Vom Kaiser zum Führer - Deutschsprachige Nationalismusdiskurse in Buenos Aires 1918-1933


Thesis (M.A.), 2006

154 Pages, Grade: 1,5


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Deutsche Immigration nach Argentinien
a) Einwanderung und Bevölkerungsentwicklung
b) Deutsche Einwanderung
c) Einwanderungszahlen
d) Etappen jüdischer Einwanderung

3. Rechtskonservative Gemeinschaftsbildung der Deutschsprachigen in Buenos Aires
3.1 Aspekte soziökonomischer Transformation der deutschsprachigen Gemeinschaft in Buenos Aires bis zum Ende des ersten Weltkrieges
a) Sozioökonomische Transformation der deutschsprachigen Gemeinschaft vor dem ersten Weltkrieg
b) Aspekte der sozialen Entwicklung ab 1914
3.2 Antiliberales Denken und (rechts-)konservative Gemeinschaftsbildung in Buenos Aires
a) Antiliberales und antidemokratischen Denken in Deutschland und Argentinien
b) Die positive Integration des völkischen Diskurses
.1 Struktur des völkischen Integrationsdiskurses
.2 Brückenbegriff im ideologischen Kampf um Gemeinschaft: Der Heimatdiskurs
3.3 Richtungsstreit und politische Polarisierung zu Beginn der Weimarer Republik .
a) Die Wahrnehmung von Kriegsende und Versailles bei den Deutschsprachigen in Buenos Aires
b) Politische Polarisierung: Die Auseinandersetzungen der Deutschsprachigen in Buenos Aires nach dem Ende des Ersten Weltkrieges
c) Der Beginn der Weimarer Republik: Keiper vs. Alemann, der Streit zwischen
„Reichsdeutschen“ und „Volkdeutschen“
3.4 Deutsche Farben, deutsche Flaggen: Die konservative deutschsprachige Kolonie in Buenos Aires und ihre politische Symbolik
a) Politische Symbolik als Auseinandersetzungsfeld zu Beginn der Weimarer Republik
b) Identifikationsprobleme und offene Ablehnung: die politische Symbolik der Weimarer Republik und die deutschsprachige Gemeinschaft in Buenos Aires
c) Antirepublikanische Propaganda und nationale Feiertage in Buenos Aires
d) Zwischen politischer Parteinahme und Vermittlung: Die Rolle der Deutschen Gesandtschaft in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre
e) Zusammenfassung: Die Klaglose Neuorganisation politischer Symbolik – der Übergang zur Regierung Hitler

4. Das Organ der deutschnationalistischen Mehrheit: Die Deutsche La Plata Zeitung (DLPZ)
4.1 Aufbau und Rolle der DLPZ
4.2 Die DLPZ als Propagandaorgan in Argentinien
4.3 Aspekte der politischen Ökonomie der DLPZ während der Weimarer Republik
4.3.1 Etappen der Annährung: Der zentrale Begriff der ‚nationalen Einheit’ in der DLPZ
4.3.2 Die Feinde: Gegenspieler des völkischen Diskurses
a) Frankreich
b) Sozialdemokraten
c) Sozialismus/Kommunismus
d) Weltkrise, Wirtschaftskrise
4.3.3) Hinwendung zur völkischen Bewegung: Schicksal und Geschichte
a) 1930: Zustimmung zur autoritären Regierung, Entdeckung der nationalsozialistischen Bewegung
b) Das antirationale Lebensgefühl: Die schicksalsschwere Zeit
c) Reichsgründungsfeiern 1930-1932: Geschichte kulturelle Überlegenheit
4.3.4 Aspekte eines völkischen Integrationsdiskurses in der DLPZ
a) Heroismus
b) DLPZ und der Nationalsozialismus
c) DLPZ und Rassismus/Antisemitismus
d) Die DLPZ als NS-Propagandaorgan: Emil Tjarks und „die Judenbehandlung im neuen Deutschland“
4.4 Zusammenfassung: Die Politik der DLPZ

5. Ausblick: Gemeinsamkeit und Differenz

6. Quellen und Literatur
6.1 Quellen
a) ungedruckte Quellen
b) gedruckte Quellen
6.2 Literatur

a) Literatur bis 1945

b) Literatur nach 1945

1. Einleitung

a) Arbeitshypothese

Die Frage nach dem Aufstieg des Nationalsozialismus bis zum 30. Januar 1933 ist noch immer Gegenstand von ergiebigen Forschungsdiskussionen. Neben Darstellungen, mit denen zuletzt etwa Hans-Ulrich Wehler auf den „charismatischen Führertypus“ und die enge, medial konstruierte Bindung Hitlers zur Mehrheit der Deutschen abhob, stehen Erkenntnisse über die Annäherungsprozesse des konservativen Bürgertums zur NSDAP und deren Führungspersonal.[1] Insbesondere diese, nur lose mit den ökonomischen Krisen der Weimarer Republik verkoppelten politischen Annäherungen, die Peter Fritsche herausgearbeitet hat, zeichnen das Verhältnis eines konservativen und zum Teil noch ständisch geprägten Bürgertums als komplexes Ineinandergreifen von politischer Kultur, Machtansprüchen und ökonomischen Entwicklungen.[2] Diese Forschungsdiskussionen beziehen sich dabei auf die Vorgänge in Deutschland und Europa.

Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit ist dagegen die politische Kultur der Deutschsprachigen – ausgewanderte und sesshaft gewordene Deutsche, Österreicher, Schweizer – in Buenos Aires während der Weimarer Republik. Die „deutsche Kolonie“ oder „deutsche Gemeinschaft“ wies nach dem Ersten Weltkrieg in Buenos Aires sehr eng geschlossene Reihen einer im wesentlichen durch die Sprache organisierten Gemeinschaft auf.[3] Zumindest bis 1933 galten das deutsche Idiom, sowie die Abstammung von Deutschsprechenden als Voraussetzung für den Einbezug in diesen Gemeinschaftsbegriff, der erst mit dem Nationalsozialismus und der Markierung der Differenz in der Gegengestalt des Juden sein Ende fand. Der Titel „vom Kaiser zum Führer“ bedeutet dabei nicht mehr als den Versuch Kontinuitätslinien und Zäsuren innerhalb eines Prozesses nachzuvollziehen, der sich durch die ausgesprochene Antihaltung gegen Republik und Parlament und für eine starke, autoritäre Führung artikulierte.

Ausgangspunkt der Überlegungen dieser Arbeit war eben dieser Punkt: die auf spezifischen Ideologien beruhenden, strukturellen Umformierungen einer sich kulturell verstehenden Gruppierung. Dabei will die Arbeit über die bloße Feststellung, dass die Deutschsprachigen in Buenos Aires die Nationalsozialisten mit weit geöffneten Armen und großer Einmütigkeit empfangen hätten[4], hinausgehen bzw. versucht, diesen Prozess genauer zu ergründen. Damit rücken die Bedingungen der Möglichkeiten des Nationalsozialismus in einem spezifischen Kontext, nämlich weit entfernt von Deutschland, in den Blick.

Fritz Stern hat schon in den 1960er Jahren darauf hingewiesen, dass kulturelle Unzufriedenheit, die Sehnsucht nach dem >starken Mann< und nationalistische Hoffnungen bereits vor dem Ersten Weltkrieg in den politischen Einstellungen vieler Deutscher eine dominierende Rolle spielten – und nach 1918 Ursache für die Bekämpfung der Weimarer Republik wurden. Der Antimodernismus der >konservativen Revolution< der 1920er Jahre konnte so einerseits wegen der nur kurzen parlamentarischen Tradition, andererseits und insbesondere vermittels des lang empfundenen Unbehagens vor den „alles Idyllische zerstörenden Kräfte“ der industriellen Moderne (Karl Marx) und der Unmittelbarkeit des Aufeinandertreffens zwischen Proletariern und Aristokraten weithin Fuß fassen.[5]

Die vorliegende Forschungsarbeit möchte ergründen, wie sich in den 1920er Jahren die politische Haltung und ihre Ausdrucksformen unter Deutschsprachigen, die weit von der „Heimat“ entfernt wohnten, entwickelte. Um der Frage nach der Sicht aus Argentinien auf die Wahlen der NSDAP zur stärksten Fraktion im Reichstag und Adolf Hitlers zum Reichskanzler näher zu kommen, bieten sich unterschiedliche Ansätze an, die in der vorliegenden Arbeit zusammengeführt werden sollen. Nach einem Überblick über die Struktur der deutschsprachigen Einwanderung sowie ihrer sozialgeschichtlichen Rahmen-Entwicklung soll eine Bewertung der politischen Stimmung in Buenos Aires vorgenommen werden. Für eine solche notwendigerweise grob gerasterte Analyse werden die Streitigkeiten um offizielle Feiertage und Beflaggung zum Großteil aus den Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes rekonstruiert. Der Mehrwert einer solchen Analyse zielt darauf ab, politische Mehrheits- und Minderheitspositionen in Bezug auf die politische Symbolik der Weimarer Republik zu erkennen und darzustellen. Kurz gesagt steht am Anfang die Vermutung, dass durch die Auseinandersetzungen über politische Symboliken der Weimarer Republik auch Aussagen hinsichtlich der Loyalität zur politisch aufgeladenen Konstruktion eines Begriffs von „Heimat“ getroffen werden können.

In diesem Zusammenhang verwende ich die Begriffe des >Konservatismus< und des >Völkischen<. Den letzteren Terminus entlehne ich von Fritz Stern, der sich auf die Kontinuität eines völkischen Projekts des 19. Jahrhunderts in Teilen der publizistischen Kreise der Weimarer Republik bezieht. Damit steht >völkisch< für die „Wiederbelebung eines mystischen Deutschtums und [die] Schaffung von politischen Institutionen [...], die diese deutsche Eigenart verkörpern und wahren sollten, [...] eine Verquickung von Kulturpessimismus und mystischem Nationalismus [...].“[6] >Konservativ< meint eine politische Ortsbestimmung des Bürgertums im Sinne des bewahrenden, traditionalistisch-obrigkeitsorientierten Denkens. Die begriffliche Differenz zur ständisch-aristokratischen Haltung der >Reaktion<, die ihr Erschrecken vor der Moderne und den politischen Entwicklungen im Zuge der Revolution von 1848 ausprägte, soll dabei gewahrt bleiben.[7]

Der zweite Teil der Arbeit zieht hauptsächlich die Deutsche La Plata Zeitung (DLPZ), die größte deutschsprachige Tageszeitung Südamerikas als Quellenstamm heran. Schon im ersten Teil wird die Kommentierung und Berichterstattung der DLPZ eine Rolle spielen. Im zweiten Abschnitt sollen dann Untersuchungen von Aussagen der Zeitung einen Überblick über das Verhalten des konservativen Bürgertums zum NS liefern. Interessanterweise besteht in Buenos Aires der Gegensatz zwischen Adel und Proletariat nicht in der von Fritz Stern in Deutschland wahrgenommenen Weise, vielmehr bildete hier das Bürgertum den Opponenten zur Arbeiterschaft. Das Sprachrohr des Bürgertums, die DLPZ , soll Auskunft über die Haltung gegenüber der NSDAP geben. Dabei bilden, um die Arbeit nicht über Gebühr auszudehnen, die Jahre 1929-1933 den Focus dieses Teils. In den Jahren nach der „Zersetzung der historischen großen Rechtsparteien“[8] scheint grade das Verhalten eines bürgerlich- konservativen Organs interessant.

Die grundlegende Haltung der Arbeit besteht in der analysierenden Beschreibung der Vorgänge im Rahmen der umrissenen beiden Schritte. Im Kern fragt sie, wieso die Nationalsozialisten, auch wenn sie organisatorisch offensichtlich nicht annähernd den gleichen Stellenwert unter den Deutschsprachigen in Buenos Aires hatten wie in der europäischen „Heimat“, nach dem 30. Januar 1933 so problemlos anschlussfähig an die Strukturen innerhalb der deutschsprachigen Kolonie waren. Dabei stellt die vorliegende Untersuchung von einer der diskursanalytisch geprägten Arbeitshypothese aus fest, dass die politischen Vorstellungen und Ziele der NSDAP in Buenos Aires trotz geringer politischer Bedeutung der Organisation den Gegensatz zu den Semantiken einer führenden konservativ-nationalistischen Haltung zunehmend verringerten.

b) Forschungsstand

Die historische Forschung hat die im Ausland lebenden Deutschen und Deutschstämmigen während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus sowohl als eigenständiges Phänomen im jeweiligen Länderkomplex als auch im sozio- politischen Bezug auf die „Heimat“ bereits seit dem Ende des Ersten Weltkrieges zum Gegenstand ihrer Untersuchungen gemacht. Bis 1945 – und in ihrem sprachlichen und methodischen Gehalt bisweilen deutlich darüber hinaus – hatte sich eine unter völkischen Bemühungen entstandene, interdisziplinäre Wissenschaft um ein „Deutschtum“ außerhalb der Reichsgrenzen bemüht.[9]

Mit der institutionellen und intellektuellen Neuorganisation der historischen Wissenschaften in beiden deutschen Ländern geriet die „Deutschtumsforschung“, insbesondere jene mit Blick auf außereuropäische Gebiete, verständlicherweise in den Hintergrund. Über Jahrzehnte entstanden eine überschaubare Anzahl von Arbeiten zur NSDAP und zur deutsch-stämmigen Bevölkerungsteilen im südamerikanischen Ausland. Erst mit dem Fokus auf Exil und Emigration geriet zum Ende der 1980er Jahre auch Südamerika wieder stärker in das Blickfeld der Geschichtswissenschaften.[10] Bezogen auf den amerikanischen Kontinent waren in der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft bis 1989 einzelne Arbeiten über jüdisches Exil oder politische Emigration ab 1933 entstanden. Dabei konzentrierten sich Untersuchungen zu Exil und politische Emigration zunächst auf Darstellungen der Zusammenhänge in den USA – hierher war die Mehrzahl der deutschen Übersee- Flüchtlinge gelangt. Aus Südamerika fanden insbesondere die Arbeiten zu Identität und Zugehörigkeit von Juden in einzelnen lateinamerikanischen Staaten zum Ende der 1980er Jahre Aufmerksamkeit in der westdeutschen Geschichtswissenschaft.[11] Bis dato hatten einzelne Arbeiten über wirtschaftspolitische Verbindungen vor und während des Nationalsozialismus[12] oder Arbeiten von ehemaligen nationalsozialistischen Funktionären[13] relativ isoliert in der Forschungslandschaft gestanden.

Als grundlegende Arbeit für Argentinien gilt mit Recht die bereits klassische Darstellung zu Flucht, Einwanderung und Integration von Carola Jakisch.[14] Insgesamt fällt jedoch auf, dass die bis in das frühe 19. Jahrhundert zurückgehende deutschsprachige Einwanderung – abgesehen von wenigen Aufsätzen[15] - noch nicht systematisch erfasst ist. Dabei liefert die Geschichte der Juden in Lateinamerika, wie sie etwa von der US- Amerikanerin Judith Laikin Elkin bereits 1980 erarbeitet wurde, eine entsprechende Vorlage.[16]

Kaum überraschend kümmert sich ein Großteil der Forschungsarbeiten allerdings bis zur Stunde um die Auswirkungen des Nationalsozialismus in und auf Lateinamerika. Westdeutsche Untersuchungen bearbeiteten wirtschaftspolitische Verbindungen während des NS und die klandestine Einwanderung von Nationalsozialisten in die verschiedenen Länder Lateinamerikas nach 1945.[17] Die DDR-Geschichtsschreibung sah die Deutschsprachigen in Lateinamerika pauschal als eine Art „fünfte Kolonie“ des Nationalsozialismus bzw. untersuchte die Versuche der Steuerung der Deutschsprachigen durch deutsche Politiker und Institutionen vor 1933 immer schon im Licht von Expansionsstrategien des Kapitals oder, logisch daran anknüpfend, des NS.[18]

In Lateinamerika richtete sich das Gros der Aufmerksamkeit auf die so genannten ABC-Staaten, mit denen Argentinien, Brasilien und Chile gemeint sind – sie hatten die meisten deutschsprachigen Einwanderer aufgenommen. In diesen Staaten lebten die meisten deutschsprachigen Einwanderer vor 1933, sie bildeten die wirtschaftlich und kulturell wichtigsten Blöcke Südamerikas.

Der in der hier vorgelegten Arbeit betrachtete Untersuchungszeitraum zwischen 1918 und 1933 wurde für den lateinamerikanischen Kontext weitgehend als Vestibül des Nationalsozialismus behandelt. In der argentinischen Geschichtswissenschaft entwickelten Historiker zwar oftmals anders gestaltete Schwerpunkte, allerdings macht eine Sicht auf die Deutschsprachigen etwa in Buenos Aires mit den epochenabgrenzenden Einschnitten von 1918 und 1933 durchaus Sinn. Gleichwohl kann die Weimarer Republik auch hier nicht einfach zur Vorstufe auf den NS reduziert werden – ein Gedankengang, der erst in der jüngeren deutschen Geschichtswissenschaft Thema von Auseinandersetzungen ist.[19]

Neben den Arbeiten Deutschsprachiger aus Argentinien[20] liegt zur politischen Geschichte der Deutschen in Argentinien im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts bereits seit 1977 ein ebenfalls klassisch zu nennendes Werk vor. Der US-Amerikaner Ronald C. Newton[21] kann als einer der besten Kenner der deutschsprachigen Kolonie in Argentinien genannt werden. Allerdings hielt sich bis in die 1990er Jahre im Bezug auf den NS auch in der deutschsprachigen Forschung seine etwas vereinfachende Position, nachdem die größte urbane deutschsprachige Gruppe Lateinamerikas sehr begeistert und beinahe einmütig den Nationalsozialismus begrüßt habe.[22]

Erst in den 1990er Jahren häufen sich Arbeiten, die einen spezifischen Zugang zur deutschsprachigen Kolonie entwickeln. Über den Nationalsozialismus in den ABC- Staaten hat Jürgen Müller die bislang gründlichste Forschungsarbeit verfasst, die noch eine Dekade später maßgebend ist.[23] Dieses hat für die Zeit der Weimarer Republik Stefan Rinke mit seiner sehr detaillierten Dissertation ebenfalls erreicht.[24] Bei beiden Arbeiten handelt es sich um Überblicksdarstellungen, die Entwicklungen und Zusammenhänge insgesamt für den Zeitraum vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des NS erarbeiten. Beide Arbeiten haben eine Fülle an Quellen untersucht, zueinander in Verhältnis gesetzt und einschlägige Forschungsarbeiten zu Rate gezogen. Eine entscheidende Ergänzung dazu liefert Daniel Lvovich mit seiner Arbeit zur Entwicklung des Antisemitismus und Nationalismus in Argentinien.[25] Auf der Basis dieser Forschungsergebnisse, die veranschaulichen, wie das Projekt eines im wesentlichen katholisch geprägten Nationalismus und ebensolchen Antisemitismus in den 1920er Jahren in Argentinien rasant an Zulauf gewann, eröffnet sich ein hinreichender Kontext für die Entwicklungen innerhalb der deutschsprachigen Kolonie.

Die hier vorgelegte Magisterarbeit baut deshalb neben Primärquellen auf den Arbeiten von Müller, Newton und Rinke auf – wobei sie einen wesentlich spezielleren Zugang zu Materie entwickelt. Dabei möchte die vorgelegte Arbeit die Forschungsdiskussion ergänzen und spezifizieren. Schließlich erklärt keine der vorliegenden Arbeiten zu genüge, warum zumindest ein Großteil der Programmatik des Nationalsozialismus bereits vor dem 30. Januar 1933 zur akzeptierten politischen Haltung auch unter der Mehrheit der Deutschsprachigen etwa in Buenos Aires geworden ist.

2. Deutsche Immigration nach Argentinien

a) Einwanderung und Bevölkerungsentwicklung

Argentinien war seit den 1870er Jahren ein Einwanderungsland par excellence, wie verschiedentlich festgestellt wurde.[26] Mit dem zum Sprichwort geronnenen Prinzip des gobernar es poblar – Regieren heißt Bevölkern – machten sich argentinische Regierungen seit der Annahme der Verfassung im Jahre 1852, bzw. nach Beendigung inner-argentinischer Auseinandersetzung um eben diese Verfassung und mit Ende des Krieges gegen Paraguay 1870, an die Förderung von Immigration als Ziel ihrer Politik.

Der politische Grundgedanke dahinter war eine Ausdehnung landwirtschaftlicher, aber auch industrieller Produktion. Die im wesentlichen unbesiedelten Landstriche sollten mit europäischen Einwanderern wirtschaftlich urbar gemacht und sozialkulturell entwickelt werden.[27] Der mittels Infrastruktur, Dekretierung und Gesetzgebung (wie etwa dem prominenten „Gesetz Nr. 817 zur Einwanderung und Kolonialisierung“ von 1876) geförderten Immigration verdankte Argentinien etwa 60% seines enormen Bevölkerungswachstums zwischen 1869 und 1929.[28]

Die rasche Bevölkerungszunahme Argentiniens begann Mitte des 19. Jahrhunderts. 1797 zählte das Land 310 628 Einwohner, 1837 war es 675 000 und 1860 deren 1,18 Millionen. Zu Beginn der Weimarer Republik verzeichnet der nationale Zensus bereits 9,0 Millionen Bewohner, in den 1930er Jahren wuchs die Bevölkerung auf über 11 Millionen. Im Jahr 1960 zählte das Land 20,1 Millionen Einwohner – eine Verzehnfachung im Verhältnis zu 1870.[29]

b) Deutsche Einwanderung

Wissenschaftliche Literatur, persönliche Schilderungen und populäre Darstellungen setzen den Beginn stärkerer deutscher Einwanderung – hier sind Einwanderer aller Konfessionen ohne eindeutige Differenzierung erfasst – ab Mitte des 19. Jahrhunderts an. Als erste deutsche Kolonie-Siedlung wurde die Siedlung Chacarita de los Colegiales am 21. März 1827 auf dem ehemaligen Gelände des Jesuitenordens eröffnet.[30] Von nun an entwickelte sich ein Gemeinschaftsleben, immer mehr Vereine und Institutionen beantworteten die immer stärkere Nachfrage nach Hilfestellung, Eingliederung und kultureller Verankerung von Immigranten bereits um die Mitte des19. Jahrhunderts. So gründeten deutschsprachige Einwanderer 1843 eine erste evangelische Kirche, legten einen protestantischen Friedhof an; deutsche Schulen entstanden (die erste bereits 1843), ein deutsches Krankenhaus wurde eingerichtet (1878). Genauso organisierten sie auch Kinderheime, trafen sich in Ruder- und Turnvereinen, sowie dem elitär konservativen Deutschen Klub (gegründet 1855). Um die Zeit der Gründung des deutschen Reiches konnten Deutschsprachige in Argentinien kulturelle, soziale und wirtschaftliche Bedürfnisse in einem weitgehend protestantischen Kontext erfüllen.[31]

In diesem Verdichtungs-Prozess der deutschsprachigen Gemeinschaft reproduzierte diese heterogene Sozialgruppe innerhalb der Vereine ein nach den Kriterien der alten Welt bemessenes System des sozialen Prestiges. Es zählte wesentlich der Status als Ergebnis von Abstammung sowie der vor Ort erwirtschaftete Erfolg. Dabei basierte gleichzeitig wirtschaftlicher und sozialer Erfolg in der überschaubaren Gemeinschaft der Deutschsprachigen in Argentinien zu einem sehr hohen Maße auf den Grundlagen des kulturellen Kapitals, also dem soziokulturellen Hintergrund in Europa.

c) Einwanderungszahlen

Anne Saint Saveur-Henn stellt bei ihrer Untersuchung der Zensuszahlen ein starkes Wachstum der deutschsprachigen Bevölkerung in Argentinien nach 1871 und über 1933 hinaus fest. Demnach stieg die Anzahl der Deutschen in Argentinien von unter 5000 „auf rund 45 000 Deutsche, bzw. 240 000 Deutschsprachige“, in der Zeit des NS gelang zusätzlich etwa 40 000 deutsch-jüdischen Emigranten und hundert politischen Exilanten die Flucht nach Argentinien.[32] Während des ersten Weltkrieges hatte der Prozess der Emigration aus Deutschland beinahe völlig ausgesetzt, und erst 1920 wanderten wieder Deutsche nach Lateinamerika ein. Tatsächlich sind diese Zahlen mittlerweile Konsens – allerdings finden sich kaum Angaben darüber, wie groß der Anteil der deutschsprachigen Juden innerhalb der Kolonie war.

Insgesamt divergieren die Schätzung über die Größe der deutschsprachigen Kolonie in Argentinien, da unterschiedliche Indikatoren diese Bevölkerungsgruppe umreißen. Verbunden mit demographischen Berechnungen vornehmlich von Ronald C. Newton[33], der Darstellung von Wilhelm Lütge et al. aus dem Jahr 1955[34] sowie den umfangreichen Zahlen von Carlota Jackisch, lassen sich folgende Verhältnisse für die argentinische Hauptstadt Buenos Aires im 19. Jahrhundert nachweisen:

Tabelle 1:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nach Ende des Ersten Weltkrieges stieg die Zahl der Einwanderer aus Europa stark an. Aufgrund der Tatsache unterschiedlicher und wechselnder Kriterien für die Registrierung von Einwanderern – so werden Schiffsreisende der ersten Klasse nicht durchgehend registriert, Reisende der unteren Klassen aber sehr genau – ist ein lückenloser Nachvollzug der Einwanderungsbewegung nicht zu erstellen. In der detailreichen Darstellung von Stefan Rinke[35] findet sich ein vergleichender Überblick, der auch den Kontext der Einwanderung nach Lateinamerika und generell nach Übersee – also den ganzen amerikanischen Kontinent – mit einbezieht:

Tabelle 2:

Deutsche Einwanderung nach Lateinamerika 1919-1932 (nach Reichsstatistik)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Aus: Rinke (1996), Lateinamerikapolitik, a.a.O., Band 1, S. 294.

Dennoch weisen auch diese Zahlen Randunschärfen auf: Oftmals gaben Auswanderer ihr Ziel nicht korrekt an, Reisende erster Klasse wurden zeitweilig ohne weitere Überprüfung ins Land gebeten. Außerdem wanderten Deutschsprachige, die zuvor in anderen Ländern gesiedelt hatten, nach Argentinien weiter, da hier der Lebensstandard höher war. Zuletzt war das Kriterium ‚Deutsch’ in Argentinien unter Umständen ungenau, da als Alemanes oft Einwanderer deutscher Sprache gewertet wurden und gelegentlich unter diesem Rubrum auch Österreicher, Schweizer, oder Luxemburger erfasst wurden.

Tabelle 3:

Einwanderung nach Argentinien, sowie Anteil der Deutschen 1919-1932 (argentinische Statistik)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Rinke (1996), Lateinamerikapolitik, a.a.O., S. 303[36]

Tabelle 4

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Saint Saveur-Henn (1995), Emigration Allemande, a.a.O., S. 302.

Deutschsprachige Einwanderer konzentrierten sich hauptsächlich in und um Buenos Aires, wie die Statistik von Heinrich Volberg zeigt. Hier war im Jahr 1937 ein politisch und kulturell einflussreicher Personenkreis entstanden.

Tabelle 5:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Volberg (1981), Auslandsdeutschtum und Drittes Reich, a.a.O., S. 16.

Eine frühere Siedlungsverteilung hat Carola Jackisch für das Jahr 1927 – also deutlich vor der Fluchtwelle vor dem NS – mittels Auswertung des argentinischen Zensus erarbeitet, wobei sie für das Kriterium der „Deutschen“ die jeweils festgestellte Nationalität angibt und sich dabei auf die argentinischen Behörden bezieht.

Tabelle 6:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nach: Jackisch (1989), Refugiados, a.a.O., S. 112.[37]

Saint Saveur-Henn klärt zudem die Berufsstruktur der nach Buenos Aires Einwandernden. Demnach waren etwa 20% Landwirte, während der Rest vor 1933 technische und Handelsberufe ausübte.[38]

Als Gründe für die Einwanderung nannten Einwanderer die positive argentinische Wirtschaftsentwicklung[39], die relative Liberalität und die restriktive Einwanderungspolitik der USA. Da Immigration oftmals im Sinne eines Netzwerkmechanismus funktioniert und Einwanderer so zumeist in Regionen und Städte geleitet werden, in denen sie sprachlich, kulturell und wirtschaftlich nicht völlig auf sich alleingestellt sind, folgte ein stetig wachsender Strom von Einwanderern dem frühen Aufbruch aus Deutschland.

Buenos Aires war die Kapitale eines durch europäische Einwanderung und rasche, vornehmlich landwirtschaftliche Entwicklung geprägten Landes. Argentinien war in einem für Lateinamerika überdurchschnittlich hohem Maß von europäischer Kultur charakterisiert. Damit wurde die soziokulturelle Fremdheitserfahrung für die Einwanderer abgemildert. Insbesondere Buenos Aires, das selbsternannte Paris Lateinamerikas, erschien vielen Einwanderern aus dem ersten Drittel des 20.

Jahrhunderts weniger befremdlich als beispielsweise La Paz, Bogota, oder das noch größere, aber ebenfalls stärker von indigener Kultur geprägte Mexiko Stadt.[40] Einwanderer mussten sich an ein anderes Lebensumfeld gewöhnen, vielfach konnten sie sich allerdings einen gewissen Lebensstandard in Buenos Aires leisten, wie aus den Korrespondenzen, die bereits in Buenos Aires lebende Familienmitglieder mit ihren Angehörigen in Europa führten, sichtbar wird. Der vor dem ersten Weltkrieg nach Buenos Aires ausgewanderte Ricardo Hirsch, aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie stammend, gibt in einem Schreiben vom Februar 1928 an die Frau seines kurz vor der Übersiedlung stehenden Bruders Leopold Einblicke in die Probleme des Alltagslebens. Ricardo charakterisiert sein Leben in Buenos Aires wesentlich geprägt durch „Arbeit, Sparsamkeit & Verzicht auf eine Reihe von Genüssen, die drüben jedermann erreichbar sind“.[41] Allerdings erwähnt er auch, dass durch die finanzielle Situation der Familie große Vorteile gegeben sind. Seine Perspektive war die von Einwanderern, denen es gelang, sich im oberen Teil der Mittelschicht zu etablieren. „Buenos Aires ist keine schöne Stadt, & Argentinien ist, soweit wir von hier sehen, kein schönes Land. Ich selbst liebe die Stadt & das Land, und zwar ist meine Zuneigung aus Gefühlen der Dankbarkeit entsprossen: Man hat mich hier mit offenen Armen aufgenommen, man hat mir die Möglichkeit freier Entfaltung gewährt, und man hat meine Bestrebungen gefördert. Ich kenne hier die geraden Wege und die verborgenen Wege, so dass ich relativ leicht zu meinen Zielen gelangen kann. Das gibt mir das Gefühl der Sicherheit & der Empfindung: mir kann hier nichts passieren! Mit anderen Worten: ich fühle mich hier zufrieden und zuhause. Bis Ihr diese Gefühle teilen könnt, wird Zeit vergehen. Ihr müsst zunächst die Landessprache sprechen, & ihr müsst die Art der hiesigen Menschen begreifen lernen. Vorher werdet Ihr Euch hier fremd fühlen.“[42] Allerdings, so fasst er zusammen, werden seine wirtschaftliche und soziale Stellung und die bereits feste Anstellung seines Bruders dafür sorgen, dass die neu Zugewanderten „eine schöne, erfolgreiche Zukunft vor Augen haben, für die es sich wohl lohnt zu arbeiten.“[43]

d) Etappen jüdischer Einwanderung

Neben der vornehmlich protestantischen Einwanderung stellt Alfredo José Schwarcz die deutsch-jüdische Immigration heraus. Deutschsprachige Juden reisten bereits zwischen 1854 und 1859 als Vertreter kaufmännischer Firmen ein, flohen vor dem französisch-preußischen Krieg und darauffolgenden wirtschaftlichen Krisen.[44] Jüdische und nichtjüdische Einwanderer waren in den Zustrom von Wissenschaftlern eingebettet, wie Lewis Pyenson feststellt.[45] Wilhelm Keiper, dessen Darstellung zu „Deutschen in Argentinien“ aus der Publikationsreihe „Der Deutsche im Ausland“ in der 3. Auflage von 1938 die Politik des Nationalsozialismus hinsichtlich der deutschen Kolonien ausdrücklich lobte, sprach von „Einwandererströmen“, an die sich „in den letzten Jahren [...] mancherlei Einwanderer germanischen Stammes [schlossen]: Engländer, Deutsche, Russlanddeutsche, Österreicher, Schweizer, Dänen u.a. Neuerdings sind auch zahlreiche Angehörige der osteuropäischen Völker, darunter auch Juden, eingewandert.“[46]

Dieses Zitat deutet an, dass als Juden im wesentlichen nicht das bürgerliche deutsche Judentum, sondern die sogenannten Ostjuden, bzw. die orthodoxe Glaubensrichtung – leicht identifizierbar an Schläfenlocken, schwarzen Kaftanen und Hüten – , als ‚Juden’ wahrgenommen wurden. Aus dieser Kategorie der Wahrnehmung konstruierte Keiper ein politisches Ordnungsmodell: Die oftmals orthodoxen Juden aus Osteuropa wurden als eigene Nation kategorisiert, die ins Bürgertum eingepassten deutschen Juden eher nicht.

Die ausführlichsten Darstellungen zu dieser Einwanderergruppe haben Haim Avni[47] und Boleslao Lewin[48] erstellt. Insgesamt können neben verstreuten Einzelpersonen jüdischen Glaubens, die im Zuge der Kolonialisierung nach Argentinien kamen, ab 1852, bzw. ab 1876 Gruppen von jüdischen Einwanderer als Arbeits- und Fluchtimmigranten beobachtet werden.[49] Die wesentlichen Gründe für die Auswanderung aus Russland und den europäischen Staaten nach der Inkraftsetzung des argentinischen Einwanderungsgesetzes Nr. 817 waren Krieg, Vertreibung und Pogrome. Daneben lockten wirtschaftliche Anreize, z.B. Posten als Auslandsvertreter europäischer Firmen, Bereitstellung von Flächen für landwirtschaftliche Bearbeitung usw. Die Einwanderung reagierte auf Konjunkturen der Repression und der wirtschaftlichen Entwicklung.

Neben der deutschsprachig-jüdischen Einwanderung war Argentinien generell ein Anziehungspunkt für Juden aus anderen Teilen Europas und Russlands..[50] Ein Problem bei der Übersicht der diesbezüglichen Literatur ist allerdings die mangelnde Definition des Terminus ‚jüdisch’.[51] Offizielle Zahlen sind lückenhaft, im tagtäglichen Umgang mit Einwanderern wurden Juden oftmals auf die Gruppe der äußerlich erkennbaren orthodoxen Juden reduziert. Dementsprechend setzt beispielsweise José Mendelson die Ankunft des Dampfschiffes „Weser“ am 14. August 1881 an den Beginn einer massiven Einwanderung, stellt sogar fest, dass die 820 Menschen, die mit der „Weser“ im Hafen von Buenos Aires anlegten, „den Beginn der jüdischen Gemeinschaft markierten“.[52] Tatsächlich aber ließ an diesem kalten Wintertag, wie Haim Avni die Situation rekonstruiert, der Einwanderungsinspektor „alle Einwanderer von Bord, außer den Juden“.[53] Als Unterscheidungsmerkmal diente dem Inspektor dabei der „typische Aspekt der religiösen Juden aus Osteuropa, ihre Bärte und ihre eigenartige Kleidung, sie schienen ihm zu seltsam für das Land“.[54] Nach einigen Tagen, in denen Vertreter der „winzig kleinen jüdischen Gemeinschaft“ und die Tageszeitung La Nación bei den Behörden intervenierten, wurde die Gruppe der orthodoxen Juden an Land gelassen und gründete später die Kolonie Moisesville im Norden der Provinz Santa Fe.[55] Ob allerdings unter denjenigen, die direkt am 14. August vom Bord der Weser gelassen wurden, Juden waren, bleibt unter diesen Umständen unklar: Das gleichsam phänotypische Unterscheidungskriterium erkannte nur eine spezifische Ausprägung des Judentums.

Ein begründbarer Beginn der neueren jüdischen Einwanderung nach Argentinien scheint spätestens mit der gesetzmäßigen Festsetzung eines Beauftragten für die jüdische Einwanderung aus Russland und Europa gefunden.[56] Insgesamt können so mehrere Etappen der jüdischen Einwanderung unterschieden werden: Während die erste Etappe mit dem Jahr 1881 beginnt und mit der 1891 gegründeten Jewish Colonialization Association auch institutionellen Ausdruck fand[57], bedeutete der Auswanderungsstopp aus Deutschland während des Ersten Weltkrieges eine Zäsur. Die zweite Phase der jüdischen Einwanderung begann erst wieder 1919 und endete mit der Machtübernahme Hitlers – von nun an änderte sich die Motivation der Auswanderung, was ihrem Verlauf eine andere Qualität gab. Während der Weimarer Republik wanderten Juden aus Deutschland aus, weil sie sich von diesem Schritt wirtschaftliche Prosperität erwarteten.[58] Die dritte Einwanderungswelle erreichte Argentinien ab 1933 – die Flucht vor dem nationalsozialistischen Deutschland hatte eingesetzt.

3. Rechtskonservative Gemeinschaftsbildung der Deutschsprachigen in Buenos Aires

3.1 Aspekte soziökonomischer Transformation der deutschsprachigen Gemeinschaft in Buenos Aires bis zum Ende des ersten Weltkrieges

Die politische Ausrichtung der Bildung einer Gemeinschaft der deutschsprachigen Einwanderer in Buenos Aires kann, wie wohl auch in anderen regionalen Kontexten deutschsprachiger Emigration, nicht von den parallelen politischen und sozialen Entwicklungen im Deutschen Reich abgelöst werden. In diesem Abschnitt sollen wesentliche Momente einer Gemeinschaftsbildung deutschsprachiger Einwanderer in Buenos Aires zusammengefasst werden: Wesentliche Aspekte einer sozialen Ausdifferenzierung und politischer Auseinandersetzung werden zunächst bis zum Beginn der Weimarer Republik, dann bis zum Antritt der Regierung Hitler kursorisch überblickt und exemplifiziert. Darüber hinaus soll dieser Abschnitt einem Kernaspekt der Untersuchung zuarbeiten, indem er einerseits theoretische Grundlagen des antiliberalen Denkens klärt und veranschaulicht, wie sich dieses Denken zeitgenössisch unter den Deutschsprachigen in Buenos Aires manifestierte. Diese Verbindung wird anhand politischer Auseinandersetzungen, ihrer Protagonisten veranschaulicht und mit dem Versuch, ideologische Hintergründe zu beleuchten, verbunden. Dieses Kapitel muss als Vorstufe für das folgende gelesen werden, in dem die zentrale Hypothese der Arbeit an der Rhetorik der Deutschen La Plata Zeitung untersucht wird. Diese zentrale Hypothese geht davon aus, dass es in der deutschsprachigen Kolonie in Buenos Aires eine diskurstheoretisch fassbare Verbindung zwischen der antiliberalen, obrigkeitsstaatlich geprägten und die kulturelle deutsche Überlegenheit postulierenden Haltung und der Möglichkeit fast geräusch- und reibungslos zur aktiven Unterstützung oder passiven Duldung des Nationalsozialismus 1933ff. zu gelangen, gegeben habe.

Zusammengefasst wird in dem zweiten Abschnitt der Arbeit also einerseits die soziale Ausdifferenzierung der deutschsprachigen Kolonie umrissen, ihre politischen Auseinandersetzungen kursorisch überblickt und ihre symbolischen Identifikationen als hegemonial nationalkonservativ festgestellt. Darauf aufbauend untersucht der Abschnitt die semantischen Aufladungen eines nationalistischen Diskurses der größten deutschsprachigen Tageszeitung in Südamerika als Ausdrucksform der politischen Haltung einer klaren Mehrheit der Deutschsprachigen in Buenos Aires.

a) Sozioökonomische Transformation der deutschsprachigen Gemeinschaft vor dem ersten Weltkrieg

Einleitend kann festgestellt werden, dass die Darstellung einer monolithisch- einheitlichen Gemeinschaft unter den Deutschsprachigen, wie sie in Jahresberichten und Festschriften von Vereinen und Verbänden zu finden ist, bereits vor dem ersten Weltkrieg eher eine politische Wunschvorstellung der mehrheitlich monarchistisch eingestellten Führungskreise der deutschsprachigen Kolonie war, denn einem real vorfindbaren Konsens entsprach.[59] Tatsächlich lebten die Deutschsprachigen vor dem ersten Weltkrieg als vergleichsweise heterogener Verbund mit eher losen Beziehungen in Buenos Aires. Erst im Krieg entdeckten die Deutschsprachigen ihren starken Patriotismus und organisierten eine stärkere Annäherung.[60]

Ronald C. Newton hat festgestellt, dass die führenden Zirkel der deutschsprachigen Einwanderer in Buenos Aires – damit waren Vereinsvorstände, der Deutsche Klub und die der deutschen Gesandtschaft nahestehenden Kreise gemeint – mit dem Postulat der kollektiven Einigkeit der Deutschen gegenüber den Einwanderer-Gruppen aus europäischen Nachbarländern und mit Blick auf die argentinische Bevölkerung arbeiteten, um auf einem hohen wirtschaftlichen und sozialen Prestige der Deutschen in Argentinien gleichermaßen aufzubauen. Das Ziel war, äußerlich ein Bild des geeinten, solide prosperierenden, bürgerlichen Deutschtums zu verbreiten, andererseits im Innenleben der deutschsprachigen Kolonie ein elitär und autokratisch organisiertes Repräsentationsprinzip zu verankern. Inhaltlich, so Newton, basierte eine solche Darstellung auf den „Germanic virtues of order and industry“ und war überdies „scrupulously non-political in its dealings with Argentine officialdom, and self-sufficient, through its communal institutions, in attending to its own social welfare and self governance.“[61]

Entgegen der offiziösen Propaganda, etwa von Vereinen und Verbänden, war jedoch die deutschsprachige Gemeinschaft vielmehr geprägt von Auseinandersetzungen, Streitigkeiten, die teilweise aus der sozialen und politischen Differenzierung des ausgehenden 19. Jahrhunderts herrührten und die Entwicklungen in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bestimmten. Erste Zeichen einer auf Kontroversen angelegten oder doch die konservative Gemeinschaftsbildung im Sinne der ‚nationalen Einheit’ bedrohenden Entwicklung manifestierten sich zum Ausgang des 19. Jahrhunderts auch in Buenos Aires. Durch die Gründungen des sozialdemokratischen Vereins Vorwärts (1882), andererseits aber auch durch das Erscheinen des liberalen Argentinischen Tageblatts (AT) ab 1889, artikulierten sich politische Stimmen, die eine konservativ-monarchistische Position der Mehrheit der Deutschsprachigen Kolonie nur eingeschränkt teilten.[62]

Als erster Ausdruck der Kräfteverteilung zwischen Konservativen und Liberalen können die Ergebnisse einer politischen Kampagne des liberalen und sozialdemokratischen Lagers – über die 1886 bis 1897 wöchentlich erscheinende Zeitung ‚Buenos Aires Vorwärts ’ – und des AT gewertet werden: Beide Organe hatten angeregt, die argentinische Staatsbürgerschaft zu erstreben und darüber die argentinische Politik zu demokratisieren. Nicht nur, dass der Kampagne ein mäßiger Erfolg beschieden war, vielmehr bedeutete sie auch den Beginn einer politischen Polarisierung zwischen zwei sich herauskristallisierenden sozialen und politischen Lagern. Zunehmend standen sich liberale und konservativ-nationalistische Parteien mit entgegengesetzten Vorstellungen gegenüber. Die liberal-sozialdemokratische Idee wurde von der konservativen Mehrheit aggressiv bekämpft. Zudem lernte das liberal-sozialdemokratische Lager Methoden der politischen Polemik von Seiten der Nationalistisch-Konservativen kennen, die Jahrzehnte später während der Weimarer Republik erneut angewendet wurden.[63]

Die Aufrufe, argentinische Staatsbürger zu werden, trafen in der deutschsprachigen Kolonie auf eine mehrheitliche Reaktion, die für solche Unterfangen offenkundig keinen Sinn zeigte. Das Ergebnis war dementsprechend: Die bürgerlich geprägten und wirtschaftlich privilegierten Deutschsprachigen sahen sich als Repräsentanten wilhelminisch-preußischer Tugenden und drohten damit, Arbeiter, die den Vorwärts lasen, auf eine schwarze Liste zu setzen. Das Klima war von scharfen persönlichen Anfeindungen geprägt. Darüber hinaus organisierten einige Unternehmen, wohl mittels kurzer Kommunikationswege des Deutschen Klubs ab 1907 einen ersten Anzeigenboykott gegen das Tageblatt . Den Boykott begründeten sie auch damit, dass die Sozialisten im deutschen Reichstag dem Tageblatt Unterstützung zukommen ließen und somit partikularen Positionen Raum schaffen würden.[64]

Sozial zeichnete die deutschsprachige Kolonie einige Entwicklungen aus Europa nach: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts baute der Stand der Handeltreibenden seine wirtschaftliche und soziale Position zur gesellschaftlichen Elite der Deutschsprachigen in Argentinien mit starken Verbindungen zum örtlichen Finanzkapital aus. Die Handwerkerschaft löste sich in eine Mittelklasse mit ausdifferenzierter Berufsstruktur zwischen höheren Angestelltenverhältnissen und Kleinunternehmen auf, wodurch sich auch ein gewerbetreibendes Kleinbürgertum stärker entwickelte. Die Arbeiterschaft schließlich bekam Zuwachs in Buenos Aires, sowohl von den verarmenden Handwerkern als auch aus dem Deutschen Reich – von dort flohen Arbeiter vor den bismarckschen Sozialistengesetzen auch nach Argentinien.[65]

Die breite Mittelklasse, Handwerker, einfache Angestellte, Gewerbetreibende und Arbeiter organisierten sich in etwa 50 Vereinen, „meistens nach Geldbeutel und Herkunft säuberlich getrennt“, wie Arnold Ebel feststellte.[66] Das organisatorische Zentrum der deutschsprachigen Elite aus Großkaufleuten, Wissenschaftlern, leitenden Angestellten von Niederlassungen deutscher Unternehmen, politischen Gesandten und militärischen Beratern der argentinischen Armee war der 1855 gegründete Deutsche Klub .[67] Nach ihrer Ausrichtung gefragt, hätten alle gleichermaßen vermutlich die Haltung des Unpolitischen für sich reklamiert – und gleichzeitig fest auf dem Heimatbezug zum kaiserlichen Reich und mit dem Gestus bürgerlicher „Mandarine“[68] auf der Vorstellung der kulturellen Überlegenheit bestanden.

b) Aspekte der sozialen Entwicklung ab 1914

Während des Ersten Weltkriegs überblendete der massiv aufflammende Patriotismus in allen politischen Lagern die politischen Auseinandersetzungen innerhalb der deutschsprachigen Einwanderergemeinschaft. Der „Burgfrieden“ (Anne Saint Saveur- Henn) oder das „papering-over of internal dissensions“ (Ronald C. Newton) hielt in einem Moment der zunehmenden Isolation der Deutschsprachigen im multiethnischen Kontext von Buenos Aires die Reihen geschlossen.[69] Allerdings bedeutete ein dergestaltiges Moratorium politischer Auseinandersetzungen keinesfalls den Stillstand der sozialen und politischen Differenzierung. Vielmehr wirkte nunmehr ein wirtschaftlicher Druck, von den Alliierten beispielsweise mittels Entlassungen und schwarzer Listen inszeniert[70], eher auf Arbeiter und einfache Angestellte. Gleichzeitig verzeichneten die wirtschaftlichen Eliten der deutschsprachigen Gemeinschaft erhebliche Gewinne und konnten sich nach dem Krieg brüsten, keinen Schaden genommen zu haben.[71] Der gebräuchliche Begriff der „Geldaristokratie“ entstand. Andererseits bedeutete der erste Weltkrieg auch eine Erhöhung des Binnendrucks innerhalb der deutschsprachigen Gemeinschaft zugunsten einer nach außen getragenen einheitlichen Position. Während des Krieges war für Kritik an und Ausscheren von der patriotischen Linie kein Raum – vielmehr hing darüber drohend der Vorwurf des Vaterlandsverrats. Mit einigem Recht liest Newton derartige psychosoziale Prozesse der Abgeschlossenheit der deutschsprachigen Kolonie auch als Hinderungsgrund für eine raschere und deutlichere Integration (besser noch: Interkulturation) in die Gesellschaft des zeitgenössischen Buenos Aires weit über das Ende des ersten Weltkrieges hinaus.[72]

Während des Weltkrieges differenzierte sich die deutschsprachige Gemeinschaft weiter aus, bei fast völlig ausgesetzter Einwanderung. Diese Vorgänge vollzogen sich im Kontext wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen, die die einschlägige Forschungsliteratur herausgearbeitet hat. So hält Ronald C. Newton fünf wesentliche Transformationsmomente der deutschsprachigen Kolonie zwischen 1914 und 1933 fest.[73] Zwei erste Aspekte sind in diesem Sinne langfristiger Natur, ihre Wurzeln liegen im 19. Jahrhundert. Hierbei handelte es sich um das bereits skizzierte Aufbrechen der bürgerlichen Gemeinschaft zugunsten einer schärferen sozialen Differenzierung. Eine Mehrheit der Deutschsprachigen sah sich plötzlich steigender Armut und Existenzängsten ausgesetzt. Solche Pauperisierungsängste beförderten in begrenztem Ausmaß auch in Argentinien die politische Organisation von Arbeitern. Nach 1918 traten Arbeitervereine auf, Publikationen wurden bekannt, die den Begriff des Klassenkampfes im Mund führten und sofort als drohende Gefahr für die vorgebliche Einheit und Harmonie wahrgenommenen wurden.

Vermutlich in der starken Binnenfixierung der deutschsprachigen Kolonie begründet, verstärkte sich auch die Wahrnehmung einer zunehmenden „Argentinisierung“. Hierunter verstanden insbesondere die gesellschaftlichen Eliten in der deutschsprachigen Kolonie einen Prozess des Verlustes der überlegen geglaubten kulturellen Identität, des ‚Deutschtums’, und eines damit einhergehenden Verkommens zu „Kulturdünger“ für die argentinische Gesellschaft.[74]

Drei weitere Transformationsaspekte, welche die deutschsprachige Gemeinschaft in Buenos Aires besonders betrafen, setzten nach dem Ende des ersten Weltkrieges ein:

- Der erste war die Wiederaufnahme der deutsch-argentinischen Handelsbeziehungen, und sogar deren Ausbau mittels technischer und politisch-administrativer Rationalisierung und Vereinfachung. Als Ergebnis attestiert Newton, dass großer Reichtum in wenigen Händen akkumuliert werden konnte. Dies verstärkte die politische Vormachtstellung der „Geldaristokratie“.[75]

- Als zweiter Punkt kann die massive und „ill-oriented German immigration“ im Nachlauf des Ersten Weltkrieges genannt werden. Die nach Buenos Aires strömenden deutschsprachigen Einwanderer lösten einen verschärften ökonomischen Konkurrenzkampf aus. Überdies brachten deutschsprachige Einwanderer auch Auseinandersetzungen der fragmentierten politischen Kultur der Weimarer Republik[76] an den La Plata-Fluss – ohne freilich damit die militanten Auseinandersetzungen aus dem deutschen Reich nach Buenos Aires zu tragen.

- Drittens polarisierte sich die deutschsprachigen Gemeinschaft nach 1918 immer stärker entlang politischer Haltungen. Die politisch fragmentierten Einstellungen derjeniger, die nach 1918 nach Argentinien einwanderten, rieben sich mit den gewachsenen politischen Überzeugungen und Vertretungsformen der deutschsprachigen Kolonie in Buenos Aires. Auch wenn viele deutschsprachige Auswanderer mit der Ablehnung der Friedensregelungen von Versailles und grundsätzlich in ihrer Opposition zur Weimarer Republik mit den Überzeugungen der Mehrheit der Deutschsprachigen in Buenos Aires übereinstimmten[77], unterschieden sie sich doch in der Schärfe ihrer Artikulation, dem Wunsch nach politischer Partizipation und der Form politischer Organisation. Es zeigten sich Risse zwischen den Einwanderungskohorten: Nur mühsam konnte die Ablehnung der Weimarer Republik, die Abscheu gegenüber Frankreich und den anderen Alliierten sowie der romantische Rückbezug auf das Kaiserreich einen Konflikt zwischen den „Alteingesessenen“ und den „Zugewanderten“ – so die zeitgenössische Sprachformel – überdecken und schärfere Auseinandersetzungen verhindern.[78]

3.2 Antiliberales Denken und (rechts-)konservative Gemeinschaftsbildung in Buenos Aires

Die oben charakterisierten sozialen Ausdifferenzierungen und politisch- organisatorischen Entwicklungen führten zu einer spezifischen Form der Gemeinschaftsbildung unter den Deutschsprachigen in Buenos Aires. In der deutschsprachigen Kolonie herrschte ein weitgehend durch einen verklärten Heimatdiskurs verzerrter Blick auf das Deutsche Reich. Von Kriegsende, Kaiserflucht und Revolution überrascht, lehnte die absolute Mehrheit der Deutschsprachigen die Verträge von Versailles und die Weimarer Republik eindeutig und bisweilen ausgesprochen scharf ab, wie ich in der Folge herausarbeiten werde.

Die „konservative Revolution“, wie auch das „antiliberale Denken“ als Grundposition der deutschen Rechten sind in der geschichtswissenschaftlichen Forschung bislang breit untersucht worden.[79] In Zuge der Forschungsdiskussion hat sich der Untersuchungsgegenstand des antiliberalen Denkens auch von Gruppen und Strömungen der politischen Rechten – bei denen Mohler und Sontheimer den Antiliberalismus noch exklusiv verorteten – auf ihre politischen Antipoden aus dem linken Spektrum erweitert.[80] Da letztere, wie bereits festgestellt, unter den Deutschsprachigen in Buenos Aires kaum politisches Gewicht hatten, soll sich die Untersuchung der politischen Semantik antiliberalen Denkens unter den Deutschsprachigen in Buenos Aires auf die erstgenannten Kategorien beziehen.

Wie bereits festgestellt, kann die deutschsprachige Kolonie in Buenos Aires während der Weimarer Republik nicht als Spiegelbild der deutschen Gesellschaft verstanden werden. Weder hatte sie Teil an sozialistischen Umsturzversuchen, noch gab es am La Plata eine Gegenrevolution, politisch motivierte Heereseinsätze oder Bürgerbräurevolten. Zwischen der entstehenden Weimarer Republik und der deutschsprachigen Kolonie in Buenos Aires stand der auch politisch wirkende Filter der Migration.[81] Um die Dimensionen des antiliberalen Denkens aus den Auseinandersetzungen in der deutschsprachigen Kolonie herauszudestillieren, bedarf es weniger der ausgefächerten und idealtypischen Gruppierungen von Sontheimer oder Mohler als vielmehr eines Überblicks über die politischen Grammatiken des in Buenos Aires vertretenen Konservativismus. Die Arbeit wird dabei die zeitgenössisch dominanten Narrative aufgreifen und die darin angelegten politischen Projektionen in Bezug auf eine Vorstellung von Heimat untersuchen. Die Rhetoriken werden in diesem Sinne auf ihre antiliberale Semantik unter zu Hilfenahme der Forschungsergebnisse über die konservative Revolution untersucht.

Grundsätzlich ist zu bedenken, dass die Lebenssituation in einer sprachlich-kulturellen Enklave, die ihre Außengrenzen zur argentinischen Einwanderungsgesellschaft deutlich markiert hielt, im Zweifel zu einer gewissen Homogenisierung politischer und auf die Lebensstile bezogenen Einstellungen und Verhaltensweisen drängte. Derartige Prozesse der Homogenisierung von Lebensstilen und politischer Kultur sind eher sozialpsychologische Vorgänge, die häufig in der Migrationsforschung – wenn auch selten unter sozialhistorischen Gesichtspunkten – untersucht werden.[82]

a) Antiliberales und antidemokratischen Denken in Deutschland und Argentinien

Grundsätzlich wollte antiliberales und antidemokratische Denken in der Weimarer Republik „einen großen Teil des deutschen Volkes den demokratisch-liberalen Institutionen [...] entfremden, die es sich in der Weimarer Verfassung gegeben hatte“.[83] Jene theoretischen Strömungen markiert Sontheimer damit als die Grenzen der systemimmanente Kritik überschreitenden, „feindlichen Einstellung zur Idee der Demokratie, wie das Weimarer Verfassungswerk sie verstand“. Eine solche Grundhaltung war „Ausdruck einer oppositionellen Haltung zum Weimarer Staat, die [...] der liberal-demokratischen Republik prinzipiell opponierte“.[84]

Die Frontalstellung gegen die Weimarer Republik war in unterschiedlicher Ausprägung auch unter den deutschsprachigen Einwanderern in Argentinien Mehrheitsmeinung. Womöglich traf sogar der grundsätzliche, eingangs erwähnte Prozess, nach dem antidemokratisches Denken einen „entfremdenden“ Effekt habe, in den Kreisen der deutschsprachigen Immigration vor 1933 in Argentinien auf ein eher schwächeres Echo – ein weitgehend rechtskonservativer und auf die Glorifizierung des Kaiserreiches eingestellter Konsens der Deutschsprachigen bedurfte von Beginn an keiner so starken Entfremdung.[85]

In Deutschland wie in Buenos Aires war allerdings das antiliberale Denken nicht nur durch Reminiszenzen an das Kaiserreich als politisches Ordnungsmodell geprägt. Konservative Sehnsüchte nach „sozialer Harmonie, autoritärer Ordnung und nationaler Geschlossenheit“ fanden hüben wie drüben vielmehr in einem positiven Bezug auf die deutsche Kriegsgesellschaft Ausdruck.[86] Die zur Mitte der 1920er Jahre stärker nach Argentinien ausreisenden Deutschsprachigen glaubte die alteingesessenen Erzählungen von der ‚brüderlichen Einheit der Deutschen’ zwischen 1914 und 1918 sicherlich gerne; viele Deutschsprachige gaben sogar als einen der Gründe ihrer Auswanderung die Ablehnung der Weimarer Republik an.[87] Von der wie auch immer motivierten Ablehnung der Weimarer Republik und vom glorifizierend positiven Bezug auf Kaiserzeit und Kriegsgesellschaft war es nur ein kleiner Schritt zu einer grundsätzlichen Sympathie für die ideologisch aufgeladene Abwehrhaltung gegenüber der liberalen Demokratie und den sozialrevolutionären Prozessen der Modernisierung insgesamt.[88]

Während allerdings in Deutschland der Streit um eine in die Verfassung eingeschriebene demokratische Staatsordnung zumindest vorderhand im Mittelpunkt der zunehmenden Radikalisierung und Bereitschaft zur Gewalt stand, funktionierten politische Gesinnungs- und Ordnungsbegriffe unter den Deutschsprachigen in Argentinien eher als Zuschreibung einer Haltung zur Heimat und daraus abgeleitet zur Vorstellung von Zusammenleben in Buenos Aires.[89] Deshalb wirkte die antiliberale Ideologie, mit der sich die Mehrheit der Deutschsprachigen auf bewusste oder unbewusste Weise identifizierte, auch nicht als intentional-vorbereitendes Moment des Nationalsozialismus, sondern ließ hauptsächlich eine Akzeptanz der Weimarer Republik nicht zu, indem sie dieser geistig den Boden entzog, bzw. dafür sorgte, dass ein positiver Bezug zur Republik sich nicht festigen konnte.[90]

Die geistige Einstellung einer Ablehnung der Republik erwuchs innerhalb der deutschsprachigen Kolonie in Buenos Aires aus einem Dreiklang von Kriegsende, den Pariser Vorortverträgen und der Revolution. Jene Zäsur eines urplötzlich, weitgehend außerhalb deutschen Territoriums und auch noch bei schlechtem Wetter verlorenen Krieges, dem Zusammenbruch einer „Phantasiewelt“ gleich[91], erschien aus der verzerrten Distanz der deutschsprachigen Kolonie am La Plata-Fluss noch unglaubwürdiger, als sie dem Nachkriegsdeutschland erscheinen musste. In Deutschland wie am La Plata behaupteten sich zwar die rückwärtsgewandten Utopien des Kaiserreiches, entscheidender aber war eine psychosoziale Entwicklung, nach der die konservativen Milieus verstärkt durch die Umbrüche von 1918/19 eine spezifische Weltsicht durch die „mentalen Brille“ (Frank Bösch) entwickelten. Alle Wahrnehmung teilte sich fortan in polarisierte Deutungsmuster und setzte sie antagonistisch der eigenen Haltung gegenüber: „Jede Handlung der Liberalen und der Marxisten konnte durch sie beispielsweise als >gottlos< oder >heimatfremd< erscheinen, während man das eigene Auftreten stets im Kontext von christlichen Werten und der uneigennützigen Förderung von Heimat und Vaterland einordnete.“[92]

Grundsätzlich entsprach die bis ca. 1930/31 in Buenos Aires unter den alteingesessenen Eliten vorherrschende Haltung in großen Teilen dem sontheimerschen Bild des „Deutsch-Nationalismus“. Eine solche Haltung charakterisierte sich dabei weniger durch eine Zustimmung zu autoritären Herrschaftsformen, wie den faschistischen Systemen Italiens oder Spaniens, sondern vielmehr im Sinne einer auf nationalen Kulturwerten aufbauenden Gemeinschaft, die sich qua staatlicher Intervention gegen „zügellosen liberalen Individualismus“ oder sozialistische Kollektivierungsprozesse, die im Endeffekt jede Individualität entwerten würden, schützen wollte.[93] Sie war deutschnational in ihren Ansichten über die Heimat, wie sie auch in ihren Vorstellungen des Zusammenlebens in der argentinischen Hauptstadt einen solchen Gestus an den Tag legte. Dieser zeichnete sich dadurch aus, dass er im wesentlichen einer staatsbejahenden, zugleich aber zutiefst unpolitischen Haltung nach 1918 entsprang, zu einem großen Teil in ein heftig artikuliertes Ressentiment gegen die republikanische Ordnung Deutschlands ausartete und im wesentlichen im gehobenen Bürgertum seinen Rückhalt hatte. „Die vielberufene vaterländische Gesinnung des deutschnationalen Bürgertums ist keine Volksgesinnung wie im Falle des neuen Nationalismus, und wo sie sich völkisch gibt, meint sie weniger die Zusammenfassung und Beteiligung aller Volksschichten am Staat als die Ausmerzung jüdischen Elements in Kultur, Politik, Wirtschaft.“[94] Der deutsch-nationale Großbürger hegte seine Abneigung im gleichen Maße gegen den Klassenkampf wie gegen den Proletarier – weil im bürgerlichen Wahrnehmungsmuster durch Klassenkampf und die organisierte Arbeiterschaft eine „nationale Einheit“ angegriffen und damit die kulturelle und politische Stärke Deutschlands von innen heraus vernichtet würde.[95] In Argentinien wähnten die Deutschsprachigen im wesentlichen einen Verlust der eigenen, vorgeblich überlegenen deutschen Kultur.

Die reaktionäre Grundhaltung des Deutschnationalen war vielmehr davon bestimmt, dass er soziale und wirtschaftliche Entwicklungen, die Hans-Ulrich Wehler kompakt als Kriterien der „Modernisierung“ zusammenfasst[96], nicht mitbekam, oder sie schlicht verleugnete. Von dieser Haltung aus entwarf der Deutschnationalismus ein theoretisch sehr schwach konzipiertes, emotional allerdings sehr tief auch in das deutschsprachige Bürgertum in Buenos Aires hinengreifendes, antidemokratisches Denken: Es bestand wesentlich durch und in der diffusen Anti-Haltung zu Versailles und zur Weimarer Republik.[97]

Daneben sind zwei Gesichtspunkte für das Selbstverständnis des Deutschnationalismus wesentlich: Einerseits ein „Machtstaatsgedanke“ in Verbindung mit dem prominenten Begriff der „Realpolitik“ sowie eine weitgehende Ablehnung einer sozialen Neuordnung des Staates nach 1918. Dieser Teil der konservativen Revolution wollte das „Übel des modernen Staates und der modernen Zivilisation an seiner Wurzel“ bekämpfen.[98] Damit ging er weit über bloße Restitutionsgedanken der Monarchisten hinaus und attackierte bisweilen jede Vernunftordnung. Die Vorstellungen des Machtstaates zirkulierten unter den Deutschsprachigen in Buenos Aires einerseits als schwächere Projektion auf die politischen Organisation der Heimat, andererseits war sie Gegenstand alltäglicher Auseinandersetzungen um die Gestalt des argentinischen Staates. Insgesamt war aber die Politik des argentinischen Staates weit weniger ein Bezugspunkt, die Identifikation mit Argentinien generell eher beiläufiger Natur. Ein weiterer wichtiger Unterschied war ebenfalls die deutlich anders strukturierte und erheblich schwächere Judenfeindschaft zumindest bis zum Ende der 1920er Jahre – diesen Aspekt werde ich am Ende der Arbeit wieder aufnehmen.

Allerdings entwickelten sich auch unter den Deutschsprachigen Unterschiede und Streitpunkte innerhalb der konservativ-nationalistischen Haltung. So waren die Einstellungen bezüglich einer Favorisierung oder Ablehnung der Monarchie, der Wahrnehmung eines Verfalls des Kaisergedankens und des plötzlichen machtpolitischen Vakuums nach der als „unheroisch“ verstandenen – und im übrigen in der Deutschen La Plata Zeitung zunächst geleugneten – Flucht des Kaisers nach Doorn keineswegs einmütig.[99] Uneinigkeit herrschte in der Bewertung des Parlamentarismus. Insgesamt aber war die Epoche von 1918 bis ca.1930/31 allerdings nicht wie in Deutschland durch gewalttätige Auseinandersetzungen der politisch antagonistischen Haltungen geprägt. Die fundamentale Opposition gegen die Weimarer Republik, das Bindeglied der unterschiedlichen konservativen Gruppierungen und Strömungen in Deutschland[100], vermittelte in der vergleichsweise überschaubaren Gemeinschaft von Buenos Aires nicht zwischen organisierten Gruppen, sondern vielmehr zwischen eventuell unterschiedlichen Meinungen einzelner Personen.

Die deutschsprachige Kolonie in Buenos Aires bewahrte sich trotz der steigenden Größe das Bewusstsein einer in soziologischer Terminologie als face-to-face Gemeinschaft fassbaren Einheit. Die Lebenssituation der sprachlich-kulturellen Enklave bewahrte die zumindest eingebildete Möglichkeit einer Begrenzung, mitsamt der von Benedict Anderson skizzierten „horizontalen Kameradschaft“: Nachrichten machten – bei grade mal zwei wesentlichen Tageszeitungen und einem dichten Netz von Vereinen – schnell die Runde, die gegenseitige, soziale Kontrolle war hoch, Anonymität und Entfremdung wuchsen in der Stadt erst mit der Spaltung der Gemeinschaft nach 1933.[101] Grade deshalb – und aus der spezifischen Situation der Einwanderergemeinschaft resultierend – entwickelte sich auch hier ein Diskurs, der die Semantiken der ‚kulturellen deutschen Überlegenheit’ und der sich langsam in das öffentliche Bewusstsein vorarbeitende rassentheoretisch begründeten Gemeinschaftsauffassung der Deutschen niemals ernsthaft in Frage stellen konnte und wollte.

b) Die positive Integration des völkischen Diskurses

.01 Struktur des völkischen Integrationsdiskurses

Entscheidend für die diskursive Ökonomie eines völkischen Nationalismus nach dem Ende des Ersten Weltkrieges waren zunächst seine integrative Potenz und seine positiven Konnotationen. Die Selbstbezeichnung durch das politische Programm des ‚Völkischen’ dient generell, wie Eva-Maria Ziege unterstreicht, „sowohl zur Bezeichnung des gemeinsamen Nenners der antiliberalen Rechten als auch einer distinkten Strömung innerhalb dieses Spektrums“.[102]

[...]


[1] Wehler, Hans-Ullrich (2003): Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1914-1949. München: Beck. Vgl. dazu die Rezension von Ludolf Herbst (2003) in: H-Soz-u-Kult, 23.10.2003, <http://hsozkult.geschichte.hu- berlin.de/rezensionen/2003-4-046>.

[2] Fritzsche, Peter (1990): Rehearsals for Fascism. Populism and Political Mobilization in Weimar Germany. New York/Oxford: Oxford University Press. Zur Rolle der Aristokratie vgl. Malinowski, Stefan (2003): Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat. Berlin: Akademie Verlag.

[3] Tatsächlich wurde eines der grundlegenden Aspekte der Gemeinschaftsbildung auch in Buenos Aires durch ein kommunikatives Zusammengehörigkeitsgefühl produziert: Die geteilte Sprache, die zwar regional differenzierte, aber auch auf geteilte Vorstellungen, Traditionen und Heimatbezüge verwies, galt als wesentlicher Moment einer Herstellung von begrenzter und überschaubarer Gemeinschaftlichkeit. Vgl. dazu die theoretischen Ansätze der Studie von Hausendorf, Heiko (2000): Zugehörigkeit durch Sprache. Eine linguistische Studie am Beispiel der deutschen Wiedervereinigung. Tübingen: Max Niemexer, S. 3-59. Ich werde in der Folge Termini wie „deutschsprachig Gemeinschaft“, und „deutschsprachige Kolonie“ synonym verwenden. Die Betonung dabei liegt auf deutschsprachig - wie ich im Weiteren ausführen werde, sind die Begriffe „Gemeinschaft“ und „Kolonie“ eher Hilfskonstrukte, da vernünftigerweise weder von einer Gemeinschaft im harmonischen oder einheitlichen Verständnis, noch von einer Kolonie im Sinne einer siedlungsspezifischen Verwendung ausgegangen werden kann.

[4] Dies hatte Ronald C. Newton bereits 1976 behauptet. Newton, Ronald C. (1976): Social Change, Cultural Crisis, and the Origins of Nazism Within the German- Speaking Community of Buenos Aires, 1914-1933. In: Canadian Journal of Latin American Studies, No. 1&2, Vol. 1 (1976), S. 62-106.

[5] Vgl. Stern, Fritz (1963): Kulturpessismismus als politische Gefahr. Bern, Stuttgart, Wien: Scherz Verlag.

[6] Stern (1963), Kulturpessimismus, a.a.O., S. 3

[7] Vgl. Vierhaus, Rudolf (1982): Konservativ. In: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Band 3, Stuttgart: Klett-Cotta, S. 531-565.

[8] Rosenberg, Arthur (1961): Geschichte der Weimarer Republik. Frankfurt/Main: Europäische Verlagsanstalt, S. 191.

[9] Vgl. Oberkrome, Willi: Volksgeschichte. Methodische Innovation und völkische Ideologisierung in der deutschen Geschichtswissenschaft 1918-1945. Göttingen: Vanderhoeck & Ruprecht 1993.

[10] In der Folge der Tagung über Eurpäische Juden in Lateinamerika, die von der Forschungsgruppe Lateinamerika der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster organisiert worden war, verbanden sich Forschungsansätze und Arbeiten aus Lateinamerika und Deutschland in einer ersten größeren Publikation. Vgl. Achim Schrader/ Karl Heinrich Rengstorf (Hrsg.) (1989): Europäische Juden in Lateinamerika. St. Ingbert: Westfälische Wilhelms-Universität, W.J. Röhrig.

[11] Vgl. exemplarisch Avni, Haim (1983): Argentina y la historia de la inmigración judía (1810-1950). Buenos Aires: AMIA/Ed. Univ. Magnes/Univ. Hebrea de Jerusalén. Mirrelmann, Victor A. (1988): En busqueda de una identitad. Los inmigrantes judíos en Buenos Aires 1890-1930. Buenos Aires: Milá.

[12] Ebel, Arnold (1971): Das Dritte Reich und Argentinien. Die diplomatischen Beziehungen unter besonderer Berücksichtigung der Handelspolitik (1933-1939). Köln, Wien: Böhlau.

[13] Volberg, Heinrich (1981): Auslandsdeutschtum und Drittes Reich. Der Fall Argentinien. Köln, Wien: Böhlau.

[14] Jackisch, Carlota (1989): El Nazismo y los Refugiados en La Argentina 1933-1945. Buenos Aires: Editorial de Belgrano. Eine Monografie fü Chile erstellte Irmtrud Wojak im Rahmen ihrer Dissertation, Wojak, Irmtrud (1994): Exil in Chile. Die deutsch-jüdische Emigration während des Nationalsozialismus 1933-1945. Berlin: Metropol Verlag.

[15] Vgl. Kellenbenz, Herrmann/Schneider, Jürgen (1976): „La emigración alemana a América Latina, 1821-1931. In: Jahrbuch Lateinamerika 13, S. 386-403.

[16] Laikin Elkin, Judith (1980): Jews of the Latin American Republics. Chapel Hill: University of North Carolina Press (dt.: 150 Jahre Einsamkeit. Geschichte der Juden in Lateinamerika. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt. Zit. als Laikin 1996). Darüber hinaus: Lewin, Boleslao (1974): La colectividad judía en la Argentina. Buenos Aires: Alzamor Editores; Weisbrot, Robert (1979) The Jews of Argentina from the Inquisition to Peron. Philadelphia: Jewish Publication Society. Imrtrud Wojak hat mit ihrer Dissertation allerdings eine sehr begriffsstarke Monografie zur Emigration nach Chile vorgelegt. Vgl. Wojak, Imrtrud (1994): Exil in Chile. Die deutsch-jüdische und politische Emigration während des Nationalsozialismus 1933-1945. Berlin: Metropol.

[17] Unter der großen Menge von Publikationen mit oftmals sehr unterschiedlicher wissenschaftlicher Qualität sticht bis heute die Arbeit von Holger Meding hervor. Vgl. Meding, Holger (1992): Flucht vor Nürnberg? Deutsche und österreichische Einwanderung in Argentinien 1945-1955. Köln, Weimar: Böhlau.

[18] Die wohl bekannteste Arbeit dazu lieferte Werner Pade in seiner Dissertation. Vgl. Pade, Werner (1971): Studien zur Expansion des deutschen Kapitals nach Lateinamerika in der Weimarer Republik. Diss. Universität Rostock.

[19] Vgl. Schönwald, Matthias (1995): Nationalsozialismus im Aufwind? Das politische Leben der deutschen Gemeinschaft Argentiniens in der frühen zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts. In: Holger M. Meding (Hg.): Nationalsozialismus und Argentinien: Beziehungen, Einflüsse und Nachwirkungen. Frankfurt et al: Peter Lang, S. 51-66.

[20] Gemeint ist damit die Arbeit von Lütge, Wilhelm/Hoffmann, Werner/Körner, Karl Wilhelm (1955): Geschichte des Deutschtums in Argentinien. Buenos Aires: Deutscher Klub Buenos Aires.

[21] Vgl. Insbesondere Newton, Ronald C. (1977): German Buenos Aires, 1900-1933: Social Change and Cultural Crisis. Austin: University of Texas Press. Darüber hinaus: Ders. (1992): The ‚Nazi Menace’ in Argentina 1931-1947. Stanford: Stanford University Press.

[22] Newton, Ronald C. (1976): Social Change, Cultural Crisis, and the Origins of Nazism Within the German- Speaking Community of Buenos Aires, 1914-1933. In: Canadian Journal of Latin American Studies, No. 1&2, Vol. 1 (1976), S. 62-106, hier: S. 62.

[23] Müller, Jürgen (1997): Nationalsozialismus in Lateinamerika: Die Auslandsorganisationen der NSDAP in Argentinien, Brasilien, Chile und Mexiko, 1931-1945. Stuttgart: Verlag Heinz/Akademischer Verlag.

[24] Rinke, Stefan (1996): >Der letzte freie Kontinent<: Deutsche Lateinamerikapolitik im Zeichen transnationaler Beziehungen, 1918-1933, 2 Teilbände. Stuttgart: Heinz/Akademischer Verlag.

[25] Lvovich, Daniel (2003): Nacionalismo y Antisemitismo en La Argentina. Buenos Aires: Javier Vergara.

[26] So formuliert es beispielsweise Anne Saint Saveur-Henn (1995): Die deutsche Einwanderung in Argentinien, (1870-1933): Zur Wirkung der politischen Entwicklung in Deutschland auf die Deutschen in Argentinien. In: Holger M. Meding (Hg.): Nationalsozialismus und Argentinien: Beziehungen, Einflüsse und Nachwirkungen. Frankfurt et al: Peter Lang, S. 11-30, hier: S. 15. Vgl. ebenfalls ihre umfassende Darstellung im Rahmen ihrer Habilitationsschrift aus dem Jahr 1995, Un siecle d’émigracion allemande vers l’Argentine, 1853-1945. Köln, Wien: Böhlau.

[27] Als generelle Einführung betont dies Sáenz Quesada, María (2001): La Argentina. Historia del país y de su gente. Buenos Aires: Editorial Sudamericana, S. 384ff. Regionalhistorischen Studien belegen diese Planungen und Entwicklungen anhand industriell unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, vgl. exemplarisch die Arbeiten über die stark vom Weinbau geprägte Region Mendoza in den Zentralanden: Gago, Alberto Daniel (2004): La economía: de la encomienda a la moderna industria mendocina. In: Arturo Roig/Pablo Lacoste/María Cristina Satlari (Hrsg.): Mendoza, cultura y economía. Buenos Aires: Caviar Bleu, S. 17-55. Lacoste, Pablo (2004): La vitivinicultura en Mendoza: implicancias sociales y culturales (1561-2003). In: Roig et al. (Hrsg.), Mendoza, a.a.O., S. 57-113. Zur historisch-politischen Entwicklung der administrativen Strukturen im Prozess der Modernisierung, Lacoste, Pablo (2004): Territorios y departamentos. In: Roig et al. (Hrsg), Mendoza, a.a.O., S. 175-223.

[28] So Jackisch (1989), Refugiados, a.a.O., S. 113.

[29] Vgl. die zeitgenössische Erhebung des überzeugt nationalsozialistischen Volkstumsforschers Hugo Grothe (1932): Die Deutschen in Übersee. Eine Skizze ihres Werdens, ihrer Verbreitung und kulturellen Arbeit. Berlin: Zentralverlag, S. 6f. Jackisch (1989), Refugiados, a.a.O., S. 110, Tabelle 2. Damit ist Argentinien das Land mit dem stärksten, einwanderungsbedingten Bevölkerungswachstum sogar noch vor den USA.

[30] Vgl. Schulz, Wilhelm (o.J.): Die erste deutsche Siedlung in Argentinien. Deutsche Kolonie auf dem Gelände des heutigen Chacarita-Friedhofes. (o.O.) Unter Anleitung von des Deutschen Karl Heine siedelten nacheinander drei Gruppen mit insgesamt 182 Siedlern auf dem Gelände.

[31] Newton, Ronald C. (1992): The ‘Nazi Menace’ in Argentina 1931-1947. Stanford: Stanford University Press, S. 17.

[32] Saint Saveur-Henn, Anne (1995): Die deutsche Einwanderung in Argentinien, (1870-1933): Zur Wirkung der politischen Entwicklung in Deutschland auf die Deutschen in Argentinien. In: Holger M. Meding (Hg.): Nationalsozialismus und Argentinien: Beziehungen, Einflüsse und Nachwirkungen. Frankfurt et al: Peter Lang, S. 11-30, hier: S. 11.

[33] Vgl. Newton, Ronald, C. (1976): German Buenos Aires 1900/1933. Social Change and Cultural Crisis. Austin/London: University of Texas.

[34] Lütge, Wilhelm/Hoffmann, Werner/Körner, Karl Wilhelm (1955): Geschichte des Deutschtums in Argentinien. Buenos Aires: Deutscher Klub Buenos Aires, S. 139.

[35] Rinke, Stefan (1996): >Der letzte freie Kontinent<: Deutsche Lateinamerikapolitik im Zeichen transnationaler Beziehungen, 1918-1933, 2 Teilbände. Stuttgart: Heinz/Akademischer Verlag.

[36] Anne Saint-Saveur Henn hat für ihre Habilitationsschrift eine weitere Übersicht erstellt:

[37] Diese Zahlen decken sich mit den zeitgenössischen Angaben von Wilhelm Keiper und den Zahlen bei Arnold Ebel, die beide zudem die Größenordnung von 11 000 Reichsdeutschen differenziert. Vgl. Keiper (31938): Deutsche in Argentinien, a.a.O., S. 56. Ebel (1971), Das Dritte Reich und Argentinien, a.a.O., S. 23. Ähnlich Saint Saveur-Henn (1995), Einwanderung, a.a.O., S. 16f.

[38] Ebenda, S. 17. In Abschwächung der Darstellung muss hinzugefügt werden, dass dies selbstverständlich nicht bedeutete, dass nicht auch Immigranten mit technischen oder Handelsberufen in die kleineren Städte der Provinz gegangen wären, respektive dass alle Landwirte wirklich auch in den ländlichen Regionen siedelten.

[39] Anne Saint Saveur-Henn rekonstruierte die Immigrationsgründe deutscher Einwanderer und stellte die wirtschaftliche Prosperität Argentiniens als eines der wichtigsten Merkmale fest. Allerdings erscheint ihre Behauptung, dass man bis 1933 „von einer wirklichen Wahl sprechen [kann], was nachher nicht mehr der Fall sein sollte“, insbesondere angesichts der restriktiven Kontingentierung der Einwanderer in die USA – und damit der Umleitung vieler Auswanderer aus Deutschland nach Argentinien – als überspitzt. Vgl. Saveur-Henn (1995), Deutsche Einwanderung, a.a.O., S. 15f. Eine Reisebeschreibung aus dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts skizziert die wirtschaftliche Bedeutung Argentiniens und die enorme Größe der Hauptstadt Buenos Aires, als zeitgenössischer Hauptumschlagplatz für Waren aus aller Welt. „Schon die unglaubliche Ausdehnung von Buenos Aires, dessen Oberfläche diejenige von Paris und Berlin mehr als drei Mal überragt und vier Mal größer ist als die Wiens, gibt einen Ausdruck von der Wichtigkeit dieser lebendigen südamerikanischen Metropole, ihre Dauerhaftigkeit und ihr Ruf eilen stets zu neuen Höhen da die wertvollen Produkte des Hinterlandes gewinnbringend mit denen der größten Produzenten von Korn und Fleisch der Welt wetteifern.“ Rückübersetzung aus dem Spanischen von Schuster, Adolf N. (1976): En Buenos Aires. In: Hans Joachim Wulschner (Hg.): Del Rio Grande al Plata. Crónicas de viajes realizados por Alemanes en el siglo XIX por el continente Sudamericano. Buenos Aires: Sudamericana, S. 297-306. Der Reisebericht von Schuster stammt aus dem Jahr 1913 und wurde veröffentlich in des.: Argentinien. Land, Volk, Wirtschaftsleben und Kolonisation. Band 1. Diessen: Huber.

[40] Dies bestätigen mir deutsche Einwanderer, die nach Buenos Aires kamen, wie etwa Edith Silber. Vgl. Laberenz, Lennart (2005): Am Ende eines neuen Lebens. Jungle World, Nr. 43 vom 26. Oktober 2005, S. 16-17. Vgl. überdies: Schirp, Kerstin E./Finkelstein, Werner M. (2002): Jude, Gringo, Deutscher. Das abenteuerliche Leben von Werner Max Finkelstein. Norstedt: B.o.D.

[41] Ricardo Hirsch an Berta Hirsch vom 16. Februar 1928. In: Korrespondenzarchiv der Familie Hirsch (zwei Ordner), Buenos Aires, Loseblattsammlung, Ordner 1: Briefe 1914-1930.

[42] Ebenda.

[43] Ebenda.

[44] Schwarcz, Alfredo José (1991): Y a pesar de todo. Los judíos de habla alemana en La Argentina. Buenos Aires: Grupo Editor Latinoamericano, S. 91.

[45] Pyenson, Lewis (1985): Cultural Imperialism and Exact Sciences. German Expansion Overseas 1900-1930. New York, Bern, Frankfurt/Main: Peter Lang, S. 143. Pyenson stellt fest, dass „between 1885 and the First World War the population of Argentina doubled with the influx of three million immigrants, 100,000 of whom spoke German.“ Darüber hinaus vgl. die zeitgenössischen Darstellungen von Einwanderung Alemann, E.F. (1943): Argentinien und die Jüdische Einwanderung. In: Asociación Filantropica Israelita (Hg.): Zehn Jahre Aufbauarbeit in Südamerika 1933-1943. Buenos Aires: [Selbstverlag], S. 55-61. Zudem Schesinger, Guillermo (1943): Die Jüdische Gemeinde, ihre Entwicklung in Argentinien und in Europa. In: A.F.I. (Hg.), a.a.O., S. 62-69. Darin für ganz Lateinamerika: Vogel, Carlos (1943): Kurzer Überblick über die Geschichte der Juden in Spanisch- Amerika von der Entdeckung bis zur Emanzipation. In: A.F.I. (Hg.), a.a.O., S. 320-333. Einen umfassenden und nach wissenschaftlichen Standards erarbeiteten Überblick über jüdische Migration nach Lateinamerika und Argentinien bieten Laikin Elkin, Judith (1980): Jews of the Latin American Republics. Chapel Hill: University of North Carolina Press; Lewin, Boleslao (1983): Cómo fue la inmigración judía en la Argentina. 2. erw. Auflage, Buenos Aires: Plus Ultra (zuerst 1971); Lewin, Boleslao (1974): La colectividad judía en la Argentina. Buenos Aires: Alzamor Editores; Weisbrot, Robert (1979) The Jews of Argentina from the Inquisition to Peron. Philadelphia: Jewish Publication Society; Den Aspekt des Einzelphänomens der deutschsprachigen Immigration in der ersten Hälfte des 19. Jhd. betont ebenso Volberg, Heinrich (1981): Auslandsdeutschtum und Drittes Reich. Der Fall Argentinien. Köln, Wien: Böhlau, S. 1f. Während Volberg stärker auf wirtschaftliche Aktivitäten abhebt, führt Jürgen Müller „wirtschaftliche und politische Gründe“ an, die der frühen Einwanderung zu Grunde lag. Vgl. Müller, Jürgen (1997): Nationalsozialismus in Lateinamerika: Die Auslandsorganisationen der NSDAP in Argentinien, Brasilien, Chile und Mexiko, 1931-1945. Stuttgart: Verlag Heinz/Akademischer Verlag (zugleich Diss. Univ. Heidelberg 1994/1995), S. 150.

[46] Wilhelm Keiper (1938): Der Deutsche in Argentinien. Für Jugend und Volk zusammengestellt. Schriftenreihe „Der Deutsche im Auslande“, hg. vom Deutschen Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht, Heft 57. 3Langensalza/Berlin/Leipzig: Verlag Julius Belz, S. 26 (Zuerst 1935).

[47] Avni, Haim (1983): Argentina y la história de la inmigración judía (1850-1950). Buenos Aires: AMIA/ Universidad Magnus/Universidad Hebrea de Jerusalén.

[48] Lewin, Boleslao (1983): Cómo fue la inmigración judía en la Argentina. 2. erw. Auflage, Buenos Aires: Plus Ultra (zuerst 1971). Weitere Überblickswerke sind Weisbrot, Robert (1979) The Jews of Argentina from the Inquisition to Peron. Philadelphia: Jewish Publication Society, Laikin Elkin, Judith (1980): Jews of the Latin American Republics. Chapel Hill: University of North Carolina Press (dt.: 150 Jahre Einsamkeit. Geschichte der Juden in Lateinamerika. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt. Zit. als Laikin 1996)

[49] Avni (1983), Inmigración judía, a.a.O.; Lewin (1983), Inmigración judía, a.a.O., S. 47ff..

[50] Avni arbeitet in diesem Zusammenhang die Einsetzung von José María Bustos heraus, der 1881 vom argentinischen Präsidenten Julio A. Roca als Beauftragter für europäische und russische Einwanderung mit der Sonderaufgabe jüdische Auswanderungswillige nach Argentinien zu locken, versehen wurde. Dies war, so stellt Avni fest, die einzige Einladung, die Juden jemals aus Argentinien bekommen haben. Allerdings war die Mission von Bustos von keinen besonderen von Erfolgen gekrönt. Vgl. Avni, Haim (1992): Judíos en América. Cinco siglos de historia. Madrid: Mapfre, S. 157ff.

[51] Vgl. die sehr undeutliche Berichterstattung über eine jüdische Gruppe, die sich 1820 in Argentinien niederlassen wollte, wie sie Boleslao nacherzählt. Einziger Hinweis sind Zeitungsartikel von Francisco de Paula Castañeda – unklar ist, wer mit wem über den Verkauf von Ländereien verhandelt, wo sie sich niederlassen wollten und aus welchen Personen die Gruppe überhaupt bestand. Bekannt war nur der Name eines jüdischen Seemans, der angeblich zu der Gruppe gehören sollte. Nach den ohne Quellenangaben und Literaturverzeichnis dargestellten Berichterstattung bei Boleslao lässt sich dieses Beispiel höchstens als Beispiel für die Existenz eines Unterscheidungskriteriums des jüdischen Fremden in Argentinien anführen. Vgl. Boleslao (1983), Inmigración judía, a.a.O., S. 37-45.

[52] Mendelson, José [1944]: Cincuenta años de vida judía en la Argentina. Wiederabgedruckt in: AMIA (Hg.) (1995): Comunidad Judía de Buenos Aires 1894-1994. Buenos Aires: Weiss, S. 102-106, hier: S. 102.

[53] Avni (1992), Judíos en América, a.a.O., S. 160.

[54] Ebenda.

[55] Ebenda, S. 160f.

[56] Vgl. ebenfalls Avni (1983), Inmigración judía, a.a.O., S. 117-126.

[57] Die Struktur und Arbeit der J.C.A charakterisiert knapp: Schwarcz (1991), Y a pesar de todo, a.a.O., S. 179ff.

[58] In den zitierten Briefen zwischen Ricardo und Leopold Hirsch fanden sich nur Randbemerkungen zu Antisemitismus und NSDAP. Dies mag dadurch provoziert sein, dass Leopold Hirsch seinen Lebensmittelpunkt bereits zum Ende der 1920er Jahre nach Paris verlegt hatte, allerdings häufig in Deutschland auf Verwandtenbesuch und in seiner Funktion als Firmen-Verteter unterwegs war.

[59] Vgl. Rinke (1996), Lateinamerikapolitik, Bd. 1, S. 367ff. Rinke, Stefan (1996): Export einer politischen Kultur. Auslandsdeutsche in Lateinamerika und die Weimarer Republik. In: Stefan Karten/Andreas Wimmer (Hrsg.): „Integration und Transformation“: Ethnische Gemeinschaften, Staat und Weltwirtschaft in Lateinamerika seit 1850. Stuttgart: Heinz/Akademischer Verlag, S. 353-379, hier: 354f.

[60] Vgl. Saint Saveur-Henn (1995), Deutsche Einwanderung, a.a.O., S. 23.

[61] Newton, Ronald C. (1976): Social Change, Cultural Crisis, and the Origins of Nazism Within the German- Speaking Community of Buenos Aires, 1914-1933. In: Canadian Journal of Latin American Studies, No. 1&2, Vol. 1 (1976), S. 62-106, hier: S. 65.

[62] Von eher geringem politischen und sozialem Einfluss waren Sozialisten und Kommunisten, die sich ebenfalls in schwach besuchten Vereinen sammelten und in kurzlebige Zeitschriften äußerten. Zwar vertraten sowohl der Vorwärts als auch das Tageblatt eine oft genug von der deutschsprachigen Mehrheitsmeinung abweichende Position, sie jedoch als einen antagonistischen Pol zur zu bezeichnen, hieße ihre politische und soziale Akzeptanz zumindest vor 1933 weit zu überzeichnen. Der Vorwärts konnte keineswegs in sozialer oder politischer Hinsicht das Gravitationszentrum des deutschsprachigen Konservativismus, den Deutschen Klub, in seiner Macht beschneiden. Während sich im Vorwärts sozialdemokratische Arbeiter organisierten, wirkte der Deutsche Klub als sozialer Bezugspunkt für alle gehobenen bürgerlichen Milieus. In ihm verkehrten Unternehmer, Handelsvertreter, und bis 1933/34 Juden, Katholiken und Protestanten gleichermaßen. Der Deutsche Klub war und ist ein Ort für Geschäftsessen, wie für Vortragsveranstaltungen oder kulturelle Ereignisse der deutschsprachigen Elite. Das Tageblatt blieb im Vergleich zur Deutschen La Plata-Zeitung immer das auflageschwächere Organ und vertrat schon wegen der republikanischen Färbung seiner Schweizer Gründer eine politische Meinung, die einer auf Reich und Wilhelminismus stolzen Mehrheit in variierender Schärfe widersprach.

[63] Interessanterweise sind alle diese Aspekte, die soziale Ausdifferenzierung und ihre zunehmende politische Vertretung, die Auseinandersetzungen um das AT und die wirtschaftliche Prosperität noch zur Mitte der 1950er Jahre nicht in das Bewusstsein, bzw. das offiziöse Geschichtsbild des wirkmächtigen Deutschen Klubs eingedrungen. Anders kann sich ein völliges Fehlen solcher Ansätze in der Geschichtsschreibung von Lüttge et al. nicht erklären. Vielmehr wird hier von der „englischen Einkreisungspolitik um die Jahrhundertwende“ gesprochen, die „Vorbereitung der großen weltpolitischen Auseinanderstzungen“ in der deutschen Politik erzwungen habe und auch der deutschen Kolonie in Buenos Aires zu Leibe rückte. Während des Ersten Weltkrieges sei dann diese Kolonie „verfolgt“ worden, „zu dem seelischen Druck, unter dem das gesamte Deutschtum zu leiden hatte, kam die bittere Not.“ Lüttge et al. (1955), Geschichte des Deutschtums, a.a.O., S. 367f

[64] Bussemeyer, Peter (1939): Fünfzig Jahre Argentinisches Tageblatt: Werden und Aufstieg einer auslandsdeutschen Zeitung. Buenos Aires: Argentinisches Tageblatt Selbstverlag, S. 36-44, 47f. Vgl. überdies die knappe Darstellung bei Newton (1977), German Buenos Aires, a.a.O., S. 26-31.

[65] Newton (1976), 1914-1933, S. 63-65. Vgl. ebenfalls Newton, Ronald C. (1977): German Buenos Aires. Social Change and Cultural Crisis. Austin: University of Texas Press, S. 3-31.

[66] Ebel, Arnold (1971): Das Dritte Reich und Argentinien. Die diplomatischen Beziehungen unter besonderer Berücksichtigung der Handelspolitik (1933-1939). Köln, Wien: Böhlau, S. 24. Zur politischen und kulturellen Bedeutung des Vereinslebens unter den Deutschsprachigen in Argentinien vgl. Newton (1977), German Buenos Aires, a.a.O., S. 26-29. Nach einer Zählung des Deutschen Volkbundes für Argentinien fanden sich alleine in Buenos Aires und Umgebung 88 Vereine mit rund 16000 Mitgliedern. Rinke (1996), Lateinamerikapolitik, Bd. 1, S. 323.

[67] Vgl. dazu umfangreich und politisch eindeutig die Geschichte und Geschichtsschreibung des Deutschen Klubs in: Lütge, Wilhelm/Hoffmann, Werner/Körner, Karl Wilhelm (1955): Geschichte des Deutschen Klubs in Argentinien. Hrsg. vom Deutschen Klub in Buenos Aires zur Feier seines 100 jährigen Bestehens. Buenos Aires: Deutscher Klub Selbstverlag.

[68] Den Begriff entlehne ich aus der Darstellung der deutschen Gelehrten des Kaiserreiches von Fritz K. Ringer Vgl. Ringer, Fritz K. (1983): Die Gelehrten: Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890- 1933. 3München: Deutscher Taschenbuchverlag.

[69] Die konservative Geschichtsschreibung von Lütge, Hoffmann und Körner stellt die Situation als zunehmende „Deutschenhetze“ dar. Dies kann allerdings mit Hinweis auf die genauen Untersuchungen von Newton als Übertreibung gewertet werden. Zwar kam es sogar zu gewaltsamen Ausbrüchen von Aversionen, u.a. gegen den deutschen Klub und das Argentinische Tageblatt, dies waren allerdings singuläre Ereignisse, welche nicht durchgängig für die allerdings überwiegend pro- Alliierten eingestellte Bevölkerung von Buenos Aires stehen kann. Vgl. Lütge, Wilhelm/Hoffmann, Werner/Körner, Karl Wilhelm (1955), Geschichte des Deutschtums, a.a.O., S. 365. Dagegen Newton (1976), 1914-1933, a.a.O., S. 67-73. Der „Burgfrieden“ und die positive Einstellung zum Krieg wurde von konservativen bis sozialdemokratischen Lagern mittels Appellen an die „nationale Geschlossenheit“ betrieben, was sich an ihren Publikationen nachlesen lässt. Vgl. Groth, Hendrik (1997): Das Argentinische Tageblatt. Sprachrohr der demokratischen Deutschen und der deutsch- jüdischen Emigration. Hamburg: Lit-Verlag, S. 57ff. Auch das AT rief zur Vereinigung aller deutschen Elemente in einer Gemeinschaft, die sich „konzentrieren und nicht teilen soll“, auf. Vgl. „Der Großbund aller deutschen Feldgauen“, in: AT 19. Januar 1916. „Gründung eines germanischen Kauf und Konsumvereins“, in: AT vom 20. Mai 1916.

[70] Vgl. Ebel (1971), Das Dritte Reich und Argentinien, a.a.O., S. 23. Ebenfalls wird dieser Mechanismus vom damaligen deutsche Gesandte in seinen Memoiren erwähnt, vgl. Graf Luxburg, Karl (1953): Nachdenkliche Erinnerung. Schloß Achach/Saale: Selbstverlag des Autors, S. 91.

[71] Vgl. die Rekonstruktion bei Newton (1976), 1914-1933, S. 70-73. Newton stellt fest, „a rough estimate of the gross wartime earnings of all enterprises is provided by the fact that the total worth of German investments in Argentina rose from an estimated $250 million in 1913 to $265, even though by the latter year at least $15 million in blocked wartime funds had been remitted to Germans.” Um dies genauer einschätzen zu können, bemerkt Newton ausserdem, dass „eleven twelfths of Germany’s aggregate overseas holdings of 1914 were liquidated during the war.“ Vgl. ebenda, S. 72.

[72] Vgl. Newtons Lesart des politischen Streits nach dem ersten Weltkrieg, Newton (1977), German Buenos Aires, a.a.O., S. 59-67 und passim.

[73] Vgl. die hier zusammengefasste Darstellung bei Newton (1976), 1914-1933, a.a.O., S. 66f.

[74] Vgl. die bereits analysierte Darstellung bei Keiper (1914), Deutsche Kulturaufgaben, a.a O.

[75] Newton spricht in diesem Zusammenhang gelegentlich von den „favored 10 percent“, die in wachsender Prosperität lebten. Vgl. Newton (1977), German Buenos Aires, a.a.O., S. 51.

[76] Vgl. dazu Lehnert, Detlef/Megerle, Klaus (1987): Identitäts- und Konsensprobleme in einer fragmentierten Gesellschaft. Zur politischen Kultur in der Weimarer Republik. In: Dirk Berg-Schlosser (Hg.): Politische Kultur in Deutschland. Bilanzen und Perspektiven der Forschung. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 80-95.

[77] Tatsächlich war die Ablehnung der Versailler Verträge allen Vereinen und Zeitungen zu eigen und bildete einen der selten Momente der Einigkeit unter den Deutschsprachigen: „In dieser Bestürzung und in dieser Verurteilung wirkte der Einheitsgedanke der Deutschen in Argentinien in der Presse wie in den Vereinen noch fort, während ansonsten die durch den Krieg zusammengeschweißte Notgemeinschaft weitgehend zerstob.“ Saint Savour-Henn (1995), Deutsche Einwanderung in Argentinien, a.a.O., S. 24.

[78] Rinke (1996), Lateinamerikapolitik, Bd. 1, S. 368ff. Newton (1977), German Buenos Aires, S. 52-90, 109-122. Newton stellt fest: “Thus by the end of 1919 the Buenos Aires community had not only been awakened from its long apolitical slumber, it had also been cleft into nearly irreconcilable factions. [Paradoxically, in the view of the commonalty the self-proclaimed bearers of authentic German nationalism – the Kaiser Loyalists – had shown themselves, through their opportunistic behaviour during and after the war, as perhaps the least patriotic sector of the community; true Germanness lay rather among the hard-working little people, the schaffende Volk .] The two currents – the traditionalist authoritarianism of the Geld-Aristokratie and the deep-flowing, mostly inchoate populism of the commonality – would come together again with the advent of Hitlerism in Argentina after 1931. But they would not mingle.” (S. 66f.) Grundsätzliche drängt sich natürlich die Fragen nach Differenzen und Kontinuitäten der Nationalismusbegriffe und Gemeinschaftsvorstellungen der Deutschsprachigen entlang der verschiedenen Etappen der Einwanderung auf. Auf die Frage, wie sich der Nationalismusdiskurs der Deutschsprachigen vor dem Ersten Weltkrieg von dem der Einwanderer nach 1918 unterschied, vermag diese Arbeit einerseits aus Mangel an Quellen, keine Antwort zu geben, andererseits würde eine solche Differenzierung den Rahmen dieser Untersuchung sprengen.

[79] Die Forschungslage, die sich nur noch zum Teil auf die Begriffsbildung bei Armin Mohler (1972): Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch. 2. völlig neu bearb. und erw. Fassung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. (Zuerst 1949), bezieht, ist bereits in schwer zu überblickende Dimensionen ausgeweitet. Exemplarisch werden hier verwendet: Sontheimer (41994), Antidemokratisches Denken, a.a.O. Vgl. überdies: Breuer, Stefan (2001): Ordnung der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Breuer, Stefan (1999): Grundpositionen der deutschen Rechten (1871-1945). Tübingen: Edition Diskord. Bösch, Frank (2002): Das konservative Milieu. Vereinskultur und lokale Sammlungspolitik in ost- und westdeutschen Regionen (1900-1960). Göttingen: Wallstein. Sehr weitgehend auch mit symboltheoretischem Ansatz: Barth, Boris (2003): Dolchstoßlegenden und politische Desintegration. Das Trauma der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg 1914-1933. Düsseldorf: Droste Verlag.

[80] Vgl. die knappe Darstellung in: Weber, Hermann/Herbst, Andreas (2004): Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945. Berlin: Karl Dietz, S. 10-43. Weitergehend der Beitrag von Jesse, Eckhard (2002): Demokratie oder Diktatur? – Luxemburg und der Luxemburgismus. In: Uwe Backes/Stéphan Courtois (Hrsg.): >Ein Gespenst geht um in Europa< Das Erbe kommunistischer Ideologien. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, S. 187-121. Sehr ideologiekritisch zu lesen sind die Schlussbemerkungen von Backes, Uwe (2002): „Totalitäres Denken“ – Genese und Gestalt eines kommunismuskritischen Konzepts. In: Backes/Courtois, Gespenst, a.a.O., S. 383-407. Einen breiteren Überblick aus politikwissenschaftlicher Perspektive bietet von Beyme, Klaus (2002): Politische Theorien im Zeitalter der Ideologien 1789-1945. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 714-802. Seit kurzem liegt auch eine weitergehende Arbeit vor, die auf das Konzept der politischen Kultur abhebt und somit auch Diskurse aus der Literatur und Kunst einbezieht, vgl. Bavaj, Riccardo (2005): Von links gegen Weimar. Linkes antiparlamentarisches Denken in der Weimarer Republik. Bonn: J.H.W. Dietz Nachf.

[81] Matthias Schönwald urteilt ohne näheren Quellenbezug über die Deutschsprachigen bis 1922: „In der Mehrzahl war die deutsche Gemeinschaft in Bewunderung der Kulturleitungen des Deutschen Reiches monarchistisch eingestellt und konnte dem Gedanken der Volkssouveränität trotz ihrer republikanischen Wahlheimat Argentinien nur wenig abgewinnen.[...] Lediglich eine kleine Minderheit der Deutschen in Argentinien empfand die Demokratie als gerechte Staatsform und stand der Revolution in Deutschland positiv gegenüber.“ Schönwald (1995), Nationalsozialismus im Aufwind? A.a.O., S. 53. Freilich attestiert er den Konservativen einige Seiten später bereits „diffuse Vorstellungen“ und „Unklarheit über die eigenen politischen Ziele“ (ebenda, S. 64). Es ist nicht klar, ob Schönwald damit die Deutschsprachigen ab 1923 meinte, oder keine Quellengrundlage mehr für sein erstes Urteil über die politische Gesinnung finden sah. Mir scheinen die diffusen Vorstellungen der Konservativen über politische Ordnungsmodelle, wie ich im Folgenden ausarbeiten werde, auf jeden Fall näher an der zeitgenössischen Lage, denn eindeutige Zuschreibungen.

[82] Vgl. grundsätzlich die Beiträge in dem Sammelband von Helmut Berding (Hrg.) (1994): Nationales Bewusstsein und kollektive Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewusstseins in der Neuzeit 2. Frankfurt/Main: Suhrkamp; Tajfel, Henry/Turner, Jim C. (1986): The social identity theory of intergroup behaviour. In: Stephen Worchel /William G. Austin (Hrsg.): Psychology of intergroup relations. Chicago: Nelson-Hall, S. 222-239. Explizit diskutieren Rainer Dollase et al. derartige Prozesse der Homogenisierung am Beispiel des Musikgeschmacks in Subgruppen multikultureller Schulklassen, vgl. Dollase, Rainer/Woitowitz, Katharina/Ridder, Arne/Köhnemann, Ina (2002): Konformität und Nonkonformität musikalischer Präferenzen als Ausdruck sozialer Distinktion in multikulturellen Schulklassen zwischen 11. und 18. Lebensjahr. In: Helmut Rösing/Albrecht Schneider/Martin Pfleiderer (Hrsg.): Musikwissenschaft und populäre Musik. Versuch einer Bestandsaufnahme New York, Bern Frankfurt/Main: Peter Lang, S. 199-209. Die emotionalen Bezüge bei der Konstruktion von Nationen wurden in den Beiträgen zur Tagung „Nation und Emotion“ anfang der 1990er Jahre beleuchtet. Vgl. Etienne Francios/Hannes Siegerist/Jakob Vogel (Hrsg.)(1995): Nation und Emotion. Deutschland und Frankreich im Vergleich 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen: Vanderhoeck&Ruprecht.

[83] Sontheimer (41994), Antidemokratisches Denken, a.a.O., S. 13.

[84] Ebenda, S. 16. Stefan Breuer zeigt im Kontrast dazu, auf welchen Begriffen und Vorstellungen antidemokratisches Denken stand. Er isoliert die Begriffe >Boden<, >Blut<, >Volk< und >Nation<, aber auch Vorstellungen von Staatlichkeit und Herrschaft nach Innen und Außen, Organisation von Wirtschaft und Soziales, Vorstellungen von Familie, Kultur, Religion und untersucht den Antisemitismus. Der Vorteil einer solche Annäherung entschlüsselt antiliberales Denken nicht, indem es von Vordenkern, Vereinen und Zirkeln auf die Semantik verweist, sondern sich diesen über die Diskurse annähert. Vgl. Breuer (2001), Ordnung der Ungleichheit, a.a.O. In der Betrachtung der deutschsprachigen Kolonie in Buenos Aires werde ich ähnlich einem solchen Schema wesentlich diskursanalytisch vorgehen und die Begriffe und Mechanismen der Gemeinschaftsbildung in den Mittelpunkt rücken, allerdings in Verbindung mit den bei Sontheimer entwickelten Vorschlägen zu begrifflich unterscheidbaren Gruppen der konservativen Revolution.

[85] Arnold Ebel urteilte in seiner Arbeit aus den 1970er Jahren: „Praktisch die gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche Führungsgruppe der Kolonie sowie die Mehrzahl der übrigen Deutschen stand dem Weimarer Staat verständnislos und ablehnend gegenüber.“ Ebel (1971), Das Dritte Reich und Argentinien, a.a.O., S. 25.

[86] Bösch (2002), Das konservative Milieua.a.O., S. 35f.

[87] Zu den Gründen der Auswanderung siehe die detailreiche Darstellung von Saint Saveur-Henn (1995), Emigration Allemande, a.a.O.

[88] Sontheimer (41994), Antidemokratisches Denken, a.a.O., S. 17. Stefan Breuer knüpft die Verbindung indem er sich in die Sichtweise der deutschen Rechten nach dem Ersten Weltkrieg versetzt: „Die für unbesiegbar gehaltene Armee streckte die Waffen. Die Monarchen flohen oder wurden verjagt. Die politische Ordnung löste sich auf. [...] Der Krieg hatte keine Volkgemeinschaft hervorgebracht, sondern die Antagonismen der Gesellschaft verstärkt. Er hatte die Hierarchie der Geschlechter verändert [...]. Darüber hinaus hatte er die Basis für einen neuartigen Generationenkonflikt geschaffen [...].“ Breuer (1999), Grundpositionen, a.a.O., S. 103.

[89] Der Soziologe Richard Münch formulierte, dass die „moderne gesellschaftliche Gemeinschaft [...] das Zentrum der institutionellen Ordnung der modernen Gesellschaften [bildet]. Ohne ihre Herausbildung ist das Entstehen der Moderne ebenso undenkbar wie ohne die Entfaltung der kulturellen, politischen und ökonomischen Institutionen“ (Münch, Richard (1984): Die Struktur der Moderne. Grundmuster und differentielle Gestaltung des institutionellen Aufbaus der modernen Gesellschaften. Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 261). Im Falle der Gemeinschaft von deutschsprachigen Einwanderern, die nur begrenzt politische Rechte und Ansprüche an die institutionelle Ordnung einer Gesellschaft entwickelte, war allerdings die Organisation der eigenen Gemeinschaft der wesentliche Zweck. Durch die gefestigte, geeinte Gemeinschaft sollte die eigene Kultur am Leben erhalten und in ihrer angenommenen Überlegenheit multipliziert werden.

[90] In diesem Sinne geht die seriöse Forschungsliteratur einmütig davon aus, dass antidemokratischem Denken in der Weimarer Republik ein eigenständiger Theorieansatz zugebilligt werden muss, der eher mittelbar das Feld für den Nationalsozialismus und dessen Integrationsdiskurse bereitete. Vgl. Sontheimer (41994), Antidemokratisches Denken, a.a.O., S. 18ff.

[91] Haffner (102001), Geschichte eines Deutschen, a.a.O., S. 30ff.

[92] Bösch (2002), Das konservative Milieu, a.a.O., S. 57.

[93] Vgl. Schönwald (1995), Nationalsozialismus im Aufwind? A.a.O., S. 65f.

[94] Sontheimer (41994), Antidemokratisches Denken, a.a.O., S. 115f.

[95] Vgl. Barth (2003), Dolchstoßlegenden, a.a.O., S. 407ff. und 444ff.

[96] Wehler diskutiert die Frage nach der Modernisierung im Dritten Reich und erstellt dabei einen auch darüber hinaus gültigen Katalog der Modernisierungsaspekte. Vgl. Wehler (22003): Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, a.a.O., S. 781-794. Die Indikatoren für das Prinzip der Modernisierung finden sich auf S. 784.

[97] Zu den einzelnen Rechtfertigungsmustern sozialer Gruppen, wie Bürgertum, Generalität, protestantischer Kirche aber auch des völkischen Lagers und der Alldeutschen im Angesicht des Niedergangs der Monarchie, der Niederlage des Ersten Weltkrieges, der Annahme der Versailler Verträge und der Revolutionsversuche von 1918 vgl. sehr überzeugend Barth (2003), Dolchstoßlegenden, a.a.O., S. 301-405.

[98] Sontheimer (41994), Antidemokratisches Denken, a.a.O., S. 116, S. 118-123, Zitat: S. 121.

[99] Zum machtpolitischen Vakuum vgl. Barth (2003), Dolchstoßlegenden, a.a.O., S. 302ff, den Verfall des Kaisergedankens skizziert Sösemann, Bernd (1981): Der Verfall des Kaisergedankens im Ersten Weltkrieg. In: John C.G. Röhl (Hg.): Der Ort Kaiser Wilhelms II. in der deutschen Geschichte. München: Oldenbourg, S. 145-170. Die Wahrnehmung der Flucht des Kaisers und daraus resultierenden Transformation des Kaisergedankens in die Forderung nach Führertum umreißt Kohlrausch, Martin (2005): Der Monarch im Skandal. Die Logik der Massenmedien und die Transformation der wilhelminischen Monarchie. Berlin: Akademie-Verlag, S. 386-431.

[100] Vgl. ebenso Wehler (22003), Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, a.a.O., S. 486-493.

[101] Einmal mehr kann mit Benedict Anderson auf den protonationalistische Charakter einer solchen Lebenssituation verwiesen werden. Vgl. Anderson (1998) Vorgestellte Nation, a.a.O. Vgl. ebenfalls die Schilderungen von Schwarcz (1991), Y a pesar de todo, a.a.O., S. 129ff. Zu sog. face-to-face Gesellschaften Craig Calhoun (1991): Indirect Relationships and Imagined Communities: Large-Scale Social Integration and the Transformation of Everyday Life. In: Pierre Bourdieu/James S. Coleman(Ed.): Social Theory for a Changing Society. Boulder/San Francisco/Oxford: Westview, S. 95- 121.

[102] Ziege, Eva-Maria (2002): Mythische Kohärenz. Diskursanalyse des völkischen Antisemitismus. Konstanz: UVK, S. 117.

Excerpt out of 154 pages

Details

Title
Vom Kaiser zum Führer - Deutschsprachige Nationalismusdiskurse in Buenos Aires 1918-1933
College
Humboldt-University of Berlin  (Institut für Geschichtswissenschaften - Lehrstuhl für Zeitgeschichte)
Grade
1,5
Author
Year
2006
Pages
154
Catalog Number
V113038
ISBN (eBook)
9783640132997
ISBN (Book)
9783640134731
File size
1293 KB
Language
German
Keywords
Kaiser, Führer, Deutschsprachige, Nationalismusdiskurse, Buenos, Aires
Quote paper
Lennart Laberenz (Author), 2006, Vom Kaiser zum Führer - Deutschsprachige Nationalismusdiskurse in Buenos Aires 1918-1933, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113038

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