Das bedingungslose Grundeinkommen. Entstehungsgeschichte, Konzept und ökonomische Analyse


Bachelorarbeit, 2019

48 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Entstehungsgeschichte
2.1 Die historische Entwicklung bis in das 21. Jahrhundert
2.2 Armutsbekämpfung als Impulsgeber

3 Das Konzept
3.1 Die Grundstruktur und ihre verschiedenen Ausgestaltungen
3.2 Das BGE als Pilotprojekt

4 Ökonomische Analyse
4.1 Fiskalische Realisierbarkeit
4.2 Sozioökonomische Effekte

5 Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Erwerbstätige nach Produktionssektoren von 1800 bis

Abbildung 2: Die Demografische Alterung von 1871 bis

Tabellenverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Der Produktionsfaktor der menschlichen Arbeit ist ein wesentlicher Bestandteil in der Wirt­schaft und des persönlichen Lebens. Er dient nicht nur der gesamtwirtschaftlichen Wertschöp­fung, sondern auch der Erwirtschaftung des Lebensunterhalts von Haushalten. Wenn jedoch nicht gearbeitet wird, nicht gearbeitet werden kann oder der Verdienst nicht für die Lebenszeit außerhalb der Erwerbstätigkeit genügt, muss auf staatliche Unterstützung zurückgegriffen wer­den. Dabei gilt es für den Leistungsanspruch bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen. Ebenso wird im Zuge des technischen Wandels und der Digitalisierung die Zukunft der Arbeit zuneh­mend thematisiert. Bereits in den Anfängen der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert kamen unterschiedliche Bedenken zum Thema des Endes der Arbeit auf, welche in den Ängsten der Bürger mündeten. Das zunehmende Automatisierungsrisiko von Arbeitsplätzen und den daraus vermeintlich resultierenden Arbeitsplatzverlusten, schüren bis dato die Gespräche um das Ende der Arbeit.1 Basierend auf dem demografischen Wandel, der Digitalisierung und der Veränderung der menschlichen Arbeit, werden zeitgemäße Antworten gesucht. Diese sozialen und technischen Veränderungen der vergangenen Jahre bilden die Grundlage der gegenwärti­gen Diskussion, über das bedingungsloses Grundeinkommen als vermeintlich geeignete Ant­wort. Diese Idee eines unabhängig und an jeden Staatsbürger gezahlten Transfers kann bereits eine lange historische Entwicklung aufzeigen, welche bis auf das 16. Jahrhundert zurückreicht. Damals wie heute, formulieren verschiedene Ökonome eine Reihe von individuellen Ausge­staltungsmöglichkeiten von BGE-Modellen. Unterscheiden lassen diese sich durch unter­schiedliche Beweggründe, inhaltliche Abgrenzungen und verschiedene Zielsetzungen.2 Im Jahre 2016 wurde die Bedeutung des BGEs mit Hilfe eines Weltrekordes veranschaulicht: Ein Plakat mit der Aufschrift ,What would you do if your income were taken of?‘ wurde in der Schweiz in einer Größe von über 8.000 m[2] veröffentlicht. Dieses Vorhaben basierte auf der weltweit ersten Volksabstimmung über ein BGE und gab damit einen erneuten Diskussionsan- stoß.3 Der Weg aus der Theorie in die Praxis konnte schließlich weltweit in mehreren Ländern beschritten werden. Unter anderem wurde sowohl auf dem afrikanischen als auch auf dem nord­amerikanischen Kontinent bereits ein BGE eingeführt. Zusätzlich sind vereinzelt Pilotprojekte, wie z. B. in Finnland, implementiert.4 Basierend auf den zuvor beschriebenen Gesichtspunkten, wie des digitalen Zeitalters und der Veränderungen des Faktors Arbeit, wird zunehmend eine Anpassung des Sozialstaates gefordert, welche den Herausforderungen des 21. Jahrhundert ge­recht wird. Dementsprechend ist das Ziel dieser Arbeit, das Thema des BGEs dahingegen zu analysieren, ob es ein geeignetes sozialstaatliches Instrument darstellt, welches auf gegenwär­tige und zukünftige Veränderungen in wirtschaftlichen und sozialen Bereichen Anwendung finden kann. Ebenso soll eine Antwort auf die Frage nach der fiskalischen Realisierbarkeit ge­funden und die Eignung des BGEs zur Armutsbekämpfung geprüft werden.

Der Einstieg dieser Arbeit widmet sich zunächst dem grundlegenden Verständnis zum Ur­sprung des BGEs: Im zweiten Kapitel wird dazu die geschichtliche Entwicklung der Idee ab­gebildet. Anhand verschiedener historischer Modelle wird danach die Entstehung des BGEs nachvollzogen, indem verschiedene Beispiele vorgestellt werden. Vor dem Hintergrund des di­gitalen Zeitalters folgt anschließend der Blick auf das Motiv, ein BGE zu initiieren. Anhand des Beispiels der Altersarmut werden zusätzlich die Wirkungen des demografischen Wandels verdeutlicht. Darauffolgend wird im dritten Kapitel das Grundkonzept eines Grundeinkommens dargestellt und unter der Eigenschaft der Bedingungslosigkeit erörtert. Dazu werden die BGE- Modelle von Dieter Althaus und Götz Werner näher betrachtet. Um die Anwendung der Idee veranschaulichen zu können, werden zusätzlich die Pilotprojekte in Namibia und Alaska abge­bildet. Das vierte Kapitel dient der ökonomischen Analyse. Im ersten Teil wird der Fokus auf den fiskalischen Hintergrund des Konzepts gelegt und die Frage geklärt, ob ein BGE mit den vorhandenen Finanzmitteln zu finanzieren ist. Eine Machbarkeitsrechnung dient dabei zur Ver­anschaulichung einer möglichen Finanzierungsstrategie. Der zweite Teil der Analyse befasst sich mit sozioökonomischen Aspekten, wie der Entwicklung des Produktionsfaktors Arbeit, und klärt die Frage, ob der Erwerbstätigkeit nach der Einführung des BGEs weiterhin nachge­gangen wird. Zusätzlich wird das BGE hinsichtlich der Armutsbekämpfung analysiert und ver­schiedene Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt betrachtet. Im letzten Teil dieser Arbeit folgt die Zusammenführung zuvor gewonnener Erkenntnisse, welche in einem Ausblick über die Zukunft des BGEs münden.

2 Die Entstehungsgeschichte

Der Gedanke eines Grundeinkommens ist seit mehreren Jahrhunderten Bestandteil weltweiter Diskussionen. Bereits im 16. Jahrhundert begründete der Ökonom Thomas Morus die Ge­schichte des Gedankens. Heute, im 21. Jahrhundert, liegen zahlreiche Ansichten und Ideen zum Thema des bedingungslosen Grundeinkommens vor, welche auf die voranschreitende Digitali­sierung und deren Herausforderungen zu reagieren versuchen. Im folgenden Kapitel wird die Geschichte des BGEs von dem 16. bis zum 21. Jahrhundert anhand historisch entstandener Ideen aufgezeigt. Anschließend erfolgt eine kurze Beschreibung der gegenwärtigen Situation auf dem Arbeitsmarkt im Zuge der Digitalisierung verbunden mit der Klärung der Frage, wel­che gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation die Öffentlichkeit zu der Kombination von Arbeitseinkommen und Transferleistungen treibt. Das stark veränderte Verhältnis zwischen Wirtschaft, Arbeit und Einkommen wird dazu im Zusammenhang mit den aus technischen Neu­erungen resultierenden gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen betrachtet.

2.1 Die historische Entwicklung bis in das 21. Jahrhundert

Mit dem im 16. Jahrhundert entstandenen Humanismus begann die Zeit, in der die Verantwor­tung der Armenhilfe der Regierung übertragen wurde. Dem Thema des BGEs angehörende Be­griffe, wie Existenzminimum oder garantiertes Einkommen, waren zu dieser Zeit unbekannt. Der ehemalige Lordkanzler von Großbritannien und Humanist Thomas Morus (1478-1535) stellte in seinem Werk Utopia, welches im Jahre 1516 entstand, erstmals einen Entwurf zur Errichtung eines Idealstaates mit garantiertem Einkommen vor. Morus ließ den fiktiven Cha­rakter Rafael sich in Utopia mit dem Erzbischof der Stadt Canterbury und dem Justizminister aus England unterhalten und unterstrich damit seine Kritik gegenüber bestehenden Verhältnis­sen in Bezug auf Strafen. Anstatt Todesstrafen zu verhängen ist es effizienter, „jedem einen Lebensunterhalt zu sichern, so dass niemand unter der schrecklichen Notwendigkeit steht, zu­erst ein Dieb und dann eine Leiche zu werden“ (eigene Übersetzung).5 Als Lösung schlug Morus die Verhinderung der Bildung von Monopolen und die Reduzierung von in der Gesell­schaft untätiger Menschen vor. Zusätzlich sollten verschiedene Wirtschaftsbereiche neu belebt werden, um die Vielzahl von Arbeitslosen beschäftigen zu können.6

Den ersten detaillierten Plan für ein Existenzminimum veröffentlichte jedoch ein Freund von Morus: Johannes Ludovicus Vives (1492-1540). In seinem Bericht De Subventione Pauperum, aus dem Jahre 1526, forderte er ein Existenzminimum für alle bedürftigen Bürger. Vives Mo­dell erschien effizienter als die private Fürsorge, da die Unterstützung direkt an Arbeitsleistun­gen gekoppelt werden konnte. Demnach wurde die Armenhilfe nur gewährt, wenn darum ge­beten und eine Arbeitsleistung erbracht wurde. Außerdem erhielten Menschen, die großzügig im Verbrauch von Ressourcen waren „kleinere Rationen und lästigere Aufgaben“ (eigene Über­setzung) im Vergleich zu Anderen.7 Darüber hinaus stellte Vives klar, dass nicht nur Menschen ohne Geld, sondern auch diejenigen, denen es an körperlicher Vitalität, körperlichem Wohlbe­finden und geistiger Gesundheit fehlt, arm sind.8 Obwohl der Plan eines Existenzminimums zunächst auf kirchlichen Widerstand stoß, wurde er in den Jahren 1527 bis 1531 von verschie­denen Städten und im Jahre 1556 schließlich von der Stadt Brügge angenommen.9

Mit der Zeit nahmen sich mehr europäische Städte der Armenhilfe an und orientierten sich dabei an dem Existenzminimumplan von Vives. Als Beispiel trat in den Jahren 1579 in Schott­land und 1601 in England eine entsprechende Gesetzgebung in Gestalt der sogenannten Poor Laws in Kraft. Demnach waren Städte dazu verpflichtet, Bedürftigen in Form von Nahrungs­mittelausgaben zu helfen. Als Gegenleistung mussten die Armen in dafür errichteten workhou­ses ihre Arbeit verrichten. Nach einiger Zeit wurden die Poor Laws in ein sehr umstrittenes Speenhamland-System ausgeweitet, da Aufstände, resultierend aus Hungersnöten, erwartet wurden. Dieses System glich der Armenhilfe in Form einer Barauszahlung, auf die alle bedürf­tigen Bürger Anspruch hatten. Durch zahlreiche Gegner, darunter auch der Ökonom Thomas Malthus, wurde das System im Jahre 1834 wieder abgeschafft. Als Kritikpunkt galt ein Bevöl­kerungsanstieg, welcher als Folge einer faulen und armen Gesellschaft und einer damit einher­gehenden höheren Geburtenrate zu verzeichnen war. Resultierend daraus, stiegen die Nach­frage und damit Preise von Konsumgütern, weshalb sich das Realeinkommen der Armen redu­zierte. Nach der Abschaffung des Speenhamland-Systems traten die Poor Laws erneut in Kraft.10

Eine in der Geschichte des Grundeinkommens ebenfalls bedeutsame Person ist Thomas Paine (1737-1809). Dieser hatte im Zeitalter der Aufklärung verschiedene Ideen für eine öffentliche Zahlung an alle Bürger. Diese entstanden aus dem Grundgedanken, dass ein Individuum nicht in der Lage ist, durch Grundbesitz ein vergleichbares Vermögen zu erwirtschaften.11 In seiner Streitschrift The Rights of Man, aus dem Jahre 1790, sprach er sich erstmals für das Recht auf eine öffentliche Unterstützung für Junge, Alte und Bedürftige aus. Das Besondere an Paines Plänen war dabei die Auszahlung staatlicher Mittel ohne Gegenleistung. Die finanziellen Mittel sollten demnach aus Grund- und Erbschaftssteuern erhoben und anschließend verteilt werden. Als Startkapital wurden 10 Pfund Sterling an jeden Bürger unter 21 Jahren und 15 Pfund Ster­ling ab 21 Jahren ohne Bedürftigkeitsprüfung verteilt. Ab einem Alter von 50 Jahren erfolgte eine Rentenzahlung. Ebenso wie Vives sah auch Paine das Land als das natürliche Erbe der Menschheit an und fügte die gegenseitige Verpflichtung zwischen dem Menschen und dem Staat hinzu.12

Ein Zeitgenosse Paines, Marquis de Condorcet (1743-1794), brachte sich ebenfalls mit seiner wissenschaftlichen Arbeit über das von ihm befürwortete Sozialversicherungssystem in das Thema des BGEs ein. Dabei galt es die Versicherungsprinzipien stets auf die gesamte Gesell­schaft anzuwenden. Die Idee dabei war, die Einkommen der Gesellschaft durch Sozialversiche­rungsbeiträge abzusichern.13 Im späteren 19. Jahrhundert fand dieser Plan, in Anbetracht der industriellen Revolution unter Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1889), neuen Anklang. Statt der Armenhilfe und monetären Leistungen trat zu dieser Zeit das Versicherungsprinzip ein, um die benötigten Formen der sozialen Sicherung anzubieten.14

Ebenso wie Condorcet, verdeutlichte der Philosoph Charles Fourier (1772-1837) im 18. Jahr­hundert seine Meinung dahingehend, dass für ihn ein Mindestmaß an Grundversorgung nötig sei, um für den Lebensunterhalt sorgen zu können. In der damaligen Gesellschaftsordnung wurde den Menschen der Zugang zu natürlichen Ressourcen und ihre Grundrechte des Jagens, Fischens, Sammelns und Weidens vorenthalten. Fourier verstand diese monetäre Versorgung dabei als eine Art Kompensation in Form einer Ausgleichszahlung. Diese Einkommensgarantie war dabei ohne Gegenleistung, jedoch nicht bedingungslos, für die Armen vorgesehen.15

Die bis in das 18. Jahrhundert ragenden Ideen und Pläne behandeln das Thema BGE nur im weitesten Sinne. Die Modelle dieser Zeit kamen in Gestalt von Armenhilfen vor, welche in Verbindung mit einer Arbeitsleistung gezahlt wurden. Konkretisierungen und spezifischere Vorstellungen zu dem Thema des heute debattierten Grundeinkommens sind erst im 19. Jahr­hundert wiederzufinden. Der belgische Anwalt Joseph Charlier (1816-1896) veröffentlichte im Jahre 1848 das Buch Lösung des Sozialproblems, wobei er auf der Idee von Charles Fourier aufbaute: Das Recht auf den Zugang und die Nutzung natürlicher Ressourcen zur Sicherung der Grundversorgung gebührt jedem Menschen. Charliers System sah vor, vierteljährlich und später halbjährlich eine Mindesteinkommenszahlung an jeden Bürger auszuzahlen, um die Herrschaft des Kapitals gegenüber der Arbeit zu beenden. Mit der Zeit wurde diese Idee unter verschiedenen Titeln, wie zum Beispiel Minimum, revenue garanti oder auch dividende terri­toriale, publiziert.16 Auch der englische Ökonom John Stuart Mill (1806-1873) knüpfte an die Ansichten Charliers an und formulierte, unabhängig der Arbeitsfähigkeit, ein allgemeines An­recht auf eine Mindestversorgung.17

Die in drei Jahrzehnten entwickelten Leitbilder des BGEs fanden im 20. Jahrhundert zuneh­mend in verschiedenen Debatten Anklang: Beginnend in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg bis in das 21. Jahrhundert sind verschiedenste Erörterungen entstanden und in der Öffentlichkeit diskutiert worden. Aufgrund ihrer Popularität sind dabei die Idee der Sozialdividende aus dem Jahre 1942 von Juliet Rhys-Williams und das Modell der Negativen Einkommensteuer aus dem Jahre 1962 von Milton Friedmann besonders nennenswert. In diesen zwei grundlegenden Ty­pen des Grundeinkommens wandeln sich, ab einer bestimmten Höhe des Einkommens, Trans­ferzahlungen in Steuerzahlungen um. Die Sozialdividende, auch Existenzgeld genannt, sieht vor, dass der Staat jedem Bürger ein Grundeinkommen auszahlt und das Einkommen von Be­ginn an besteuert. Laut der Negativen Einkommenssteuer wird bereits vor der Auszahlung des Grundeinkommens dieses mit einer Einkommensteuerschuld verrechnet. Mit steigendem Ein­kommen sinkt zunächst der Betrag des auszuzahlenden Grundeinkommens bis eine bestimmte Einkommenshöhe erreicht ist, an der sich die staatliche Zahlung zu einer Steuerzahlung umge­staltet. Aus einem Grundeinkommensempfänger wird demnach ein Steuerzahler.18 Zu den in Deutschland populärsten Modellen zählen unteranderem das Solidarische Bürgergeld von Die­ter Althaus und das Konsumsteuermodell von Götz Werner. Eine inhaltliche Darstellung sowie eine ökonomische Analyse dieser beiden Modelle erfolgt im dritten und vierten Kapitel dieser Arbeit.

2.2 Armutsbekämpfung als Impulsgeber

„Wir wissen ... daß die Fabriken sich in wenigen Jahren geleert haben werden ... Was uns bevorsteht, ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist.“ - Hannah Arendt.19

Angekommen im 21. Jahrhundert hat das Thema Digitalisierung seit mehreren Jahren Einzug gehalten. Neue intelligente Maschinen und Roboter treten als Ablöse der mit Kohle betriebenen Dampfmaschinen auf. Diese Weiterentwicklung der Wirtschaft, von dem Industriezeitalter hin zu einer digitalen Revolution zieht, besonders in der Arbeitswelt, verschiedenste Veränderun­gen mit sich. Im Kontext des Grundeinkommens wird zunehmend der Gedanke der Armutsbe­kämpfung als Argument für ein BGE verstanden. Dazu wird in diesem Zusammenhang von dem Ende der Arbeit gesprochen, da die menschliche Arbeitskraft zunehmend durch neue Tech­nologien ersetzt werden kann.20 Schon im Jahre 1821 schrieb der Wirtschaftswissenschaftler David Ricardo über die Befürchtung, dass die menschliche Arbeit überflüssig werden könnte.21 Ebenso wie Ricardo, führte der britische Ökonom John Maynard Keynes im Jahre 1930 die Diskussion über technologiebedingte Massenarbeitslosigkeit voran.22 Die Entwicklung der Ar­beitswelt im Zuge der Digitalisierung ist bis dato Bestandteil öffentlicher Diskussionen: Seitens bekannter Persönlichkeiten, wie dem Gründer des Elektroautomobilherstellers Tesla, Elon Musk, werden Begrifflichkeiten, wie die größte Bedrohung der Menschheit mit in die Diskus­sion eingebracht.23 Bill Gates, Gründer der Firma Microsoft, sieht eine „Robotersteuer“ als ein geeignetes Mittel zur Kompensation von Einkommensteuerverlusten durch ausgebliebender Arbeit.24

Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert ist das Zeitalter aus dem die Digitalisierung und der demografische Wandel hervorgehen. Der Wandel von einer Agrargesellschaft zu einer neuen Industriegesellschaft ist vergleichbar mit der heutigen Situation: Die Erfindung von Motoren und Dampfmaschinen revolutionierte die damalige Wirtschafts- und Arbeitswelt auf gleiche Weise, wie es heute bei technischen Innovationen zu beobachten ist. Aufgrund neuer Heraus­forderungen, z. B. Altersarmut, bedarf es einer Anpassung des Sozialstaates in dem die Wech­selwirkungen zwischen Technologiefortschritt und Beschäftigungsgrad nicht vernachlässigt werden dürfen.25

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

primärer Sektor sekundärer Sektor tertiärer Sektor *Ab dem Jahre 1950 bis 1989 sind die alten Länder und nach dem Jahre 1989 Gesamtdeutschland gemeint.

Abbildung 1: Erwerbstätige nach Produktionssektoren von 1800 bis 201126

Im Laufe der Zeit hat eine Umverteilung der Beschäftigung innerhalb der einzelnen Produkti­onssektoren stattgefunden, sodass sich die Beschäftigungsstruktur grundlegend verändert hat. Während im Jahre 1800 noch 62% der Erwerbstätigen im primären Sektor beschäftigt waren, sank der Anteil im Jahre 2011 auf 2,2 %. Im Gegensatz dazu stieg der Anteil des tertiären Sektors: In dem Zeitraum von 1800 bis 2011 wuchsen die Beschäftigungszahlen in diesem Sek­tor um 56 Prozentpunkte an.27

Neben der Angst vor dem sozialen Abstieg und der Frage nach der Zukunft menschlicher Arbeit wird besonders ein weiterer Faktor durch den demografischen Wandel in der Debatte um ein BGE vorangetrieben: die Altersarmut. Auf nationaler und europäischer Ebene wird in Bezug auf Armutsgefährdung von relativer Armut gesprochen, welche im Vergleich zum Wohlstand der jeweiligen Gesellschaft formuliert wird.28 Zudem können im Kontext der Armut verschie­dene Indikatoren zur Messung von Armutssituationen herangezogen werden. Mit Hilfe der Mindestsicherungsquote wird beispielsweise der Anteil der Personen, die das soziokulturelle Existenzminimum nur nach Bezug der Gesamtleistungen des SGB II, der Sozialhilfe nach SGB XII oder Regelleistungen nach dem AsylbLG erreichen, festgestellt.29 Aus dem 12. Existenzminimumbericht der Bunderegierung30 geht hervor, dass das Existenzminimum in Deutschland im Jahre 2019 bei 424 Euro pro Monat für Alleinstehende und 433 Euro pro Monat für Ehepaare liegt. Die soziale Existenzgrenze für Kinder liegt im Jahre 2019 bei 288 Euro pro Monat.31 Zusätzlich kann mittels des Schwellenwertes für Armutsgefährdung bei alleinstehen­den Personen und Familien die relative Armut in Deutschland bestimmt werden. Demnach lag der Schwellenwert für Alleinstehende im Jahre 2017 bei 13.152 Euro pro Jahr und für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 27.620 Euro pro Jahr.32 Daraus resultierend gilt eine Person im Jahre 2017 als arm, wenn sie weniger als 1.096,03 Euro des monatlichen Pro-Kopf-Einkommens zur Verfügung hat.33 Außerdem ist laut dem Statistischen Bundesamt derjenige armutsgefährdet, der über weniger als 60 % des mittleren Einkommens der Gesamt­bevölkerung einschließlich staatlicher Transferleistungen verfügt. Im Jahre 2014 entsprach dies einer Summe von 987 Euro im Monat, womit 16,3 % der Gesamtbevölkerung auskommen mussten. Bei der Betrachtung der Europäischen Union galten im gleichen Jahr 12,6 Mio. EU- Bürger ab 65 Jahren als armutsgefährdet.34 Laut dem Fünften Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung beziehen in dem Zeitraum von 2013 bis 2015 ca. 7 bis 8 Mio. Personen Grund- und Mindestsicherungssysteme. Dies entspricht, gemäß einer Bevölkerungszahl von 83 Mio., ca. 10 bis 11 % der Gesamtbevölkerung.35 Hinzu kommt, dass im Jahre 2017 rund eine Mio. Personen Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII emp­fingen. Seit Einführung der Grundsicherung im Alter und Erwerbsminderung im Jahre 2003 kann ein stetiger Anstieg der Empfängerzahlen verzeichnet werden. Demnach konnten im Jahre 2003 ca. 258.000 Personen und im Jahre 2017 544.000 Personen bzw. 51,4 % der Empfänger von Grundsicherung im Alter festgestellt werden.36

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

unter 20 Jahre 20 bis unter 60 Jahre über 60 Jahre *Ab dem Jahre 2020 wird eine Vorausberechnung der Bevölkerung verwendet. Dabei wird eine konstante Geburtenrate, ein gemäßigter Anstieg der Lebenserwartung und eine jährliche Zahl von 200.000 Zuwanderern angenommen.

Abbildung 2: Die Demografische Alterung von 1871 bis 204037

Der demografische Wandel schreitet in Deutschland im europäischen Vergleich schnell voran: Die deutsche Gesellschaft wird zunehmend älter und parallel steigt die Lebenserwartung an. Im Zeitraum von 1950 bis 2010 stieg die Zahl der Menschen ab 65 Jahren um 11 Prozentpunkte auf 26 %an, währenddessen der Anteil der Menschen unter 20 Jahren um 12 Prozentpunkte auf 18 % sank. Bis zum Jahre 2030 sollen 35 % und bis zum Jahre 2050 38%der Gesamtbevölke­rung, also mehr als jeder dritte Bürger in Deutschland, mindestens 60 Jahre alt sein. Hinzu kommt, dass die sogenannte Babyboomer-Generation38 ab dem Jahre 2020 in das Rentenalter eintritt, wodurch diese Entwicklung beschleunigt wird. Zusätzlich lässt die steigende Lebens­erwartung nicht nur den Anteil der über 60-jährigen steigen, sondern auch den der Personen über 80 Jahre.39 Höher als der deutsche Anteil der ab 65-jährigen von 21,4 %, liegen lediglich Griechenland und Italien mit 21,5 % und 22,3 %.40 Dazu steigt der Anteil der Erwerbstätigen ab 65 Jahren, die ihr Arbeitseinkommen als Haupteinnahmequelle für ihren Lebensunterhalt verstehen. Über die Hälfte der 60- bis 65-Jährigen sind im Jahre 2016 erwerbstätig.41 Die auf den Sozialstaat zukommenden Aufgaben lassen sich am Beispiel der Rente veranschaulichen. Die Zahl der Rentenempfänger ist in den vergangenen 15 Jahren stetig gestiegen: Während im Jahre 2003 ca. 360.000 Personen Rente empfangen haben, waren es im Jahre 2014 ca. 510.000 Personen. Die heutige Standardrente eines Durchschnittsverdieners nach 45 Versicherungsjah­ren liegt bei ca. 1.400 Euro brutto.42 Dies macht bei einem durchschnittlichen Haushaltsnetto­einkommen im Jahre 2017 von 3.399 Euro einen Anteil von ca. 41 % aus.43 Die Realität zeigt jedoch, dass im Jahre 2014 jede fünfte alleinlebende Frau im Rentenalter mit weniger als 900 Euro im Monat zur Verfügung.44 Dazu zeigen Prognosen, dass sich das Rentenniveau bis zum Jahr 2030 auf ca. 44 % und bis zum Jahr 2040 auf ca. 42 % abgesenkt. Zusätzlich sollen bis zum Jahre 2040 die Rentenversicherungsbeiträge auf ca. 24 % erhöht werden.45 Demnach müs­sen die Geburtenjahrgänge nach dem Jahre 1960 höhere Rentenversicherungsbeiträge zahlen und treffen im Alter auf ein geringeres Rentenniveau als die Babyboomer-Generation. Im Zu­sammenspiel mit der Digitalisierung wird es zunehmend schwieriger sein, 45 Jahre erwerbstätig zu sein. Während die Zahl der Rentenempfänger steigt, sinkt die der Personen im erwerbsfähi­gen Alter. Durch die zuvor genannten Faktoren wird es dem Sozialstaat erschwert, den wirt­schaftlichen und gesellschaftlichen Forderungen aktueller und zukünftiger Generationen ge­recht zu werden.

3 Das Konzept

Das BGE hat durch seine geschichtliche Entwicklung und der zunehmenden Anzahl an Autoren von Grundeinkommensmodellen als Fachbegriff an Komplexität und Weite gewonnen. Durch diese Multidimensionalität, welche sich in der Vielzahl an unterschiedlichen Modellen wider­spiegelt, wird das Darlegen einer allgemeinen Definition des Konzeptes erschwert. Zunächst werden in diesem Kapitel die wesentlichen Grundzüge und Definitionsansätze zu dieser Idee vorgestellt, welche es bezüglich ihrer Auslegung und Auszahlungshöhe abzugrenzen gilt. Da­rauffolgend wird, aus den zuvor genannten Komplexitätsgründen, der Fokus dieser Arbeit auf zwei Modelle des BGEs gelegt. Jedes dieser Modelle wird hinsichtlich des Ursprunges, der Grundsätze und Bestimmungen in Bezug auf die Leistungsberechtigten veranschaulicht. Da­nach wird das Gesamtkonzept als Pilotprojekt in verschiedenen Ländern betrachtet. Da auf na­tionaler Ebene lediglich vereinzelt nennenswerte Pläne zur Vorgehensweise eines BGE-Projek- tes vorliegen, wird sich in diesem Kapitel mit international aufgesetzten Pilotprojekten in Alaska und Namibia beschäftigt.

[...]


1 Vgl. Straubhaar, 2017, S. 53 f. Siehe auch Adamo, 2012, S. 16 ff.

2 Vgl. More, 1516, S. 44 ff. Siehe auch Vives, 1526, S. 40.

3 Vgl. Guinness World Records, 2016.

4 Vgl. Haarmann et. al., 2009, S. 13 f. Siehe auch Alaska Department of Revenue, 2019b; Goldsmith, 2002, S. 1 ff. und Kela, 2019.

5 More, 1516, S. 44 ff.

6 Vgl. ebd.

7 Vives, 1526, S. 40.

8 Vgl. ebd., S. 51.

9 Vgl. ebd., S. 18.

10 Vgl. Vanderborght, Van Parijs, 2005, S. 16 f.

11 Vgl. Füllsack, 2002, S. 105.

12 Vgl. Foner, 1999, S. 605 ff. Siehe auch Vanderborght, Van Parijs, 2002, S. 21.

13 Vgl. Condorcet, 1794, S. 273 f.

14 Vgl. Vanderborght, Van Parijs, 2005, S. 17 f.

15 Vgl. Fourier, 1835-1836, S. 491 f.

16 Vgl. Vanderborght, Van Parijs, 2005, S. 24.

17 Vgl. Mill, 1848, Book II, Chapter I, §4. Siehe auch Vanderborght, Van Parijs, 2005, S. 25.

18 Vgl. Blaschke, 2012, S. 14. Siehe auch Rätz, Krampertz, 2012, S. 21.

19 Arendt, 2007, S. 12 f.

20 Vgl. Straubhaar, 2017, S. 53 f. Siehe auch Adamo, 2012, S. 16 ff.

21 Vgl. Ricardo, 1821, S. 466 ff.

22 Vgl. Keynes, 1930, S. 358 ff.

23 Vgl. Clifford, 2016.

24 Hagelüken, 2017.

25 Vgl. Straubhaar, 2017, S. 53 f.

26 Eigene Darstellung. Daten aus Geißler, 2014, S.11.

27 Vgl. Abbildung 1.

28 Vgl. BMFSFJ, 2016, S. 38.

29 Vgl. BMAS, 2017a, S. VII.

30 Am 02. Juni 1995 hat der Deutsche Bundestag beschlossen, alle zwei Jahre einen Bericht über die Höhe des steuerfrei zu stellendem Existenzminimum von Erwachsenen und Kindern auszuarbeiten. Siehe hierzu BMF, 2018a, S. 1.

31 Vgl. BMF, 2018a, S. 6 ff.

32 Vgl. Statistisches Bundesamt, o. J.a.

33 Der Schwellenwert wird mit dem in der OECD-Skala beschreibendem Gewichtungsfaktor von 2,1 verrechnet und auf einen Monat verteilt: (1.) 27.620 Euro 2,1 = 13.152,38 Euro (2.) 13.152,38 Euro 12 Monate = 1.096,03 Euro. Die OECD-Skala stellt einen Gewichtungsfaktor dar, mit dem internationale Einkommensver­gleiche vollzogen werden können. Dabei wird der Hauptbezieher mit dem Faktor 1, Personen ab einem Alter von 14 Jahren mit 0,5 und alle anderen mit 0,3 gewichtet. Siehe hierzu BMAS, 2008, S. 277.

34 Vgl. BMFSFJ, 2016, S. 38.

35 Vgl. Statistisches Bundesamt, 2019b.

36 Vgl. Statistisches Bundesamt, 2018a.

37 Eigene Darstellung. Daten aus Geißler, 2014, S.44.

38 Als Babyboomer-Generationen gelten die Jahrgänge der 1960er Jahre mit hohen Geburtenraten. Siehe hierzu BMFSFJ, 2016, S.6.

39 Vgl. ebd., S. 15 f. Siehe auch Abbildung 2 und Geißler, 2014, S. 44 f.

40 Vgl. Statistisches Bundesamt, 2018b.

41 Vgl. BMFSFJ, 2016, S. 29. Siehe auch BMAS, 2017b, S.16.

42 Vgl. Deutsche Rentenversicherung, 2018, S. 10.

43 Vgl. Statistisches Bundesamt, o. J.b.

44 Vgl. BMFSFJ, 2016, S. 33.

45 Vgl. Ehrentraut, 2016.

Ende der Leseprobe aus 48 Seiten

Details

Titel
Das bedingungslose Grundeinkommen. Entstehungsgeschichte, Konzept und ökonomische Analyse
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Note
2,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
48
Katalognummer
V1127733
ISBN (eBook)
9783346491404
ISBN (Buch)
9783346491411
Sprache
Deutsch
Schlagworte
BGE, Grundeinkommen, bedingungslos
Arbeit zitieren
Ayleen Seitz (Autor:in), 2019, Das bedingungslose Grundeinkommen. Entstehungsgeschichte, Konzept und ökonomische Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1127733

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