Nathalie Sarraute: la lecture dans "l'Ère du Soupçon"


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2007

14 Pages, Note: 1,0


Extrait


Gliederung

1 Einleitung

2 Hauptteil
2.1 Der roman traditionnel
2.2 Die Lektüre im Zeitalter des Argwohns
2.3 Der Schriftsteller im Zeitalter des Argwohns
2.4 Konsequenzen für den Roman und die Figur
2.5 Der Begriff der Tropismen
2.6 Conversation und Sous-Conversation

3 Schluss

4 Bibliograpie

1 Einleitung

Im Rahmen des Proseminars „Pratiques de lecture – entre dangers et compétences réceptives“ haben wir uns mit verschiedenen Lektürepraktiken bzw. Leserhaltungen auseinandergesetzt. Eine Literaturtheoretikerin, die in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle spielt, ist die russischstämmige Französin Nathalie Sarraute (1900- 1999), die neben ihren literaturtheoretischen Schriften auch zahlreiche Romane, wie z.B. Les Fruits d’or (1963) oder Entre la vie et la mort (1968), veröffentlichte. Eines ihrer bedeutendsten theoretischen Werke, das 1956 bei Gallimard erschien und Aufschluss über ihre literarische Ästhetik gibt, ist eine Essaysammlung, die den gleichen Titel trägt wie der zweite Aufsatz dieses Sammelbandes, nämlich „l’Ère du soupçon“. Dieser Essay wird im Allgemeinen als erstes Manifest des nouveau roman betrachtet und behandelt den Schlüsselbegriff ihres Werkes, den soupçon. Unter dem soupçon versteht Sarraute ein poetologisches Misstrauen, dessen Anfänge sich bereits in der Literatur des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts manifestieren. Ausgehend von den Formen des traditionellen Romans und dessen Leserschaft soll auf den folgenden Seiten erörtert werden, was genau Sarraute unter dem Terminus soupçon versteht und inwiefern dieses Misstrauen die Haltung des Lesers bzw. seine Lektürepraktiken verändert. Außerdem soll gezeigt werden, wie der Romanautor auf die veränderte Leserhaltung im Zeitalter des Misstrauens bzw. des Argwohns reagiert und dadurch beginnt, eine neue Art des Romans, sprich, einen nouveau roman zu schaffen. Zum Abschluss soll dann noch darauf eingegangen werden, was Sarraute unter dem Begriff der „Tropismen“ – einem weiteren Schlüsselbegriff ihres Werks – versteht und welche Techniken des nouveau roman sie benutzt, um diese dem Leser zugänglich zu machen.

2 Hauptteil

2.1 Der roman traditionnel

Zu Beginn des angesprochenen Essays „l’Ère du soupçon“ deutet Nathalie Sarraute an, was man unter dem roman traditionnel zu verstehen hat. Dieser sei vor allen Dingen „eine Geschichte, in der Personen leben und handeln“. Zudem sei der traditionelle Romanautor, wie z.B. Balzac oder Flaubert, in der Lage, an seine erschaffenen Gestalten zu glauben und ihnen dadurch Leben und die nötige „romanhafte Dichte“ zu verleihen. Anhänger des traditionellen Romans schätzen also Autoren, die fähig sind, ihre Helden richtig „herauszustellen“ und ihren „unvergesslichen Gestalten“ noch eine unvergessliche Gestalt hinzuzufügen. Im Idealfall beginnt eine Romanfigur eines roman traditionnel sogar, durch das intensive Interesse ihres „entzückten Schöpfers“ eine Art Eigenleben zu entwickeln und ihn mitzureißen, so dass dieser sich nur noch der „Führung seines eigenen Geschöpfes“ zu überlassen braucht[1]. Um es mit den Worten von Elisabeth Eliez-Rüegg zu formulieren, könnte man den roman traditionnelfolgendermaßen beschreiben:

Dans le roman traditionnel, nous avions affaire à des types humains. Le but de l’écrivain était de faire vivre des héros nettement tracés et identifiable, de créer des individus dont la vraisemblance, la couleur – vive ou terne – la cohérence – ou l’incohérence – étaient les qualités maîtresses.[2]

Der traditionelle Romanautor beschreibt seine Figuren also mit peinlicher Genauigkeit, um ihnen eine gewisse Wahrscheinlichkeit bzw. Glaubhaftigkeit zu verleihen. Aufgrund dieser vraisemblance kann sich der Leser mit den Romanfiguren identifizieren. Diese vraisemblance ist es jedoch auch, die den nicht aufgeklärten Leser, der nicht in der Lage ist, Fiktion von Realität zu unterscheiden, bei seiner lecture privée dazu verleitet, die Figuren als real wahrzunehmen und die fiktive Handlung als Tatsachenbericht zu verstehen (vgl. Emma Bovary in Madame Bovary).

Bei ihrer Charakterisierung des traditionellen Romans greift Sarraute jedoch gleichzeitig die Kritiker an, die ihre Augen vor der zunehmenden Anzahl an Romanen verschließen, die auf einer neuen Ästhetik basieren und auf neue Techniken des Schreibens zurückgreifen. Sarraute findet es demzufolge unangebracht, den oben beschriebenen traditionellen Roman auch in der Mitte des 20. Jahrhunderts noch als den einzig „wahren“ Roman bzw. als den mit dem höchsten Wert einzustufen und neue, revolutionäre Formen des Romans schlichtweg zu ignorieren. Da auch die Zeit nicht still steht und die Welt ständig im Begriff ist, sich zu verändern, müsse auch die Literatur nach neuen Wegen und der Romanautor nach neuen Techniken suchen. In einem Jahrhundert, in dem die Welt durch zwei Weltkriege erschüttert wurde, sei es praktisch unmöglich, an den tradierten Formen des Romans festzuhalten. So wie alles in Bewegung ist, sei es auch die Aufgabe des Romanciers, nach einem nouveau roman zu streben und damit dem Zeitgeist Rechnung zu tragen. Die „höchste Pflicht“ des Romanautors bestehe laut Philip Toynbee schließlich darin, „Neues zu entdecken“ und sein „schlimmstes Verbrechen“ bestehe darin, „Entdeckungen seines Vorgängers zu wiederholen“ (zitiert in L’Ère du soupçon, S. 1587). Ein weiterer Grund für die Notwendigkeit eines „neuen“ Romans ist jedoch auch eine neue Art des Lesers bzw. eine veränderte Art der Lektüre, die Sarraute in diesem Zeitalter des Argwohns zu erkennen glaubt. Worin diese veränderte Leserhaltung besteht, soll im Folgenden erörtert werden.

2.2 Die Lektüre im Zeitalter des Argwohns

In ihrem Essay „L’Ère du soupçon“ konstatiert Nathalie Sarraute, dass der Leser im Allgemeinen kompetenter und aufgeklärter und somit in vielen Fällen zu einem lecteur compétent geworden ist. Sie attestiert ihm beispielsweise, „so viel und so gut begriffen [zu haben], dass er zu zweifeln angefangen hat, ob der ‚nachgemachte’ Gegenstand, den ihm die Romanautoren anbieten, wohl den gleichen Reichtum birgt wie der wirkliche“ (L’Ère du soupçon, S. 1582). Zudem bescheinigt Sarraute dem Leser die Kenntnis zahlreicher moderner Denker und Schriftsteller sowie deren innovativer Schreibtechniken und Theorien:

Ce qu’il a appris, chacun le sait trop bien pour qu’il soit utile d’insister. Il a connu Joyce, Proust et Freud ; le ruissellement, que rien au-dehors ne permet de déceler, du monologue intérieur, le foisonnement infini de la vie psychologique et les vastes régions encore à peine défrichées de l’inconscient. (L’Ère du soupçon, S. 1581)

Aufgrund dieser Aufgeklärtheit stellt sich beim Leser allmählich ein allgemeines Misstrauen ein. Dieser soupçon richtet sich sowohl gegen den Romancier, als auch gegen dessen personnages. Man kann den soupçon auch ganz allgemein als Misstrauen des aufgeklärten Lesers gegenüber der fiction definieren. Der Leser fängt somit an, die „aufwendigen und kraftmeierischen Handlungen“ zu beargwöhnen, mit Hilfe derer der Autor seine Figuren zurechtformt. Er beargwöhnt außerdem die intrigues, die Verwicklungen, die sich „wie eine Binde um die Romanfigur schlingen, ihr den Anschein lebendigen Zusammenhangs geben, aus ihr aber im Grunde eine starre Mumie machen“ (L’Ère du soupçon, S. 1581). Die minutiösen, detaillierten Beschreibungen des traditionellen Romans, die den Leser früher so fesselten, erscheinen ihm nun in zunehmendem Maße langweilig und ermüdend. Und während die reichen Ausschmückungen für den Leser früher ein hohes Maß an Authentizität bedeuteten, erscheinen sie ihm im Zeitalter des Mißtrauens zunehmend fade, überflüssig und

„vorgekaut“. Der Rezipient ist sich nun bewusst geworden, dass die zahlreichen äußeren Merkmale, mit der ein traditioneller Romanautor seine Figuren auszuschmücken pflegt, nur dazu dienen, diesen eine gewisse Wahrscheinlichkeit (vraisemblance) zu verleihen. So stellt Sarraute ganz treffend fest, dass der Leser im Prinzip nur „aus dem ungeheuren Vorrat zu schöpfen [braucht], den seine eigene Erfahrung unaufhörlich vermehrt, um diese langweiligen Beschreibungen zu ergänzen“ (L’Ère du soupçon, S. 1581). Der Leser entwickelt folglich ein berechtigtes Misstrauen gegenüber diesen descriptions fastidieuses, die in dieser modernen Zeit nicht mehr ausreichend sind, die Wahrheit zu fokussieren, auch wenn man noch so viele Figuren, Helden und Verwicklungen hinzufügen würde. Man kann also sehen, dass der aufgeklärte Leser so ziemlich allem misstraut, was ihm vom Autor angeboten wird:

Et tout d’abord le lecteur, aujourd’hui, se méfie de ce que lui propose l’imagination de l’auteur. « Plus personne […] n’ose avouer qu’il invente. Le document seul importe, précis, daté, vérifié, authentique. L’œuvre d’imagination est bannie, parce qu’inventée… (Le public) a besoin, pour croire à ce qu’on lui raconte, d’être sûr qu’on ne ‘lui fait pas’ … Plus rien ne compte que le petit fait vrai ». (L’Ère du soupçon, S. 1581)

Wie aus dem Zitat hervorgeht, beginnt der Leser im Zeitalter des Misstrauens, der Fiktion des roman traditionnel den Tatsachenbericht vorzuziehen. Als Beispiel nennt Sarraute in diesem Zusammenhang Berichte aus Konzentrationslagern oder von der Schlacht um Stalingrad, die von keinem Roman mit erfundener Handlung und fiktiven Figuren an Authentizität übertroffen werden können. Was zählt, ist nun das genau datierte, beglaubigte, authentische Dokument. Das Werk der Phantasie wird nun verbannt, weil es eben „erfunden“ ist. Nur die einzelne kleine Tatsache, „le petit fait vrai“, kann den Leser noch zufrieden stellen.

Sarraute behauptet außerdem, dass der aufgeklärte Leser nun ein verstärktes Interesse an der Psychologie zeigt. Vor allem Sigmund Freuds Ausführungen über die menschliche Psyche und das Unbewusste treiben den Leser dazu an, seine Aufmerksamkeit und seine Neugierde auf einen „état psychologique nouveau“ zu richten.

[...]


[1] vgl. Nathalie Sarraute (1956): L’Ère du soupçon, in : Nathalie Sarraute - Œuvres complètes, Paris: Gallimard 1996, S. 1577.

[2] Elisabeth Eliez-Rüegg (1972): La conscience d’autrui et la conscience des objets dans l’œuvre deNathalie Sarraute. Frankfurt am Main: Peter Lang. S. 6.

Fin de l'extrait de 14 pages

Résumé des informations

Titre
Nathalie Sarraute: la lecture dans "l'Ère du Soupçon"
Université
University of Regensburg  (Institut für Romanistik)
Cours
Proseminar "Pratiques de lecture: entre dangers et compétences réceptives"
Note
1,0
Auteur
Année
2007
Pages
14
N° de catalogue
V113093
ISBN (ebook)
9783640133086
Taille d'un fichier
397 KB
Langue
allemand
Mots clés
Nathalie, Sarraute, Soupçon, Proseminar, Pratiques, Argwohn, Tropismen, Tropismes, Conversation, Sous-Conversation, Lektürepraktiken, Infragespräch, Ère, Zeitalter, nouveau roman
Citation du texte
Michael Brendel (Auteur), 2007, Nathalie Sarraute: la lecture dans "l'Ère du Soupçon", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113093

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