Was ist interkulturelles Erzählen? Wie lässt es sich charakterisieren? Wie lassen sich Kompetenzen durch interkulturelles Erzählen vermitteln? Inwieweit können Lernende und Lehrende im DaF-Unterricht Kompetenzen durch interkulturelles Erzählen erwerben?
Bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema möchte ich im Rahmen dieser Abschlussarbeit zeigen, wie durch interkulturelles Erzählen Kompetenzen gefördert bzw. erworben werden können. Es geht tatsächlich darum, die Spezifizität der „Literatur der Interkulturalität“ zur Förderung der interkulturellen Kompetenz in einer globalisierten Welt, wo im Hinblick auf das Nebeneinander von Kulturen bzw. interkulturelle Begegnungen ein angemessenes Handeln gefordert wird, ans Licht zu bringen. Darum werfe ich meinen Blick auf zwei Prosatexte der interkulturellen Literatur, nämlich einen Roman unter dem Titel "Die Sehnsucht der Schwalbe" und die Erzählung betitelt "Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat" von Rafik Schami, einem deutschen Schriftsteller syrischer Herkunft. Somit kommt es darauf an, von diesen Texten ausgehend, die Relevanz sowohl der formalen als auch inhaltlichen Aspekte herauszuarbeiten, die dazu verhelfen können, die interkulturelle Kompetenz zu fördern.
INHALTSVERZEICHNIS
WIDMUNG
VORWORT
RÉSUMÉ
ABSTRACT
0 EINLEITUNG
0.1 Thema und Relevanz
0.2 Problemstellung
0.3 Stand der Forschung
0.4 Methodisches vorgehen
0.5 Aufbau
KAPITEL 1: BEGRIFFSKLÄRUNGEN UND THEORETISCHE GRUNDLAGEN
1.1. Das Forschungsparadigma Interkulturalität
1.1.1 Zum Begriff „interkulturelles Lernen“
1.1.2. Zum Kompetenzbegriff
1.1.3. Zum Begriff „interkulturelle Kompetenz“
1.2.Interkulturelle Literatur und Grundzüge eines Modebegriffs
1.2.1. Zur Stellung der interkulturellen Literatur in Deutschland
1.2.2. Zur Begründung der Bezeichnung ,interkulturelles Erzählens‘ in dieser Arbeit
1.3. Methodologische Gesichtspunkte
1.3.1. Zur Produktionsästhetik
1.3.2. Zur Poetik der Hybridität
1.3.3. Zum interkulturellen Potential literarischer Texte
KAPITEL 2: RAFIK SCHAMI UND DIE AUSGEWÄHLTEN WERKE
2.1. Schamis biographischer Überblick: ein Erzähler der Weltliteratur?
2.2. Entstehungskontext und Inhaltswiedergabe der ausgewählten Werke
2.2.1. Migration im Zuge der Globalisierung
2.2.2. Die Sehnsucht der Schwalbe: Inhaltswiedergabe
2.2.3 Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat: Inhaltswiedergabe
2.3. Interkulturelles Erzählen und Kompetenzförderung in der Textanalyse
2.3.1. Die Sehnsucht der Schwalbe
2.3.1.1. Schreibweise und interkulturelles Lernen: Schamis Poetik als Ausdruck der kulturellen Hybridität
2.3.1.2. Zur Struktur und Hauptthematik eines ,märchenhaften‘ Romans
2.3.1.3. interkulturelle Begegnung, interkulturelles Lernen und Kompetenzerwerb
2.3.1.4. Intertextualität und interkulturelle Kompetenz
2.3.2 Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat
2.3.2.1. Interkulturelles Lernen und Kompetenzförderung: Zur Wertevermittlung
2.3.2.2. Interkulturelles Erziehen und interkulturelle Kompetenz
KAPITEL 3: KOMPETENZERWERB IM DAF-UNTERRICHT DURCH SCHAMIS TEXTE
3.1. Märchen und Kompetenzförderung im DaF-Unterricht
3.2 Professionelles Handeln und Kompetenzförderung im Lehrerberuf
3.3 Landeskundliches Potential und interkulturelles Lernen
3.4 Interkulturelles Lernen und interkulturelle Kommunikationskompetenz
SCHLUSSBETRACHTUNG
LITERATURVERZEICHNIS
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WIDMUNG
Meinen Eltern Paul DJOKO und Sylvie Blanche KAMFIN
VORWORT
Ein Faible habe ich immer für interkulturelle Fragen gehabt, vor allem seitdem ich den Entschluss gefasst habe, Germanistik bzw. Literaturwissenschaft zu studieren. Doch mein Interesse an diesem Thema erwachte, als ich im ersten Semester des akademischen Jahres 2014/2015 an einer von Herrn Doktor Bertin Nyemb geleiteten Lehrveranstaltung zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur teilgenommen habe. Im Rahmen dieses Kurses setzten wir uns unter anderem mit Rafik Schamis autobiographisch gefärbter Erzählung Der Leichenschmaus auseinander. Die vorgenommene Textanalyse unter Einbeziehung der Biographie des Autors Schami und dessen Erzählkunst haben mein Interesse für tiefgehende Recherchen erweckt. Darüber hinaus hat mich Dr. Nyemb dazu bewogen, das Augenmerk auf einen mir noch unbekannten Begriff in der aktuellen Diskussion über die interkulturelle Literaturwissenschaft, und zwar interkulturelles Erzählen zu richten. Das weckte also meine Neugier für dieses Thema, zumal ich mich einem kompetenzbezogenen Arbeitsfeld im Lichte der Migrationsliteratur zuwenden wollte.
Bei der Durchführung dieser Abschlussarbeit bin ich auf zwei wesentliche Schwierigkeiten gestoßen. Erstens fiel es mir schwer, mich mit einem Thema bis zum Ende auseinanderzusetzen. Zuerst lautete mein Thema Identitätsentwürfe bei Rafik Schami, aber mein Textkorpus lieferte keine grundlegenden Elemente, das zu bearbeiten. So habe ich mich für das jetzige Thema entschieden. Zweitens war ich schwerkrank. Dies stellte ein großes Hindernis beim Abfassen der vorliegenden Arbeit dar.
Zu Dank verpflichtet bin ich meinem Betreuer Herrn Doktor Nyemb, der mir bei der Wahl des Themas geholfen hat. Er hat auch Dokumente für eine lange Dauer zu meiner Verfügung gestellt. Zudem hat er die Arbeit mit Ratschlägen und reichhaltigen Modifikationen betreut und nicht zuletzt das Zustandekommen dieser Arbeit ermöglicht. Ein besonderer Dank gilt auch allen Dozenten der Fremdsprachenabteilung der ENS Yaoundé im Fach Deutsch.
Bedanken möchte ich mich auch bei meinen Geschwistern Blériot, Emérick, Miriam und Thalès; meiner Freundin Kouakam Lisette und meinen Freunden Fessek Florent, Tchamou Dieudonné, Démanou Réné, Moukouri Jeannot und Mpouma Patrick für ihre Beratung.
Yaoundé, im Juni 2016
RÉSUMÉ
Le présent travail de recherche qui s'articule autour du thème narration interculturelle et acquisition de compétences est une contribution interdisciplinaire aux différentes réflexions littéraires et didactiques sur la littérature interculturelle. L'objectif majeur dudit travail est de montrer l'importance de la littérature interculturelle dans la promotion des compétences. Pour atteindre notre objectif, nous avons focalisé notre attention sur deux oeuvres de Rafik Schami, en l'occurrence son roman Die Sehnsucht der Schwalbe et son récit Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat.
L'analyse de ces deux textes littéraires repose tout d'abord sur la théorie de l'esthétique de production de Jürgen Schutte qui nous amène a mettre l'reuvre en rapport avec son contexte de production et en relation avec l'auteur. Il s'agit donc de dégager l'intention de l'auteur tout en concevant l'reuvre littéraire comme étant le message de l'auteur et témoin de son contexte de production. En outre, nous nous appuyons sur la poétique de l'hybridité de Norbert Mecklenburg qui nous aide a faire ressortir la spécificité de la littérature interculturelle et enfin le modèle d'Aglaia Blioumi sur le potentiel interculturel des textes littéraires nous aideafaire ressortir des catégories permettant l'acquisition des compétences interculturelles. A la fin de notre analyse, nous arrivons a la conclusion selon laquelle Rafik Schami amène le lecteur a l'apprentissage de la culture de l'autre, au changement de perspective et a la compétence interculturelle dans la mesure ou il confronte dans son reuvre les personnages venant d'horizons divers qui cohabitent dans le meme milieu socioculturel malgré leurs particularités et différences.
Ainsi, cette étude permet d'accorder une place de choix a la littérature interculturelle qui occupe jusque-la une position périphérique dans le champ littéraire allemand et par conséquent peut etre, eu égard a ses potentialités dans la promotion des compétences en général et des compétences interculturelles en particulier, un tremplin pour le dialogue entre des personnes appartenant a des cultures différentes.
Concepts clés: littérature interculturelle, interculturalité, apprentissage interculturel, compétence et compétence interculturelle.
ABSTRACT
This research work that revolves around the theme intercultural narration and skills acquisitionis an interdisciplinary contribution to the various literary and didactic reflections on intercultural literature. The main aim of that work is to show the importance of intercultural literature in promoting skills. To achieve our goal, we focused on two texts of Rafik Schami, namely his novel Die Sehnsucht der Schwalbe and history Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat.
The analysis of these two literary texts is primarily based on the aesthetic theory of production Jürgen Schutte which will bring us to the work related to its production context and in relation to the author. It is therefore to determine the intent of the author in designing the literary work as the message of the author and witness its production context. In addition, we will rely on the poetics of hybridity Norbert Mecklenburg will help us to highlight the specificity of intercultural literature and finally the model of Aglaia Blioumi on intercultural potential of literary texts will help us out of the categories you allowing the acquisition of intercultural skills. At the end ofour analysis, we came to the conclusion that Rafik Schami, through the confrontation of people belonging to various cultures leads the reader to learn the culture of the other, the change of perspective and intercultural competence.
Thus, this study will give pride of place to intercultural literature occupies hitherto a peripheral position in the German literary field and therefore be, given its potential in promoting general skills and intercultural skills in particular, a platform for dialogue between people of different cultural backgrounds.
Key concepts: intercultural literature, interculturality, intercultural learning, competence and intercultural competence.
0 EINLEITUNG
0.1 Thema und Relevanz
„Interkulturelles Erzählen und Kompetenzerwerb bei Rafik Schami. Eine Untersuchung am Beispiel von Die Sehnsucht der Schwalbe und Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat “ ist das Thema der vorliegenden Arbeit. Im Zeitalter der Globalisierung, die durch Migration, Austausch und Kommunikation zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen und Sprachen geprägt ist, wird die Welt zu einem planetarischen Dorf, in dem die interkulturelle Kompetenz erforderlich ist. Denn sie ist die Voraussetzung par excellence für einen erfolgreichen Austausch zwischen Fremdem und Eigenem und verhilft dazu, interkulturelle Missverständnisse vorzubeugen und eine friedliche Koexistenz zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturkreise zu schaffen. Aufgrund seines interkulturellen Potentials erscheint interkulturelles Erzählen also als hohe Qualität zum interkulturellen Lernen und weiterhin zum Erwerb der interkulturellen Kompetenz. So kommt es in dieser Arbeit darauf an, die Texte von Rafik Schami näher zu untersuchen, denn sie eröffnen Möglichkeiten, Strategien bei dem Umgang mit der Fremdheit sowohl ästhetisch-narrativ, als auch thematisch. Nicht zuletzt transportieren diese Texte landeskundliches und historisches Wissen, das von großem Belang für die Schärfung des Kritikvermögens der Lernenden ist. Über Wissen über das Land der Zielsprache- in diesem Kontext Deutsch- , linguistische Kompetenzen und kommunikative Fähigkeiten hinaus, ermöglichen die zu analysierenden Texte von Schami im Kontext des Unterrichts Deutsch als Fremdsprache die Entwicklung von bestimmten Haltungen, wie Respekt Anderen gegenüber, Toleranz und Völkerverständigung, Offenheit im Denken und Handeln und bestimmten Fähigkeiten, vor allem der Fähigkeit zur Empathie, zur Überschreitung der eigenen Sichtweisen und der Bereitschaft zum Perspektivenwechsel.
0.2 Problemstellung
Angesichts der Tatsache, dass in der heutigen modernen Gesellschaft das Wissen und das fachliche Können auf einem Gebiet von besonderem Gewicht sind und nicht zuletzt, dass die interkulturelle Literatur beträchtliche Mittel und Wege zur Kompetenzvermittlung, etwa durch ihre ästhetische Besonderheit eröffnet, wäre es sinnvoll im Rahmen dieser Forschungsarbeit, das Hauptaugenmerk auf folgende Leitfragen zu richten, die behilflich sind, um das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit zu erfassen, und zwar: was ist interkulturelles Erzählen? wie lässt es sich charakterisieren? Wie lassen sich Kompetenzen durch interkulturelles Erzählen vermitteln? Inwieweit können Lernende und Lehrende im DaF- Unterricht Kompetenzen durch interkulturelles Erzählen erwerben?
Bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema möchte ich im Rahmen dieser Abschlussarbeit zeigen, wie durch interkulturelles Erzählen Kompetenzen gefördert bzw. erworben werden können. Es geht tatsächlich darum, die Spezifizität der „Literatur der Interkulturalität“(Esselborn 1997) zur Förderung der interkulturellen Kompetenz in einer globalisierten Welt, wo im Hinblick auf das Nebeneinander von Kulturen bzw. interkulturelle Begegnungen ein angemessenes Handeln gefordert wird, ans Licht zu bringen. Darum werfe ich meinen Blick auf zwei Prosatexte der interkulturellen Literatur, nämlich einen Roman unter dem Titel Die Sehnsucht der Schwalbe und die Erzählung betitelt Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat von Rafik Schami, einem deutschen Schriftsteller syrischer Herkunft. Somit kommt es darauf an, von diesen Texten ausgehend, die Relevanz sowohl der formalen als auch inhaltlichen Aspekte herauszuarbeiten, die dazu verhelfen können, die interkulturelle Kompetenz zu fördern.
0.3 Stand der Forschung
Karl-Dieter Bünting bringt drei Dimensionen hervor, die bei einem wissenschaftlichen Arbeiten zu berücksichtigen sind und schreibt somit folgendes:
Man schreibt zunächst über einen bestimmten, in diesem Fall wissenschaftlichen Gegensatz (Gegenstandsdimension), sodann schreibt man aber auch über das, was andere Wissenschaftler bereits über diesen Gegenstand herausgefunden bzw. geschrieben haben (Diskursdimension) und schließlich versucht man als Wissenschaftler, selbst zum bestimmen Erkenntnisinteresse etwas beizubringen oder sich jedoch auf diesen Fall kritisch mit ihm auseinanderzusetzen (Argumentationsdimension) (Bünting 2000:34).
Im wissenschaftlichen Schreiben geht es demnach darum, diese genannten Dimensionen miteinander zu verknüpfen. Daher möchte ich kurzum einen chronologischen Einblick in die wichtigsten Publikationen in Bezug auf meinen Forschungsgegenstand verschaffen.
Ich habe nach einer gründlichen Recherche sowohl in der Deutschabteilung der Universität Yaoundé 1, als auch in der Bibliothek der „Ecole Normale Supérieure“ festgestellt, dass keine Abschlussarbeit den Akzent auf mein Forschungsobjekt, noch weniger dessen
Textkorpus legte. Über den Roman Die Sehnsucht der Schwalbe und den Erzählband Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat sind meines Wissens neben etlichen Rezensionen und Interpretationen nur zwei wissenschaftliche Beiträge im Internet zu finden. Dazu zählt man den Artikel von HaimaaElWardy aus der Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften betitelt „ Migration in die Heimat.“ Das Werk Rafik Schamis im Kontext der deutschsprachigen Literatur arabischer Schriftsteller in Deutschland ( El Wardy 2004: 56). Hierbei legt El Wardy den Fokus auf die deutsch-arabische Literatur. Sie unterstreicht somit die Rezeptionslage der deutschsprachigen Literatur arabischer Autoren in Deutschland. Als Beispiel führt sie unter anderem Rafik Schami an, der zu den meistgelesenen Autoren in Deutschland gehöre. Sie lässt zudem die Biographie von Schami Revue passieren und listet dessen erfolgreiche Bücher und Hauptthemenkreis auf. Was Die Sehnsucht der Schwalbe anbelangt, wird nur das Zusammenleben von Juden und Muslimen in Arabien betont, das von klischeehaften Vorstellungen und Stereotypen gefärbt ist. Dann werden Schamis Texte in vier Hauptthemenbereiche gegliedert, und zwar:
Erstens geht es um das Heimatbild und in Schamis literarischen Werken und seine eigene Definition und Beschreibung des Begriffs ,Heimat‘, die sich in seinen Geschichten verändert ist (...) Zweitens handelt es sich um die Lage der Migranten in Deutschland und um das Verhältnis zwischen dieser Minderheit und der deutschen Mehrheit. Der dritte Themenkreis, der eine zentrale Rolle in seinen Werken spielt, ist das Erzählen selbst. Der vierte und letzte Themenbereich bei Schami ist die Utopie einer multikulturellen Gesellschaft und eines dialogischen Austausches zwischen den Kulturen (ebd.).
Nader Alsarras hat in seiner Dissertation Die Orientbilder im Werk Rafik Schamis (Alsarras 2010:17 ) in Anlehnung an Peter Arnds Beitrag, der zwei Werke von Rafik Schami, nämlich Die Sehnsucht der Schwalbe und Sieben Doppelgänge untersucht, zum Ausdruck gebracht, dass dieser dabei der Frage nachgeht,, inwiefern Saids Orientalismus-These mit dem Werk Rafik Schamis korrespondiert, und ob Schamis Orientbilder eine Alternative zu Saids rigider Ablehnung jeglicher Repräsentation des Orients durch den Westen darstellen“ ( ebd., 19)“ Das Hauptaugenmerk dieses Beitrags liegt nur auf den Bilderndes Morgenlandes aus Sicht des Abendlandes im Anschluss an Edward Said.
Die wichtigste bisherige Literatur zum Thema interkulturelles Erzählen und Kompetenzerwerb ist nach wie vor den wissenschaftlichen Publikationen von Bertin Nyemb zu verdanken. Dazu werden die Beiträge „Ich möchte lieber auf Deutsch sterben“ Interkulturelles Erzählen und Erziehen in Rafik Schamis Der Leichenschmaus (Nyemb 2016) sowie „Nein, so kann das nicht weitergehen, so nicht.“ Kompetenzerwerb und professionelles Handeln fördern- Impulse für die Deutschlehrerausbildung in Kamerun (Nyemb o.J.)gezählt .
Indem ersten Aufsatz versucht Nyemb zu zeigen, inwiefern Schamis Poetik geeignet für die Förderung der interkulturellen Erziehung ist. Er erschließt dabei den von Rafik Schami verfassten Prosatext Der Leichenschmaus aus dem Erzählband Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat (Schami 2012) anhand des textzentrierten Ansatzes, um die interkulturelle Ästhetik des Textes herauszusortieren. Abschließend kommt er zum Ergebnis, dass aufgrund der Ästhetik und des interkulturellen Potentials seines Werkes Rafik Schami als interkultureller Erzähler gilt und deshalb dessen Text ein hohes Gut für die Förderung der Kompetenzen bei angehenden Lehrern im Rahmen der Lehrerausbildung in der Ecole Normale Supérieure darstellt.
In dem zweiten Beitrag setzt sich Nyemb damit auseinander, wie Literatur im Kontext der Deutschlehrerausbildung in der Hochschule eine Grundlage für die Förderung von Kompetenzen darstellt. Er stützt sich hierfür auf literarische Texte von Rafik Schami und Max von der Grün. Was mich an dieser Stelle besonders interessiert, ist Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat. Er arbeitet dabei die interkulturellen Unterschiede der arabischen und deutschen Kultur heraus, die pädagogisch relevant seien.
Wirft man einen Blick auf die aktuellen Forschungsdiskussionen über interkulturelle Literatur, so stellt man fest, dass es über die Möglichkeiten und Perspektiven der Modellierung einer „interkulturellen Narratologie“ als eigenständige Theorie und Methode für die Analyse der interkulturellen Erzähltexte erörtert wird (Richter 2014: 31). Auf den Begriff ,interkulturelles Erzählen‘ wird also im Budapest-Hamburger Forschungsprojekt eingegangen (ebd.). Dabei geht es darum, die Merkmale einer , interkulturellen Narration‘ herauszuarbeiten:
Wir sprechen im Hinblick auf eine Textpassage genau dann gerechtfertigt von , interkultureller Narration‘, wenn sie drei Bedingungen erfüllt: (1) die Textpassage ist narrativ, (2) in ihr wird auf (mindestens) zwei Kulturen Bezug genommen, und (3) dies geschieht in einer Form, die eine Verwendungdes Prädikats ,interkulturell‘ angemessen erscheinen lässt (ebd.).
In den gegenwärtigen Forschungsdebatten wird der Kompetenzbegriff inflationär gebraucht. Somit hat sich die Kompetenzorientierung in fast allen Disziplinen etabliert. Der Literaturwissenschaftlerin Leskovec zufolge umfasst der Kompetenzbegriff ganz allgemein „Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen und Motivation, aber auch volitionale und soziale Aspekte ebenso wie Erfahrung und konkretes Handeln“ (Leskovec 2011:34).Hinzu kommt, dass der Kompetenzbegriff die Problemlösungskompetenz mit einschließt, worunter die Realisierung der erlernten Kompetenzen im Alltag verstanden wird (vgl. ebd.).
Nimmt man all diese wissenschaftlichen Publikationen unter die Lupe, so stellt man fest, dass es wenige literaturwissenschaftliche Auseinandersetzungen mit den in dieser Arbeit zu analysierenden Texten von Schami gibt. Hinzu kommt, dass Schamis Texte vorwiegend unter dem literatursoziologischen Aspekt analysiert werden, indem sie fast ausschließlich thematisch erschlossen werden. Zu dem Roman Die Sehnsucht der Schwalbe existiert in der wissenschaftlichen Fachwelt noch keine Analyse, die sich mit den Aspekten interkulturellen Erzählens im Hinblick auf Kompetenzerwerb sowohl thematisch als auch ästhetisch-narrativ auseinandersetzt. Die vorliegende Arbeit möchte dazu beitragen, diese Forschungslücke zu füllen und Perspektiven für weitere Forschungsmöglichkeiten.
0.4 Methodisches vorgehen
Jochen Vogt bestimmt den Begriff Methode als „ eine zielgerichtete, in ihren Prinzipien, Instrumenten und Schritten definierte und kontrollierbare Vorgehensweise, die zu einem Resultat führen soll und von konkurrierenden Verfahren klar abgrenzbar ist“(Vogt 2002:193). Dadurch steht fest, dass die Methode den Weg zu einem bestimmten Ziel zeigen soll und weit von den subjektiven Einstellungen hinausgeht. Um an dieses Thema in aufschlussreicher Weise heranzugehen, steht eine Fülle von Theorien und Methoden zur Verfügung. Deshalb ist es sinnvoll, selektiv vorzugehen und nur jene Ansätze auszuwählen, die mir erlauben werden, mein Erkenntnisinteresse und Ziel deutlich zu erreichen. Für die Analyse der ausgewählten Werke von Rafik Schami mit Rücksicht auf das zentrale Anliegen dieser Arbeit stütze ich mich auf drei Interpretationsmethoden, nämlich Jürgen Schuttes Ausführungen zur Produktionsästhetik. Es geht hier darum, den Text als Botschaft des Autors und dessen Intention im Hinblick auf die Rezipienten anzusehen (vgl. Schutte 1985: 44). Zudem berufe ich mich auf einen textzentrierten Ansatz, und zwar die Poetik der Hybridität (Mecklenburg 2008:115f) von Norbert Mecklenburg und nicht zuletzt Aglaia Blioumis Kategorien über das interkulturelle Potential literarischer Texte (Blioumi 2002: 31). Die in der vorliegenden Studie ausführliche Darstellung dieser Analysekategorien verhilft dazu, Aspekte interkulturellen Erzählens und ihre Tragweite zum Kompetenzerwerb herauszuarbeiten.
0.5 Aufbau
Diese Arbeit wird in drei Hauptteile gegliedert. Das erste Kapitel wendet sich dem theoretischen Ansatz meiner Arbeit zu. Zuerst gehe ich auf die Begriffsbestimmung der
Schlagworte meiner Arbeit ein. Dazu werden Interkulturalität, interkulturelles Lernen, Kompetenz und interkulturelle Kompetenz gezählt. Dann werden Grundzüge der interkulturellen Literatur herausgearbeitet. Danach wird die Aufmerksamkeit auf die Interpretationsmethoden der Arbeit, und zwar Schuttes Ausführungen zur Produktionsästhetik, Mecklenburgs Poetik der Hybridität und Blioumis Kategorien des interkulturellen Potentials gelenkt. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Analyse der gewählten Texte von Rafik Schami, nämlich des Romans Die Sehnsucht der Schwalbe und Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat. Zuerst werden die Biographie von Rafik Schami und der soziokulturelle Kontext seiner Werke dargelegt. Dann folgt eine Inhaltswiedergabe der Texte. Danach werden die Texte inhaltlich und formal erschlossen. Der Akzent wird dabei besonders auf die Spezifika der zu analysierenden interkulturellen Erzähltexte gelegt. Das dritte und letzte Kapitel setzt sich mit der Relevanz des Themas im Lehr-und Lernprozess des Deutschen als Fremdsprache auseinander. Es handelt sich um das interkulturelle Lernen und die Kompetenzen, die bei den Lernenden bzw. Lehrenden im Umgang mit den Texten von Schami erweckt werden können. Dazu gehören das Zuhören, die Empathie, das professionelle Handeln, um nur diese zu nennen.
KAPITEL 1: BEGRIFFSKLÄRUNGEN UND THEORETISCHE GRUNDLAGEN
1.1. Das Forschungsparadigma Interkulturalität
Interkulturalität ist verstärkt seit den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts innerhalb der Germanistik zu einem forschungsleitenden Begriff geworden. (vgl. Gutjahr 2010). Ein Blick in gängigen wissenschaftlichen Publikationen zeigt, dass das Schlagwort Interkulturalität ein inflationärer Begriff und ein fächerübergreifender Trend ist, denn sowohl in der Germanistik als auch in anderen Geistes- und Kulturwissenschaften hat Interkulturalität als Forschungsparadigma Eingang gefunden. Der Begriff der Interkulturalität hat sich in der Literaturwissenschaft durch die Auflösung des traditionellen germanistischen Konzepts einer monolingualen und monokulturellen Nationalliteratur entwickelt (vgl. Esselborn 2006: 55). Im weiteren Sinne bezieht Interkulturalität folgende Bedeutungen ein:
- [...] Zustand und Prozess von Ethnozentrismus durch das Bewusstsein von Kulturaustausch und Kulturwandel.
- Interkulturalität als Handlungsqualität, bei der die Sehgewohnheiten der Kommunikationsteilnehmer stimuliert und korrigiert werden.
- Interkulturalität als Denk- und Handlungsnorm, die zwischen den Kulturen steht (Zwischenposition).
- Interkulturalität als Interaktionsmodus, der einen Ort der Überschneidung schafft (dritte Ordnung).
- Interkulturalität als kreatives Milieu (identitätserweiternd).
- Interkulturalität als Kommunikationsprozess aufder Basis von geteiltem Wissen (Leskovec 2011: 44).
Der Begriff Interkulturalität bezieht sich demzufolge auf „konkrete Situationen, wie sie durch Forschung und Kulturaustausch entstehen, und die Ausbildung interkultureller Kompetenzen durch interkulturelle Kommunikation und interkulturelles Lernen“ (ebd.). Darüber hinaus „zielt [Interkulturalität] auf ein intermediäres Feld, das sich im Austausch der Kulturen als Gebiet eines neuen Wissens herausbildet und erst dadurch wechselseitige Differenzidentifikation ermöglicht“ (Hofmann2006:11). Damit ist gemeint, dass Interkulturalität einen neuen Raum, eine neue Ordnung schafft, wo Kulturen im Hinblick auf die Differenzwahrnehmung in Kontakt treten können. Bei dieser kulturellen Differenz ist nicht die Rede von Gegenüberstellung von Kulturen, die als „fest umgrenzte Entität“ (ebd.) streng und objektiv zu beschreiben sind, sondern von dem Resultat eines Aushandelns beim
Kulturkontakt, währenddessen Differenzen zustande kommen. Interkulturalität verweist demnach auf „ die Konstellation der Begegnung zweier (oder mehrerer) Subjekte, die im Austausch die Differenz konstituieren, die in der gegebenen Konstellation als relevant erfahren wird“ (ebd.). Daraus folgt ein dritter Raum, um mit Bhabha zu sprechen, in dem „vermeintliche feste Grenzen verschwinden und in einem Prozess des Aushandelns Grenzen gezogen werden können“ (ebd.:12)Dies mündet in die Neuschaffung von Grenzziehungen. Aus dieser Sicht wird im Paradigma der Interkulturalität einem dynamischen Kulturbegriff Rechnung getragen, der dem homogenen und statischen essentialistischen Kulturbegriff gegenübergestellt wird. Hierbei schreibt Homi K. Bhabha folgendes: „Interkulturalität kann nicht als Aufeinandertreffen distinkter homogener einzelner Kulturen begriffen werden, die sich in irgendeiner Weise vermischen würden.“ ( Bhabha2000: 28).Damit gibt Bhabha zu verstehen, dass keine Kultur rein zu betrachten ist, denn im postkolonialen Diskurs sind Kulturen eng miteinander verknüpft.
Im Hinblick auf die oben erwähnten Vorstellungen über Interkulturalität wird klar, dass das Forschungsparadigma seit seiner Etablierung in den 1980er Jahren durch Revisionen und Neubestimmungen weiterentwickelt (vgl. Leggewie 2010: 13) und dem Begriff der Transkulturalität entgegengestellt wird, um mit Welsch zu sprechen.
Welsch zufolge ist Transkulturalität ein Konzept, das die Homogenität der Kulturen, die Einheit oder Reinheit, durch Heterogenität, also Durchmischung, Verflechtung und Verpflichtung ersetzt (vgl. Welsch 1991: 43)1. Transkulturalität impliziert dabei eine Neubestimmung der Werte, denn die Vermischung der Kulturen, ihre Verflechtung mit Fremdem wird als positiver Wert angesehen, als Chance für eine neue Art und Weise des Zusammenlebens in einem planetarischen Dorf (vgl. ebd.). In dieser Hinsicht meint Transkulturalität meiner Ansicht nach ein Miteinander von Menschen unterschiedlichen Ursprungs, die sich in ihrer Begegnung und ihrem Austausch dynamisch und ständig verändern.
1.1.1 Zum Begriff „interkulturelles Lernen“
Interkulturelles Lernen ist eine „Domäne des tertiären Bidungsbereichs“(Bolten 20 1 0: 398), die sich immer mehr auch in der interkulturellen Literaturwissenschaft als eines der Schlagworte durchgesetzt hat. In diesem Zusammenhang steht das Adjektiv interkulturell bei 1 (Zit. nach Leskovec 2011: 43) dem Begriff interkulturelles Lernen für „die Vermittlung zwischen den Kulturen, genauer: zwischen Menschen, die sich mit den jeweiligen Kulturen identifizieren“(Brunzel 2002: 29). Unter Lernen wird für das Anliegen dieser Untersuchung ein Prozess verstanden, durch den Menschen sich verstehen, indem sie Kenntnisse und Fähigkeiten dazugewinnen oder gar ihre Einstellungen und Verhaltensweisen modifizieren (vgl. ebd.). Insofern verweist interkulturelles Lernen auf: einen Lernprozess, in dem das Individuum sich der eigenen kulturellen Einstellung bewusst wird, diese und die dadurch bedingten stereotypen Wahrnehmungen reflektieren kann und durch das Wissen über Werte und Normen der eigenen und fremden Kulturen Empathie und Toleranz für kulturell Unbekanntes entwickelt ( Da Rin / Nodari 2000:19).
Dadurch wird veranschaulicht, dass das Lernen zwischen den Kulturen das Erkenntnis der eigenen Kultur voraussetzt und außerdem die Bereitschaft, diese und die damit eingehenden Denkschemata zum Zweck der interkulturellen Kommunikation zu hinterfragen, was die Lerner Ansgar Nünning zufolge zum Perspektivenwechsel und Fremdverstehen führen soll. Deshalb skizziert er folgendes: „ Die Didaktik des Fremdverstehens geht davon aus, dass Lernende durch die rezeptionsästhetische Interaktion mit der Textwelt die Fähigkeiten zum Perspektivenwechsel und zur Perspektivenübernahme ausbilden, die als konstitutiv für das Fremdverstehen gelten.“(Nünning 2000: 98). Weiterhin heben Tjitra und Thomas in ihrem Beitrag hervor, dass die Gegenstände des interkulturellen Lernens neben dem Verstehen und Handeln auch Aspekte des Einfühlens in eine kulturelle Überschneidungssituation umfassen sollte (Tjitra/Thomas 2006: 242). Genauso wie Nünning betonen Letztere, dass das oberste Ziel interkulturellen Lernens darin besteht, die Fähigkeit des perspektivischen Wechselns zwischen der eigenen subjektiven Perspektive und der fremden subjektiven Perspektive zu fördern, die sich auf das zentriert, was zu recht mit interkulturell bezeichnet wird (vgl. ebd.). Als Teil der Fremdsprachevermittlung, der sowohl der ausgangssprachigen und zielsprachigen Kultur Rechnung trägt, zielt interkulturelles Lernen darauf ab, die Lernenden zur Kommunikation über kulturelle Barriere hinweg zu befähigen.
In der vorliegenden Arbeit stütze ich mich auf den Begriff des interkulturellen Lernens von Evelyn Röttger, der meines Erachtens das Verhältnis von interkulturellem Lernen, interkultureller Kompetenz und interkultureller Kommunikation treffend darstellt. Röttger beschreibt das interkulturelle Lernen als einen Prozess, „ der mit dem Ziel in Gang gesetzt werden soll, die interkulturelle Kompetenz[en] zu schaffen“ (Röttger 1996:157). Auf den Begriff der Kompetenz wird im Folgenden eingegangen.
1.1.2. Zum Kompetenzbegriff
Kompetenz ist ein Begriff, der immer mehr inflationär gebraucht wird. Ein Blick auf die einschlägige Literatur zeigt, dass sich der ,mehrdeutige‘ Kompetenzbegriff in fast allen Bereichen durchgesetzt hat. Vor allem im Bereich der Bildung und Ausbildung gewinnt der Begriff Kompetenz in den letzten Jahren in Forschung und Praxis zunehmend an Bedeutung. Die Kompetenzorientierung verweist auf einen Reformprozess in schulischen und universitären Bildungsinstitutionen (Leskovec 2011: 34). Hierbei wird der Akzent mehr auf die Anwendung erworbener Kompetenzen als auf zertifizierbare Qualifikationen gesetzt. Qualifikation bescheinigt den Erwerb von explizitem Wissen. Kompetenz geht weit darüber hinaus und bezieht alle Formen von Erfahrungswissen, Motiven und sogar die Anwendungssituation mit ein(vgl. Staudt/ Kriegesmann 2000). An dieser Stelle möchte ich kurz auf den Begriff Kompetenz eingehen.
Von vornherein soll unterstrichen werden, dass der Begriff Kompetenz vom lateinischen Wort „competentia“ abgeleitetistund so viel wie Zuständigkeit bzw. Sachverstand bedeutet. Nach Eckhard Klieme stellt Kompetenz die Verbindung von Wissen und Können her und ist als Befähigung zur Bewältigung unterschiedlicher Situationen anzusehen (vgl. Klieme 2004:13). Dadurch wird klar, dass der Kompetenzbegriff weit über Wissen hinausgeht und die Fähigkeit zur Problemlösung mit einschließt. In dieser Hinsicht bestimmt der Psychologe Franz Weinert den Kompetenzbegriff, der sich in den Bildungsbereich einordnen lässt, wie folgt:
Die bei Individuen verfügbaren oder von ihnen erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (Weinert 2001:27f).
Damit ist gemeint, dass Kompetenz Wissen, Können, konkretes Handeln, Erfahrung und Motivation mit einschließt. Weinert gibt darunter zu verstehen, dass der Kompetenzerwerb den Erwerb von Handlungsfähigkeit implizieren soll. Der Erziehungswissenschaftler Andreas Frey hat dem Kompetenzbegriff weitere Komponenten hinzugefügt. Das lässt sich durch das folgende umfassende Zitat demonstrieren:
Besitzt eine Person Kompetenz, so kann sie etwas, ist handlungsfähig und übernimmt für sich und andere Verantwortung. Sie besitzt die Kompetenz, so tätig zu werden, dass sie eine Absicht, ein Ziel oder einen Zweck unter Beachtung von Handlungsprinzipien, Werten, Normen und Regeln, mit Bezug auf konkrete, die jeweilige Handlungssituation bestimmende Bedingungen, zu erreichen vermag. Wer Kompetenz besitzt, ist erfolgreich, vernünftig und reflexiv tätig. Somit kann man
Kompetenz als ein Bündel von körperlichen und geistigen Fähigkeiten bezeichnen, die jemand benötigt, um anstehende Aufgaben und Probleme zielorientiert und verantwortungsvoll zu lösen, die Lösungen zu reflektieren und zu bewerten und das eigene Repertoire an Handlungsmustern weiterzuentwickeln (Frey 2006:31).2
Aus dieser Definition kristallisiert sich heraus, dass der Kompetenzbegriff weit über die Handlungsfähigkeit des Einzelnen hinausgeht, schließt aber auch dessen Verantwortung, ständige Reflexion und Bewertung der eigenen Handlungsweisen und Auswege bei der Bewältigung von Problemen mit ein, was eine Fülle von Handlungsmöglichkeiten des Individuums ermöglicht und erweitert.
Die Beschäftigung mit dem Kompetenzbegriff führt zur Schlussfolgerung, dass Komponenten dieses Begriffs kaum abzugrenzen sind. Auffallend dabei ist, dass es für den Begriff Kompetenz keine allgemein gültige und akzeptierte Definition gibt. Dies deutet darauf hin, dass es keinen allgemeinen Einheitsbegriff der Kompetenz gibt, sondern nur verschiedene Partikularbegriffe, die in gewissem Maße Ähnlichkeiten aufweisen. Im Folgenden soll auf den Begriff der interkulturellen Kompetenz eingegangen werden.
1.1.3. Zum Begriff „interkulturelle Kompetenz“
Zuerst gilt es klarzumachen, dass Begriffe wie „interkulturelle Kompetenz“, „interkulturelle Kommunikationskompetenz“, „interkulturelle Handlungskompetenz“, „cross-cultural competence“ in der wissenschaftlichen Forschung gleichgesetzt werden können. (Öztürk 2008:5). Hinzu kommt, dass in der Praxis interkulturelle Kompetenz manchmal synonym mit interkultureller Kommunikation verwendet wird. Wirft man einen Blick auf die bisherige wissenschaftliche Literatur über das Konzept interkulturelle Kompetenz, so stellt man fest, dass „interkulturelle Kompetenz“ ein interdisziplinärer Begriff ist und angesichts des konstruktiven Umgangs mit kultureller Vielfalt im Zeitalter der Globalisierung als Schlüsselqualifikation des 21. Jahrhunderts angesehen wird. Somit schreibt der Psychologe Alexander Thomas im Bereich der Wirtschaft folgendes:„ Interkulturelle Kompetenz wird mit zunehmender Internationalisierung und Globalisierung vieler Bereiche des gesellschaftlichen Lebens immer stärker zur Schlüsselqualifikation für Fach- und Führungskräfte innerhalb und außerhalb Deutschlands“ (Thomas 2006:137). Doch in der einschlägigen Literatur sind sich 2 (Zit. nach Nyemb, a.a.O. : 7) nicht alle darüber einig, dass es „eine wirklich aussagekräftige, einfache und kurze Definition von ,interkultureller Kompetenz“ (Straub/ Nothnagel/ Weidemann 2010:17) gibt.
Tjitra und Thomas zufolge ist interkulturelle Kompetenz die Fähigkeit des Einzelnen im Umgang mit Menschen verschiedener Kulturkreisen (Tjitra/Thomas 2006:257),das heißt die Fähigkeit, mit Menschen unterschiedlicher soziokultureller Herkunft zu kommunizieren und sich gegenseitig zu verständigen (vgl. Lafranchi 2002: 223). Der Lehrerausbildung liegtim Kontext der Deutschdidaktik, so Lafranchi, die Grundeinsicht zugrunde, dass die Lehrer über interkulturelle Kompetenz verfügen sollen, was ihr zufolge als „Element pädagogischer Professionalität“ (ebd.) fungiert. Interkulturelle Kompetenz hilft dabei, die Handlungsfähigkeit bei Situationen, in denen Menschen unterschiedlicher Herkunftssprachen und Kulturen aufeinander treffen und interagierend Verständigung herzustellen versuchen (vgl. ebd.:47). Straub betrachtet interkulturelle Kompetenz3 als ein immer nur provisorisches Ergebnis lebenslangen Lernens und schreibt dazu Folgendes:
Interkulturelle Kompetenz als heutzutage vielerorts besonders fokussierter Lerngegenstand setzt die Sprachbegabtheit, Reflexions- und Handlungsfähigkeit des Menschen voraus. Sie gründet im Vermögen des Menschen, auf Distanz zu sich selbst und zum Eigenen zu gehen. Sie bedarf eines Bewusstseins, das sich seiner selbst bewusst sein kann. Interkulturelle Kompetenz ist eine mögliche Errungenschaft sozio-kultureller Praxis (Straub 2010:32f.).
Was an dieser Stelle festzustellen ist, ist dass der Begriff interkulturelle Kompetenz die Fähigkeit impliziert, sich mit Menschen aus anderen Kulturkreisen und Sprachen zu verständigen, indem der Einzelne sein Kritikvermögen ihm und dem Fremden gegenüber entwickelt.
1.2. Interkulturelle Literatur und Grundzüge eines Modebegriffs
An dieser Stelle wird der Frage nachgegangen, was die interkulturelle Literatur ausmacht. Zuerst möchte ich auf den Begriff interkulturelle Literatur eingehen. Unter interkultureller Literatur versteht man „die deutschsprachige Literatur von AutorInnen, deren Schreiben spezifische literarische Züge aufweist und einen Blick innehat, welcher zwei oder mehreren hybriden kulturellen und/oder sprachlichen Hintergründen verpflichtet ist.“ (Cerri 2011: 391) Interkulturelle Literatur entsteht demnach „im Einflussbereich verschiedener Kulturen und Literaturen [.]“ (Esselborn 2007: 10). In Bezug auf interkulturelles Erzählen können folgende Merkmale herausgearbeitet werden:
Wir sprechen im Hinblick auf eine Textpassage genau gerechtfertigt von interkultureller Narration, wenn sie drei Bedingungen erfüllt: (1)„die Textpassage ist narrativ, (2) in ihr wird auf (mindestens) zwei Kulturen Bezug genommen, und (3) dies geschieht in einer Form, die eine Verwendung des Prädikats ,interkulturell“ angemessen erscheinen lässt.“ (Richter 2014: 31).
Auffällig dabei ist, dass sich interkulturelle Literatur durch das Zusammenspiel von biographischer, thematischer und ästhetisch-narrativer Interkulturalität gestaltet. In diesem Sinne arbeitet Norbert Mecklenburg in seinem Buch Das Mädchen aus der Fremde. Germanistik als interkulturelle Literaturwissenschaft Merkmale der interkulturellen Literatur wie folgt heraus:
Interkulturelle Aspekte der Literatur [.] können sich an den Texten selbst zeigen, sei es als thematische Aspekte wie Darstellung von Kulturbegegnungen und Kulturkonflikten in Texten, sei es als formale Aspekte wie Gattungsadaptation, sprachliche Vielstimmigkeit, Intertextualität und Hybridität jeweils über Kulturgrenzen und -differenzen hinweg. Interkulturelle Aspekte können sich ebenso an den Kontexten der Texte zeigen, an Lebens- und Produktionsbedingungen ihrer Autoren, an ihrer Einbettung in historisch-soziale Diskurse, an ihrer Rezeption (Mecklenburg 2008:15).
Man darf an dieser Stelle anmerken, dass Mecklenburg ebenso wie Esselborn Aspekte der interkulturellen Literatur zweigeteilt hat, und zwar in außer- und innentextliche Komponenten. Zu bemerken ist auch, dass die besondere „Zwischenposition“ der Produzenten dieser Literatur, die als Grenzgänger oder Pendler zwischen den Kulturen leben, was ihnen erlaubt, zwei Kulturen kritisch zu beleuchten und kreativ zu bearbeiten. Sie hat eine Literatur hervorgebracht, die mit dem Begriff „hybrid“ zu charakterisieren ist. Sie ist eine Mischung kultureller Einflüsse, eine Symbiose zwischen „Eigenem“ und „Fremdem“, die einen „dritten Raum“, eine „Mischform“, ein „Dazwischen“ oder „Zwischenreich“ (vgl. Honnef-Becker 2006: 62), um die Terminologie der aktuellen Diskussion zu gebrauchen. Im Folgenden wird kurz auf die Rezeption der interkulturellen Literatur in Deutschland eingegangen. Es geht darum, die Positionen des „interkulturelles Erzählens“( Racz/Schenk 2014) im deutschen literarischen Feld zu erörtern.
1.2.1. Zur Stellung der interkulturellen Literatur in Deutschland
An dieser Stelle möchte ich zeigen, wie interkulturelle Literatur am Rande des Literartursystems in Deutschland trotz ihrer Bereicherung zur deutschsprachigen Literatur steht. Essoll eingangs unterstrichen werden, dass in Bezug auf die Literatur in Deutschland das lange aus dem 19. Jahrhundert stammende Konzept einer monolingualen und -kulturellen Nationalliteratur vorherrschte. Die „Migrantenliteratur“ und „Exilliteratur“ (vgl. Chiellino 2007: 392) führten daher im wissenschaftlichen Interesse lange Zeit nur ein Schattenleben und fanden nur marginale Beachtung. Erst die in den 1980er Jahre auftretende Gastarbeiterliteratur der Arbeitsimmigranten in Deutschland änderte diese Ansicht zu einer mehr interkulturell orientierten deutschsprachigen Literatur. Durch die zunehmende Globalisierung nimmt auch der Wert interkultureller Literatur gerade in der heutigen Zeit einen wichtigen Platz ein. Interkulturelle Literatur erscheint als ein Ausweg, sich den Zwängen einer zu eng gefassten monokulturellen Selbstwahrnehmung zu befreien (vgl. ebd.). Von Gastarbeiterliteratur kann aber gegenwärtig nicht mehr die Rede sein, da sich viele der Autoren bereits in der zweiten und dritten Generation in Deutschland befinden. Jedoch merkt man im Hinblick auf die unzähligen und umstrittenen Bezeichnungen der Literatur nicht nur deutscher Autoren, dass sie als minderwertig betrachtet wird, denn pejorative Bezeichnungen wie „Migranten“-, „Exil“-, oder „Ausländerliteratur“ negieren die Tatsache, dass viele Autoren der zweiten oder dritten Generation in Deutschland aufgewachsen bzw. geboren sind und Deutsch als ihre Muttersprache gilt.
Es wäre meines Erachtens irreführend, diese Literatur an der Herkunft deren Autoren oder an außerliterarischen Phänomenen zu orientieren. Doch die Begriffe Migrationsliteratur oder interkulturelle Literatur scheinen neutral zu sein, denn sie lenken vielmehr die Aufmerksamkeit auf den literarischen Text. Nicht unproblematisch dabei ist nur, dass Texte deutscher Autoren wie Günter Wallraff, Max von der Grün oder Sten Nadolny nicht zu jener Literatur gehört, obgleich sie die Lage der Ausländer in Deutschland beleuchten (vgl. Mahamat 2015: 143). Mit dem Leitmotiv „Lachen aus dem Ghetto“ aus der Zeitschrift PoLiKunst bedauert deren Herausgeber die Tatsache, dass Texte der interkulturellen Literatur in Deutschland im Gegensatz zu denen, die außerhalb Deutschlands in anderen Sprachen verfasst und dann ins Deutsche übersetzt werden, weniger rezipiert werden (vgl. ebd.). Schaut man den Untertitel „Texte aus der anderen deutschen Literatur“ des von Ilija Trojanow herausgegebenen Werkes betitelt Döner in Walhalla, so lässtsich deutlich eine Abtrennung der „Literatur der Interkulturalität“ von der deutschen Literatur feststellen, diein Deutschland in Form einer literarischen Apartheid herrscht, um mit Trojanov 4 zu sprechen. Des Weiteren betont der deutsche Autor und Herausgeber bulgarischer Herkunft Trojanov im Vorwort jenes Werkes, dass viele Klassiker der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts alles andere als Deutsche waren, nämlich Kafka, Canetti, Celan, um nur diese zu nennen:
Pas une lecture publique de mes muvres n'a lieu sans que l'on ne me demande pourquoi je parle si bien allemand. Je n'ai pas encore trouvé la bonne réponse. D'aucuns supposent que l'un de mes parents doit etre allemand, ou que je suis originaire de l'une de ces familles cultivées de la grande bourgeoisie est-européenne dans lesquelles on pratique l'allemand comme on pratique la musique de salon. Je regrette, ce n'est pas mon cas. Il est étonnant de constater a quel point le public allemand a du mal a admettre les apports de l'étranger. Il n'en reste pas moins que certains des plus grands écrivains de langue allemande de ce siècle (.) étaient tout sauf allemands, si l'on s'en tient â la définition convenue (Trojanov 2011:11).5
Diese Ausführung verdeutlicht, dass die nationale Literatur, die den Deutschen von großer Bedeutung ist, nicht existiert, denn Deutschland bildet keine homogene Einheit. Dieter Lamping hebt hervor, „ die deutsche Literatur war nie sehr deutsch und auf keinen Fall war sie nur deutsch“( Lamping 2013:19). Daraus ergibt sich, dass die Identität, die der „deutschen Kulturnation“ zugewiesen wird,noch häufig als eine homogene, klar umrissene gesehen wird, die sich linear entwickelt hat und quasi aus sich selbst heraus reproduziert (vgl. Amodeo 2009: 88). Interessanterweise kommt es, dass es ,frühere‘ Ausländer in Deutschland gibt, die, zum ius sanguinis gehörend, einen besonderen Stellenwert in der Bundesrepublik einnehmen. Zu ihnen zählt unter anderem Günter Grass, der trotz seiner Mutter und Großmutter, die kaschubischer Herkunft sind, als deutscher Nobelpreisträger zelebriert wird. (vgl. ebd: 88). Darunter wird verstanden, dass es unter „Deutschen“ Marginale und Privilegierte gibt. Letztere werden unter denen, die Tore für Deutschland schießen, eingeordnet. Darüber hinaus bemerkt Stephen Clingman in seiner Studie zur „transnationalen Literatur“6, wie er sie nennt: “literature overflows national borders, but if all writing ist transnational, then it too might disappearas a separable phenomenon. To make it the totality is also to negate it.” ( Clingman 2009: 8). Damit sieht Clingman die Notwendigkeit der sogenannten transkulturellen Literatur eine endgültige Benennung zu finden und sie in die „große und bedeutende deutsche Literatur“ (Amodeo 2009: 89) einzuschließen und dabei ihre Besonderheit im Auge zu behalten. Diese schwere ,Kategosierung‘ dieser Literatur aus der Migration- die sich mit all ihren Etiketten in einen taxonomischen Ort einordnen lässt (vgl. ebd.) - in der „wahren deutschen Literatur“ (ebd.) zeigt deren minderwertigen und marginalen Position innerhalb des literarischen Systems in Deutschland.
Diese Marginalisierung liegt zudem an der Lesart der Rezipienten dieser Texte. Sowohl in literarischen Rezensionen als auch in literaturwi ssenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Texten zur Migration ist die Tendenz erkennbar, den Autor dieser Texte in Mittelpunkt zu stellen, und sogar seine Biographie als unerlässliche Bedingung zum Verständnis der Texte aufzufassen. Problematisch dabei ist, dass den Texten ihr ästhetischer Wert aberkannt wird. In dieser Hinsicht weist Amodeo darauf hin, dass Texte über Migration als Pendant einer soziologischen Untersuchung gelesen werden. (vgl. ebd.).
Als wichtiger Punkt in der Rezeption der interkulturellen Literatur in Deutschland ist die heikle Frage der Literaturpreise. Darauf wird an dieser Stelle nur kurz eingegangen. Die nebensächliche Stellung der interkulturellen Literatur lässt sich auch an den Auszeichnungen demonstrieren, die man den Autoren verleiht. In der Tat besteht in Deutschland der sogenannte Adalbert-von-Chamisso-Preis, der nur für eminente Schriftsteller nicht deutscher Herkunft reserviert ist. Deshalb betont Weissmann in seinem Artikel Une littérature transnationale et transculturelle de langue allemande den Beitrag dieses Literaturpreises zur Beförderung der Schriftsteller der neuen Weltliteratur, auch wenn dieser Preis ihm zufolge im Kontext der zunehmenden Internationalisierung der Literatursysteme anachronisch ist. (vgl. Weissmann 2011: 58). Hierdurch appelliert Weissmann daran, die deutschen Schriftsteller ausländischer Herkunft nicht in eine gesonderte und isolierte Kategorie einzukreisen, denn sie sollen ebenso wie die „deutschen Schriftsteller“ behandelt werden. In diesem Sinne schreibt Michael Hofmann Folgendes:
Denn so verdienstvoll die Idee des Adelbert-von-Chamisso-Preises ist (...), so ist doch nicht zu verkennen, dass hier die Gefahr eines Reservats besteht, einer Etablierung eines separaten Raums für Schreibende mit einem besonderen Hintergrund und damit möglicherweise anderen Beurteilungskriterien als denen, die für alle gelten (Hofmann 2006: 199).
Ilja Trojanow, Chamisso-Preisträger im Jahre 2000, bekundet anlässlich des 25. Geburtstages des Chamisso-Preises Folgendes: „Wahrlich, es gibt keine Chamisso-Literatur7 mehr, sondern nur das Hineinwachsen der deutschsprachigen Literatur ins Weltliterarische mit Hilfe der Agenten der Weltläufigkeit und Mehrsprachigkeit.“(Trojanow 2009: 25). Hier soll aufgezeigt werden, dass im Zeitalter der Globalisierung Literatur der Migration nicht von der deutschen Literatur abzugrenzen ist, daher die Notwendigkeit die deutsche Literatur als eine Literatur in einem „Grenzraum zu den Nationalliteraturen“ (Amodeo 2009: 70) zu betrachten, denn sie soll sich in eine Grenzliteratur 8 entwickeln, welche die Nationalliteraturen in Frage stellt. Parallel dazu schreibt Montero in Anlehnung an einen Text von Calvino Folgendes: „ [...] tout rapport entre le centre et la périphérie a l'intérieur des systèmes culturels doit etre pergu comme un rapport relationnel en perpétuel changement et dont la dimension symbolique est l'objet d'une négociation permanente par les différents groupes ethniques de la société (Montero).“9 Allerdings kann sich daher meines Erachtens durch ein Zusammenführen der Kulturen der sogenannten Minderheiten- und Mehrheitsliteratur aus dem Bewusstsein einer Oppositionskonstruktion zwischen der Vorstellung einer homogenen nationalen Identität und der Auffassung einer gemischten oder alteritären Identität eine Weltliteratur ergeben, die die Dichotomie Zentrum und Peripherie in Frage stellt.
Ein weiterer nicht unumstrittener Punkt bei der Rezeption der interkulturellen Literatur ist die Frage von deren Kanonfähigkeit im deutschen Bildungswesen. Dieter Wrobel wirft in seinem Beitrag die kontroverse Debatte der Kanonfähigkeit der interkulturellen Literatur in Deutschland, vor allem im Literaturunterricht, auf. ( vgl. Dieter Wrobel o. J.: 24 ). Erfragt sich Wrobel, warum deutsche interkulturelle Texte wie z.B. der Roman Der Verlorene von Hans Ulrich Treichels kanonfähig ist, während es bei Texten von Feridun Zaimoglu, Emine Sevgi Özdamar, Yoko Tawada, Térézia Mora, Rafik Schami, Ilja Trojanow, Wladimir Kaminer, Libuse Monikova, Zafer Senocak und andere nicht der Fall ist. ( vgl. ebd.: 25). Diese Ausschließung zeigt, dass die Kanonbildung hier willkürlich ist.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass angesichts der Marginalisierung bzw. Diskriminierung der interkulturellen Literatur in Deutschland die multikulturelle Gesellschaft ein Luxus ist, denn das Konzept der monokulturellen Nationalliteratur ist immer noch aktuell, was gegen die Herausforderungen des Zeitalters der Globalisierung ist. Schon früher bekundete Goethe in seinen Brief an Eckermann: „National-literatur will jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Welt-Literatur ist an der Zeit, und jeder muss dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen“10. Es wäre also vonnöten, Texten der Migrationsliteratur, einen endgültigen Namen zu geben und in die deutsche literarische Landschaft völlig zu integrieren, da die interkulturelle Literatur wie es Esselborn bemerkt hat, essentialistischen Vorstellungen gegenübersteht:
Eine ganze Reihe von Neuveröffentlichungen zum Thema ,interkulturelle Literatur' bzw. ,interkulturelle Literaturwissenschaft' ließ zuletzt eine neues Interesse der deutschen Literaturkritik wie auch der Germanistik an einem Gegenstandsbereich erkennen, der lange Zeit durch das traditionelle germanistische Konzept einer monolingualen und kulturell ,homogenen ,Nationalliteratur' im Sinne des 19. Jahrhunderts verstellt war (Esselborn 2009:43).
Gemeint ist damit, dass interkulturelle Literatur Ausdrucksmöglichkeiten erweitert und Impulse zum Dialog von Kulturen eröffnet, was meines Erachtens die originär deutsche Literatur schlichtweg bereichert.
Erläutert wird im Folgenden der Grund, weshalb in der vorliegenden Arbeit die Bezeichnung , interkulturelles Erzählen‘ gewählt wird.
[...]
1 (Zit. nach Leskovec 2011 : 43)
2 (Zit. nach Nyemb, a.a.O. : 7)
3 Es gibt unzählige Definitionen des Begriffs Kompetenz. Es lohnt sich nicht hier, all diese zu bearbeiten. Bearbeitet werden nur Definitionen, die in dieser Arbeit relevant sind. Deshalb weisen wir hier auf einige gängige Arbeiten hin : Vgl. Bolten. J/ Jena (2007) ,Stephanie, Rathje/ Jena (2006), Neuner (2003)
4 (Zit. nach Mahamat 2015: 141)
5 (Zit. nach Weissmann 2011: 55)
6 Transnationale Literatur verweist hier auf eine weitere Bezeichnung der literarischen Produktion nicht nur deutscher Autoren in Deutschland. Der Terminus mit dem Präfix „trans-“ beinhaltet die Vorstellung einer Grenzüberschreitung.
7 Chamisso-Literatur ist eine weitere kontroverse Bezeichnung der nicht nur deutschen Literatur.
8 Den Begriff Literatur der Grenze verwendet auch Dieter Lamping, um damit eine Literatur zu bezeichnen, die von Grenzen handelt. Sie ist ihm zufolge eine politische Literatur, welche sich mit den territorialen Grenzen, die sich auch zwischen Kulturen und Sprachen befinden, befasst. Vgl. Lamping Dieter: Über Grenzen- eine literarische Topographie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001. Auch Immacolota Amodeo, Heidrun Hörner und Christiane Kiemle verwenden den Begriff „Literatur ohne Grenze“, um eine Literatur verfasst von Migranten oder von deren Kindern zu benennen. Vgl. auch Immacolota Amodeo, Heidrun Hörner und Christiane Kiemle ( Hrsg.): interkulturelle Gegenwartsliteratur in Deutschland: Porträts und Positionen, Sulzbach: Taunus 2009.
9 (Zit. nach Simo 2015: 121)
- Arbeit zitieren
- Frank Pouokam (Autor:in), 2016, Interkulturelles Erzählen und Kompetenzerwerb bei Rafik Schami, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1176388
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