Die Untersuchung richtet sich am Wirtschaftsunterricht der Berufsschule (Sekundarstufe II) aus. Nach einer theoretischen Erarbeitung sollen mit Hilfe von Experteninterviews Gestaltungsstrategien entwickelt werden. Auseinandergesetzt wird sich außerdem mit den strukturellen, didaktischen und inhaltlichen Vorgaben des Rahmenlehrplans. So sollen die Anknüpfungspunkte der sozioökonomischen Kerngedanken, Prinzipien und Inhalte an die Elemente und Prinzipien des Lernfeldkonzepts sowie an die Inhalte der betriebswirtschaftlichen Bildung untersucht werden. Intention ist es, den Rahmenlehrplan (RLP) sowie inhaltliche Schwerpunktthemen des Ausbildungsberufs sowie Gemeinsamkeiten, Ergänzungsmöglichkeiten und Innovationspotentiale zu analysieren.
Erörtert wird, auf welche Konzepte/ Methoden zurückgegriffen werden sollte, um bei Berufsschülern eine eigenständige Urteilsbildung zu fördern, sodass sie ökonomische Fragestellungen in sozialen, ökologischen, politischen, ethisch-moralischen und kulturellen Zusammenhängen diskutieren können. Um sich diesem Vorhaben nähern zu können, lautet
die Forschungsfrage: Inwiefern sollten zeitgemäße Lehr-/ Lernarrangements – im Zusammenhang der Neoklassik und der Sozioökonomie – gestaltet sein und wie gehen Lehrkräfte damit um?
Nach der Einleitung wird im zweiten Kapitel ein theoretischer Überblick über die ökonomische Bildung und die Konzepte "Neoklassicher Mainstream" sowie "Sozioökonomische Bildung" erörtert. Aufgezeigt werden Grundgedanken, Prinzipien, Kritiken und inhaltliche Ansätze. Im dritten Abschnitt wir die Bedeutung der Sozioökonomie für die Wirtschaftspädagogik
diskutiert, bevor Kapitel vier den Ausbildungsberuf "Bankauffrau/-mann" vorstellt. Eingegangen wird neben einer pluralen Lehrausrichtung auf den RLP und auf Strukturmerkmale.
In Kapitel fünf wird das Forschungsvorhaben erläutert und Experteninterviews ausgewertet bzw. analysiert. Im sechsten Kapitel werden mit Hilfe der Literaturrecherche und der Praxiserfahrungen der befragten Lehrkräfte Umgangs- und Bewältigungsstrategien für einen zeitgemäßen ökonomischen Unterricht im Bankbereich verfasst. Es folgt eine kritische
Reflexion und die Arbeit wird mit einer Schlussbetrachtung beendet, die einen zusammenfassenden Ausblick für eine entsprechende berufliche Bildung enthält.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Ausgangssituation
1.2 Zielsetzung
1.3 Gang der Untersuchung
2 Ökonomische Bildung
2.1 Neoklassischer Mainstream
2.1.1 Begriffliche Herleitung
2.1.2 Entwicklung und Kernidee
2.2 Kritik an der konventionellen ökonomischen Bildung
2.3 Sozioökonomische Bildung
2.2.1 Entstehungsgeschichte
2.2.2 Grundgedanken
2.2.2.1 Pluralismus/ Multiperspektivität/ Diversität (Objektbezug)
2.2.2.1 Kontroversität, Urteilsbildung und Kritik
2.2.2.2 Subjektorientierung bzw. -zentrierung
2.2.2.3 Exemplarischer Lebensweltbezug bzw. -orientierung
2.2.2.4 (Sozial-) Wissenschaftsbezug – Kontextualisierung und Komplexität
2.4 Gegenüberstellung der Sozioökonomischen und Neoklassischen Bildung
3 Bedeutung der Sozioökonomie für die Wirtschaftspädagogik
4 Der (neu geordnete) Ausbildungsberuf ‚Bankkaufmann/ -frau‘
4.1 Plurale Wirtschaftslehre für die Bildung für Bankkaufleute
4.2 Rahmenlehrplan
4.3 Strukturmerkmale des Curriculums
5 Empirische Bildungsforschung
5.1 Forschungsdesign
5.1.2 Methodisches Vorgehen
5.1.2.1 Auswahl der Lehrkräfte
5.1.2.2 Leitfadengestütztes Experteninterview
5.1.2.2 Analyseverfahren
5.2 (Inhalts-) Analyse und Auswertung der Ergebnisse
5.2.1 Kategorie ‚Ökonomische Ausrichtungen und Denkweise‘
5.2.2 Kategorie ‚Curriculare Orientierung‘
5.2.3 Kategorie ‚Pädagogische/ Methodische Umsetzung‘
5.2.4 Kategorie ‚Herausforderungen/ Besonderheiten Berufsschule Bank‘
5.2.5 Fazit der Interviews
6 (Didaktische) Umgangs- und Bewältigungsstrategien
6.1 Prinzipien und Kompetenzen
6.2 Ausbildung der Lehrkräfte
6.3 Haltungen und Leitmotive
7 Kritische Reflexion
7.1 Reflexion der Theorie
7.2 Reflexion der Interviews
7.3 Reflexion des persönlichen Forschungsinteresses
8 Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
BIBB – Bundesinstitut für Berufsbildung
BWL – Betriebswirtschaftslehre
BWP – Berufs- und Wirtschaftspädagogik
bspw. – beispielsweise
bzgl. – bezüglich
bzw. – beziehungsweise
d.h. – das heißt
Ebd. – Ebenda
et al. – und andere
f. – folgend
ggü. – gegenüber
GSÖBW – Gesellschaft für sozioökonomische Bildung und Wissenschaft
IHK – Industrie- und Handelskammer
KMK – Kultusministerkonferenz
LK – Lehrkraft
LuL – Lehrerinnen und Lehrer
Pos. – Position
resp. – respektive
RLP – Rahmenlehrplan
SuS – Schülerinnen und Schüler
u. a. – unter anderem
v. a. – vor allem
Vgl. – vergleiche
VWL – Volkswirtschaftslehre
z. B. – zum Beispiel
z. T. – zum Teil
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Begründungslinien einer sozioökonomischen Didaktik
Abbildung 2: Ablaufschema qualitativer Inhaltsanalysen
Abbildung 3: Codematrix
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Merkmale konventioneller und sozioökonomischer Bildung
Tabelle 2: Analyseraster
1 Einleitung
„Alles wirtschaftliche Handeln ist soziales Handeln, daher ist alle Wirtschaft immer auch Vollzug von Gesellschaft“ (Luhmann 1988: 8). Im 21. Jahrhundert ist die Welt globaler, vernetzter, vielschichtiger und krisenanfälliger denn je. Wir leben in einer ökonomisierten Gesellschaft, die durch Zweckrationalisierung, Quantifizierung, individuelle Ressourcenoptimierung und Beschleunigung gekennzeichnet ist. Trotz des Wissens, dass Ökonomie und Gesellschaft als miteinander verwobene soziale Systeme zu begreifen sind, verändert sich die Wirtschaftsweise nicht fundamental (vgl. Tafner 2018: 109). Angestrebt wird ein unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten; verschärft wird diese Situation durch ein zunehmend volatiles und fragiles Finanzsystem (vgl. Göpel 2021: 17f.).
1.1 Ausgangssituation
In der wirtschaftswissenschaftlichen Lehre dominiert die „neoklassische Schule“. Ihr wird vorgeworfen, die Ökonomisierung der realen Welt durch ihr menschliches Modell eines nach Eigennutz strebenden homo oeconomicus verursacht zu haben (vgl. Thole 2017: 116f., 118). Spätestens seit der Finanzkrise 2008, mit der Erweiterung zur Wirtschaftskrise, steht das neoklassische ökonomische Paradigma u. a. in der Kritik, weil eine am homo oeconomicus orientierte Praxis systematisch Gewinner1 und Verlierer produziere und Krisen nicht prophezeien konnte. Abseits der eng definierten Pfade der Mainstreamökonomie2 existieren auch in den Wirtschaftswissenschaften theoretische Strömungen, für die Pluralismus grundlegend ist, z. B. in der Sozioökonomie, der Verhaltensökonomie oder der Neuroökonomie (= heterodoxe Ökonomie) (vgl. Zurstrassen 2014: 13; vgl. Steffestun & Graupe 2020: 161).
In Frage gestellt wird das Paradigma, dass sich wirtschaftliche Entscheidungsprozesse ausschließlich am Prinzip der kurzfristigen Gewinn- und Nutzenmaximierung orientieren. Herkömmliche wirtschaftliche Ziele wie Marktanteil, Umsatz, Gewinn, Wachstum bleiben relevant, sie stellen aber keine finalen Ziele mehr dar, sondern werden durch gesellschaftliche und soziale Ziele aus ganzheitlicher Sicht differenziert (vgl. Dubs 2001: 2). Für den lernfeldorientierten Berufsschulunterricht ist von einer praktizierten Loslösung des Gegenstandsbereichs Wirtschaft aus seiner gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Verankerung die Rede. Gefordert wird ein neues ökonomisches Denken, hin zum Wagnis zu mehr Pluralismus, Persönlichkeits- sowie Handlungskompetenzförderung und Interdisziplinarität (vgl. Fischer & Hantke 2019: 105); damit bekommen alternative, plurale und sozioökonomische Ansätze eine Chance, aus dem Nischendasein hervorzudringen (vgl. Göpel 2021: 19). Befürchtet wird, dass die Lernenden ansonsten auf ein wirtschaftswissenschaftliches Denkschema hin sozialisiert werden, dessen Inkonsistenzen ausgeblendet werden (vgl. Zurstrassen 2014: 16).
Der sozioökonomische Bildungsansatz, als ein Konzept der ökonomischen Bildung, vertritt die Auffassung, „dass wirtschaftliches Wissen nur im Kontext einer geteilten Lebensform, im Kontext lebensweltlichen Wissens möglich ist“ (Nida-Rümelin 2013: 149). Ökonomische Bildung versteht sich in diesem Zusammenhang als „… problemorientiert, sucht demzufolge in mehreren sozialwissenschaftlichen Disziplinen nach Lösungen, arbeitet vergleichend mit mehreren Paradigmen, bleibt normativ offen und fördert kritische Einstellungen zu ökonomischen Themen“ (Fischer & Zurstrassen 2014: 15).
Auch als Antwort auf die Finanzmarktkrise trat im August 2020 ein tiefgreifender Veränderungsprozess bzw. eine Neuordnung im Ausbildungsberuf ‚Bankkaufmann/ -frau‘ in Kraft (siehe Kapitel 4). Die betriebswirtschaftlich-kaufmännische Bildung steht vor steigender Komplexität und sich ständig verändernden Beeinflussungen und damit stehen Auszubildende im Bankbereich vor der Herausforderung alltägliche, ökonomisch geprägte Lebenssituationen zu bewältigen (vgl. Kaminski et al. 2017: 31) sowie Spielräume in demokratischen Marktgesellschaften beurteilen und mitgestalten können – gesucht wird nach einer adäquaten ökonomischen Bildung (vgl. Weber 2013: 5). Aufgrund der Tatsache, dass der betriebs- und volkswirtschaftliche Kontext im Ausbildungsberuf eine soziale und gesamtgesellschaftliche Struktur aufweist und Arbeits- und Geschäftsprozesse Ausgangspunkt der betrieblichen Handlungssituationen für die Gestaltung der Lerngegenstände sind, stellt sich in dieser Masterthesis die Frage, wie „die Wirtschaft“ der Gesellschaft dienlich sein kann und ob sich die Gedanken der sozioökonomischen Bildung im Rahmenlehrplan des Ausbildungsberufs ‚Bankkaufmann/ -frau‘ wiederfinden.
1.2 Zielsetzung
Mit den wirtschaftlichen Krisenzuständen, die sich seit 2007/ 2008 in verschiedenen Ausprägungen ausbreiten, stehen zunehmend die Wirtschaftswissenschaften und der Ausbildungsberuf ‚Bankkaufmann/ -frau‘ in der Kritik. Kritische Einwände gegen die wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Neoklassik werden laut Beckenbach nur marginal rezipiert. Vielmehr werden die neoklassischen Theorien und Schlussfolgerungen in den meisten Fällen implizit als eine Vollendung des ökonomischen wissenschaftlichen Denkens dargestellt (vgl. Beckenbach et al. 2016: 221). Kritisch hinterfragt wird, ob und inwieweit Hintergründe der ökonomischen Entwicklung adäquat erfasst, erklärt und prognostiziert werden (vgl. Zurstrassen 2014: 12). Auszubildende sind geprägt von Lebenswelterfahrungen, in der die neo-liberale Marktwirtschaft und die kulturelle Hegemonie des mehrwertgetriebenen Warensystems überwiegen (vgl. Kutscha 2020: 9). Hedtke ist der Auffassung, dass eine zeitgemäße ökonomische Didaktik versucht, zwischen gesellschaftlichen, historischen, kulturellen und wandelbaren Phänomenen zu changieren (vgl. Hedtke 2015: 7). Lothar Reetz erkannte, dass sich – einen Lerninhalt betreffende relevante Entscheidungen – in drei Relevanzprinzipien3 darstellen lassen. Hiermit schaffte er eine Grundlage der Wirtschaftsdidaktik. Die Annäherung bezieht sich auf das interdependente Spannungsfeld zwischen dem Situationsbezug, der Persönlichkeit sowie der Wirtschaft. Dieser „Problemlöseprozess“ schafft weniger Neukonstruktionen, sondern kontinuierlich voranschreitende Adaption und Analyse in Verbindung mit bestehenden Curricula. Die Prinzipien können als Prüfindikatoren bei didaktischen Entscheidungen für Lernziele und Lerninhalte für die bildende Person genutzt werden (vgl. Reetz 2003: 100f.). Auf diesen Gedanken aufbauend soll untersucht werden, ob die vorherrschende Volkswirtschaftslehre (VWL) und Betriebswirtschaftslehre (BWL) der Bankkaufleute das Potential besitzt, die Gedanken der sozioökonomischen Bildungsansätze zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang kommt es in dieser Arbeit zum Vergleich zwischen den Denkströmungen ‚Neoklassischer Mainstream‘ und ‚Sozioökonomie‘.
Die Untersuchung richtet sich am Wirtschaftsunterricht der Berufsschule (Sekundarstufe II) aus. Nach einer theoretischen Erarbeitung sollen mit Hilfe von Experteninterviews Gestaltungsstrategien entwickelt werden. Auseinandergesetzt wird sich außerdem mit den strukturellen, didaktischen und inhaltlichen Vorgaben des Rahmenlehrplans. So sollen die Anknüpfungspunkte der sozioökonomischen Kerngedanken, Prinzipien und Inhalte an die Elemente und Prinzipien des Lernfeldkonzepts sowie an die Inhalte der betriebswirtschaftlichen Bildung untersucht werden. Intention ist es, den Rahmenlehrplan (RLP) sowie inhaltliche Schwerpunktthemen des Ausbildungsberufs sowie Gemeinsamkeiten, Ergänzungsmöglichkeiten und Innovationspotentiale zu analysieren.
Das persönliche Forschungsinteresse ist dahingehend ausgerichtet, festzustellen, ob und wenn ja, welche Bezüge auf die Umsetzung der multiperspektivischen Betrachtung zur Förderung einer umfassenden Urteils- und Handlungskompetenz berücksichtigt werden müssen. Gleichzeitig soll erforscht werden, ob das Curriculum der Bankauszubildenden inhaltlich Resonanzräume aufweist.
Erörtert wird, auf welche Konzepte/ Methoden zurückgegriffen werden sollte, um bei Berufsschülern eine eigenständige Urteilsbildung zu fördern, sodass sie ökonomische Fragestellungen in sozialen, ökologischen, politischen, ethisch-moralischen und kulturellen Zusammenhängen diskutieren können. Um sich diesem Vorhaben nähern zu können, lautet die Forschungsfrage: „ Inwiefern sollten zeitgemäße Lehr-/ Lernarrangements – im Zusammenhang der Neoklassik und der Sozioökonomie – gestaltet sein und wie gehen Lehrkräfte damit um?“
1.3 Gang der Untersuchung
Nach der Einleitung wird im zweiten Kapitel ein theoretischer Überblick über die ökonomische Bildung und die Konzepte ‚Neoklassicher Mainstream4 ‘ sowie ‚Sozioökonomische Bildung‘ erörtert. Aufgezeigt werden Grundgedanken, Prinzipien, Kritiken und inhaltliche Ansätze. Im dritten Abschnitt wir die Bedeutung der Sozioökonomie für die Wirtschaftspädagogik diskutiert, bevor Kapitel vier den Ausbildungsberuf ‚Bankauffrau/- mann‘ vorstellt. Eingegangen wird neben einer pluralen Lehrausrichtung auf den RLP und auf Strukturmerkmale. In Kapitel fünf wird das Forschungsvorhaben erläutert und Experteninterviews ausgewertet bzw. analysiert. Im sechsten Kapitel werden mit Hilfe der Literaturrecherche und der Praxiserfahrungen der befragten Lehrkräfte Umgangs- und Bewältigungsstrategien für einen zeitgemäßen ökonomischen Unterricht im Bankbereich verfasst. Es folgt eine kritische Reflexion und die Arbeit wird mit einer Schlussbetrachtung beendet, die einen zusammenfassenden Ausblick für eine entsprechende berufliche Bildung enthält.
2 Ökonomische Bildung
Seit jeher existieren Konflikte darüber, wie man wirtschaftliche Inhalte in der Berufsschule verankern soll; dabei haben sich unterschiedliche Lösungen entwickelt und etabliert (vgl. Hedtke 2015: 3). Die ökonomische Bildung fragt, ob sie die Ökonomisierung von Entscheidungssituationen durch die Lehre von der umfassenden Anwendung des Kosten-Nutzen-Kalküls kritiklos befördern möchte, oder ob sie die Vielfalt von Motiven anerkennt und sie nicht allein auf die ökonomische Nutzenmaximierung festlegt (vgl. Famulla 2019: 21). Mit Hilfe ökonomischer Theorien lassen sich Fehllenkungen bei der Allokation ermitteln und die Entstehung makroökonomischer Ungleichgewichte verstehen sowie die Gestaltungsmöglichkeiten für die Distribution und Stabilisierung in einer Wirtschaftsordnung kritisch reflektieren und beurteilen (vgl. Weber 2013: 12). Die Lehre der Wirtschaftswissenschaften wird bis heute von neoklassischen Modellen dominiert (vgl. Beckenbach et al. 2016: 71f.).
2.1 Neoklassischer Mainstream
Ziel der klassischen Ökonomie war bzw. ist die Sicherung und Steigerung des Gemeinwohls, das man unter den damaligen Bedingungen am besten durch Erhöhung individueller Handlungsfreiheit zu erreichen glaubte (vgl. Mikl-Horke 2015: 107).
Ausgangspunkt ist die Denkfigur ‚homo oeconomicus‘ und unterstellt wird den Marktteilnehmern egoistisches zweckrationales Verhalten, das sich in einer langfristigen Gewinnmaximierung der Unternehmungen niederschlagen soll (vgl. Kaminki et al. 2017: 39f.; vgl. Tafner 2019: 67). Der homo oeconomicus wählt also in einer Entscheidungssituation – unter der Annahme konstanter individueller Präferenzen – diejenige Alternative, die ihm den größten Nutzen resp. Gewinn verspricht (vgl. Famulla 2019: 20).
2.1.1 Begriffliche Herleitung
Die neoklassische Theorie wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begründet und beeinflusst bis heute den ökonomischen Mainstream (vgl. Graupe 2017: 11). Dieser unterliegt, wie jede Theorieschule, einem ständigen Wandel. So hat ‚der‘ Mainstream sich in den letzten Jahrzehnten weiter ausdifferenziert und Einwände in Denkmodelle integriert. Deshalb stellt es eine Herausforderung dar, ein eindeutiges Bild des gegenwärtigen neoklassischen Mainstreams zu zeichnen (vgl. Boerger 2016).
Die Begriffsbezeichnung ‚Neoklassik‘ wurde von Thorstein Veblen im Jahre 1900 geprägt und beschreibt die von Alfred Marshall begründete Synthese von subjektiver und objektiver Werttheorie als Angebots- und Nachfragediagramm. Marshall hatte das Verständnis, dass sich der Wert eines Gutes durch die Produktionskosten zusammen mit dem Grenznutzen ergibt, wonach der Wert durch den individuellen Nutzen bestimmt wird. Auch heute steht das Marktdiagramm als Zusammentreffen von (objektiver) Angebot- und (subjektiver) Nachfragefunktion im Zentrum der neoklassischen Ökonomik. Als Grundproblem der Ökonomie wird hier der Umgang mit knappen Ressourcen und deren effizienten Allokation verstanden. Daraus begründet sich das Ziel der Effizienz als Beurteilungskriterium, verstanden als die Eigenschaft, die vorhandenen Ressourcen so optimal zu nutzen, dass der individuelle Nutzen und damit die Wohlfahrt eines Landes maximiert werden (vgl. Ebd.).
Der formale Wirtschaftsbegriff der Neoklassik definiert Wirtschaft also als einen Raum zweckrationaler Wahlentscheidungen unter der Bedingung von Knappheit und will damit tendenziell alle menschlichen Aktivitäten einschließen (vgl. Engartner 2021: 85). Die Knappheitsthematik wird traditionell als ein technisches und nicht als ein soziales Problem betrachtet (vgl. Kaminski et al. 2017: 98).
Festgehalten wird, insbesondere im Lehrkontext, an tradierten Modellen, Paradigmen und methodologischen Grundannahmen (vgl. Engartner 2018: 27). Das „Denken in Modellen“ gilt sowohl in seiner Leistungsfähigkeit als auch für Methodikkonzeptionen der ökonomischen Bildung als zielorientiert (vgl. Kaminski et al. 2017: 280). Blickt man auf die Begründer der Theorie, fällt auf, dass der Großteil der Wirtschaftswissenschaft trotz ihrer Eigenschaft, Sozialwissenschaft zu sein, nach dem Vorbild der Naturwissenschaft und Mathematik agiert (vgl. Graupe 2017: 12). Das marktliberale Modell postuliert, dass das Gemeinwohl am besten durch wohlstrukturierte Märkte repräsentiert wird, in denen eine annähernd symmetrische Beziehung zwischen Anbietern und Nachfragern die optimierte Bedürfnisbefriedigung gewährleistet. Der Staat hat dabei lediglich die Aufgabe, einen Rahmen zu gestalten (vgl. Fischer 2014: 205).
Ein neoklassischer Unterricht verweist darauf, dass die Lernenden in ihrer Lebenswelt5 mit der Faktizität ökonomischer Zusammenhänge konfrontiert werden, sodass es gilt, diese hinreichend zu erschließen und zu verstehen (vgl. Friedrichs 2014: 243). Als ökonomistische Bildung werden im Folgenden wirtschaftsdidaktische Ansätze bezeichnet, die auf neoklassischen Ideen und Konzepten beruhen. Dabei haben Vertreter der ökonomistischen Bildung durchaus heterogene Vorstellungen davon, was ökonomische Bildung ist und wie sie angeboten werden soll, jedoch können bestimmte Annahmen und normative Ziele als konsensual angesehen werden (vgl. Piller 2016: 30).
2.1.2 Entwicklung und Kernidee
Aus dogmenhistorischer Sicht ist festzustellen, dass die Neoklassik sich auf den Mainstream des 19. Jahrhunderts bezieht. Es lässt sich nicht leugnen, dass sie erheblichen Einfluss auf die nachfolgenden ökonomischen Strömungen hatte, doch bzgl. des heutigen Verständnisses, was als neoklassischer Mainstream bezeichnet wird, handelt es sich um Modifikationen und Weiterentwicklungen der Ursprungsgedanken (vgl. Hirte & Thieme 2013: 4). Generell wurden in der Neoklassik die ökonomischen Begriffe zunehmend in Kategorien der Marktökonomie formuliert (vgl. Piorkowsky 2014: 229).
Das marktliberale Modell geht im Prinzip auf die Theorie der unsichtbaren Hand des Marktes zurück, die nach Smith auch dann zum Wohlstand der Nationen führt, wenn jeder in erster Linie auf den individuellen Vorteil bedacht ist (vgl. Fischer 2014: 206). Denn der Zusammenhalt der Gesellschaft sei letztlich die Grundlage für erfolgreiches Wirtschaften. Daher müsse der Eigennutz gezügelt werden, letztlich auch durch eine rechtliche Rahmenordnung (vgl. Smith 2010: 137-139). Hier entsteht ein Widerspruch.
Zu Zeiten Adam Smiths galt der Staat als Garant sozialer Integration und ökonomischer Effizienz. Der Moralphilosoph vertrat die Auffassung, dass Wirtschaften nach eigenen Gesetzen abliefe und dass ökonomische Effizienz und soziale Integration durch diese eigenen Gesetze bereits gegeben seien. Der Staat müsse diese natürliche Ordnung lediglich begleiten und gewährleisten. Auf diese Vorstellung baut das Mainstream-Wissen von der Funktionsweise der Ökonomie auf. So orientierte sich die Wirtschaftspolitik des 19. Jahrhunderts an dieser liberalen Ausrichtung (vgl. Fischer & Seeber 2014: 7). Der Konsument ist im Mainstream ein Akteur, der sich aktiv und bewusst verhält. Nach neoklassischer Lesart wird die erfolgreiche Koordination komplexer ökonomischer Prozesse (nur dadurch) im rational bestimmten Handeln des Einzelnen ermöglicht. Bei der angenommenen Konsumsouveränität wird – wie erwähnt – auf die Denkfigur des homo oeconomicus zurückgegriffen, die der englische Ökonom und Sozialphilosoph John Stuart Mill entwickelte (vgl. Fischer 2014: 204f.). Danach umfasst Wirtschaft alles Handeln, das planvoll-kalkulierend auf Optimierung zielt. Dieser wirtschaftlich-zweckrationale Handlungstyp gehört zu den Kernannahmen der ‚Rational Choice-Theorien‘ (vgl. Hedtke 2019a: 131). Wöhe und Döring (2013: 3-5) weisen darauf hin, dass der homo oeconomicus lange Zeit als das Fundament der BWL diente, nunmehr sich diese jedoch in zwei Richtungen ausdifferenziert habe: die wirtschaftstheoretisch fundierte Disziplin neoklassischer Ausprägung einerseits und die verhaltenswissenschaftliche Orientierung andererseits. So finden in einer verhaltenswissenschaftlichen Ausprägung auch Emotion, Gemeinwohl und Stakeholderansatz ihren Platz und betriebswirtschaftliche Ziele werden als Kompromisse zwischen Stakeholdern verstanden. Wirtschaften wird als „sorgsamer Umgang mit knappen Ressourcen“ (Ebd.: 4) bezeichnet.
Mit Hilfe von Opportunitätskosten kann jede Handlung als eine ökonomische betrachtet werden. Damit kann prinzipiell jedem Handeln ein Preis zugerechnet und jedes Handeln zu einem wirtschaftlichen Gut gemacht werden (vgl. Tafner 2019: 68). Der Markt, der als der von der neoklassischen Standardökonomie extrapolierte Koordinationsmechanismus von Ökonomien definiert wird, unterliegt historischen, kulturellen und politischen Prägungen (vgl. Engartner 2019b: 38f.).
Die genuin neoklassische Theoriebildung begreift ‚die Wirtschaft‘ als ein von der übrigen Gesellschaft weitgehend differenziertes System, dessen Prozesse nach spezifischen Gesetzmäßigkeiten ablaufen und wenig Einflüssen aus weiteren Bereichen des gesellschaftlichen Lebens unterliegen (vgl. Fischer & Zurstrassen 2014: 13f.; vgl. Hellmich 2014: 32). Als notwendigsten Beurteilungsmaßstab für ökonomische Handlungen/ Interaktionen konstatiert auch die ökonomistische berufliche Bildung die Effizienz. Zudem werden drei Kompetenzbereiche und weitere Teilkompetenzen formuliert. So soll der Kompetenzbereich „Entscheidung und Rationalität“ dazu führen, dass Lernende „Situationen analysieren, Handlungsalternativen bewerten und Handlungsmöglichkeiten gestalten“ können. Der Kompetenzbereich „Beziehung und Interaktion“ soll Schülerinnen und Schüler (SuS) dazu befähigen, „Interessenkonstellationen analysieren, Kooperationen analysieren, bewerten und gestalten“ sowie „Beziehungsgefüge analysieren“ zu können und der Bereich „Ordnung und System“ soll sie dazu befähigen, Märkte, Wirtschaftssysteme und Ordnungen zu analysieren sowie Politik ökonomisch beurteilen und gestalten zu können (Retzmann 2011: 19f.).
In der Lehre dominiert ein stark mathematischer und paradigmatischer Zugang zu wirtschaftswissenschaftlichen Themen, obwohl Samuelson bereits Ende der 1940er Jahre äußerte: „However, in any relevant, empirical economic system it is the task of the economist and not of the mathematician to specify an adequate number of relations to make the system determinate.“ (Samuelson 1948: 385).
Neben der existierenden Wirtschaftsordnung werden Lebenssituationen seit jeher von ökonomischen, ökologischen, sozialen und internationalen Entwicklungen beeinflusst (vgl. Weber 2014: 7; vgl. Kaminski et al. 2017: 37f.). Handlungsfähig sein heißt, nach ökonomistisch ausgerichteter Bildung, von außerökonomischen Dimensionen bzw. Motiven abstrahieren zu lernen und das wirtschaftliche Effizienzziel anzuwenden. Gesellschaftspolitisch verbindet sich hiermit eine Position, die die Lösung gesellschaftlicher Probleme durch Vermarktlichung (‚Steuerung durch Anreize‘) und Verbreitung des Effizienzdenkens erwartet (vgl. Famulla 2019: 22).
2.2 Kritik an der konventionellen ökonomischen Bildung
Wie oben angedeutet rief die jüngste Finanzkrise in Erinnerung, dass Krisen und Zusammenbrüche in der Entwicklung des Kapitalismus‘ stets vorkommen. Wirtschaftliche Probleme lassen sich allerdings nicht nur als Folge der neoliberalen Wende oder des Übergangs vom Wohlfahrtsstaat zum Finanzkapitalismus erklären (vgl. Mikl-Horke 2011: 13, 210). Kritisiert wird einerseits die Krisenanalyse der Mainstreamökonomie, die soziologische Effekte ausgrenzt (vgl. Zurstrassen 2014: 19) und andererseits, dass sich Neoklassiker über die Verteilungsproblematik kaum Gedanken machen (vgl. Thole 2016: 9).
Die ökonomistische Wirtschaftsdidaktik, die ebenfalls unter dem Begriff ‚konventionelle‘ ökonomische Bildung subsumiert wird, versucht über eine enge Orientierung an den Wirtschaftswissenschaften ihre Wissenschaftlichkeit zu legitimieren: „Die notwendige Wissenschaftsorientierung jeder ökonomischen Bildung besteht darin, dass sie sich an den Denkschemata und Erkenntnismethoden der Ökonomik orientiert“ (Retzmann 2008: 79). Bislang konzentriert sich die mainstreamorientierte Wirtschaftslehre unverändert auf Güterknappheit und die Notwendigkeit ökonomischer Dispositionen, sodass kulturelle, historische und politische Dimensionen weitestgehend ausgeblendet werden (vgl. Engartner & Krisanthan 2014: 164). Damit werden aufschlussreiche Bezüge zu (benachbarten) wissenschaftlichen Disziplinen mitunter (zu) gering eingeschätzt (vgl. Engartner 2019b: 38f.).
In den Standardansätzen des methodologischen Individualismus finden exogene Faktoren keine Berücksichtigung. Zur Ökonomik gehören die Abstraktionen von allen Phänomenen, die (zunächst) nicht auf der Basis von Wettbewerbsprozessen erklärt werden konnten (öffentliche Güter), von öffentlichen und privaten Institutionen (Firmen) wie auch von psychologischen oder ethischen Grundlagen (vgl. Tafner 2018: 121). Wie in 2.1.1 angedeutet, versucht die Neoklassik ökonomische Prozesse als ‚naturwissenschaftlich‘ zu betrachten. Für ökonomische Prozesse lassen sich jedoch keine naturhaften Konstanten identifizieren, sondern Instanzen. D. h. persistente Variablen oder Sachverhalte
[...]
1 In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulin verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint.
2 Orthodoxe Ökonomie, zumeist Vertreter, die der neoklassischen Schule nahestehen.
3 Wissenschaftsprinzip (Lernen muss sich an den Ansprüchen und Fachstrukturen von Wissenschaft orientieren), Situationsprinzip (gegenwärtige und zukünftige Lebenswirklichkeiten der SuS zum Kriterium für die Curriculaentwicklung) und Persönlichkeitsprinzip (Aspekte wie Mündigkeit, Kritikfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit stehen hier als normative Vorgaben).
4 Unter „Mainstream“ werden jene Ansätze, Strömungen und Methoden zusammengefasst, die die ökonomische Lehre, die Forschung, Fachzeitschriften und die Öffentlichkeit dominieren (vgl. Hirte & Thieme 2013: 22).
5 Aufgrund von zeitlichen Dimensionen kann eine Lebenssituation nie zweimal erlebt werden und die Bewältigung einer Solchen gilt als Notwendigkeit, um Bedürfnisse befriedigen zu können. Überschneidungen sind keine Seltenheit (vgl. Götzl & Jahn 2017: 97, 103).
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