Leseprobe
Gliederung
A. Einleitung
I. Problemstellung
II. Gang der Untersuchung
B. Grundlagen und Entwicklung der Cum-Cum und Cum-Ex-Geschäfte
I. Cum-Ex-Geschäfte mit Leerverkauf
II. Cum-Cum-Geschäfte
III. Entwicklung der Rechtslage der Cum-Ex-Geschäfte
1. Rechtslage vordem 19.12.2006
2. Rechtslage vom 19.12.2006 bis zum 31.12.2011
3. Rechtslage ab dem 1.1.2012
IV. Entwicklung der Rechtslage der Cum-Cum-Geschäfte
C. Materiell - rechtliche Einordnung der Cum-Cum und Cum-Ex-Geschäfte
I. Anrechnung der Kapitalertragssteuer
II. Erzielen von Einkünften aus Kapitalvermögen
1. Grundsätzliche Zuordnung der Kapitalerträge
2. Zivilrechtlicher Eigentumsübergang bei Cum-Ex-Geschäften
3. Wirtschaftlicher Eigentumsübergang nach dem Gesetzeswortlaut
4. Wirtschaftlicher Eigentumsübergang bei Cum-Ex-Geschäften
a) Ansichten der Rechtssprechung
aa) BFH - Grundsatzurteil vom 15.12.1999
bb) BFH - Urteil vom 16.04.2014
cc) Urteil - FG Hessen vom 10.02.2016
b) Ansichten in der Literatur
aa) Übergang des wirtschaftlichen Eigentums bejahende Sichtweise
bb) Übergang des wirtschaftlichen Eigentums verneinende Sichtweise...15 cc) Auslegung des § 39 AO
dd) Stellungnahme
c) Einführung§20Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG
5. Wirtschaftlicher Eigentumsübergang bei Cum-Cum-Geschäften
a) Ansicht des Finanzgerichts - Urteil FG Hessen vom 28.1.2020
b) Ansichten des BMF
aa) BMF-Schreiben 9. Juli2021 (11.11.2016)
bb) BMF - Schreiben 9. Juli 2021 (17.07.2017)
c) Gesamtwürdigung von Rechtssprechung und Finanzverwaltung angewand ten Kriterien und Ansichten
D. Fazit
LITERATURVERZEICHNIS
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Einleitung
I. Problemstellung
In der Öffentlichkeit fallen seit Jahren Ausdrücke wie „Raub“, „Betrug“ oder „Skandal“ in Bezug auf Steuerzahlungen. Die Überschriften der Medienberichte lauten beispielsweise: „Macht und Machenschaften: Cum-Ex - Der Milliarden-Steuerskandal“1, „Der größte Steuerraub in der deutschen Geschichte“.2
Diese Artikel behandeln die sogenannten Cum-Ex und Cum-Cum- Geschäfte. Diese sind Aktientransaktionen rund um den Dividendenstichtag.3 Die Beteiligten in derartigen Geschäften bezweckten steuerliche Vorteile durch die Ersparnis beziehungsweise durch die mehrfache Erstattung der Kapitalertragsteuer zu erlangen.4 Von 2001 bis 2016 wurde der deutsche Staat mit diesen Geschäften um Milliardensummen betrogen. Der Steuerschaden durch das klassische Cum- Ex-Geschäft beträgt mindestens 10 Milliarden Euro und der Schaden der Cum-Cum-Geschäfte um weitere 20 Milliarden Euro.5
Die nicht abreißende Medienpräsenz sowie Diskussionen in der Fachliteratur, Politik und Rechtssprechung zeigen die Aktualität der steuerlichen Beurteilung dieserTransaktionen.
Da es bei den Geschäften zu einer mehrfachen Anrechnung bzw. Erstattung oder Ersparnis der Kapitalertragssteuer kam, ist Kernstreitpunkt die Möglichkeit der Anrechnung der Kapitalertragssteuer auf die Einkommenssteuer und somit die Voraussetzungen des
§ 36 Abs. 2 S. 2 EStG. Die wichtigste Voraussetzung für die Anrechnung der erhobenen Steuer ist, dass demjenigen der die Steueranrechnung begehrt der Steuerabzug auf die Einkünfte nach
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zuzurechnen ist, also mithin die maßgebliche Position des wirtschaftlichen Eigentums im Steuerrecht.
Die BFH-Rechtssprechungen, Literatur und Finanzverwaltung legen ein unterschiedliches Verständnis hinsichtlich der Frage des Über- gangs des wirtschaftlichen Eigentums und somit der Erfüllung der Anrechnungsvoraussetzungen bei den Cum-Cum und Cum-Ex-Ge- schäften zugrunde.
Aus diesem Grund beschäftigt sich die Arbeit mit der grundlegenden Frage, ob das wirtschaftliche Eigentum gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO bei diesen Geschäften auf den Erwerber übergeht und er somit zur Anrechnung der Kapitalertragssteuer berechtigt ist.
II. Gang der Untersuchung
Diese Arbeit wird sich nur auf die steuerrechtlichen Aspekte dieser Geschäfte beziehen. Die steuerstrafrechtlichen Aspekte bleiben aus. Zudem werden die beiden Geschäfte aufgrund ihrer unterschiedlichen Ausgestaltung und Anreize getrennt behandelt. Weiterhin wird sich die Arbeit im Hinblick auf die Anrechnung der Kapitalertragssteuer nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 EStG nur auf die erste Voraussetzung dieser Norm konzentrieren.
Ein erstes Anliegen der Arbeit ist die Darstellung der Funktionsweise und die Genese der Rechtslage dieser Geschäfte. Dabei wird sich diese Arbeit im Bezug auf die Cum-Ex-Geschäfte nur auf die relevanten Leerverkäufe und im Hinblick auf die Cum-Cum-Geschäfte ausschließlich auf die Wertpapierleihe konzentrieren.
Vor dem Hintergrund der Anrechnung bzw. Erstattung der Kapitalertragssteuer wird im nächsten Schritt der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf den Erwerber mithilfe unterschiedlicher Ansichten untersucht. Dabei beziehen sich die Untersuchungen bei Cum- Ex-Geschäfte auf die Jahre bis 2012 und bei Cum-Cum-Geschäfte bis 2016.
Abschließend wird ein Fazit anhand der Erkenntnisse dieser Arbeit entwickelt.
B. Grundlagen und Entwicklung der Cum-Cum und Cum-Ex-Ge- schäfte
I. Cum-Ex-Geschäfte mit Leerverkauf
Der Begriff des Leerverkaufs meint den Verkauf von Wertpapieren an der Börse, insbesondere Aktien, bei dem der Verkäufer zum Zeitpunkt des Verkaufs noch gar nicht Eigentümer der verkauften Wertpapiere ist.6
Bei Cum-Ex-Geschäften mit Leerverkauf steht zwischen dem Aktieninhaber und dem Erwerber der Leerverkäufer als Dritte Person. Der Leerverkäufer verkauft dem Erwerber Aktien am Tag vor dem Gewinnausschüttungsbeschluss „Cum“ einschließlich dem Dividendenanspruch, ohne sie jedoch zu besitzen.7 Um seine Kaufvertragsverpflichtung zu erfüllen, muss er die Aktien nach dem Dividendenstichtag noch erwerben.8 Der Leerverkäufer verpflichtet sich dabei, dem Käufer die Aktien mit Dividendenanspruch zu einem festgesetzten Datum in der Zukunft zu transferieren „Cum“ Dividende.9
Die Wertpapiere befinden sich zum Dividendenstichtag im Eigentum eines Dritten. Der Dritte, also der Aktieninhaber hat einen Anspruch auf Dividendenzahlung und erhält diese auch mit der entsprechenden Steuerbescheinigung nach § 45a Abs. 3 EStG.10 Der Dritte, der die Aktien an den Leerverkäufer verkauft, bleibt rechtlich noch Eigentümer dieser, als der Leerverkäufer sein Verkaufsgeschäft abschließt. Somit besteht bezüglich seines Depots auch kein Sperrvermerk, ebenso wenig wie beim Leerverkäufer, da bei Abschluss dessen Vertrages mit dem Leerkäufer sich die Aktien noch nicht in seinem Depot befanden.11 Dem Dritten, der die Aktien später an den Leerverkäufer veräußert, wird auch von seiner Depotbank die Dividende noch gutgeschrieben und er erhält eine entsprechende Kapitalertragssteuerbescheinigung.12 Der Leerverkäufer erwirbt die Aktien nach dem Dividendenstichtag „ex Dividende“ vom Aktieninhaber ohne Dividendenanspruch.13
Da der Leerverkäufer dem Leerkäufer vertraglich jedoch die Aktien mit Dividendenanspruch schuldet, aber nur Aktien ohne Dividenden liefern kann, steht dem Leerkäufer eine Schadenersatzleistung in Form der Dividendenkompensationszahlung in Höhe der Nettodividende zu.14 Bis 2007 wurde auf Kompensationszahlungen keine Kapitalertragsteuer erhoben, jedoch beantragte auch der Leerkäufer eine Erstattung.15 Bezüglich der Differenz erhielt der Leerkäufer von seinem Kreditinstitut eine Kapitalertragssteuerbescheinigung, da die Bank wegen Informationsdefiziten von der Anteilseignerschaft ausging.16
Im Ergebnis haben der Aktieninhaber als auch der Leerkäufer einen Anspruch auf Anrechnung bzw. Erstattung der Kapitalertragssteuer, obwohl die Kapitalertragssteuer lediglich einmal einbehalten und abgeführt wurde.17
II. Cum-Cum-Geschäfte
Die Ursache dieser Geschäfte ist die Ungleichbehandlung von beschränkt- und unbeschränkt Steuerpflichtigen.18 Während ein Steuerinländer sich die Einkünfte auf seine Steuer anrechnen lassen konnte, hatte die Kapitalertragssteuer für den Steuerausländer eine abgeltende Wirkung.19 Aus diesem Grund versucht ein ausländischer Steuerpflichtiger durch die Cum-Cum-Gestaltungen der Definitivbelastung von Kapitalertragsteuer gemäß § 50 Abs. 2 S. 1 EStG, § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG zu entgehen20 und somit von der Steuervergünstigung zu profitieren.
Bei diesen Geschäften übertragen nicht-erstattungsberechtigte, im Ausland ansässige Aktieninhaber ihre Aktien eines inländischen Emittenten kurz vor dem Dividendenstichtag an einen zur vollen Anrechnung der Kapitalertragssteuer berechtigten deutschen Kreditinstitut.21 Dieser Erwerber ist entweder gemäß § 8b Abs. 1 KStG von der Kapitalertragsteuer befreit oder kann sich diese gemäß
§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 20 Abs. 1 S. 1 EStG anrechnen lassen.22 Der Veräußerer hätte von diesen steuerlichen Vorteilen im Falle des Dividendenzuflusses nicht profitieren können. Die Vereinbarung hinsichtlich der Übertragung der Aktie, nämlich das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft, erfolgt vor dem Dividendenstichtag mit Dividendenanspruch, also cum Dividende.23
[...]
1 Macht und Machenschaften: Cum-Ex - Der Milliarden-Steuerskandal (https://ww- w.dw.com/de/macht-und-machenschaften-cum-ex-der-milliarden-steuerskandal/av- 55419891, abgerufen am 19.09.2021).
2 Ackermann, Dergrößte Steuerraub in der deutschen Geschichte, (https://www.- zeit.de/2017/24/cum-ex-steuerbetrug-steuererstattungen-ermittlungen?utm_refer- rer=https%3A%2F%2Fwww.google.com, abgerufen am 19.09.2021).
3 Gosch AO/ FGO/ Fu, § 39 AO, Rn. 103.
4 Spatscheck; Spilker/ DB 2016, 2920 (2920).
5 Wie das verwirrspiel mit Aktien funktioniert, (https://www.deutschlandfunk.de/cum-ex-geschaefte-wie-das-verwirrspiel-mit-akti- en.2897.de.html?dram:article_id=494671, abgerufen am 19.09.2021).
6 Schindler; Hindelang, Praxishandbuch Repos und Wertpapierdarlehen, S. 68.
7 Knigge; Wittig/ ZWH 2019, 37 (40); Gehm/ Kriminalistik2019, 449 (450).
8 Gehm/ Kriminalistik.2019, 449 (450).
9 Florstedt/ NZG 2017, 601 (603).
10 Westermann, Zivilrechtliche Folgen steuerlicher Rechtsirrtümer bei Cum-/Ex- Geschäften, S. 32; Müller/ StB 2015, 352 (353).
11 Westermann, Zivilrechtliche Folgen steuerlicher Rechtsirrtümer bei Cum-/Ex- Geschäften, S. 32.
12 Westermann, Zivilrechtliche Folgen steuerlicher Rechtsirrtümer bei Cum-/Ex- Geschäften, S. 32.
13 Florstedt/ NZG 2017, 601 (603).
14 Blümich/ Jachmann-Michel, § 43 EStG, Rn. 58.
15 Florstedt/ NZG 2017, 601 (603).
16 LG Bonn v. 18.03.2020 - 62 KLs-213 Js41/19 -1/19, Rn.33; Jehke; Blank/ DStR 2017, 905 (906).
17 Knigge; Wittig/ ZWH 2019, 37 (38); Moritz; Strohm, Besteuerung privater Kapitalanlagen, 2. Tatbestand der Kapitalertragsteuer, Rn. 15.
18 Jensch; Rüdiger/ RdF2016, 319 (319).
19 Altvater; Buchholz/ RdF2016, 132 (133).
20 Knigge; Wittig/ ZHW2019, 37 (38).
21 LG Bonn v. 18.03.2020 - 62 KLs -213 Js 41/19 - 1/19, Rn. 20; BeckOK AO/ Hennigfeld, § 42 AO, Rn. 372, 376.
22 Helios; Lenz/ DB 2017, 1738 (1738).
23 Knigge; Wittig/ ZWH 2019, 37 (40); Scheidt/ BRJ 2019, 26 (27).
- Arbeit zitieren
- Gizem Sen (Autor:in), 2021, Rechtssystematische Grundlagen sogenannter Cum-Cum und Cum-Ex-Geschäfte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1162317
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