Erklärkompetenz im Kindesalter. Eine vergleichende Untersuchung von Schülerinnen mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache


Hausarbeit, 2019

24 Seiten, Note: 2,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlage

3. Exemplarische Untersuchung von Spielerklärungen

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

6. Anhang

Abkürzungsverzeichnis

DaM Deutsch als Muttersprache (Erstsprache)

DaZ Deutsch als Zweitsprache

Transkript I T. I.

Transkript II T. II.

1. Einleitung

Erklärungen zu praktizieren, erfordert eine gewisse Erfahrung. Niemand kann gleich nach dem Erwerb der Sprache Erklärungen durchführen. Es ist das Elternhaus, welches zunächst einen Einfluss auf die Förderung der Erklärkompetenz von Kindern hat. Demnach gilt dabei das Sprichwort: „Übung macht den Meister“. Aber nicht nur die Erfahrung bzw. Übung ist notwendig um erfolgreich erklären zu können, sondern auch das inhaltliche Wissen, welches erklärt werden soll, muss vorhanden sein. Dabei ist Erklärung nicht gleich Erklärung, sondern wird durch bestimmte charakteristische Merkmale unterschieden.

Doch was bedeutet erklären? Was sind Erklärungen? Welche Arten von Erklärungen gibt es? Welche sprachlichen Mittel und Formen können beim Erklären verwendet werden? Gibt es Besonderheiten, die beim Erklären auffällig sind? Was kann denn überhaupt erklärt werden? Gibt es auch einen Unterschied zwischen den Kindern bezüglich der Erklärkompetenz? Mit diesen Fragen setzt sich die folgende Hausarbeit auseinander. Auf die letztere Frage wird im Detail eingegangen. Dabei geht es insbesondere um den Unterschied der Erklärkompetenz zwischen Kindern, die Deutsch als Muttersprache bzw. Erstsprache erlernt haben und Kindern, die die Sprache Deutsch als Zweitsprache erworben haben.

Das Ziel der Arbeit liegt darin, die Erklärkompetenz von jeweils einem Kind mit Deutsch als Muttersprache und einem Kind mit Deutsch als Zweitsprache vergleichend zu untersuchen. Dadurch soll festgestellt werden, ob es Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Erklären zwischen den Kindern gibt. Diese sollen anhand eines konkreten Beispiels (Transkript), in dem jeweils ein Kind eine Spielerklärung zum Spiel „Mensch ärgere Dich nicht“ praktiziert, untersucht sowie auch herausgearbeitet werden.

Zunächst wird in der vorliegenden Arbeit eine theoretische Grundlage geschaffen. Dabei wird eine Untersuchung zu dem Themenbereich der Erklärkompetenz von bilingualen Kindern vorgestellt, sodass damit zunächst der bisherige Forschungsstand dargelegt wird. Im Anschluss wird auf den Begriff der „Erklärung“ näher eingegangen, wobei auch für diese Arbeit relevante Fachbegriffe definiert werden. Außerdem wird ein spezielles Beschreibungsmodell, mit dem später gearbeitet wird, vorgestellt. Darauffolgend werden die selbstständig erstellten Transkripte der Kinder beschrieben und mit Hilfe des bereits vorgestellten Beschreibungsmodells „GLOBE“ analysiert. Nachfolgend werden diese miteinander verglichen. Hierbei liegt der Untersuchungsschwerpunkt auf den Gemeinsamkeiten sowie insbesondere auf den Unterschieden in den Erklärungen der beiden Kinder. Abschließend wird die Hausarbeit mit einem allgemeinen Fazit abgerundet.

2. Theoretische Grundlage

Nun soll eine theoretische Grundlage geschaffen werden, um die Analyse der Transkripte darauf aufbauen zu können.

2.1 Forschungsstand

Da für den weiteren Verlauf der Arbeit einige Begriffe von Bedeutung sind, werden diese zunächst auf Basis des heutigen Verständnisses definiert.

Eine wichtige Unterscheidung liegt zwischen der Erstsprache und der Zweitsprache. Die Sprache, die bis zum vierten Lebensjahr erlernt wird, ist die Erstsprache. Dabei kann noch unterschieden werden, ob nur eine Sprache bis zum vierten Lebensjahr erlernt wird (primärer Erstspracherwerb) oder zwei Sprachen gleichzeitig erworben werden (doppelter Erstspracherwerb). Die Zweitsprache hingegen stellt die Sprachen dar, die ab dem vierten Lebensjahr im weiteren Verlauf des Lebens erlernt werden. Hier ist die Sprache, die nach dem dritten Lebensjahr erworben wird, der Zweitspracherwerb. Alle Sprachen, die ab dem vierten Lebensjahr in Bildungsinstitutionen bspw. im Unterricht erlernt werden, stellen den Fremdspracherwerb dar (vgl. Bickes/Pauli 2009: 8). In dieser Arbeit ist unter Deutsch als Erst- oder Muttersprache (DaM) zu verstehen, dass die deutsche Sprache bis zum Ende des dritten Lebensjahres erworben wurde. Unter Deutsch als Zweitsprache (DaZ) soll verstanden werden, dass die deutsche Sprache ab dem vierten Lebensjahr erworben wurde, jedoch nicht als Fremdspracherwerb in der Schule.

Nun soll auch ein Blick in den Forschungsbereich der mündlichen Erklärkompetenz bei Kindern mit DaM und DaZ geworfen werden, um den bisherigen Forschungsstand zu rekapitulieren. Auf Grund der geringen Forschung, was diesen Themenbereich der Sprachdidaktik betrifft, wird im Folgenden nur auf eine Untersuchung näher eingegangen. Diese bezieht sich zwar nicht auf Spielerklärungen, wie diese Arbeit es tut, aber sie beschäftigt sich mit Worterklärungen bei türkischen Migrantenkindern und vergleicht diese mit den Erklärungen von deutschen Kindern sowie türkischen Kindern in der Türkei.

Rehbein hat in seiner Untersuchung die „Sprachliche Handlungsfähigkeit der zweiten Ausländergeneration im Grundschulalter“ beobachtet (Rehbein 1982: 155f.). Analysiert wurden dabei einige Wortbedeutungen, die die Kinder erklärten. Diese Wortbedeutungen basieren auf einem bestimmten konzeptionellen Wissen, welches strukturiert ist und in vielen unterschiedlichen Formen in Worte gefasst werden kann. Insgesamt werden bei der Untersuchung sprachpolitische Schlüsse herausgearbeitet.

Die Worterklärungsaufgaben wurden mit drei Jungen und drei Mädchen durchgeführt, die zwischen zehn und zwölf Jahre alt waren. Diese sechs Grundschulkinder sind die türkischen Immigranteninder, d.h. sie sind bilingual aufgewachsen und können dementsprechend türkisch und deutsch. In der Untersuchung wurden sie gebeten die Wörter sowohl auf Türkisch als auch auf Deutsch zu erklären. Zu dieser Gruppe wurden die Worterklärungen von zwei weiteren Gruppen als Vergleichsgruppe hinzugezogen und untersucht. Dabei handelt es sich um die Worterklärungen von gleichaltrigen deutschen Kindern, die Deutsch als Erstsprache erlernt haben sowie von Kindern aus der Türkei, die Türkisch als Erstsprache erworben haben. Bei der Untersuchung sollten fünf abstrakte Wörter nach ihrer Bedeutung erklärt werden. Abstrakt sind sie deshalb, weil sie nicht berührbar sind, sondern umfassende Verhältnisse und Handlungskomplexe darstellen. Die Wörter, die abgefragt wurden, sind „iş“/„Arbeit“, „arkadaş“/„Kollege“, „meslek“/„Beruf“, „kira“/„Miete“ und „savaş“/„Krieg“ (Rehbein 1982: 123f). Es sind Begriffe, die den Kindern in irgendeiner Art und Weise bekannt oder vertraut sind (aus dem eigenen Alltag, aus Medien, etc.).

Rehbein hat in seinen Untersuchungen drei wesentliche Bestimmungen festgelegt, bei der die Erklärungen unter dieser Basis zerlegt werden können. Die erste Bestimmung ist die Zweckbestimmung. Diese stellt den zentralen und wichtigsten „Kern der Erklärung“ dar (ebd.: 129). Diese Zweckbestimmung gibt den Sachverhalt an, den die Gesellschaft unter dem Wort versteht. Es kann wie eine Art „allgemeine Definition“ verstanden werden, die die Gesellschaft sprachlich für den Begriff nutzt. Darüber hinaus gibt die Zweckbestimmung an, welchen Nutzen der Begriff hat. Eine Abstraktionsleistung erbringen die Kinder dann, wenn sie ihr Wissen vom jeweiligen Konzept auf die allgemeine Zweckbestimmung hin organisieren können. Die zweite Bestimmung ist die konstitutive Bestimmung, bei der das Kind eigene Erfahrungen aus dem Alltag zu der Erklärung eines Wortes hinzuzieht. Hier können sowohl positive als auch negative Erfahrungen einfließen. Auch können um den Kern herum weitere Zusatzbestimmungen bei einer Erklärung auftauchen. Diese Zusatzbestimmungen allein reichen für eine Worterklärung nicht aus, sind jedoch ein Nachweis dafür, dass ein Aufbau des Konzepts vorhanden ist. Nach Rehbein ist eine Worterklärung dann gut gelungen, wenn die Bedeutung eines Wortes zerlegt und unter der Zusatzbestimmung vom Erklärenden geordnet wird.

Rehbeins Untersuchungen haben gezeigt, dass kein Migrantenkind, welches bilingual aufgewachsen ist, in einer oder in beiden Sprachen alle fünf Begriffe mit ihren Konzepten in die Bestimmungen zerlegen konnte. Dagegen konnte die Vergleichsgruppe, d.h. die deutschen Kinder sowie die türkischen Kinder aus der Türkei, in ihrer einzigen Erstsprache „fast ausnahmslos alle fünf Konzepte in der sententiösen und/oder konditionalen Form bringen“ (Rehbein 1982: 151). Es konnte festgestellt werden, dass die Kinder aus der Versuchsgruppe, bis auf eine Ausnahme, in der türkischen Sprache die Konzepte realisieren konnten, in der deutschen Sprache jedoch eher weniger. Dies bedeutet, dass bilingualen Kindern nicht das gesamte Konzept der Begriffe fehlt, sondern, dass lediglich ein Mangel des Wortschatzes zur Versprachlichung der Dinge vorliegt. Für die Sprachpädagogik hält Rehbein damit fest, dass man zum Fördern der ganzen Konzeptualisierung an den teilweise vorhandenen Konzepten anknüpfen müsse. In diesem Fall heißt es also, dass die türkische Sprache bei Migrantenkindern gefördert werden soll, weil diese die Sprache ist, in der die Kinder die Konzepte ansatzweise verfügen. Durch die zur Untersuchung hinzugezogene Vergleichsgruppe der türkischen Kinder aus der Türkei, konnte festgestellt werden, dass bei den bilingualen Kindern eine „mangelnde Praxis zweckvollen sprachlichen Handelns“ vorliegt (ebd.: 155). Diese verursacht, dass sie bei Worterklärungen die Konzepte nicht in ihre Zweckbestimmung zerlegen können. Stattdessen nutzen sie beim Erklären Verkettungen von Beschreibungselementen, Beobachtungsfragmenten, Oberflächenbestandteile oder eigene Erfahrungen. Wenn die teilweise vorhandenen Konzepte bei den bilingualen Kindern im Türkischen nicht vollständig entwickelt werden, kann es dazu führen, dass die „Notstrategien“, die die Kinder beim Erklären nutzen, sich verfestigen oder sogar, dass der Auf- und Ausbau der Konzepte anhält. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass bilinguale Migrantenkinder auch insbesondere in ihrer Herkunftssprache gefördert werden, damit ihnen in Zukunft bestimmte sprachliche Gefahren nicht drohen.

2.2 Erklären als diskursive Einheit

„Erklärungen bestehen in der Regel aus mehreren Äußerungen bzw. Sätzen […], sie lassen sich als „Diskurseinheiten“ verstehen […]“ (Beals 1993, Quasthoff/Hartmann 1982, Hohenstein 2006: 11, zit. nach Morek 2012: 28). Insgesamt wird zwischen drei Formen von Erklärungen unterschieden. Dabei gibt es das „ERKLÄREN-WAS“, also Beschreibungen (Deskription), das „ERKLÄREN-WIE“, welches Anleitungen (Instruktion) darstellt und das „ERKLÄREN-WARUM“, also Erklärungen (Explikation) (Morek 2012: 27; Schmidt-Thieme 2014: 1075). Beim „ERKLÄREN-WAS“ kann die Lehrkraft bspw. einen Begriff, dessen Bedeutung die Schüler nicht kennen, im Unterricht erklären. „ERKLÄREN-WIE“ stellt das Erklären von einer Handlung in einer bestimmten Reihenfolge dar, damit ein Ziel erreicht werden kann. Durch das „ERKLÄREN-WARUM“ kann die Entstehung von Sachverhalten geklärt werden (vgl. Schmidt-Thieme 2014: 1075).

Erklärungen werden somit auch durch die Fragewörter „was“, „wie“ oder „warum“ ausgelöst und haben gleichzeitig eine situativ kommunikative Relevanz (vgl. Morek 2011: 214, 216). Demnach liegt eine Wissensasymmetrie zwischen den Beteiligten der Interaktion vor (vgl. ebd.: 215). So stellt der „nicht-Wissender“ den Erklärrezipienten dar und der „Wissender“ den primären Sprecher, der den globalen Zugzwang, d.h. in diesem Fall die Aufforderung zum Erklären erhält und erkennen muss (vgl. Morek 2012: 40; Morek 2011: 216). Dabei sollte sich die Interaktion durch Ko-Konstruiertheit kennzeichnen. Dies ist die aktive Teilhabe der Interaktanten um gemeinsam den kommunikativen Erfolg zu erzielen. Dabei helfen Rezeptionssignale, Reformulierungen sowie klärende Nachfragen von Seiten des Erklärrezipienten (vgl. ebd.).

„Solche Diskurseinheiten fallen im Gespräch nicht vom Himmel […], sondern erfordern von den Beteiligten eine gesprächsorganisatorische Vor- und Nachbereitung wie auch eine bestimmte Art des Vollzugs“ (Morek/Heller/Quasthoff 2017: 18). Demnach gibt es drei Beschreibungsebenen, die beim Erklären beachtet werden sollen und auch danach analysiert werden können. Das Beschreibungsmodell „GLOBE“ geht auf die Ebene der Jobs, Mittel und Formen ein. Auf Ebene der Jobs wird die im Diskurs gemeinsam hergestellte Struktur beschrieben. Diese teilen sich wiederum in fünf einzelne Jobs auf. Dabei geht es um das „Darstellen von Inhaltsrelevanz, Konstituieren eines Explanandums, d.h. eines Erklärgegenstandes, Durchführung der eigentlichen Erklärung als Explanans, Abschließen, Überleiten“ (ebd.: 21). Beim „Darstellen von Inhaltrelevanz“ soll der Gesprächsgegenstand hergestellt werden. Das „Konstituieren eines Explanandums“ macht deutlich, dass der Bedarf zum Erklären vorliegt. Die „Durchführung der Erklärung“ stellt die Kernaufgabe dar, denn bei diesem Job kommt es zur eigentlichen Erklärung. Beim „Abschließen“ und „Überleiten“ wird die Erklärung gemeinsam beendet und in den eigentlichen Gesprächsdialog übergeleitet. Dies wird auch als „turn-by-turn-talk“ bezeichnet (vgl. Morek 2012: 63/89). Auf Ebene der Mittel werden in Diskursen die handlungsorientierten Züge zwischen dem Erklärrezipient und dem Erklärenden sowie auch der Aufbau des Inhaltlichen untersucht. Die Ebene der Formen stellt die sprachlich formalen Mittel dar, die die Interaktanten in ihren jeweiligen Zügen nutzen (vgl. Morek/Heller/Quasthoff 2017: 20). Charakteristisch für Erklärungen sind bspw. Kausalsätze, wenn-dann-Konstruktionen, so dass-Konstruktionen, bestimmte Präpositionen, wie „durch/mit/wegen“, Nebensatzkonstruktionen oder Modalverben. Erklärungen beinhalten auch Zweckbestimmungen oder zielgerichtete Wirkungszusammenhänge. Dabei werden typische Ausdrucksformen, wie z. B. „man“ zur Generalisierung oder unspezifische Begriffe zur Verallgemeinerung, genutzt (vgl. Morek 2012: 29).

Jedoch ist es wichtig zu wissen, dass nicht in jeder Erklärung alle Jobs, Mittel und Formen Kriterien gerecht ausgeführt werden. Dadurch gibt es immer wieder Unterschiede in den Diskurseinheiten der Erklärenden. „Kompetenzunterschiede zwischen Kindern lassen sich bspw. an dem Ausmaß ihrer Anteile in der Abwicklung der Jobs sowie an der Art ihrer Mittel und Formen festmachen […]“ (Morek/Heller/Quasthoff 2017: 20). So wird in dieser Arbeit auf Basis der Jobs, Mittel und Formen die Erklärkompetenz von Kindern mit DaM und DaZ analysiert.

3. Exemplarische Untersuchung von Spielerklärungen

Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit empirischen Daten sowie der Analyse dieser. Dabei handelt es sich um die Spielerklärungen von zwei Kindern, die transkribiert worden sind.

3.1 Vorgehen und Durchführung

Die Untersuchung der Erklärkompetenz von Kindern mit DaM und DaZ wurde anhand von Spielerklärungen durchgeführt. Insbesondere wurde darauf Wert gelegt, dass der Kontext und die allgemeinen Rahmenbedingungen für beide Kinder, die an der Untersuchung teilgenommen haben, die ähnlichen sind. So wurden bspw. zwei Mädchen gewählt, die zwar nicht zur selben Schule gehen, jedoch beide die dritte Klasse besuchen und 9 Jahre alt sind. Der große Unterschied, der auch für die Untersuchung die bedeutende Rolle spielt, ist der Spracherwerbskontext der Kinder. Während Hanna (Deckname) die deutsche Sprache seit der Geburt im Elternhaus erworben hat (DaM), hat Leyla (Deckname) zunächst nur Türkisch gelernt und etwa ab dreieinhalb Jahren im Kindergarten die deutsche Sprache als Zweitsprache dazugelernt (DaZ). Heute kann sich Leyla auf beiden Sprachen verständigen.

Beide Schüler wurden gebeten in der Pause der Nachhilfestunde das Brettspiel „Mensch ärgere Dich nicht“ zu erklären. Dabei waren beide darüber informiert, dass ihre Stimmen beim Erklären per Audio aufgenommen werden. Zusätzlich wurde ihnen vor der Spielerklärung das Spielbrett einmal vorgezeigt. So hatten sie während des Erklärens eine bessere Möglichkeit sich das Spielbrett kognitiv vorzustellen. Die Untersuchung wurde getrennt an unterschiedlichen Tagen durchgeführt, sodass die Kinder sich gegenseitig nicht beeinflussen konnten. Ein weiterer Faktor ist gewesen, dass beide Schüler keine Zeitbegrenzung beim Erklären hatten. Die per Audio aufgenommenen Spielerklärungen wurden im Anschluss transkribiert. Die weitere Analyse stützt sich auf diese Transkripte, die im Anhang vorzufinden sind.

3.2 Analyse der Transkripte

Zunächst soll die Spielerklärung von Hanna anhand des Analysemodells „GLOBE“ untersucht werden. Da es sich um eine Instruktion bzw. Anleitung handelt, kann diese Erklärung unter dem Erklärtyp „ERKLÄRUNG-WIE“ geordnet werden (vgl. Schmidt-Thieme 2014: 1075). Wird nun das Transkript näher betrachtet, fällt auf, dass Hanna die primäre Sprecherrolle einnimmt und der Nachhilfelehrerin, also dem Erklärrezipient, das Spiel erklärt. So hat Hanna auch insgesamt in der Interaktion das längere Rederecht. Dadurch, dass bei dieser Untersuchung die Spielerklärung selbst die wichtige Rolle spielt, wurde das zu erklärende Spiel durch die Nachhilfelehrerin vorgegeben, weshalb in diesem Fall keine reale Wissensasymmetrie vorliegt. So gibt es auch auf Ebene der Jobs keinen Gesprächsgegenstand sowie keine „Darstellung von Inhaltsrelevanz“ (Morek/Heller/Quasthoff 2017: 21). Der Erklärbedarf und somit auch das „Konstituieren eines Explanandums“ liegt am Anfang von Transkript I (T. I.) vor (ebd.; vgl. T.I. Z. 001). Hier liegt ein lokaler Zugzwang vor, den Hanna erkennt und als Erklärgegenstand annimmt (vgl. T. I. Z. 002f.). Der Kern der Erklärung, d. h. die Durchführung, folgt gleich danach und zieht sich im Vergleich zu anderen Jobs am längsten (vgl ebd.: 003-083). Darüber hinaus stellt der Erklärrezipient weitere Fragen, die von Hanna beantwortet werden (vgl. ebd. Z. 084-097). Die Spielerklärung wird endgültig in durch die Nachhilfelehrerin abgeschlossen, indem sie eine Rückmeldung dazu gibt, dass sie das Spiel verstanden hat (vgl. ebd. Z. 098). Ein konkretes „Überleiten“ in den „turn-by-turn-talk“ ist in diesem Fall nicht vorzufinden (Morek 2012: 89.).

Auf Ebene der Mittel lässt sich feststellen, dass Hanna zunächst allgemeine Informationen darüber angibt, womit das Spiel „Mensch ärgere Dich nicht“ gespielt bzw. was für das Spiel benötigt wird (vgl. T. I. Z. 003-012). Sie erklärt die Abfolge des Spiels in der Reihenfolge, wie es auch gespielt wird. Dabei gibt Hanna auch Beispielbegriffe, wie das „Gefängnis“, an, die sie zum Erklären des Spiels verwendet (vgl. ebd. Z. 014/017). Sie erklärt also, wie man vom „Gefängnis“ auf das „Startfeld“ gelangt (vgl. ebd. Z. 015-033). An einem konkreten Beispiel gibt Hanna an, bei welchen Würfelzahlen die Spielfiguren aus dem „Gefängnis“ kommen und wie viele „Plättchen“ die Figuren weitergehen dürfen (vgl. ebd. Z. 028-034). Dann möchte sie erklären, was das Ziel des Spiels ist. Dabei erwähnt Hanna, dass „in dem Kreuz mitten drinne“ etwas ist, driftet dann jedoch vom Thema ab und geht auf die verschiedenen Farben im Spiel ein und erklärt noch einmal, wie die Spielfiguren vom „Gefängnis“ auf das Spielfeld gelangen (ebd. Z. 039-054). Als nonverbales Mittel nutzt sie zur Demonstration der Spielfiguren Stifte. Sie zeigt mit ihnen, wie die Figuren im Spiel laufen (vgl. ebd. Z. 051). Im weiteren Verlauf erklärt sie eine Spielregel an einem konkreten Beispiel, das sie auf sich selbst bezieht (vgl. T. I. Z. 058-061). Bisher hat der Erklärrezipient immer wieder Rezeptionssignale, wie z. B. „hm_hm“, „ja“, „okay“, gegeben (vgl. ebd. Z. 005/019/035). An dieser Stelle kommt nun zum ersten Mal eine Reformulierung der Spielregel von Seiten der Nachhilfelehrerin, um sicher zu stellen, dass die Regel verstanden worden ist (vgl. ebd. Z. 062-066). Die Erklärung setzt sich dann fort, in dem Hanna erneut durch Erwähnung der Wörter „Kreuz rein mitten drinne“ das Ziel des Spiels erklärt (vgl. ebd. Z. 071-080). Auch diesen Teil der Erklärung reformuliert der Erklärrezipient (vgl. ebd. Z. 081). Zum Schluss stellt die Nachhilfelehrerin weitere Fragen zum Spiel, die Hanna auch beantwortet (vgl. ebd. 084-097). Abgeschlossen wird die Erklärung durch die Nachhilfelehrerin, die deutlich macht das Spiel sehr gut verstanden zu haben (vgl. ebd. Z. 098).

Auf Ebene der Formen ist lexikalisch auffällig, dass Hanna in ihrer Erklärung viele spielrelevante Begriffe verwendet. Dazu zählen die Nomen „Brett“, „Figuren/Spielfiguren“, „Laufspielfeld“, „Stabfeld“, „Startfeld“ und „Runde“ (ebd. Z. 003/006/051/009/012/033/039). Sie nutzt außerdem häufig Modalverben, wie z. B. „müssen“, „dürfen“ und „können“ (ebd. Z. 010/022/091). Diese sind typische Merkmale für prozedurale Erklärungen (vgl. Morek 2012: 29). Syntaktisch ist festzustellen, dass der Erklärende einmal eine „wenn-dann-Konstruktion“ nutzt, um einen Ablauf zu versprachlichen (vgl. T. I. Z. 036-038). Darüber hinaus werden keine weiteren Konstruktionen dieser Art verwendet. Stattdessen nutzt Hanna in ihrer Spielerklärung oft das Adverb „dann“ als Hilfe für die Verdeutlichung des Spielablaufs (vgl. ebd. Z. 016/018/026/034/054). Beim Erklären des Ziels verwendet Hanna einen Relativsatz, indem sie sagt: „[…] und der, der am meisten voll hat, […] hat gewonnen“ (ebd. Z. 078f.). Die Generalisierungsform „man“, die beim Erklären charakteristisch ist, nutzt Hanna einige Male in ihrer Erklärung (vgl. ebd. Z. 003/014/091/093). Zum Schluss fängt sie ebenfalls eine Satzkonstruktion mit „man“ an, die sie dann jedoch umformt, um ihn anders zu beginnen (vgl. ebd. Z. 090). Statt die Generalisierungsform „man“ verwendet Hanna viel häufiger das Pronomen „du“ und „ich“ (ebd. Z. 007/033). Sie gibt auch Beispiele an, die sie auf sich selbst bezieht und somit mit dem Pronomen „ich“ einleitet (ebd. 028ff.). Mit Ausnahme wird ein ständiger Wechsel zwischen „du“ und „ich“ deutlich. An einer Stelle bezieht Hanna auch beim Erklären die dritte Person und erwähnt somit das Pronomen „er“ (ebd. Z. 058/059/062).

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Erklärkompetenz im Kindesalter. Eine vergleichende Untersuchung von Schülerinnen mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
2,0
Jahr
2019
Seiten
24
Katalognummer
V1130233
ISBN (eBook)
9783346493477
ISBN (Buch)
9783346493484
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sprachdidaktik, Erklärkompetenz, DaZ, ErklärenimKindesalter, DeutschalsZweitsprache
Arbeit zitieren
Anonym, 2019, Erklärkompetenz im Kindesalter. Eine vergleichende Untersuchung von Schülerinnen mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1130233

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