Die sozialpsychologischen Folgen von Arbeitslosigkeit und deren Bedeutung für die Soziale Arbeit


Bachelor Thesis, 2021

33 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zentrale Bestimmungsmerkmale von Arbeitslosigkeit
2.1. Definition und Abgrenzung
2.2. Individuelle Risikofaktoren
2.3. Empirischer Überblick über Arbeitslosigkeit in Österreich

3. Die biopsychosozialen Folgen von Arbeitslosigkeit auf individueller Ebene
3.1. Physisch-Gesundheitliche Aspekte
3.2. Psychologisch-Gesundheitliche Aspekte
3.3. Soziale Konsequenzen
3.4. Conclusio

4. „Fördern und Fordern“ - Die „aktivierende“ Sozialpolitik als staatlich-handlungsleitende Maxime

5. Soziale Arbeit im Spannungsfeld individueller biopsychosozialer Folgen und aktivierender Sozialpolitik
5.1. Aktivierende Sozialpolitik - Richtige Antwort auf individuelle Folgen der Arbeitslosigkeit?
5.2. Aktivierende Sozialpolitik und Soziale Arbeit
5.3. Alternativkonzept der Sozialen Arbeit - „Supported Employment“

6. Fazit & Ausblick

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Internetquellen

Zusammenfassung

Das Ziel dieser Arbeit ist es, die multidimensionalen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit für Betroffene entlang des biopsychosozialen Modells aufzuzeigen und deren Bedeutung für die Soziale Arbeit herauszuarbeiten. Das soziale Phänomen „Arbeitslosigkeit“ birgt Gefahren auf physischer, psychischer und sozialer Ebene. Es stellt sich heraus, dass alle drei Bereiche in einem wechselseitigen Verhältnis stehen und sich gegenseitig beeinflussen können. So kön­nen etwa gesellschaftliche Stigmatisierungen auf sozialer Ebene erhebliche Beeinträchtigun­gen für die Betroffenen in psychischer wie physischer Hinsicht haben. Die dominierende so­zialpolitische Ausrichtung will arbeitssuchende Menschen „aktivieren“, um sie wieder in Erwerbsarbeit zu bringen. Wird diese Ausrichtung in Beziehung zu den Auswirkungen auf die biopsychosoziale Gesundheit gesetzt, ergeben sich erhebliche Mängel in der Beantwortung von Arbeitslosigkeit von öffentlicher Seite. Die Profession Soziale Arbeit steht dabei in einem Spannungsverhältnis und muss mit einer verstärkten Betonung von sozialer Integration, in Ergänzung zur beruflichen Integration, antworten. Dabei zeigen sich vielsprechende Ansät­ze, wie die altruistische Arbeit (z.B. Nachbarschaftshilfe oder „Supported Employment“), die die mehrdimensionalen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit für die Betroffenen mitberücksich­tigt.

Schlüsselwörter : Arbeitslosigkeit, Sozialstaat, Wohlfahrtsstaat, Soziale Arbeit, Arbeitsmarkt, Langzeitarbeitslosigkeit, Stigma, Sozialpolitik, Soziale Ungleichheit, soziale Integration

Abstract

The aim of this work is to show the multidimensional effects of unemployment for those af­fected along the bio-psychosocial model and to work out their significance for social work. The social phenomenon “unemployment” harbors dangers on a physical, psychological and social level. It turns out that all three areas are interrelated and can influence one another. For example, social stigmatization on a social level can have considerable impairments for those affected, both mentally and physically. The dominant social-political orientation wants to "activate" people looking for work in order to get them back into gainful employment. If this orientation is related to the effects on bio-psychosocial health, there are considerable defi­ciencies in the public response to unemployment. The social work profession is in a tense relationship and must respond with an increased emphasis on social integration, in addition to professional integration. There are promising approaches, such as altruistic work (i.e. as neighborhood help or "Supported Employment"), which also take into account the multi­dimensional effects of unemployment for those affected.

Key words : unemployment, welfare state, social work, labor market, long-term unemploy­ment, stigma, social policy, social inequality, social integration

Danksagung

Ich bedanke mich herzlichst bei meiner Verlobten, Frieda Krammel, und meinen Eltern für ihre ungemeine moralische Unterstützung!

1. Einleitung

„Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat mit einem Tipp für einen Arbeitslosen empörte Reaktionen hervorgerufen. Er riet dem 25-jährigen Gärtner beim Tag der offenen Tür im Elyséepalast, er müsse nur in ein x-beliebiges Hotel, Café oder Restaurant gehen, und schon habe er einen Job. >>Ich gehe über die Straße und finden Ihnen was<<, betonte Macron. [...] >>In Hotels, Cafés und Restaurants - da gibt es nicht einen einzigen Ort, an den ich gehe, wo sie nicht sagen, sie suchen Leute. Nicht einen!<< Der junge Mann müsse nur >>bereit und motiviert<< sein.“ (Der Standard 2018, Internetquelle 1)

Der französische Präsident rät einem arbeitssuchenden1 Gärtner einen Job in einer voll­kommen anderen Branche anzunehmen, er müsse nur „bereit und motiviert“ sein und de­monstriert damit die volle Bandbreite an Stigmatisierungen, die vor allem langzeitarbeitssu­chenden Personen entgegenschlägt. Phänomene auf der Makroebene wie strukturelle Arbeitslosigkeit spielen scheinbar keine Rolle, es liege am Individuum aktiv, flexibel und willig zu sein und etwas überspitzt formuliert seines eigenes Glückes Schmied zu werden. Um diese Überspitzung ironisch auf die Realität herunter zu brechen, könnte eher folgende Fra­ge gestellt werden: Wie soll ich meines eigenen Glückes Schmied werden, wenn es weit und breit kein Eisen (=Arbeit) gibt?

Das soziale Phänomen der Arbeitslosigkeit ist entgegen der Aussage des französischen Präsidenten nicht nur durch ökonomische, motivationale Problemlagen gekennzeichnet, sondern hält multidimensionale Herausforderungen und Gefahren für den/die Betroffene/n bereit. Es handelt sich vielmehr um eine Beeinträchtigung der biopsychosozialen Gesund­heit, deren Ausgestaltung auf einer biologisch-physischen, psychischen und sozialen Ebene in dieser Arbeit beleuchtet werden. Der Fokus liegt hierbei v.a. auf langzeitarbeitssuchenden Menschen. Emmanuel Macron verdeutlicht mit seiner Aussage die Einstellung eines „aktivie­renden“ Sozialstaates, der Individuen unter Androhung von Sanktionen zur Erlangung einer Erwerbstätigkeit, unabhängig von deren Beschaffenheit (prekär oder nicht-prekär), im 1. Ar­beitsmarkt antreiben will. Wie ist nun diese politische Ausrichtung mit den multidimensiona­len Folgen von Arbeitslosigkeit in Einklang zu bringen? Die Soziale Arbeit als Profession steckt diesbezüglich in einem Dilemma, das in dieser Abhandlung beleuchtet werden soll. Dabei soll eine Antwort auf folgende Fragestellung gegeben werden:

Was sind die biopsychosozialen Folgen von Arbeitslosigkeit für Betroffene und welche Kon­sequenzen haben diese, in Anbetracht der dominierenden sozialpolitischen Ausrichtung, für die Profession der Sozialen Arbeit?

2. Zentrale Bestimmungsmerkmale von Arbeitslosigkeit

Zu Beginn sollen nun die zentralen Bestimmungsmerkmale und Charakteristika von Arbeits­losigkeit beleuchtet und damit Antworten auf folgende Fragen gegeben werden: Welche De­finition von Arbeitslosigkeit wird dieser Arbeit zugrunde gelegt? Welches sind die empirisch abgesicherten individuellen Risikofaktoren von Arbeitslosigkeit? Was sind die wichtigsten empirischen Kennzahlen, vor allem im Hinblick auf die Entwicklung der Quoten arbeitssu­chender Personen in Österreich?

2.1. Definition und Abgrenzung

In einem ersten Schritt soll zunächst geklärt werden, welche Definition von Arbeitslosigkeit dieser Abhandlung zugrunde gelegt wird. Die Literatur hält in diesem Bezug eine „Wundertü­te“ an mannigfachen Definitionen bereit, die von Staat zu Staat (und deren empirischer Er­fassung von Arbeitslosigkeit) oder auch zwischen Wissenschaftsdisziplinen enorme Unter­schiede aufweisen. Somit bestehen erhebliche Definitionsschwierigkeiten (vgl. Ludwig- Mayerhofer 2018: 156f.; Hediger 2016: 37). Sozialstaatlich betrachtet, gelten diejenigen Per­sonen als arbeitssuchend, die bei den entsprechenden öffentlichen Institutionen, wie z.B. dem Arbeitsmarktservice (AMS), nach dortiger Definition als „arbeitslos“ gemeldet sind. In Österreich zielt der Terminus „Arbeitslosigkeit“ auf Personen ab, die arbeitsfähig, arbeitswillig sind, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und bei dem AMS wie oben beschrieben ge­meldet sind (vgl. Knittler 2017: 181). Auf supranationaler Ebene gilt die Definition der Interna­tional Labour Organization (ILO) als weltweit überwiegend anerkannte Begriffserklärung: Arbeitslosigkeit betrifft Personen, die nicht erwerbstätig sind, für den Arbeitsmarkt zur Verfü­gung stehen und die auf der Suche nach Erwerbsarbeit sind (vgl. Paul/ Moser 2017: 4; Weber u.a. 2007: 2958). Diese Definition scheint für die Verwendung dieser Arbeit einiger­maßen adäquat, da von einer nicht vorhandenen Erwerbsarbeit2 ausgegangen wird. Zudem werden durch die Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt nur all jene Personen miteingeschlos­sen, die auch gesundheitlich (in physischer wie psychischer Hinsicht) in der Lage sind, eine Arbeit aufzunehmen. Der dritte Aspekt der Definition, nämlich die tatsächliche Suche nach einer Erwerbsarbeit, beinhaltet die wichtige Unterscheidung zwischen unfreiwilliger und frei­williger Arbeitslosigkeit. Unter freiwilliger Arbeitslosigkeit könnten als Beispiel etwa Vollzeit­studierende herangezogen werden. Dennoch sei in diesem Kontext auf die schwierige Be­griffsfestlegung von „Arbeit“ bzw. „Erwerbstätigkeit“ hingewiesen. Was gilt in unserer Gesellschaft als Arbeit? Als Beispiel ist etwa die vielfach missachtete und wenig anerkannte „Care-Arbeit“ (z.B. Kindererziehung oder Betreuung unterstützungsbedürftiger Angehöriger) zu erwähnen, die zwar nicht zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt, dafür nichtsdestotrotz einen enorme volkswirtschaftliche Bedeutung besitzt (vgl. Hediger 2016: 48). Weiters legt diese Abhandlung ihren Fokus auf langzeitarbeitsuchende Personen. Als langzeitarbeitssuchend gilt, wer mehr als 12 Monate keiner Erwerbsarbeit nachgegangen ist (vgl. Kroll u.a. 2016: 229). Zusammenfassend nutzt diese Arbeit die in der Wissenschaft gängige simplere Defini­tion, die durch die ILO-Definition ergänzt wird (vgl. Ludwig-Mayerhofer 2018: 157): Arbeitslo­sigkeit ist ein multidimensionales soziales Phänomen, innerhalb derer Individuen keiner ge­sellschaftlich anerkannten Erwerbstätigkeit nachgehen, aber dies gerne tun würden.

2.2. Individuelle Risikofaktoren

Welche individuellen Risikofaktoren einer Person erhöhen, empirisch betrachtet, die Wahr­scheinlichkeit arbeitssuchend zu werden bzw. welche Merkmalsgruppen sind besonders vul­nerabel? Ganz wichtig erscheint an dieser Stelle zwischen dem Risiko arbeitssuchend zu bleiben und dem Risiko arbeitssuchend zu werden, zu unterscheiden (vgl. Ludwig- Mayerhofer 2018: 164). Bestimmte soziodemographische bzw. sozioökonomische Faktoren erhöhen beide Risiken, wobei die im Nachfolgenden genannten Faktoren nicht isoliert be­trachtet werden können. Diese stehen vielmehr in einem mehrdimensionalen Prozess in ei­nem sich wechselseitig beeinflussenden Verhältnis. Ein erster großer individueller Risikofak­tor ist das Alter der Betroffenen, das besonders das Risiko bei aktueller Arbeitslosigkeit keine neue Beschäftigung zu finden, erhöht. Ab dem 50. Lebensjahr im speziellen nehmen die Wiederbeschäftigungschancen rapide ab (vgl. ebd.: 176). Am anderen Ende der Altersskala zeigen Untersuchungen, dass besonders Jugendliche und junge Erwachsene ebenso von Arbeitslosigkeit betroffen sind (vgl. Paul/ Moser 2017: 11). Ein weiterer gewichtiger Faktor ist der formale Bildungsgrad. 2011 etwa betrug die Arbeitslosigkeitsquote in Deutschland bei Personen mit hohen Bildungsressourcen 2,5% der erwerbsfähigen Bevölkerung, wohingegen sich diese Zahl bei Menschen mit geringem Bildungskapital auf 13,3% belief. Auffallend da­bei ist, dass seit Anfang der 1990er Jahre der Einfluss der Bildung auf das Risiko arbeitssu­chend zu werden, größer geworden ist (vgl. ebd.: 5). Diese Entwicklung muss auch engma­schig an das Problem der Bildungsungleichheit gekoppelt werden, die nicht nur auf österreichischer, sondern auch auf europäischer Ebene zum Tragen kommt. Das heißt nicht alle Personen haben gleiche Chancen auf einen hohen Bildungsabschluss und „erben“ damit ein erhöhtes Risiko arbeitslos zu werden, was im Besonderen bei struktureller Arbeitslosig­keit eine große Rolle spielt. Eng gekoppelt an die Dimension der Bildung ist demzufolge die Schichtzugehörigkeit bzw. der sozioökonomische Status eines Menschen, der große Auswir­kungen auf das Risiko arbeitssuchend zu werden bzw. es zu bleiben, hat. In unserer heuti­gen Arbeitswelt wird einem geringen sozioökonomischen Status etwas abwertend das Label „Geringqualifiziert“ zugeschrieben. Die Chancen auf einen stabilen Arbeitsplatz sind dabei im Vergleich zu Personen mit höherem Status geringer, d.h. es steigt die Wahrscheinlichkeit einer atypischen prekären Beschäftigung (Befristung, Leiharbeit, Zeitarbeit, (Schein- )Werkverträge) nachzugehen. Diese weisen eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür aus, ar­beitssuchend zu werden. Im Besonderen die ökonomische Globalisierung sowie der Stand­ortwettbewerb sorgen für den zahlenmäßigen Anstieg dieser unsicheren Jobs (vgl. Ludwig- Mayerhofer 2018: 174). Ein weiterer äußerst wichtiger Risikofaktor ist der ethnische Hinter­grund. Bereits ein vorhandener Migrationshintergrund sorgt allein für ein höheres Risiko der Arbeitslosigkeit (vgl. Paul/ Moser 2017: 5; Ludwig-Mayerhofer 2018: 176). Wenn zu diesem Faktor -in einem intersektionalen Sinne- noch geringer sozioökonomischer Status und/oder geringer formaler Bildungsgrad beitragen, erhöht sich dieses Risiko immer weiter. Die Ge­schlechtszugehörigkeit scheint dagegen keinen individuellen Risikofaktor (mehr) darzustel­len. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung in Deutschland haben sich die Ge­schlechtsunterscheide mittlerweile ausgeglichen (vgl. bpb 2015b zit. n. Paul/ Moser 2017: 5). Wird jedoch das Geschlecht etwas differenzierter betrachtet, zeigt sich ein erhöhtes Arbeits­losigkeitsrisiko für allein erziehende Frauen (vgl. Ludwig-Mayerhofer 2018: 177). Weiters erhöhen Phasen der Arbeitslosigkeit die Wahrscheinlichkeit später wieder arbeitssuchend zu werden (vgl. Paul/ Moser 2017: 9). Neben den Perioden der Arbeitslosigkeit übt vor allem die Dauer von Arbeitslosigkeit einen hohen Einfluss auf das Risiko arbeitssuchend zu bleiben aus! Damit betrifft dies im speziellen das Thema der Langzeitarbeitslosigkeit, die für Be­troffene ein enorm hohes Hindernis darstellt, wieder in den 1. Arbeitsmarkt einzusteigen (vgl. Schaufelberger 2013: 9). In Deutschland sorgte im Besonderen das Arbeitslosengeld II („Hartz 4“) für einen enormen Anstieg der Armut der Langzeitarbeitssuchenden (vgl. Ludwig- Mayerhofer 2018: 181).

2.3. Empirischer Überblick über Arbeitslosigkeit in Österreich

Im Folgenden soll nun kurz auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Österreich, unter be­sonderer Berücksichtigung der Covid-19 Pandemie, anhand grafischer Darstellungen einge­gangen werden. Abbildung 1 verweist auf die Entwicklung der Anzahl der Arbeitssuchenden in Österreich seit 2007 (also vor Beginn der globalen Finanzkrise). Die Covid-19 Pandemie führte im April 2020 zu einer Rekordarbeitslosigkeit von 571.477 Personen, was einer Quote von 12.8% entspricht. Wie anhand der Grafik abzulesen ist, bewirkte die Finanzkrise 2008/2009 im Vergleich zur Corona-Krise nur einen geringen Anstieg. Abbildung 2 verdeut­licht die Entwicklung, der für diese Abhandlung wichtige Thematik der Langzeitarbeitslosig­keit. In Relation zur ersten Grafik zeigt sich hier ein äußerst bedenklicher Trend. Galten im Dezember 2010 48.972 Personen als langzeitarbeitssuchend, so waren dies im Dezember 2016 129.862 Menschen. Nach einer kurzen Phase der Erholung pendelte sich die Zahl im Mai 2021 auf dem hohen Niveau von 144.850 Personen ein, das entspricht ca. 2,5% der erwerbsfähigen Bevölkerung (!). Wie die Zahlen verdeutlichen, hängt der Anstieg der Lang- zeitarbeitslosigkeit nicht nur mit der Covid-19 Pandemie zusammen. In Anbetracht der mehr- dimensionalen Herausforderungen von Langzeitarbeitslosigkeit -im speziellen für die Profes- sion der Sozialen Arbeit- werden neue Konzepte benötigt, um den zahlreich betroffenen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abschließend soll noch kurz auf die empirische Evidenz der Armutsrisikoquote eingegangen werden. Einem erhöhten Armutsrisiko sind Personen ausgesetzt, welche weniger als 60% des Medians des Nettoäquivalenzeinkommens verdienen. Mit Einführung der „Hartz-4“ Re­formen in Deutschland stieg die Armutsrisikoquote bei arbeitssuchenden Menschen von 49,6% im Jahr 2005 auf 58,7% im Jahr 2012, also ein Anstieg um ca. 9% in 7 Jahren (vgl. Kroll u.a. 2016: 229).

3. Die biopsychosozialen Folgen von Arbeitslosigkeit auf individu­eller Ebene

Nach diesen einführenden Beschreibungen der zentralen Charakteristika von Arbeitslosigkeit sollen in einem nächsten Schritt die individuellen biopsychosozialen Folgen des sozialen Phänomens „Arbeitslosigkeit“ dargestellt werden. Bevor auf die einzelnen Sphären einge­gangen wird, sollen erst einige grundsätzliche Vorüberlegungen angeführt werden. Aufgrund der Begrenztheit dieser Abschlussarbeit werden im Nachfolgenden die Konsequenzen von Arbeitslosigkeit für die/den Einzelne/n auf individueller Ebene dargestellt. Damit soll aber keinesfalls der Eindruck erweckt werden, dass die Folgen sich ausschließlich auf einen ein­zelnen Menschen beziehen. Die Auswirkungen vollziehen sich in einem mehrschichtigen Prozess auf mehreren Ebenen. Zum einen ist ein sogenannter Spillover-Effekt zu beobach­ten. Menschen sind immer in unterschiedliche Lebensbereiche eingebunden, d.h. Verände­rungen in einem Lebensbereich wirken sich auch immer auf andere aus (z.B. Lebensbereich „Arbeit“ auf Lebensbereich „Familie“ oder andersherum). Empirische Studien über das Phä­nomen der Arbeitslosigkeit missachten diesen Effekt nahezu komplett (vgl. Esche 2017: 20). In diesen Zusammenhang ist das Konzept der Linked Lives anzuführen. Wenn eine Person arbeitssuchend werden sollte, hat das nicht nur Auswirkungen für sie/ihn selbst, sondern auch für seine/ihre soziale Umwelt (reziproke Beeinflussung). Zum Beispiel geht der Verlust des Arbeitsplatzes mit einem signifikant höheren Trennungsrisiko einher und beeinträchtigt somit auch das subjektive Wohlbefinden der Partner*in (vgl. ebd.: 20f.). Weiters handelt es sich bei Arbeitslosigkeit um einen gesellschaftlichen Mehrebenenprozess, d.h. makrostruktu­relle Gegebenheiten wirken sich auf die Ausgestaltung der individuellen Folgen für arbeits­suchende Menschen aus (vgl. ebd.: 21). Hier könnten unzählige Beispiele entlang der mas­senmedialen, politischen oder alltäglichen Stigmatisierungen von Arbeitslosigkeit angeführt werden, die eben nicht nur das Merkmal „Arbeitslosigkeit“ bei einer Person thematisieren, sondern damit ein holistisch negativ konnotiertes Menschenbild entwerfen (z.B. der Vorwurf, dass alle arbeitssuchenden Menschen faul seien).

Werden nun die Auswirkungen auf individueller Ebene betrachtet, müssen erst die Funktio­nen von „Arbeit“ in unserer westlichen Gesellschaft beschrieben werden: Arbeit ist eine Quel­le für Einkommen, Status und Anerkennung, bürgerschaftliche Integration und soziale Absi­cherung (vgl. Schweiger 2011: 298). All diese Aspekte geraten bei Eintritt in die Arbeitslosigkeit für die Betroffenen in Gefahr oder verschwinden gänzlich. Die Folgen für arbeitssuchende Menschen sind dabei nicht für alle Personen gleich und werden durch zahl­reiche Moderatoren beeinflusst, die die Auswirkungen abschwächen können3. Neben den demographischen Aspekten wie Alter, Geschlecht oder Bildungsstatus4, gibt es vor allem erwerbsbezogene Moderatoren, die die mehrdimensionalen Konsequenzen abmildern kön­nen: Das sind zum einen die Zufriedenheit mit der letzten Arbeitsstelle, die Work-Life Balan­ce der vorherigen Betätigung, der Grund der Arbeitslosigkeit, die Chance auf eine Wieder­einstellung sowie die eigenen Intention, wieder eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu wollen (vgl. Esche 2017: 90f.). Zudem zeigte sich bei arbeitssuchenden Personen, bei denen viele Menschen im eigenen Umfeld von Arbeitslosigkeit betroffen sind (z.B. bei regionaler Arbeits­losigkeit), dass die individuellen Folgen weniger gravierend ausfielen (vgl. ebd.: 106)

Die unmittelbarste Folge von Arbeitslosigkeit ist zunächst der materielle Einkommensverlust. Damit erhöht sich die Gefahr (v.a. bei unzureichendem ökonomischen Grundkapital) in Ar­mut zu geraten. Neben diesen manifesten Konsequenzen hat Arbeitslosigkeit auf individuel­ler Ebene vor allem biopsychosoziale Konsequenzen, die in den nachfolgenden Unterkapi­teln anhand des biopsychosozialen Modells5 dargestellt werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 (Freie Universität Berlin o.J., Internetquelle 3)

Somit dürfen die Folgen auf den/die Einzelne/n in den in der Grafik dargestellten Ebenen nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssen in einem sich kontinuierlich wechselseitig beeinflussenden Verhältnis verstanden werden. „Arbeitslosigkeit“ wäre in diesem Fall die Störung des individuellen Lebensverlaufs, die Gefahren für alle drei Teilbereiche birgt. Als Beispiel: Wenn eine Person arbeitssuchend werden sollte, bedeutet dies eine Verschlechte­rung des sozioökonomischen Status (Soziale Wirkfaktoren) und löst damit Angstzustände aus, welche pathologisch in einer Depression münden können (Psychologische Wirkfakto­ren). Diese wiederum kann bei Langzeitarbeitslosigkeit zur sozialen Isolation führen (soziale Wirkfaktoren) und psychosomatische Auswirkungen, wie etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben (Biologische Wirkfaktoren). Diese ineinander verwobenen sich gegenseitig bedingen­den Funktionsweisen stellen ein wichtiges Grundverständnis dar.

Nun sollen zunächst die physisch-gesundheitlichen Folgen der Arbeitslosigkeit dargestellt werden.

[...]


1 In dieser Arbeit wird anstatt des mehrfach stigmatisierten Adjektivs „arbeitslos“ das positiv konnotierte „arbeitssuchend“ ver­wendet. Damit soll entgegen der oftmals diskriminierend verwendeten Zuschreibung arbeitssuchender Menschen positiv entge­gengewirkt werden.

2 Die Begriffe „Erwerbslosigkeit“ und „Arbeitslosigkeit“ werden zur Vereinfachung in dieser Arbeit synonym verwendet. Dem Autor ist jedoch bewusst, dass beide Termini teilweise sehr unterschiedlich definiert werden.

3 Siehe dazu auch Kapitel 2.2. „Individuelle Risikofaktoren“

4 Beispiel: Je höher der Bildungsstatus, desto geringer sind die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit (vgl. Esche 2017: 91).

5 Wie es in der Sozialen Arbeit als ganzheitlicher Ansatz angewendet wird.

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Details

Title
Die sozialpsychologischen Folgen von Arbeitslosigkeit und deren Bedeutung für die Soziale Arbeit
College
Fachhochschule Salzburg  (Fachbereich Soziale Arbeit)
Grade
1,0
Author
Year
2021
Pages
33
Catalog Number
V1159573
ISBN (eBook)
9783346556271
ISBN (Book)
9783346556288
Language
German
Keywords
Arbeitslosigkeit, Sozialstaat, Wohlfahrtsstaat, Soziale Arbeit, Arbeitsmarkt, Langzeitarbeitslosigkeit, Stigma, Sozialpolitik, Soziale Ungleichheit, soziale Integration
Quote paper
MA Tobias Glatz (Author), 2021, Die sozialpsychologischen Folgen von Arbeitslosigkeit und deren Bedeutung für die Soziale Arbeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1159573

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