Beschützer des Christentums auf Erden. Wie bereits angesprochen dient das weiße Pferd der Christussymbolik und ist somit Sinnbild für Reinheit und göttlichen Sieg. Des Weiteren wird es Attribut der Heiligen.

Wie bereits in den Ausführungen zu den Apokalyptischen Reitern verdeutlicht wurde, waren Symbolgehalt des mittelalterlichen Pferdes und die Identität seines Reiters sehr von der farblichen Darstellung des Pferdes abhängig. Während es den schwarzen und grauen bzw. fahlen Pferden vorbehalten war, Negatives zu symbolisieren, so repräsentierte das weiße Pferd in Bezugnahme auf seine ursprüngliche Lichtsymbolik und Nähe zur Göttlichkeit das Gute. Diese Gottnähe wurde im Mittelalter bereits in den profanen Bereich übertragen. Wolf (2004, 138) erklärt die Übertragung der militiae Christi - der Ritterschaft Christi - auf weltliche Krieger mit einem bewussten Versuch der Kirche, die in zahlreichen Fehden offensichtliche Kampfeslust des Adels in religiös-nützliche Bahnen zu leiten. Die militärische Auseinandersetzung des Ritters wurde hierdurch mit dem alltäglichen Kampf der Kirche und des Christen gegen das überall drohende Böse gleichgesetzt (Wolf 2004, 138). Zum Schutzpatron dieses Standes der Ritter fungierte spätestens seit der dahingehenden Initiative Heinrich II. aus dem Jahr 1000 der Heilige Georg (Wolf 2004, 146).

Der weithin beliebte Heilige Georg ist historisch mit einem Soldaten aus Kleinasien überliefert, der wegen seines auch unter der Folter starken Christenglaubens enthauptet wurde. Die nur bruchteilhaft überlieferte Vita des Heiligen beschreibt Wolf (2004, 144) als mit „einem märchenhaften Legendengestrüpp überwuchert“, worin eine weitverbreitete Kritik an den apokryphen Ausschmückungen deutlich wird. Doch symbolisiert der Heilige Georg nicht nur eine Glaubensstärke, die Martyrien überdauert, welche in seinem Fall durch die fragwürdige Überlieferung in extremsten Dimensionen dargestellt sind. Nein gerade der märchenhafte Teil seines Lebenslaufes, nämlich die Befreiung der Prinzessin und ihrer Heimatstadt durch den siegreichen Kampf gegen den Drachen, symbolisiert das Wesen des christlichen Ritters, der sich zum Wohle des Christentums allen Gefahren zum Trotz in den gerechten Kampf stürzt. Der Kampf gegen den das Böse schlechthin verkörpernden Drachen versinnbildlicht den christlich legitimierten Krieg gegen das Böse in Form von Nichtgläubigen und deren Bekehrung zum Christenglauben. Aufgrund der in der Literatur meist als Drachenstich bezeichneten Tat Georgs und ihrer deutlichen Parallelen zum Ritterkampf sah man in ihm den Standesvertreter von Ritter und Adel, wodurch er zum Schutzpatron der Aristokratie wurde. Gleichzeitig wurde er zu einer Art Nationalhelden des englischen Rittertums zur Zeit der Kreuzzüge um König Richard Löwenherz. Eine ähnliche Position nahm in Spanien der Heilige Jacobus d. Ä. (Abb. 5) ein, welcher sich der Legende nach den in Befreiungskriegen kämpfenden Königen Spaniens immer wieder in Form des hilfreichen Ritters offenbarte. Als prominentestes Beispiel hierfür gilt sein Erscheinen in der Schlacht bei Clavijo, in welcher er als Maurentöter auftrat.

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Final del extracto de 80 páginas

Detalles

Título
Das Reitermotiv in der Malerei - Wandel der Bedeutung vom Mittelalter bis zu Picasso
Universidad
University of Leipzig  (Kunstgeschichte Leipzig)
Calificación
1,5
Autor
Año
2008
Páginas
80
No. de catálogo
V112110
ISBN (Ebook)
9783640120291
ISBN (Libro)
9783640120666
Tamaño de fichero
10083 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Reitermotiv, Malerei, Wandel, Bedeutung, Mittelalter, Picasso, Symbol, Mythos Pferd, Pferd, Reiter, Pferd und Reiter in der Malerei, Sinnbild, Motiv, Deutung von Symbolen, Wandel von Symbolen
Citar trabajo
Anne Silbereisen (Autor), 2008, Das Reitermotiv in der Malerei - Wandel der Bedeutung vom Mittelalter bis zu Picasso, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112110

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