Nachhaltigkeit im Kulturtourismus am Beispiel des Engagements von Studiosus: Bestandsaufnahme, Grenzen und Perspektiven


Thesis (M.A.), 2004

69 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

1. Zielsetzung der Arbeit

2. Nachhaltigkeit im Kulturtourismus
2.1. Definitionen
2.1.1. Zum Begriff des Kulturtourismus
2.1.2. Zum Begriff der Nachhaltigkeit
2.2. Auswirkungen von Reisen zu fremden Kulturen
2.2.1. Allgemeine Aspekte
2.2.2. Kulturelle Aspekte
2.2.3. Ökonomische und soziale Aspekte
2.3. Sozialverträglichkeit im organisierten Kulturtourismus
2.3.1. Merkmale des organisierten Kulturtourismus
2.3.2. Das Interesse an der Kultur
2.3.3. Unterkunft und Lebensstil
2.3.4. Interkulturelles Verstehen
2.3.5. Reiseleitung
2.4. Chancen für Reiseveranstalter

3. Das Beispiel des Kulturtourismusveranstalters Studiosus
3.1. Das bisherige Engagement von Studiosus
3.1.1. Das UmweltManagementSystem
3.1.2. Projektförderung
3.1.3. Foren der Bereisten
3.1.4. Interne Kommunikation und Reiseleiterausbildung
3.1.5. Reisekonzeption und Zusammenarbeit mit Leistungsträgern
3.1.6. Kommunikation mit Gästen und Öffentlichkeit
3.1.7. Engagement in internationalen Initiativen und Verbänden
3.2. Bewertung und Potenziale des Engagements
3.2.1. Internes Management und Erfolgskontrolle
3.2.2. Sensibilisierung der Beteiligten
3.2.3. Zusammenarbeit mit den Zielgebieten
3.2.4 Produktmanagement
3.2.5. Grenzen des Engagements
3.3. Resümee und Zukunftsperspektiven

4. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1. Zielsetzung der Arbeit

Im Rahmen dieser Arbeit soll untersucht werden, inwieweit Veranstalter von organisierten Reisen zu fremden Kulturen die Sozialverträglichkeit ihrer unternehmerischen Tätigkeit im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung fördern können.

Im ersten Teil der Arbeit sollen nach der Definition der zentralen Begriffe die grundlegenden Erkenntnisse bezüglich der kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Reisen für die Bevölkerung der touristischen Zielgebiete skizziert werden. Dabei sollen Möglichkeiten einer nachhaltigen Gestaltung des Tourismus sowie Wege zum Erreichen einer positiven Bilanz für dessen Gastgeber gezeigt werden.

Ausgehend von dieser Betrachtung sollen die typischen Merkmale des organisierten Kulturtourismus sowie aktuelle Marktforschungsergebnisse bezüglich seiner Zielgruppe dargestellt werden. Es soll erörtert werden, welche besonderen Chancen, aber auch welche Probleme bei dieser Reiseform gegeben sind. Schließlich sollen die Konsequenzen für eine sozialverträglichere Gestaltung der Reisen und das Handlungspotenzial für Reiseveranstalter verdeutlicht werden.

Die gewonnenen theoretischen Erkenntnisse und die daraus resultierenden Maßnahmen bilden die Grundlage für den zweiten Teil der Arbeit. Am Beispiel von Studiosus soll untersucht werden, inwieweit die Förderung der Sozialverträglichkeit in der Praxis eines Kulturtourismusveranstalters umgesetzt werden kann. In einem ersten Schritt soll das bisherige Engagement von Studiosus zur Verbesserung der Sozialverträglichkeit der angebotenen Reisens sowie die Erfahrungen des Veranstalters beschrieben werden.

Anschließend soll die Arbeit von Studiosus unter Berücksichtigung der theoretischen Erkenntnisse analysiert und bewertet werden. Es sollen Stärken, Erfolge und gute Ansätze herausgestellt, aber auch Grenzen des Engagements aufgezeigt werden. Schließlich sollen mögliche Verbesserungen und neue Wege zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung im organisierten Kulturtourismus erarbeitet werden.

2. Nachhaltigkeit im Kulturtourismus

Kulturtourismus bedeutet Reisen zu anderen Kulturen. Die Anhänger dieser Reiseform haben das Interesse und den Anspruch, fremde Kulturen zu erleben und zu verstehen. Daher stellen die dynamischen Kulturen der gastgebenden Gesellschaften ebenso wie dem Tourismus wohlgesinnte Menschen gewissermaßen das Tafelsilber des Kulturtourismus dar. Wie der Tourismus im Allgemeinen neigt aber auch der Kulturtourismus mit zunehmender Intensität dazu, dasjenige zu verändern und zu beeinträchtigen, was den Mittelpunkt seines Interesses bildet: Die Andersartigkeit der Menschen, ihrer Kultur und deren vielfältige Ausdrucksformen und Entwicklungen. Der behutsame Umgang mit dieser menschlichen Vielfalt im Sinne der Nachhaltigkeit gebietet daher eine Gestaltung und Steuerung der touristischen Aktivitäten, die eine Minimierung negativer Einflüsse bei gleichzeitiger Förderung der kulturellen Reichhaltigkeit und der Zufriedenheit der Gastgeber zum Ziel haben muss.

2.1. Zentrale Begriffe

2.1.1. Zum Begriff des Kulturtourismus

Die Welttourismusorganisation definiert Tourismus wie folgt: "Tourismus umfasst die Aktivitäten von Personen, die an Orte außerhalb ihrer gewohnten Umgebung reisen und sich dort zu Freizeit-, Geschäfts- oder bestimmten anderen Zwecken nicht länger als ein Jahr ohne Unterbrechung aufhalten" (WTO 1993). Beim Kulturtourismus bildet die Kultur der Menschen den Zweck der Reise oder das Reisemotiv. Dabei soll im Rahmen dieser Studie ein erweiterter Kulturbegriff unter Einbezug der Alltagskultur zugrunde gelegt werden: "Kultur ist das, was für eine menschliche Gemeinschaft in einer bestimmten Region typisch ist."[1] (Pestalozzi 1987, zit. in Thiem 1994: 30). Kulturtourismus soll deshalb wie folgt definiert werden: Reisen zu fremden Kulturen mit einem expliziten Interesse an dem, was für sie typisch ist. Dabei soll nicht nur auf Reisen in Entwicklungsländer oder zu besonders fremdartigen Kulturen, sondern auf sämtliche Reisen mit Interesse am Typischen der Kultur anderer Regionen Bezug genommen werden. Schließlich soll der Gegenstand dieser Arbeit in Bezug auf die Form der Reise eingeschränkt werden. Es soll um organisierten Kulturtourismus gehen, um die vom Veranstalter konzipierte Gruppenreise mit vorgegebenem Reiseablauf und -thema, begrenzter Gruppengröße und qualifizierter Reiseleitung. Gemeinhin wird diese Art von Reise mit dem Begriff der Studienreise umschrieben. Da es jedoch eine Vielzahl von Reiseangeboten gibt, die ähnliche Merkmale aufweisen ohne explizit als Studienreise bezeichnet zu werden, soll sich die vorliegende Untersuchung nicht auf diesen Begriff sondern auf Reisen mit den genannten Charakteristika beziehen.

2.1.2. Zum Begriff der Nachhaltigkeit

Nach der Definition der Brundtland-Kommission versteht man unter nachhaltiger Entwicklung eine Entwicklung, "die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen." (Hauff 1987: 46). In Bezug auf den Tourismus im Allgemeinen erfordert die Umsetzung dieses Gedankens eine Gestaltung, die die Bewahrung und Entwicklung der grundlegenden Ressourcen des Tourismus sowohl für die Reisenden als auch für die Gastgeber zum Ziel hat. Nachhaltiger Tourismus soll dabei soziale, kulturelle, ökologische und wirtschaftliche Verträglichkeitskriterien erfüllen. Entsprechend einer geläufigen Definition ist er "wirtschaftlich sinnvoll und ergiebig, ökologisch langfristig tragfähig, kulturell angepasst, ethisch und sozial gerecht" (Aderhold et al. 1999: 69). Die Idee des nachhaltigen Tourismus stellt zudem die Bevölkerung der Zielgebiete in den Vordergrund und misst ihrer informierten Partizipation sowie der Selbstbestimmung ihrer kulturellen und sozialen Entwicklung große Bedeutung zu (vgl. Becker et al. 1996: 6). Nicht zuletzt geht es um die Abstimmung, respektive den Ausgleich der verschiedenen Interessen.

Im allgemeinen Sprachgebrauch von Fachliteratur und Reiseveranstaltern werden vor allem die (noch vor dem Aufkommen des Konzeptes der Nachhaltigkeit geprägten) Begriffe Umwelt- und Sozialverträglichkeit verwendet. Die Auswirkungen der Reisetätigkeit auf die Umwelt sollen bei der vorliegenden Untersuchung jedoch nicht berücksichtigt werden. Dieser Aspekt hat nicht nur in der bisherigen theoretischen Diskussion einen überproportional großen Raum eingenommen. Auch in der Praxis ist in den letzten Jahren - sicherlich aus Gründen der einfacheren Umsetzung und der stärkeren Kompatibilität mit wirtschaftlichen Interessen - in diesem Bereich einiges bewegt worden. Der Focus soll vielmehr auf jene Aspekte der Nachhaltigkeit gerichtet werden, die noch zu wenig beachtet werden und gerade beim Kulturtourismus besonders zum Tragen kommen: Die Auswirkungen für die Menschen in den Gastländern des Tourismus und die Sozialverträglichkeit. Dieser Begriff hat bis heute keine klare, allgemein akzeptierte Definition gefunden. Er bezieht sich im praktischen Sprachgebrauch zumeist auf alle Aspekte, die im Gegensatz zu Umweltaspekten das Leben der Menschen[2] der touristischen Zielgebiete im engeren Sinne betreffen: Kultur, Wirtschaft und Soziales. Jedoch lässt sich keiner dieser Bereiche isoliert betrachten, da sie untereinander in einer engen Wechselbeziehung stehen. Die Grenzen zwischen den einzelnen Bereichen sind ebenso fließend wie die Zuordnungen in der Literatur unterschiedlich sind. Der Begriff der Sozialverträglichkeit soll deshalb im Rahmen dieser Arbeit über das Soziale im engen Sinn hinaus alle drei Bereiche einschließen. Nach diesem Verständnis bedeutet er die Berücksichtigung der Bedürfnisse der Gastgeber des Tourismus im Hinblick auf heutige und zukünftige Generationen.

2.2. Auswirkungen von Reisen zu fremden Kulturen

Im Folgenden werden die möglichen Auswirkungen des allgemeinen Tourismus auf die Kultur, das soziale Gefüge und die wirtschaftliche Entwicklung der touristischen Zielgebiete dargestellt. Dabei sollen empirische Erkenntnisse und verschiedene tourismuswissenschaftliche Interpretationsmuster dargestellt werden. Auf dieser Basis werden mögliche Maßnahmen zur Förderung einer sozialverträglicheren Gestaltung der touristischen Aktivitäten dargestellt. Einer detaillierten Betrachtung müssen dabei folgende Überlegungen vorangestellt werden:

2.2.1. Allgemeine Aspekte

Der Tourismus ist nicht der einzige Faktor, der die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen seiner Zielgebiete beeinflusst. Neben den für jede menschliche Gesellschaft charakteristischen endogenen Veränderungsprozessen gibt es zahlreiche tourismusfremde exogene Einflüsse, die seit der Kolonialzeit stetig zugenommen und im Zeitalter der Globalisierung neue Dimensionen erreicht haben. Tourismus kann Veränderungen anstoßen und beschleunigen. Sein Anteil an den positiven und negativen Entwicklungen einer Gesellschaft ist jedoch meist nur schwer messbar. Das Ausmaß des Wandels wird zudem in hohem Maße von der soziokulturellen und wirtschaftlichen Verfassung des Gastgeberlandes bestimmt. Der materielle Entwicklungsstand sowie der Grad der kulturellen Distanz zu den Quellgebieten des Tourismus sind dabei zentrale Faktoren. Auch dem Ausmaß und der Art des Tourismus kommt eine große Bedeutung zu.

Hieraus ergibt sich, dass keine generellen Aussagen zu den kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Tourismus getroffen werden können. Je nach Situation muss vielmehr differenziert werden. Tendenziell werden mit zunehmenden Unterschieden zwischen den Herkunfts- und den Empfängerländern des Tourismus auch dessen Auswirkungen sichtbarer. In der folgenden detaillierten Darstellung sollen deshalb im Sinne einer Verdeutlichung der Prozesse vor allem jene Situationen betrachtet werden, in denen die Distanz zwischen den Touristen und der einheimischen Bevölkerung in kultureller und materieller Hinsicht groß ist. Dies ist vor allem in wirtschaftlich unterentwickelten Ländern sowie in den ländlichen Gebieten der Industrieländer der Fall.

Schließlich muss berücksichtigt werden, dass Beurteilung und Wertung der Auswirkungen des Tourismus subjektiven Kriterien unterliegen und je nach Standpunkt auch innerhalb der betroffenen Bevölkerung sehr unterschiedlich ausfallen können. Während beispielsweise einerseits Verbreitung von Konsumdenken und Erosion traditioneller Werte angeprangert werden, begrüßt man andererseits gewünschte Modernisierungseffekte. Wichtige Grundvoraussetzung für eine möglichst wertfreie Betrachtung der Einflüsse des Tourismus ist daher zunächst ein dynamisches Verständnis von Kulturen, sozialen Strukturen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Nur die Anerkennung lebendiger Gesellschaften voller interner Widersprüche ermöglicht eine realistische, von romantisierenden Tendenzen freie Beurteilung tourismusinduzierten Wandels. Um einer ethnozentrischen Sichtweise vorzubeugen, ist es zudem unabdingbar, so weit wie möglich die Anliegen und Bedürfnisse der Bevölkerung der Gastgeberländer zum Maßstab zu nehmen[3] und bei der Bewertung den Kontext des jeweiligen soziokulturellen und wirtschaftlichen Systems zu berücksichtigen.

2.2.2. Kulturelle Aspekte

Kulturelle Einflüsse des Tourismus auf die Menschen und Gesellschaften der touristischen Gastgeberländer werden gemeinhin mit dem Begriff der Akkulturation beschrieben. Nach Lüem ist darunter die "spezielle, auf direkter Begegnung von Trägern verschiedenartiger Kulturen basierende Form des Kulturwandels" zu verstehen (Lüem 1985: 87). Die im Tourismus stattfindende Begegnung von Menschen unterschiedlicher Kulturkreise kann demnach einen Kulturwandel im Sinne der gegenseitigen Beeinflussung von Verhaltens- und Denkweisen auslösen oder verstärken. In der Realität ist jedoch der Einfluss der Kultur der Reisenden auf die Kultur der bereisten Länder ungleich stärker als umgekehrt. Dies ist zunächst einmal durch die unterschiedliche Intensität des Kulturkontaktes im Tourismus bedingt. Während die Gäste lediglich kurze Zeit in Berührung mit einer fremden Kultur kommen, sind die Gastgeber das ganze Jahr oder zumindest die touristische Saison hindurch diesem Einfluss ausgesetzt. Vor allem in wirtschaftlich unterentwickelten Zielgebieten und Regionen spielt zum anderen das starke materielle Gefälle zwischen Gästen und Gastgebern eine große Rolle. Mit zunehmender Diskrepanz des Lebensstandards ist weniger das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen als vielmehr die Begegnung unterschiedlicher sozioökonomischer Klassen für den Akkulturationsprozess von Bedeutung. Als zentraler Einfluss auf die Kulturen der Gastgeber des Tourismus wird häufig deren Verwestlichung genannt. Dabei wird folgendermaßen argumentiert:

Die von Touristen repräsentierte Kultur mit ihrem gerade im Urlaub üblichen konsumorientierten Lebensstil wird von den Gastgebern aufgrund des materiellen Erfolges, den sie zu versprechen scheint, als höherwertig wahrgenommen. Die Tatsache, dass die Kultur der Gäste nur als Urlaubskultur (frei von jeder Arbeitstätigkeit und mit einem Komfortstandard jenseits der finanziellen Möglichkeiten der Gastgeber) wahrgenommen wird, genügt dabei zur Empfindung der vermeintlichen kulturellen Überlegenheit. Dieser Eindruck kann je nach Dauer des touristischen Einflusses bei den Gastgebern zunächst zu Verunsicherung, Unzufriedenheit und zur Herausbildung überwiegend materieller Wünsche führen. Hieraus kann schließlich eine Nachahmung der importierten Kultur, die Übernahme einzelner Werte und im extremen Fall ein nachhaltiger Kulturwandel, das heißt eine Prägung von Teilen der Gesellschaft resultieren (Lüem 1985: 63ff).

Derartige Prozesse werden in sehr unterschiedlicher Form beurteilt. In Tourismuswissenschaft und Tourismuskritik gibt es eine starke Tendenz der negativen Bewertung tourismusinduzierten Kulturwandels. Vorsichtige Stimmen sprechen von einer Beeinflussung der Werte und Normen der Kultur der Einheimischen durch die Demonstration materiellen Reichtums (Bliss 1991: 91). Andere nennen als Konsequenzen gerade in wirtschaftlich unterentwickelten Ländern den Zerfall der traditionellen Wertesysteme und den Bruch familiärer und sozialer Bindungen. Mitunter wird sogar die Zerstörung kultureller und sozialer Strukturen und der Verlust kultureller Identität gesehen (vgl. Gonsalves 1997: 9; Dworschak 1994: 29; May 1985: 174).

Andere Autoren stellen diese negative Interpretation jedoch in Frage. Es wird darauf hingewiesen, dass solchen Bewertungen häufig eine ahistorische, statische Sichtweise von Kultur zugrunde liegt. Der durch den Tourismus stattfindende Kulturkontakt werde als "passiv erlittener Sündenfall" einer Bevölkerung dargestellt, der man die Fähigkeit selbstbewusster Auswahl der vorgeführten kulturellen Verhaltensmuster von vorn herein abspricht. (Flitner et al. 1994: 13, 19; Bertram 1995: 64).). Die Kritik an der Kulturzerstörung durch Tourismus sei der Ausdruck einer idealisierenden, romantisierenden Sichtweise anderer Kulturen, die gleichzeitig unterbewusst die Überlegenheit der eigenen Kultur impliziert (vgl. Goethe 2002: 21f). Es werden zahlreiche Studien genannt, die belegen, dass Kulturkontakt im Tourismus mitnichten immer mit einer Verwestlichung oder dem Verlust kultureller Identität einhergeht (Flitner et al. 1997: 92f). Nicht zuletzt wird auf den starken Einfluss tourismusfremder Faktoren wie Medien oder Arbeitsmigranten sowie auf die mangelnde empirische Basis verwiesen. Schließlich wird hervorgehoben, dass sich kulturelle Identität erst im Kontakt mit anderen Kulturen formt und Tourismus durchaus auch positiv auf fremde Kulturen wirken kann (vgl. Friedl 2002: 78f). Einige Autoren bewerten die soziokulturellen Auswirkungen des Tourismus gar als "marginal" (Leffler 1992: 11f).

Ähnlich kontrovers wird die Kommerzialisierung von Kultur im Tourismus diskutiert. Die Demonstration von materiellem Reichtum gepaart mit einem kulturellen Interesse der Gäste führen häufig zur Vermarktung besonders gefragter Kulturelemente. Für die Kritiker hat dies folgende Konsequenzen: Der Versuch, im Rahmen kommerzieller Veranstaltungen die Bedürfnisse der Touristen nach einheimischer Kultur zu befriedigen, kann im Laufe der Zeit eine Zweckentfremdung und schließlich die Sinnentleerung von kulturellen Ausdrucksformen zur Folge haben. Klassisches Beispiel ist die Vorführung von einheimischen Tänzen oder Kulthandlungen[4]. Aber auch die Entfremdung von traditionellem Kunsthandwerk wird in diesem Zusammenhang genannt (Bertram 1995: 65ff; Lüem 1985: 78ff). Als Ergebnis des Tourismus würden Kulturen zu "Gebrauchs- und Verbrauchsgütern, zur Wegwerfware des touristischen Konsums" (Krippendorf 1989: 7). Der Tourismus sei die "wandelnde Litfaßsäule des westlichen Konsumismus" (Scherrer 1986: 237) und Touristen eine "verschwendungssüchtige Minderheit in einem Meer der Armut" (Scherrer 1986: 237).

Doch auch die Kommerzialisierung von Kultur lässt sich anders bewerten. Da Tourismus aus der Sicht der Bevölkerung vor allem der Existenzsicherung dient, wäre es vermessen, ihr eine Kommerzialisierung der Kultur abzusprechen, zumal wirtschaftlicher Gewinn das Ziel einer jeden touristischen Unternehmung auch auf Seiten der Veranstalter darstellt (Thiem 1994: 73f). Schließlich ist häufig zu beobachten, dass die vom Tourismus betroffene Bevölkerung eine pragmatische Trennung zwischen der touristischen, zumeist geschäftlichen Sphäre und den internen kulturellen Beziehungen und Gewohnheiten pflegt (vgl. Strasdas 2001: 82). Die Vermarktung einzelner Kulturelemente wirkt unter solchen Voraussetzungen kaum auf den Kern der Kultur. Zudem kann das Interesse an Kultur und ihren verschiedenen materiellen Ausdrucksformen auch zur Stärkung der kulturellen Identität und zur Bewahrung materieller und immaterieller Traditionen führen (vgl. Vorlaufer 1996: 203f; Mathieson 1983: 162f).

Diese sehr unterschiedlichen Sichtweisen zeigen, dass kulturelle Auswirkungen des Tourismus nicht nur schwer zu erfassen sind (Becker et al. 1996: 141), sondern auch und vor allem unterschiedlich bewertet werden können. Dass Tourismus gerade in wirtschaftlich unterentwickelten Ländern und innerhalb fremder Kulturen mit der Eröffnung sozialer und wirtschaftlicher Perspektiven zum Kulturwandel im Sinne einer Verwestlichung beitragen kann, ist empirisch belegt. Legt man der Bewertung dieses Kulturwandels ein statisches Kulturmodell zugrunde, muss die Beurteilung negativ ausfallen. Nimmt man jedoch - wie eingangs gefordert - ein dynamisches Kulturverständnis zur Basis, erscheinen die durch Tourismus und andere Faktoren bedingten Veränderungen einer Kultur als Anpassung an modifizierte Rahmenbedingungen (vgl. Friedl 2002: 71). Auswirkungen wie Verwestlichung und Kommerzialisierung betreffen zumeist Gesellschaften in einem Modernisierungsprozess, dessen Anstoß weit vor dem Aufkommen des Tourismus gegeben wurde und der im Zeitalter globalisierter Wirtschaft und Medien unabhängig vom Tourismus starke Impulse erhält. Dieser Prozess ist keineswegs frei von Konflikten und Brüchen. Ein Autor aus einem betroffenen Land bemerkt: "Am fortschreitenden Zerfall soziokultureller Strukturen und Bindungen zeigt sich in vielen Teilen der Welt der schmerzhafte Übergang von Traditionen zur Moderne" (Gonsalves 1997: 10). Tourismus in seiner gemeinhin praktizierten Form kann ohne Zweifel diese Prozesse durch den Import von Elementen westlicher Kultur und die Konfrontation mit materiellem Reichtum verstärken. Doch wäre es naiv, davon auszugehen, dass unter den heutigen Bedingungen weltweiter Vernetzung Kulturen ohne Einfluss des Tourismus in ihrem Ist-Zustand verharren würden. Angebracht erscheint vielmehr ein realistischer Standpunkt: Tourismus "entfaltet sowohl modernisierende als auch traditionserhaltende Wirkungen - oftmals beide zugleich. Wo durch ihn Traditionen konserviert werden, ändern sie partiell ihren Sinn: Sie werden bewusster und - unter anderem im Hinblick auf ökonomischen Gewinn praktiziert" (Henning 1999: 148).

Der Erhalt idealisierter statischer Kulturen und deren Schutz vor Überfremdung, Verwestlichung und Kommerzialisierung kann nicht das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung sein. Weder kann es darum gehen, die Kultur fremder Gesellschaften museal zu konservieren, noch darum, negative kulturelle Auswirkungen des Tourismus als natürliche Evolution eines unvermeidlichen Globalisierungsprozesses zu rechtfertigen. Da weltweiter Tourismus ein Faktum darstellt, ist eher die Frage wichtig, wie das Gestaltungspotenzial zur Förderung positiver Wirkungen unter den gegebenen Rahmenbedingungen zu nutzen ist. Die häufig ideologisch geprägte Diskussion um Vor- und Nachteile tourismusinduzierten Kulturwandels mit ihren vielfältigen Wertungen gibt kaum befriedigende Antworten auf diese Frage.

Ein Bemühen um nachhaltige kulturelle Entwicklung im Tourismus muss vielmehr die Interessen und Wertungen der betroffenen Bevölkerung zum entscheidenden Kriterium machen. Ein Vertreter der Zielgebiete des Tourismus fordert zu Recht, dass "die Probleme aus der Sicht der Menschen in den Fremdenverkehrsgebieten und nicht aus der Sicht der Herkunftsländer der Touristen betrachtet werden müssen" (Gonsalves 1997: 12). Es müssen daher Bedingungen hergestellt werden, "unter denen Menschen Subjekte des Kulturwandels sein können" (Flitner et al. 1994: 20). So ist beispielsweise Kritik an der Kommerzialisierung ihrer Kultur nur angebracht, wenn diese von der Bevölkerung selbst als negative Entwicklung eingestuft wird[5] (Thiem 1994: 73f).

Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Teile der Bevölkerung in gleichem Maße vom Tourismus betroffen sind und tourismusinduzierter Kulturwandel auch innerhalb der jeweiligen Gesellschaften unterschiedlich bewertet wird (Vorlaufer 1996: 201). Während Veränderungen vor allem von denen begrüßt werden, die von den gegebenen, kulturell geprägten Machtverhältnissen benachteiligt werden, werden andere in diesen Veränderungen eine Bedrohung ihrer Privilege sehen (vgl. auch Häusler 1994: 49f). Daher sind bei einer Bewertung der kulturellen Auswirkungen von Tourismus über den Rahmen der gegebenen Kultur hinaus auch universale Forderungen wie beispielsweise die Einhaltung der Menschenrechte zu berücksichtigen (Flitner et al. 1997: 95). Schließlich wird häufig ausgeklammert, dass vom Tourismus betroffene Regionen selten eine homogene Kultur aufweisen. In der Realität werden menschliche Gesellschaften weltweit immer mehr durch eine verschieden stark ausgeprägte Heterogenität charakterisiert.

In diesem Spannungsfeld einen möglichst objektiven Weg zu finden, ist keine leichte Aufgabe. Die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung im kulturellen Bereich muss daher bedeuten, Tourismus im Rahmen des Möglichen derart zu gestalten, dass die von ihm verursachten Einflüsse auf die dynamische kulturelle Entwicklung einen breiten gesellschaftlichen Konsens finden. Im Sinne eines Interessensausgleiches muss es darum gehen, besonders denjenigen Bevölkerungsgruppen einen realen Einfluss auf die touristische Entwicklung zu ermöglichen, die von ihm am stärksten betroffen sind.

Doch ist neben der Akzeptanz und der Förderung der einheimischen Bevölkerung als zentraler Akteur touristischer Entwicklung auch die Verantwortung von Reisenden und Reiseveranstaltern wichtig. Je größer die kulturelle und wirtschaftliche Kluft zwischen Reisenden und Gastgebern ist, desto wichtiger ist der sensible Umgang mit der einheimischen Kultur. Im extremen und immer seltener werdenden Fall indigener Völker wird zumeist der Verzicht auf touristische Aktivitäten oder zumindest eine drastische Einschränkung empfohlen[6]. In allen anderen Fällen ist eine umfangreiche Information zur Förderung des Respekts vor der anderen Kultur und eines angemessenen Verhaltens unabdingbar. Wichtig im Sinne der Sozialverträglichkeit ist zudem, dass der durch Tourismus ausgelöste Wandel ohne abrupte Änderungen erfolgt (Vorlaufer 1996: 2). Eine langsame Entwicklung gibt der Bevölkerung Zeit, entsprechende Anpassungsstrategien zu entwickeln (Strasdas 2001: 83).

Schließlich erfordert eine nachhaltige Entwicklung, den Tourismus kulturell angepasst zu gestalten. Daher ist es von Bedeutung, dass weniger eine Integration der Kultur in den Tourismus als vielmehr die Integration des Tourismus in die Kultur der Gastgeberländer gefördert wird. Dies bezieht sich sowohl auf die Art des Reisens (Transportmittel, Unterkünfte) als auch auf den Lebensstil und die Aktivitäten der Touristen vor Ort. Je geringer die Diskrepanz zwischen der touristischen und der einheimischen Infrastruktur ist, desto eher entstehen positive Rahmenbedingungen für ein gegenseitiges Verstehen von Gästen und Gastgebern. Nur unter solchen Voraussetzungen kann Tourismus seinen wesentlichen positiven Einfluss geltend machen: Die Steigerung der Wertschätzung der bereisten Kultur.

2.2.3. Ökonomische und soziale Aspekte

Der wirtschaftliche Nutzen ist diejenige Auswirkung des Tourismus, der das zentrale Interesse der Bevölkerung seiner Zielgebiete gilt. Als allgemeine volkswirtschaftliche Wirkungen werden vor allem folgende Effekte genannt:

- Zahlungsbilanz - und Deviseneffekt: Tourismus leistet in den Zielgebieten einen maßgeblichen Beitrag zum Devisenaufkommen.
- Einkommenseffekt und Multiplikatoreffekt: Tourismus schafft Einkommen durch direkte Ausgaben der Touristen und durch eine weitere Verwendung dieser Einkommen innerhalb der Zielgebiete.
- Beschäftigungseffekt: Tourismus ist eine arbeitsintensive Dienstleistungsbranche, die zahlreiche Arbeitsplätze vor allem im Beherbergungsgewerbe schafft.
- Regionaler Ausgleichseffekt: Tourismus bietet in wirtschaftlichen Randgebieten Entwicklungsperspektiven und trägt somit zum Abbau regionaler Disparitäten bei.

Dennoch ist die touristische Entwicklung häufig durch eine Reihe von ökonomischen Risiken und negativen Auswirkungen gekennzeichnet, die die genannten Effekte relativieren. Der Deviseneffekt ist zunächst einmal positiv, ermöglicht er doch vor allem Ländern mit defizitärer Handelsbilanz einen Ausgleich ihrer Zahlungsbilanz. Es wird jedoch auf die Differenz von Brutto- und Nettodeviseneinnahmen hingewiesen. Der Abfluss von Devisen durch Importe für die Tourismuswirtschaft, die so genannte Sickerrate, ist je nach Entwicklungsstand der Volkswirtschaft und Ansprüchen der touristischen Nachfrage unterschiedlich hoch und kann im Extremfall einen Grossteil der erwirtschafteten Devisen ausmachen (Strasdas 2001: 80). Schließlich erfordert Tourismus hohe Investitionen und wird häufig stark subventioniert (Bliss 1991: 83ff; Krippendorf 1984: 109). Dem wird entgegengehalten, dass die Sickerrate im Tourismus zum Teil geringer als in anderen Wirtschaftsbereichen ist (Vorlaufer 1996: 136).

Auch der Beschäftigungs- und Einkommenseffekt muss differenziert gesehen werden. Kritisiert werden zumeist die allgemeinen Arbeitsverhältnisse im Tourismus: Die internationale Arbeitsorganisation zeichnet im Hotel- und Tourismussektor folgendes Bild (ILO 2000: 121):

- Hoher und steigender Anteil an Teilzeit-, Saison- und Gelegenheitsarbeit
- Die Gehälter liegen im Schnitt 20 % unter denen anderer Wirtschaftssektoren
- Im Durchschnitt geringe Qualifikation der Beschäftigen
- Hoher Anteil minderjähriger Beschäftigter

Auch wird auf die Tatsache hingewiesen, dass gerade die industrielle Tourismusentwicklung, die sämtliche Ebenen der Wertschöpfungskette zu kontrollieren versucht, Arbeitsplätze kleiner einheimischer Anbieter vernichtet. Zudem gehen mit der Entwicklung im Tourismus auch immer Arbeitsplätze in traditionellen Wirtschaftssektoren verloren (Suchanek 2000: 123). Angesichts des hohen Investitionsbedarfs bei der Schaffung der touristischen Infrastruktur wird bemerkt, dass mit den gleichen Investitionen in anderen Sektoren mehr Arbeitsplätze geschaffen werden können (Bliss 1991: 84f). Schließlich wird beklagt, dass im Zuge von wirtschaftlichen Liberalisierungen selbst Nahrungsmittel und Baumaterialien importiert werden, somit der einheimischen Wirtschaft Boden entzogen wird und ebenfalls Arbeitsplätze verloren gehen (AG Rio 2000: 12).

Ein weiteres Problem betrifft die Tendenz zur Errichtung touristischer Monokulturen. Durch neue Verdienstmöglichkeiten und die erwarteten Devisen wird der touristische Sektor oft unter Vernachlässigung anderer Wirtschaftssektoren überproportional gefördert und entwickelt. Dadurch entsteht eine starke Abhängigkeit, die aufgrund der Krisenanfälligkeit des Tourismus und einer verstärkten internationalen Konkurrenz hohe Risiken birgt (vgl. Friedl 2002: 66f).

Schließlich wird auf die Nachteile hingewiesen, die eine touristische Entwicklung für die gesamte Bevölkerung vor allem in wirtschaftlich unterentwickelten Ländern haben kann. Häufig wird kritisiert, dass der Ausbau der Infrastruktur lediglich Touristen zugute kommt, die Einheimischen hingegen unter Preissteigerungen zu leiden haben (Hammelehle 1990: 47ff). Die teils spekulative ausländische Nachfrage nach Grundstücken und Immobilien kann zu sprunghaften Preiserhöhungen führen, die der einheimischen Bevölkerung den Erwerb von Eigentum unmöglich werden lassen (Friedl 2002: 68). Auch auf einer einfacheren Ebene werden diese Prozesse wirksam. Erfreut sich beispielsweise ein Produkt einer steten Nachfrage seitens der Touristen, wird sein materieller Wert erheblich zu Lasten des einheimischen Konsumenten gesteigert. Beispiele sind handwerkliche Gegenstände, die für die einheimische Bevölkerung einen Gebrauchswert darstellen. Aufgrund der touristischen Nachfrage steigen die Preise derart, dass die Einheimischen gezwungen sind, anstelle der traditionellen Waren preiswertere und minderwertigere Importprodukte zu kaufen (Lüem 1985: 82). Im gleichen Zusammenhang wird schließlich die Abschöpfung lokaler Märkte durch große Hotelbetriebe genannt (Bliss 1991: 86f).

Analog zu den wirtschaftlichen Problemen bedeutet Tourismus zudem einen Eingriff in die sozialen Strukturen der Gastländer. Häufig werden als Folgewirkung des Tourismus soziale Ungerechtigkeit und die Verschärfung sozialer Gegensätze genannt. In der Tat belegen zahlreiche Beispiele, dass gerade im modernen Massentourismus die einfache Bevölkerung kaum am Gewinn beteiligt ist und eher die Kosten in Form der bereits erwähnten Preiserhöhungen zu tragen hat. Daneben wird durch die Begünstigung der Beschäftigten in der Tourismusbranche das soziale Gefüge beeinflusst. In wirtschaftlich unterentwickelten Ländern erhalten beispielsweise vor allem jüngere Menschen durch die Erschließung neuer Einkommensquellen größere Freiheiten. Dies kann letztlich die traditionelle Familienstruktur verändern und in Frage stellen (Harrison 1995: 31).

Ähnlich wie im kulturellen Bereich ist jedoch auch die Messbarkeit der vielschichtigen sozioökonomischen Auswirkungen problematisch und deren Bewertung subjektiven Kriterien unterworfen (Job 1997: 197). Die modernisierenden Effekte des Tourismus stehen außer Zweifel. Mit dem Voranschreiten touristischer Erschließung kommt es zumeist zu Individualisierungstendenzen und einer stärkeren Betonung wirtschaftlicher Werte (Henning 1999: 143). Wie jedoch mit der Modernisierung einhergehende Effekte wie beispielsweise die Emanzipation von jüngeren Familienmitgliedern oder Frauen beurteilt wird, hängt wiederum vom Standpunkt des Betrachters ab, sowohl außerhalb als auch innerhalb der betreffenden Gesellschaft. Wissenschaftler der westlichen Welt neigen häufig zu einer positiven Wertung und begrüßen beispielsweise die Auflösung "erstarrter Sozialstrukturen" (Vorlaufer 1984: 66). Doch ist auch hier die Vermeidung der ethnozentrischen Perspektive vonnöten und die Bewertung der betroffenen Bevölkerung zu berücksichtigen. Im Allgemeinen relativieren einkommensschaffende Effekte in den Augen der Menschen soziale Strukturveränderungen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein im Tourismus beschäftigtes Familienmitglied den Unterhalt der ganzen Familie sichert (Bliss 1991: 92).

Schließlich werden Kriminalität und Prostitution als Beispiele für soziale Probleme genannt, die durch Tourismus zunehmen können. Während im Falle "klassischer" Prostitution der Tourismus lediglich eine verstärkende Wirkung hat (Harrison 1995: 25) wird Kinderprostitution maßgeblich vom Tourismus verursacht (Friedl 2002: 85f). Diese sozialen Folgen werden ebenso wie die wirtschaftlichen Kosten des Tourismus grundsätzlich von der einheimischen Bevölkerung getragen, unabhängig davon, ob sie aufgrund materieller Vorteile akzeptiert werden oder nicht (vgl. Krippendorf 1984: 104f).

Für die Förderung eines sozialverträglicheren Tourismus, der im Sinne der Nachhaltigkeit wirtschaftlich sinnvoll und sozial gerecht sein sollte, ergeben sich deshalb vor allem folgende Konsequenzen:

- Rücksichtnahme auf artikulierte oder offensichtliche Interessen der einheimischen Bevölkerung sowie deren Einbezug in die Planung der touristischen Entwicklung
- Förderung von Maßnahmen zur Erhöhung der lokalen Wertschöpfung und der ökonomischen Partizipation der Einheimischen
- Nutzung kleiner, lokaler Strukturen im Besitz Einheimischer bei Unterkunft, Verpflegung, Transport und Freizeitaktivitäten
- Förderung angemessener Bezahlung sowie arbeitsrechtlicher Mindestnormen
- Engagement gegen kriminelle Auswüchse des Tourismus, vor allem gegen die Ausbeutung von Kindern

In den letzten Jahren wird schließlich verstärkt die Idee propagiert, die Idee des fairen Handels (Fair Trade) von Waren auf touristische Dienstleistungen zu übertragen. Dabei geht es darum, touristische Angebote zu kennzeichnen und derart zu gestalten, dass sie der Bevölkerung in den Gastländern und insbesondere benachteiligten Bevölkerungsgruppen einen fairen Ertrag unter Einhaltung internationaler Sozialstandards gewährleisten sowie ihre Selbstbestimmung und kulturelle Vielfalt respektieren (siehe Plüss 2003). Dieser Ansatz ist für engagierte Reiseveranstalter ebenso sinnvoll wie langfristig notwendig.

2.3. Sozialverträglichkeit im organisierten Kulturtourismus

Im Allgemeinen geht man davon aus, dass der organisierte Kulturtourismus wesentlich sozialverträglicher als andere Formen des Tourismus ist (Aderhold et al. 2000: 36). Auch die Welttourismusorganisation unterstreicht in ihrem "Globalen Ethik-Kodex für den Tourismus" die besondere, förderungswerte Stellung der Studienreise (WTO 1999: Art.2/4). Diese Aussagen sollen im folgenden Abschnitt überprüft werden. Dabei werden zunächst ein Überblick über die besonderen Charakteristika organisierter Kulturreisen und ihrer Teilnehmer sowie ein Einblick in die Marktforschungsergebnisse der letzten Jahre gegeben. Auf dieser Basis und unter Berücksichtigung der dargestellten allgemeinen Auswirkungen des Tourismus sollen jene Aspekte betrachtet werden, die bei dieser Form des Tourismus besonders zum Tragen kommen.

[...]


[1] Diese pragmatische Definition reflektiert den touristischen Interessensschwerpunkt, darf jedoch nicht als Reduzierung auf wenige plakative Merkmale verstanden werden.

[2] Paul Gonsalves fragt in diesem Zusammenhang zu Recht: "Wann werden Menschen ebenso wichtig sein wie die Natur?" (Gonsalves 1997: 10)

[3] Der stärkere Einbezug der vom Tourismus betroffenen Gesellschaften ist die erste Forderung der "Manila Declaration on the social impact of tourism" (WTO 1997) und wird im Globalen Ethik-Kodex für den Tourismus der WTO fortgeschrieben (WTO 1999: Art. 5/1). Siehe auch AG Rio 2000: 36ff.

[4] Auch bei alltäglicheren Inszenierungen besteht die Gefahr einer solchen Verfremdung. So stellen die in jüngerer Zeit vermehrt angebotenen Einladungen zum Essen bei einer einheimischen Familie letzten Endes die Tradition der Gastfreundschaft in Frage. So interessant solche Veranstaltungen sein mögen - für die Gastgeber in materieller, für die Gäste in kultureller und kulinarischer Hinsicht - sie entfremden eine uralte Tradition und können somit zur Erosion fundamentaler Werte beitragen.

[5] Erkenntnisreich ist grundsätzlich der leider viel zu wenig praktizierte Wechsel der Perspektive. Will man beispielsweise die Kommerzialisierung von Kultur in einem objektiven Licht betrachten, ist es hilfreich, den Umgang mit diesem Thema im deutschen Incoming-Tourismus zu analysieren.

[6] Die folgenreichen Einflüsse des Tourismus auf solche Kulturen wurden hinreichend untersucht und nachgewiesen. (Kievelitz 1989: 37f; Suchanek 2000: 86ff).

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Nachhaltigkeit im Kulturtourismus am Beispiel des Engagements von Studiosus: Bestandsaufnahme, Grenzen und Perspektiven
College
University of Hagen
Grade
1,0
Author
Year
2004
Pages
69
Catalog Number
V114974
ISBN (eBook)
9783640153817
ISBN (Book)
9783640155446
File size
797 KB
Language
German
Keywords
Nachhaltigkeit, Kulturtourismus, Beispiel, Engagements, Studiosus, Bestandsaufnahme, Grenzen, Perspektiven
Quote paper
Magister Artium Peter Lenke (Author), 2004, Nachhaltigkeit im Kulturtourismus am Beispiel des Engagements von Studiosus: Bestandsaufnahme, Grenzen und Perspektiven, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114974

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Title: Nachhaltigkeit im Kulturtourismus am Beispiel des Engagements von Studiosus: Bestandsaufnahme, Grenzen und Perspektiven



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