Alkoholkonsum im Kindes- und Jugendalter. Der Einfluss von Alkoholkonsum der Eltern auf das Alkoholverhalten des Kindes


Dossier / Travail, 2021

27 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Gang der Arbeit

2 Kurzvorstellung des Fallbeispiels von T. K

3 Definition und Prävalenz von Alkoholismus
3.1 Begriffsbestimmung und Hintergrund
3.2 Häufigkeit

4 Alkoholismus im Setting Familie
4.1 Alkoholismus als Familienkrankheit
4.2 Co-Abhängigkeit

5 Kinder und Jugendliche alkoholabhängiger Eltern
5.1 Auffälligkeiten und Verhaltensweisen
5.2 Alkoholkonsum von Kindern und Jugendlichen anhand des Modelllernens
5.3 Auswirkungen von Alkoholkonsum bei Heranwachsenden

6. Präventionsmaßnahmen
6.1 Verhaltensprävention
6.2 Verhältnisprävention

7. Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Prozess einer Alkoholabhängigkeit

Abbildung 2: Modelllernen

Abbildung 3: Langfristige Schädigung aller Körpersysteme durch Alkohol

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Gesetzliche Maßnahmen und nationale Strategien zur Alkoholprävention in Deutschland seit 1970

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Das Einstiegsalter von Kindern und Jugendlichen, die das erste Mal Alkohol konsumie­ren, liegt in Deutschland bei ca. elf Jahren. Dies geht aus einer Studie vom Robert-Koch­Institut hervor.1 Die Einflussfaktoren können hierbei sehr vielfältig sein. Besonders in alkoholbelasteten Familien sind Kinder die größte Risikogruppe für eine spätere Alko- holabhängigkeit.2 In Deutschland leben aktuell etwa 2,65 Millionen Kinder unter 18 Jah­ren mit alkoholkranken Eltern zusammen.3 Wobei sich eine weit höhere Dunkelziffer ver­muten lässt. Für die Kinder und Jugendlichen stellt das Aufwachsen in einer alkoholbe­lasteten Familie eine enorme Belastung dar. Dabei leiden die Kinder weniger unter dem Alkoholkonsum der Eltern, sondern an den zahlreichen Folgeerscheinungen, die eine Suchterkrankung nach sich zieht, wie z.B. den starken Auseinandersetzungen auf der Er­wachsenenebene, dem beängstigenden körperlichen Zustand oder einem verwirrenden und inkonsequenten Erziehungsverhalten. Nicht selten kommt es in alkoholbelasteten Fa­milien zu einer Alkoholabhängigkeit des Kindes.4

1.2 Zielsetzung und Gang der Arbeit

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Problematik der in einem alkoholabhän­gigen Familiensystem aufwachsenden Kinder und den daraus resultierenden Konsequen­zen für das Heranwachsen. Dabei geht es insbesondere um die eigene Alkoholabhängig­keit des Kindes. Wie wirkt sich der Alkoholkonsum der Eltern auf das Alkoholverhalten des Kindes aus? Hierbei wird ein Fallbeispiel aus dem persönlichen Umkreis der Autorin in dieser Arbeit dargestellt. Zu Beginn der Arbeit wird der Begriff Alkoholismus defi­niert. Nach dem aktuellen Forschungsstand über den Alkoholkonsum bei Kindern und Jugendlichen, wird dieses Thema im Setting Familie genauer erläutert. Im Hauptteil die­ser Arbeit wird dann auf die Auffälligkeiten der Kinder aus alkoholbelasteten Familien eingegangen. Hierbei finden die Kinder sich in verschiedenen Rollenmodellen wieder. Die oben genannte Forschungsfrage wird anhand des Modelllernens von Albert Bandura beantwortet. Um Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man dem Alkoholkonsum in Familien und bei Kindern entgegenwirken kann, werden zum Schluss dieser Arbeit einige Präven­tionsmaßnahmen benannt.

2 Kurzvorstellung des Fallbeispiels von T. K.

Geschildert aus meiner eigenen Perspektive handelt der Fall vom 14-jährigen T. K. Er lebte mit seiner Mutter (39) und ihrem Lebensgefährten (45) in einer kleinen Wohnung. Ich kenne ihn noch als fröhlichen und lebenslustigen Jungen. In der Grundschule war er einer der Besten unter den Schülern. Der leibliche Vater verließ T. K. und die Mutter als er acht Jahre alt war und entschied sich für eine andere Familie. Für die damals 33­jährige Mutter, war die Scheidung eine starke psychische Belastung. Sie versank in Selbstmitleid und Schuldgefühlen und vernachlässigte die Erziehung zu T. K. Gele­gentlich fing sie an etwas Alkohol zu trinken. Ihre damalig alleinerziehende Mutter war bereits alkoholabhängig und starb in frühen Jahren. Als T. ca. zehn Jahre alt war, lernte die Mutter ihren neuen Lebensgefährten kennen. Auch er nahm regelmäßig Alkohol zu sich, so viel, dass er schon Aggressivität gegenüber T. und seiner Mutter zeigte. Sie versuchte, die Alkoholabhängigkeit ihres Partners zu verhindern. Hatte jedoch wenig Er­folg. Aus dem unregelmäßigen Genuss wurde bei ihr ebenfalls ein problematischer Kon­sum. Se ertrank ihre Probleme mit dem Alkohol. Ob in der Familie Gewalt angewandt worden ist, ist mir unklar. T. K. wurde schlechter in der Schule und zeigte des Öfteren Aggressivität gegenüber seinen Mitschülern/innen. Die Verhältnisse Zuhause sind vorerst niemanden aufgefallen. Eine große Familie hat er nicht. Mit dem leiblichen Vater besteht keinerlei Kontakt. Mit ca. zwölf Jahren trank T. K. das erste Mal Alkohol und geriet an die falschen Freunde. Er nahm regelmäßig starken Alkohol zu sich. Heute ist T. K. mit 14 Jahren alkoholabhängig. Die Schule bemerkte, dass T. K. sich in seinem Verhalten verschlechterte und etwas nicht stimmte. Hinzu kam eine Angetrunkenheit in der Schule. Er kam kaum noch zum Unterricht und auch durch Nachfrage der Lehrer/ innen, küm-merte sich die Mutter nicht. Dank der Schule, die später das Jugendamt informierte, ist er nun in einer Entzugsklinik für Kinder und Jugendliche, die außerdem seine diagnosti-zierte Verhaltensstörung behandelt. Seine Mutter hat sich von ihrem Lebensgefährten ge-trennt und ist ebenfalls auf Entzug.

3 Definition und Prävalenz von Alkoholismus

3.1 Begriffsbestimmung und Hintergrund

Der schwedische Arzt Magnus Huss untersuchte als einer der ersten Mediziner den Al- koholismus. Im Jahre 1852 bezeichnete und beschrieb er ihn erstmalig. Im täglichen Sprachgebrauch umfasst Alkoholismus zwei Phänomene, die Alkoholabhängigkeit und den Alkoholmissbrauch. Diese Unterscheidung wurde erst Mitte der 70er Jahre getroffen und ist in das Klassifikationssystem als Krankheit (International classification of diseases - ICD) eingegangen. Der Begriff Alkoholismus oder Alkoholabhängigkeit wird auch als Synonym für den moralisch belasteten Begriff Alkoholsucht verwendet. Da „Abhängig­keit“ sehr unspezifisch ist, änderte die Weltgesundheitsorganisation (WHO)diesenBe- griff in „Sucht“.5 Alkoholabhängigkeit oder Alkoholismus ist eine Erkrankung und kein moralischer Defekt. Es ist ein übermäßiges Verlangen nach Alkohol, also ein Suchtver­halten. Die Erkrankung ist durch psychische, soziale und körperliche Symptome gekenn- zeichnet.6 Die folgende Grafik zeigt den Prozess bis hin zu einer Alkoholabhängigkeit.

Abbildung 1: Prozess einer Alkoholabhängigkeit

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: https://www.apotheken.de/krankheiten/4675-alkoholabhaengigkeit, Zugriff am 30.01.2021.

3.2 Häufigkeit

Zum Alkoholkonsum von Kindern und Jugendlichen gibt es zahlreiche Studien. Laut der Langzeitstudie KiGGS (Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen) des Jahres 2018, hat gut die Hälfte (51%) der 11- bis 17-Jährigen einmal Alkohol zu sich genommen. Der Anteil der 11-jährigen Mädchen, die schon einmal Alkohol getrunken haben, liegt bei 3,7%, bei Jungen 6,3%. Im Alter von 17 Jahren lag der Wert bei 87,3% und 88,5%. Mit zunehmendem Alter steigt folglich der Erstkonsum.7 Allerdings ist festzustellen, dass der regelmäßige Alkoholkonsum von Kindern und Jugendlich in den letzten Jahren im­mer weiter gesunken ist. Dies zeigt nicht nur die KiGGS-Studie, sondern auch die Studie „Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2019“.8 Das Rausch­trinken oder auch umgangssprachlich Komasaufen genannt, bei dem mindestens einmal im Monat sechs oder mehr alkoholische Getränke zu sich genommen werden, ist jedoch umstritten. Verschiedene Studien zeigen, dass zum einen das Rauschtrinken der Kinder und Jugendliche ebenfalls gesunken ist9, zum anderen zeigen überwiegend Studien wie die „Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2019“ oder „Wahr­genommene Verfügbarkeit und Alkoholkonsum Jugendlicher im Längsschnitt“ der DAK einen leichten Anstieg.10 Für den Alkoholkonsum von Kindern und Jugendlichen gibt es eine Reihe von Einflussfaktoren wie z.B. die Freunde, die Familie oder der Migrations­hintergrund. Der Alkoholkonsum ist bei Jungen aus Familien mit einem sozioökonomi­schen Status geringer als bei Jungen aus Familien mit einem mittleren oder hohen Status. Bei Mädchen gibt es kaum signifikante Unterschiede.11 Studien, die belegen, durch wel­che Einflussfaktoren die Kinder und Jugendliche überhaupt anfangen zu trinken, sind bis­her unzureichend untersucht worden.

4 Alkoholismus im Setting Familie

4.1 Alkoholismus als Familienkrankheit

In der Fachliteratur wird Alkoholismus häufig als Familienkrankheit erklärt. Vorausset­zung dafür ist, dass der/die Alkoholiker/in eine Familie hat. Diese Krankheit belastet nicht nur die/den Betroffene/n, sondern die ganze Familie. Besonders Kinder leiden sehr unter dem Alkoholismus der Eltern oder lediglich eines Elternteiles. Sie erleben im nüchternen Zustand der Eltern Fürsorge und Liebe und im Rauschzustand verlieren die Eltern die Beherrschung.12 Dieser Unterschied ist aufgrund ihres Alters und ihrer Entwicklung schwer bis gar nicht nachvollziehbar. Sie haben den Eindruck, mit zwei Müttern oder zwei Vätern zusammen zu leben, weil der wechselnde Verhaltenszustand nicht zur ei­gentlichen Mutter- oder Vaterrolle passt. Sofern der Vater regelmäßig Rauschtrinken be­treibt, glaubt die nicht trinkende Mutter, sie könne den Alkoholkonsum des Mannes mit Liebe und Verständnis begegnen. Hat sie allerdings keinen Erfolg, wechselt sie die Stra­tegie. Sie trinkt häufig mit, um den Konsum ihres Mannes kontrollieren zu können. Ihre Sorge und ihr Kontrollverhalten hindern sie daran, über sich selbst nachzudenken. Dabei kann sie selbst schnell in eine Abhängigkeit hineingeraten.13 Auch in dem Fallbeispiel der Autorin, lässt sich dieses Verhalten der Mutter wiederfinden. Der Alkoholkonsum, besonders bei Müttern, bringe besondere Probleme mit sich. Die Mutter vernachlässigt ihre Kinder und den Haushalt. Dabei ist zu erwähnen, dass dies nicht auf alle Mütter zu treffen muss. Ihren Aufgaben als Mutter kann sie aufgrund der Krankheit nicht mehr nachkommen. Die Kinder erleben in solchen Familien keine Normalität. Für sie ist es normal, wenn die Mutter oder der Vater betrunken nach Hause kommt, Gewalt gezeigt wird und am nächsten Tag so tut, als wäre nichts gewesen. Es ist auch völlig normal den ganzen Tag im Bett zu verbringen. Ein weiteres Merkmal der Familienkrankheit ist die Geheimhaltung der Krankheit. Die Familie macht nach außen den Eindruck einer „heilen Welt“ und verleugnet den Alkoholismus.14 Umgangssprachlich heißt es oft, dass Alko- holismus in der Familie liegt: Ist ein Elternteil betroffen, haben die Kinder später häufig selbst Probleme mit dem Alkoholismus. Grund dafür ist eine komplexe Mischung aus Veranlagung und Umwelteinflüssen. Es konnte bisher bei Alkoholikern/innen ein be­stimmtes Gen (Synuclein Alpha - SNCA) festgestellt werden, welches sich dabei als Indiz für eine Neigung zu Alkoholabhängigkeit erweist.15

4.2 Co-Abhängigkeit

Die/der Partner/in und die Kinder können eine entscheidende Rolle bei der Aufrechter­haltung der Alkoholabhängigkeit im Familiensystem spielen. In diesem Fall wird der Be­griff der Co-Abhängigkeit verwendet. Co-Abhängigkeit wird allgemein zur Beschreibung von Personen verwendet, die mit einer/m Abhängigen zusammenleben, eine enge Bin­dung führen und deren Leben dadurch beeinträchtigt wird. Sie übernehmen Verantwor­tung für das Leben, die Gefühle und die Probleme von anderen Personen und zeigen dabei ein geringes Selbstwertgefühl. Die eigenen Bedürfnisse können nicht durchgesetzt wer­den und das Gefühl von Identität wird von Anderen abhängig gemacht. Durch Angst vor emotionalen Beziehungen tendieren Co-Abhängige dazu, sich später auch einen alkohol­abhängigen Partner zu suchen.16 Die Co-Abhängigkeit wird in drei Phasen unterteilt: Die Entschuldigungs- und Beschützerphase, die Kontrollphase und die Anklagephase. In der ersten Phase, versteht die/der Partner/in das Konsumverhalten des anderen und bringt Verständnis entgegen. Das Verhalten gegenüber Freunden/innen oder Nachbarn wird er­klärt und der Alkohol wird sogar noch beschafft. Der Alkoholkonsum erhöht sich lang­sam. Des Öfteren geraten die Betroffenen in Streitigkeiten, da das Verhalten durch Kon­trolle geprägt wird. Der Alkohol wird weggeschüttet und nach außen versucht man wei­terhin stark zu bleiben. Dies nennt man die Kontrollphase. In der Anklagephase kommt es zu vermehrten Aggressionen und Verachtung gegenüber der/m Abhängigen. Letztend­lich kann eine vollständige Hilflosigkeit entstehen.17 In den 70er Jahren ging man bereits davon aus, dass die Co-Abhängigkeit nicht nur durch die Partner/innen entwickelt wird, sondern dass dieses Verhalten bereits in der Kindheit durch das Aufwachsen mit einem alkoholabhängigen Elternteil bemerkbar wird. Frauen sind häufiger als Männer betroffen. Sind sie mit einer elterlichen Abhängigkeit aufgewachsen, ist die Wahrscheinlichkeit hö­her, einen abhängigen Partner zu wählen, auch wenn sie selber nicht alkoholabhängig waren. Bei Männern hingegen kommt es nur zu solch einer Wahl, wenn sie selber abhän-gig waren.18 So auch in dem Fallbeispiel. Die Großmutter von T. K. war alkoholabhän-gig. Seine Mutter durchlief in ihrer Kindheit viele Probleme. Auch wenn sie erst später eine Abhängigkeit entwickelte, suchte sie sich unbewusst einen Mann mit diesem Prob-lem. Durch die ständigen Konflikte der Eltern, fühlt sich das Kind hin- und hergerissen und kann weder zum alkoholabhängigen Vater, noch zur co-abhängigen Mutter eine trag-fähige emotionale Bindung aufbauen. Das Kind lernt in dieser Familiensituation oft nur instabile Normen und Werte kennen. Dies kann die Identitätswicklung stark beeinträch-tigen.19

5 Kinder und Jugendliche alkoholabhängiger Eltern

5.1 Auffälligkeiten und Verhaltensweisen

Der nachfolgende Abschnitt soll die Frage beantworten, wie sich der elterliche Alkohol­konsum und die damit auftretenden familiären Belastungen auf die psychische und sozi­alemotionale Entwicklung des Kindes auswirken. Hierbei werden einige Auffälligkeiten und Verhaltensstörungen, welche bei Kindern aus einem suchtspezifischen Kontext häu­fig auftreten können, beschrieben.

In den meisten Familien mit einer Alkoholabhängigkeit erhalten die Kinder wenig Auf­merksamkeit und kaum Förderung von ihren Eltern. Sie werden mit ihren Gefühlen allein gelassen, fühlen sich überflüssig und ungeliebt. Nicht selten kommt es vor, dass sie die Gründe für das Verhalten der Eltern bei sich selbst suchen und sich dafür die Schuld zu schreiben.20 Die Kinder wachsen unter einer enormen Belastung auf und haben ein höhe­res Risiko, soziale und psychische Probleme zu entwickeln.21 Die Kinder übernehmen aufgrund der mangelnden Fürsorge sehr schnell die Elternrolle ein. Sie übernehmen ne­ben ihren schulischen Verpflichtungen, die Haushaltsführung und auch die Versorgung anderer Geschwister, sofern es welche gibt. Kinder aus suchtbelasteten Familien findet man in spezifischen Rollen wieder, damit sie die Herausforderungen ihres täglichen Le- bens bewältigen können. Der „Held“ ist früh selbstständig und strebt nach Verantwor­tung. Er versucht z.B. durch gute Leistungen in der Schule die Aufmerksamkeit der Eltern zu gewinnen. Der äußere Erfolg ist ihm wichtig, um sich wertvoll und angenommen zu fühlen. Anderseits schützt er sich durch aktives Handeln vor Gefühlen der Angst und Hilflosigkeit. Der „Sündenbock“ hingegen ist rebellisch und auflehnend. Durch sein op­positionelles Verhalten erhält er negative Aufmerksamkeit. Das Verhalten wird zum Problem in der Familie. Außerdem gerät er eher in Konflikt mit dem Gesetz und nimmt früh Alkohol zu sich. Das „verlorene Kind“ ist eher unauffällig, einsam und lebt in seiner eignen Welt. Es zeigt kaum eine eigene Identität. Es zieht sich zurück und schützt sich so vor den unkontrollierten Reaktionen der Eltern und entlastet die Familie. Der „Clown“ erntet durch seine Aufgeschlossenheit viel Aufmerksamkeit. Allerdings ist er zudem sehr unreif, ängstlich und kaum belastbar. Ihm ist nicht wirklich klar, was in der Familie ei­gentlich los ist, allerdings bleibt ihm nicht verborgen, dass etwas nicht stimmt.22 All diese Rollen versuchen sich durch aktives Agieren, inneren Rückzug, lustige Ablenkung oder Rebellion in einer schädigenden Umwelt zu schützen. Folgenschwer werden die Rollen­übernahmen, wenn diese sich im Laufe ihrer Adoleszenz manifestieren. Es kann zu mas-siven Problemen und Anpassungsschwierigkeiten bis ins Erwachsenenalter führen. T. K. zeigte Anzeichen eines „Sündenbocks“. In der Schule war er aufbrausend und zeigte immer wieder schlechtes Verhalten, er wurde schon einige Male beim Diebstahl erwischt und T. K. konsumierte schon früh Alkohol.

Besondere Auffälligkeiten in suchtbelasteten Familien, unabhängig der verschiedenen Rollen, sind Verhaltensstörungen von Kindern. Diese werden zum einen in externalisie- renden Störungen wie Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsstörungen und Störungen des So­zialverhaltens unterteilt und zum anderen in internalisierende Symptome wie Angst und Depressionen, die von den Anderen kaum wahrgenommen werden.23 ADHS (Aufmerk­samkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung) charakterisiert sich durch Aufmerksam- keits- und Konzentrationsschwächen, impulsives Verhalten und durch starke Unruhe. Diese Symptome können jedoch unterschiedlich ausgeprägt sein. Hyperaktivität be­schleunigt zudem die Entwicklung einer Alkohol- und Drogenabhängigkeit. Kinder mit ADHS entwickeln früher und schneller eine Abhängigkeit.24 Auch im Fallbeispiel lässt sich somit unter anderem erklären, warum T. K. schon in seinem jungen Alter vom Alkohol abhängig war. Störungen des Sozialverhaltens beschreibt „ein sich wiederholen­des und andauerndes Muster dissozialen, aggressiven oder aufsässigen Verhaltens“.25 Auch Ängste und Depressionen treten vermehrt bei den Kindern auf. Ursache hierfür könnte das belastende Familienumfeld durch die Alkoholabhängigkeit oder psychiatri­sche Komorbidität beim abhängigen Elternteil sein. Für die Entwicklung des Kindes ist allerdings nicht nur das Alkoholproblem der Eltern entscheidend, sondern auch die fami­liäre Atmosphäre. Außerdem geht aus der Fachliteratur hervor, dass Studien zwischen der Alkoholabhängigkeit bei Eltern und den schulischen Leistungen bei Kindern einen Zu­sammenhang aufweisen. Im Zuge dessen, ist ein schlechtes Verhalten in der Schule sehr auffällig. Besonders schlechte Schulleistungen erzielen die Kinder, wenn sie in schwieri­gen sozioökonomischen Verhältnissen aufwachsen, ein Elternteil sich einen abhängigen neuen Lebenspartner sucht oder wenn die Eltern antisoziale Persönlichkeitsstrukturen ausweisen.26 Weiterhin haben Kinder Probleme in der Intelligenz und in der sprachlichen Fähigkeit. In einer Studie untersuchte man die Intelligenzwerte von Kindern aus abhän­gigen Familien und Kinder aus nicht-abhängigen Familien. Hierbei erwies sich bei den Kindern aus den alkoholbelasteten Familien ein deutlich niedriger Intelligenzwert. Dieser war besonders niedrig, wenn Eltern eine weitere Abhängigkeit vorweisen oder selber aus sozioökonomisch ungünstigen Verhältnissen kommen.27 Besonders die Merkmale im Zu­sammenhang von schlechten Schulleistungen, belastende Lebensereignissen und einer fa­miliärer Suchtproblematik sind die stärksten Prädiktoren für übermäßigen Alkoholkon­sum in der Adoleszenz.28

5.2 Alkoholkonsum von Kindern und Jugendlichen anhand des Modelllernens

Kinder neigen grundsätzlich dazu, das Verhalten ihrer Eltern zu imitieren. Dazu gehört auch das Konsumverhalten von Alkohol. Durch die Eltern lernt das Kind, dass Alkohol zur Konfliktlösungsstrategie wird und zumindest kurzfristig Erleichterung schaffen kann. Dieses Verhalten wird als „Modelllernen“ oder auch „Beobachtungslernen“ bezeichnet. Das Modelllernen nach Albert Bandura wird durch Erwerb oder Veränderung einer Ver­haltensweise verstanden. Die Verhaltensweisen werden durch die Beobachtung eines Vorbildes (Modell) erworben, verändert oder gehemmt, wobei das Modell entweder real, z.B. eine Person wie die Mutter oder symbolisch, z.B. ein Text, gegeben sein kann. Wirkt eine Verhaltensweise des Modells positiv, dass Alkohol kurzfristig helfen kann, so wird die Hemmschwelle, dieses Verhalten auszuwählen, gesenkt. Das Kind greift daher eben­falls zu dem Alkohol, um möglichen Problemen wie die aus der Familie, aus dem Weg zu gehen.29 Zudem spielt die Selbstwirksamkeit eine wichtige Rolle. Darunter versteht man das Wissen und die Kompetenz, neue und schwierige Situationen bewusst bewälti­gen und beeinflussen zu können. Je häufiger Kinder bestimmte Handlungen ihrer Eltern beobachten, desto schneller und einfacher werden diese übernommen. Selbstwirksamkeit hat somit einen direkten Einfluss auf das Verhalten. Das Modelllernen geschieht häufig unbewusst.30 Bandura gliedert dabei den Vorgang des Lernens in zwei Phasen (Abb. 1). Zum einen findet in der Aneignungsphase das eigentliche Lernen statt. Damit das Ver­halten eines Modells erlernt wird, muss es genau beobachtet werden und bedarf daher der Aufmerksamkeit. Das beobachtete Verhalten wird abgerufen, wenn es vorab kodiert und in bestehende kognitive Strukturen eingeordnet wurde. Durch dieses Abspeichern wird das erlernte Verhalten später imitiert. In der zweiten Phase, die Ausführungsphase, wird das beobachtete Verhalten gezeigt. Hierbei spielt Motivation und motorische Reproduk­tionsfähigkeit eine wichtige Rolle. Es muss also eine entsprechende Motivation vorliegen und das Verhalten muss ausgeführt werden können.31

Abbildung 2: Modelllernen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Decker, O., Sozialtheorie, 2018, S. 163.

Das Modelllernen spielt eine erhebliche Rolle für die Entwicklung einer eigenen Suchter­krankung sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenalter. Kinder aus alkoholbelasteten Familien gelten somit als eine Hochrisikogruppe. Ca. 33% bis 40% entwickeln selbst eine Alkoholabhängigkeit. Im Falle einer väterlichen Alkoholabhängigkeit erweisen Töchter ein höheres Risiko für Alkoholstörungen auf als Jungen. Bei einer mütterlichen Alkohol­diagnose erhöht sich dieses Risiko noch einmal, welches bei den Mädchen ebenfalls am höchsten liegt. Die Werte steigen noch einmal, wenn beide Elternteile abhängig sind.32

5.3 Auswirkungen von Alkoholkonsum bei Heranwachsenden

Wenn Kinder schon früh „zur Flasche greifen“, hat dies enorme Auswirkungen auf Kör­per und Geist. Das Risiko bei Kindern ist hierbei höher als bei Erwachsenen, da Kinder sich noch in der Entwicklungsphase befinden. Das Gehirn reift bis zum 20. Lebensjahr und ist in dieser Phase besonders anfällig für Schädigungen durch Alkohol. Auch steigt der Alkoholgehalt im Blut schneller an und wird wiederum langsamer abgebaut, da das dafür verantwortliche Enzym (Alkoholdehydrogenase) noch nicht wie bei Erwachsenen produziert werden kann.33

[...]


1 Vgl. Robert Koch Institut, Gesundheitsverhalten, 2018, S. 33.

2 Vgl. Oswald, C., Methodenhandbuch, 2019, S. 3.

3 Vgl. https://nacoa.de/fakten/zahlen, Zugriff am 28.01.2021.

4 Vgl. https://nacoa.de/fakten/kinder-von-alkoholikern, Zugriff am 28.01.2021.

5 Vgl. Feuerlein, W., Alkoholismus, 2016, S.15.

6 Vgl. https://www.tk.de/techniker/gesundheit-und-medizin/behandlungen-und-medizin/sucht/alkohol 2022948; Zugriff am 14.01.2021.

7 Vgl. Robert Koch Institut, Gesundheitsverhalten, 2018, S. 33 ff.

8 Vgl. Orth, B., Merkel, C., Drogenaffinität, 2020, S. 46 f.

9 Vgl. Robert Koch Institut, Gesundheitsverhalten, 2018, S. 34 ff.

10 Vgl. https://dak.de/dak/bundesthemen/studie-zum-rauschtrinken-bei-kindern-2116326.html#/, Zugriff am 15.01.2021.

11 Vgl. Robert Koch Institut, Gesundheitsverhalten, 2018, S. 34.

12 Vgl. Zobel, M., Suchtfamilien, 2008, S. 42.

13 Vgl. Lambrou, U., Familienkrankheit, 2012, S. 3.

14 Vgl. Lambrou, U., Familienkrankheit, 2012, S. 15.

15 Vgl. Koike, S., et al., Plasma metabolites, 2014, o.S.

16 Vgl. Zobel, M., Alkoholbelastete Familien, 2017, S. 79.

17 Vgl. Blaues Kreuz in der Evangelischen Kirche Bundesverband e.V., Co-Abhängigkeit, 2007, S. 4 ff.

18 Vgl. Zobel, M., Alkoholbelastete Familien, 2017, S. 79.

19 Vgl. Krämer, H., Trinkende Eltern, 1982, S.24 ff.

20 Vgl. Marchwacka, M., Gesundheitsförderung, 2013, S. 86 ff.

21 Vgl. https://www.kenn-dein-limit.de/alkohol/fachkraefte/kinder-aus-alkoholbelasteten-familien/, Zugriff am 18.01.2021.

22 Vgl. Zobel, M., Alkoholbelastete Familien, 2017, S. 27 ff.

23 Vgl. Zobel, M., Alkoholbelastete Familien, 2017, S. 34.

24 Vgl. Döpfner, Manfred, Frölich, Jan, Wolff Metternich, Tanja, ADHS, 2019, S.5 ff.

25 Vgl. Zobel, M., Alkoholbelastete Familien, 2017, S. 37.

26 Vgl. Zobel, M., Alkoholbelastete Familien, 2017, S. 33.

27 Vgl. Nigg, J. et al., Alcoholism, 2006, S. 468 -475

28 Vgl. Zobel, M., Alkoholbelastete Familien, 2017, S.34.

29 Vgl. Schermer, J. F., Lernen und Gedächtnis, 2014, S.104 ff.

30 Vgl. Bak, P. M., Lernen, 2019, S.43.

31 Vgl. Decker, O., Sozialtheorie, 2018, S. 163 f.

32 Vgl. Lachner, G., Wittchen, H., Alkoholmissbrauch, 1997, o.S.

33 Vgl. https://www.null-alkohol-voll-power.de/fileadmin/user_upload/pdf/Promille-Risiko-%C3%9Cber- sicht.pdf#:~:text=Denn%20das%20Gehirn%20reift%20noch%20bis%20zum%2020.,ich- rem%20K%C3%B6rper%20verteilen%20kann:%20Sie%20werden%20schneller%20betrunken, Zugriff am 22.01.2021.

Fin de l'extrait de 27 pages

Résumé des informations

Titre
Alkoholkonsum im Kindes- und Jugendalter. Der Einfluss von Alkoholkonsum der Eltern auf das Alkoholverhalten des Kindes
Université
University of Applied Sciences Essen
Note
1,3
Auteur
Année
2021
Pages
27
N° de catalogue
V1144045
ISBN (ebook)
9783346521590
ISBN (Livre)
9783346521606
Langue
allemand
Mots clés
Alkohol
Citation du texte
Lara Neumann (Auteur), 2021, Alkoholkonsum im Kindes- und Jugendalter. Der Einfluss von Alkoholkonsum der Eltern auf das Alkoholverhalten des Kindes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1144045

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