Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
1) Einleitung (G.S.)
2) Theoretischer Teil 5
2.1 Von den Anfängen schulischer Entwicklung bis hin zur Gemeinschaftsschule (G.S.)
2.2 Prinzipien von Gemeinschaftsschulen (D.K. u. G.S.)
2.2.1 Begriffsdefmitionen
a) Arbeit/ Arbeitsaufwand (D.K.)
b) Leistungsdifferenzierung (D.K.)
2.2.2 Offener Unterricht als ein möglicher Lösungsansatz (G.S.)
3) Forschung
3.1 Aktueller Forschungsstand (G.S.)
3.2 Einführung in die Forschung (D.K.)
3.2.1 Hypothesen (D.K. u. G.S.)
3.3 Vorstellung und Begründung der angewandten Forschungsmethoden (D.K.)
3.3.1 Leitfragengeleitetes Interview (D.K.)
3.3.1.1 Instrument zur Erhebung von Arbeitsaufwand/-zeit (G.S.)
3.4 Pre-Test (D.K. u. G.S.)
3.4.1 Mögliche Auswertungsmethode (G.S.)
3.4.2 Auswertung (D.K. u. G.S.)
4) Fazit/ Schlussfolgerung (D.K.)
5) Anhang
5.1 Leitfragengeleitetes Interview (verbessert auf Basis der Pre-Test-Auswertung)
5.2 Leitfragengeleitetes Interview (ursprüngliche Version)
5.3 Instrument zur Erhebung von Arbeitsaufwand/ -zeit
7) Quellenverzeichnis
1 Einleitung
Heterogenität ist das Stichwort, über welches in der aktuellen Bildungsreform mehr denn je gesprochen wird. Grund hierfür ist die Einführung der Gemeinschaftsschule und dadurch eine Anpassung der Schulreform an gesamtgesellschaftliche Veränderungen. Die Gemeinschaftsschule möchte jede/n Schülerin und Schüler gezielt fördern, wobei wiederum ein grundlegendes Verständnis von Heterogenität und neuer Lehr-/ Lernumgebungen Voraussetzung ist. Die Lehrerinnen und Lehrer stehen hierdurch neuen Herausforderungen gegenüber. Neue, andere Unterrichtskonzepte sollen umgesetzt werden. Im Rahmen eines „offenen Unterrichts“ beispielsweise und basierend auf dem Prinzip der Differenzierung sollen letztlich mehr Schüler erreicht werden. Jedem Schüler soll also die Möglichkeit gegeben sein, etwas zu finden, was seinem individuellen Leistungsniveau entspricht.
Nun liegt es nahe, sich die Frage zu stellen, inwiefern sich dadurch etwaige Unterrichtsvor-/nachbereitungen für Lehrerinnen und Lehrer verändern oder ob beispielsweise eine Mehrbelastung (oder das Gegenteil) im Hinblick auf den zeitlichen Umfang entsteht, welche Lehrekräfte für ihren Beruf aufbringen müssen.
Mit Hilfe der Forschungsfrage: „Inwiefern erfordert Leistungsdifferenzierung einen höheren Arbeitsaufwand für Lehrerinnen und Lehrer an Gemeinschaftsschulen“? wird im Rahmen des Seminars „Von der Volksschule zur Gemeinschaftsschule“ ein Forschungsdesign entwickelt, das ermöglichen soll, die vorliegende Thematik zu untersuchen.
Einleitend wird zunächst die Entwicklung der Gemeinschaftsschule aus dem Urkonzept, der Volksschule, wissenschaftlich erläutert, worauf im Anschluss wichtige begriffliche Klärungen vorgenommen werden. Fortführend wird das zur Forschungsfrage entwickelte Erhebungsinstrument vorgestellt und eine Begründung der gewählten Forschungsmethode erläutert. Ein Ausblick auf die mögliche Auswertung der Daten mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring wird anschließend charakterisiert. Des Weiteren werden in dieser Seminararbeit Bezüge zu zwei weiteren erziehungswissenschaftlichen Vorlesungen sowie dem Forschungskolloquium genommen. Einerseits werden dabei Verknüpfungen zu der
Modul 3 Vorlesung „Forschung zu Migration und Schule“ und andererseits zu dem Seminar „Offener Unterricht unter der Lupe“ hergestellt.
Letztlich wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit das Forschungsvorhaben lediglich vorgestellt, wobei eine Durchführung sowie die Auswertung der Untersuchung wiederum nicht Teil dieser Arbeit sind.
2 Theoretischer Teil
2.1 Von den Anfängen schulischer Entwicklung, bis hin zur Gemeinschaftsschule
Die Entwicklung der deutschen Schulen prägt eine lange Geschichte. Seit Beginn des 16. Jahrhunderts unterliegt sie einem ständigen Wandel und selbst heute, im 21. Jahrhundert ist das Schulkonzept nicht ausgereift und erfährt ständige Änderungen und Anpassungen. Gleichzeitig drängt sich die Frage auf, ob ein Schulkonzept unter fortführend wandelnder Gesellschaft je ausgereift sein kann, oder ob es das „eine“ Schulkonzept, welches eine Lösung für alles darstellt, überhaupt gibt.
Im 16. Jahrhundert war Schule zunächst ein Arbeitsfeld von kirchlichen Institutionen. Der Unterricht wurde von Priestern und Pfarrern vollzogen.1 Hierdurch war Bildung stark durch den kirchlichen Einfluss geprägt. Außerdem war diese nicht selbstverständlich: Zeitweise war sie nur für „höhere“ Schichten (Adel, wohlhabende Familien), da nur diese sich die Schule leisten konnte und darüber hinaus auch jeder selbst für das „Schulgeld“ aufkommen musste.2 „Im Zeitraum von ca. 1820 bis 1870 kamen Gemeindeverwaltungen, Grund- und Gutsherrn, sowie Kirchen zunehmend für Schulen und Lehrerbesoldung auf, schickten Eltern ihre Kinder zur Schule, brachte der Staat eine Lehrerausbildung als Voraussetzung dafür in Gang, dass Unterricht überhaupt in institutionell geregelten Formen stattfinden konnte“.3 Innerhalb des 19. Jahrhunderts fand eine Systematisierung in der Schulbildung statt: Lehrer wurden nichtmehr von der Kirche gestellt, sondern vom Staat. Diese wurden speziell dafür ausgebildet. Somit stellte das Lehren der Kinder erstmals eine Profession dar und wurde (durch die spezielle Ausbildung) als eine Wissenschaft verstanden, welche grundlegend hinterfragt wurde. Man versuchte also Theorien aufzustellen, wie Lernen und Lehren funktioniert und wie diese in der Praxis anzuwenden sind.
Aufgrund der stark ökonomischen Entwicklung im 19. Jahrhundert wurden sämtliche Schulsysteme, bspw. die Lateinschule, deutsche Schule, Stadtschule, Rathsschule, Armenschule zu zwei Grundtypen zusammengefasst. „Der eine umfasst die neuentstandene Bürger-, Mittel-, und Oberschule sowie die verschiedenen Arten von Töchterschulen beziehungsweise Mädchenbildungsanstalten und das Gymnasium“.4 Hierfür hat sich die Bezeichnung „höheres bzw. mittleres Schulsystem“ eingebürgert. Alle anderen Schulen wurden unter dem Begriff der „Volksschule“ zusammengefasst. Sie war die erste Schule, welche „eine ganz allgemeine, für alle Staatsbürger ohne Unterschied des Standes oder Berufes [,..]“5 darstellte. Da die anderen derzeit vorhandenen Schulsysteme als „mittleres“ bzw. „höheres“ Bildungssystem bezeichnet wurden, erhielt die Volksschule die Bezeichnung der „niederen“ allgemeinbildenden Schule. Die vorherige Separation der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler durch Geschlecht, oder etwaigem finanziellem Stand gab es nichtmehr. Des Weiteren gab es am 2.3.1886 erstmals eine Schulpflicht6. Die Volksschule galt hierbei als „Mindeststandart“ welche von jedermann besucht werden sollte. Sie verfolgte bestimmte Prinzipien: Sie musste öffentlich und obligatorisch sein, auf der Muttersprache beruhen und „eine allgemein grundlegende Bildung vermitteln“.7 Ein letztes Merkmal der Volksschule galt der „Unentgeltlichkeit des Unterrichtes“, was sie kostenfrei machte und somit erstmals Bildung für jeden zugänglich machte.
Die Volksschule galt etwa 90 Jahre als Basis für Grundbildung, nachdem sie zwischen 1965-1975 von der Hauptschule abgelöst worden ist. Grund hierfür waren neue Bildungsreformen, welche folglich einer zeitgemäßen Schulstruktur eingeführt wurden.8 Die sogenannte „Hauptschule“ sollte von der Mehrzahl der Heranwachsenden besucht werden und entstand häufig durch Zusammenlegen vieler kleiner Volksschuloberstufen einer Region.9 Die Lehrpläne wurden wissenschaftlicher ausgerichtet und beispielsweise Physik, Chemie, Biologie statt Naturkunde und Naturlehre und Mathematik statt Rechnen unterrichtet. Zusätzlich war es verpflichtend eine Fremdsprache (meist Englisch) zu erlernen, sowie dass der Fachunterricht von wissenschaftlich ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern abgehalten wird. Außerdem sollte man der Verschiedenheit von Schülerinnen und Schüler durch Differenzierung des Lernangebotes gerecht werden10. Aus den Volksschulen entwickelten sich also einige Hauptschulen, welche auf dem Hintergrund der langen Schulgeschichte ein immer durchdachteres und stärker reflektiertes Schulcurriculum bildete. Erstmals spielt hier auch das Prinzip der Verschiedenheit, die sogenannte Heterogenität, der Schülerinnen und Schüler eine Rolle, indem Differenzierung nach unterschiedlichem Lernstand vorgenommen wurde. Innerhalb der Pflichtschulzeit von 4 Jahren Hauptschule bestand anschließend freiwillig die Option, mit einem Hauptschulabschluss die Realschule ein weiteres Jahr zu besuchen11, was bis heute immer noch existiert. Um die Hauptschule von den anderen beiden Sekundarschulen, der Realschule und dem Gymnasium abzugrenzen, wurde das Fach „Arbeitslehre“12 eingeführt. Es sollte den Schülerinnen und Schülern eine Vorbereitung für das eventuell (sofern keine schulische Weiterbildung vorgenommen wurde) kommende Berufsleben ermöglichen. Hierfür bekamen die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, einen Blick in Betriebe und Unternehmen zu werfen. Dies war damals nicht im Bildungsplan der Realschule oder des Gymnasiums integriert und daher erhoffte man sich großes Interesse. „Die hohen Erwartungen, die bei der Einführung mit der Hauptschule verbunden waren, ließen sich nicht lange erhalten“.'*13 Grund hierfür waren die steigende Arbeitslosigkeit, variable Berufschancen und höheres Einkommen, welche Eltern dazu drängten ihre Schülerinnen und Schüler auf „höhere“ Bildungswege zu schicken.
„Die Hauptschulen änderten sich deshalb bereits wenige Jahre nach ihrer Einführung d.h. ab Mitte der 1970er Jahre entscheidend“14. Nach Rückgang der Schülerzahlen und zunehmend negativer Kritik (Überwiegend Schülerinnen und Schüler mit psychosozialen Problemen, Verhaltens- und Lernproblemen und hohem Migrationsanteil, ,..15 16 ) stand die Hauptschule immer mehr im Hintergrund. Die Zeit formulierte 2004 in einem ihrer Artikel über die Hauptschule als ein: „Sammelbecken für Schüler aus schwierigen sozialen Verhältnissen und bildungsfernen Familien, als letzter Hort für Migrantenkinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse, als Endstation für Schüler mit negativen Schulkarrieren und Disziplinproblemen".'*6
Neben den in den Medien hauptsächlich gezeigten städtischen Brennpunktschulen gibt es auch Hauptschulen, an denen das Lernkonzept aufgeht. Hier gilt die Hauptschule als Bildungsaufsteiger, welche gute bis sehr gute Noten, vor allem von
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Kindern aus Migrantenfamilien17, impliziert. Dabei prägt die Hauptschule einerseits ihre wichtige Funktion als berufsvorbereitende Schule, andererseits bildet sie den Grundstock für etwaige fortführende Bildungen mit dem Abschluss der mittleren Reife oder des Abiturs.
Herr Werner Wiater fordert in seinem Kapitel „die Hauptschule“ im Handbuch Erziehungswissenschaft, herausgegeben von Gerhard Mertens u.a. im Jahre 2006, Experten, die für die Überwindung psychosozialer Beeinträchtigungen der Schülerinnen und Schüler verantwortlich sind und dabei in enger Kooperation mit Lehrerinnen und Lehrern, sowie der Schule stehen18. Da in der Hauptschule vermehrt Schülerinnen und Schüler mit psychischen Beeinträchtigungen lernen, soll dies schließlich als Chance und nicht als Belastung für die Schülerinnen und Schüler gesehen werden. Dadurch, so stelle er sich die Zukunft im Jahre 2006 vor, sollen Lernversager und Klassenwiederholer deutlich verringert werden.
Gegenwärtig steht in der schulischen Entwicklung erneut eine große Veränderung an, welche sich teilweise den Forderungen von Werner Wiater entgegenstellt, nämlich die Einführung einer „neuen“ Schulform, die den Namen Gemeinschaftsschule trägt. Seit dem Schuljahr 2012/13 mittlerweile 29919 Württemberg.
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Abb. 1: Übergänge von Grundschulen in Baden-Württemberg auf weiterführende Schulen seit 1990/91 (Bild auf der letzten Seite größer angezeigt)
Sie soll der (sinkenden Zahl an Hauptschulen Abb. 1) sowie der allgemein abnehmenden Zahl an Hauptschule, nach Ablösung der Volksschule, vollzogen hat, nämlich dass mehrere kleine Schulen (vor allem in ländlichen Gebieten) zu einer großen, neuen Schule vereint werden.
Hauptsächlicher Beweggrund hierfür ist die sich im Wandel befindende Gesellschaft. In vielen Familien müssen beide Elternteile arbeiten, um ihr alltägliches Leben bewältigen zu können.
Auch der demografische Wandel17 spielt eine wichtige Rolle. „Eine immer älter werdende Gesellschaft und ein gerade in den jüngeren Altersgruppen weiter zunehmender Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund stellen das Bildungssystem gegenwärtig und stärker noch in Zukunft vor andere Herausforderungen, als es noch vor 25 Jahren der Fall war.18 Zudem steht seit dem „PISA - Schock“ das dreigliedrige Schulsystem (Hauptschule, Realschule, Gymnasium) grundsätzlich in Frage.
Die Forderung nach einer Anpassung der Schule stieg daher stetig. Als Antwort folgt die Gemeinschaftsschule. Das neue Ganztageskonzept19 antwortet dabei auf den demografischen Wandel und bietet Familien die Möglichkeit, ihre Kinder unter der Woche von morgens bis nachmittags in der Schule, unter pädagogischer Betreuung der Lehrkräfte, unterzubringen. Außerdem gibt es erstmals die Chance für die Kinder einen Hauptschulabschluss, Realschlussabschluss oder das Abitur an einer Schule zu absolvieren.
Das Ministerium für Jugend, Kultus und Sport präsentiert auf dessen Homepage einige Eigenschaften, die die Gemeinschaftsschule zusätzlich zu bereits Genanntem so besonders macht:
- nimmt alle Kinder so an, wie sie sind
- sorgt für Erfolgserlebnisse der Kinder und Jugendlichen und stärkt damit die Lernfreude
- zeichnet sich durch eine enge Beziehung zwischen den Schülerinnen und Schülern, den Eltern und Lehrerinnen und Lehrern aus
- stärkt die Kinder und entlastet die Familien20
Es wird deutlich, dass jedes einzelne Kind sehr stark individuell gefördert werden soll. Zudem soll eine enge Beziehung zwischen Schule und Familie für Lernerfolge sorgen. Heterogenität und Individualität bilden hierbei eine Basis, auf der Gemeinschaftsschulen aufbauen. Die beiden Begriffe sollen im Folgenden sukzessive betrachtet werden:
Heterogenität wird im Duden als „Verschiedenartigkeit, Ungleichartigkeit, Uneinheitlichkeit im Aufbau, in der Zusammensetzung“21 definiert und kann aus dem griechischen abgeleitet werden (héteros = anders/ verschieden; génos = Klasse/ Art). Im schulischen Kontext, welcher hier fokussiert wird, kann Heterogenität auf vielen verschiedenen Ebenen wiedergefunden werden. Allein durch die bisherige Separierung der Schülerinnen und Schüler in verschiedene Schulstufen (Hauptschule, Werkrealschule, Realschule und Gymnasium) wird versucht, nach Leistung zu unterscheiden und dadurch eine eventuelle Vereinfachung des Lehr-/Lernangebotes sowohl für Schülerinnen und Schüler, wie auch für Lehrerinnen und Lehrer, herzustellen. Wenn man allerdings ein Klassenzimmer allein betrachtet, so findet man innerhalb dieser Zusammensetzung ein großes Feld von Heterogenität und es wird deutlich, was dieser Begriff meint. Schülerinnen und Schüler verschiedenen Geschlechtes, Alters, körperlichen Merkmalen, psychischer Eigenschaften und unterschiedlicher kultureller Hintergründe lernen hier gemeinsam. Heterogenität repräsentiert viele verschiedene Diskurse und stellt daher ein vielschichtiger Begriff22 dar.
„Homogenität“, welches das Gegenteil der Heterogenität darstellt, gilt als Gleichheit, Harmonie und Ausgeglichenheit23. Die beiden Begriffe sind unmittelbar miteinander verknüpft, da beispielsweise innerhalb einer heterogenen Lerngruppe (ausgehend vom Geschlecht), auch homogene Eigenschaften von Personen (bspw. Interessen, Lernstand, Tendenzen) vorhanden sind. Dadurch sind Verschiedenheit und Gleichheit zur selben Zeit am selben Ort anzutreffen. Entsprechend danach arbeitet auch das Prinzip der Gemeinschaftsschule.24
Das heißt, dass vermehrt heterogene Klassen unterrichtet werden und somit Lehrerinnen und Lehrer mit neuen Situationen konfrontiert werden. Unter deutschen Bildungstheoretikern herrscht große Diskrepanz, was die Zu-/Abneigung dessen betrifft: „In der evaluativen Bedeutungsdimension wird Heterogenität unter der Frage verhandelt, ob sie als Chance oder Belastung anzusehen bzw. zu bewerten ist. “25 Einerseits wird Heterogenität als Handlungsaufforderung gesehen, welche wissenschaftliche bzw. pädagogische Reflexion erfordert. Somit gilt sie als eine Aufgabe, welche bewältigt werden muss26 und erhält dadurch einen „belastenden“ Hintergrund. Durch Bewältigung dieser Aufgabe kann Heterogenität andererseits auch als Chance gesehen werden.27 Verschiedenheit innerhalb einer Gruppe kann gemeinsames, politisches, soziales, interkulturelles und moralisches Lernen, welches Demokratie und Verantwortungsbewusstsein fördert, fordern. Parallel zur Diskussion, ob Heterogenität eher als Chance oder Belastung gesehen wird, werden eventuelle Vorerfahrungen, Interessen und Vorkenntnisse der Individuen diskutiert. Ungleichheit kann von Natur aus ein gewisses Spannungsfeld erzeugen, welches dann wiederum eine Belastung darstellt.
Im schulischen Diskurs ist es dennoch wichtig, reflektiert zu handeln und Heterogenität bzw. Verschiedenheit als pädagogisches Lernfeld zu betrachten.
Eine neue Schulart erfordert auch neue Lehrformen. So liegt der Fokus des Unterrichts in der Gemeinschaftsschule häufig auf dem sogenannten „offenen Unterricht“, welcher der Heterogenität, sowie der Individualität der Gemeinschaftsschule gerecht zu werden versucht. Gleichzeitig soll ein Unterricht auf der Basis verschiedener Niveaustufen innerhalb eines Klassenzimmers ermöglicht werden.
2.2 Prinzipien von Gemeinschaftsschulen
2.2.1 Begriffsdefinitionen
a) Arbeit/ Arbeitsaufwand
Allgemeinhin kann Arbeit als zielgerichtete, planmäßige und bewusste, körperliche und geistige Tätigkeit definiert werden, deren Ursprung im Prozess der Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur zur Existenzsicherung liegt.28 Im Zuge der vorliegenden Forschungsfrage bezieht sich der Begriff des Arbeitsaufwands dabei auf die zeitliche Dimension, welche eine zu verrichtende Arbeit bzw. Aufgabe für eine Lehrkraft in Anspruch nimmt. Explizit kennzeichnend für den Lehrerberuf in diesbezüglich jedoch, dass sich eine Ermittlung der Arbeitszeiten nicht einfach gestaltet und meist indirekt über die Lektionenzahl und Unterrichtswochen pro Jahr erfolgt. Dahingehend kann aber gesagt werden, dass die außerhalb des Klassenzimmers geleistete Arbeitszeit mindestens nochmals so hoch ist, wie die Unterrichtszeit selbst.
Es gilt also zu berücksichtigen, dass die Aufgabenfelder bzw. Tätigkeitsbereiche von Lehrkräften allgemein weit über das bloße Unterrichten bzw. die Vor-und Nachbereitung des Unterrichts hinausgehen, ganz abgesehen von Projekttagen - oder wochen, Schulreisen oder Exkursionen, welche noch in die Kategorie der Unterrichtszeit miteinzuschließen sind. Zur Vor- und Nachbereitung des Unterrichts gehören dabei Absprachen mit anderen Lehrkräften/ Fachpersonal, die Vorbereitung von Prüfungen, Korrigieren, sowie eine kurzfristige Auswertung des Unterrichts und schließlich die Arbeitsmaterialienbeschaffung.
Dementsprechend sind die für Lehrerinnen und Lehrer anfallenden Aufgaben in verschiedene Kompetenzbereiche gegliedert, denen es gerecht zu werden gilt. Neben dem Kompetenzbereich des Unterrichtens kommen jene der Erziehung, Beurteilung und des Innovierens hinzu, wobei letzteres beinhaltet, dass Lehrkräfte ihren Beruf als ein öffentliches Amt mit besonderer Verantwortung und Verpflichtung wahrnehmen und als ständige Lernaufgabe sehen. Das bedeutet Lehrkräfte unterliegen einer ständigen individuellen und informellen Weiterbildung, die sowohl schulextern, als auch schulintern stattfinden kann. Des Weiteren fallen gemeinschaftliche Aufgaben für das Kollegium und die Schule an, wie beispielsweise Fachkonferenzen, Lehrerkonferenzen oder Schulentwicklungsprojekte etc. . Hinzu kommt, dass Lehrerinnen und Lehrer bzgl. des Erziehens auf die sozialen und kulturellen Aspekte der SuS in diesem Zusammenhang Einfluss nehmen und entscheidende Werte und Normen vermitteln, um ein selbstbestimmtes Handeln und Urteilen der SuS zu unterstützen. Nicht zuletzt gehört es auch zu den Aufgaben einer Lehrkraft, die individuellen Lernvoraussetzungen zu diagnostizieren und die einzelnen SuS zu fördern. Darüber hinaus gilt es sowohl die Lernenden, als auch deren Eltern dahingehend beratend zu unterstützen. Das bedeutet im Klartext, zu den Tätigkeitsbereichen von Lehrerinnen und Lehrer gehören auch das Führen von Elterngesprächen, eine Schüler - und Praktikantenbetreuung, sowie die Zusammenarbeit mit schulischen Unterstützungsdiensten. Basierend auf transparenten Beurteilungsmaßstäben erfassen Lehrkräfte schließlich die Leistungen der einzelnen SuS und erstellen Zeugnisse und Schulberichte. Hinzu kommt die Sammlung geeigneter Materialien und die eigene Unterrichtsplanung, sowie eine abschließende Evaluation und Reflexion des Unterrichts. Nicht zu vergessen sind nicht zuletzt administrative Aufgaben und Nebenämter, welche ebenfalls häufig von Lehrkräften durchgeführt werden.29 30
Es wird ersichtlich, wie umfangreich und vielschichtig sich die Arbeitsfelder und Tätigkeitsbereiche von Lehrkräften und ein daraus folgender Arbeitsaufwand für Lehrerinnen und Lehrer gestalten. Um dem inhaltlichen Rahmen jedoch gerecht zu werden, widmen wir uns in der vorliegenden Arbeit lediglich dem Tätigkeitsbereich des Unterrichtens bzw. der dafür notwendigen Vor- und Nachbereitung.
b) Leistungsdifferenzierung
Die Begrifflichkeit der Differenzierung im Rahmen der Unterrichtsorganisation umfasst ein reichhaltiges Angebot an verschiedensten Formen. Dabei wird innerhalb des Schulsystems nach sogenannten Differenzierungskriterien unterschieden. Demnach können Schüler beispielsweise nach ihrem Alter, dem Zeitpunkt ihres Schuleintritts, nach ihrem Geschlecht oder ihrer Religionszugehörigkeit etc. gruppiert werden. Jene genannten Kriterien sind leicht erkennbar und eindeutig bestimmbar bzw. messbar. Darüber hinaus gibt es jedoch auch Differenzierungsmerkmale, welche nicht ohne weiteres so leicht festzustellen sind. Hierbei sprechen wir z.B. von der Schulleistung, der Begabung, den Interessen oder Neigungen eines Schülers. Das wohl am häufigsten verwendete Kriterium für eine Differenzierung im Unterricht ist hierbei die Schulleistung, auf deren Basis sowohl die Zusammensetzung einer Jahrgangsstufe, als auch eine Einteilung von Schülern in die verschiedenen weiterführenden Schulen erfolgt. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang v.a. eine Einteilung der Schüler in sogenannte Leistungskurse innerhalb von Gesamtschulen. Klafki stufte den Begriff der Differenzierung einst folgendermaßen ein: „Der Begriff Differenzierung, der z.T. synonym mit „Individualisierung“ gebraucht wird, umfaßt alle organisatorischen und methodischen Bemühungen, die darauf zielen, den individuellen Begabungen, Fähigkeiten, Neigungen, Interessen einzelner Schüler oder Schill er gruppen innerhalb einer Schule oder einer Klasse gerecht zu werden “d4 Bezüglich der bisher aufgeführten Differenzierungsformen wird im Allgemeinen von der sogenannten äußeren Differenzierung gesprochen, wonach die Schüler jeweils in voneinander getrennten Gruppen unterrichtet werden. Jene Form von Differenzierung kann sowohl zwischen Schulen, als auch innerhalb einer Schule zwischen Klassen stattfinden. Zu erwähnen an dieser Stelle ist, dass eine Gruppierung von Schülern dabei meist auf Basis mehrerer sich überlagernden Differenzierungskriterien basiert. Andererseits gibt es noch die Form der sogenannten inneren Differenzierung bzw. Binnendifferenzierung. Hiervon ist die Rede, wenn innerhalb einer Klasse oder Lerngruppe unterschiedliche weitere Untergruppen gebildet werden, die Schüler dabei aber im selben Raum zusammenbleiben. Eine solche Form der Differenzierung wiederum beruht ebenfalls auf verschiedensten Merkmalen, nach denen gruppiert werden kann. Beispielsweise kann so nach dem Kriterium der Schulleistung innerhalb einer Gruppe auf Heterogenität geachtet werden, d.h. es besteht ein ausgewogenes Verhältnis an leistungsschwächeren bzw. leistungsstärkeren Schülern innerhalb einer Gruppe.
In einerweiteren Quelle wird der Begriff der inneren Differenzierung ebenfalls mit einer Differenzierung in heterogenen Lerngruppen gleichgesetzt, welche dabei jegliche Maßnahmen beinhaltet, die notwendig sind, um den unterschiedlichen Leistungsvoraussetzungen der einzelnen Schülern einer Klasse gerecht zu werden. Auf jener Art der Differenzierung wiederum liegt der Fokus der vorliegenden Arbeit. Des Weiteren geht aus dieser Quelle zudem hervor, dass im Rahmen einer äußeren31 Differenzierung wiederum jene Maßnahmen beinhaltet sind, welche zur Einteilung der Schüler in homogene Gruppen (z.B. verschiedene Schularten) notwendig sind.32 Um den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schüler innerhalb einer Klasse entsprechend gerecht zu werden, wird im Rahmen der inneren Differenzierung im weiteren Verlauf nochmals zwischen einer sogenannten methodischen und inhaltsbezogenen Komponente unterschieden. Während sich die methodenbezogene Differenzierung hierbei auf die Auswahl verschiedenster Lehr- und Lernverfahren, sowie den gezielten Einsatz von Unterrichtsmaterialien bezieht, zielt die inhaltsbezogene Differenzierung hingegen auf individuell unterschiedliche Lehr- und Lernziele ab, was in der Praxis wiederum durch Variation der Aufgabenmenge - oder schwere umgesetzt wird, das heißt durch eine Differenzierung sowohl im quantitativen als auch im qualitativen Sinne.33
Differenzierung meint also schließlich eine Einteilung der Schüler in Gruppen beliebiger Größe nach einem oder mehrerer Merkmale bzw. Kriterien. Eine solche Gruppierung geschieht dabei in der Annahme, dass dadurch bestimmte Lern - und Erziehungsziele besser erreicht werden können. Entsprechend des jeweiligen Merkmals können die Gruppen jeweils entweder homogen oder heterogen vorzufinden sein.34
[...]
1 Dietrich, T.; Klink, J.-G. Zur Geschichte der Volksschule Band I (1964)
2 Ebenda
3 Hintz, D; Rekus, J.; Ladenthin, V. (1998) Kapitel 5.1 Schule des Volkes
4 Vgl. Menzel, R. (1958) S. 8
5 Vgl. Ebenda S. 6
6 Vgl. EbendaS. 8
7 Vgl. Ebenda S. 7
8 Vgl. Wiater, W. (2009) S. 167
9 Vgl. Ebenda
10 Vgl. Ebenda S. 168; Vgl. dazu auch Hintz, D; Rekus, J.; Ladenthin, V. (1998) Kapitel 5.4 Entwicklungslinien bis zur Gegenwart
11 Vgl. Wiater, W. (2009) S. 168
12 Vgl. Ebenda; Vgl. dazu auch Hintz, D; Rekus, J.; Ladenthin, V. (1998) Kapitel 5.4 Entwicklungslinien bis zur Gegenwart
13 Vgl. Ebenda
14 Vgl. EbendaS.169
15 Vgl. Wiater, W. (2009) S.169
16 M. Spiewak in: Die Zeit online: http://www.zeit.de/2004/33/Schule_Beist_9fck [18.12.2016]
17 Vgl. Wialer, W. (2006) S. 170
18 Vgl. EbendaS. 171
19 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg http://www.km- bw.de/,Lde/Startseite/Schule/Standorte+Gemeinschaftsschulen [19.12.2016]
20 Bundesministerium für Bildung und Forschung (2014) S. 13
21 Ebenda
22 Kultusministerium online: http://km-bw.de/Gemeinschaftsschule [Zugriff am 18.12.2016]
23 Ministerium für Jugend, Kultus und Sport Baden Württemberg http://www.km- bw.de/,Lde/Startseite/Schule/Gemeinschaftsschule [19.12.2016]
24 Vgl. Duden online http://www.duden.de/rechtschreibung/Heterogenitaet [01.12.2016]; Vgl. Schieferdecker, R. (2016) S. 28
25 Vgl. Schieferdecker, R. (2016) S. 28
26 Vgl. Duden online http://www.duden.de/rechtschreibung/Homogenitaet [04.12.2016]
27 Kultusministerium online: http://km-bw.de/Gemeinschaftsschule [18.12.2016]
28 Casale, R.; Koller, H.-C.; Ricken, N. (2014) S. 24
29 Vgl. Hinzu/Walthes (2009) in Casale, R.; Koller, H.-C.; Ricken, N. (2014) S. 24
30 Vgl. Prengel (2007) S. 72ff. in Casale, R.; Koller, H.-C.; Ricken, N. (2014) S. 24
31 Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon. Das Wissen der Experten - Arbeit, 2016
32 Vgl. Care Line Bildungsprojekte - Aufgaben und Kompetenzen des Lehrers, 2015
33 Vgl. Ländert Partner. Sozialforschung Evaluation Konzepte - LCH Arbeitszeiterhebung, 2009 Vgl. Schnittko, 1984
34 Vgl. Meyer-Willner, 1979, S. 31