Wechselwähler

Eine Untersuchung des Wählerverhaltens anhand von Rational-Choice und Mikrosoziologischem Ansatz


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2005

28 Pages, Note: 2,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Downs’ Ökonomische Theorie der Demokratie
2.1 Begriffliches
2.2 Das Parteidifferenzial
2.4 Wahlparadoxon
2.5 Zwischenbilanz

3. Der mikrosoziologische Ansatz
3.1 The People’s Choice
3.2 Der Aktivierungseffekt und der Verstärkungseffekt
3.3 Gruppendynamik
3.4 Voting
3.5 Zwischenbilanz

4. Wechselwähler
4.1 Zum Begriff
4.2 Die Bedeutung der Wechselwähler
4.3 Zur Messung

5. Empirische Befunde
5.1 Die Bundestagswahl 2002
5.2 Die Bundestagswahl 2005

6. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im Wahlkampf zählt jede einzelne Stimme, deshalb die Parteien im politischen Wettbewerb hart darum kämpfen. Auch wenn die Parteien über Stammwählerschafften verfügen, müssen sie immer wieder damit rechnen, dass Wähler das Lager wechseln. Die Wechselwähler bringen Bewegung in den politischen Wettbewerb. Das wissen auch die Parteien nur zu gut und versuchen stets um dieses Wählersegment zu werben. Mehr als schwache Wahlbeteiligung und demographischer Wandel beeinflussen sie die Gewinne und Verluste der Parteien.

Die Wahlforschung kennt unterschiedliche Werkzeuge zur Messung des Wählerverhaltens. Sie folgen unterschiedlichen Paradigmen und gehen das Problem von unterschiedlichen Seiten an. Eine Theorie kann aber nie die ganze Wahrheit sondern stets nur einen Ausschnitt der Realität zeigen. Daher sollen hier wenigsten zwei Ansätze miteinander verglichen werden. Dieser Vergleich darf nicht als Schlagabtausch im Sinne eines Boxkampfes verstanden werden. Weder wird es einen Sieg nach Punkten noch durch K.O. geben. AM ende wird es keinen alleinigen Sieger geben. Vielmehr soll der Vergleich die Stärken und Schwächen der Ansätze erörtern und aufzeigen, an welchen Stellen sich die beiden Ansätze widersprechen und wo sie sie sich ergänzen.

Beginnen werde ich mit dem Rational-Choice Ansatz, genauer gesagt mit der Ökonomischen Theorie der Demokratie von Anthony Downs. Dieser Ansatz beruht auf dem rationalen Paradigma, sein Menschenbild ist der Homo Oeconomicus, ein nüchtern kalkulierender, Kosten-Nutzen-maximierender und somit rationaler Akteur. Downs begreift den Wähler als einen solchen rationalen Wähler. Er rechnet sich aus, welche Partei ihm den größten Nutzen einbringt und leitet daraus seine Wahlentscheidung ab.

Einen anderen Weg geht der Mikrosoziologische Ansatz, dargestellt am Beispiel der beiden Studien von Lazarsfeld und Berelson. Hier ist der Wähler eingebettet in ein soziales Umfeld, das fortlaufend Einfluss auf ihn ausübt. Der Wähler reagiert auf diese Einflüsse, möchte auf von seiner Umwelt akzeptiert werden und gleicht seine persönliche Meinung der vorherrschenden kollektiven Meinung an. Das dazugehörige Menschenbild ist des Homo Sociologicus.

Im Anschluss an die beiden Ansätze wird das Phänomen der Wechselwähler eingehend unter die Lupe genommen. Wichtig ist hierbei, die Bedeutung des Wechselwählers herauszuarbeiten und Rückschlüsse auf seinen Einfluss auf den Wahlkampf zu ziehen. Auch Möglichkeiten der Messung werden vorgestellt.

Schließlich werden die Bundestagswahlen von 2002 und 2005 untersucht, um das Ausmaß der Wählerwanderung zu ermitteln.

2. Downs’ Ökonomische Theorie der Demokratie

2.1 Begriffliches

Downs nennt sein Werk „Ökonomische Theorie der Demokratie“. Ökonomisch bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sich seine Annahmen im Rahmen des rationalistischen Paradigmas bewegen. Gegenstand dieser Annahmen sind Demokratien, eine spezielle Art von politischen Systemen, Downs hat jedoch eine spezielle Vorstellung von Demokratie, die er an acht Punkten festmacht:

1. Es wird eine Partei gewählt, die Regierung zu stellen.
2. Die Regierung ist nicht in der Lage, die Legislaturperiode eigenmächtig zu verlängern.
3. Es gilt das allgemeine Wahlrecht zumindest für erwachsene Männer, die körperlich und geistig dazu in der Lage sind, zu wählen.
4. Jeder Wähler hat genau eine Stimme, die auch nur einmal gezählt wird. One man, one vote.
5. Die Partei, die gewählt wird, stellt die Regierung.
6. Die Verlierer akzeptieren ihre Niederlage und versuchen nicht, die gewählte Regierung mit illegalen Mitteln zu stürzen.
7. Es herrscht Minderheitenschutz.
8. Es müssen mindestens zwei Parteien antreten.[1]

Man erkennt recht leicht, dass diese Definition vor allem auf dem Wahlakt fußt und ganz besonders viel Wert legt, „echte“ Demokratien von Pseudodemokratien, also autoritären Systemen, deren angeblich demokratische Institutionen kaum mehr Fassade gleich einem Feigenblatt sind, zu unterscheiden. Man kann natürlich über die Brauchbarkeit dieser Definition streiten, z. Bsp. über Punkt 3, ob es demokratisch sein kann, wenn nur Männer wählen dürfen, Frauen aber von der Wahl ausgeschlossen werden. Andererseits würde man kaum behaupten wollen, dass die Schweiz vor der Einführung des Frauenwahlrechts in den 1970’ern undemokratisch gewesen sei.

Zwei Akteure treten in dieser Definition auf: Wähler und Parteien. In einer Demokratie ist die primäre Legitimation des politischen Systems die Wahl. Der Bürger in einer Demokratie wird durch seine Beteiligung an der Wahl zum Wähler. Er entscheidet sich bei der Wahl für eine der zur Wahl stehenden Parteien.

„Eine Partei ist eine Gruppe von Personen, die de Kontrolle über den Regierungsapparat dadurch in die Hand zu bekommen suchen, dass sie in einer ordnungsgemäß abgehaltenen Wahl ein Amt erhalten.“[2]

In der Ökonomischen Theorie der Demokratie nehmen die Partien einen mindestens so großen Platz ein wie Wähler. Es soll jedoch fürs erste genügen, dass die Parteien ihr Ziel der Stimmenmaximierung ebenso rational verfolgen, wie der Wähler seine Wahlentscheidung trifft.

Oberste Handlungsmaxime ist der Eigennutz, der maximiert werden soll[3]. Nutzen heißt etwas präziser formuliert Nutzeneinkommen und bezeichnet den Nutzen innerhalb eines bestimmten Zeitintervalls. Dieses Intervall ist hier natürlich die Wahlperiode. Das Nutzeneinkommen des Wählers ist der Nutzen, den er durch eine bestimmte Partei innerhalb ihrer Legislatur erhält[4].

2.2 Das Parteidifferenzial

Der rationale Wähler muss zur Wahl abwägen, von welcher Partei er den größten Nutzen zu erwarten hätte, käme sie an die Macht. Am einfachsten ist eine solche Überlegung selbstverständlich in einem Zweiparteiensystem. Zur aktuellen Regierungspartei A gibt es lediglich die Alternative der Oppositionspartei B. In einem Mehrparteiensystem wird es in der Regel Koalitionen geben, wenn eine Partei nicht allein regieren kann. Man kann jedoch A und B als zu erwartende Koalition betrachten.

Aus dem zu erwartenden Nutzen aus A und B innerhalb der kommenden Legislatur bildet Downs’ rationaler Wähler das erwartete Parteidifferenzial:

E (UAt+1) – E (UBt+1)

E bezeichnet den Erwartungswert, U steht für den Nutzen aus A bzw. B, t ist die gegenwärtige Legislaturperiode und t+1demnach die nach der Wahl folgende.

Wenn E (UAt+1) – E (UBt+1) > 0 wird der Wähler für A stimmen und die Regierung im Amt bestätigen. Folglich wird er bei E (UAt+1) – E (UBt+1) < 0 die Opposition wählen. Für den Fall, dass E (UAt+1) – E (UBt+1) = 0, enthält sich der Wähler der Stimme.

Um für das erwartete Parteidifferenzial den Erwartungswert zu erhalten, muss zunächst das gegenwärtige Parteidifferenzial erstellt werden. Es lautet:

(UAt) – E (UBt)

Es wird hierbei der tatsächliche Nutzen aus A in der gegenwärtigen Legislatur mit dem potentiellen Nutzen verglichen, den man im gleichen Zeitraum aus einer Regierung B gezogen hätte.[5]

„Strukturell entspricht diese Entscheidung aufgrund des Parteidifferenzials der Abwägung zwischen zwei Gütern mit einem identischen Preis und bekannten Eigenschaften, die sich in ihrem Nutzen für den Käufer unterscheiden.[6]

2.3 Trendfaktor und Leistungsbewertung

Modifiziert wird das gegenwärtige Parteidifferenzial durch zwei Faktoren, den Trendfaktor und die Leistungsbewertung.

Mit dem Trendfaktor berücksichtigt man die Entwicklung von A in der abgelaufenen Legislaturperiode und projiziert sie in die kommende. Auch nach einem schlechten Start kann sich A stetig verbessert haben. Ist eine Fortsetzung dieses Aufwärtstrends zu erwarten, wird sich das positiv auf die Wahlentscheidung auswirken. Analog wird ein Abwärtstrend positiv für B ausfallen[7].

Sofern der Wähler indifferent zwischen den Parteien, geht die Leistungsbewertung in sein Kalkül ein. Dabei muss sich A an den Leistungen früherer Regierungen messen lassen. Jede Wahl ist ein Urteilsspruch über die Leistung der Regierung[8]. Sofern in t eine wie auch immer geartete Differenz zwischen A und B auszumachen ist, stellt die Wahl eine Urteil über die erwartete Leistung von A und B in t+1 da. Ist jedoch keine Differenz zwischen den Kontrahenten zu erkennen, kann diese erwartete Leistung nicht projiziert werden. Stattdessen urteilt der Wähler lediglich über die guten und schlechten Leistungen von a in t.

Eine Wahl hat somit immer eine Signalwirkung, da der Wähler über Kontinuität oder Wandel entscheidet. Bei einer Wiederwahl wird A seine Politik bestätigt finden und fortsetzten. Bei einem Oppositionssieg gilt die Politik von A als gescheitert und wird von B selbstverständlich nicht fortgesetzt. Mit jeder Wahl stellt der Wähler erneut die Weichen.

Wie der Wandel schließlich konkret aussehen wird, lässt sich ex-ante natürlich nicht sagen. Die Entscheidung des Wählers ist nicht inhaltlich begründet, es geht nur um pro oder contra Wandel. Politische Inhalte sind zweitrangig, was zählt ist der Nutzten, den sie erbringen.

Wenn erst mal ein Punkt erreicht ist, von dem aus es nur noch besser werden kann, bringt der Wandel großen Nutzen mit sich; man wählt B. Profitierte man bisher von A, bringt ein Wandel mehr Unsicherheit als Wandel, und man wird für A stimmen. Zum Nicht-Wähler wird der Wähler, wenn B keinen Einfluss auf das Nutzeneinkommen hat oder die Chancen zur Verbesserung oder Verschlechterung ungefähr gleich sind.[9]

Dies führt erstens zur Einführung der Unsicherheit in das Modell und zweitens zu der Tatsache, dass auch bei (UAt) – E (UBt) = 0 die Leistung von A bewertbar bleibt. Die Leistung von A muss dazu am Maßstab der idealen Regierung gemessen werden.

Eine Veränderung der Leistungsbewertung kann eintreten, wenn

- A seine Politik trotz gleicher Rahmenbedingungen ändert,

oder

- die Politik von A und der daraus gewonnene Nutzen unverändert bleiben, aber die Höhe des idealen Nutzens durch veränderte Rahmenbedingungen steigt,

oder

- A bei veränderten Rahmenbedingungen die gleiche Politik betreibt, wobei sich der Nutzen ändert.

Als Notwendige Bedingung müssen A und B in Programm und Praxis gleich sein oder sich unterscheiden und dabei das gleiche Nutzeneinkommen produzieren. In diesem zweiten Fall ist eine Leistungsbewertung sinnlos, da die Art und Weise des Wandels unbekannt ist. Wenn weder Wandel noch Kontinuität das Nutzeneinkommen beeinflussen, wird man nicht wählen gehen. Im ersten Fall besteht Unsicherheit, da die Art der Veränderung nicht vorhersehbar ist. Entscheidend ist hier die grundsätzliche Einstellung des Wählers zu Veränderungen. Um diese zu ermitteln, wird die Leistung von A im Verhältnis zum Nutzeneinkommen und die Leistung im Verhältnis zur idealen Regierung mit einander verglichen[10].

2.4 Wahlparadoxon

Das Wahlparadoxon ist das zentrale Problem des Modells. Geht man von den indifferenten Wählern aus, liegen die Gründe für ihre Unentschlossenheit unter Umständen darin, dass sie nicht ausreichend informiert sind. Die Kosten für eine umfassende Informiertheit sind so hoch, dass es in der Regel rational ist, unvollständig informiert zu sein. Dazu gesellen sich noch die Kosten der Wahl, in erster Linie die Zeit, wählen zu gehen. Diese Zeit fehlt für andere Tätigkeiten, die sonst eventuell ein höheres Nutzeneinkommen produziert hätten. Wird zum Beispiel an einem Werktag gewählt, was unter anderem in den USA üblich ist, muss zum Wählen Arbeitszeit geopfert werden, oder man muss einen längeren Heimweg in Kauf nehmen usw.

Der Wahlvorgang muss sich lohnen, der Ertrag der Wahl muss die Kosten C übersteigen, sonst wäre es rational, nicht zu wählen. Der Ertrag ist jedoch nicht allein der erwartete Nutzen U aus dem Parteidifferenzial. Auch die Wahrscheinlichkeit, die wahlentscheidende Stimme abzugeben hat einen Wert p. Die Rechnung des rationalen Wählers lautet:

p x U

In einer modernen Massendemokratie liegt p bei ca. 10-5.[11] Daraus folgt, dass p x U auf jeden Fall sehr klein ist, woraus sich p x U < C ergibt. Sind aber die Kosten größer als der Nutzen, wird der rationale Wähler am Wahltag daheim bleiben[12].

Offensichtlich gehen die Bürger in Demokratien dennoch zur Wahl. Sofern man am Modell des rationalen Wählers festhalten möchte, ergibt sich aus der Distanz theoretisch angenommener und tatsächlicher Beteiligung das Wahlparadoxon. Ab einer Wahlbeteiligung von über 50% kommt Downs’ Modell in Erklärungsnot[13]. Jedoch hat Downs dieses Problem erkannt und versucht zu lösen. Die Stimmabgabe, so Downs, habe einen eigenen Wert. Dazu geht man davon aus, dass die Bürger in einer Demokratie an deren Erhalt interessiert seien. Grund dafür ist natürlich der Nutzen, der in Demokratien höher liegt als in Diktaturen. Es kommt nun der langfristige Partizipationswert[14] ins Spiel. Der rationale Wähler denkt langfristig und ist auch an langfristigen Gewinnen interessiert. Dafür nimmt er unter Umständen kurzfristige Kosten in Kauf. Also geht er zur Wahl, da für ihn der Erhalt der Demokratie mehr wiegt als die Kosten der Wahl. Es ist gewissermaßen die „Spielregel, ohne die kein Spiel möglich ist[15].“

[...]


[1] Vgl.: Downs, A. [1968]: S. 23.

[2] Downs, A. [1968]: S. 24.

[3] Vgl.: Downs, A. [1968]: S. 26.

[4] Vgl.: Downs, A. [1968]: S. 24ff.

[5] Vgl.: Downs, A. [1968]: S. 38f.

[6] Arzheimer, K./ Schmitt, A. in: Falter, J. W./Schoen, H. [2005]: S. 253.

[7] Vgl.: Downs, A. [1968]: S. 39f.

[8] Vgl.: Downs, A. [1968]: S. 40.

[9] Vgl.: Downs, A. [1968]: S. 40ff.

[10] Vgl.: Downs, A. [1968]: S. 42f.

[11] Green und Shaprio [1994], zit. n.: Arzheimer, K./ Schmitt, A. [2005] S. 285.

[12] Vgl.: Downs, A. [1968]: S. 258ff.

[13] Vgl.: Braun, D. [1999]: S. 70.

[14] Vgl.: Downs, A. [1968]: S. 262.

[15] Vgl.: Downs, A. [1968]: S. 236.

Fin de l'extrait de 28 pages

Résumé des informations

Titre
Wechselwähler
Sous-titre
Eine Untersuchung des Wählerverhaltens anhand von Rational-Choice und Mikrosoziologischem Ansatz
Université
Johannes Gutenberg University Mainz  (Institut für Politikwissenschaft)
Cours
Theorie des Wählerverhaltens
Note
2,3
Auteur
Année
2005
Pages
28
N° de catalogue
V117882
ISBN (ebook)
9783640210183
ISBN (Livre)
9783640210220
Taille d'un fichier
567 KB
Langue
allemand
Mots clés
Wechselwähler, Theorie, Wählerverhaltens
Citation du texte
Tobias Gräf (Auteur), 2005, Wechselwähler, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117882

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Titre: Wechselwähler



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