Das inklusive Wahlrecht. Die normative Debatte im bundesdeutschen Fall


Hausarbeit, 2020

22 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Begriffliche Grundlagen
2.1 Wahlrecht und Wahlsystem
2.2 Inklusion
2.3 Vollbetreuung

3 Ausschlüsse vom Wahlrecht
3.1 Historische Entwicklung
3.2 Aktuelle Ausschlüsse in Deutschland
3.2.1 Staatsbürgerschaft
3.2.2 Alter
3.2.3 Straftäter

4 Ausschluss aufgrund geistiger Behinderung
4.1 Die Ausschlüsse vom Wahlrecht nach §13 Nr.2 BWG vor Mai 2019
4.1.1 Nordrhein-Westfalen
4.1.2 Schleswig-Holstein
4.1.3 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
4.1.4 Bundesebene
4.2 Zusammenfassung der Argumente

5 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

„Ich bin überzeugt, dass die Menschen mit der richtigen Unterstützung in der Lage sind zu entscheiden, wer ihre Interessen auf Landes- und Bundesebene vertritt“, erklärt Ulla Schmidt, ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags im Zusammenhang mit der Debatte zum inklusiven Wahlrecht (taz 2017). Obwohl das Wahlrecht heute als das "vornehmste Recht des Bürgers im demokratischen Staat“ (BVerfGE 123, 267 (341) = NJW 2009, 2267) bezeichnet wird, gilt es nicht für einzelne Gruppen. So waren bis Juli 2019 unter anderem Personen, denen ein „Betreuer in allen Angelegenheiten“ angeordnet wurde, vom Wahlrecht ausgeschlossen, trotz dem im Grundgesetz verankertem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 GG) sowie des Benachteiligungsverbots (Art. 3 GG). Dies wirft die Frage auf, wie mit dieser Herausforderung für die Demokratie im politischen Diskurs umgegangen wurde und warum es in Deutschland auf Bundesebene erst 2019 eine Öffnung des Wahlrechts gab: Welcher Prozess führte zur Abschaffung von § 13 Nr.2 BWG und ermöglichte ein inklusiveres Wahlrecht?

Eine Studie aus dem Jahr 2001 beschäftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen dem Wahlrecht in einzelnen Ländern und der Stärke der Demokratie. Drei der vier Demokratien (Irland, Kanada, Schweden) die zu diesem Zeitpunkt allen volljährigen Staatsbürgern das volle Wahlrecht gewährten, gehörten laut Freedom House Index 1996 zu den zwölf stärksten Demokratien der Welt (Blais/Massicotte/Yoshinaka 2001, 41ff). Anzumerken ist, dass in Europa derzeit im Gesamten eine Öffnung des Wahlrechts zu beobachten ist. Dies ermöglicht geistig Behinderten die Inklusion in den „Kern der Demokratie, der politischen Teilhabe durch Wahl“ (Schönhagen 2016, 368).

In der Literatur wurde dies bisher meist aus juristischer Perspektive behandelt (vgl. Lang 2013, Schönhagen 2016). Die Debatte als solche und Argumente, welche zur Aufhebung des § 13 Nr. 2 Bundeswahlgesetz führten, ist dabei nicht Teil und soll daher hier im Mittelpunkt stehen.

Zunächst einmal werden wichtige begriffliche Grundlagen (Wahlrecht, Inklusion, Betreuung in allen Angelegenheiten) geklärt. Anschließend wird auf die Geschichte der Wahlrechtsausschlüsse eingegangen und ein Überblick über aktuelle Ausschlüsse gegeben. Daran anschließend wird der Reformweg von § 13 Nr. 2 BWG näher beleuchtet. Es wird auf Landesebene begonnen, da hier bereits 2016 erste Reformen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen erfolgten. Danach wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen, welche schließlich den Anstoß für die Abschaffung des Paragraphen auf Bundesebene gab. Die in den einzelnen Debatten verwendeten Argumente sollen anschließend sortiert und eingeordnet werden.

Paragraph 13 enthielt neben dem Ausschluss unter Vollbetreuung stehender Menschen auch den Ausschluss von Personen, die sich aufgrund einer Anordnung nach § 63 i. V. m. § 20 des Strafgesetzbuches in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden (§ 13 Nr. 3 BWG). Bei der Bundestagswahl 2017 betraf dies 3300 Personen, demgegenüber stehen rund 82 000 unter Vollbetreuung stehende Personen (Deutscher Bundestag 2018, BT-Dr 19/5260). Aufgrund der geringen Fallzahl und der starken Fokussierung der Debatte auf den Ausschluss unter Vollbetreuung stehender Personen, befasst sich die hier vorliegende Arbeit lediglich mit der Aufhebung des Ausschlusses § 13 Nr. 2 BWG.

2 Begriffliche Grundlagen

Im Folgenden sollen die grundlegenden Begriffe für diese Arbeit erläutert werden. Da hier eine Reform des Wahlrechts im Mittelpunkt steht, soll dieses zunächst in Abgrenzung zum Wahlsystem definiert werden. Anschließend wird der Begriff Inklusion näher beleuchtet, da er zentral für die Beantwortung der Forschungsfrage ist, ebenso wie der Begriff der Vollbetreuung.

2.1 Wahlrecht und Wahlsystem

Zunächst ist es von erheblicher Wichtigkeit, die Begriffe Wahlrecht und Wahlsystem hinreichend zu konkretisieren. Klecha formuliert hierzu: „Wahlrecht und Wahlsystem werden oftmals synonym verwendet, wiewohl zwischen beidem zu differenzieren ist“ (Klecha 2011, 324).. Das Wahlrecht umfasst dabei alle Sachverhalte, welche zur Durchführung, Planung und Auswertung einer Wahl notwendig sind. Das Wahlsystem hingegen, beschäftigt sich ausschließlich mit der Frage, wie die bei einer Wahl abgegebenen Wählerstimmen verwertet werden sollen (Nohlen 2014, 67). Die Frage nach dem Wahlsystem ist somit weit enger gefasst, als es die Frage nach der Ausgestaltung des Wahlrechts ist. Im Wahlrecht eines Staates finden sich jedoch meist Elemente, welche auch auf die Ausgestaltung des landesspezifischen Wahlsystems Bezug nehmen (Strohmeier 2009, 11ff). Für die hier vorliegende Arbeit ist der Begriff des Wahlrechts zentral.

2.2 Inklusion

Die Begriffsdefinition der Inklusion erfolgt in der Literatur über verschiedenste Definitionsangebote, die die große Bandbreite an Vorstellungen über Inklusion verdeutlichen (Cramer/Harand 2014, 640). Diese Forderung nach Inklusion als Menschenrecht ist universell und basiert im Wesentlichen auf der Maxime der Gleichberechtigung, wie sie in westlichen Kulturen in den Verfassungen niedergelegt ist: Menschenwürde (GG Art 1), Unversehrtheit (GG Art 2) oder Gleichheit vor dem Gesetz (GG Art 3) (Cramer/Harand 2014, 642). Für die hier vorliegende Arbeit, ist die Makroebene des Inklusionsbegriffs und damit seine Funktion als Menschenrecht maßgebend (ebd.). Daher nutzt diese Arbeit folgende Definition des Deutschen Instituts für Menschenrechte (2014) im Sinne einer politisch-normativen Stellungnahme:

„Inklusion bedeutet, dass kein Mensch ausgeschlossen, ausgegrenzt oder an den Rand gedrängt werden darf. Als Menschenrecht ist Inklusion unmittelbar verknüpft mit den Ansprüchen auf Freiheit, Gleichheit und Solidarität. Damit ist Inklusion sowohl ein eigenständiges Recht, als auch ein wichtiges Prinzip, ohne dessen Anwendung die Durchsetzung der Menschenrechte unvollständig bleibt. Wie alle anderen Menschen- rechte fußt das Recht auf Inklusion auf der universellen Menschenwürde: Weil alle Menschen mit der gleichen und unveräußerlichen Würde ausgestattet sind, haben wir alle die gleichen Rechte und den Anspruch darauf, dass der Staat sie umsetzt. Das heißt, dass er die Menschenrechte durch seine Rechtsordnung absichert und die tatsächlichen Voraussetzungen dafür schafft, dass alle ihre Rechte gleichermaßen wahrnehmen kön- nen.“

2.3 Vollbetreuung

Unter den Betreuten war nach § 13 Nr. 2 BWG derjenige vom Wahlrecht ausgeschlossen, „für den zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist“. Laut §§ 1896 ff. BGB wird auf Antrag oder von Amts wegen durch das Betreuungsgericht für Personen, die aufgrund einer „psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung“ außerstande sind, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen, ein Betreuer in allen Angelegenheiten bestellt.

3 Ausschlüsse vom Wahlrecht

Im Wahlrecht wird definiert, wer als Vollmitglied einer Gemeinschaft oder einer Nation aktiv partizipieren kann (Bader-Zaar 2004, 22). Jedoch wird erst seit dem 18. Jahrhundert nachdrücklich diskutiert, dass dieses Recht allen Bürgerinnen und Bürgern, unter der Bedingung der vollen Rechtsfähigkeit, zustehen sollte (ebd.).

3.1 Historische Entwicklung

Normativ gesehen, sind die politischen Beteiligungsrechte der Staatsbürger heute unumstritten. Jedoch mussten sie sich erst in einem langen historischen Prozess durchsetzen (Nohlen 2009, 39). Im engen Zusammenhang mit der Frage, wer als wahlberechtigt gilt, steht die Frage nach der Souveränität. Aristoteles beispielsweise lehnte die „Demokratie“ im Sinne von Volksherrschaft ab, da die Entscheidungsgewalt hier bei den Mittellosen liege und mit deren Stimmen Missbrauch getrieben werden könne (ebd.). Dies setzte sich auch im Mittelalter und der frühen Neuzeit fort, indem das „Volk“ nicht als eine Summe von Individuen verstanden wurde, sondern als Körper. Dieser trat in Stände gegliedert in Erscheinung und stand dem Fürsten gegenüber (Scheuner 1977, 309). Erstmals gebrochen mit dieser Vorstellung von Souveränität wurde in England im 13. Jahrhundert, indem Vertreter von Adel, Bürger und Klerus zu einem Parlament als repräsentative Körperschaft zusammenkamen, wobei sich das Volk aus allen männlichen Individuen zusammensetzte. Bis zum 19. Jahrhundert fundierte die Idee der Souveränität jedoch auf Besitz (Bader-Zaar 2004, 22). Mit der Französischen Revolution und der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 galten alle Staatsbürger zur Mitwirkung an der Gesetzgebung befugt. In der Praxis wurde dabei jedoch zwischen Aktiv- und Passivbürgern unterschieden (Sewell 1988, 107). Besondere Forderungen nach Partizipationsrechten und gerechter Repräsentation waren prägend für das 19. Jahrhundert (Bader-Zaar 2004, 22).

In Deutschland kam für Männer mit der Reichsgründung 1871 das allgemeine und gleiche Wahlrecht (ebd.). Die Durchsetzung des allgemeinen Wahlrechts gilt dabei als wesentliche Dimension der Demokratisierung von europäischen Regierungssystemen (Behnke 2017, 36). War es bisher die Klasse welche zu Ausschlüssen vom Wahlrecht führte, kam das Geschlecht als weiterer streitbarer Ausschluss unmittelbar hinzu. Als notwendig für das Wählen angesehene Kompetenzen gestand man nur Männern zu (Behnke 2017, 31). Mitte der 1860er Jahre gründete Frauen die ersten Organisationen, um sich für das Frauenwahlrecht einzusetzen. Als erster Nationalstaat der Welt führte Neuseeland 1893 das Wahlrecht auch für Frauen ein. In Deutschland geschah dies 1918, in Liechtenstein 1984 zuletzt in Europa. 1972 wurde in Deutschland die Altersgrenze für das passive Wahlrecht auf 18 Jahre gesenkt, 1976 auch die, für das aktive Wahlrecht. Bis 1987 waren im Ausland lebende Deutsche vom Wahlrecht ausgeschlossen (Nohlen 2009, 23).

Bevor sich das allgemeine und gleiche Wahlrecht für jeden Bürger flächendeckend etablierte, gab es Wahlrechtsbeschränkungen im Wesentlichen in drei Formen: Zum ersten einen direkten Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel Frauen. Zum zweiten ökonomisch, durch die Festlegung eines Zensus, zum Beispiel in Form eines bestimmten Besitz-, Einkommens-, oder Steuernachweis und zum dritten durch die Forderung nach bestimmten Bildungsqualifikationen in Form von Berufsausübung oder formeller Schulbildung (Nohlen 2009, 42). Doch auch heute sind nicht alle Bürger wahlberechtigt.

3.2 Aktuelle Ausschlüsse in Deutschland

Im allgemeinen und gleichen Wahlrecht kommt die rechtliche Egalität der Staatsbürger zum Ausdruck, an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten mitzuwirken (Krennerich 2017, 110). Dabei liegt die Vorstellung zugrunde, dass alle Staatsbürger grundsätzlich fähig sind, ihrem politischen Willen bei Wahlen Ausdruck zu verleihen (ebd.). Dennoch gleicht das Wahlrecht keinem absoluten Recht und enthält auch in Demokratien Wahlrechtsausschlüssen. Im Folgenden soll zunächst kurz auf die, bereits mehrfach Bestandteil öffentlicher Debatten (Mindestalter, Staatsbürgerschaft, Wohnsitz, Strafvollzug) eingegangen werden, bevor der hier im Mittelpunkt stehende Ausschluss aufgrund einer richterlichen Anordnung zur Vollbetreuung thematisiert wird.

3.2.1 Staatsbürgerschaft

Dem Wortlaut nach weist die Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 das Wahlrecht als ein Menschenrecht aus, das jedem Menschen zusteht (Krennerich 2017, 107).1 Dabei beinhaltet es eine Konkretisierung für den räumlichen Anwendungsbereich, wonach jeder Mensch das Recht hat, im eigenen Land zu wählen (ebd.). Hier findet sich der erste noch geltende Wahlrechtsauschluss. Mit dem internationalen Menschenrechtsabkommen ist es daher völkerrechtlich vereinbar, das Wahlrecht an die Staatsbürgerschaft zu koppeln. Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten, zählt Deutschland zu den Nachzüglern und bindet auch das kommunale Wahlrecht an die Staatsbürgerschaft. Die meisten europäischen Staaten, räumen ansässigen EU-Ausländern neben dem Europawahlrecht auch das kommunale Wahlrecht ein (ebd. 127).

[...]


1 „Jeder <Mensch> hat das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar und durch frei gewählte Vertreter mitzuwirken. Der Wille des Volkes bildet die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt, dieser Wille muss durch regelmäßige, unverfälschte, allgemeine und gleiche Wahlen mit geheimer Stimmabgabe oder einen gleichwertigen freien Wahlverfahren zum Ausdruck zu kommen.“ (Art. 21, AEMR).

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Das inklusive Wahlrecht. Die normative Debatte im bundesdeutschen Fall
Hochschule
Universität Potsdam
Note
2,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
22
Katalognummer
V1149703
ISBN (eBook)
9783346534033
ISBN (Buch)
9783346534040
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wahlrecht, Inklusion
Arbeit zitieren
Noa Groicher (Autor:in), 2020, Das inklusive Wahlrecht. Die normative Debatte im bundesdeutschen Fall, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1149703

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Das inklusive Wahlrecht. Die normative Debatte im bundesdeutschen Fall



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden