Erosion des Normalarbeitsverhältnisses? Atypische und prekäre Beschäftigungsverhältnisse


Trabajo de Seminario, 2019

19 Páginas, Calificación: 2,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Begriffsbestimmungen
2.1 Das Normalarbeitsverhältnis
2.2 Atypische und prekäre Beschäftigung

3 Die strukturelle Verschiebung des Arbeitsmarktes
3.1 Entwicklung und Ausmaß atypischer Beschäftigung
3.2 Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses

4 Schlusswort

Literaturverzeichnis

Anhang

1 Einleitung

„Arbeit hat sich [...] zerfasert, abgrenzbare Konturen verloren, ist zerstückelt, flexibel zusammengesetzt, intensiviert, „desynchronisiert“ worden.“

- Ulrich Mückenberger.1

Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist Teil eines fortschreitenden Strukturwandels. Seit Mitte der 1970er Jahre steht dieser unter stetigem Anpassungsdruck, sodass die Forderungen nach neuen Rahmenbedingungen für veränderte Arbeitsverhältnisse wiederkehrend in beschäftigungspoli­tischen Debatten gefordert werden. Als Antwort sowie Deregulierungsmaßnahme folgte Mitte der 1980er Jahre das Beschäftigungsförderungsgesetz, welches eine Erleichterung der befriste­ten Beschäftigung vorsah. Der Diskussion um die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes folgend, wurden im Jahr 2001 die Teilzeit- und Befristungsgesetze und im Jahr 2003 die sogenannten Hartz-Gesetze erlassen. Die dadurch entstandene Ausweitung der Teilzeitarbeit und die recht­liche Lockerung für unterschiedliche Beschäftigungsformen, ließ den Anteil von atypischen und prekären Beschäftigungen ansteigen. Besonders durch die Expansion dieser Form von Be­schäftigungsverhältnissen, wird der Arbeitsmarkt mit neuen Problemen konfrontiert. Als Hauptleidtragende wird dabei der Standard und damit das Normalarbeitsverhältnis (NAV) an­gesehen. Durch die Anpassungen des Erwerbslebens tritt das NAV zunehmend in den Hinter­grund und lässt den Normalitätsgehalt von Beschäftigungsverhältnissen auf dem Arbeitsmarkt schwinden.

Ziel dieser Ausarbeitung ist demnach die Klärung der Frage, ob das NAV durch die Ausweitung atypischer und prekärer Beschäftigungsverhältnisse erodiert und ob weitere Faktoren zur Er­klärung des arbeitsmarktpolitischen Strukturwandels herangezogen werden können.

Um die inhaltlich relevanten Begrifflichkeiten voneinander abgrenzen zu können, werden zu­nächst das NAV und die atypische sowie prekäre Beschäftigung definiert. Dabei werden die Ergebnisse des Mikrozensus herangezogen, um den Diskussionsgehalt mit statistischen Daten stützen zu können. Im Anschluss wird der Fokus auf die Verschiebung des Arbeitsmarktes ge­legt, indem zunächst die Entwicklung und das Ausmaß atypischer Beschäftigungen skizziert wird. Darauffolgend widmet sich die Arbeit der Hauptthese der Erosion des NAVs und führt verschiedene Erklärungsansätze an. Die Zusammenführung zuvor gewonnener Erkenntnisse und ein Ausblick im Kontext der Vereinbarkeit von Flexibilität und sozialer Sicherung schlie­ßen die Ausarbeitung ab.

2 Begriffsbestimmungen

Auf dem deutschen Arbeitsmarkt existiert eine Reihe von verschiedenen Beschäftigungsver­hältnissen, die sich sowohl inhaltlich als auch rechtlich voneinander abgrenzen lassen. So gibt es neben dem sogenannten NAV zahlreiche andere Varianten von Erwerbsformen. Um ein bes­seres Verständnis für die Rahmenbedingungen der Erwerbstätigkeit in Deutschland zu erlan­gen, werden im Folgenden die Erwerbsformen des NAVs und der atypischen sowie prekären Beschäftigung vorgestellt.

2.1 Das Normalarbeitsverhältnis

Das NAV entwickelte sich in Deutschland in der Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Neben Standardisierungs- und Normalisierungsprozessen von Arbeitsformen führte die Ent­wicklung von individuellen Beschäftigungsformen zu der Entstehung der Rahmenbedingungen von abhängigen Beschäftigungsverhältnissen. Das NAV versucht demnach „in die durch Fle­xibilität begründete Unsicherheit, Unordnung und Unruhe der Lohnarbeiterexistenz sozusagen Korsettstangen von Gewißheit, Voraussehbarkeit und Frieden einzuziehen“2. Durch die taylo­ristische Arbeitsteilung erlangte die Entwicklung des NAVs im Postfordismus ihren Höhe­punkt, indem die Abhängigkeit des Lohneinkommens zur gesellschaftlichen Normalität wurde.3

Gemäß des Statistischen Bundesamtes (2015b) ist unter einem NAV ein abhängiges Beschäf­tigungsverhältnis zu verstehen, welches direkt zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitge­ber mit einem Arbeitsvertrag festgehalten wird. Diese Beschäftigung muss unbefristet sein und einer Vollzeittätigkeit oder einer Teilzeittätigkeit mit mindestens 21 Wochenstunden entspre­chen. Zusätzlich wird der Arbeitnehmer vollständig in die sozialen Sicherungssysteme, wie die Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung und Krankenversicherung, integriert, um über das Erwerbseinkommen die Ansprüche auf Leistungen der Versicherungen erwerben zu kön­nen. Ebenso soll das NAV existenzsichernd sein, da auf diese Weise der Lebensunterhalt finan­ziert werden soll.4

Nach Mückenberger (1985a) zieht die Definition des NAVs weitere Kreise und umfasst, neben dem bereits aufgeführten deskriptiven Charakter, sowohl einen normativen als auch qualitati­ven Ausdruck. Das NAV wirkt demnach als „herrschende Fiktion“5, welche eine normalisierende Wirkung auf die Entwicklung von Erwerbsformen hat. Dazu gilt es als Be­zugspunkt für juristische Ordnungen und ist folglich nicht als Durchschnittsangabe aller vor- findlichen Beschäftigungsformen anzusehen.6

2.2 Atypische und prekäre Beschäftigung

Eine einheitliche Definition atypischer Beschäftigungsformen ist in der Literatur nicht zu fin­den, jedoch erfolgt diese meist in Abgrenzung zu dem NAV. Grundsätzlich ist darunter ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu verstehen, welches in geringfügiger Beschäftigung, Zeitarbeit, befristeter Beschäftigung oder Teilzeitbeschäftigung mit maximal 20 Stunden in der Woche ausgeübt wird. Die Autoren Schmeißer et al. (2012) und Kress (1998) fügen zu den unter dem Begriff der atypischen Beschäftigung fallenden Beschäftigungsverhältnisse zusätz­lich die (Solo-)Selbstständigkeit, die Ich-AGs und Heim- und Telearbeit hinzu.7

Anders als bei dem NAV, ist die Existenzsicherung keine zwingende Eigenschaft atypischer Beschäftigungsverhältnisse. Trotz dessen können durch diese Form der Beschäftigung, im Ver­gleich zum NAV, individuelle Interessen besser verfolgt werden, da die Möglichkeit der Kom­binationen einzelner Beschäftigungsformen vorhanden ist.8 So kann beispielsweise die Verein­barkeit von Familie und Beruf mit Hilfe von Teilzeitbeschäftigungen unterstützt oder Berufs­erfahrungen in verschiedenen Branchen gesammelt werden.9

Auch wenn die Begriffe der prekären und atypischen Beschäftigung oft synonym verwendet werden, sind diese Erwerbsformen voneinander abzugrenzen. Prekarität muss demnach nicht bei jeder Form der atypischen Beschäftigung vorliegen.10 Die Bundeszentrale für politische Bildung (2014) beschreibt dies wie folgt: „Atypische Beschäftigungsverhältnisse sind nicht durchweg als prekär anzusehen, da ihre Auswirkungen neben dem Individualeinkommen von Kontextfaktoren sowie von ihrer rechtlich-institutionellen Ausgestaltung abhängen“11.

Eine prekäre Beschäftigung liegt demnach grundsätzlich vor, wenn das Lohneinkommen keine existenzsichernde Wirkung hat oder die Beschäftigung nicht von Dauer ist. Sowohl Leih- und Zeitarbeit, Beschäftigung im Niedriglohnsektor als auch Minijobs und unbeabsichtigte Teil­zeitarbeit werden zu dieser Beschäftigungsform dazugezählt. Das daraus resultierende erhöhte Armutsrisiko bildet dabei die Haupteigenschaft prekärer Beschäftigung. Zusätzlich steht der subjektive Charakter dieser Art von Beschäftigungsverhältnissen im Mittelpunkt, welcher den Fokus auf außervertragliche Bedingungen, wie Sinnverluste, Anerkennungsdefizite und Pla­nungsunsicherheit legt.12

3 Die strukturelle Verschiebung des Arbeitsmarktes

Die strukturelle Verschiebung der Erwerbstätigkeit und damit des Arbeitsmarktes in Deutsch­land zieht eine große Aufmerksamkeit auf sich. Das NAV bildet als klassische Erwerbsform den Standard des Erwerbsmarktes. Als Stabilitätssymbol steht es gleichzeitig für die soziale Sicherung und einen gesicherten Arbeitsplatz. Allerdings zogen verschiedene Faktoren sub­stanzielle Veränderungen der Erwerbsarbeit mit sich. Neben der gestiegenen Frauenerwerbstä­tigkeit steht besonders der wirtschaftliche Wandel hin zu einer Industriegesellschaft im Mittel­punkt der Diskussionen. Zusätzlich bildeten sich im Laufe der Zeit die im vorherigen Kapitel beschriebenen atypischen Beschäftigungsverhältnisse aus und unterstützen mittels hoher Be­schäftigungszahlen den Strukturwandel des Arbeitsmarktes. Aus den Unsicherheiten und Ängs­ten gegenüber den Veränderungen des Erwerbslebens heraus, entstand letztlich die These der Erosion des NAVs.

Nachdem im vorherigen Kapitel eine begriffliche Abgrenzung vorgenommen wurde, wird im Folgenden zunächst erörtert, wie sich die atypische Beschäftigung seit den 1990er Jahren ent­wickelt und welchen Umfang diese Erwerbsform angenommen hat. Für die Untersuchung der Entwicklungen der einzelnen Erwerbsformen atypischer Beschäftigung werden Ergebnisse des Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes hinzugezogen. Im Anschluss gilt es die These zu beantworten, inwiefern die Erosion des NAVs bestätigt oder wiederlegt werden kann. Zusätz­lich soll geklärt werden, welche Einflussfaktoren neben der Expansion atypischer und prekärer Beschäftigungen für die Klärung der These herangezogen werden können.

3.1 Entwicklung und Ausmaß atypischer Beschäftigung

Der Anteil atypischer Beschäftigungsverhältnisse ist seit den frühen 1990er Jahren bis dato stark angestiegen. Von dieser Entwicklung sind insbesondere junge Menschen, Frauen, Allein­erziehende und Geringqualifizierte betroffen. Während der Anteil atypischer Beschäftigte im Jahr 1991 circa 13 % aller Kernerwerbstätigen betrug, wuchs dieser im Jahr 2017 auf ein Ni­veau von 20 %. Allerdings bleibt der Anstieg ab dem Jahre 2013 konstant auf diesem Prozent­satz. Die einzelnen Formen atypischer Beschäftigung, wie Teilzeitarbeit, befristete Beschäfti­gungen, geringfügige Beschäftigungen und Zeitarbeit, weisen jedoch unterschiedliche Ent­wicklungen und Dynamiken auf.13

Die am weitesten verbreitete Form atypischer Beschäftigung, stellt die Teilzeitarbeit dar. Seit dem Jahr 1991 hat sich dieser Anteil von 2,6 Mio. auf 4,8 Mio. Beschäftigte nahezu verdoppelt. Im Jahr 2007 erreichte die Teilzeitarbeit mit 14,4 % aller Kernerwerbstätigen ihren Höchst­stand, welcher im Jahr 2017 allerdings auf 12,9 % abfällt. Besonders die Charakteristika der Zeit- und Kostenersparnis der Teilzeitarbeit stehen für die Expansion dieser Erwerbsform. Dazu können Vorzüge aus den gezahlten Lohnkosten für Arbeitgeber attraktiv wirken. Sowohl die im Vergleich zu dem NAV geringen Bruttolöhne als auch nicht gezahlte Leistungen, wie das Urlaubsgeld, stellen Kosteneinsparungsmöglichkeiten dar.14

Hinzu kommt, dass im Vergleich zu dem NAV, speziell Teilzeitbeschäftigten eine höhere Be­schäftigungsstabilität zuzuschreiben ist. Die Faktoren dafür sind aufgrund der verkürzten Ar­beitszeit deutlich zu erkennen: Kinderbetreuung, familiäre Verpflichtungen, berufliche Fortbil­dung oder fehlende Vollzeitbeschäftigung. Besonders für Frauen ist demnach diese Erwerbs­form attraktiv, sodass fast jede zweite Frau einer Teilzeitbeschäftigung nachgeht. Auf europäi­scher Ebene nehmen, unter den 41 Mio. Teilzeitbeschäftigen, Frauen einen Anteil von 77 % ein. sind ebenso unter 41 Mio. Teilzeitbeschäftigten 77 % Frauen. Jedoch muss beachtet wer­den, dass nicht jede Teilzeitbeschäftigung freiwillig ausgeübt wird: Rund 19 % der Männer und 10 % der Frauen waren im Jahr 2017 unfreiwillig teilzeitbeschäftigt. Allerdings konnte zwi­schen den Jahren 2008 und 2017 eine Abnahme der unfreiwillig Teilzeitbeschäftigten von 23 % auf 12 % verzeichnet werden.15

Unter dem Aspekt der Beschäftigtenzahlen folgt nach der Teilzeitbeschäftigung die Gruppe der befristet Beschäftigten. Der Anteil dieser Erwerbsform beträgt mit 2,6 Mio. Beschäftigten 7 % aller Kernerwerbstätigen. Seit den 1990er Jahren ist diese Entwicklung durch Auf-und Ab­wärtsbewegungen in den Beschäftigtenzahlen geprägt. Der Versuch einer flexiblen Ausgestal­tung des Arbeitsmarktes kann durch das Instrument der befristeten Beschäftigung unterstützt werden. Befristete Beschäftigungen finden zunehmend als temporärer Ersatz sowie als verlän­gerte Probezeit ihren Einsatz. Auch wenn dadurch der berufliche Einstieg geebnet werden kann, besteht das Risiko, keine unbefristete Arbeitsstelle finden zu können. Allerdings ist dabei ein Abwärtstrend zu erkennen: Während im Jahr 2007 noch 31 % keine unbefristete Arbeitsstelle fanden, waren es im Jahr 2017 lediglich 23 %. Ebenso ist die Befristungsquote im europäischen Raum in dem gleichen Zeitraum auf einem stabilen Niveau von 11 % geblieben. Jedoch sind zunehmend junge Menschen befristet beschäftigt. Im Jahr 2017 waren 53 % der Jugendlichen im Alter von 15 bis 24 Jahren befristet beschäftigt. Dabei gaben allerdings lediglich 5 % an, keinen unbefristeten Arbeitsplatz finden zu können.16

[...]


1 Mückenberger, 2015.

2 Mückenberger, 1985b, S. 17.

3 Vgl. Hirsch/Roth, 1986.

4 Vgl. Statistisches Bundesamt, 2015b.

5 Mückenberger, 1985a, S. 422.

6 Vgl. Mückenberger, 1985a, S. 422.

7 Vgl. Kress, 1998; Schmeißer et al., 2012.

8 Vgl. Statistisches Bundesamt, 2015a.

9 Vgl. Statistisches Bundesamt, 2018, S. 50-51.

10 Vgl. Keller/Seifert, 2006a, S. 238.

11 Bundeszentrale für politische Bildung, 2014.

12 Vgl. Brinkmann et al., 2006, S. 17; Deutscher Gewerkschaftsbund, o. J.; Statistisches Bundesamt, 2015a.

13 Vgl. Anhang 1; Zeh, 2017, S. 40. Vereinzelt werden zu der Gruppe atypischer Beschäftigungen die Solo­Selbstständigen hinzugezählt. Siehe dazu Hünefeld, 2016, S. 10.

14 Vgl. Anhang 1; Brehmer/Seifert, 2008, S. 513; Brenzel et al., 2013, S. 1; Fischer et al., 2015, S. 68-69; Voss/Weinkopf, 2012, S. 10.

15 Vgl. Brehmer/Seifert, 2008, S. 502; Statistisches Bundesamt, 2018, S. 50, 52.

16 Vgl. Anhang 1; Hohendanner, 2010, S. 1; Hohendanner/Gerner, 2010, S. 29; Statistisches Bundesamt, 2018, S. 22, 54, 56.

Final del extracto de 19 páginas

Detalles

Título
Erosion des Normalarbeitsverhältnisses? Atypische und prekäre Beschäftigungsverhältnisse
Universidad
University of Hannover
Calificación
2,0
Autor
Año
2019
Páginas
19
No. de catálogo
V1127735
ISBN (Ebook)
9783346491343
ISBN (Libro)
9783346491350
Idioma
Alemán
Palabras clave
Normalarbeitsverhältnis, atypisch, prekär, Beschäftigung, Beschäftigungsverhältnis
Citar trabajo
Ayleen Seitz (Autor), 2019, Erosion des Normalarbeitsverhältnisses? Atypische und prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1127735

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