Analyse des Klimaschutzprogramms 2030 der BRD auf seine Anreizstrukturen und ihrer Wirksamkeit nach der Logik des kollektiven Handelns von Mancur Olson. Können die Klimaziele zum Erhalt der Erdatmosphäre erreicht werden?


Dossier / Travail, 2020

36 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Erdatmosphäre: Das Allmendegut als Deponieraum für CO2

3. Probleme zur Wahrung eines Kollektivgutes nach der Logik des kollektiven Handelns von Mancur Olson (1968)
3.1. Der Zusammenhang zwischen Gruppengröße und der Bereitstellung oder Nicht­ Bereitstellung eines Gutes

4. Überprüfung/Anwendung der Theorie am Beitrag zum Klimaschutz aus Sicht des Bürgers der BRD
4.1. Gruppenzugehörigkeit und Klimabeitragsleistungsbereitschaft der BRD-Bürger
4.2. Olsons Lösung des Sozialdilemmas
4.3 Analyse des Klimaschutzprogramms 2030 nach selektiven Reizen
4.3.1. Analyse einiger im Sektor Verkehr geschaffenen Anreize auf ihre Wirksamkeit
4.3.2. Analyse einiger im Sektor Gebäude geschaffenen Anreize auf ihre Wirksamkeit

5. Probleme zur Durchsetzung von Verträgen und Erreichung der Ziele auf internationaler Ebene
5.1. Wann wird notwendiger Beitrag in der internationalen Staatengemeinschaft geleistet?

6. Ausblick

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Klimaschutz ist aktuell eines der wichtigsten tagespolitischen Themen weltweit. Verursacht durch die globale Erderwärmung, zeigt der Klimawandel bereits gegenwärtig klimatische Konsequenzen wie Starkwetterereignisse, Anstieg des Meeresspiegels in den Küstenregionen, Waldbrände uvm. Die gesamte Menschheit ist Nutznießer der Erdatmosphäre und des Planeten Erde und somit auf dessen Erhalt angewiesen. Es erfordert daher kollektives Handeln, um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten, denn „wo es um gemeinsame Zwecke oder Kollektivgüter geht, ist Organisations- oder Gruppenhandeln unerlässlich“ (Olson 1968b: 15). Die Bereitschaft zur Leistung des eigenen Beitrags zum Klimaschutz unterscheidet sich global sowohl zwischen den einzelnen Mitgliedern einer Gesellschaft als auch zwischen Staaten und ihren Regierungen. Die Logik des kollektiven Handelns von Mancur Olson ist ein Argumentationsgerüst, das durch Hinzunahme des Kosten-Nutzen-Kalküls erklärt, wovon die Beitragsleistung individueller rationaler Akteure abhängt und was nötig ist, um diese zu ihrem Beitrag zu bewegen. Mit Blick auf die ambitionierten Klimaziele der Bundesregierung im Rahmen des Klimaschutzprogramms 2030 (KSPr), des EU Klimaplans sowie des internationalen Pariser Abkommens, beschäftigt sich diese Arbeit mit folgender Leitfrage: Wie realistisch ist die Erreichung der Klimaziele des KSPr durch die geschaffenen Anreizstrukturen und welche Probleme ergeben sich bei der Durchsetzung internationaler Verträge? Hierzu wird in Kapitel 2 zunächst eine Einführung in die Klimaproblematik gegeben und eine Einordnung der Erdatmosphäre in die Gütertypologie vorgenommen. Anschließend wird das theoretische Erklärungsmodell zum individuellen Beitrag in kollektiven Gemeinschaften nach Mancur Olson in Kapitel 3 ausgiebig erläutert. Im 4. Kapitel folgt schließlich der analytische Teil dieser Arbeit, in der die Anwendbarkeit des theoretischen Modells anhand empirischer Befunde überprüft wird. Dabei wird die Gruppenzugehörigkeit der Bürger1 der BRD zunächst herausgearbeitet, um anschließend konkrete Maßnahmen des KSPr in den Sektoren Verkehr und Gebäude auf die Wirksamkeit ihrer selektiven Anreize zu analysieren. Das Kapitel wird dann mit einer Prognose über den Erfolg der Erreichung der Ziele abgeschlossen. Schließlich werden in Kapitel 5 die Probleme zur Beitragsleistung und Einhaltung von Verträgen auf internationaler Ebene kurz dargestellt und einige Einflussfaktoren zur internationalen Kooperation kurz skizziert. Zum Schluss dieser Arbeit werden im Ausblick alle Ergebnisse kurz zusammengefasst und weiterführende Gedanken aufgeführt.

2. Die Erdatmosphäre: Das Allmendegut als Deponieraum für CO2

Unsere Erdatmosphäre ermöglicht dem Menschen das Leben auf der Erde, einschließlich der Sicherung von Nahrung, Trinkwasser und vielen weiteren Ökosystemleistungen. Sie schützt unseren Lebensraum und erzeugt ein für uns lebensfähiges Klima. Bereits ein geringer Anstieg der globalen Mitteltemperatur hat weitreichende klimatische Folgen, welche jüngst ersichtlich wurden und in Zukunft weiter zu befürchten sind. Dazu zählen u.a. ein schnellerer Anstieg des Meeresspiegels in Küstenregionen aufgrund der zunehmenden Geschwindigkeit des grönländischen und antarktischen Gletscherschmelzens, die Veränderung und Verschiebung von Ökosystemen und damit der Verlust von Lebensraum und Artenvielfalt sowie die Schädigung von Ökosystemfunktionen mit der Folge zu erwartender Fluchtbewegungen, tropischer Wirbelstürme und der Zunahme von Waldbränden (IPCC 2019a: 3ff.).

Die Treibhausgase, die sich bereits seit Beginn des kohlenstoffbasierten Industriezeitalters etwa 1850 in der Atmosphäre angereichert haben, sorgen noch heute für Veränderungen des Klimas auf der Erde. Durch diese in der Erdatmosphäre verdichteten Gase wird ein Teil der Wärmestrahlung in der Atmosphäre abgefangen und zurück auf die Erde reflektiert, wodurch die globale Durchschnittstemperatur ansteigt. Es zirkulieren unterschiedliche Gase mit Treibhauspotenzial, die jeweils unterschiedliche Anteile am Treibhauseffekt und eine unterschiedliche Verweildauer in der Erdatmosphäre haben. Den größten Anteil von 88% an den insgesamt 858 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten2 hatte im Jahr 2018 Kohlendioxid (CO2) (UBA 2019a). Dieses Gas hat eine Verweildauer von 50-200 (0 120) Jahren in der Erdatmosphäre, weshalb „das Klimasystem nur sehr langsam auf Änderungen von Emissionen reagiert“ (Simonis 2017: 45). Weitere Treibhausgase sind Methan (CH4) mit 6,1% Anteil, Distickstoffoxid mit 4,1% Anteil und fluorierte Treibhausgase (F-Gase)3 haben einen Anteil von 1,7% an den Gesamtemissionen 2018 (UBA 2019a).

Die kollektive Nutzung der Erdatmosphäre und die menschliche Abhängigkeit von ihr suggeriert auch unsere kollektive Verantwortung ihrer nachhaltigen Nutzung, um sie zu erhalten (vgl. Tiefensee 2019: 232f.), denn die Erdatmosphäre versteht sich als Allmendegut oder common pool Ressource. Nach der Gütertypologie gibt es vier verschiedene Grundtypen von Gütern: private Güter, reine Gemeinschaftsgüter, Clubgüter und Allmendegüter (Simonis 2017: 45, siehe auch: Ostrom 1990, Kaul et al. 1999). Diese werden anhand von zwei Kriterien differenziert, der Ausschließbarkeit, also ob Personen von der Nutzung des Gutes ausgeschlossen werden können, und der Rivalität im Konsum, also ob sich das Gut durch die Nutzung verbraucht oder nach einmaliger Bereitstellung erhalten bleibt. Demnach ist die Erdatmosphäre als Allmendegut zu verstehen, denn ihr Nutzen ist universell und geht über Ländergrenzen, spezifische Bevölkerungsgruppen und Generationen hinaus. Dieses Kriterium macht die gesamte Menschheit zum Nutznießer der Erdatmosphäre (Nicht-Ausschließbarkeit) (Kaul et. al 1999: 2f.). Da die Atmosphäre als begrenzter Deponieraum für CO2 allerdings limitiert ist und sich durch den nicht­nachhaltigen Gebrauch abnutzt, greift an dieser Stelle das Kriterium der Rivalität im Konsum. Konkret bedeutet das, dass jeder Mensch Zugang zu dem Gut hat, die Übernutzung aber für alle gleichermaßen zu irreversiblen Schäden führt, allerdings niemand für dessen Prävention oder Beseitigung aufkommen möchte, wodurch alle einen Schaden davontragen (Simonis 2017: 46). Als Allmendegut sind für ihre Nutzung keine Nutzungsrechte festgelegt, denn bisher verläuft die Nutzung nach dem Prinzip „survival of the fittest“, woraus der klimapolitische Handlungsbedarf resultiert (Edenhofer/Jakob 2019: 39ff.).

Damit klimapolitische Maßnahmen funktionieren, Verschlechterungen des Klimas vermieden sowie gemeinsame Ziele erreicht werden können, bedarf es globaler Vereinbarungen. Eine solches freiwilliges Abkommen ist z.B. das Pariser Abkommen der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) aus dem Jahr 2015 (BMWi 2020a). Mit dem Pariser Abkommen wird angestrebt, die globale Erderwärmung auf deutlich unter 2° Celsius und bestenfalls auf 1,5° Celsius gegenüber vorindustriellen Zeiten zu begrenzen. Aber auch der Klimaplan der EU und das deutsche Klimaschutzprogramm sind Werkzeuge, um den Klimawandel zu stoppen.

Ausschlaggebend für den Erfolg der Erreichung der Klimaziele und somit zur Wahrung der Erdatmosphäre ist der Beitrag, den die unterschiedlichen Staaten und ihre Bürger jeweils leisten. Welche Probleme sich zum Schutz dieses Gutes ergeben soll im Folgenden aus verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet werden.

3. Probleme zur Wahrung eines Kollektivgutes nach der Logik des kollektiven Handelns von Mancur Olson (1968)

Um die Wahrung der Erdatmosphäre als globales Allmendegut ergeben sich große Hürden und eine Regulierung der Beitragsleistung verschiedener Akteure zu ihrem Erhalt ist nahezu unmöglich. Wer wird zur Wahrung der Erdatmosphäre seinen Beitrag leisten und weshalb? Um diese Frage beantworten zu können, ist es zunächst nötig, kollektives Handeln in Gruppen nachvollziehen zu können. Hierzu wird die Logik des kollektiven Handelns von Mancur Olson (1968) als zugrundeliegendes Erklärungsmodell herangezogen, welches im Folgenden erläutert wird und auch im weiteren Verlauf dieser Arbeit als Argumentationsgerüst dient.

Mancur Olson ist ein Vertreter der Rational-Choice-Theorie, auf dessen Erkenntnissen sein Werk die Logik des kollektiven Handelns fußt und die Paradigmen des methodologischen Individualismus beinhaltet. Unter Zuhilfenahme der ökonomischen Theorie untersucht er Mechanismen des kollektiven Handelns in Interessens- bzw. Gruppenzusammenschlüssen. Auf der individuellen Ebene sind sich rationale Individuen ihrer eigenen Bedürfnisse bewusst, können ihr Handeln auch bewusst nach der Befriedigung dieser ausrichten und besitzen vollständige Informationen über alle Handlungsoptionen und ihren Konsequenzen. Ausgehend vom Menschenbild des Homo Oeconomicus versucht das Individuum daher stets, seinen Nutzen zu maximieren und die entstehenden Kosten für sich zu minimieren. Für jede eigene Handlung werden in einem Kosten-Nutzen-Kalkül die Kosten der Handlung gegen ihren Nutzen gegeneinander abgewägt. Das Kalkül stützt sich auf drei Parametern: dem Nutzen (U), den das Individuum durch das Kollektivgut erhält, die Wahrscheinlichkeit (p), durch den eigenen Beitrag U herbeizuführen, und die Kosten (K), die zur Erbringung des eigenen Beitrags aufkommen.

Gruppen, also Zusammenschlüsse von Individuen mit gleichen Interessen, stellen ein oder mehrere kollektive Güter für ihre Mitglieder zur Verfügung und jede Organisation oder Gruppe ist für dessen Bereitstellung auf das Engagement seiner gleichermaßen daran interessierten Mitglieder angewiesen (Dehling/Schubert 2011: 112 f.). Daraus resultiert für den rationalen Homo Oeconomicus a priori unausweichlich der Anreiz, keine Kosten in Kauf zu nehmen, um zur Bereitstellung des Kollektivguts beizutragen, sondern von dem Gut zu profitieren, ohne sich selbst an den Kosten zu beteiligen. Dieses Verhalten wird als das Trittbrettfahrerverhalten bezeichnet. Die Trittbrettfahrerproblematik entsteht, weil “all of the members of the group [...] have a common interest in obtaining this collective benefit, they have no common interest in paying the cost of providing that collective good. Each would prefer that the others pay the entire cost, and ordinarily would get any benefit provided whether he had borne part of the cost or not “(Olson 1968a: 21).

Wenn alle oder zu viele Mitglieder einer Organisation trittbrettfahren, kann das Kollektivgut dementsprechend nicht oder nur unzureichend bereitgestellt werden bzw. erhalten bleiben. Dieses Verhalten betrifft allerdings nicht jede Gruppe gleichermaßen, sondern findet sich vor allem in größeren Gruppen wieder. Warum dies so ist und wie sich diese Logik auf das kollektive Handeln der Bürger der Bundesrepublik Deutschland (BRD) für den Erhalt der Erdatmosphäre als Allmendegut übertragen lässt, wird im folgenden Kapitel diskutiert.

3.1. Der Zusammenhang zwischen Gruppengröße und der Bereitstellung oder Nicht-Bereitstellung eines Gutes

Nach Olsons Logik des kollektiven Handelns (1968) gibt es unterschiedliche Arten von Gruppen. Unter einer Gruppe verstehen wir in diesem Kontext eine Anzahl von Individuen mit einem gemeinsamen Interesse, wobei jede Person zusätzlich eigene individuelle Interessen verfolgt, die sich von denen anderer Gruppenangehöriger unterscheiden (Olson 1968a: 8). Weiterhin stellt Olson einen Zusammenhang zwischen Gruppengröße und der Bereitstellung eines Kollektivguts fest. Dabei klassifiziert er zunächst drei verschiedenen Gruppentypologien, in denen das Trittbrettfahrerproblem in unterschiedlichem Ausmaß ausgeprägt ist. Das Gruppenraster wird hinsichtlich der Relevanz des individuellen Beitrags, also inwiefern der individuelle Beitrag notwendig oder gar hinreichend ist, differenziert.

Die privilegierte kleine Gruppe, bestehend aus Mitgliedern mit unterschiedlich hohem Interesse am Kollektivgut, ist der persönliche Gesamtnutzen bzw. Gewinn aus dem Kollektivgut für das einzelne Individuum so groß, dass es sogar die gesamten Kosten alleine tragen würde, als den Nutzen des Kollektivguts einzubüßen. Der individuelle Beitrag des Gruppenmitglieds ist in dieser Gruppe notwendig und auch hinreichend, weshalb folglich in einer kleinen Gruppe das Kollektivgut immer bereitgestellt wird. Jedoch besteht dadurch die Gefahr zur „Ausbeutung der Großen durch die Kleinen“ (Olson 1968b: 32ff., 43).

In der mittelgroßen intermediären Gruppe ist der Nutzen des Kollektivguts für den Einzelnen nicht groß genug, um die Kosten nötigenfalls alleine zu tragen. Sein Beitrag ist also nicht hinreichend, jedoch notwendig, da andernfalls der unterlassene Beitrag einen merklichen Effekt auf die Kosten und Vorteile der anderen Gruppenmitglieder hat. Die Bereitstellung oder Nicht-Bereitstellung des Gutes ist in dieser Gruppe ungewiss/unbestimmt (Olson 1968b: 43).

Die letzte und größte Gruppe wird als latente Gruppe bezeichnet. Innerhalb der latenten Gruppe ist der individuelle Beitrag zur Bereitstellung eines Kollektivguts weder notwendig noch hinreichend. Dadurch geht die Wahrscheinlichkeit, dass mit dem individuellen Beitrag die Bereitstellung bzw. der Erhalt des Kollektivgutes erreicht wird, gegen null. Ob ein einzelnes Mitglied nun einen Beitrag zum Erhalt des Kollektivgutes leistet oder nicht, werden davon die Kosten oder der Nutzen eines anderen Mitglieds nicht signifikant betroffen sein, wodurch dieser keinen Grund hat, auf das Erbringen oder Unterlassen der Beitragsleistung zu reagieren. Daher hat das einzelne Gruppenmitglied keinen Anreiz, selbst einen Beitrag zu leisten, Beitragszahlungen an eine im Interesse der latenten Gruppe agierenden Organisation zu leisten oder auf jedwede andere Art die Kosten des notwendigen Handelns zur Bereitstellung des Gutes zu tragen. In einer großen latenten Gruppe würde ein Kollektivgut sicher nicht bereitgestellt werden (Olson 1968b: 43, 48f.).

Dieser Zusammenhang zwischen der Gruppengröße und der Bereitstellung eines Kollektivguts führt Olson weiterhin zu der Annahme, dass es drei Faktoren gibt, welche große, latente Gruppen von der optimalen Bereitstellung eines Kollektivguts abhalten:

a) Je größer die Gruppe, umso kleiner ist der Anteil am Gruppenvorteil für den Einzelnen, wenn er im Gruppeninteresse handelt. Umso unwahrscheinlicher ist es folglich, eine optimale Bereitstellung des Kollektivguts zu erlangen.
b) Aufgrund des regressiven Zusammenhangs zwischen der Gruppengröße und dem Vorteil des Einzelnen gilt: Je größer die Gruppe umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das einzelne Gruppenmitglied jedwede Kosten selbst in geringer Menge trägt und das Gut bereitgestellt wird.
c) Je größer die Gruppe, umso mehr steigen die Organisationskosten zur Bereitstellung des Gutes (Olson 1968b: 46f.).

Damit stellt Olson einen negativen Zusammenhang zwischen der Gruppengröße und der Bereitstellung eines kollektiven Gutes fest. Ob sich diese Schlussfolgerungen in der Empirie bewahrheiten, werden wir im Folgenden überprüfen.

4. Überprüfung/Anwendung der Theorie am Beitrag zum Klimaschutz aus Sicht des Bürgers der BRD

Nachdem die theoretischen Überlegungen zum Gruppenverhalten nun vorgestellt wurden, soll in diesem Kapitel überprüft werden, ob und warum es sich für den Bürger der BRD nach der Logik des kollektiven Handelns lohnt, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Um eine Annahme darüber treffen zu können, wird das (Gruppen-)Verhalten des BRD-Bürgers zunächst analysiert. Im Anschluss wird der Lösungsansatz von Olson zur Beitragsleistung aufgezeigt und eine Analyse über die Wirksamkeit der verabschiedeten Maßnahmen im Rahmen des Klimaschutzprogramms 2030 durchgeführt. Eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit der Erreichung der Klimaziele rundet dieses Kapitel ab.

4.1. Gruppenzugehörigkeit und Klimabeitragsleistungsbereitschaft der BRD-Bürger

Die Forschungsgruppe Wahlen e.V. (2020) hat in einer Umfrage nach den wichtigsten Problemen in Deutschland herausgefunden, dass die Folgen der Umweltverschmutzung als größtes Problem der BRD ab September 2018 einen starken Aufwärtstrend annahm, mit 56% der Befragten im September 2019. Seit Beginn der Coronapandemie ist diese Einschätzung jedoch stark eingebrochen, am 17. September 2020, hielten etwa 46% der Befragten Corona und nur noch etwa 15% den Klimaschutz für das wichtigste Problem (FGW 2020).

In der Umweltbewusstseinsstudie4 gaben im Jahr 2018 nur etwa 12% an, sich bereits für den Umwelt- und Klimaschutz zu engagieren, während 51% angaben, sich ein solches Engagement vorstellen zu können. Bei einer Zwischenerhebung der Studie im Jahr 2019 stuften 68% aller Befragten den Umwelt- und Klimaschutz als sehr wichtige Herausforderung ein, während es 2018 noch 64% waren (UBA/BMU 2019). Obwohl die Relevanz des Klimaschutzes augenscheinlich im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen ist, lässt sich dennoch eine Diskrepanz zwischen dem Umweltbewusstsein und ihrem tatsächlichen Handeln feststellen. Dies ist mit Olsons Logik des kollektiven Handelns zu erklären. Demnach ist der rationale Bürger der BRD bei seiner Entscheidung, Beitrag leisten vs. keinen Beitrag leisten, in einem sozialen Dilemma gefangen. Denn die Erreichung des Ziels hängt nicht nur von ihm selbst, sondern maßgeblich auch vom Verhalten der restlichen (Welt-/) Bundesbevölkerung ab. Das Interesse der Bürger, dass der Klimawandel nicht fortschreitet, um die negativen Konsequenzen zu vermeiden, stellt den Nutzen U einer intakten Erdatmosphäre dar. Dieser Nutzen U liefert potenziell einen Handlungsgrund zum individuellen Klimaschutzbeitrag. Das Problem, welches sich hierbei jedoch in Einklang mit der Theorie von Olson ergibt, ist, dass der individuelle Beitrag des Bürgers in der latenten Gruppe (Gesamtheit der Bürger der BRD) weder notwendig noch hinreichend ist. Denn selbst wenn der einzelne Bürger völlig klimaneutral lebt, ist sein Beitrag nicht hinreichend, um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten und eine intakte Erdatmosphäre zu erhalten. Andererseits ist der individuelle Beitrag des Einzelnen auch nicht notwendig, sofern hinreichend viele Menschen auf der Welt ihren Beitrag leisten, also klimaneutral leben. Die Wahrscheinlichkeit p, dass der Nutzen U einer intakten Erdatmosphäre durch das individuelle Handeln erreicht wird, ist daher gleich null.

Die Bürger sind bereit, sich auf Alternativen einzulassen - oder einen Beitrag zu leisten - sofern sie nicht mit „Verzicht“ einhergehen, sondern sich vielmehr ein persönlicher Mehrwert für sie ergibt und gleichzeitig auch zu Kostenersparnissen führen können (Bundesregierung 2019a: 11). Nun ist der Beitrag zum Erhalt der Erdatmosphäre jedoch mit (Opportunitäts- und Verzichts-) Kosten K verbunden. Diese werden im Folgenden für die beiden kritischen Sektoren, Verkehr und Gebäude, welche später auf ihre Anreizstrukturen analysiert werden, betrachtet.

Auf den Bereich Verkehr entfallen in Deutschland etwas mehr als 25% der Pro-Kopf-CO2- Emissionen (Bundesregierung 2019a: 39) und der Endenergieverbrauch im Sektor Verkehr stagniert seit 2008 auf einem hohen Niveau (BDEW 2020: 2). Obwohl die Zahl der neuzugelassenen E-Fahrzeuge Anfang 2020 nochmals um 53.000 Fahrzeuge im Vergleich zum Vorjahr angestiegen ist, lag der Anteil der Fahrzeuge mit konventionellem Verbrennungsmotor zur gleichen Zeit immerhin bei 98% (Statista 2020b). Der Erwerb nachhaltiger Fahrzeuge ist augenscheinlich mit sehr hohen Anschaffungskosten verbunden. Aber auch der Umstieg vom Pkw auf den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) oder das Fahrrad zieht (Opportunitäts-) Kosten in Form von weniger Flexibilität durch Fahrplangebundenheit, eine längere Fahrtdauer5, eine mögliche Gefahrenaussetzung bei schlecht ausgebauten Radwegen und weniger Komfort nach sich. Der Verzicht auf Flugreisen hat für beruflich Reisende oder reisefreudige Zivilisten Kosten (Zeit-, Verzichts­und Geldkosten) zur Folge.

Im Sektor Gebäude, auf den 38% der Pro-Kopf-CO2-Emissionen entfallen, sinkt der durchschnittliche Pro-Kopf-CO2-Verbrauch nur um 0,5% jährlich (Bundesregierung 2019a: 50). Der Energieverbrauch aus dem Konsum privater Haushalte hat sich seit dem Jahr 2000 um lediglich 7,7 % verringert (UBA 2020b). Der sogenannte Rebound-Effekt6 sowie die Zunahme der Pro-Kopf-Wohnfläche verhindern effiziente Energieeinsparungen in Haushältern, wodurch zur Erreichung der Ziele Änderungen im Lebensstil und Konsumverhalten nötig sind. 60% des Endenergieverbrauchs fallen auf private Haushalte, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen (H+GHD) und 40% auf die Industrie (BDEW 2020: 4). Der größte Anteil des Endenergieverbrauchs von H+GHD wurde für Raumwärme genutzt und lag 2018 bei 44,7% (AGEB 2020: 3.4). Die Kosten K für Sanierungen im Gebäudesektor sind bspw. hohe Baulandpreise, da Wohnimmobilien und Grundstückspreise teurer werden, Fachkräftemangel und dessen hohe Lohnkosten sowie Zeitkosten aufgrund bürokratischer Hürden, die Baugenehmigungsverfahren und Planungsprozesse um Jahre verzögern (Dena 2019: 9). Weiterhin bestehen bei Verbrauchern Informationsdefizite und Beratungsbedarf zu Einsparmöglichkeiten im Haushalt (Bundesregierung 2019a: 50). Insgesamt ist die Herstellung und der Vertrieb nachhaltiger Produkte gleichzeitig teurer, wodurch diese von Anbietern als Premiumprodukte mit hohen Handelsmargen vermarktet werden. Für Verbraucher sind diese hingegen aus finanziellen Gründen oft nicht zugänglich (Bundesregierung 2019a: 12).

Es wurde bisher aufgezeigt, dass zum einen individuelles klimafreundliches Handeln weder notwendig noch hinreichend ist und die Wahrscheinlichkeit der Erreichung des Nutzens gegen null läuft. Zum anderen hat auch die Betrachtung der Kostenkomponente aus Sicht des Bürgers der BRD offenbart, dass die Beitragsleistung mit hohen Kosten verbunden ist. Daraus lässt sich ableiten, dass es sich für den rationalen Bürger der BRD nach der Logik des kollektiven Handelns von Olson nicht lohnt, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, denn:

p (die Wahrscheinlichkeit, U durch den eigenen Beitrag zu erreichen = 0) * U (Erhalt der intakten Erdatmosphäre) < Kosten K (die für klimaneutrales Leben anfallen).

Selbst wenn der individuelle Beitrag keine Kosten verursachen würde, also K = 0 wäre, hätte der rationale Akteur die freie Wahl, ob er einen Beitrag leistet oder nicht. P*U wäre in diesem Fall zwar immer noch gleich null, jedoch würden die Kosten ebenfalls auf den Wert null fallen, wodurch der Akteur die Wahlfreiheit hätte, ob er einen Beitrag leisten wollen würde oder nicht. Damit wird deutlich, dass die persönlichen Kosten für einen Akteur ausschlaggebend dafür sind, welche Bereitschaft er zur Beitragsleistung zeigt, ungeachtet dessen, wie groß der Nutzen U ist.7

Diese Analyse hat somit ergeben, dass die ca. 83 Millionen Bürger der Bundesrepublik Deutschland8 nach der Kategorisierung von Mancur Olson unter die Kategorie der latenten Gruppe fallen. Was ist also nötig, um den rationalen Akteur einer latenten Gruppe definitiv zur Leistung seines Beitrags zu bewegen? Auch hierzu hält Olson eine Lösung bereit, welche nun veranschaulicht werden soll.

[...]


1 In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet.

2 Um die verschiedenen Treibhausgase vergleichbar zu machen, werden sie hinsichtlich ihrer Klimaschädlichkeit in Kohlendioxid-Äquivalente umgerechnet.

3 Fluorierte Treibhausgase haben einen weitaus schädlicheren Effekt auf das Klima als das bereits sehr schädliche Kohlendioxid. Der Effekt von F-Gasen ist 100- bis 24000-mal höher. Zur Reduktion der fluorierten Treibhausgase wurde in der Verordnung (EU) Nr. 517/2014 die sukzessive Begrenzung der Verkaufsmengen von teilfluorierten Kohlenwasserstoffen (HFKW) auf ein Fünftel der heutigen Verkaufsmengen bis 2030 verordnet (UBA 2019b).

4 Die Umweltbewusstseinsstudie ist eine vom BMU und UBA durchgeführte repräsentative Umfrage, die alle zwei Jahre Daten von rund 2000 Bürgern zu ihren Einschätzungen zum Zustand der Umwelt, ihrem eigenen umweltrelevanten Verhalten sowie zu aktuellen Themen der Umweltpolitik erhebt (UBA/BMU 2019).

5 Besonders für außerhalb von Städten lebende Menschen mit schlechter ÖPNV-Anbindung.

6 Energieeffizienzsteigerungen von Produkten schlagen sich in einer höheren Nachfrage nieder und die eingesparten Energiekosten werden durch zusätzliche Nutzung kompensiert.

7 Um die Analogie zum spieltheoretischen sozialen Dilemma (Gefangenendilemma) nochmals festzuhalten, ließen sich Entscheidungsgrundlage und -ausgang für den einzelnen Bürger der BRD wie folgt erklären: 1) Leistet er selbst seinen Beitrag und die restliche Bevölkerung der BRD a) leistet ebenfalls ihren Beitrag, so hat der individuelle Akteur Kosten sowie einen gewonnenen Nutzen; oder b) leistet ihren Beitrag nicht, so hat er Kosten und keinen gewonnenen Nutzen. 2) Leistet er selbst jedoch keinen Beitrag und die restlichen Bürger der BRD a) leisten ihren Beitrag, so profitiert er als Trittbrettfahrer vom Nutzen, ohne Kosten zu haben; oder b) leisten ihren Beitrag ebenfalls nicht, so hat zwar niemand Kosten, jedoch auch niemand einen Nutzen. Auch nach diesem spieltheoretischen Erklärungsmodell rationalen Verhaltens würde sich ein rationaler Akteur in dieser Situation also gegen einen Beitrag zum Klimaschutz entscheiden.

8 Stand: 2019 (Statista 2020a).

Fin de l'extrait de 36 pages

Résumé des informations

Titre
Analyse des Klimaschutzprogramms 2030 der BRD auf seine Anreizstrukturen und ihrer Wirksamkeit nach der Logik des kollektiven Handelns von Mancur Olson. Können die Klimaziele zum Erhalt der Erdatmosphäre erreicht werden?
Université
Johannes Gutenberg University Mainz  (Politikwissenschaft)
Cours
Klimapolitik
Note
1,7
Auteur
Année
2020
Pages
36
N° de catalogue
V1127781
ISBN (ebook)
9783346488947
ISBN (Livre)
9783346488954
Langue
allemand
Mots clés
Klimapolitik, Klimaschutzprogramm 2030, Logik des kollektiven Handelns, Beitrag, Wirksamkeit, Anreize, Pariser Abkommen, EU Klimapolitik, Sektoren Gebäude und Verkehr
Citation du texte
Samira Mahi-Moussa (Auteur), 2020, Analyse des Klimaschutzprogramms 2030 der BRD auf seine Anreizstrukturen und ihrer Wirksamkeit nach der Logik des kollektiven Handelns von Mancur Olson. Können die Klimaziele zum Erhalt der Erdatmosphäre erreicht werden?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1127781

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