Weblogs und Wandel von Öffentlichkeit im World Wide Web - Eine explorative Studie am Beispiel medienkritischer Blogs


Mémoire de Maîtrise, 2006

115 Pages, Note: Sehr Gut (1,5)


Extrait


INHALT

1. Einleitung
1.1 Forschungsproblem
1.2 Zentrale Fragestellung
1.3 Aufbau der Arbeit

2. Konstitution medial vermittelter Öffentlichkeiten
2.1 Dimensionen des Offentlichkeitsbegriffs
2.2 Exkurs: Öffentlichkeitstheorien und -modelle
2.3 Strukturmerkmale der Medienöffentlichkeit
2.4 Entstehung von Netzöffentlichkeiten
2.5 Zusammenfassung

3. Funktionen und Inhalte öffentlicher Medienkritik
3.1 Entstehung öffentlicher Diskurse über Medien
3.2 Etablierte Formen kritischer Medienreflexion
3.3 Exkurs: Medienkritische Diskurse und Neue Medien
3.4 Intermedíale und medieninterne Kritik im Usenet und WWW
3.5 Zusammenfassung.

4. Etablierung von Weblogs in der Netzöffentlichkeit
4.1 Exkurs: Medienformate im World Wide Web
4.2 Entwicklung von Weblogs als Medienformat
4.3 Themenschwerpunkte & Erscheinungsformen
4.4 Typologie von Blog-Autoren und -Lesern
4.5 Konstitutive Merkmale der Blogosphäre
4.6 Zusammenfassung.

5. Forschungsdesign
5.1 Hypothesen der Untersuchung
5.2 Untersuchungsgegenstand
5.2.1 Auswahl der Stichprobe
5.3 Methode der Datenerhebung
5.4 Untersuchungsinstrumentarium
5.4.1 Analyse der Weblog-Makroebene
5.4.2 Analyse der Eintragsebene
5.4.3 Ergebnisse der Probecodierung

6. Untersuchungsergebnisse
6.1 Formale Charakteristika der Weblogebene
6.2 Formale Merkmale der Eintragsebene
6.3 Erörterung der Forschungshypothesen

7. Zusammenfassung & Schlussbetrachtung

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Queilenverzeichnis

Anhang

Codebuch der Inhaltsanalyse

1. Einleitung

1.1 F orschungsproblem

Als sich das Radio m den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts zum Massenmedium entwickelte, formulierte Bertolt Brecht die Idee eines emanzipatonschen Medienapparats. Dieser sollte die Hörer nicht auf passive Konsumenten reduzieren, sondern sie zu aktiven und kritischen Teilnehmern formen. In der Realität beschränkte sich jedoch das Engagement des Publikums auf Wunschkonzerte, Ratespiele oder vereinzelte Meinungsäußerungen. Die Radiomacher kontrollierten weiterhin die Kommunikation, wie auch Redakteure innerhalb der Fernsehanstalten und anderer klassischer Massenmedien. Jürgen Habermas bezeichnete daher m den 1960er Jahren die durch Massenmedien konstituierte Öffentlichkeit nicht ohne Grund als „vermachtete Arena“ (Habermas 1990 [1962]), m der ein freier Meinungsaustausch kaum möglich und auf einen von den Medien gesteuerten Diskurs beschränkt werde.

Ohne Zweifel hat sich die von Habermas beschriebene Medienöffentlichkeit m den letzten vierzig Jahren verändert und — zummdestens m Deutschland — an aufklärerischen und gegenkontrollierenden Funktionen hinzugewinnen können. Neben der sogenannten Alternativpresse, die seit den 1970er Jahren die Entfaltung einer alternativen und autonomen Öffentlichkeit betreibt, beeinflusste vor allem die Entwicklung der Internettechnologie und ihrer interaktiven Medienformate einen strukturellen Wandel der Medienöffentlichkeit. Nach den diskursiven Kommunikationsmedien des „frühen Internets“ ermöglichte das World Wide Web (WWW) m den 1990er Jahren eine aktive Involvierung des Publikums. Es bildeten sich Netzöffentlichkeiten, deren Teilnehmer sich öffentlich über eigene Webseiten, Diskussionsforen oder Chats artikulieren und untereinander m einen Diskurs treten konnten.

Die Vision aktiver und kritischer Medienkonsumenten wurde aber nur teilweise Realität, denn negative Erscheinungen, wie Informationsflut und eine zunehmende Kommerzialisierung und Fragmentierung des öffentlichen Raumes, überschatteten die soziale Einbettung des WWW. Doch durch das enorme Potenzial des neuen Mediums sowie semer experimentierfreudigen Nutzerschaft entstanden in den letzten Jahren neue Angebotstypen, welche die Schwächen bisheriger Formate im Netz ausgleichen. Dazu gehören — neben leistungsstarken Suchmaschinen und Peer-to- Peer-Angeboten — insbesondere die m dieser Arbeit im Mittelpunkt stehenden Weblogs.

Weblogs — oder kurz Blogs — lassen sich als eine neue Form der persönlichen Publikationsmöglichkeit im Netz umschreiben. Emen regelrechten Boom erlebt dieses neue Medienformat des WWW seit den Jahren 2000/2001. Schätzungen gehen davon aus, dass es zurzeit circa 400.000 bis 500.000 aktive Weblogs allem im deutschen Sprachraum gibt — weltweit gar mehr als 50 Millionen. Diese Onlme- Tagebücher lassen dabei bekannte medientheoretische Hoffnungen wieder aufleben: Einschlägige Veröffentlichungen künden von einer „heimlichen Medienrevolution“ (Möller 2005a), m der „neue Meinungsmacher“ (Zerfaß/Boelter 2005) die „soziale Rückeroberung des Netzes“ (Eigner/Leitner/Nausner 2003) vorantreiben. Betont wird m diesem Zusammenhang, dass Weblogs bislang margmalisierte Stimmen m die Öffentlichkeit bringen sowie den kooperativen Austausch zwischen Menschen mit geteilten Interessen oder Lebenswelten fördern. Sie fungieren dabei als persönliche Tagebücher, stellen journalistische Publikationsplattformen dar oder können als strategisches Instrument von Parteien, Unternehmen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen eingesetzt werden. Weblogs sind m allen Bereichen der Gesellschaft präsent — ihre Verwendungskontexte komplex und vielschichtig.

Um fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse über das neue Medienformat zu erhalten, wird der Schwerpunkt dieser Arbeit daher auf Weblogs gelegt, die sich an einem kritischen Diskurs über Medien beteiligen. In diesem Bereich haben Onlme- Tagebücher m den letzten Jahren zunehmend auf sich aufmerksam gemacht. Medienkritische Blogs, die auch als „Watchblogs“ bezeichnet werden, tragen Namen wie „Medienrauschen“, „BILDblog“, „Mentalschnupfen“, „Medienlese“ oder „Wirklichkeitsnah“ und steuern fast täglich Inhalte zu einem öffentlichen Diskurs über Medien bei. Die Debatten, die analytisch, polemisch, mal humorvoll oder auch wütend sein können, sind innerhalb der vernetzten Öffentlichkeit der Weblog- Gememschaft längst keine Nische mehr. Das medienkritische BILDblog.de, das Schlagzeilen und Nachrichten der Bild-Zeitung und ihres Online-Angebots unter die Lupe nimmt, zählt täglich bis zu 30.000 Zugriffe. Seit Monaten fuhrt es die Deutschen Blogcharts1[1] an und erhielt im Jahr 2005 den „Grimme Online Award“.

1.2 Zentrale Fragestellung

Vor dem Hintergrund einer zunehmenden partizipativen Medienkritik innerhalb der vernetzten Öffentlichkeit der Weblognutzer („Blogosphäre“) wird das neue Format der Weblogs hinsichtlich seines Potenzials einer kritischen Medienbeobachtung untersucht. Im Vordergrund der Analyse stehen dabei deutschsprachige Weblogs, die sich kritisch mit Strukturen und Inhalten der „Mainstream-Medien“ [2] auseinandersetzen. Am Beispiel der Anfang August 2006 von Blog-Autoren aufgedeckten Manipulation von Pressefotos der Nachrichtenagentur Reuters kann die Wirkungsweise medienkritischer „Watchblogs“ demonstriert und die von diesen Weblogs angestoßene Debatte einer wissenschaftlichen Analyse unterzogen werden. Die zentrale Forschungshypothese der Arbeit lautet:

„Weblogs ermöglichen neue Formen partizipativer Medienkritik und lassen durch Vernetzung innerhalb der Blogosphäre diskursive Teilöffentlichkeiten entstehen.“

1.3 Aufbau der Arbeit

Nachdem die zentrale Fragestellung der Arbeit m diesem Kapitel umnssen wurde, werden m den folgenden Kapiteln grundlegende Begriffe und theoretische Zusammenhänge eines Wandels von Öffentlichkeit (Kapitel 2) sowie Inhalte und Funktionen eines öffentlichen, medienkritischen Diskurses (Kapitel 3) erörtert. In Kapitel 4 steht das neue Medienformat der Weblogs und seine Vernetzung innerhalb der „Blogosphäre“ im Mittelpunkt. Im Anschluss wird m Kapitel 5 durch Aufstellung der Hypothesen und Erläuterung des Forschungsdesigns zur empirischen Untersuchung hingeleitet, die m Kapitel 6 mit der Auswertung der Forschungsergebnisse abgeschlossen wird. Kapitel 7 fasst die Erkenntnisse der Studie zusammen und endet mit einer Schlussbetrachtung. Im Folgenden wird das detaillierte Vorgehen innerhalb jedes einzelnen Kapitels beschrieben:

Kapitel 2: „Konstitution medial vermittelter Öffentlichkeiten“ — Im zweiten Kapitel folgt nach Bestimmung der Bedeutungsdimensionen des Begriffs „Öffentlichkeit“ eine ausführliche Auseinandersetzung mit Theorien und Modellen, die das Phänomen innerhalb der Kommumkations- und Medienwissenschaft thematisieren. In diesem Exkurs stehen m erster Lime die normativen Funktionsbestimmungen von Öffentlichkeit im Vordergrund, die für das Verständnis eines Wandels von Öffentlichkeit elementar sind. Anhand des Ebenenmodells werden anschließend Defizite medial vermittelter Öffentlichkeiten sowie die Entstehung von kritischen Öffentlichkeiten erörtert. Der sich vollziehende Strukturwandel von Öffentlichkeit durch die Entstehung von Netzöffentlichkeiten wird im letzten Teil des Kapitels dargelegt. Dabei werden Chancen und Risiken dieser neuen Öffentlichkeitsform vorgestellt und die Bedeutung partizipativer Vermittlungsformen, zu denen auch Weblogs gehören, erläutert.

Kapitel 3: „Funktionen und Inhalte öffentlicher Medienkrìtik“ — Zu Beginn des dritten Kapitels wird die Entstehung und Bedeutung medienkritischer Diskurse erörtert, die innerhalb von Medien geprägten Gesellschaften ein öffentliches Nachdenken über Kommunikationsmittler auslösen. In der Folge werden etablierte Formen öffentlicher Medienkrìtik analysiert, die vor allem innerhalb der Strukturen klassischer Massenmedien zu finden sind. Dadurch können typische Formate öffentlicher Medienkrìtik sowie deren funktionale Bestimmungen aufgezeigt und als Vergleichsgrundlage für neue Formen, wie sie etwa im WWW vorzufinden sind, benutzt werden. Nach einem Exkurs, der Neue Medien als Gegenstand und nicht als Ausgangspunkt medienkritischer Diskurse thematisiert, wird detailliert auf die Integration mtermedialer und mediemnterner Kritik innerhalb diskursiver Medien des Internets eingegangen. Im Mittelpunkt steht dabei das WWW und eine durch seine Angebotstypen ermöglichte öffentliche Medienkrìtik. Im Rahmen dieses Kapitel wird das Innovationspotenzial partizipativer Formen öffentlicher

Medienkritik durch Weblogs erläutert, welches durch die empirische Untersuchung der Arbeit fundiert werden soll.

Kapitel 4: „Etablierung von Weblogs in der Net^öffentlichkeit“ — Durch einen Exkurs, der aus Perspektive der konstruktivistischen Medienkulturtheorie die Entwicklung neuer Medienformate im WWW beleuchtet, können defimtorische Besonderheiten des Weblog-Formats dargelegt werden. Im Anschluss erfolgt ein Abriss der Entwicklungsgeschichte der Onlme-Tagebücher, bevor die Kategonsierung verschiedener Erscheinungsformen und ihrer thematischen Schwerpunkte im Mittelpunkt der Untersuchung steht. Zum weiteren Verständnis des neuen Medienformats werden danach Ansätze einer „Typologie der Blogger“ vorgestellt und unterschiedliche Nutzungsmotive erörtert. Im letzten Abschnitt des Kapitels wird detailliert auf das Potenzial der Vernetzung verschiedener Weblogs innerhalb der sogenannten „Blogosphäre“ und ihre Bedeutung fur einen öffentlich wirksamen Diskurs eingegangen.

Kapitel 5: „Forschungsdesign“ — Zu Beginn dieses Kapitels werden die Arbeitshypothesen aus der zentralen Forschungshypothese abgeleitet. Im Anschluss wird die Auswahl und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands — konkret jener Weblogs, die an einem Diskurs über manipulierte Fotos der Nachrichtenagentur Reuters teilnehmen — beschrieben und die gezogene Stichprobe erläutert. Es folgt eine detaillierte Beschreibung der Forschungsmethoden, die im Rahmen der empirischen Untersuchung dieser Arbeit Anwendung finden. Das Kapitel schließt mit der Explikation des Untersuchungsinstrumentariums, dem inhaltsanalytischen Kategoriensystem und seinen Analyseschwerpunkten.

Kapitel 6 Sc 1: „Untersuchungsergebnisse“ & „Zusammenfassung & Schlussbetrachtung“ — In Kapitel 6 werden ausführlich die Untersuchungsergebnisse aufgezeigt und diskutiert. Im Vordergrund stehen formale und strukturelle Merkmale der analysierten Weblogs und ihrer Einträge sowie die Diskussion und Überprüfung der aufgestellten Hypothesen. Die Zusammenfassung der zentralen Forschungsergebnisse und eine Schlussbetrachtung zur Thematik dieser Arbeit erfolgt m Kapitel 7.

2. Konstitution medial vermittelter Öffentlichkeiten

„Öffentlichkeit ist nicht monolithisch, sondern ein vielschichtiges, de­zentrales Phänomen, ein offenes und inklusives Netzwerk mit fließenden zeitlichen, sozialen und sachlichen Grenzen.“ (Plake et al. 2001, 12)

2.1 Dimensionen des Offentlichkeitsbegriffs

Die Multidimensionalität des Öffentlichkeitsbegriffs wird durch eine historische Re­konstruktion seiner Objektbereiche ersichtlich (hierzu und im Folgenden: Westerbarkey 1998, 27ff.): Bereits m der Antike gab es eine Form vordergründig politischer Öffentlichkeit, die innerhalb fest umgrenzter Einrichtungen — vorrangig im Freien — stattfand. Im Mittelalter entsprach der Kategorie Öffentlichkeit ein kollektiver Vollzug gemeinschaftlicher Angelegenheiten, wie etwa Kauf und Verkauf von Waren, Amtshandlungen der Obrigkeit, Rechtsstreitigkeiten oder Hinrichtungen. Charakteristisch fur diese Form von Öffentlichkeit war neben physischer Anwesen­heit vor allem die visuelle Wahrnehmung von Ereignissen. Eine moralische Dimension erhielt der Begriff, als wichtige Angelegenheiten zunehmend heimlich geschehen konnten und somit fur einige oder viele unzugänglich wurden. Im 18. Jahrhundert — dem Zeitalter der Aufklärung — verstand man daher unter Öffentlich­keit eine liberale Idee bzw. ein ethisches Gebot: Alles, was sich der öffentlichen Kritik entzog, wurde als unmoralisch diskreditiert. In diesem Zusammenhang stand die Entwicklung von Presseorganen, die als „Vehikel der Wahrheit“ einen un­gehinderten Zugang zu allen wichtigen Angelegenheiten — vorrangig aus der politischen Sphäre — anstrebten. Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der Be­griff durch zunehmende Verallgemeinerung zu einem bürgerlichen Schlagwort mit abgeschwächter moralischer Dimension: Gesellschaft und Staat wurden pauschal als Öffentlichkeit bezeichnet — der Begriff avancierte zu einer Strukturkategorie moderner Gesellschaften.

Die Dimensionen, die bei der Herausbildung und Strukturierung spezifischer Öffentlichkeiten eine Rolle spielen, bestimmt Wolfgang Settekorn (2000, 23ff.) durch eine lexikalisch-semantische Analyse. Demnach enthält der Begriff Öffentlichkeit vorrangig eine raumbezogene Konzeptualisierung mit den Kategorien „Körper“ und „Perzeption“. Die erste Kategorie beschreibt den Behälter sowie dessen räumliche Größe und Zugänglichkeit. Unter „Perzeption“ fallen die Merkmale Sicht- und Hörbarkeit. Neben diesen Hauptkategonen besitzen weitere Dimensionen wie „soziale Relation“ (Gesellschaft, Institution) und „Medium“ (medialer kommunikativer Akt) Einfluss auf die Konstitution von Öffentlichkeit.

Eine andere Herangehensweise an die Begriffs- und Sachbestimmung von Öffentlichkeit unternehmen Klaus Plake, Daniel Jansen und Birgit Schumacher (2001). Sie stellen die verschiedenen Bedeutungsebenen heraus, die sich innerhalb wissenschaftlicher Theorien und Modelle wiederfinden. Dabei definieren sie Öffentlichkeit als „Summe der Vorgänge, die fur die Allgemeinheit von Bedeutung sind, als Kommunikation über Themen von allgemeinem Interesse oder als allgemein zugänglicher Raum“ (Plake et al. 2001, 14). Diese Bedeutungsdimensionen finden sich m normativen Öffentlichkeitstheonen, m kommumkationstheoretischen Be­trachtungen sowie m Konzepten zum Cyberspace wieder, die im Folgenden näher erläutert werden sollen.

2.2 Exkurs: Öffentlichkeitstheorien und -modelle

Der Mehrdimensionalität des Öffentlichkeitsbegriffs ist es geschuldet, dass sich eine Vielzahl von theoretischen Konzepten herausgebildet hat. Auch m der Kommumkätions- und Medienwissenschäft findet der Begriff keine einheitliche Ver­wendung (vgl. Theis-Berglmair 2005, 335). Innerhalb dieser interdisziplinären Wissenschaft variiert vor allem das Erkenntnisinteresse entlang der Dichotomie zwischen empirisch-klässifikätonschen und normativ-funktionalen Ansätzen (vgl. Marschall 1999, 110).

Otfned Jarren und Patrick Dönges (2002, 109ff.) klassifizieren die vorhandenen Öffentlichkeitsmodelle. Auch wenn ein Schwerpunkt dabei auf Öffentlichkeit als Raum politischer Kommunikation liegt, weisen die Autoren darauf hm, dass Öffentlichkeit nicht nur die politische Dimension tangiert: Vielmehr stellt sie eine zentrale Kategorie zum Verständnis von Gesellschaft dar, die oftmals mit dem engeren Begriff der politischen Öffentlichkeit gleichgesetzt wird (ebd.). Jarren/Donges unterscheiden Diskursmodelle, systemtheoretische Spiegelmodelle und Öffentlichkeit als intermediäres System. Diese drei Modelle besitzen ver­schiedene theoretische Grundannahmen, die von handlungstheoretischen und systemtheoretischen Bezügen bis hm zur Theorie der funktionalen Differenzierung reichen. Außerdem unterscheiden sich diese Konzeptionen m ihren normativen An­sprüchen an die von Friedhelm Neidhardt aufgestellten Funktionsbestimmungen von Öffentlichkeit. Neidhardt (1994, 19ff.) weist auf drei Funktionen hm, die je nach Ausprägung das Wesen bzw. die normative Konstitution von Öffentlichkeit maßgeb­lich beeinflussen. Dazu gehören:

- Transparenzfunktion (Offenheit fur Teilnehmer, Themen und Meinungen),
- Validierungsfunktion (Kritik und Diskurs der Themen und Meinungen, evtl.Revidierung) und
- Orientierungsfunktion (Entstehen „öffentlicher Meinungen“1 ).

Besonders stark ausgeprägt sind diese normativen Ansprüche innerhalb der Dis­kursmodelle, die auf den Ausführungen von Jürgen Habermas (1990 [1962]) be­ruhen. Sie beschreiben ein normatives Idealmodell von Öffentlichkeit, das an der aufklärerischen Tradition festhält und demokratietheoretische Maßstäbe entwirft. Öffentlichkeit wird als eine Sphäre bezeichnet, m der öffentliche Belange unter Teil­nahme aller Bürger diskutiert werden. Sie stellt dabei ein Idealbild dar, das sich an den Vorstellungen eines rationalen Diskurses und Prinzipien des freien Marktes orientiert sowie Herkunft und sozialen Status außer Acht lässt (vgl. Oy 2001, llf). Als Resultat dieses mit rationalen Argumenten geführten Diskurses entsteht schließ­lich „öffentliche Meinung“. Argumentativer Druck ermöglicht dabei den einzelnen Akteuren auf die herrschenden Meinungen Einfluss zu nehmen (ebd.).

Systemtheoretische Spiegelmodelle, die auf die Arbeiten von Niklas Luhmann (1971) zurückgehen, kennen keine normativen Implikationen und zielen m erster Lime darauf ab, kollektive Themen und Meinungen zu erkennen und sie m ihrer Publizität sowie öffentlichen Karriere zu beschreiben. Im systemtheoretischen Spiegelmodell firmiert sich Öffentlichkeit als Beobachtungssystem der Gesellschaft, m dem sämt­liche Akteure und Meinungen abgebildet werden. Normativ betrachtet lässt sich m diesem Modell nur die Forderung nach Offenheit auf der Inputseite ableiten, während über die diskursive Validierung und Orientierung keine Aussagen gemacht werden (vgl. Jarren/Donges 2002, 113f.). Öffentlichkeit im Sinne des Spiegelmodells ist somit lediglich das Medium, m dem sich gesellschaftliche Strukturen im Sinne des Agenda-Settings ablesen lassen — eine Herstellung von öffentlicher Meinung wird nicht betrieben.

Das dritte Modell — Öffentlichkeit als intermediäres System — beruht auf den Aus­führungen von Neidhardt (1994) sowie Gerhards/Neidhardt (1991), welche Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Existenz funktionaler Teilsysteme moderner Gesellschaften diskutieren. Öffentlichkeit stellt demnach ein offenes Kommunikationsforum dar, das sich allgemein verständlicher sprachlicher Kommunikation bedient und offen im Hinblick auf die teilnehmenden Mitglieder ist. Akteure, die sich innerhalb dieser Öffentlichkeit begegnen, sind Sprecher, die etwas sagen, ein Publikum, das zuhört, sowie Vermittler, die Sprecher und Publikum mit­einander verbinden (vgl. Neidhardt 1994, 19). Öffentlichkeit ist nicht spezifisch institutionalisiert aber dennoch sozial dauerhaft vorhanden, da sie über gewisse Strukturen, Akteure und Themen verfugt sowie dauerhaft von den Bürgerinnen und Bürgern beobachtet wird (vgl. Jarren/Donges 2002, 118). Öffentlichkeit kann daher mit einem intermediären System verglichen werden: Es vermittelt z. B. zwischen der Politik und den Bürgern — aber auch zwischen anderen Teilsystemen. Im Zuge dieses Vermittlungsprozesses entsteht eine Form „öffentlich herrschender Meinung“, die sich m den Arenen öffentlicher Meinungsbildung durchsetzt (ebd.). Neidhardt (1994, 21) bemerkt jedoch, dass solche kollektiven Vorstellungen m der Regel vage und umstritten sind. Er argumentiert, dass es keine „öffentliche Meinung“ gibt, sondern vielmehr mit bestimmten Themen verbundene „öffentliche Meinungen“. Da es auch eine Gegenmeinung geben kann und viele Themen im täglichen Strom öffentlicher Kommunikation untergehen, handele es sich bei „öffentlicher Meinung“ nur um „Halbprodukte versuchter Konsenserzeugung“ (ebd.).

Neben den bisher vorgestellten Theorien von Öffentlichkeit gibt es weitere theoretische Konzeptionen, die eine Präzisierung des Öffentlichkeitsbegriffs inner­halb der Kommunikations- und Medienwissenschaft vorangebracht haben. Dazu gehören unter anderem kommunikations theoretische Betrachtungen und Theorien zum Cyberspace.

Erstere betrachten Öffentlichkeit als Prozess, der durch eine gemeinsame Rezeption von Informationen und schließlich „Emergenz von Sinn“ (Merten 1999, 52) charakterisiert wird. Öffentlichkeit besteht dabei aus aktuell und reflexiv mitgeteiltem Wissen, für das zwei Personen und ein Thema genügen, um es als öffentlich zu definieren (vgl. Westerbarkey 1994, 58). Ihr Wesen ist demnach oft flüchtig und heterogen, da es aus unzähligen Kommumkaten resultiert, die sich beträchtlich unter­scheiden können (ebd.). In der kommunikationstheoretischen Perspektive gibt es daher keinen Zustand schrankenloser und konsensueller Öffentlichkeit, sondern immer nur simultane Teilöffentlichkeiten. Im Vergleich zum normativen Verständnis von Öffentlichkeit — etwa bei Habermas — entstehen Teilöffentlichkeiten nicht durch die Relevanz der Ereignisse für die Teilnehmer, sondern dadurch, dass deren Akteure und Inhalte ständig variieren.

Ein anderes Konzept liefern dagegen Theorien zum Cyberspace. In der Literatur wird auf mehrere Bedeutungsebenen des Begriffs hingewiesen, von denen zwei hervorstechen: Cyberspace einmal m der Bedeutung der virtuellen Realität („Virtual Reality“[2] ), m die man durch Immersion[3] mittels Datenhelmen etc. gelangen kann, und zum Zweiten als Synonym für den weltweiten Verbund von Rechnern über ein Netzwerk, dem Internet (vgl. Roesler 2005, 59fi). Gemein ist den beiden Be­deutungen, dass sie die Raumkategorie oftmals als eine Metaphorik für die Erfassung weiterer Zusammenhänge betrachten, wenn etwa der Abbau von Kommunikations­oder Interaktionsbarrieren im Cyberspace thematisiert wird (vgl. Rillmg 2000, 53ff.). Bezüge zu den bereits erörterten normativen Öffentlichkeitstheonen sind dabei durchaus vorhanden.

2.3 Strukturmerkmale der Medienöffentlichkeit

Im Folgenden wird vertiefend auf das Ebenenmodell von Öffentlichkeit (vgl. Neidhardt 1994 und Jarren/Donges 2002) eingegangen. Da dieses Modell vor allem den Einfluss der Medien auf die Konstitution von Öffentlichkeit untersucht, lassen sich im Zusammenhang mit den normativen Betrachtungen der erörterten Öffentlichkeitsmodelle Implikationen fur das Entstehen einer medienkritischen Öffentlichkeit ableiten.

Das Ebenenmodell von Öffentlichkeit unterscheidet die Encounter-Ebene, die Themen- oder Versammlungsöffentlichkeit sowie die Medienöffentlichkeit. Die Encounter-Ebene beinhaltet öffentliche Kommunikation auf der Straße, am Arbeits­platz oder im Wohnbereich, die meist räumlich und zeitlich beschränkt ist. Auf dieser Ebene entsteht Öffentlichkeit spontan und ist ein einfaches Interaktionssystem ohne eine Differenzierung m Leistungs- oder Publikumsrolle. Jeder Teilnehmer kann zu­gleich als Sprecher oder als Teil des Publikums auftreten. Die Rolle des Vermittlers ist auf dieser Ebene nicht vorhanden.

Die Themen- bzw. Versammlungsöffentlichkeit als zweite Ebene des Modells stellt zentrierte Interaktions- oder Handlungssysteme dar, beispielsweise m Form von Ver­anstaltungen oder Demonstrationen. Auch wenn diese Öffentlichkeit spontan ent­steht, weist sie einen hohen Organisationsgrad auf. Die Differenzierung von Leistungs- und Publikumsrollen ist daher ausgeprägter als auf der Encounter-Ebene. Ferner weist diese Ebene eine größere innere Stabilität auf und erlangt mehr Auf­merksamkeit, da sie u.a. von Journalisten systematisch beobachtet werden kann. Themen dieser Ebene werden dadurch unter Umständen zu Medienthemen.

Am folgenreichsten vollzieht sich öffentliche Kommunikation auf der dritten Ebene, der Medienöffentlichkeit[4]. Die Medien[5] sind als Organisationen auf Dauer existent und eine Differenzierung von Leistungs- und Publikumsrollen am ausgeprägtesten. Die Bereitstellung und Herstellung von Themen erfolgt von spezialisierten Personen — etwa Journalisten, die dauerhaft und auf der Basis spezieller Berufsregeln arbeiten. Das Publikum ist gegenüber den anderen Ebenen der Öffentlichkeit heterogen und nicht näher bestimmbar. Innerhalb der Medienöffentlichkeit lassen sich Leitmedien differenzieren, die m einzelnen Arenen der Öffentlichkeit eine führende Stellung einnehmen und Anschlusskommunikation ermöglichen (vgl. Jarren/Donges 2002, 120). Die medial vermittelte Öffentlichkeit stellt somit einen dominanten Beitrag für die kollektive Kommunikation und soziale Integration sowie Identität einer Gesell­schaft dar. Damit besitzt sie — zummdestens für moderne Gesellschaften — einen höheren Stellenwert als die Encounter- oder Veranstaltungsöffentlichkeit, die fast nur noch durch massenmediale Verbreitung und Thematisierung Relevanz erhalten (vgl. Kübler 2000, 200).

Diese herausragende Stellung der Medienöffentlichkeit bleibt jedoch nicht un­problematisch. Betrachtet man Öffentlichkeit als ein „wissenserzeugendes System“ (vgl. Neidhardt 1994, 19), m dem idealerweise Themen aufgebracht und Meinungen zu diesen Themen ausgetauscht, kommentiert und verändert werden, ist dieser Prozess innerhalb der Medienöffentlichkeit unausgewogen. Denn „nicht alles, was die Sprecher sagen, nehmen die Medien auf, nicht alles, was die Medien vermitteln, kommt beim Publikum an“ (ebd., 24). Innerhalb der Medienöffentlichkeit finden demnach Informationsverarbeitungsprozesse statt, die m unterschiedlichem Maße von den Mediatoren und vom Publikum selbst gesteuert werden. Vor allem die Rolle der Vermittler ist dabei umstritten, da sie den Austausch und die Validierung von Informationen und Meinungen steuern. „Gatekeeper“ wie Redaktionen, Verleger und Intendanten entscheiden, welche Themen publiziert werden:

„Welche Aspekte eines Geschehens veröffentlicht werden, nchtet sich nach Selektionskritenen der Benchterstatter, die sich sowohl von dem faktischen Interesse der Leser, Zuhörer und Zuschauer als auch von demokratietheoretisch onentierten Relevanzkntenen, nicht zuletzt aber von höchst subjektiven Vorlieben und Abneigungen sowie von wirtschaftlichen Erwägungen leiten lassen.“ (Plake et al. 2001, 23)

Die Konsequenz ist im Extremfall eine Manipulation der öffentlichen Meinungs­bildung und das Entstehen einer Form von Öffentlichkeit, die dem Habermas’schen Ideal einer aktiven, unabhängig denkenden, sachlich informierten und von Interessengruppen unabhängigen Öffentlichkeit widerspricht (vgl. Habermas 1990, 41ff). Medienöffentlichkeit — zummdestens die durch klassische Massenmedien[6] dominierte — droht so zu einer „vermachteten“ Arena zu verkommen, „m der mit Themen und Beiträgen nicht nur um Einfluß, sondern um eine m ihren strategischen Intentionen möglichst verborgene Steuerung verhaltenswirksamer Kommumkations- flüsse gerungen wird“ (Habermas 1998, 27fl). Die prinzipielle Themenoffenheit wird durch Prozesse des Agenda-Settings eingeschränkt, was den ressourcenstarken Medienorgamsationen Vorteile verschafft (vgl. Peters 1994, 72). Ein Vorwurf, der diesen Medienorganisationen gemacht wird, ist, dass sie unter anderem dem Einfluss von Unternehmen, Verbänden oder Parteien unterliegen (vgl. Kübler 2000, 198). Durch diese Verflechtungen entstehen Zweifel an der Unabhängigkeit der originären Kritik- und Kontrollfunktion, die Massenmedien im Hinblick auf gesellschaftliche Institutionen und der Aufdeckung „institutionellen, professionellen Fehlhandelns“ (ebd.) besitzen.

Eine Konsequenz dieser asymmetrischen Diskussions- und Kommunikations­strukturen ist die Entstehung von Gegenöffentlichkeit innerhalb einer durch Medien dominierten Öffentlichkeit. Diese hat zum Ziel, den Widerspruch zwischen „ver­öffentlichter“ und „öffentlicher Meinung“ zu überwinden bzw. die etablierte Öffentlichkeit fur alternative Ideen und Meinungen zu sensibilisieren (vgl. Grunwald 2006, 72). Gegenöffentlichkeiten bilden ein Gegengewicht zu etablierten Medien­öffentlichkeiten und treiben die Entfaltung einer alternativen und autonomen Öffentlichkeit voran (vgl. Stamm 1988, 135). Neben der Bezeichnung „Gegen­öffentlichkeit“ wird auch der Begriff „Alternativöffentlichkeit“ benutzt, der jedoch Unterschiede aufweist (vgl. Stamm 1988, 134fl): Das Konzept der Alternativ-Öffentlichkeit legt den Schwerpunkt auf die Schaffung und Entfaltung autonomer Öffentlichkeiten, wogegen das Konzept der Gegenöffentlichkeit zwangsläufig be­stehende Formen bürgerlicher Öffentlichkeit als Bezugspunkt betrachtet und die Schaffung von Gegenmedien m den Mittelpunkt stellt. Im Bereich der klassischen Massenmedien ist hier vor allem auf die Entstehung der Alternativpresse[7] im Zu­sammenhang mit der Studentenbewegung Ende der 1960er und den neuen sozialen Bewegungen Anfang der 1970er Jahre hinzuweisen (vgl. Hess-Lüttich/Rellstab 2001, 190). Durch den Aufbau autonomer Gegenmedien, versuchte diese Alternativpresse den vorherrschenden massenmedial strukturierten Debatten zu entgegnen sowie Interessen und Erfahrungen unorganisierter Gruppen und Individuen geltend zu machen.

Neben der Entstehung von Gegen- und Alternativöffentlichkelten sind es auch Formen der öffentlichen Medienkritik, die einer durch Medien geprägten „Für-wahr- Nehmungvon Zuständen und Ereignissen“ (Westerbarkey 1998, 184) entgegnen und „allgemeine Mängelerscheinung der etablierten Medien“ (Holtz-Bacha 1999, 346) hervorheben. Vertreter dieser medienkritischen Öffentlichkeit sind neben politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, Wissenschaftler und Journalisten selbst, die Missstände bzw. Fehlentwicklungen innerhalb der Massenmedien aufzeigen und kritisieren (vgl. Kapitel 3). Schnittmengen zwischen Gegen- und Alternativ­öffentlichkeiten sowie medienkritischer Öffentlichkeiten sind dabei möglich aber nicht zwingend notwendig: Öffentliche Medienkritik bedient sich m der Tradition des kritischen Medienjournalismus etablierter Medien und schafft dabei keine Gegen- bzw. Alternativöffentlichkelten. Dennoch ist Medienkritik auch Bestandteil von Gegenöffentlichkeiten, da diese permanent darüber verhandeln, was Medien als zentraler Bestandteil der Öffentlichkeit machen dürfen und was sie leisten sollen (vgl. Oy 2001, 188).

2.4 Entstehung von Netzöffentlichkeiten

Mit der Entwicklung des World Wide Web[8] (WWW) sind in den letzten Jahren neue Formen von Öffentlichkeit entstanden, die unter dem Begriff der Netzöffentlichkeit zusammengefasst werden können. Wiederum existiert nicht die Netzöffentlichkeit, sondern es muss auch hier von einer heterogenen Öffentlichkeitsstruktur aus­gegangen werden. Diese Vorstellung basiert auf dem Konzept der Teilöffentlich­keiten, welches davon ausgeht, dass Öffentlichkeit aus einer Vielzahl von kleinen und großen Foren besteht, die nur zum Teil miteinander verkoppelt sind:

„Deutlich ist eine Pluralisierung und Differenzierung m unterschiedliche Teil­öffentlichkeiten zu beobachten, die vielleicht nchtiger als selbstständige Öffentlich­keiten zu bezeichnen sind, weil sie zunehmend an Eigenständigkeit gewinnen und sich teilweise auch explizit gegeneinander abschotten.“ (Faulstich 2000, 7)

Das Internet als „Distributions- und Publizitätsform öffentlicher Kommunikation“ (Kübler 2000, 195) ermöglicht nun sämtliche Kommunikationsformen, die bislang interpersonell und/oder privat waren, und schließt zugleich Massenkommunikations­formen sowie zahlreiche Mischformen mit ein. Durch diese technische Integration traditioneller und neuartiger Kommumkations formen werden Verflechtungen zwischen der traditionellen Medienöffentlichkeit auf der einen und Netzöffentlich­keiten auf der anderen Seite möglich (vgl. Marschall 1998, 51). Es entsteht ein „Ge­webe aus Öffentlichkeiten“, m dem sich verschiedene Teilöffentlichkelten „über­schneiden, überlagern, ausschließen (...) oder unabhängig voneinander sind“ (Grun- wald 2006, 72). Trotz dieser Verflechtungen besitzen Netzöffentlichkeiten spezielle Charakteristika, die sie von einer massenmedial vermittelten Öffentlichkeit unter­scheiden: Plake et al. benennen vier Innovationen, die das Internet im Hinblick auf die Konstitution von Öffentlichkeit besitzt (hierzu und im Folgenden Plake et al. 2001, 49ff.):

1. ) Zielgruppenorìentierung: Botschaften werden im Gegensatz zur Verbreitung über klassische Massenmedien m thematisch spezifizierten und identifizierbaren Gruppen veröffentlicht.
2. ) Interaktimtät: Das Publikum kann eine aktive Rolle einnehmen und ist nicht
mehr nur auf die Wahl bzw. Abwahl von Medienangeboten beschränkt. Außerdem kann jede empfangene Mitteilung unmittelbar kritisiert oder er­gänzt werden.
3. ) Produktionskosten: Investitionskosten um Informationen und Meinungen im
Netz zu publizieren sind so gering, dass nicht mehr nur finanzstarken Personen oder Organisationen der Zugang zur Öffentlichkeit ermöglicht wird.
4. ) Reichweite: Geografische Entfernungen verlieren im Hinblick auf die Kosten der Verbreitung ihrer Bedeutung — Kommunikation wird entgrenzt.

Die beschriebenen Innovationen ermöglichen — zummdestens theoretisch — eine Erhöhung der Partizipation am Funktionssystem Öffentlichkeit: Losgelöst von räum­lichen und zeitlichen Beschränkungen können sich die Akteure über unterschied­lichste Themen informieren, austauschen und Meinungen embrmgen. Die Kosten fur die Verbreitung von Informationen sind dabei viel niedriger als m anderen Medien (vgl. Ludwig 1999). Um im Internet zu publizieren, sind keine besonderen Fach­kenntnisse notwendig, und der Zugang ist auch nicht — wie im Falle des Rund­funks — rechtlich reguliert (Neuberger 2003, 5). Die m der klassischen Massen­medienöffentlichkeit dominierenden Vermittler („Gatekeeper“), die entscheiden, über wen berichtet und wer zitiert wird, verlieren somit innerhalb der Netz­öffentlichkeit an Bedeutung. Neuberger (2003, 8) weist jedoch darauf hm, dass klassische Vermittler wie Journalisten vor allem bei Onlme-Angeboten von Presse und Rundfunk weiterhin eine entscheidende Rolle spielen.

Dennoch entsteht im Internet ein „verschachteltes Kommunikationsnetzwerk“ (Siedschlag 2004, 55), welches Voraussetzungen dafür schafft, dass der öffentliche Diskurs weniger von partikularen Interessen bestimmt, dafür aber allgemein zu­gänglicher wird. Kratz (2001, 93) spricht m diesem Zusammenhang von einem „inklusiven Netzwerk mit fließenden zeitlichen, sozialen und sachlichen Grenzen“. Als Folge könnten Menschen ihre medienvermittelten und medien­bezogenen kommunikativen Beziehungen sehr viel aktiver und vielfältiger ge­stalten. Nach Neuberger (2006, 114) gelingt dadurch die Inklusion der Gesell­schaftsmitglieder m das Funktionssystem „Öffentlichkeit“ nicht mehr nur m der Rolle des Rezipienten, sondern auch m der Funktion des Kommunikators. Die normativen Bedingungen, die Jürgen Habermas für die Öffentlichkeit formuliert hat, werden somit innerhalb der Netzöffentlichkeit zum Greifen nahe.

Doch der Strukturwandel der Öffentlichkeit, im Speziellen der vereinfachte Zugang zur Öffentlichkeit, bringt auch Folgeprobleme mit sich: Viele können sich öffentlich zu Wort melden, wodurch die Anzahl vorhandener Informations- und Kommunikationsangebote erheblich steigt. Neben der quantitativen Erhöhung der Datenmenge („Informationsflut“) besitzt diese Entwicklung auch Einfluss auf die Qualität der Angebote. Da Veröffentlichungen im Internet von einem disziplinierenden ökonomischen Risiko entkoppelt sind, erhöht sich der „Informationsmüll“ im Netz (vgl. Neuberger 2003, 7). Auch die Distanz der Kommunikatoren im Netz und die damit einhergehende geringe soziale Verbindlich­keit ihrer Kommunikation, fuhrt zu einem Anstieg unseriöser und oftmals qualitativ niedriger Angebote (vgl. Krotz 2001, 207).

Als Folge besteht auf Seiten der Rezipienten Unsicherheit. Da Kommunikatoren und Rezipienten direkt und ohne Vermittlung m Kontakt treten, entfallen die Beobachtungs- und Validierungsleistungen der klassischen Mediatoren. Der un­gefilterte Zugriff auf zahlreiche Informationsquellen bewirkt daher eine hohe Orientierungslosigkeit und erfordert neue Sortier- und Interpretationskompetenzen der Nutzer (vgl. Grunwald 2006, 13). Es entsteht der Bedarf nach neuen Angebots­typen, die ähnlich den klassischen Mediatoren als vermittelnde Instanz m der Öffentlichkeit agieren. Neuberger (2006, 118) benennt drei Formen der Vermittlung innerhalb der Netzöffentlichkeit und unterscheidet in:

- professionell-redaktionelle,
- partizipative und
- technisch gesteuerte Vermittlung.

Professionell-redaktionelle Mediatoren im Netz sind Journalisten, die innerhalb von Onlme-Angeboten klassischer Medien wiederzufinden sind. Die Art der Vermittlung ist im Wesentlichen einseitig — also ohne oder nur mit geringem Nutzer-Feedback — und auf ein Massenpublikum ausgerichtet. Die Onlme-Journalisten unterscheiden sich m ihrem Rollenverständnis, ihren Tätigkeiten und Qualifikationen daher kaum von den Kollegen anderer Medien (vgl. Quandt 2005). Als technische Vermittler dagegen fungieren Suchmaschinen, die mithilfe von Algorithmen Nachrichten auto­matisch selektieren und gewichten (vgl. Neuberger 2005). Partizipative Vermittlung wird durch Peer-to-Peer-Angebote als auch durch das im Fokus dieser Arbeit stehende neue Medienformat der Weblogs ermöglicht.

Bezogen auf die Transparenz-, Validierungs- und Onentierungsleistung von Mediatoren innerhalb der Netzöffentlichkeit nehmen Weblogs neben dem klassischen Journalismus im Netz eine herausragende Stellung ein. Sie revolutionieren die Beobachtungsleistung („Transparenz“) innerhalb der Netz­öffentlichkeit, da durch die Vielzahl von Weblogs diverse Themen und Meinungen existieren (vgl. Neuberger 2006, 120). Bezogen auf die Validierungs­leistung der Kritik und des Diskurses von Themen und Meinungen, ermöglichen Weblogs und andere partizipative Vermittlungsformen weitere Neuerungen. Die Prüfung von Informationen und Meinungen findet erst nach der Publikation statt: „Was veröffentlicht wird, gilt als vorläufig und unfertig, es soll öffentlich infrage gestellt und diskutiert werden“ (ebd.). Dieses wird beispielsweise durch eine offene Diskussion m einem Forum, einer Punktewertung oder Kommentierung des jeweiligen Beitrages möglich. Mangelnde Qualität oder fehlendes Niveau wird — im Idealfall — durch diese Form der wechselseitigen Be­obachtung und Kritik aufgedeckt und kenntlich gemacht. Aber auch die Referenzierung bzw. Verlinkung eines Beitrages m einem anderen Blog formt die neuartige Validierungsleistung von Informationen und Meinungen innerhalb des Internets.[9]

Orientierungen werden in der Netzöffentlichkeit direkt und indirekt übermittelt. Indirekt entstehen sie, wenn traditionelle Vermittler wie Presse und Rundfunk Themen und Meinungen aus dem Internet aufgreifen. Weblogs werden dann häufig als Recherchequellen genutzt. Die traditionellen Massenmedien besitzen dabei einen Verstärkereffekt für das Internet, da sie „aufgrund konsentierter Auswahlregeln (Nachrichtenfaktoren) und eines kleineren Angebots eher die Fähigkeit zur Aufmerksamkeitsfokussierung besitzen“ (Neuberger 2006, 121). Inwieweit die Vermittlungsinstanzen innerhalb der Netzöffentlichkeit direkte Orientierungen bieten, ist umstritten: Unger (2005, 27ff.) konstatiert, dass die von Weblogs erzeugte Aufmerksamkeit sehr ungleich verteilt ist. Dagegen belegen Studien (vgl. Ramie 2005, 1), dass immer mehr Onlme-Nutzer Weblogs als primäre Informations- und Nachrichtenquelle nutzen — und somit direkte Orientierungen aus dem Internet beziehen.

2.5 Zusammenfassung

Unabhängig davon, ob man von einem normativen oder empirischen, einem subjektivistischen oder einem strukturellen Konzept der Öffentlichkeit ausgeht, die Bedeutung der Medien bei der Herstellung von Publizität ist zentral. Dominierende Medien tragen zur Strukturierung der vorherrschenden Kommunikationsformen und somit zur Gestaltung makrosozialer und kultureller Einheiten bei. Öffentlichkeit fungiert dabei als ein intermediäres System. Die Idealanforderungen an dieses System werden m der Realität allerdings selten erfüllt: Innerhalb der massenmedial ver­mittelten Öffentlichkeit gibt es weder Gleichheit und Reziprozität, noch Themen­offenheit und Diskursivität. Es dominiert vielmehr die Herausbildung spezieller öffentlicher Sprecherrollen mit entsprechenden einseitigen Kommunikations­beziehungen. Medial vermittelte Öffentlichkeiten bieten demnach ein Potenzial für kritische Betrachtungen — die Entstehung von Gegenöffentlichkeiten ist dabei ein mögliches aber nicht notwendiges Ergebnis.

Die Internettechnologie bzw. das WWW beeinflussen bzw. wandeln nun die Struktur medial vermittelter Öffentlichkeit, da sie Rahmenbedingungen der ablaufenden öffentlichen Kommunikation verändern. Durch den Abbau technischer, öko­nomischer, rechtlicher und kognitiver Zugangsbarrieren emanzipiert sich das Publikum von den Massenmedien. Entsprach die klassische Massenmedien­öffentlichkeit einer Arena[10], ist die Netzöffentlichkeit dagegen ein Hybrid aus Arena und Forum[11]. Durch die Beteiligung unterschiedlicher Sprecher an der öffentlichen Diskussion entsteht ein dynamischer Diskurs: Je nachdem, wer eine Affinität zum besprochenen Thema besitzt, ist motiviert auf ihn einzugehen. Es wird Realität, was m der Debatte um die Rolle der Medien als reziprokem Kommunikationsapparat bereits seit den 1930er Jahren u. a. von Brecht, Enzens­berger und Baudrillard gefordert wurde.

Doch der vereinfachte Zugang zur Öffentlichkeit erzeugt auch Folgeprobleme. Die Nutzer sind alleine mit der Aufgabe konfrontiert, aus der Fülle an verfügbaren Informationen und Kommunikationsangeboten eine sinnvolle Auswahl zu treffen. Für die Kommunikatoren schwindet dadurch die Wahrscheinlichkeit, Aufmerksam­keit zu gewinnen und Anschlusskommunikation auszulösen. Erst durch neue Ver­mittlungsstrukturen, dazu gehört neben der technischen Vermittlung durch Such- maschmen auch eine partizipative Vermittlung mithilfe von Weblogs, ist es möglich, das Dilemma der Netzöffentlichkeiten aufzulösen.

Bevor im Detail auf das neue Medienformat und seine konstitutiven Merkmale ein­gegangen wird, stehen im folgenden Kapitel Funktionen und Inhalte öffentlicher Medienkritik im Mittelpunkt. Es soll im Detail erläutert werden, inwieweit medien- kntische Diskurse durch massenmediale Strukturen dominiert werden und welche Veränderungen sich durch Neue Medien ergeben.

3. Funktionen und Inhalte öffentlicher Medienkritik

„Die Medien bestimmen selbst darüber, wie viel und welche Art von medienkritischem Diskurs sie gestalten, weil sie ihn selbst vermitteln.“ (Weßler 1997, 19)

3.1 Entstehung öffentlicher Diskurse über Medien

Medien besitzen innerhalb moderner Gesellschaften einen umfassenden Einfluss auf die Konstitution von Öffentlichkeit und damit auf das soziale und politische Leben. Mit dem Entstehen und der Dominanz von Medien setzt gleichzeitig eine kritische Reflexion ein, die den Inhalt und die Wirkung jener Kommunikationsmittler zum Gegenstand öffentlicher Beobachtung und Diskussion macht. Es entsteht im Ideal­fall eine öffentliche Medienkritik, die kritikwürdige Vorgänge innerhalb der Medien öffentlich wahrnehmbar macht und das Handeln von Medienakteuren hinterfragt. Medienkritik nimmt dabei eine vorrangig reflexive Funktion im Gefüge der medien­ethischen Aktivitäten ein und verfolgt die Analyse und Diskussion von Missständen innerhalb der Medienöffentlichkeit (vgl. Scherenberg 2005, 33ff.). Sie bietet Rezipienten Orientierungen und fördert ihre Kompetenzen und prägt darüber hinaus die rechtliche Verfassung des Mediensystems und das berufliche Selbstverständnis der Journalisten sowie anderer Medienproduzenten (vgl. Weiß 2005, 19fl).

Öffentliche Medienkritik versucht im Gegensatz zur „elitären“ wissenschaftlichen Diskussion, einen reichweitenstarken und wirksamen öffentlichen Diskurs hinsicht­lich medienkritischer Phänomene anzuregen. Das bedeutet jedoch nicht, dass öffentliche Medienkritik die Erkenntnisse und Theorien — etwa kritischer Medien­theorien[1] — ignoriert. Vielmehr bestehen wechselseitige Verflechtungen, da die die Theorie ethische Prinzipien aufstellt, die den öffentlichen Mediendiskurs be­fruchten können (vgl. Scherenberg 2005).

Der Diskurs im Sinne der „Erzeugung von Redegewissheiten über die Medien und ihre Aufgaben und Funktionen“ (Hickethier 1997, 62), nimmt dementsprechend im Bereich der Öffentlichkeit eine besondere Stellung ein. Eine solche öffentliche Dis­kussion über Medien „vermag über die ,Mediengesellschaff aufzuklären, auf die Akteure im Mediensystem einzuwirken und damit zur Veränderung beizutragen“ (Jarren 1997a, 308). Schöneberger (1998, 65f.) spricht m Anlehnung an Foucault von einem Medien- und Kommunikationsdispositiv, einem „Ensemble aus Diskursen“ (Foucault 1978, 119), das Vermittlungs-, Aneignungs- und Nutzungsweisen der Mediennutzerinnen und -nutzer prägt.

3.2 Etablierte Formen kritischer Medienreflexion

Innerhalb der traditionellen Massenmedien, l. e. Fernsehen, Presse und Hörfunk, findet öffentliche Medienkritik statt, die als Produkt-, Format- oder Senderkritik m mtermedialen oder medieninternen Strukturen eingebettet ist. Intermedíale Medien­kritik manifestiert sich etwa durch die Kritik von TV-Sendungen innerhalb von Zeitungen. Medieninterne Kritik stellt z. B. die Kritik von TV-Formaten im Fern­sehen dar. Die auf einzelne Sendungsangebote und ihre Erscheinungsbilder aus­gerichtete Medienkritik, die sogenannte Produktkritik, ist aus der Traditionslinie der Kunstkritik bzw. Literaturkritik hervorgegangen (vgl. Hickethier 1994, 21 ff.). Sie beschäftigt sich mit formalen und inhaltlichen Aspekten der Medienprodukte. Eine traditionelle Form der mtermedialen Produktkritik sind die Kurzkritiken von Fernseh-, vereinzelt auch von Hörfimksendungen, die m Tageszeitungen einen Tag nach der Ausstrahlung erscheinen.[2] Seit den 1980er Jahren gibt es ergänzend zu dieser Form auch Vorabhmweise und -kritiken fur das Programmangebot des gleichen Abends. Sie dienen der kurzen Programmempfehlung und haben ein eigenes Medienformat m Form der Programmzeitschriften, z. B. „Hör Zu“ oder „TV-Today“, entstehen lassen (vgl. Bleicher 1997, 80). Die Wirkung der nachträglich und vorab erscheinenden Sendungskritiken richtet sich, etwa beim Fernsehen, sender­intern an Programmverantwortliche und Mitarbeiter. Extern werden die Rezipienten m ihrem Nutzungsverhalten und m ihrer individuellen Sendungsbewertung an­gesprochen (ebd., 78). Bedingt durch die heterogene Angebotsstruktur der Massen­medien, besteht eine Beschränkung bei der Auswahl des kritisch zu analysierenden Gegenstandes. Die Konsequenz ist daher eine tägliche Kanonbildung, die keinesfalls das vollständige Spektrum publizistischer Inhalte widerspiegelt. Vergleichbar mit den Auswahlkriterien der Literaturkritik finden vor allem fiktionale und narrative Sende­formen wie das Hörspiel, die Fernsehserie oder das Fernsehspiel Berücksichtigung (ebd., 80).

Unabhängig von der mtermedialen Produktkritik existiert die Senderkritik, die sich auf unterschiedliche Aspekte der Sendertätigkeit, wie Personalpolitik oder Programmplanung, bezieht. Intermedíale Senderkritik manifestiert sich etwa durch Kritik an Programmplanungsstrategien von Fernsehanstalten innerhalb von Zeitungen und Zeitschriften. Im Mittelpunkt steht dabei die Dominanz einseitiger Programmschwerpunkte oder Vernachlässigung „seriöser“ Nachrichtenbericht­erstattung, die privaten Fernsehanstalten vorgeworfen wird. Häufig wird von der Machart einer Sendung auf den generellen Umgang des Senders mit der jeweiligen Form der Berichterstattung geschlossen. Die Senderkritik beschäftigt sich außerdem im Detail mit den Interessen der als Gesellschafter beteiligten Medienkonzerne. Intermedial findet sich diese Form der Kritik vordergründig im Wirtschaftsteil von Zeitungen wieder. Diese aktualitätsonentierte Berichterstattung über Entwicklungen unternehmerischer Entscheidungen oder medienpolitischer Positionen unterstützt indirekt Rezipienten und andere Akteure der Öffentlichkeit, das jeweilige Medium zu hinterfragen (vgl. Weiß 2005, 22).

Neben diesen etablierten Formen mtermedialer Produkt- und Senderkritik existieren unterschiedliche Formen medieninterner Kritik. Am Beispiel des Fernsehens lässt sich die Integration von medieninterner Kritik m bestehende Sendeformen verdeut­lichen, bei der das eigene Medium zum Objekt der Kritik — etwa m Medienshows, Dokumentationen, Magazinen oder Diskussionssendungen — wird. Zielsetzungen dieser Kritikform sind die Bedingungen von Fernsehproduktionen offenzulegen, journalistische Mittel und Methoden zu erörtern, Sehgewohnheiten zu analysieren und Programmpolitik deutlich zu machen (vgl. Bleicher 1997, 82). Vor allem m der Etablierungsphase des Fernsehens m den 1970er Jahren gab es eine Reihe medien- kntischer Sendungen, die jene Aufgaben verfolgten. Heutzutage überwiegt eine auf Unterhaltungselemente reduzierte Medienkritik m Form von Fernsehparodien, die oftmals im Rahmen von UnterhaltungsSendungen einen selbstkritischen Blick auf Erscheinungsformen des eigenen Programmangebots werfen, dabei allerdings nicht zwangsläufig auf Veränderung ihres Gegenstandes abzielen (ebd., 85ff). Eine fundierte selbstkritische Auseinandersetzung der Fernsehjournalisten mit dem eigenen Medium ist aber dennoch existent, da es auch weiterhin Programme gibt, die im Sinne der Kritik- und Kontrollfünktion Hintergründe, Zusammenhänge und Folgen von Entwicklungen im Fernsehbereich erörtern. Als Beispiel hierfür kann das das Medienmagazin „Zapp“ des Norddeutschen Rundfunks angeführt werden.

Durch Programmstrukturänderungen m den 1980er Jahren, die auf eine Konzeption von Genres nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zurückzuführen waren, entstehen vergleichbare Formate von Fernseh- und Hörfünksendungen. Dadurch bildet sich eine neue Form der Kritik heraus: die Formatkritik. Diese setzt sich mit den Physiognomien senderübergreifender Formate auseinander. Orte der Kritik sind dabei vor allem Fachzeitschriften wie „Medium“ oder Fachdienste wie „epd medien“, die wiederum als thematischer Impulsgeber und Wissensressource für die reichweitenstarken Print- und Rundfünkmedien füngieren (vgl. Weiß 2005, 21).

3.3 Exkurs: Medienkritische Diskurse und Neue Medien

Neben den traditionellen Massenmedien unterliegt auch die Medienkategorie der Neuen Medien, konkret digitale Online- und Offline-Medien[3], medienkritischen Reflexionen.

[...]


[1] Mit circa 2.400 Verlinkungen, die auf Einträge des BILDblog weisen, führt es diese Hiüiste an (vgl. Deutsche Blogcharts 2006).

[2] „Mainstream-Medien“ bezeichnen vor allem klassische Massenmedien, wie Presse oder Rundfunk, die durch professionell-redaktionelle Vermittlungsstrukturen geprägt sind (vgl. Neuberger 2006, 115).

[1] Das Bedeutungsspektrum von „öffentlicher Meinung“ ist ebenso vielschichtig wie die Dimensionen der „Öffentlichkeit“. Bei Habermas meint „öffentliche Meinung“ vordergründig den allgemeinen Willen der Bevölkerung hinsichtlich politischer Handlungsfelder (vgl. Westerbarkey 1994, 60f.). Je nach theoretischer Perspektive — so z. B. beim Spiegelmodell — steht „öffentliche Meinung“ für „veröffentlichte Meinungen“ bzw. gesellschaftliche Meinungsver­teilung (Demoskopie).

[2] Der Begriff Cyberspace in seiner Bedeutung der „Virtual Reality“ geht auf den Science-Fiction­Autor William Gibson zurück. Im Rahmen der Erzählung „Neuromancer“ von 1984 ist Cyber­space ein interaktiver Datenstrom, in den sich die Benutzer einloggen. Darin navigieren sie durch virtuelle Räume, durch eine künsdiche computergenefierte Welt mit eigenen Regeln (vgl. Roesler 2005,59). ' '

[3] Immersion beschreibt das vollständige Eintauchen in eine simulierte Welt (vgl. Roesler 2005,59).

[4] Von einer allgemeinen Medienöffentlichkeit zu sprechen scheint problematisch: In der Literatur wird auf die Existenz verschiedener Teilöffentlichkeiten hingewiesen, die sich durch eine spezi­fische Adressatengruppe, aber auch durch vermittelte Werte und Normen formieren (vgl. Plake et al. 2001, 9). Innerhalb dieser Arbeit wird der Begriff der Medienöffentlichkeit synonym mit dem Begriff der medial vermittelten Teilöffentlichkeiten gebraucht, ohne dabei das dahinter­stehende Konzept der Teilöffentlichkeiten zu negieren.

[5] Das Ebenenmodell der Öffentlichkeit definiert Medien als soziale Organisationen, wodurch ein Bezug zum konstruktivistischen Medienbegriff von Siegfried J. Schmidt deutlich wird. Schmidt betrachtet Medien als soziale Institutionen bzw. Organisationen, die nicht nur Kanäle darstellen über die Kommunikation abläuft, sondern die kollektive Gestaltung von Wahrnehmung und Erfahrungsbildung der Realität bestimmen. Der massenmediale Vermittlungsprozess wird nach Schmidt durch sich gegenseitig bedingende Bereiche der Produktion, Distribution, Rezeption und Verarbeitung geprägt (vgl. Schmidt 1994 und Schmidt 2002, 53-68).

[6] Gemeint sind Massenmedien wie Presseorgane, Femseh- und Rundfunkanstalten. Zu den klassischen Massenmedien gehören nach der Klassifikation von Pross (vgl. Ludes 1998, 69ff.) sekundäre als auch tertiäre Medien. Sekundäre Medien sind Speicher- und Verbreitungsmedien wie Druckwerke, tertiäre Medien sind Transport- und Vermittlungsmedien wie Rundfunk.

[7] Neben dem Begriff der „ Al ternadvp resse“ existieren weitere Bezeichnungen wie: Marginal­presse, Bewegungsmedien, sublokale Publizistik, autonome Medien, Basispublizistik, Subkultur­Presse, underground-press etc. (vgl. Hess-Lüttich/Rellstab 2001, 181). „Alternativ“ bedeutet in diesem Zusammenhang weit mehr als die Bereitstellung alternativer Inhalte gegenüber dem An­gebot der etablierten Medien — „alternativ“ bezieht sich auch auf die ökonomischen Grundlagen, die Organisation des Produktionsprozesses, das verlegensche und journalistische Selbstverständ­nis sowie auf Gestaltung und Vertrieb der Produkte (vgl. Holtz-Bacha 1999, 331).

[8] In der Literatur wird das World Wide Web (WWW) oftmals synonym mit dem Begriff „Inter­net“ gebraucht. Der medientheoretischen Perspektive Siegfried J. Schmidts (Schmidt 1994) folgend, bezeichnet das Internet jedoch die Medientechnologie, steht aber keinesfalls für ein Medium im Sinne eines komplexen institutionalisierten Systems. Die Intemettechnologie ermög­licht allein den Datenaustausch zwischen Computern und stellt die Infrastruktur für mediale Angebote, wie dem WWW, Newsgroups oder E-Mail, dar. In der vorliegenden Arbeit wird eine dementsprechende Verwendung der Begriffe angestrebt und das WWW dabei nicht mit dem Internet gleichgesetzt.

[9] Die Validierung von Informationen und Meinungen innerhalb des traditionellen Journalismus und der klassischen Medienöffentlichkeit findet vorrangig innerhalb der Redaktionen statt — vor der Veröffentlichung. Dem Publikum, so die miüaufende Unterstellung, werden im Regelfall nur sorgfältig geprüfte Informationen und Meinungen geliefert. Lassen sich dennoch Fehler und Einseitigkeiten nachweisen, gelten diese als Ausnahmen. Die Möglichkeiten öffentlicher Wider- Sprüche sind für Nichtjoumalisten auf Leserbriefe, Gegendarstellungen, Widerrufe, „Media Watchdogs“ etc. beschränkt (vgl. Neuberger 2006, 119).

[10] Der Begriff stammt ursprünglich aus der griechischen Antike und beschreibt einen Ort, an dem Menschen zu zeitlich fixierten, kommunikativen Ereignissen zusammengeführt wurden. Gekennzeichnet ist Öffentlichkeit in der Arena durch eine klare Rollenverteilung zwischen aktiven Akteuren (Kommunikatoren) und passivem Publikum sowie inhaltlichen Vorgaben (vgl. Plake 2001, 31).

[11] Das Forum im Sinne einer „Elektronischen Agora“ (Kamps 2000, 227ff.) nimmt Bezüge zum antiken Kommunikationsraum des Marktplatzes, auf dem neben Waren auch Informationen und Meinungen ausgetauscht wurden.

[1] Als frühe Vertreter einer kritischer Medientheorie gelten die Philosophen der Frankfurter Schule (i. e. Max Horkheimer (1895-1973), Theodor W. Adorno (1903-1969), Herbert Marcuse (1898­1979), Leo Löwenthal (1900-1993) und Walter Benjamin (1892-1940), die ab den 1920er Jahren die Manipulationsmechanismen der (elektronischen) Massenmedien thematisieren (vgl. Jacke 2004, 30ff.). Sie verurteilen die Massenkultur gegenüber der „hohen“ bzw. „bildenden Kunst“ als Kulturmdustne, die durch das ökonomische System reguliert wird und in der Mediennutzer keine Möglichkeit zur Kntik, zum Protest oder zur Alternative besitzen. Sie prägen damit den medien- kntischen Diskurs einer ganzen Generation (vgl. Böhme/Matussek/Müller 2002, 100-103). Nachfolgende Vertreter kritischer Theonen, wie etwa Jürgen Habermas, greifen Ende der 1960er grundlegende Gedanken der klassischen Kritischen Theorie auf und entwickeln darauf aufbauend kommunikations- und diskurstheoretische Theorien und Modelle (vgl. Kapitel 2.2). Neben dieser Traditionslinie medienkritischer Theorien existieren unter anderem im Bereich des Konstruktivismus oder des Poststrukturalismus kritische Gedanken in Bezug auf Medien, deren Schwerpunkt auf der individuellen Nutzung von Medienangeboten sowie der gesellschaftlichen Integration („Re-Embedding“) der Menschen innerhalb einer von Medien dominierten Gesell­schaft Hegt (vgl. Prokop 2003, 9).

[2] AusführHche Kritiken von Fernsehsendungen finden sich am nächsten Tag vor allem in über­regionalen Tageszeitungen, etwa auf der Medienseite der „Süddeutschen Zeitung“, der „Frank­furter Rundschau“ oder der „Frankfurter Algemeinen“ und „TAZ“, wieder. Des Weiteren werden solche Kritiken in Medienfachdiensten, wie der „Funk-Korrespondenz“, und Medien­fachzeitschriften, z. B. „Augen-Blick“, abgedruckt.

[3] In der medientechnologischen Betrachtung wird der Computer ohne Intemetzugang als Offline-Medium kategonsiert, dessen Aufgabe die Verarbeitung (Aufnahme, Speicherung, Re­produktion) digitaler Daten ist (vgl. Hiebei 1998, 244; Kammer 2001, 534ff.). Zu der medien­technologischen Kategorie der digitalen Online-Medien gehört das weltumspannende Internet, dass durch die Vernetzung voneinander unabhängiger Computemetze auf der Basis der TCP/IP­Protokollfamilie (Transmission Control Protocol/Intemet Protocol) charakterisiert wird (vgl. Winter 1998, 274). Scherenberg (2005) schlägt innerhalb der Online-Medien eine neue Kategorie der „Mobilen Endgeräte“ vor, die einem weiteren technologischen Evolutionsschntt der Online­Medien gerecht wird (vgl. Scherenberg 2005, 20).

Fin de l'extrait de 115 pages

Résumé des informations

Titre
Weblogs und Wandel von Öffentlichkeit im World Wide Web - Eine explorative Studie am Beispiel medienkritischer Blogs
Université
University of Leipzig  (Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft)
Note
Sehr Gut (1,5)
Auteur
Année
2006
Pages
115
N° de catalogue
V114972
ISBN (ebook)
9783640153794
ISBN (Livre)
9783640155439
Taille d'un fichier
10659 KB
Langue
allemand
Annotations
Magisterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades „Magister Artium“ Im Anhang befindet sich das Codebuch der durchgeführten Inhaltsanalyse (i.e. Inhaltsanalyse von deutschsprachigen Weblogs, die sich mit der Reuters-Fotomanipulation auseinandergesetzt haben).
Mots clés
Weblogs, Wandel, World, Wide, Eine, Studie, Beispiel, Blogs
Citation du texte
Magister Artium (M.A.) Nils Mammen (Auteur), 2006, Weblogs und Wandel von Öffentlichkeit im World Wide Web - Eine explorative Studie am Beispiel medienkritischer Blogs, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114972

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