Entartete und arteigene Musik im Nationalsozialismus. Eine Gegenüberstellung anhand zweier Kompositionen von Richard Strauss und Arnold Schönberg


Facharbeit (Schule), 2021

39 Seiten, Note: 1,0 (14 Punkte)

Anonym


Leseprobe


Inhalt

1. Vorwort

2. Neue, für die Nationalsozialisten „entartete“ Musikstile
2.1 Neue Musik
2.1.1 Impressionismus
2.1.2 Expressionismus
2.1.3 Vom Expressionismus zur Zwölftonmusik
2.2 Swing
2.3 Die Ausstellung „Entartete Musik“ 1938 in Düsseldorf

3. Musik im Sinne der Nationalsozialisten
3.1 Arteigene Musik
3.2 Die Reichsmusikkammer
3.3 Musik zu Propagandazwecken

4. Werkanalyse
4.1 Schönberg - Klaviersuite Opus 25
4.2 Richard Strauss – „Also sprach Zarathustra!“
4.3 Vergleich

5. Schlusswort

Quellenverzeichnis

Anhang

1. Vorwort

„Die Musik ist jene Kunst, die das Gemüt der Menschen am tiefsten bewegt. […] Die Sprache der Töne ist manchmal durchschlagender als die Sprache der Worte.“1.

So beschrieb Reichspropagandaminister Joseph Goebbels 1938 die Wirkung der Musik auf den Menschen. Das Zitat zeigt, weshalb Musik für das Nationalsozialistische Regime einen hohen Stellenwert einnahm, da sich diese für propagandistische Zwecke ausnutzen ließ. In der Ideologie der Nazis wurde vor allem zwischen arteigener- und entarteter Musik unterschieden. Die Bedeutung der Musik im Nationalsozialismus ist in der Wissenschaft bereits ausführlich dokumentiert worden. Jedoch sind die rassistisch motivierten Hintergründe dieser Unterscheidung wohl zeitlos wichtig und verdienen es jederzeit, erneut dargestellt zu werden. In dieser wissenschaftlichen Seminararbeit sollen beide Begriffe, unter Berücksichtigung des nationalsozialistischen Systems, erneut aufgearbeitet und vor allem kompakt zusammengefasst werden. Die grundlegende Frage, welche Musik nun eigentlich „entartet“, und welche „arteigen“ ist, soll in der Arbeit beantwortet werden.

Hierzu wird zunächst auf die verschiedenen Musikstile, die als entartet galten, eingegangen und erklärt, was den Nazis an ihnen missfiel. Weiter werden die Arteigene Musik, und Beispiele für den Einsatz von Musik für propagandistische Zwecke näher betrachtet.

Zuletzt werden die Zwölftonkomposition für Klavier, Op. 25 von Arnold Schönberg, sowie das romantische Orchesterstück „Also sprach Zarathustra!“ von Richard Strauss analysiert. Schließlich soll nach einem Vergleich der Analysen die Frage endgültig beantworten werden.

2. Neue, für die Nationalsozialisten „entartete“ Musikstile

2.1 Neue Musik

Anfang des 20. Jahrhunderts kam es in der westlichen Musikwelt zu einem Epochenwandel, der die Romantik schrittweise durch die Moderne ersetze. Die nun gespielte Kunstmusik, auch Neue Musik genannt, lässt sich in ihrer Anfangsphase zunächst in den Impressionismus, den Expressionismus und die atonale Musik einteilen. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Neue Musik die klassischen Regeln der Harmonielehre nicht mehr streng beachtet und dementsprechend oft nach neuen Vorgaben komponiert wird.

2.1.1 Impressionismus

Der in Frankreich entstandene Impressionismus (1880 – 1910) zeichnet sich vor allem, angelehnt an die impressionistische Malerei, durch die musikalische Darstellung von äußeren Eindrücken oder Augenblicken aus2. Es ging den Komponisten weniger um die Form der Musik, sondern mehr um das gesamte Klangbild. Man versuchte aktiv, der vorherrschenden deutschen Musik der Hochromantik zu trotzen und sich von dieser abzuheben3. So werden beispielsweise absichtlich Dissonanzen der Akkorde nicht wie sonst üblich aufgelöst, sondern bewusst eingesetzt, um neue Klangfarben zu schaffen. Außerdem ist die Musik nun im Gegensatz zu Wagners Musiksprache nicht mehr gekennzeichnet durch „schwülstigen, übersteigerten und gekünstelten“4 Stil, sondern sensibel, zart und gefühlvoll. Trotzdem sind sich die Musik der Romantik und des Impressionismus immer noch ähnlich. Hauptvertreter des Impressionismus war der französische Komponist Claude Debussy. Stiltypisch von ihm sei das Orchesterstück „La Mer“ erwähnt. Zu seinen Anfängen hingegen entsprechen viele seiner Werke wie „Clair de lune“ der Romantik.

Problematisch für die Nationalsozialisten war hierbei unter anderem, dass die französischen Komponisten einen Gegenpol zur Romantik darstellten. Die Romantik war für die Nazis besonders attraktiv, da sie von deutschen Künstlern dominiert und geprägt wurde. Außerdem war Frankreich für die breite Mehrheit und vor allem die Nationalkonservativen in Deutschland, immer noch als Erbfeind verhasst. Wie bereits beschrieben, wollten sich französische Komponisten bewusst gegen die „deutsche Romantik“ auflehnen. Dies war den Nazis ein Dorn im Auge. Die neuen Klangfarben, die bei impressionistischer Musik entstanden, waren im Gegensatz zu den romantischen Stücken eher ungewohnt und neu. Schlussendlich entschieden die Nationalsozialisten, dass der Impressionismus entartet ist, obwohl er doch der Spätromantik in gewisser Weise ähnlich war.

2.1.2 Expressionismus

Als Gegenströmung des Impressionismus gilt der Expressionismus (1906 – 1925). Vertreter wollen nun keine äußeren Erscheinungen, sondern die inneren Regungen der Seele musisch darstellen5. Der Musikstil lässt sich in Vorformen, beziehungsweise den Frühexpressionismus (ab 1901), den Hochexpressionismus (ab 1907) und den Spätexpressionismus (ab 1914) unterteilen. Stilistische Merkmale sind „extreme Tonlagen, extreme Lautstärkeunterschiede [sowie] zerklüftete Melodielinien mit weiten Sprüngen“6. Hier zeigen sich bereits einige erste Tendenzen zur freien Tonalität bis hin zur Atonalität.

Auch der Expressionismus war mit der nationalsozialistischen Idealvorstellung von klassischer, deutscher Musik nicht in Einklang zu bringen. Die ersten atonalen Ansätze, sowie die vielen Extreme in der Musik, verbunden mit dem bewussten Schaffen von Dissonanzen, waren hierfür ausschlaggebend. Zudem waren einige wichtige expressionistische Künstler wie Arnold Schönberg Juden. Deshalb stellte der Expressionismus für die Nazis genauso wie der Impressionismus eine Entartung dar.

2.1.3 Vom Expressionismus zur Zwölftonmusik

Allmählich stieg bei einigen Musikern die Überzeugung, mittlerweile könne man auf herkömmliche Art und Weise keine Neukompositionen mehr schaffen, die einzigartig klingen. Also kamen Komponisten wie Arnold Schönberg und Alban Berg auf die Idee, die konventionellen Klangbilder gänzlich hinter sich zu lassen und nach völlig neuen Regeln zu komponieren.

Zuerst wandten sie sich dem Expressionismus zu. Mit expressionistischen Werken wie Schönbergs 1. Kammersinfonie Op.9 schufen sie neue Harmonien und somit auch neu klingende Stücke. Schließlich gingen jedoch beide Komponisten noch weiter. Schönberg folgte der Idealvorstellung der Emanzipierung aller 12 chromatischen Töne. Er ließ also, angelehnt an die atonale Musik, den konventionellen Grundtonbezug der klassischen Harmonielehre hinter sich und erschuf seine Möglichkeit der Gleichberechtigung der Töne. Diese sogenannte Zwölftonmusik orientierte sich nun an keiner klassischen Tonart mehr, sondern stattdessen an der chromatischen Tonleiter. Das Verwenden aller 12 möglichen Töne innerhalb einer Oktave, mithilfe der Zwölftontechnik, bietet völlig neue Möglichkeiten zu komponieren. Es entstehen ungewohnte, für das an „herkömmliche Musik“ gewöhnte Ohr, dissonant klingende Musikstücke. Genauer wird Schönbergs Zwölftonmusik in Kapitel 4.1 erläutert.

Die progressiven Klänge waren für die Nationalsozialisten inakzeptabel. Sie unterschieden auch nicht zwischen atonaler und Zwölftonmusik7, beides wurde mit dem „Etikett „Atonalität““8 versehen und als entartet diffamiert. Zuletzt unterstellte man der Atonalität außerdem, sie wäre eine zielgerichtete Musikbewegung die der „gefährlichste Zerstörer unseres volks- und rassemässigen [sic] Instinkts“9 sei. Der promovierte Musikwissenschaftler Ernst Nobbe erklärte den Verlust des Grundtonbezugs „mit der ‚chaotischen Mannigfaltigkeit‘ der Rassen in Deutschland“10 und sah das Judentum als Ursprung der Atonalität.

2.2 Swing

Auch im Hinblick auf Popularmusik für die breitere Masse kamen einige neue Musikformen auf. Swing, zuerst in Amerika entstanden, fand auch schnell in Europa enorme Beliebtheit. Gerade bei der Jugend gewann diese neue Tanzmusik große Popularität. Anfang der 20er Jahre fingen Bigbands in Amerika an, die Elemente der bisherigen Jazzformen aufzugreifen und diese so umzugestalten, dass sie tanzbar wurden. Obwohl der Swing zuerst von schwarzen Musikern gespielt wurde, adaptierten ihn schnell weiße Musiker. Diese konnten den Swing mithilfe des aufkommenden Rundfunks schnell verbreiten, was der Musik schließlich zum Erfolg Anfang der 30er Jahre verhalf.

Im Gegensatz zu früheren Formen des Jazz wurden die gespielten Stücke nun klassisch aufgeschrieben und arrangiert. Lediglich für Solos gab es noch den typischen Freiraum zur Improvisation11. Die Notation selbst bot europäischen Bands das Potential, die Musik schnell einzustudieren und in ganz Europa zu verbreiten. Zu den typischen Merkmalen des Swings gehört vor allem das auffällig häufige Verwenden von Off-Beat Verschiebungen, sowie der typische Swing-Rhythmus, welcher prägend für alle weiteren Jazzstile war.

Während der Swing in „Deutsch-Nationalen Kreisen“12 früh abgelehnt wurde, entwickelte er sich bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen schnell zu einer der populärsten Tanzmusiken. Es bildete sich in Deutschland eine eigene Jugend-Kultur – die sogenannte „Swing-Jugend“. Einige Gruppen der Swing-Jugend stellten eine Opposition zur nationalsozialistischen Hitler-Jugend dar. Diese hatte ihren eigenen Slang, ihre eigene Mode (siehe Abbildung 1) und vor allem eine völlig andere Art als bisher zu tanzen. Der Swing Tanz ist im Gegensatz zu typischen gebräuchlichen Tänzen der damaligen Zeit enorm freizügig, ungeordnet und exzentrisch. Als es 1933 in Deutschland zur Machtergreifung kam, wurde Swing zwar nicht explizit verboten, da er durchaus bei einer breiten Masse beliebt war, jedoch wurden Mitglieder von Swing-Jugend Gruppen, sowie Swing Musiker aktiv verfolgt und teils verhaftet13. Später wurden für oppositionelle Jugendliche eigene „Jugend-KZs“ eingerichtet. Für die Nazis war der Swing eine rassische Vermischung von amerikanischen, negroiden und jüdischen Elementen. Er galt als Sinnbild für die „primitive Animalität und Sexualität schwarzer Jazzmusiker“14. Es herrschte ein striktes Aufführ- und Tanzverbot des Swings.

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Abbildung 1: Die Mode der Swing-Jugend

o.U., Swingjugend: The Real Swing Kids, https://swungover.files.wordpress.com/2013/06/dieunwertigen_swingjugend-1.jpg, letzter Zugriff: 07.11.2021

2.3 Die Ausstellung „Entartete Musik“ 1938 in Düsseldorf

Den Höhepunkt der Diskreditierung verfemter Musik stellte die Ausstellung „Entartete Musik“ bei den Düsseldorfer Reichsmusiktagen dar. Diese fanden vom 22. - 29. Mai 1938 statt. Sie stellten ein großes Spektakel dar, bei dem in der ganzen Stadt Konzerte stattfanden, Musiklager des Militärs oder der Partei aufgeschlagen wurden und einige musikwissenschaftliche Vorträge, unter anderem zum Thema „Musik und Rasse“ gehalten wurden. Die Ausstellung „Entartete Musik“ selbst wurde am 24. Mai eröffnet und bis zum 14 Juni gezeigt. Hier wurden alle artfremden Musikstile zur Schau gestellt und angeprangert. Das Titelblatt der Broschüre zur Ausstellung zeigte treffend, die so verhasste, rassische Vermischung, aus welcher die „Entartete Musik“ entstamme (Abbildung 2).

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Abbildung 2: Titelblatt der Begleitbroschüre zur Ausstellung "Entartete Musik"

Picture-alliance/dpa/dpaweb, Verbotene Klänge im NS-Staat, https://www.dw.com/de/verbotene-klänge-im-ns-staat/a-16834460, letzter Zugriff: 07.11.2021.

Der schwarze Saxophonist wird übertrieben primitiv und animalisch gezeichnet, soll also einer nicht arischen, minderwertigen Rasse zugehörig erscheinen. Zudem trägt er einen feinen, typisch westlichen Frack, sowie einen Zylinder. Zusätzlich stigmatisiert ihn ein Judenstern. Der Musiker ist also der Inbegriff der „rassischen Vermischung“, und der Entartung.

Zum Abschluss dieses Kapitels sei gesagt, dass natürlich auch, unabhängig der komponierten Musikstile, die Musik jüdischer Komponisten automatisch als entartet betrachtet wurde. Besonders interessant ist hier das Beispiel des jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy. Einige seiner romantischen Werke weisen durchaus Ähnlichkeiten mit Stücken des von den Nazis geliebten Richard Wagners auf. Bei nüchterner Betrachtung könnte man meinen, Mendelssohn-Bartholdy wäre ebenso wie Wagner von den Nationalsozialisten als arteigener Musikschaffender anerkannt. Doch machte die alleinige Tatsache, dass Mendelssohn-Bartholdy ein Jude war, seine Musik zu einer artfremden Bedrohung der arischen Rasse. Die Musikwissenschaft begründete die Ähnlichkeiten der Musik jüdischer Musiker mit denen deutscher Komponisten, mit der ausgeprägten Reproduktionsfähigkeit der „jüdischen Rasse“. Hierbei sei jedoch angemerkt, dass es eher Richard Wagner war, der sich von manchen Werken Mendelssohn-Bartholdys inspirieren ließ15.

3. Musik im Sinne der Nationalsozialisten

3.1 Arteigene Musik

Eine der grundlegenden Säulen der Musikwissenschaft im dritten Reich war die Frage nach dem sog. Deutschtum in der Musik16. Das Attribut „entartet“ konnten die Nazis relativ schnell zuordnen. Eine einheitliche Definition, welche Musik nun eigentlich „deutsch“ war, erwies sich jedoch als deutlich schwieriger. Diese spezifische Musikforschung ist tief verbunden mit dem rassistischen Gedankengut des dritten Reichs. Man sah die Wurzeln der „arischen Rasse“ in den germanisch-, nordischen Völkern, und deren Mythologie. So sprach man der deutschen Musik die musikalischen Eigenschaften nordischer Lieder zu. Beispielsweise versuchte man die „nordischen Eigenschaften“ der Musik von Johann Sebastian Bach mithilfe isländischer Volkslieder zu analysieren17. Konkret definierte der im dritten Reich tätige Musikwissenschaftler Fritz Metzler das „Nordische“ in der Musik Bachs, anhand der Verwendung der sog. „Linienchromatik“ in seinen Fugen und Präludien. Komponisten südlicher „Rassen“ hingegen würden sich einer sog. „Flächenchromatik“ bedienen18. Eine solche Definition findet sich nur in der Musikwissenschaft der Nationalsozialisten.

Weiter gingen die Nazis davon aus, dass „Deutsche Musik“ „Seelische Inhalte tiefster Art“19 widerspiegle und weniger Ausdrucksmittel des Verstandes sei. Dementsprechend drücke sie die „Wesensart“20 der deutschen Rasse aus, welche wie bereits erwähnt, aus der nordisch-germanischen Mythologie hergeleitet wurde. Dieser nordische Charakter sei den Ariern „ins Blut gepflanzt“21. Deshalb zogen die Nazis den Rückschluss, dass das deutsche Volk folglich die Musik als ihre „spezifische Kunst“22 beanspruchen musste23. So war es für die Nationalsozialisten auch kein Wunder, dass gerade deutsche Musiker die Epoche der Romantik mit ihren Werken prägten und dominierten. Auch Propagandaminister Joseph Goebbels sah die Melodie als Wesen der deutschen Musik an24.

Im Umkehrschluss zu solchen Theorien bedeutete dies aber auch, dass Musik, welche „konstruiert“ wird, auf keinen Fall „Deutsche Musik“ sein kann und dementsprechend entartet war. Hierfür kann Schönbergs Zwölftonmusik angeführt werden, welche in Kapitel 4.1 und 4.3 genauer beleuchtet wird.

3.2 Die Reichsmusikkammer

Um eine „Disharmonie […] zwischen den kulturellen Äußerungsformen und der ideologischen Propaganda des Staates“25 zu vermeiden, musste die gesamte Kultur gleichgeschaltet und kontrolliert werden. Joseph Goebbels, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, erkannte die Bedeutung der Kultur für Propagandazwecke und gründete am 22. September 1933 die Reichskulturkammer. Er selbst übernahm als Präsident der Kammer den Vorsitz26.

Eine staatlich überwachte und kontrollierte Kultur wurde durch den verpflichtenden Beitritt eines jeden Kunstschaffenden, in einer der zuständigen Einzelkammern gewährleistet27. Eine dieser sieben Einzelkammern war die Reichsmusikkammer. Ihr mussten folglich alle aktiven Musiker und musikalischen Verbände beitreten. Wer „nicht-arischer“ Abstammung war, der Ideologie der Nationalsozialisten nicht zustimmte oder „Entartete Musik“ - also Moderne Musik wie Jazz und atonale Musik spielte, wurde nicht aufgenommen. Diese Musiker bekamen somit per Gesetz ein Berufs-, Veröffentlichungs- und Aufführverbot.

Für unzählige Musiker bedeutete dies das Ende ihrer Karriere. Nur wenige der „arischen“ Musiker, welche moderne Musik komponierten, passten sich an die Maßstäbe der nationalsozialistischen Ideale an und konnten somit weiter ihren Beruf ausüben. Geächtet waren zum Beispiel „der „atonale“ Hindemith“28, „der „Niggermusik“ [– also Jazz –] schreibende Ernst Krenek, ebenso […] [wie] die Lieder der „Eunuchen“, der Comedian Harmonists, [oder] die Songs der „Vaterlandsverräterin“ Marlene Dietrich“29.

Unter den rund 262.000 Deutschen aus jüdischen Familien, die aus Deutschland emigrierten, fanden sich auch viele der sogenannten „Musikjuden“30 wieder. Bekannte Musiker wie Arnold Schönberg, Erich Wolfgang Korngold oder Kurt Weill wurden aktiv verfolgt und sahen demnach keine Zukunft mehr für sich in Deutschland. In den Vereinigten Staaten, Großbritannien, aber auch in Shanghai konnten die meisten dieser emigrierten Juden ein neues Leben anfangen.

3.3 Musik zu Propagandazwecken

Die Tatsache, dass sich die kollektive Masse, durch die von Musik hervorgehobenen Gefühle und Emotionen, leicht lenken und beeinflussen lässt war für die Nazis enorm von Nutzen. Für einen totalitären Staat ist eine solche Lenkung der breiten Gesellschaft nicht unbedeutend, da für die langfristige Aufrechterhaltung des Systems beinahe jeder Teil des Staates unter Kontrolle stehen muss.

Zum einen wurde die Reichsmusikkammer gegründet, zum anderen wurde aber auch ein großer Fokus auf die Musik, welche im Reich gespielt und gehört wurde, gelegt, um sich diese zunutze zu machen.

Als prominentes Beispiel lassen sich Kampflieder anführen. Dies sind Märsche mit meist patriotischen Texten, die dem ideologischen Gedankengut der Nazis entsprechen. Sie sind meist sehr simpel gestaltet, repetitiv und dementsprechend eingängig. Vor allem in der Hitler-Jugend wurde das Singen dieser gemeinschaftsbildenden Lieder praktiziert. Verbunden mit ideologischen Texten und dem dazugehörigen Marschieren in der Gruppe mit Freunden, ließ sich das Gedankengut in die besonders beeinflussbaren Kinder und Jugendlichen hervorragend indoktrinieren. Also war das Marschieren (vgl. Abbildung 3) und Singen von Kampfliedern sehr häufig an der Tagesordnung von Hitler-Jugend – Veranstaltungen. Daraus bildete sich ein unglaublich starkes Gemeinschaftsgefühl, was der nationalsozialistischen Idee eines gemeinsamen deutschen Volkes entsprach.

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Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Hitler-Jugend beim Aufmarsch 1936 im deutschen Stadion in Nürnberg

o.U., Die Hitler-Jugend (HJ), https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/ns-organisationen/hitler-jugend.html, letzter Zugriff: 07.11.2021

Ein weiteres Beispiel für diese subtile Propaganda stellen die sogenannten Durchhalteschlager dar. Spätestens nach den ersten Bombenangriffen auf deutsche Städte oder Kürzungen der monatlichen Lebensmittelrationen, schwand bei vielen Deutschen der einstige absolute Glaube an das nationalsozialistische Regime, sowie die „ehemalige Kriegsbegeisterung“31.32 Um die Grundstimmung im Volke aufzubessern, gerade bei Frauen deren Männer als Soldaten im Krieg kämpften, machten sich die Nazis die Unterhaltungsmedien wie den Film, sowie die sehr beliebte Schlagermusik zunutze. Man ließ nun vermehrt Schlager, die eine übertriebene Lebenslust, Hoffnung und positive Gefühle thematisierten, im Rundfunk spielen. Ein Beispiel für einen solchen Durchhalteschlager ist das Stück „Davon geht die Welt nicht unter“ von Zarah Leander. Er ist besonders typisch für das Konzept des Durchhalteschlagers. Während die Melodie der Strophe traurig klingt und im Text momentane Leiden und Schmerzen beklagt werden, bildet der Refrain dazu musikalisch sowie lyrisch einen fröhlichen, hoffnungsvollen Kontrast. Auf die Hörer hatte dies einen erhöhten Durchhaltewillen zur Folge. Die Nazis konnten also mit der Musik ihre Propaganda und ihre Ziele erfolgreich umsetzen.

[...]


1 Dümling, Albert (2006): Norm und Diskriminierung: Die Reichsmusiktage 1938 in Düsseldorf und die Ausstellung „Entartete Musik“, in: Stiftung Schloss Neuhardenberg (Hrsg.): Das „Dritte Reich“ und die Musik, Nicolai, Berlin, S. 107.

2 Vgl. Lernhelfer.de (2010): „Musikalischer Impressionismus“, https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/musik/artikel/musikalischer-impressionismus, letzter Zugriff: 07.11.2021.

3 Vgl. ebda. 07.11.2021

4 Ebda. 07.11.2021

5 Vgl. Wikipedia.org (o.J.): „Expressionismus (Musik)“, https://de.wikipedia.org/wiki/Expressionismus_(Musik), letzter Zugriff: 07.11.2021.

6 Ebda. 07.11.2021

7 Vgl. Dümling, Albert (2015): „Gefährlichste Zerstörer unseres rassemäßigen Instinkts“. NS-Polemik gegen die Atonalität, in: Dümling, Albert: Das verdächtige Saxophon: „Entartete Musik“ im NS-Staat, 5. Auflage, ConBrio, Regensburg, S.86

8 Ebda. S. 86

9 Ebda. S. 86

10 Dümling (2006), Nicolai, S. 108.

11 Vgl. Lernhelfer.de (2010): „Swing“, https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/musik/artikel/swing# letzter Zugriff: 02.11.2021.

12 Stadtfuehrungen-hamburg.org (o.J.): „Swingjugend – Jugendkultur der 1930er und 1940er“: https://stadtfuehrungen-hamburg.org/swingjugend-jugendkultur-1930er-1940er-16345405/, letzter Zugriff: 02.11.2021.

13 Vgl. Stölzle, Alexandra, Trost Gabriele (2020): „Die Swing-Jugend“ https://www.planet-wissen.de/geschichte/nationalsozialismus/kindheit_im_zweiten_weltkrieg/pwiedieswingjugend100.html, letzter Zugriff: 02.11.2021.

14 Fackler, Guido (2015): Jonny spielte doch auf! Jazz im ,Dritten Reich‘, in: Dümling, Albert: Das verdächtige Saxophon: „Entartete Musik“ im NS-Staat, 5. Auflage, ConBrio, Regensburg, S. 32.

15 Vgl. Konzerthaus-blog.de (2019): Gut kopiert ist halb komponiert, https://konzerthaus-blog.de/2019/04/25/mendelssohn-wagner/, letzter Zugriff 07.11.2021.

16 Vgl. John, Eckhard (2015): Vom Deutschtum in der Musik, in: Dümling, Albert: Das verdächtige Saxophon: „Entartete Musik“ im NS-Staat, 5. Auflage, ConBrio, Regensburg, 229

17 Vgl. Geisler, Ursula (o.J.): „… was an Musik des Nordens nur nordisch maskiert ist“. Konstruktion und Rezeption „nordischer Musik“ im deutschsprachigen Musikdiskurs., https://lucris.lub.lu.se/ws/portalfiles/portal/5618970/625648.htm, letzter Zugriff: 03.11.2021.

18 Vgl. Bujara, Karsten (2015): „Klang – Farbe – Geschlecht – Sexualität. Diskursive Metaphorik nationaler Identität / Alterität in der Rezeptionsgeschichte der musikalischen Moderne am Beispiel des Komponisten Franz Schreker“: https://d-nb.info/1185666729/34, S.132, letzter Zugriff: 03.11.2021.

19 Wulf, Joseph (1963): Musik im dritten Reich: Eine Dokumentation, Sigbert Mohn Verlag, Gütersloh, S.225.

20 Ebda. S.225.

21 Ebda. S.225.

22 Wulf (1963), Sigbert Mohn Verlag, S. 225

23 Vgl. ebda. S.225.

24 Vgl. Dümling (2006), Nicolai, S. 105.

25 Hoor, Christina (2015): „Die Reichskulturkammer”, https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/kunst-und-kultur/reichskulturkammer.html, letzter Zugriff: 06.11.2021.

26 Vgl. ebda. 06.11.2021

27 Vgl. Wikipedia.org (o.J.): „Reichskulturkammer“, https://de.wikipedia.org/wiki/Reichskulturkammer, letzter Zugriff: 10.01.2021.

28 Braun, Helmut (2016): „Immer nur Lächeln, immer vergnügt?“, https://www.deutschlandfunk.de/immer-nur-laecheln-immer-vergnuegt.704.de.html?dram:article_id=85535 , letzter Zugriff: 10.01.2021.

29 Ebda. 10.01.2021

30 Ebda. 10.01.2021

31 Nagel, Georg (2015): „Durchhalteschlager und Widerstandslied: „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n“ von Zarah Leander (Text: Bruno Balz), https://deutschelieder.wordpress.com/tag/durchhalteschlager/, letzter Zugriff: 06.11.2021.

32 Vgl. ebda. 06.11.2021

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Entartete und arteigene Musik im Nationalsozialismus. Eine Gegenüberstellung anhand zweier Kompositionen von Richard Strauss und Arnold Schönberg
Note
1,0 (14 Punkte)
Jahr
2021
Seiten
39
Katalognummer
V1171522
ISBN (eBook)
9783346602879
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nationalsozialismus, entartete Musik, arteigene Musik, Musik im Nationalsozialismus, Faschismus und Musik
Arbeit zitieren
Anonym, 2021, Entartete und arteigene Musik im Nationalsozialismus. Eine Gegenüberstellung anhand zweier Kompositionen von Richard Strauss und Arnold Schönberg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1171522

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