Reproduktionselemente traditioneller Geschlechterrollen im Kontext egalitärer Partnerschaftsnormen

Soziologische Reflektion des Gleichberechtigungsdiskurses bei J.-C. Kaufmann & C. Koppetsch et. al.


Hausarbeit, 2021

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffsbestimmung

3. Leitbild egalitärer Partnerschaft

4. Gegenstand und theoretische Anknüpfungspunkte
4.1 Haushaltintegration, Gewohnheit & Handlungskette
4.2 Symbolische Grenzziehung der alltäglichen/außeralltäglichen Hausarbeit

5. Diskussion/Analyse
5.1 Selbstverwirklichungsmotiv als Reproduktionselement
5.2 Individualisierung als Reproduktionselement
5.3 Gewohnheiten als Reproduktionselement

6. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Auseinandersetzungen über Dimensionen der Gerechtigkeit und Gleichheit zwischen den Ge- schlechtern sind ein zentrales Strukturmerkmal moderner Gesellschaften. Im Zuge der Emanzipationsbewegungen und der institutionellen Frauen- und Geschlechterpolitik wurde formale Gleichheit und Gerechtigkeit erkämpft und gilt in Deutschland als nahezu implementiert. So sind in den vergangenen Jahrzenten die Geschlechterungleichheiten in Bildung und Beruf erodiert und auch in Sphären der Öffentlichkeit, etwa aus prominenten Talkshows (Maybrit Illner oder Anne Will), sind Frauen nicht mehr wegzudenken (vgl. Reuter 2004: 166; Huber 2017).

Auch im privaten Bereich hat eine Modernisierung des Geschlechterverhältnisses stattgefunden. Von den ‚traditionellen‘ Selbstverständlichkeiten, die die Frau als ‚houskeeper‘ und den Mann als Familienernährer verordnen, wurde sich weitgehend verabschiedet – das neue partnerschaftliche Leitbild orientiert sich an egalitären Rollenaufteilungen. Die Zuständigkeit für Kind und Haushalt soll in heterosexuellen Paarbeziehungen in Übereinstimmung beider Personen also nicht mehr für die Frau, sondern gleichermaßen für beide gelten (vgl. Koppetsch 2015: 17; BMFSFJ 2018: 13f.). An der faktischen Verteilungsungleichheit hat sich indes jedoch kaum was verändert . Fürsorge- und Haushaltstätigkeiten im Privathaushalt sind vor allem noch eins – Frauensache (vgl. Reuter 2004: 167 Statistisches Bundesamt 2015: 47).

Diese Ausarbeitung widmet sich nun der Frage, warum und wie sich die Verteilungs- ungleichheit der Hausarbeit1 im Privathaushalt trotz des omnipräsenten Gleichheitsdiskurses reproduziert. Ferner wird im Spezifischen der Frage nachgegangen, wie sich Geschlechternormen innerhalb der Haushaltsorganisation auf latenter Ebene niederschlagen und wie die egalitären Leitvorstellungen und deren Träger*innen mit den in der Praxis sich reproduzierenden traditionellen Geschlechterrollen umgehen.

Um sich der Thematik anzunehmen, werden zuerst die einzelnen ‚Gegenstände‘ umkreist. Nach einer begriffstheoretischen Abgrenzung zum Termini Care-Arbeit, wird das Leitbild egalitärer Partnerschaft vorgestellt. Als nächstes folgt ein empirischer Teil, um sich einen Überblick über die aktuelle Situation der häuslichen Ungleichheit zu verschaffen. Analog werden theoretische Anknüpfungspunkte und Kontinuitäten der primär herangezogenen, teils schon älteren Forschungsbeiträge von Koppetsch/Burkart (1999) und Kaufmann (1994; 1999) heraus- gearbeitet. Anschließend werden die relevanten Begriffe und Theorien der Autor*innen vor- gestellt, um darauffolgend Wechselbeziehungen und Verzahnungen zwischen den egalitären Vorstellungen und der (praktischen) Re-(Konstruktion) traditioneller Geschlechterrollen auf Basis der theoretischen Ausführungen zu diskutieren. Am Ende werden die gewonnenen Erkenntnisse rund um die Forschungsfrage zusammengefasst.

2. Begriffsbestimmung

Die Haushaltsdebatte der Siebzigerjahre erweiterte den Begriff der Arbeit, um die gesell- schaftliche Konstituierung entlohnter Reproduktionsarbeit als Pendant zur Lohnarbeit und als die Reproduktion des Arbeitsvermögens an sich herauszuarbeiten – und um Leistungen und Praxisformen jenseits der Erwerbsarbeit Geltung zu verschaffen und ihre geschlechtliche Na- turalisierung zu entlarven (vgl. Axeli-Knapp/Becker-Schmidt 2000: 8; Villa 2020: 435). Seit den 1990er Jahren wird der Begriff der Care-Arbeit (caring work) synonym zur Hausarbeit verwendet, womit zunächst familiäre, nicht entlohnte Sorgetätigkeiten, später auch bezahlte Care-Arbeiten diskutiert werden. Heute gilt in Fachdebatten weitgehend als unumstritten, dass unter „Care-Tätigkeiten […] alle unbezahlten Arbeiten im Haushalt und alle bezahlten und un- bezahlten Betreuungs- und Pflegearbeiten verstanden“ (Madörin 2007: 142) werden. Darüber hinaus wird mittlerweile in Care-Debatten jedoch über weitaus mehr als über Care-Leistungen diskutiert, sodass man von einer Öffnung des Begriffs zugunsten eines breiten Konzepts spre- chen kann, worunter Diskurse einer solidarischen Gesellschaftstransformation diskutiert werden (u. a. Winker 2015).2

Obgleich in Care-Debatten (größtenteils) die Trennung zwischen privater und öffentlicher, be- zahlter und unbezahlter Care-Tätigkeit gezogen wird, wird im weiteren Verlauf dieser Aus- arbeitung der Termini Care-Arbeit vermieden. Einerseits, um sich von dem benannten Diskurs abzugrenzen und einer begrifflichen Verwirrung vorzubeugen, andererseits, um zu verdeut- lichen, dass es sich im Weiteren (nur) um die Analyse von vergeschlechtlichter Arbeitsteilung unbezahlter Haushaltstätigkeiten im Privathaushalt handelt. Hinzu kommt, dass die aktuellen Debatten um Care insbesondere auf makrosoziologischen Ebenen geführt werden, sie also Fragestellungen der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung als institutionelles Strukturelement der gegenwärtigen Gesellschaft diskutieren (u. a. Fraser 1996; Winker 2015). Hingegen operieren die hier zur Diskussion stehenden Ansätze und Forschungsergebnisse stark mit mikrosoziologischen Analysen des Alltäglichen. Soziale Interaktions- und Sozialisationsprozesse, Gewohnheiten, soziale Rollen und Praktiken, allgemein die Konstituierungen von sozialem Handeln sind hierbei die ausschlaggebenden Analysekategorien. Die angeschnittenen Gründe, sowie der Verweis darauf, dass auch die primär aufgegriffenen Autor*innen – Koppetsch/Burkart und Kaufmann – nicht den Begriff der Care-Arbeit, sondern Begriffe sowie spezifische Aspekte der Hausarbeit wählen, haben mich dazu bewegt, benannte Begrifflichkeit beizubehalten (vgl. Koppetsch 1999: 1; Kaufmann 1994: 60).

3. Leitbild egalitärer Partnerschaft

Die Vorstellung darüber, wie eine Paarbeziehung zu gestalten sei, hat im Laufe von Generatio- nen verschiedene Leitbilder hervorgebracht. Grundlegende Aspekte gesellschaftlicher Ver- änderung und gegenwärtiger Vorstellung der kulturellen Beziehungsnormen, insbesondere das im weiteren Verlauf zur Diskussion stehende Element der Selbstverwirklichung, werden im Folgenden kurz thematisiert.

Seit den 1980er Jahren wird in der Soziologie eine Abkehr von der romantischen Liebe zu- gunsten einer partnerschaftlichen, egalitären Beziehung als Leitbild konstatiert. Charakteristika dieser Entwicklung sieht Lenz in der „Dominanz des Selbstverwirklichungsmotivs, dem weit- gehenden Verschwinden der Geschlechtsspezifik und der Aufwertung der Kommunikation“ (Lenz 2009: 286). Das Motiv der Selbstverwirklichung geht einher mit Ansprüchen der Au- tonomie und dem Streben nach persönlichem Wachstum. Im Unterschied zur romantischen, selbstaufopfernden Liebe wird „die Pflicht, die Eigenständigkeit der Person zu wahren und auch die des Partners oder der Partnerin anzuerkennen“ (Lenz 2009: 286) zum zentralen Leitmotiv. Konfliktpotenziale dieses Individualitätsanspruchs liegen in Ansprüchen der Verpflichtung und Bindung, wie sie für feste Bindungen üblich sind. Zumal werden Trennungen und Trennungs- erfahrungen – anders als bei der romantischen Liebe, die der Idee einer lebenslang bindenden Entscheidung folgt – durchaus als etwas Positives verhandelt, wenn Voraussetzung, eine „au- tonome Person“ zu sein oder sein „wahres Selbst“ zu finden, zur Disposition stehen (vgl. ebd.: 286). Eine weitere Entwicklung wird in der Bedeutung der Liebesbeziehung im Kontext der Partnerwahl und dessen Nicht-Wahl konstatiert. So konstituierte sich Partnerschaft im Kontext der romantische Liebe in der Vorstellung sie sei reine Privatsache zweier Individuen. Diese Vorstellung wurde insbesondere durch die Kritik an sozial einflussreichen Ausschluss- regulatoren wie etwa der Familie oder der Kirche begründet. Romantische Liebe „formuliert eine Vorrangstellung des Individuums und seines Anspruchs auf Glück vor der Gesellschaft“ (Bethmann 2010: 224). Die feministische Kritik der 1970er und 1980er politisiert das (schein- bar) Private und arbeitete Vorstellungen der romantischen Liebe, wie etwa die bedingungslose Hingabe und Idealisierung der Partnerschaft, als stabilisierende Ideologie der ungleichen Arbeitsteilung heraus (vgl. ebd.: 226ff.). Die egalitäre, partnerschaftliche Beziehungsnorm baut auf die Selbstreflektion der romantischen Liebenormen auf und formuliert eine radikale Selbst- bestimmung, sodass vormals unreflektierte Verbindlichkeiten, wie Monogamie, Zusammen- wohnen oder die Ehe an Bedeutung verlieren. Auch individuelle Kosten-Nutzen-Abwägungen sind hierbei explizit erlaubt, geradezu erwünscht. Frei von Zwängen seien „Liebesbeziehungen […] damit zu Lebensstiloptionen geworden, die man wählen, wandeln, individuell gestalten – und vor allem mit dem Partner oder der Partnerin demokratisch aushandeln kann“ (ebd.: 228f.). Im Mittelpunkt steht also die Befriedigung von Bedürfnissen und Wünschen der einzelnen Individuen – frei von äußeren Zwängen, wie finanzielle Abhängigkeit oder sozialen Normen, frei von inneren Zwängen wie der emotionalen Abhängigkeit. Wird dieser Anspruch nicht erfüllt, so beschreibt Giddens den Unterschied zur romantischen Liebe, „kann das Individuum jederzeit gehen“ (Giddens 1993: 61ff. zit. n. Bethmann 2010: 228). Ein zweites Merkmal das Lenz ausmacht, ist das Verschwinden der Geschlechtsspezifik darüber, was Frauen und Männer (unterschiedliches) zu tun haben, was sie sollen, müssen oder dürfen. Insbesondere Frauen, so Lenz, profitieren von dieser Entwicklung, da sie ungleich stärker mit festgelegten Verhaltensweisen konfrontiert wurden. Eine Auswirkung dieser Entwicklung ist die wachsende Verpflichtung zu gleichen Rechten und Pflichten von Männern und Frauen. Mitunter wird eine Annäherung des männlichen Ideals der Unabhängigkeit konstatiert, mit der Auswirkung, dass Frauen „immer weniger bereit sind, sich auf den Privatbereich zu beschränken“ (Lenz 2009: 288). Die dritte Veränderungstendenz sieht Lenz in der Aufwertung der Kommunikation, dessen Implikationen im besonderem mit der Dominanz des Selbstverwirklichungsmotivs und dem Verschwinden der Geschlechtsspezifik verschränkt sind. Durch die Abwertung der Geschlechtsspezifik als Orientierungsfunktion wird die Kommunikation zwischen den Beziehungspersonen zum entscheidenden Instrument, um die Grundlagen des Zusammenlebens auszuhandeln (vgl. ebd.: 288). Natürlich beschreiben die theoretischen Ausführungen mit ihren Veränderungstendenzen (nur) ein idealtypisches Konzept. Daraus zu schließen, dass „alte“ Vorstellungen der romantischen Liebe völlig verdrängt wurden, wäre überzogen, zumal sich die Verbreitung und Zustimmung egalitärer Partnerschaften mit den genannten Leitbildern milieuspezifisch ausdifferenzieren lassen.3 Treffender ist es also, von einem Nebeneinander und einer Vermischung kultureller Leitbilder auszugehen (vgl. ebd.: 289).

[...]


1 Fürsorgetätigkeiten werden ausgeklammert, um dem Umfang der Ausarbeitung gerechte zu werden.

2 So wird in Publikationen etwa die (naive) Vorstellung vom autonomen Subjekt kritisch diskutiert und u. a. – mit dem Anspruch einer verbesserten Rahmenbedingung zugunsten einer wirtschaftspolitischen Gesellschaftsorganisation, die die Bedürfnisse von Menschen ins Zentrum stellt – darauf hingewiesen, dass alle Gesellschaftsmitglieder, mindestens in bestimmten Phasen, von Fürsorgeleistungen abhängig sind (vgl. Villa 2020: 436; Winker 2015: 137; Riegraf 2019: 765).

3 So konnte etwa gezeigt werden, dass die herkömmlichen Geschlechterarrangements im familistischen und im traditionellen Milieu nach wie vor als Selbstverständlichkeiten gelten und das ferner nur im individualisierten Milieu „der Anspruch auf eine gleichberechtigte Partnerschaft auf Basis einer von Geschlechterrollen „freigesetzten“ Subjektivität erhoben wird“ (Koppetsch/Burkart 1999: 196).

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Details

Titel
Reproduktionselemente traditioneller Geschlechterrollen im Kontext egalitärer Partnerschaftsnormen
Untertitel
Soziologische Reflektion des Gleichberechtigungsdiskurses bei J.-C. Kaufmann & C. Koppetsch et. al.
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
20
Katalognummer
V1148389
ISBN (eBook)
9783346530950
ISBN (Buch)
9783346530967
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gender Studies, Geschlechterverhätnisse, Arbeitsteilung, Reproduktionsverhältnisse, egalitäre Arbeitsteilung, Rollenbilder, Care-Arbeit, Hausarbeit im Privathaushalt, Geschlechternormen, egalitäre Partnerschaft, (Re-)Konstruktion von Geschlechterrollen, Kultursoziologie, Geschlechterforschung, Genderstudies, Genderstudien, Doing Gender, Paarbeziehung, soziale Mechanismen
Arbeit zitieren
Leander Fricke (Autor:in), 2021, Reproduktionselemente traditioneller Geschlechterrollen im Kontext egalitärer Partnerschaftsnormen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1148389

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