Der Gegenstand des Themas der Bachelorarbeit wird in einzelnen Fragestellungen konkretisiert. Das Thema "Die Umsetzung der UN-BRK auf Hochschulen in München, besonders auf die KSH München und deren Studierenden" einzuschränken, basiert darauf, dass es nach 11 Jahren UN-BRK in Deutschland noch sehr vielfältige Probleme bei der Umsetzung gibt. Die Umsetzung der UN-BRK ist zu einer komplexen Aufgabe der Politik und Gesellschaft in Deutschland geworden. Eine solche Aufgabe ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, was die Möglichkeiten einer Bachelorarbeit inhaltlich wie zeitlich überschreitet und somit auf einzelne Schwerpunkte zu beschränken war.
Deshalb wird im Laufe der Studie folgender Frage nachgegangen: "Inwiefern geht die KSH München die Umsetzung der UN-BRK an und welche Ziele und Maßnahmen sind notwendig, um Studierenden mit körperlichen Einschränkungen das Studi-um zu ermöglichen?"
Des Weiteren ist das Thema "Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention" u. a. Schaffung eines inklusiven Schulsystems in Deutschland mit der Ratifizierung 2009 ein sehr aktuelles Thema, was sich durch alle Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens zieht, sodass sich kaum jemand dieser Problematik entziehen kann. Um die Forschungsfrage zu erörtern und beantworten zu können, ist zu klären, welche Verpflichtungen Deutschland zur Erfüllung der UN-BRK eingegangen ist und welche Bedingungen Menschen mit Behinderungen seit der Ratifizierung der UN-BRK zum Bespiel vom Schulsystem bzw. von der Bildungspolitik erwarten dürfen, um ihre verbrieften Rechte in Anspruch zu nehmen. Im März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Deutschland in Kraft getreten und seit diesem Zeitpunkt geltendes Recht in Deutschland. Die Menschenrechte der UN-BRK sind für Menschen mit Behinderung nicht neu, was daher auch die Notwendigkeit begründet, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Solange Menschen diskriminiert und benachteiligt werden, nicht die gleichen Chancen haben wie andere, um sich frei zu entwickeln, wird das Forschungsthema an Aktualität nicht verlieren. Durch die Ratifizierung hat sich Deutschland verpflichtet, internationale, nationale sowie europäische Menschenrechtsverträge einzuhalten, zu erfüllen und Verstößen entgegenzuwirken, um die Würde aller Menschen zu garantieren, wie es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschlands verankert ist.
Inhalt
1. Problemdarstellung
2. Auseinandersetzung mit theoretischen Ansätzen unter Einbindung von normativen Rahmenbedingungen
2.1. Aktualität des Themas:
2.2. Stand der Forschung
2.3. Auseinandersetzung mit der Empowerment-Theorie
3. Forschungsdesign der Studie
3.1. Eingesetzte Messinstrumente für die empirische Datenerhebung
3.2. Auswertungsmethode – Die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
3.3. Beschreibung der Datenauswertung
4. Diskussion
5. Fazit/Ausblick
6. Anlagen
7. Literaturverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung 1 Kategorienentwicklung nach Mayring
Abbildung 2 Frage 1 Fragen zur Person
Abbildung 3 Frage 2 Alter
Abbildung 4 Frage 10 Persönliche Erfahrung im Umgang mit Menschen mit einer körperlichen Behinderung an der jeweiligen Hochschule bzw. Universität
Abbildung 5 Frage 17 Studenten mit körperlicher Behinderung können an der KSH/Hochschule ohne Einschränkung studieren. Trifft diese Aussage zu?
Abbildung 6 Stand der Umsetzung der UN-BRK Frage 7 und Frage 29
Tabelle 1 Interviewleitfaden - Experteninterview
Tabelle 2 erster Durchgang Kategorienbildung
Tabelle 3 Auswertung Experteninterview - zweiter Durchgang Kategorienbildung
Tabelle 4 Fragebögen Studierende – Kategorienbildung
Tabelle 5 Auswertung Fragebögen quantitative Ergebnisse Excel S. 1
Tabelle 6 Auswertung Fragebögen quantitative Ergebnisse Excel S. 2
Vorwort
Liebe Leser, liebe Leserinnen, mit dem Thema der vorliegenden Bachelorarbeit beschäftigte ich mich während meines Studiums „Soziale Arbeit“ an der Katholischen Stiftungshochschule München, da ich einerseits selbst eine Vielzahl persönlicher Erfahrung zum Thema gewinnen konnte und andererseits diese Erfahrung für anderen Menschen mit schweren Behinderungen zur Verfügung stellen möchte. Die Idee zum Thema „Inklusion an der Hochschule – Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im hochschulischen Kontext, am Beispiel der KSH München“ – entwickelte sich in der Zusammenarbeit mit Diplom-Psychologe Jörg Zerban, dem ich für seine Hilfe meinen Dank ausspreche. Bei der Konkretisierung der Fragestellung arbeitete ich mit Prof. Dr. Reich-Claassen zusammen. Sie begleitete meine Bachelorabeit als Mentorin und unterstützte mich während meines Studiums. Dafür gilt ihr mein herzlicher Dank!
Die Entwicklung dieser Forschungsarbeit stellte mich durch die Pandemie „Covid 19“ vor zusätzliche organisatorische Herausforderungen. Für die Hilfe, wichtige Fragen zeitnah zu klären, bedanke ich mich bei Prof. Dr. Herrmann Sollfrank, Präsident der KSH München und bei Prof. Dr. Gödicke, der mir während des Studiums und als Zweitkorrektor zur Seite stand. Um meine Studie durchzuführen, benötigte ich die Unterstützung weiterer Experten, die im Alltag Erfahrungen in dem Bereich sammelten, den ich zum Gegenstand meiner Bachelorarbeit wählte. Ich danke der Behindertenbeauftragten der Katholischen Stiftungshochschule, die mir eine Vielzahl offener Fragen beantwortete.
Ebenfalls möchte ich allen befragten Studierenden meinen herzlichen Dank aussprechen. Auch sie halfen mir, dass ich die Themafrage mit dem vorliegenden Ergebnis beantworten konnte.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen meiner Bachelorarbeit und bedanke mich für Ihr Interesse an meinem gewählten Thema.
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Problemdarstellung
„Ein Thema, über das es sich zu reden lohnt.“
„… man muss seine Leute an den richtigen Ecken postieren. Man muss sich Zeit geben. Man muss beweglich bleiben, die Strategie korrigieren, während sie schon läuft. Und natürlich: Man braucht ein Thema, über das es sich zu reden lohnt.“1 In dieser wissenschaftlichen Studie sind diese Themen Autonomie, Selbstbestimmung und soziale Gerechtigkeit sowie demokratische Partizipation, „über das es sich zu reden lohnt“. Zusammengefasst lässt sich das Thema auch grob mit „Empowerment von Menschen mit Behinderung“ beschreiben. Welche Bedeutung dieses Thema seit 2009 gewonnen hat, zeigt die neue Betrachtungsweise, das neue Verständnis von Behinderung in der Politik und Gesellschaft. Empowerment, Behinderung und Inklusion sind untrennbar mit der UN-BRK und deren Umsetzung in Deutschland verbunden und wurden zu einem Thema, was Kinosäle füllte.
Eine Geschichte - „Intouchables“ oder als deutsche Übersetzung „Die Unberührbaren“ - erreichte unerwartet innerhalb eines Jahres in Deutschland das Interesse von mehr als 8 Millionen Menschen, brachte 7-Jährige bis 80-Jährige in Aktion, ließ Millionen Menschen über social media Plattformen in Kontakt treten und sich über dieses eine Thema lange Zeit austauschen. Ganz gleich, ob auf dem Spielplatz, dem Schulhof, dem Arbeitsplatz, in der U-Bahn oder beim Bäcker – die Menschen hatten ein gemeinsames Thema, nämlich „Inklusion“. Stellt sich für sie die Frage nach dem Warum? „Im Kern wird hier doch eine tiefe, archaische Geschichte erzählt“, sagt Sasse.
„Menschen, die nicht zusammenpassen, kriegen trotzdem gemeinsam etwas hin. Das packt die Leute.“ Wie Inklusion funktionieren kann, zeigen uns u.a. diese Erfolgsgeschichte wie „Die Unberührbaren“ oder in Deutschland bekannt und unvergessen als „Ziemlich beste Freunde“. Am Ende bleibt es jedoch nur eine Erfolgsgeschichte. Der Alltag der Menschen mit Behinderung zeigt zu wenig, dass Menschen, die sehr unterschiedlich sind, „gemeinsam etwas hinbekommen“. Inklusion für 7,8 Millionen behinderte Menschen2 in Deutschland muss auch außerhalb der Kinos ein Thema sein, was Millionen von Menschen bewegt, sie aktiv für behinderte Mitbürgern eintreten lässt und die Rechte der Behinderten sicherstellt. Dass Menschen mit Behinderung durch fehlende Unterstützung, durch Verwehren von Hilfsmitteln, dem Erschweren von Zugängen zu Schulen, Hochschulen, Arbeitsstätten oder Informationen „behindert“ werden, zeigte nicht nur der Kinofilm „Ziemlich beste Freunde“. Was sich seit dem 26. März 2009 mit Inkrafttreten der UN-BRK in Deutschland für Menschen mit Behinderung im Bereich Bildung verwirklichen ließ und wo noch Fortschritte notwendig sind, wird durch die Monitoring-Stelle des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) regelmäßig einem Prüfverfahren unterzogen. Die Ergebnisse der Studien werden der Bundesregierung zur Verfügung gestellt, um die Umsetzung der UN-BRK unverzüglich weiterzuentwickeln.
Einerseits betrifft mich das Thema: „Inklusion an der Hochschule - die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im hochschulischen Kontext am Beispiel der KSH München“ als Student mit schwerer körperlicher Behinderung persönlich. Andererseits ist Inklusion ein Thema, was spätestens seit März 2009 mit der Ratifizierung der UN-BRK durch Deutschland. viele Menschen betrifft und in die Verantwortung nimmt. Darüber hinaus gibt es noch zu wenige wissenschaftliche Erkenntnisse, Studien zur Umsetzung der UN-BRK an weiterführenden Schulen wie Gymnasien, Hochschulen und Universitäten. „Empowerment“ von Menschen mit Behinderung muss sich über das „Modewort - Empowerment“ hinaus im Bewusstsein der Menschen verfestigen. Im Sinne der UN-BRK aufzuzeigen, dass das „Empowerment“ der Menschen mit Behinderung selbst und nicht Einzelbeispiele wie im Kinofilm im Fokus stehen, ist Gegenstand dieser Bachelorarbeit. Diese Beweggründe veranlassten den Forschenden zu dieser wissenschaftlichen Arbeit, bei der das Thema lautet:
„Inklusion an der Hochschule – Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im hochschulischen Kontext am Beispiel der KSH München.“
Der Gegenstand des Themas der Bachelorarbeit wird in einzelnen Fragestellungen konkretisiert. Das Thema „die Umsetzung der UN-BRK auf Hochschulen in München, besonders auf die KSH München und deren Studierenden“ einzuschränken, basiert darauf, dass es nach 11 Jahren UN-BRK in Deutschland noch sehr vielfältige Probleme bei der Umsetzung gibt. Die Umsetzung der UN-BRK ist zu einer komplexen Aufgabe der Politik und Gesellschaft in Deutschland geworden. Eine solche Aufgabe ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, was die Möglichkeiten einer Bachelorarbeit inhaltlich wie zeitlich überschreitet und somit auf einzelne Schwerpunkte zu beschränken war.
Deshalb wird im Laufe der Studie folgender Frage nachgegangen:
„Inwiefern geht die KSH München die Umsetzung der UN-BRK an und welche Ziele und Maßnahmen sind notwendig, um Studierenden mit körperlichen Einschränkungen das Studium zu ermöglichen?“
Des Weiteren ist das Thema „Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention“ u. a. Schaffung eines inklusiven Schulsystems in Deutschland mit der Ratifizierung 2009 ein sehr aktuelles Thema, was sich durch alle Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens zieht, sodass sich kaum jemand dieser Problematik entziehen kann. Um die Forschungsfrage zu erörtern und beantworten zu können, ist zu klären, welche Verpflichtungen Deutschland zur Erfüllung der UN-BRK eingegangen ist und welche Bedingungen Menschen mit Behinderungen seit der Ratifizierung der UN-BRK zum Bespiel vom Schulsystem bzw. von der Bildungspolitik erwarten dürfen, um ihre verbrieften Rechte in Anspruch zu nehmen. Im März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Deutschland in Kraft getreten und seit diesem Zeitpunkt geltendes Recht in Deutschland. Die Menschenrechte der UN-BRK sind für Menschen mit Behinderung nicht neu, was daher auch die Notwendigkeit begründet, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Solange Menschen diskriminiert und benachteiligt werden, nicht die gleichen Chancen haben wie andere, um sich frei zu entwickeln, wird das Forschungsthema an Aktualität nicht verlieren. Durch die Ratifizierung hat sich Deutschland verpflichtet, internationale, nationale sowie europäische Menschenrechtsverträge einzuhalten, zu erfüllen und Verstößen entgegenzuwirken, um die Würde aller Menschen zu garantieren, wie es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschlands verankert ist.
Der Artikel 24 der UN-BRK schreibt nicht nur das Recht auf Bildung für alle Menschen fest, sondern fordert „das Recht aller Menschen auf inklusive Bildung“3.
Gegenstand dieser Arbeit ist es, herauszuarbeiten, ob und mit welchen ersten Erfolgen inklusive Bildung“ an der KSH München stattfindet und wie der Weg zu einer „inklusiven Schule für alle“ weitergegangen werden soll. Mit der Ratifizierung 2009 steht nicht nur Deutschland an sich, sondern jeder, der in Bereichen arbeitet, in denen er einen gesellschaftlichen Auftrag mit zu erfüllen hat, in der Verantwortung. Daher gilt es auch für alle, also jede einzelne Institution, die im Bereich Bildung den gesellschaftlichen Auftrag angenommen hat, eine „inklusive Schule für alle“ zu schaffen: „Je mehr Freiheit wir genießen, desto größer ist die Verantwortung, die wir gegenüber anderen und uns selbst tragen.“4
Am Beispiel der KSH München, die stellvertretend für die Bildung an Hochschulen steht, an denen Menschen mit Behinderung die gleichen Chancen wie Menschen ohne Behinderung haben, wird untersucht, inwieweit die UN-BRK bereits umgesetzt wird. Weiterhin soll im Ergebnis herausgearbeitet werden, welche Ziele sowie Maßnahmen die KSH München verfolgt, um ihre „ inklusive Hochschule“ weiterzuentwickeln.
Um die Forschungsfrage wie oben beschrieben zu untersuchen, wurde die Forschungsarbeit wie in den nächsten Abschnitten dargestellt aufgebaut.
Mit der einleitenden Problemdarstellung, „Umsetzung der UN-BRK an Hochschulen“, werden zum Thema wesentliche Hintergründe sowie die Einbindung des Themas als gesamtgesellschaftliches Problem seit der Ratifizierung durch Deutschland 2009 erörtert. Um dem Thema „Umsetzung der UN-BRK an der KSH München“ Rechnung zu tragen, folgt anschließend die Darstellung und Bedeutung der Aktualität für das deutschen Bildungssystems, welches dem/der Leser/in die Komplexität des Themas vors Auge führen soll. Im Anschluss werden rechtliche Normen (Grundgesetz, UN-BRK, Sozialgesetz, Bundesteilhabegesetz), die eine hohe Relevanz für die Studie des Themas haben sowie bereits vorliegende wissenschaftliche Studien zum Umsetzungsstand der UN-BRK in Deutschland (Studie des DIMR von 2018 bis 2019) mit Schwerpunkt „Umsetzung an Hochschulen“ herangezogen. Die Ergebnisse bereits durchgeführter Studien zeigen den Forschungsstand zum gewählten Thema auf. Sie geben darüber hinaus die Möglichkeit, Vorannahmen zu formulieren und die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit mit den vorliegenden Ergebnissen des DIMR zu vergleichen und Rückschlüsse zu ziehen. Da das DIMR den Zeitraum von 2009 bis einschließlich 2019 zum Umsetzungsstand der UN-BRK in Deutschland prüfte und erfasste, sind die Ergebnisse aktuell und repräsentativ. Die Auseinandersetzung mit theoretischen Ansätzen schließt mit der Analyse einzelner Konzepte zum Empowerment (nach Herringer) von Menschen mit Behinderung ab. Die Analyse der Studien des DMIR, die Analyse normativer Rahmenbedingungen und das Empowerment-Konzept nach Herringer liefern umfassende Informationen zum aktuellen Forschungsstand, die für die eigene durchzuführende empirische Studie eine wesentliche Basis bildeten.
Nach dem Erfassen des Forschungsstandes (Gliederungspunkt 2) wird im Abschnitt 3 das Forschungsdesign umfassend dargestellt. Im ersten Teil wird die Datenerhebung, von der Wahl der Datenerhebungsinstrumente (Experteninterview, Interview Studierender mittels Fragebogen), deren Beschreibung einschließlich der Besonderheiten während der Studie sowie Durchführung eines Pretest erläutert. Danach wird die Datenerhebung (Fragebögen) beschrieben. Das Forschungsdesign erfasst im zweiten Abschnitt die Auswertungsmethode. Für die Auswertung der empirischen Studie ist die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring genutzt worden. Warum diese Methode zur Auswertung der Ergebnisse herangezogen und welche Besonderheiten dieser Methode zugrunde liegen, wird im Abschnitt 3.2 an den Gegebenheiten der durchgeführten Studie beschrieben und begründet. Es wird zusätzlich erläutert, dass nach Mayring der induktive wie auch deduktive Weg der Kategorienbildung möglich ist und wie sich diese Herangehensweisen unterscheiden. Abschließend wird unter Punkt 3.3 das Ergebnis der Forschungsarbeit offengelegt. Um die Transparenz und Überprüfbarkeit zu unterstützen, werden Ergebnisse in Tabellen, Grafiken und im Text dargestellt. Da die Ergebnisse der theoretischen Auseinandersetzung bereits sehr umfassend im Punkt 2 erfasst wurden, werden diese unter Punkt 3 nicht zusätzlich wiederholend erfasst.
Nach der Auswertung der Ergebnisse als Abschluss zum Forschungsdesign wird im nächsten Abschnitt (4) ein Gesamtüberblick zu den Ergebnissen aus Literaturanalyse und durchgeführter empirischer Studie gegeben. Die Ergebnisse der Literaturanalyse (Studien DIMR, normative Rahmenbedingungen, Empowerment-Konzept) und die durchgeführte empirische Studie an der KSH München werden für sich und im Vergleich zueinander dargestellt, diskutiert und interpretiert. Im Ergebnis der Diskussion werden Rückschlüsse gezogen und Antworten auf die Forschungsfrage gewonnen, die die Grundlage für das Fazit bilden.
Das Fazit bildet den Abschluss der Bachelorarbeit und fasst das Ergebnis der Studie zusammen. Mit dem Fazit wird dem Forschenden die Möglichkeit eröffnet, für die künftige Arbeit Empfehlungen und Hinweise zur Weiterentwicklung des Standes der UN-BRK an der KSH München und anderen Hochschulen Münchens zu geben.
2. Auseinandersetzung mit theoretischen Ansätzen unter Einbindung von normativen Rahmenbedingungen
2.1. Aktualität des Themas:
Inwieweit Deutschland die Verantwortung wahrnimmt, um die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen, ist besonders seit 2009 mit der Ratifizierung der UN-BRK durch Deutschland Gegenstand unterschiedlicher Publikationen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte – die Monitoring-Stelle UN-BRK untersuchte den Zeitraum von 2009 bis 2019, ob und in welchem Umfang Deutschland seiner Verpflichtung nachkommt, z.B. ein inklusives Schulsystem aufzubauen und somit dem Artikel 24 der UN-BRK (Recht auf Bildung ohne Diskriminierung) gerecht wird. Inwieweit sich die Ergebnisse der Monitoring-Stelle in den Ergebnissen der KSH München bei der Umsetzung der UN-BRK widerspiegeln, ist Gegenstand dieser Forschungsarbeit. Auf den ersten Blick erscheint es vermessen, eine Hochschule mit einem Land bezüglich des Umsetzungsstandes der UN-BRK zu vergleichen. Jedoch zeigt Eleanor Roosvelt auf, dass der Schutz der Menschenrechte zwar primär zu einer Verpflichtung des Staates wird, aber auch eine Vereinbarung zwischen dem Staat und seiner Bevölkerung nach sich zieht. „Wo beginnen Menschenrechte? In kleinen Orten, ganz in der Nähe – so nah und so klein, dass die Orte auf keiner Landkarte der Welt gesehen werden können. Dennoch bedeutet sie die Welt für jede einzelne Person: die Nachbarschaft, in der wir leben, die Schule oder Hochschule, die wir besuchen, die Fabrik, der Bauernhof oder das Büro, wo wir arbeiten.“5
Im Folgenden wird Bezug genommen auf den aktuellen Wissensstand der Forschung. Des Weiteren werden die Unterschiede zwischen den normativen Rahmenbedingungen und Definition erläutert, welche maßgebend sind zur Klärung der Themafrage.
2.2. Stand der Forschung
Eine wichtige Literaturquelle für diese Forschungsarbeit ist daher die Studie „Die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland von Juli 2018 bis Juni 2019; Bericht an den Deutschen Bundestag gemäß § 2 Absatz 5 DIMRG, vom Deutschen Institut für Menschenrechte6. Diese Studie stützt sich auf das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Convention on the Rights of Persons with Disabilities – oder abgekürzt - CRPD) vom 13.12.2006. Resolution 61/106 der Generalversammlung der UNO, die am 30.05.2008 in Kraft trat. Die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in Deutschland ist mit der Ratifizierung und Unterzeichnung seit 26.03.2009 bindend.
Darüber hinaus bildet das theoretische Konzept nach Norbert Herriger „Empowerment in der Sozialen Arbeit“ eine zusätzliche Grundlage für die durchzuführende Studie.
Die Werke „Brückenschläge zur Gesundheitsförderung“7 und „Empowerment-Landkarte. Diskurse, normative Rahmung“8 wurden zu den theoretischen Grundlagen von Norbert Herriger ergänzt, um das Theorieverständnis verständlicher zu machen.
Beide Literaturquellen stehen thematisch in einer Wechselwirkung, da die UN-BRK neben den Menschenrechten auch Handlungskonzepte wie „Empowerment“ aufzeigt, die zur Umsetzung der UN-BRK notwendig werden. Neben dem Forschungsmaterial der empirischen Studie werden die gewählten Theorien und theoretischen Ansätze zur Bearbeitung der Forschungsfrage als weitere Grundlage herangezogen, um den Stand der Forschung zur Umsetzung der UN-BRK an Hochschulen zu erfassen, außerdem dortige Probleme, nötige Maßnahmen und künftige Ziele, die der Umsetzung der UN-BRK dienen.
Um zu Beginn einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zur Umsetzung der UN-BRK in Deutschland zu gewinnen, wird die Studie des DIMR herangezogen, da diese die Ergebnisse nach 10 Jahren UN-BRK in Deutschland aufzeigt. Im Berichtszeitraum vom 01. Juli 2018 bis 30. Juni 2019 untersucht das Deutsche Institut für Menschenrechte den Stand der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland. „Das Deutsche Institut für Menschrechte (DIMR) ist die unabhängige Nationale Menschenrechtsinstitution Deutschlands. Es ist gemäß den Pariser Prinzipien der Vereinten Nationen akkreditiert (A-Status).“9
Zu den Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR-Gesetz § 1) gehören:
- Politikberatung
- Menschenrechtsbildung
- Information und Dokumentation sowie anwendungsorientierte Forschung zu menschenrechtlichen Themen
- Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen
- Monitoring der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und
- Monitoring der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
- Einrichten von Monitoring-Stellen
Das Deutsche Institut für Menschenrechte nahm den 70. Jahrestag des Grundgesetzes der BRD, den 50. Jahrestag der UN-Anti-Rassismus-Konvention sowie den 10. Jahrestag der UN-BRK zum Anlass, Deutschland einem umfassenden menschrechtlichen Überprüfungsverfahren zu unterziehen. 2019, dem Jahr der Jubiläen, wurden die Ergebnisse der Bundesregierung vorgelegt, auf die sich diese Arbeit stützt.
Im vorgelegten Bericht wird auch aufgezeigt, welche Wirkungen das Grundgesetz und die menschenrechtlichen Abkommen auf weitere normative Rahmenbedingungen in Deutschland haben. Die Ergebnisse dieser Wechselwirkung werden im Bericht als „Meilensteine“ bezeichnet. Um den Einfluss der aktuellen normativen Vorgaben auf die Umsetzung der UN-BRK zu verdeutlichen, wird zunächst auf die wesentlichen Gesetze, die sich gegenseitig bedingen, eingegangen. Darüber hinaus wird die Entwicklung der Menschenschutzrechte grundsätzlich ab 2009 näher betrachtet, also ab der Ratifizierung der UN-BRK in Deutschland. Das dient dazu, den Fokus der Forschungsarbeit nicht auf historische Rückblicke zu legen. Ziel ist es, den aktuellen Entwicklungsstand an Hochschulen zur UN-BRK-Umsetzung darzustellen, sowie die Maßnahmen, die zum verbesserten Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderung an Hochschulen führten. Auch soll verdeutlicht werden, welche Probleme bei der Umsetzung bewältigt wurden und noch bewältigt werden müssen.
Eines der wichtigsten Gesetze ist das Grundgesetz (GG), wenn es um die Frage der Grundrechte, der Menschenrechte und deren Schutz geht.
Mit der Verabschiedung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 stellte Deutschland den Schutz der Menschenrechte ganz an den Anfang seiner Verfassung. Mit der Tätigkeitsaufnahme des Bundesverfassungsgerichtes 1951 wird deutlich, dass die verbrieften Menschenrechte geltendes Recht sind. Die Gesetzgebung (Staatsgewalt) sowie die Rechtsprechung sind demzufolge an sie gebunden. Das Bundesverfassungsgericht überwacht die Einhaltung des Grundgesetzes sowie den Schutz der verankerten Grundrechte. Die UN-Behindertenrechtskonvention muss allen anderen Gesetzen, Verordnungen vorangestellt werden. Dies ist notwendig, um nicht in der traditionellen Behindertenpolitik zu verharren oder stets zurückzufallen.
Im Berichtszeitraum von 2009 bis 2019 kann an folgenden Maßnahmen die Weiterentwicklung des Schutzes der Grundrechte, der Menschenrechte für Menschen mit Behinderung verdeutlicht werden10:
Weiterentwicklung - Grundgesetz (GG) und UN-Anti-Rassismus-Abkommen (ICERD)
- 2009 Wunsiedel-Beschluss, Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 124, 300
- „Die Strafbarkeit der öffentlichen Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft ist mit der Verfassung vereinbar.“11
- 2010 Hartz IV-Urteil, BVerfG 125, 175
- „Aus der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip ergibt sich ein Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Es sichert die physische Existenz sowie ein Mindestmaß an gesellschaftlicher, kultureller und politischer Teilhabe.“
- 2012 Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz BVerfG 132; 134
- „Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums steht allen Menschen in Deutschland, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, zu. Die Menschenwürde kann nicht aus migrationspolitischen Gründen relativiert werden.“
- 2015 auf der Grundlage des ICERD (UN-Anti-Rassismus-Abkommens)
- „Änderung des Strafgesetzbuches: Rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe und Ziele der Täter/innen sind bei Strafzumessung zu berücksichtigen (§ 46 Abs. 2 StGB).“
- 2019 Beschluss zum Wahlrechtsausschluss von Menschen mit Behinderungen
- „Der pauschale Ausschluss betreuter Personen vom Wahlrecht ist verfassungswidrig.“ Weiterentwicklung - Grundgesetz und UN-Behindertenrechtskonvention seit 2009
- 2001 wird erstmalig eine UN-Menschenrechtskonvention unter maßgeblicher Beteiligung der Betroffenen erarbeitet; UN-Generalversammlung setzt ein Ad Hoc Committee ein, um Vorschläge für eine internationale Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung zu erarbeiten. (Resolution A/RES/56/168)12
- 2006 die UN-BRK wird durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen – Resolution A/RES/61/106
- 2009 Ratifizierung – die UN-BRK tritt in Deutschland in Kraft; Monitoring-Stelle UN-BRK als unabhängige Stelle nach Artikel 33 UN-BRK übernimmt ihre Aufgaben wahr
- 2009 Schaffung von innerstaatlichen Durchführungs- und Überwachungsstellen nach Artikel 33 UN-BRK; Stellen sind: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, staatliche Koordinierungsstellen, Inklusionsbeirat beim Bundesbehinderten-beauftragten
- 2010 EU ratifiziert die UN-BRK
- 2010 – Rheinland-Pfalz – erstes Bundesland verabschiedet Aktionsplan
- 2013 – Europäische Gerichtshof passt die Auslegung des Begriffs „Behinderung“ dem Verständnis der UN-BRK an (Rechtssachen C-335/11 und C-337/11)
- 2013 Personenbeförderungsgesetzt verpflichtet die zuständigen Institutionen zu vollständigen Barrierefreiheit im öffentlichen Personenverkehr bis zum 01.01.2022
- 2016 Abschaffung der Wahlausschlüsse von Menschen unter Betreuung in allen Angelegenheiten beginnt in den ersten Bundesländern wie NRW, Schleswig-Holstein
- 2016 erstes allgemeines Gesetz zur Stärkung der sozialen Inklusion wird in NRW verabschiedet; NRW verpflichtet sich als erstes Bundesland, die Umsetzung der UN-BRK unabhängig prüfen zu lassen; Saarland folgte NRW 2019
- 2016 Bundeskabinett – Verabschiedung Aktionsplan 2.0 zur Umsetzung der UN-BRK
- 2016 Reformierung des Behindertengleichstellungsgesetz auf Bundesebene
- Ergebnis: Verwendung leichter Sprache; Einrichtung eines Partizipationsfonds; Schaffung einer Bundesfachstelle „Barrierefreiheit“; Schaffung einer Schlichtungsstelle
- 2016 Verabschiedung des Bundesteilhabegesetz
- Ergebnis: Leistungen für Menschen mit Behinderung, die zur gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben benötigt werden, werden der Sozialhilfe nicht angerechnet sowie weniger stark vom Einkommen abhängig gemacht; Schaffung von Instrumenten zur Teilhabe am Arbeitsleben13
Nach Artikel 3 UN-BRK, der die Allgemeinen Grundsätze erklärt, heißt es:
„Die Grundsätze dieses Übereinkommens sind: a) die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit; b) die Nichtdiskriminierung; c) die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft; d) die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit; e) die Chancengleichheit; f) die Zugänglichkeit; g) die Gleichberechtigung von Mann und Frau; h) die Achtung vor den sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern mit Behinderungen und die Achtung ihres Rechts auf Wahrung ihrer Identität.“14
Die nach Artikel 3 UN-BRK festgeschriebenen Grundsätze ziehen sich durch fast alle 50 Artikel der Konvention. Daher müssen sich die Allgemeinen Grundsätze der UN-BRK in allen weiteren Entscheidungen der Politik und Gesellschaft widerspiegeln, wenn es um die konsequente Umsetzung der UN-BRK in Deutschland geht. Demzufolge müssten sich die Allgemeinen Grundsätze in der Sozialgesetzgebung wie im Bundesteilhabegesetz nachweisen lassen. Exemplarisch soll an dieser Stelle Art. 3 Buchstabe c) der UN-BRK „die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft“ nach dem Bundesteilhabegesetz bzw. Sozialgesetzbuch geprüft und erörtert werden.
Laut § 53 SGB XII heißt es für den Leistungsanspruch:
„(1) Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten.“
„(2) Von einer Behinderung bedroht sind Personen, bei denen der Eintritt der Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies gilt für Personen, für die vorbeugende Gesundheitshilfe und Hilfe bei Krankheit nach den §§ 47 und 48 erforderlich ist, nur, wenn auch bei Durchführung dieser Leistungen eine Behinderung einzutreten droht.“
„(3) Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen.“
„(4) Für die Leistungen zur Teilhabe gelten die Vorschriften des Neunten Buches, soweit sich aus diesem Buch und den auf Grund dieses Buches erlassenen Rechtsverordnungen nichts Abweichendes ergibt. Die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten sich nach diesem Buch.“15
Nach dem § 53 SGB XII wird Behinderung danach als „wesentliche Teilhabeeinschränkung“ bzw. „drohende‚ wesentliche Behinderung“ erklärt. Daraus folgt, dass der Anspruch auf diese Leistung davon abhängig ist, dass „nach der Besonderheit des Einzelfalles“, vor allem nach der „Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.“16
Das bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen folgendes erfüllen müssen, um ihr Recht an Teilhabe durchzusetzen:
1. die Menschen müssen eine wesentliche Einschränkung in der Teilhabe oder eine wesentliche Behinderung haben und
2. ein Leistungsbedarf muss bestehen und
3. das Eingliederungshilfe-Ziel muss erreicht sein.
Da das Bundesteilhabegesetz (BTHG) in § 99 SGB IX n.F. ab 2020 – Artikel 26 Absatz 4 vorsieht, dass o. g. Eingliederungsverständnis übernommen wird und ab 2023 der Artikel 25a BTHG durch das Bundesgesetz in Kraft gesetzt werden soll (Artikel 26, Abs. 5), muss in Frage gestellt werden, ob die UN-BRK Beachtung findet. Das BTHG soll dann festschreiben, dass Menschen mit Behinderungen leistungsberechtigt sind, wenn diese in mehr als einem Lebensbereich Hilfe bzw. Unterstützung benötigen. Einschränkungen grenzen Menschen aus, nehmen ihnen die Chancengleichheit und die wirkliche sowie uneingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Besonders Menschen mit Behinderung wird unter Umständen das Recht auf Bildung – Artikel 24 der UN-BRK – dann weiterhin eingeschränkt. Nach Artikel 24 UN-BRK wird das Recht auf ein lebenslanges Lernen garantiert. Der Abs. 5 Artikel 24 erklärt darüber hinaus, „dass Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung, Berufsbildung, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen haben.“17
Darüber hinaus wurde mit der Reformierung des SGB IX der Begriff „Behinderung“ neu definiert. Behinderung soll nicht mehr als Eigenschaft und Defizit einer Person gesehen werden, sondern stellt eine gesundheitliche Beeinträchtigung in den Zusammenhang mit den Bedürfnissen und Interessen des Menschen. Diese neue Herangehensweise ist eine Weiterentwicklung, die eher mit der UN-Behindertenrechtskonvention übereinstimmt. Zusammenfassend wird festgestellt, dass die Definition „Behinderung“ nach § 2 Abs. 1 SGB IX, die seit 1. Januar 2018 die gesetzliche Behinderungsdefinition in Deutschland darstellt, nicht für alle Menschen mit Behinderungen gilt. Wie oben bereits erklärt, wird im § 99 SGB IX n.F. nicht von „Menschen mit Behinderung“, sondern von „Leistungsberechtigten“ oder von „Personen“ gesprochen und nicht „Behinderung“ definiert. Jedoch verweist § 53 Abs. 1 SGB XII auf Behinderung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und somit auf die neue Behinderungsdefinition für Deutschland:
„(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.“18
Neben dem Artikel 3 UN-BRK wird laut Artikel 4 UN-BRK gefordert, dass sich Bund, Länder und Gemeinden an alle Maßnahmen halten müssen, die Menschen mit Behinderungen berühren. Dies schließt ein, dass sie die Rechte der Menschen mit Behinderung politisch aktiv fördern und umsetzen. Wie komplex diese Maßnahmen sind und in welcher Verantwortung jeder einzelne steht, Menschen mit Behinderungen ihre Menschenrechte ohne Ausnahme zu gewähren, verdeutlicht der Auszug aus Artikel 4 UN-BRK: „Artikel 4 (1) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern. Zu diesem Zweck verpflichten sich die Vertragsstaaten: a) alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte zu treffen; b) alle geeigneten Maßnahmen einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen zur Änderung oder Aufhebung bestehender Gesetze, Verordnungen, Gepflogenheiten und Praktiken zu treffen, die eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen darstellen; c) den Schutz und die Förderung der Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen in allen politischen Konzepten und allen Programmen zu berücksichtigen; d) Handlungen oder Praktiken, die mit diesem Übereinkommen unvereinbar sind, zu unterlassen und dafür zu sorgen, dass die staatlichen Behörden und öffentlichen Einrichtungen im Einklang mit diesem Übereinkommen handeln.“19
Wie das Deutsche Institut für Menschenrechte vgl. o. g. Darstellung der einzelnen Maßnahmen herausgearbeitet hat, sind bereits erste normative Rahmenbedingungen geschaffen worden, um der Zielstellung sowie den Allgemeinen Grundsätzen der UN-BRK schrittweise gerecht zu werden. Ob diese Maßnahmen, Änderungen, Anpassungen an Rechtsnormen zur Umsetzung der UN-BRK ausreichend und somit zielführend sind, entscheidet auch, wie die Verantwortlichen „Behinderung“ definieren.
Das Statistische Bundesamt stellt 2017 fest, dass ca. 9,4 Prozent der Bevölkerung, das sind 7,8 Millionen Menschen, als schwerbehindert anerkannt seien.20 21
„Zu den Menschen mit Behinderungen zählt die UN-BRK darüber hinaus auch nicht als schwerbehindert anerkannte Personen, etwa Menschen mit langfristigen chronischen Erkrankungen, psychischen oder anderen Beeinträchtigungen, die auf gesellschaftliche Barrieren stoßen und deren Teilhabechancen dadurch reduziert sind.“22
Darüber hinaus stellt sich die Frage, wann ein Mensch nach dem Verständnis der UN-BRK „behindert“ und wann beeinträchtigt ist. „Man ist nicht behindert, sondern man wird behindert.“ Die UN-BRK weist somit auf die Komplexität und Veränderung der „Barrieren“ hin, die Menschen mit Behinderungen überwinden müssen. Die Behinderung an sich ist nicht das Problem des Behinderten, es sind die Schranken sowie Barrieren in der Politik und in der gesamten Gesellschaft. Würde man dieses Verständnis von Behinderung der UN-BRK zugrunde legen, dann erhöhe sich der Anteil von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft auf bis zu 23 Prozent.23
Nach Artikel 1 UN-BRK wird Behinderung wie folgt definiert: „Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Partizipation an der Gesellschaft hindern können.“24
Wie sich das Verständnis des deutschen Sozialrechts in Bezug auf Behinderung gegenüber dem der UN-BRK trotz Anpassungen noch unterscheidet, erfasst wie oben beschrieben das SGB IX.
(1) „Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.“
(2) „Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.“
(3) „Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).“25
Das „SGB IX Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“ grenzt Behinderung durch weitere Aspekte ein: 1. Durch den für das „Lebensalter typische Zustand“ und 2. die „hohe Wahrscheinlichkeit, mit der eine Beeinträchtigung länger als ein halbes Jahr“ von der Normalität in dem jeweiligen Alter abweicht. Diese Definition ist daher eher mit Beeinträchtigung statt mit Behinderung in Verbindung zu bringen. Für Beeinträchtigung spricht, dass die Barrieren und ihre Bedeutung für die Entstehung von Behinderung nicht berücksichtigt werden. Es wird der medizinische Aspekt in den Fokus gestellt. Darüber hinaus ist die Einbindung des Zeitraums von sechs Monaten nach der UN-BRK kein nennenswertes Kriterium, da Erkrankungen, besonders chronische Erkrankungen, bei jedem Menschen anders verlaufen und somit unterschiedliche lange andauern.
Die „Beeinträchtigung“ nach Artikel 1 UN-BRK wird wie folgt als „[...] langfristige, körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen“ beschrieben. Der Hinweis „langfristig“ ist nicht näher bestimmbar und die Beschränkungen auf Körper, Seele, Geist und Sinne sind ebenfalls sehr allgemein und somit unbegrenzt, nicht eingeschränkt gefasst.
Im Vergleich des Verständnisses zur „Behinderung“ und zur „Beeinträchtigung“ seitens der UN-BRK und der bisher umgesetzten Anpassungen in Gesetzen, Verordnungen sind wesentliche Unterschiede erkennbar. Allein die Tatsache der unterschiedlichen Interpretationen in dem Verständnis von Behinderung seitens der Sozialgesetzgebung führt dazu, dass Menschen ausgegrenzt werden. In der Folge erhalten die Menschen nicht die notwendige Hilfe, die benötigten Hilfsmittel und Rehabilitationsmaßnahmen. Werden die im Alltag umgangssprachlich verwendeten „Erklärungen“ für Behinderung hinzugezogen wie „der Rollstuhl“, in dem Behinderte mit ihrem Hilfsmittel gleichgesetzt und somit zu Objekten reduziert werden, lassen sich unschwer die Ursachen erkennen, die zu weitreichenden Hindernissen für die Umsetzung der UN-BRK führen. Menschen zu Objekten zu machen, widerspricht auch dem Artikel 12 „Gleiche Anerkennung vor dem Recht (1) - Die Vertragsstaaten bekräftigen, dass Menschen mit Behinderungen das Recht haben, überall als Rechtssubjekt anerkannt zu werden.“26
Letztendlich existieren auch Umschreibungen für eine Behinderung wie Beeinträchtigung, die nicht konform der UN-BRK sind, da beeinträchtigte Menschen körperliche Einschränkungen wie eine chronische Erkrankung haben. In dem Fall wird der medizinische Aspekt in den Vordergrund gerückt. Die UN-BRK bezieht in ihrem Verständnis über „Behinderung“ nicht ausschließlich medizinische, sondern auch soziale Aspekte mit ein, nämlich die Barrieren, die durch Politik und Gesellschaft entstehen. Das wiederum verdeutlicht, dass Menschen mit Beeinträchtigungen durch diese Barrieren im Alltag „behindert“ werden. In der Konsequenz können diese Verständigungsprobleme weitere Hindernisse zur Umsetzung der UN-BRK mit sich bringen. Die Forderung der UN-BRK nach Bewusstseinsbildung und Barrierefreiheit im Sinne der UN-BRK nimmt daher begründet einen hohen Stellenwert ein - nicht zuletzt auch deshalb, um Inklusion in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens weiterentwickeln zu können.
Im Zusammenhang mit Inklusion stand in den letzten Jahren das Recht auf Bildung im Fokus unzähliger gesellschaftlicher Debatten. Das DIMR untersuchte daher auch, wie weit Deutschland in der Umsetzung des Rechts auf eine inklusive Schule ist. 27 Die Vorgaben der UN-BRK präzisieren und konkretisieren die Menschenrechte. Das Recht auf Bildung ist im Artikel 24 der UN-BRK verankert. „Sie verpflichtet den Vertragsstaat zur Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems.“28 Darüber hinaus wird das lebenslange Recht auf Bildung verbrieft. Die Verpflichtung des Vertragsstaates ist, „das bestehende Schulsystem so zu reformieren, dass es alle Menschen mit und ohne Behinderung optimal fördert und niemanden wegen seiner Behinderung ausgrenzt.“ „Die Vertragsstaaten der UN-BRK sind gleichzeitig verpflichtet, einzelne Elemente des Rechts – etwas auf den Zugang zu inklusiver Bildung – sofort einzulösen.“ „Menschen mit und ohne Behinderung hatten deshalb mit Inkrafttreten der UN-BRK im Jahr 2009 einen menschenrechtlichen Anspruch auf einen diskriminierungsfreien Zugang zur allgemeinen Schule – schon vor der vollständigen Schaffung eines inklusiven Bildungssystems.“29 Bereits 2016 hat der UN-Ausschuss für Menschen mit Behinderung erörtert, was unter einem inklusiven Schulsystem zu verstehen ist. Staaten, die neben ihrem Regel-Schulsystem ein Sonderschulsystem aufrechterhalten, erfüllen ihre Verpflichtung nicht. Dieses Doppelschulsystem sei trennend und daher nicht konform der UN-BRK. Das Bildungssystem müsse sich einem tiefgreifenden Reformprozess unterziehen. Die Politik müsse die Rahmenbedingungen durch Gesetze, Konzepte und Finanzierungen schaffen. Darüber hinaus müssten Ausbildungsinhalte, Lehrmethoden, Strukturen und Strategien angepasst werden.30
Mit welchem Engagement die einzelnen Bundesländer an die Umsetzung gingen, wird anhand der durchgeführten Studie durch das DIMR am Beispiel des Abbaus von Strukturen der gesonderten Förderung und Beschulung folgender Maßen beschrieben: „Während Bundesländer wie Bremen den Auftrag zur Gestaltung eines inklusiven Unterrichts bereitwillig angenommen haben, haben sich andere Bundesländer, etwa Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, das Saarland oder Sachsen-Anhalt (…) nicht hinreichend engagiert.“
Folglich wurde herausgearbeitet: „Zwischen 2009 und 2016 ist der Anteil der Schüler/innen mit sonderpädagogischen Förderbedarf in der allgemeinen Schule von 18 Prozent auf knapp 38 Prozent gestiegen. Zwar bildet diese Zahl nicht die praktischen Schwierigkeiten ab und lässt die Frage nach der Qualität des Bildungsangebotes unbeantwortet, auch das Phänomen einer gleichzeitig steigenden Förderquote wird damit nicht angemessen erfasst. Jedoch ist sie das Ergebnis einer Entwicklung, die ohne die UN-BRK und die Anerkennung von inklusiver Bildung als Menschenrecht nicht verstanden werden kann. Seit dem Inkrafttreten der UN-BRK in Deutschland 2009 sind zahlreiche politische Bekenntnisse zur schulischen Inklusion abgegeben worden. Von besonderer Bedeutung sind dabei die rechtlichen und programmatischen Äußerungen der Kultusministerkonferenz (KMK).“ Als erste Fortschritte stellen Dr. Aichle/Dr. Koworsch in der Studie fest: „Auch auf der gesetzlichen Ebene gibt es Fortschritte. In einigen Ländern haben Schüler/innen mit Behinderungen inzwischen einen expliziten Rechtsanspruch auf den Zugang zu einer allgemeinen Schule. Fast alle Länder haben ihre Schulgesetze wegen der UN-BRK novelliert.“
„Dennoch ist festzustellen, dass acht Jahre nach Inkrafttreten der UN-BRK in keinem Bundesland der notwendige Rahmen für die Schaffung und Gewährleistung einer inklusiven Schule abschließend entwickelt wurde.“31 32
Wird die Situation nach zehn Jahren UN-BRK betrachtet, kommt das DIMR 2019 zu folgender Einschätzung: „In der ersten Umsetzungsdekade ist es allerdings in Widerspruch zur UN-BRK den wenigsten Bundesländern gelungen, Inklusion über den Abbau der spezifischen Förder- und Sonderstrukturen voranzubringen und den Aufbau eines inklusiven Systems zu betreiben.“33
Inwieweit die beschriebene Entwicklung hauptsächlich am Willen oder am Verständnis der Verantwortlichen zur Inklusion und Integration liegt, wird im nächsten Abschnitt erörtert.
Abgrenzung – Integration von Inklusion
Bevor auf die Bedeutung der zugrunde gelegten Begriffsbestimmungen eingegangen wird, ist zu beachten, dass analog der „Schattenübersetzung“ die Erklärungen erfolgen. Im Original der UN-BRK, der offiziellen sowie amtlichen Übersetzung von der englischen in die deutsche Sprache, sind „Übersetzungsfehler“ aufgetreten. Aus diesem Grund hat der Verein für Menschenrechte und Gleichstellung Behinderter e.V. die Schattenübersetzung 2009 erstellt. Daher ist im Umgang mit den Begriffen „Inklusion“ in Abgrenzung zur „Integration“ Sorgfalt geboten.
Der Begriff „Inklusion“ – englisch „inclusion“ - wird im Original als Zugehörigkeit zur Gesellschaft von behinderten Menschen verstanden. Da „inclusion“ mit Integration gleichgesetzt wird, erfasst diese Übersetzung nur das Einbeziehen von Menschen mit Behinderung. Darüber hinaus fordert die UN-BRK Barrierefreiheit, was jedoch in der Übersetzung von „accessibility“ mit „Zugänglichkeit“ erklärt wird. Eine Ursache dafür ist, dass der Begriff „Inklusion“ ursprünglich aus dem Angloamerikanischen (Nordamerika) kommt. Übersetzt wurde Inklusion häufig mit „nicht aussondern“ oder mit „Zugehörigkeit“. Die UN-BRK hat Inklusion statt Integration zum Ziel, denn Inklusion und Partizipation dienen dem Empowerment von Menschen mit Behinderung.34
Es geht also um mehr als nur um Teilhabe, Eingliederung oder Zugänglichkeit, daher sind folgende inhaltliche Abgrenzungen der Begriffe notwendig, um nach der UN-BRK konform agieren zu können:
Inklusion
- bedeutet lat. „inclusio, Verb: includere“, was „Einschluss“ oder „Einschließung“ bedeutet. Auch bei dieser Übersetzung ist zu beachten: Wer „eingeschlossen“ werden sollte, muss demzufolge vorher ausgeschlossen worden sein. Nicht zuletzt ist bei der Interpretation von „einschließen“ der unterschiedliche inhaltliche Gebrauch zu prüfen, da dieses Wort in Verbindung mit „wegschließen“ nach der UN-BRK nicht der geforderten Interpretation entspricht35
- Ziel ist das Miteinander von behinderten und nichtbehinderten Menschen, sodass die „Barrieren“ oder auch Grenzen zwischen Menschen mit Behinderung und Nichtbehinderten aufgehoben werden
- Menschen mit Behinderung müssen sich demnach nicht mehr an die Umwelt anpassen bzw. integrieren, sich Bedingungen unterordnen, die sie behindern
- erfasst die Gleichbehandlung von Menschen mit und ohne Behinderung und ist nicht an das Alter gebunden.36
Um Inklusion im Sinne der UN-BRK zu erfassen, sind weitere Begriffe strikt abzugrenzen:
Integration, abgeleitet von „integrare“ (lateinisch), wird nach GWDS Duden mit „heil, unversehrt machen, wiederherstellen, ergänzen“37 in Zusammenhang gebracht. Dies bedeutet daher, dass Menschen mit Behinderung eine Eingliederung erfahren sollen, um das „Ganze“ „unversehrt“ zu machen. Im Alltag erfahren sie deshalb häufig nur eine strukturelle Eingliederung wie z. B. in separate Wohngruppen, separate Bildungseinrichtungen oder Werkstätten.
Integration umfasst, die Menschen mit und ohne Behinderung zusammenzubringen, die zuvor getrennt (separiert) wurden oder von denen manche ausgeschlossen („excludere“) waren. Die Integration setzt folglich eine Separation voraus.
Separation ist die Trennung von Menschen mit und ohne Behinderung. Sie stellt die Grundlage für die Entstehung von besonderen Einrichtungen dar, die für Menschen mit besonderem Förderbedarf in Deutschland nach wie vor sehr präsent sind. Menschen werden nach ihren Defiziten ausgesondert, ausgegrenzt (excludere). Es besteht daher zwischen Separation, Inklusion und Exklusion ein sich bedingender Zusammenhang.
Exklusion (lat. „excludere“ – hindern, ausschließen) bezeichnet daher, Menschen mit Behinderung zu „hindern“, „auszuschließen“, was im Sinne der UN-BRK zu vermeiden ist. Es hat aber auch die Bedeutung „abschneiden“. Werden Menschen wegen einer Behinderung oder anderer Kriterien in und von der Gesellschaft ausgegrenzt, ist dies also ein exklusiver Vorgang, der mit der UN-BRK nicht vereinbar ist.38
Wie und ob der Weg von der Exklusion im Sinne der UN-BRK zur Inklusion nach 10 Jahren UN-BRK in Deutschland, besonders an deutschen Hochschulen wie der KSH München, erfolgreich gegangen wurde und weiter gegangen wird, zeigt die Studie der DIMR sowie die empirische Studie des Forschenden, die als nächstes näher erörtert werden.
Inklusive Hochschule
Die Auswertung des DIMR, der Monitoringstelle der UN-BRK, vom März 2019 und der Bericht an den Deutschen Bundestag gemäß § 2 Absatz 5 DIMRG legen offen, ob und mit welchem Ergebnis u. a. im Hochschulwesen die UN-BRK von 2009 bis 2019 umgesetzt wurde. Zu Beginn wird festgestellt, dass im deutschen Hochschulsystem formal alle Studierenden unabhängig vom Vorliegen einer Beeinträchtigung Zugang zu den Hochschulen haben. Es wird darauf verwiesen, dass es im Hochschulbereich keine Sondersysteme wie im deutschen Schulsystem mit Sonder- und Förderschulen gibt. Trotzdem könne es für Studierende und Studieninteressierte mit Beeinträchtigung zu Barrieren beim Übergang vom Schul- zum Hochschulsystem kommen, die auch beim Durchführen des Studiums bestehen würden.39 40
Um den Stand der Umsetzung der UN-BRK zu erfassen, stützt sich das DIMR auf die Studien im Auftrag des Deutschen Studentenwerks, um den aktuellen Handlungsbedarf zu ermitteln. Der Studienzeitraum war das Sommersemester 2016. Danach studierten 2,37 Millionen Menschen in Deutschland. Von den 2,37 Millionen Studierenden hatten 264.000 Immatrikulierten eine oder mehrere gesundheitliche Beeinträchtigungen. Die Studierenden gaben an, dass sich diese Beeinträchtigungen erschwerend auf das Studium auswirkten. Prozentual ist das ein Anteil von 11 Prozent. Vergleicht man den Wert mit den Ergebnissen von 2012, ist festzustellen, dass 137.000 Immatrikulierte eine oder mehrere Beeinträchtigungen angaben. 2012 hatten 7 Prozent aller Studierenden Beeinträchtigungen, sodass von 2012 bis 2016 der Anteil um 4 Prozent gestiegen ist.
Eine Gegenüberstellung nach dem Geschlecht der Studierenden zeigte, dass der Anteil beeinträchtigter weiblicher Studierender bei 12 und bei männlichen Studierenden bei 10 Prozent liegt. Weiterhin wurde festgestellt, dass 29 Prozent der Studierenden mehrere Beeinträchtigungen haben, die das Studium erschweren. Nach Betrachtung der Form bzw. Art der Erkrankung, wurde ersichtlich, dass 55 Prozent der Studierenden an einer psychischen Erkrankung litten. Im Vergleich zu 2012 ist dies zu 2016 eine Erhöhung um 13 Prozent, wobei es bei anderen Beeinträchtigungen zu keiner nennenswerten Erhöhung innerhalb des Studienzeitraumes kam. Die Studierenden gaben bei der Frage nach den Schwierigkeiten im Studium an, dass die Probleme bei der Organisation, Durchführung des Studiums und bei der Prüfungs- und Lehrsituation auftreten. Insgesamt nannten 89 Prozent aller Studierenden mit Beeinträchtigung o. g. Probleme. Ursächlich seien nach Aussagen der Studierenden dafür die Prüfungsdichte – diese wurde am häufigsten genannt – und die Anwesenheitspflichten sowie zeitliche Vorgaben zum Leistungspensum.41 42
Seit der Ratifizierung der UN-BRK 2009 ist das Thema Inklusion auch an den Hochschulen ein wichtiger Bereich. In den Aktionsplänen der Hochschulen werden Maßnahmen analog der UN-BRK vereinbart.
„Eine Hochschule für alle“ forderte die Hochschulrektorenkonferenz 2009. Die Empfehlung, die diese verabschiedete, beinhaltete folgende Ziele bzw. Maßnahmen:
1. Berücksichtigung von baulichen Barrieren und Hürden bereits bei der Gestaltung der Curricula
2. Gewährung von Nachteilsausgleich (Herstellung von Chancengleichheit)
Das DIMR konnte feststellen, dass sich die Bedingungen für Studierende mit einer Beeinträchtigung verbesserten. Dazu trug in vielen Bundesländern bei, dass die Hochschulgesetze novelliert wurden. Im Vordergrund stand das Ziel, die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Hochschule einerseits rechtlich abzusichern und anderseits den Benachteiligungen von Studierenden mit Behinderung noch besser begegnen zu können. Hochschulangebote sollen möglichst ohne fremde Hilfe angenommen werden können. Investitionen in Barrierefreiheit, Beratungs- und Serviceangebote für Studieninteressierte und Studierende mit Behinderung sind fester Bestandteil vieler Hochschulen und werden weiter ausgebaut. Darüber hinaus wurden weitere Umsetzungsmöglichkeiten im Rahmen des Nachteilsausgleichs während des Studiums und bei Prüfungen entwickelt.43
Das DIMR musste feststellen, dass ein wichtiger Indikator, nämlich die „Bestellung einer Behindertenbeauftragen an Hochschulen“ zur Bewertung der Umsetzung der UN-BRK sehr große Unterschiede aufweist.
Das Amt der Behindertenbeauftragten wird durch das Landeshochschulgesetz geregelt. Daher gibt es bundesweit unterschiedliche Ausführungen. Während Länder wie Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Sachsen-Anhalt sehr detaillierte Regelungen verankert haben, sind im Hochschulgesetzt der Länder Bremen, Hessen und Sachsen noch keine Regelungen für Behindertenbeauftragte enthalten. In Bayern, Niedersachsen und Baden-Württemberg schreiben die Einrichtung jeweils eine Stelle für Behindertenbeauftragte vor. Genaue Angaben zur Benennung bzw. die Beschreibung der Aufgaben sind im Landeshochschulgesetz nicht enthalten. Die Konkretisierung der Stelle, also die Stellenbeschreibung für Behindertenbeauftragte im Detail wird an die einzelnen Hochschulen delegiert. In Thüringen und Schleswig-Holstein fehlt im Landeshochschulgesetz die Verpflichtung zur Benennung für Behindertenbeauftragte gänzlich. Beide Länder halten eine solche Verpflichtung zur Benennung von Beauftragten für Diversität, die die Belange aller Hochschulzugehörigen wahrzunehmen haben. Das DIMR schätzt dies kritisch ein, da neben den Aufgaben der Behindertenbeauftragte auch die Aufgaben anderer Stellen einfließen. Die Gefahr wäre, dass die Belange der Studierenden mit Behinderung nicht angemessen wahrgenommen werden könnten. Die Landeshochschulgesetze geben unzureichend Auskunft über zielführende Befugnisse und Vorgaben zu den Ressourcen.44
Abschließend wird deutlich, dass es in der Regel an institutioneller Verankerung von Inklusion an Hochschulen fehlt. Eine Ursache sind die fehlenden oder noch unzureichend entwickelten Aktionspläne. Einerseits gibt es viele Einzelmaßnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit und Teilhabe, jedoch ohne wirkliche Einbettung in ein Gesamtkonzept der Hochschule. Positive Beispiele wie der Aktionsplan der Universität Kiel und der Hochschulen in Sachsen sind noch zu selten. Sachsen erhielt vom Wissenschaftsministerium seit 2015 für Inklusionsmittel jährlich 2 Millionen Euro. Die Inanspruchnahme weiterer Inklusionsmittel koppelte das Wirtschaftsministerium seit 2018 an die Entwicklung und das Vorliegen eines Aktionsplanes.45
Zusammenfassend wird zur Umsetzung der UN-BRK durch die Monitoringstelle der UN-BRK festgestellt, dass der Umsetzungsstand insgesamt an den Hochschulen nicht den Erwartungen entspricht. Einzelne Länder haben entscheidende gesetzliche Rahmenbedingungen und somit eine Weiterentwicklung sowie Erfolge zu verzeichnen. Trotz Novellierung der Hochschulgesetze haben manche Hochschulen keine nennenswerten Schritte unternommen. Fazit ist, dass in keinem der 16 Bundesländer die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen wurden, um einer inklusiven Schulentwicklung gerecht zu werden.
Als Empfehlung spricht die Monitoring-Stelle dem Bund aus, „Mittel für inklusive Bildung in einen Pakt für Inklusion zu investieren, der die Länder dabei unterstützt, ein inklusives Schulsystem aufzubauen.“46
2.3. Auseinandersetzung mit der Empowerment-Theorie
Wie bereits unter dem Abschnitt „Abgrenzung von Integration und Inklusion“ (Abschnitt 2.2) verdeutlicht, gibt es noch häufig Missverständnisse, unterschiedliche Auslegungen, was Inklusion umfasst. In der Sozialen Arbeit, dem Bereich Sonderpädagogik begegnet man eher Inklusion als Einbindung, jedoch einer Einbeziehung dergestalt nicht, dass Menschen mit Behinderung als vollumfassend zugehörig gesehen werden. Dies sind Ursachen, die die Gefahr mit sich bringen, dass Inklusion im Sinne der UN-BRK eine Fehlentwicklung nehmen kann. Um dem entgegenzuwirken sind „Empowerment“ Konzepte entstanden. Diese heben hervor, dass Menschen mit Behinderung als „Experten in eigener Sache“ auftreten, somit wahr- und ernstgenommen werden. Weiterhin vermitteln diese Empowerment-Konzepte Menschen mit Behinderung, ihr Recht auf Selbstbestimmung einzufordern, ebenso auf Autonomie, gesellschaftliche Chancengleichheit und somit auf uneingeschränkte gesellschaftliche Zugehörigkeit wie Menschen ohne Behinderung. Es wird darüber hinaus festgestellt, dass Empowerment und Inklusion in einer Wechselwirkung stehen und daher Inklusion ohne Empowerment und umgekehrt nicht stattfinden wird. Ähnlich wie im Umgang mit Inklusion, Integration und dem dahinterstehenden Verständnis ist es auch mit der Bezeichnung „Empowerment“. Es wird viel über Empowerment gesprochen, geschrieben und diskutiert. Bei Themen wie einer Definition von Empowerment und bei Handlungsebenen sowie Methoden in der psychosozialen Arbeit mit Menschen gibt es sehr unterschiedliche Verständnisse. Das gleiche gilt bei einem ethischen Werterahmen, in den Empowerment eingebettet ist oder das Menschenbild an sich. Auch die zugrunde gelegten Werte des Empowerment-Konzeptes bieten Raum für unterschiedliche Blickwinkel. Besonders deutlich wird dies an zwei Betrachtungsweisen, die nicht verschiedener sein können:
„ Ein individualisiertes Leben trägt stets ein Doppelgesicht – es ist ein Jonglieren zwischen neuen Freiheitschancen und radikaler Verunsicherung, zwischen gelingender Lebenssouveränität und biographischem Schiffbruch. In der Literatur finden sich zwei kontroverse Meinungslager, in denen je optimistische Zukunftsoffenheit bzw. düstere Weltuntergangsstimmung überwiegen: Von den einen wird Individualisierung so als Überwindung vorgefertigter normativer Entwicklungsschablonen interpretiert und als neue Ressource von Emanzipation gefeiert; von den anderen hingegen wird Individualisierung als der Verlust verlä[ss]licher und unstrittiger Basissicherheiten der individuellen Lebensführung beklagt und bedrohlich erfahren. Auch Hitzler/Honer47 verweisen auf dieses Janusgesicht der Individualisierung: »Ein individualisiertes Leben zu leben bedeutet, existentiell verunsichert zu sein. Existentiell verunsichert zu sein, bedeutet nicht notwendigerweise, unter dieser Existenzweise zu leiden. Es bedeutet ebenso wenig, dieses Leben zwangsläufig zu genießen. Ein individualisiertes Lebens ist ein ›zur Freiheit verurteiltes‹ Leben: Der individualisierte Mensch ist nicht nur selber ständig in Wahl- und Entscheidungssituationen gestellt, sondern auch mit immer neuen Plänen, Entwürfen und Entscheidungen anderer Menschen konfrontiert, welche seine Biographie mehr oder weniger nachhaltig tangieren. Diese biographischen Freisetzungen zeigen sowohl einen Gewinn an – den Gewinn an Entscheidungschancen, an individuell wählbaren (Stilisierungs-)Optionen – als auch einen Verlust – den Verlust eines schützenden, das Dasein überwölbenden, kollektiv und individuell verbindlichen Sinn-Daches.“48
Wie Hitzler/Honer49 das Für und Wider abwägen, zeigt das „Doppelgesicht“ von Empowerment, mit dem Ziel eines völlig selbstbestimmten Lebens. Dieses eher veraltete Menschenbild beschreibt, was Menschen mit Behinderung durch die selbstbestimmt Lebensführung „gewinnen“ und was es ihnen „kosten“ wird. Die Perspektive auf Menschen mit Behinderung hat sich im Laufe der Zeit verändert. Damals standen Defizite im Vordergrund, heutzutage stehen Ihre Ressourcen im Zentrum. Eine solche Herangehensweise verdeutlicht die „Ohnmacht“, die „Machtlosigkeit“ der Menschen mit Behinderung, aus der sie sich lösen werden, wenn sie sich von den Defiziten abkehren.50
Herriger definiert „Empowerment“ wie folgt:
„Empowerment sei in der psychosozialen Arbeit eine Sammelkategorie für alle jene[n] Arbeitsansätze, die die Menschen ermutigen, sich auf ihre eigenen Stärken zu besinnen. Sie sei Hilfestellung bei der Aneignung von Selbstbestimmung und Lebensautonomie. Empowerment sei als Selbstbemächtigung, Selbstbefähigung, Eigenmacht und Stärkung von Autonomie in der psychosozialen Arbeit verstanden worden. Empowerment definiert Herriger als „das Anstiften zur (Wieder-)Aneignung von Selbstbestimmung über die Umstände des eigenen Lebens.“51
Herriger (1995) stellt in seinem Konzept das „Leitmotiv der Philosophie der Menschenstärke“ in den Mittelpunkt. Dieses Menschenbild, das für die Empowerment-Praxis grundlegend und leitend ist, umfasst folgende Bausteine:
- Abkehr vom Defizit-Blick auf Menschen mit Lebensschwierigkeiten und den Verzicht auf pädagogische Zuschreibungen von Hilfeleistungen
- Ausrichtung auf die Stärken des Menschen
- Achtung vor der Autonomie und Selbstverantwortung des Klienten und Respektieren unkonventioneller Lebensentwürfe
- Anerkennung von psychosozialer Arbeit als Lebensbegleitung und Verzicht auf standardisierte Hilfspakete
- Verzicht auf entmündigende Expertenurteile im Hinblick auf die Definition von Lebensproblemen und Lebensperspektiven
- Grundorientierung an einer Rechte-Perspektive wie Wahlrecht im Hinblick auf Lebensalltagsgestaltung
Letztendlich kommt Herriger zum Ergebnis, dass die psychosoziale Praxis auf die Stärken ihrer Klienten aufbauen und Expertenmacht der Vergangenheit angehören solle. Es müsse eine Gleichberechtigung zwischen beruflichen Helfern und Klienten bestehen. Die bevormundende Fürsorglichkeit müsse dem Beziehungsmodus des partnerschaftlichen Aushandelns weichen.
Als „Wegweiser“ für eine zeitgemäße Arbeit mit Menschen mit Behinderung gilt „Empowerment und Inklusion behinderter Menschen“ von Theunissen.52
Wie bereits von Herriger stellvertretend für viele andere, die sich mit Empowerment auseinandersetzten, wird Empowerment noch zu eng gefasst und mit „Selbstbemächtigung“ oder „Selbstbefähigung“ übersetzt. Für eine auf Inklusion gerichtete Behindertenarbeit, für Empowerment als Wegweiser für zeitgemäße Inklusion reiche der Ansatz von Selbstbemächtigung bzw. Selbstbefähigung jedoch nicht aus.
Daher sei nach Theunissen/Schwalb Empowerment
- auf individuelle Selbstverfügungskräfte, vorhandenen Stärken oder Ressourcen gerichtet;
- verbunden mit einer politisch ausgerichteten Durchsetzungskraft (Abbau von Benachteiligungen, rechtliche Gleichstellung, Barrierefreiheit u. w. durch Interessenvertreter der behinderten Menschen);
- für einen selbstbestimmten Lern- und Handlungsprozess ausgerichtet, wie z. B. Eigenorganisation oder Aneignung notwendiger Kompetenzen
- genutzt im transitiven Sinne, wie z. B. Besinnung behinderter Menschen auf ihre Stärken, Gewinnung von Selbstvertrauen, Entwicklung vielfach verschütteter Kompetenzen, um das eigene Leben selbst zu gestalten;53
Dieses Konzept zielt auf das Stärken-Prinzip und ist an einer inkludierenden Zusammenarbeit von Behinderten und Nichtbehinderten ausgerichtet. Die dem Konzept zugrundeliegenden Werte und das darin verankerte Menschenbild grenzen sich deutlich vom defizitär ausgestatteten und versorgungsbedürftigen Menschen ab, was sich in folgenden drei Grundwerten widerspiegelt:
1. Grundwert: Die Selbstbestimmung des Menschen - diese sei im Empowerment-Konzept sozial vermessen
2. Grundwert: Die kollaborative und demokratische Partizipation54 - d.h. Menschen, die von Entscheidungen betroffen sind, müssen angehört werden, haben ein Recht auf Mitsprache und Mitbestimmung
3. Grundwert: faire und gerechte Verteilung von Ressourcen und Lasten in der Gesellschaft - d.h. Chancengleichheit, keine Ausgrenzung bestimmter Gruppen, soziale Gerechtigkeit, Inklusion.55
Hervorgehoben wird im o. g. Konzept von Theunissen und Schwalb besonders der Grundwert der Partizipation, da dieser neben der bedeutenden Rolle im Empowerment-Konzept „Wegweiser für zeitgemäße auf Inklusion ausgerichtete Behindertenarbeit“ auch einen wichtigen Platz in der UN-BRK sowie im SGB IX oder im Behindertenteilhabegesetz einnehme. Wie bereits ausgeführt wird Partizipation im SGB IX und im Behindertenteilhabegesetz mit „Teilhabe“ übersetzt.56 Im Artikel 29 und in der Präambel der UN-BRK wird die „Partizipation am politischen und öffentlichen Leben“ ausdrücklich erklärt. Darüber hinaus wird den Menschen mit Behinderung zugesprochen, „Experte in eigener Sache“ zu sein. Ihre aktive Mitwirkung an Entscheidungsprozessen ist gefordert, d.h. Partizipation in nichtstaatlichen Organisationen und Vereinigungen“, „aktiv ein Umfeld zu fördern, in dem Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten partizipieren können“.57 Diese verbriefte Selbstvertretung für Menschen mit Behinderung im Artikel 29 UN-BRK verdeutlicht den Gedanken und die enge Verbindung zwischen Inklusion und Empowerment. Da nicht jeder Mensch mit Behinderung für sich selber sprechen könne und somit nicht als „empowered persons“ auftritt, werden nach Artikel 24 UN-BRK assistierende Hilfen und Bildungsprogramme eingefordert, die betroffene Menschen stärken und zu einen „Bewusstsein ihrer Würde und ihres Selbstwertes“ verhelfen.58
Theunissen und Schwalb erklären, es sei Tatsache, dass dieser aktiven Partizipationskultur in der Behindertenarbeit längst nicht Rechnung getragen werde. Weiterhin führen sie aus, dass die Repräsentanten der Behindertenarbeit und der staatlichen Behörden Menschen mit Lernschwierigkeiten bzw. mit höherem Unterstützungsbedarf den Rahmen der Partizipationsmöglichkeiten abstecken und Entscheidungen treffen. Dies sei eine Top-down Partizipation, der eine Bottom-up Partizipation im Sinne des Empowerments kontrapunktisch gegenüberstehe.59
[...]
1 ebd. vgl. Hentschel 2013
2 vgl. Radtke 2019; Statista GmbH 2020
3 vgl. S. 2; Deutsches Institut für Menschenrechte 2017b.
4 vgl. United for Human Rights 2020
5 f. Roosevelt 2020
6 vgl. S. 1 ff.Aichele 2019
7 f. S. 1-24, Herriger 2002
8 f. Herriger 2014.
9 ebd. f. Aichele 2019
10 ebd.
11 ebd. f. S. 35 - 37
12 ebd. vgl. S. 38; Engelmann und uvm. 2019
13 ebd. vgl. S. 38
14 f. Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung 2017
15 ebd. f. §53 SGB XII; Bundesministerium für Justiz und für Verbraucherschutz 27.12.2003
16 ebd. f. § 53 SGB XII
17 f. S. 2;Deutsches Institut für Menschenrechte 2017a
18 f. SGB IX; Bundesministerium für Justiz und für Verbraucherschutz 23.12.2016.
19 f. S. 9; Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung 2017
20 f. S. 2; Engelmann und uvm. 2019
21 vgl. Radtke 2019
22 f. Art. 1 UN-BRK; Vereinten Nationen 21.12.2008
23 vgl. S. 2; Aichele 2019
24 f. Art. 1 UN-BRK; Vereinten Nationen 21.12.2008.
25 vgl. § 2 SGB IX; Bundesministerium für Justiz und für Verbraucherschutz 23.12.2016
26 f. S. 14; Beuftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung 2017
27 vgl. S. 30; Aichele 2019
28 f. Art. 24 UN-BRK; Vereinten Nationen 21.12.2008; f. S. 30; Aichele 2019.
29 f. S. 30; Engelmann und uvm. 2019; vgl. Aichele 2019
30 ebd. vgl. ff.. S.31; Engelmann und uvm. 2019; vgl. Ziffer 9 UN-Auschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung; Vereinten Nationen 21.12.2008.
31 ff. S. 53; Kultusminister Konferenz der Länder 2018
32 ff. S. 1;UN -Behindertenrechtskonvention / Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen 25.11.2016
33 f. S. 32; Aichele 2019
34 vgl. S. 88-92; Welke 2012
35 f. Duden 2020b.
36 vgl. S.13; Heimlich et al. 2014.
37 f. Duden GWDS 1999
38 f. Duden 2020a
39 vgl. S. 32; Aichele 2019
40 vgl. ff. S. 247; Poskowsky et al. 2016/17
41 vgl. S. 33; Aichele 2019
42 vgl. S. 121 ff.; S. 158 ff., Poskowsky et al. 2016/17
43 ebd. vgl. S. 34; Aichele 2019
44 ebd. vgl. S. 34
45 ebd. vgl. S. 35
46 ebd. vgl. S. 36
47 vgl. S. 307; Beck und Beck-Gernsheim 2015
48 f. S. 43-44; Herriger 2014
49 vgl. S. 307; Beck und Beck-Gernsheim 2015
50 vgl. S. 73ff.; Herriger 2002; vgl. Mulot 2007
51 ebd. f. S.2; Herriger 2002.; vgl. Mulot 2007
52 vgl. Theunissen 2013
53 vgl. S.25; Schwalb und Theunissen 2018
54 vgl. S. 360; Prilleltensky 1994
55 vgl. S. 25-26; Schwalb und Theunissen 2018.
56 vgl. Abschnitt - normative Rahmenbedingungen dieser Arbeit
57 vgl. Art. 29 UN-BRK; Vereinten Nationen 21.12.2008
58 vgl. Art. 25 UN-BRK; Vereinten Nationen 21.12.2008
59 vgl. S. 26ff.; Schwalb und Theunissen 2018
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