Digitale Fotografie und das Vertrauen in den Bildjournalismus


Thesis (M.A.), 2003

72 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Gliederung

Einleitung

1. Vertrauen
1.1 Vorbemerkung
1.2 Definitionen von Vertrauen
1.3 Vertrauenselemente

2. Vertrauen in der modernen Gesellschaft
2.1 Vorbemerkung
2.2 „Entbettung“ in der Moderne
2.2.1 Vorbemerkung
2.2.2 Expertensysteme
2.2.2.1 Vorbemerkung
2.2.2.2 Systembegriff bei Giddens
2.2.2.3 Experten in der Moderne
2.3 Bedeutung „abstrakter Systeme“
2.4 Reflexivität der Moderne
2.5 Vertrauen nach Giddens
2.5.1 Vertrauensbegriff nach Giddens
2.5.2 Vertrauen in „abstrakte Systeme“
2.6 Wechselseitigkeit, „aktives“ Vertrauen und Kooperation
2.6.1 Wechselseitigkeit und „aktives“ Vertrauen zwischen „abstrakten Systemen“ und Nicht-Experten
2.6.1.1 Vorbemerkung
2.6.1.2 Die Rolle der Experten bei „aktivem“ Vertrauen
2.6.1.3 Zugangspunkte
2.6.2 Kooperation
2.7 Risiko und Vertrauen
2.8 Überleitung

3. Vertrauen in Bildjournalismus
3.1 Vorbemerkung
3.2 Sonderrolle des Journalismus
3.3 Vertrauen in die Generierung journalistischer Informationen
3.4 Vertrauen in Journalismus nach Matthias Kohring
3.4.1 Vorbemerkung
3.4.2 Gesellschafts- und vertrauenstheoretischer Rahmen bei Kohring
3.4.3 Vier Faktoren für „Vertrauen in Journalismus“
3.5 Bedeutung von Bildjournalismus
3.5.1 Vorbemerkung
3.5.2 Literaturüberblick
3.5.3 Forschungen zur Wirkung von Pressebildern
3.5.3.1 Vorbemerkung
3.5.3.2 Beachtung von Pressefotos und Pressetexten
3.5.3.3 Wirkungsunterschiede von Fotografien und Texten
3.5.3.4 Wirkungsanteile in Bild-Text-Kombinationen
3.5.4 Journalistische Funktion von Pressefotos
3.5.5 Zusammenfassung: Bedeutung der Bildberichterstattung
3.6 Digitale Fotografie
3.7 Digitalisierung im Bildjournalismus – Die Glaubwürdigkeitsfrage
3.8 Vier Faktoren von Vertrauen in bildjournalistische Informationen

4. Ausblick

Literaturverzeichnis

Einleitung

Im Zuge der Einführung der digitalen Technik in den bildjournalistischen Bereich und den damit verbundenen Möglichkeiten einer schnellen, mannigfaltigen Bildbearbeitung, ist eine intensive Diskussion um manipulative Bildverfälschung im Bildjournalismus und einen möglichen Glaubwürdigkeitsverlust bildjournalistischer Darstellungen entstanden. Ein gro­ßer Anteil der Fotografien, die heute in Magazinen und Zeitungen abgebildet werden, wird mit Hilfe entsprechender Computerprogramme nachbearbeitet. Dabei werden häufig Details wie Helligkeit, Farbanpassung etc. korrigiert. Manchmal werden hierbei jedoch, wie hin und wieder aufkommende Skandale bestätigen, neuartige Bildaussagen geschaffen, die dem Betrachter eine bestimmte Realität suggerieren (sollen). Innerhalb der Diskussion um die neuen Möglichkeiten der bildjournalistischen Technik und einen eventuellen Glaubwürdigkeitsverlust gibt es zahlreiche Kontroversen. Diese beziehen sich vor allem auf die Aspekte, dass erstens eine Grenze zwischen der manipulativen Bildverfälschung und einer moralisch zulässigen Bildoptimierung objektiv nicht zu bestimmen sei und dass zweitens Fotografien schon immer, unabhängig von ihrem technischen Entstehungsprozess, eine bestimmte Realität suggerieren konnten, indem z.B. bestimmte Motive, Ausschnitte, Lichtverhältnisse etc. vom Fotografen ausgewählt worden seien.

Ausgehend von der oben kurz skizzierten Diskussion soll innerhalb dieser Arbeit zunächst die besondere gesellschaftliche Bedeutung von Vertrauen in Journalismus bzw. Bildjournalismus, vor allem unter den besonderen sozialen Bedingungen moderner Gesellschaften, dargestellt werden. Außerdem soll analysiert werden, aus welchen Faktoren ein Vertrauen in Bildjournalismus, genauer ein Vertrauen in die Generierung bildjournalistischer Informationen, besteht und inwiefern dieses Vertrauen durch die neuen technischen Möglichkeiten beeinträchtigt werden kann.

Im ersten Teil der Arbeit soll zunächst der wissenschaftliche Vertrauensbegriff erläutert werden, anschließend die Besonderheiten von Vertrauen unter den bestimmten sozialen Bedingungen moderner Gesellschaften herausgearbeitet sowie die Bedeutung und die wichtigsten Aspekte von Vertrauen in Expertentum erläutert werden. Im zweiten Teil der Arbeit, von Abschnitt 3.1 bis 3.4, wird zunächst die besondere Rolle des Vertrauens in Journalismus herausgearbeitet und eine Konzeption von Vertrauen in Journalismus vorgestellt. Sodann wird in Abschnitt 3.5 anhand eines Literaturüberblicks über die Besonderheiten von Fotografien, eines Forschungsüberblicks zur Wirkung von Pressebildern sowie anhand der journalistischen Funktionen von Pressefotos die besondere Bedeutung von Vertrauen in Bildjournalismus erläutert. Nachdem in Abschnitt 3.6 die wesentlichen, in diesem Zusammenhang relevanten Veränderungen der digitalen im Vergleich zur analogen Fotografie dargestellt werden, wird in Abschnitt 3.7 die Diskussion um die Glaubwürdigkeit bildjournalistischer Darstellungen auf Grund der neuen technischen Möglichkeiten thematisiert und analysiert. In Abschnitt 3.8 wird ein Vorschlag zur Konzeption von Vertrauen in die Generierung bildjournalistischer Informationen unterbreitet. Im letzten Teil der Arbeit wird ein möglicher Vertrauensverlust in Bildjournalismus diskutiert und die besondere Verantwortung der in dieser Vertrauensbeziehung beteiligten Akteure erläutert. Die Verfasserin hofft so, einen zumindest kleinen Beitrag zu einer adäquaten Diskussion über ein Thema leisten zu können, das nicht nur die deutsche Gesellschaft in den nächsten Jahren zunehmend beschäftigen wird.

1. Vertrauen

1.1 Vorbemerkung

Vertrauen stellt einen wesentlichen Aspekt innerhalb verschiedenster sozialer Beziehungen und des sozialen Handelns dar. Im alltagssprachlichen Gebrauch vertraut der Mann seiner Frau, der Patient seinem Arzt, ein Gangster vertraut seinem Komplizen, das Opfer vertraut bei Festnahme des Gangsters der Justiz.

Innerhalb der soziologischen Betrachtung ist Vertrauen zunächst von Bedeutung, weil es sich um ein grundlegendes Merkmal sozialer Beziehungen handelt. So wird Vertrauen als Grundlage von sozialen Beziehungen zwischen zwei individuellen Akteuren, zwischen und innerhalb von Wirtschaftsunternehmen, Organisationen, politischen Parteien etc. oder sogar als eine Art Kraft, die eine ganze Gesellschaft zusammenhält, betrachtet. Vor allem vor dem Hintergrund einer modernen, komplexen Gesellschaft wird die Bedeutung von Vertrauen als Basis für den Zusammenhalt analysiert. Dabei kann es um Vertrauen in alltäglichen Begegnungen und Interdependenzen mit Fremden bis hin zu Vertrauen in Institutionen im Rahmen so genannter modernen Risikoumwelten gehen. Innerhalb des aktuellen theoretischen Diskurses über Vertrauen in der Soziologie bilden vor allem die Studien von Niklas Luhmann (1968; 2001), aus der Perspektive eines Rational-Choice-Ansatzes die Theorie von James Coleman (1990) und aus strukturationstheoretischer Perspektive der Beitrag von Anthony Giddens (1990) die Referenzpunkte. Abgesehen von übereinstimmenden Grundelementen innerhalb der verschiedenen Vertrauenskonzepte beleuchten einzelne Vertrauensbegriffe in der Literatur sehr unterschiedliche Aspekte des Vertrauens. Dies führt dazu, dass Vertrauensphänomene auf ganz unterschiedlichen Ebenen konzeptualisiert werden. Hinter den verschiedenen Zugangsweisen zum Phänomen Vertrauen stehen unterschiedliche paradigmatische Grundannahmen, die die entsprechende Ausrichtung bestimmen. Man könnte aber auch vermuten, dass es sich bei „Vertrauen“ um einen heterogenen und komplexen Gegenstand handelt und in den einzelnen Arbeiten somit unterschiedliche Facetten, möglicherweise sogar unterschiedliche soziale Phänomene unter einem Begriff subsumiert werden (vgl. Nuissl 2002: 88).

1.2 Definitionen von Vertrauen

Soziale Beziehungen verschiedenster Art zeigen häufig zwei Besonderheiten, die Vertrauen notwendig machen. Ein Austausch von Leistungen oder die Erfüllung von Erwartungen kann in sozialen Beziehungen meist nur in zeitlicher Verzögerung stattfinden. Aus dieser zeitlichen Verzögerung ergibt sich eine Unsicherheit, ob sich die Interaktionspartner an die impliziten oder expliziten Erwartungen halten. Insofern lässt sich nach Preisendörfer (vgl. Preisendörfer 1995: 264) Vertrauen zunächst als Mechanismus definieren, der das Zeitproblem und die Unsicherheit (Informationsproblem) überbrückt und somit Handlungen möglich macht.

Eine allgemein anerkannte Definition von Vertrauen gibt es nicht. In den meisten Vertrauenskonzepten lassen sich jedoch gleiche Grundelemente finden. Nahezu alle Vertrauenskonzepte beziehen sich auf einen Mechanismus, mittels dessen prinzipielle Zukunftsoffenheit von Situationen begrenzt werden kann (vgl. Nuissl 2002: 98). Im Gegensatz zu einer Situation des Hoffens oder des Überzeugt-Seins, in der man sich in Nichtwissenheit bzw. Gewissheit befindet, ist Vertrauen, um eine viel zitierte Formulierung zu benutzen „ein mittlerer Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen“ (Simmel 1999: 393). Henning Nuissl (2002) arbeitet folgenden kleinsten gemeinsamen Nenner der meisten wissenschaftlichen Vertrauensbegriffe heraus (vgl. Nuissl 2002: 99 ff.):

a) Vertrauen bezeichnet eine Erwartung, die sich auf ein bestimmtes Ereignis richtet. Ereignis kann hier sowohl das zukünftige Handeln eines anderen Akteurs, als auch die Stabilität eines Gegenstandes oder die Zuverlässigkeit einer Beziehung bezeichnen.
b) Derjenige, der die Erwartung hegt, also der Vertrauende, verfügt über ein unvollständiges Wissen über die Wahrscheinlichkeit des Eintretens dieses Ereignisses
c) Der Vertrauende selbst besitzt keine vollständige Kontrolle über das Eintreten dieses Ereignisses.
d) Vertrauen besitzt Handlungsrelevanz für eine vertrauende Person. Somit bringt
e) die Erfüllung oder Nichterfüllung der entsprechenden Erwartung konkrete Konsequenzen für die vertrauende Person. Die Vergabe von Vertrauen ist also mit einem Risiko verbunden.

1.3 Vertrauenselemente

Nuissl (2002) hat das Problem der Vielschichtigkeit wissenschaftlicher Vertrauensbegriffe aufgegriffen und versucht, die Vielzahl von Vertrauenskonzepten zu systematisieren, in dem er nicht nur - wie oben - gemeinsame Grundelemente, sondern auch sich unterscheidende Aspekte der Konzepte und damit auch Aspekte verschiedener vertrauensrelevanter Phänomene herausarbeitet. Er grenzt die fünf wichtigsten Dimensionen von Vertrauen gegeneinander ab, anhand derer der Vertrauensbegriff unterschiedlich diskutiert wird:

1. Genese von Vertrauen. Wie entsteht Vertrauen?

Vertrauen geht aus einem bestimmten kognitiven und/oder sozialen Prozess hervor.

2. Erscheinungsweise von Vertrauen. Worin äußert sich Vertrauen?

Vertrauen tritt in einer bestimmten Form zutage.

3. Grundlagen von Vertrauen. Weshalb wird vertraut?

Vertrauen beruht auf bestimmten Grundlagen.

4. Objekt von Vertrauen. Worauf wird verstraut?

Vertrauen richtet sich auf ein/mehrere bestimmte Objekte

5. Funktion von Vertrauen. Wozu dient Vertrauen?

Vertrauen hat eine bestimmte soziale Funktion

Nicht jedes Konzept bezieht sich oder muss sich auf alle fünf Dimensionen beziehen. Innerhalb eines Vertrauenskonzepts wird meist je nach theoretischem Standpunkt oder wissenschaftlichem Interesse auf eine oder mehrere Dimensionen besonders großes Gewicht gelegt. Die Vertrauensdimensionen innerhalb eines Vertrauenskonzepts leiten sich selbstverständlich in der Regel voneinander ab. Ein solcher „Querschnitt“ durch einige verschiedene Vertrauensansätze bringt den Vorteil, dass man, trotz der Vielschichtigkeit, einen Überblick über den wissenschaftlichen Vertrauensbegriff gewinnen kann. Im Folgenden führt die Verfasserin in Anlehnung an Nuissl (2002) zu jeder Dimension einige Beispiele an. Nuissl nennt dabei in erster Linie idealtypische Modi der jeweiligen Vertrauenselemente, die in Vertrauensansätzen auch miteinander verbunden auftreten können:

A) Genese von Vertrauen

Nuissl unterscheidet entsprechend der Differenzierung utilitaristischer, „strukturorientierter“[1] und interaktionistischer Handlungsmodelle in verschiedenen Vertrauenskonzepten drei idealtypische Modi der Vertrauensgenese (vgl. Nuissl 2002: 91 ff.). Vertrauen entstehe demnach a) aus einer individuellen Wahlhandlung, b) durch eine mehr oder weniger determinierte Reaktion oder resultiere c) aus interaktiven Beziehungen. Soweit Vertrauen durch individuelle Wahlhandlungen entstehe, seien diese meist rationaler Natur. Es handele sich also um „Vertrauensentscheidungen“, die getroffen würden, indem aus subjektiver Sicht die Eintrittswahrscheinlichkeit möglicher Ereignisse abwägt werde (vgl. z.B. Gambetta 1988). In anderen Konzepten - z.B. bei James Coleman (1991) - ist dieses Abwägen der Eintrittswahrscheinlichkeit mit dem Prinzip der Nutzenmaximierung verbunden. Hier wägt der potentielle Vertrauensgeber die Eintrittswahrscheinlichkeit des vertrauensrelevanten Ereignisses mit den daraus für ihn resultierenden möglichen Gewinnen und Verlusten ab: „Ein rationaler Akteur wird Vertrauen vergeben, […] wenn […] das Verhältnis der Gewinnchance zur Verlustchance größer ist als das Verhältnis des Ausmaßes des möglichen Verlustes zum Ausmaß des möglichen Gewinns.“ (Coleman 1991: 126). Es existieren auch Konzepte, in denen Vertrauen durch begrenzte Rationalität entsteht. So entsteht Vertrauen bei Bolle (1995) in einem Prozess, der sowohl durch individuelle Wahl als auch von Gefühlen bestimmt sei.

Konzepte, denen strukturorientierte Handlungsmodelle zugrunde liegen, beziehen vor allem den Kontext ein, in dem Vertrauen entsteht. Vertrauen geht hier zumeist aus einer Verhaltenserwartung - z.B. aus einer kulturellen Norm - hervor (vgl. z.B. Fukuyama 1995). Das Vertrauen entsteht hier aus einer determinierten Reaktion.

Im Gegensatz zu den Konzepten, die den Prozess der Entstehung von Vertrauen vollständig in das vertrauende Subjekt hineinverlagern, entwickelt sich bei anderen Autoren Vertrauen aus Beziehungen zwischen verschiedenen Akteuren heraus. Vertrauen wird hier durch interaktive soziale Aktivitäten ständig reproduziert oder neu hergestellt. Ein prominentes Beispiel hierfür wäre der Ansatz von Anthony Giddens (1995).

B) Erscheinungsweise von Vertrauen

Vertrauen kann subjektbezogen - z.B. als innere Einstellung (vgl. z.B. Giddens 1995) oder als sichtbare Handlung (vgl. z.B. Coleman 1990; Baurmann/Lahno 2002) - auftreten. Vertrauen kann auch als Kollektivgut - z.B. als „property of social systems“ (vgl. Misztal 1996: 14) - angesehen werden. Die Erscheinungsweise von Vertrauen ist besonders für dessen empirische Operationalisierung von Bedeutung.

C) Grundlagen

Je nach Konzept rücken unterschiedliche Grundlagen, auf denen Vertrauen beruht, in den Vordergrund. So können sie - je nach Ansatz - als wichtige Vertrauensgrundlagen Informationen oder Emotionen in den Mittelpunkt rücken, oder sie betonen z.B. die Notwendigkeit einer gemeinsamen sozialen Realität, in der man sich auf gegenseitige Verhaltenserwartungen einstellen kann (vgl. z.B. Luhmann 1968).

D) Vertrauensobjekte

Nuissl differenziert zunächst Konzepte, innerhalb derer es um generalisiertes Vertrauen und um beziehungsgebundenes Vertrauen (vgl. Nussil 2002: 98) gehe. Im ersten Fall handele es sich um Vertrauen in Form einer generellen Einstellung von Personen gegenüber ihrer Umwelt. Das Vertrauensobjekt werde generalisiert. Dagegen handele es sich im zweiten Fall um Beziehungen zwischen konkreten Akteuren. Vertrauensobjekte würden konkretisiert. Begegne ein Subjekt einem anderen Menschen mit generalisiertem Vertrauen, wäre das eine Mischung aus beiden Polen. Weiterhin könne auf der Ebene des „konkreten“ Vertrauensobjekts zwischen Personen- und Institutionenvertrauen (Systemvertrauen) unterschieden werden. Bei „konkretem“ Personen- oder Institutionenvertrauen könne sowohl in die Kompetenz als auch in die Vertrauenswürdigkeit von Personen vertraut werden. Das Vertrauen könne sich also auf die Erwartung hinsichtlich technischer/fachlicher Kompetenz beziehen und/oder auf die Erwartung, dass jemand moralgebunden sei und sich verpflichtet fühle, bestimmte Normen anzuerkennen. (vgl. z.B. Barber 1983). Nuissl merkt hierzu an, dass sich auf der Ebene des Vertrauensobjekts eine besondere Schwierigkeit ergebe. Sofern die Vergabe von Vertrauen als mehr oder weniger rationale Wahlhandlung konzipiert werde, sei es schwer möglich, ein einziges wahres Vertrauensobjekt anzugeben, da es sich in der Regel um viele mögliche Objekt-Zusammenhänge handeln könne. Vertrauen in eine bestimmte Person könne z.B. mit Vertrauen in bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, Vertrauen in bestimmte berufsspezifische Rollen oder in bestimmte situationsbedingte Merkmale dieser Person zusammenhängen. Das „mittelbare“ Vertrauen z.B. in die Persönlichkeitsmerkmale eines anderen könne aber wiederum von einem Vertrauen in die eigene Menschenkenntnis abhängen. Diese Kette könne noch weiter fortgesetzt werden: Auf der Metaebene könne das Vertrauen in eine bestimmte Person auch als Vertrauen in die Effektivität allgemeiner Strukturgesetzlichkeiten der sozialen Welt behandelt werden (vgl. Nuissl 2002: 98 f.).

E) Funktion

Die Frage nach der Funktion von Vertrauen besitzt in der Soziologie einen besonderen Stellenwert. Das Beispiel schlechthin ist der Ansatz von Niklas Luhmann (1968). Er versteht Vertrauen als ein Mechanismus zur Reduktion sowie zur Steigerung von gesellschaftlicher Komplexität. Der einzelne müsse oftmals aus vielen zukünftigen Möglichkeiten, die das Handeln und die Erwartungen anderer beträfen, eine Möglichkeit auswählen, um selbst handeln zu können. Durch Vertrauen habe man die Möglichkeit, indem man eine einseitige Vorleistung erbringe, an fremde Selektionsleistungen und/oder an die Erwartung einer bestimmten von vielen möglichen zukünftigen Handlungsalternativen eines anderen Akteurs anzuknüpfen und riskiere somit eine Bestimmung der Zukunft. Durch Vertrauen werde die Komplexität der zukünftigen Möglichkeiten reduziert. Man setze innere Sicherheit an die Stelle von äußerer. Dadurch könne man aber wieder Komplexität steigern, indem durch Vertrauen eine größere Zahl von Möglichkeiten eröffnet würden (vgl. Luhmann 1968: 21 f.).

Dieser Querschnitt durch verschiedene Vertrauenskonzepte soll einen, wenn auch nicht vollständigen, Überblick über prominente soziologische Vertrauenskonzepte geben und zugleich die Facettenartigkeit von „Vertrauen“ aufzeigen. Nuissl stellt am Ende seiner Analyse fest, dass die Differenz verschiedener Vertrauensbegriffe nicht allein darin gesehen werden könne, dass ein und dasselbe Phänomen auf unterschiedliche Weise konzeptualisiert werde, sondern dass offenbar mehrere vertrauensrelevante Strukturen und Prozesse beschrieben werden könnten (vgl. Nuissl 2002: 100).

Im Folgenden sollen die nach Auffassung der Verfasserin wichtigsten Aspekte von Vertrauen in einer modernen Gesellschaft dargestellt werden, um anschließend die Bedeutung von Vertrauen in Bildjournalismus hervorzuheben. Dabei orientiert sich die Verfasserin hauptsächlich an den vertrauenstheoretischen Überlegungen von Anthony Giddens (1995). Sodann werden in Anlehnung an das spezifische Konzept für „Vertrauen in Journalismus“ von Matthias Kohring (2001) vier Faktoren des spezifischen Vertrauens in Bildjournalismus erarbeitet. Zum Abschluss sollen anhand dieser vier Faktoren mögliche Beeinträchtigungen von Vertrauen in Bildjournalismus aufgrund der Einführung der digitalen Technik in den bildjournalistischen Bereich und der damit verbundenen neuen Möglichkeiten diskutiert werden.

2. Vertrauen in der modernen Gesellschaft

2.1 Vorbemerkung

Giddens vertrauenstheoretische Erörterungen entstanden in Verbindung mit seinen Untersuchungen zu den sozialen und politischen Konsequenzen der Entwicklung zur „Moderne“. Den Begriff der Moderne bezieht Giddens auf „[…] Arten des sozialen Lebens oder der sozialen Organisation, die in Europa etwa seit dem siebzehnten Jahrhundert zum Vorschein gekommen sind und deren Einfluß seither mehr oder weniger weltweite Verbreitung gefunden hat.“ (Giddens 1995: 9) Die Lebensweisen in der Moderne sind nach Giddens mit einer Dynamik verbunden, die den extremen Wandel von der Vormoderne zur Moderne erklärt (vgl. Giddens 1995: 12 ff.). In seiner Arbeit „Konsequenzen der Moderne“ analysiert Giddens diese besonderen, dynamisierenden Aspekte der Moderne und begründet anhand dieser den besonderen Stellenwert von Vertrauen in einer modernen Gesellschaft. Giddens analysiert in erster Linie Funktion und Genese von Vertrauen und erarbeitet die notwendigen Grundlagen für einen gesellschaftlich überaus wichtigen generell möglichen Vertrauensaufbau bzw. Vertrauenserhalt in der Moderne. Die „Dynamik der Moderne“ und damit der extreme Wandel innerhalb des sozialen Lebens resultiert für Giddens aus drei Faktoren: der Trennung von Raum und Zeit, der „Entbettung“ (disembedding) sozialer Systeme und der reflexiven Ordnung und Umordnung gesellschaftlicher Beziehungen (vgl. Giddens 1995: 28). Diese drei Faktoren prägen zugleich das spezifische Risikoprofil der Moderne.

2.2 „Entbettung“ in der Moderne

2.2.1 Vorbemerkung

In vormodernen Zeiten sei die Bestimmung der Zeit eng mit dem Ort bzw. mit wiederkehrenden Naturereignissen verbunden gewesen. Mit der standardisierten Zeitberechnung durch die Uhr löse sich die Zeit aus dem örtlichen Kontext und erfahre eine „Entleerung“ (vgl. Giddens 1995: 29 f.). Durch die Vereinheitlichung des Kalenders sowie die Festlegung von Zeitzonen setze sich dieser Prozess über nationale Grenzen fort. Mit der Entdeckung fremder Regionen der Welt durch Reisende und Forscher werde die Entwicklung des „leeren“ Raumes eingeleitet (vgl. Giddens 1995: 31). Anhand von Weltkarten könne „Raum“, ohne dass dabei auf einen lokalen Schauplatz Bezug genommen werden müsse, dargestellt werden. „Raum“ sei von einem spezifischen Ort oder Gebiet trennbar geworden.

Die fortschreitende Trennung der in vormodernen Gesellschaften jeweils lokalen Verbindung von Raum und Zeit und deren globale Standardisierung ist nach Giddens die wichtigste Vorraussetzung für den zweiten Faktor, der die Dynamik der Moderne ausmache, die „Entbettung“ sozialer Systeme (vgl. Giddens 1995: 33). Unter „Entbettung“ versteht Giddens das „Herausheben“ sozialer Beziehungen aus dem örtlichen Kontext und ihre Umstrukturierung über unbegrenzte Raum-Zeit-Pfade (vgl. ebd.). Gewohnheiten und Praktiken würden von fremden Einflüssen geprägt und umstrukturiert, es eröffneten sich verschiedenste Möglichkeiten des Wandels. Soziale Beziehungen würden aus ihrem räumlichen Kontext gelöst bzw. entwickelten sich über ihn hinaus. Die sozialen Beziehungen in der Moderne könnten unbegrenzte Raum-Zeit-Spannen umfassen. Dabei geht es nicht nur um direkte soziale Beziehungen, sondern auch um anonyme Abhängigkeits- und Beeinflussungsverhältnisse. So könnten sich gewaltige Umsatzerhöhungen oder Umsatzeinbußen von amerikanischen Firmen unter Umständen auf den eigenen Kontostand auswirken. Giddens nennt die zwei wichtigsten Mechanismen, die das „Herausheben“ sozialer Beziehungen aus ihrem örtlichen Kontext und die ausgedehnte Neuverbindung möglich machen: Die Benutzung „symbolischer Zeichen“ und die Installation von „Expertensystemen“ (vgl. Giddens 1995: 34). Unter „symbolischen Zeichen“ versteht er Medien, die auf breiter Ebene ausgetauscht werden, ohne dass bestimmte Merkmale der Individuen oder der Gruppe, die damit umgehen, berücksichtigt werden müssen (vgl. Giddens 1995: 34). Diese Medien haben einen standardisierten Wert und können deshalb zwischen einer Vielzahl von Kontexten ausgetauscht werden. Ein Beispiel wären Medien der politischen Legitimität, ein anderes, recht bekanntes „symbolisches Zeichen“ wäre das Geld.[2] Geld schaffe die Voraussetzungen für die Durchführung von Transaktionen zwischen Akteuren, die in Raum und Zeit weit entfernt seien. Es sei ein Mittel zur raum-zeitlichen Abstandsvergrößerung und damit ein Mittel, um soziale Beziehungen aus ihrem örtlichen Kontext zu lösen und in großer zeitlicher und räumlicher Ausdehnung neu zu verbinden. Die Dimension der raum-zeitlichen Abstandsvergrößerung, die mittels Geld realisiert werden könne, geht nach Giddens weit über diejenige hinaus, die in vormodernen Gesellschaften - z.B. im Römischen Reich - mittels Münzgeld erreicht worden sei. Giddens geht es vor allem um das nicht mehr zirkulierende Geld der Moderne, das die Form reiner Information angenommen habe (vgl. Giddens 1995: 38).

2.2.2 Expertensysteme

2.2.2.1 Vorbemerkung

Der andere, nach Giddens wichtige Mechanismus, um Beziehungen aus ihrem raum-zeitlichen Kontext zu lösen, ist die „Installierung von Expertensystemen“ (vgl. Giddens 1995: 34; 40 ff.). Hier handelt es sich um Systeme, die sich durch technische Leistungsfähigkeit oder professionelle Sachkenntnis auszeichnen, die sich auf die Menschen in weiten Bereichen auswirken und sie prägen. Expertensysteme und symbolische Zeichen nennt Giddens zusammen „abstrakte Systeme“ (vgl. Giddens 1995: 103). Experten können sowohl „Vertreter“ der Expertensysteme als auch „Vertreter“ symbolischer Zeichen sein (vgl. Giddens 1995: 109).

2.2.2.2 Systembegriff bei Giddens

Der Bezugspunkt für soziale Systeme ist bei Giddens die Kontinuität der sozialen Reproduktion. Einzelne Handlungen werden nach Giddens reflektiert und aus alltäglichen Aktivitäten hervorgehoben und entweder durch den Handelnden selbst oder durch andere als Handlungen erkannt (vgl. Rösener 1998: 128). Handeln ist für Giddens ein beständiger Strom von Aktivitäten, die bewusst und reflektiv (zweckgerichtet) vom Akteur gesteuert werden (vgl. Giddens 1988: 53). Aus dem beständigen Strom der menschlichen Aktivitäten gingen Strukturen[3] hervor, die gleichzeitig wieder zur Produktion und Reproduktion sozialen Lebens herangezogen würden. Strukturen besitzen nach Giddens einen doppelten Charakter: als Ermöglichung und als Einschränkung menschlichen Handelns (vgl. Giddens 1984a: 148) (Dualität der Struktur). Der Handlungsbegriff und der Begriff der sozialen Struktur bilden zusammen die wichtige Einheit für die „Dualität der Struktur“ (vgl. Giddens 1988: 77 ff.). Giddens versteht unter Strukturen ständig reproduzierte Sets von generativen Regeln und Ressourcen, die von Akteuren im Kontext der reflexiven Handlungssteuerung zur Produktion und Reproduktion des sozialen Lebens herangezogen würden (vgl. Rösener 1998: 139).[4] In den Interaktionen zwischen sozialen Akteuren, die in verschiedenen Handlungskontexten auf Strukturen, im Sinne von Regeln und Ressourcen zurückgriffen, entstünden anhand bestimmter Strukturbildungsprozesse soziale Systeme und würden anhand nicht beabsichtigter Handlungsfolgen ständig produziert und reproduziert. Die strukturellen Eigenschaften eines Systems seien sowohl Voraussetzung als auch Ergebnis der sozialen Praktiken,[5] die sie organisieren und die soziale Systeme erst begründen (Dualität der Struktur) (vgl. Giddens 1988: 77 f.; Rösener 1998: 139). Systeme entstünden durch sehr stabile wechselseitige, aufeinander bezogene Praktiken, die zwischen sozialen Akteuren stattfänden. Giddens definiert soziale Systeme als „Ordnung sozialer Beziehungen über Raum und Zeit hinweg, sofern diese als reproduzierte Praktiken aufgefasst werden“ (Giddens 1988: 432). Soziale Systeme werden also als die ständig wiederkehrenden Muster sozialer Praktiken mit großer raumzeitlicher Ausdehnung verstanden, indem räumlich und zeitlich Gegenwärtiges sowie Abwesendes in den Praktiken aufeinander bezogen werden. Das bedeutet auch, dass die Akteure fähig sein müssen, das eigene Handeln an das anderer Akteure anzuschließen (vgl. Rösener 1998: 141). Die Wechselseitigkeit bzw. das Aufeinander-Bezogen-Sein sozialer Praktiken von Akteuren sind über Raum und Zeit hinweg in sozialen Systemen verhältnismäßig stabil, nur so sei die Reproduktion gewährleistet. Praktiken mit größter Ausdehnung von Raum und Zeit nennt Giddens „Institutionen“ (vgl. Giddens 1988: 69). Sie sind über Raum und Zeit-Distanzen stabiler als einfache Praktiken und bilden somit einen Hauptbezugspunkt für den Systembegriff bei Giddens (vgl. Rösener 1998: 141). Bei nicht stabilen wechselseitigen Praktiken sei die soziale Reproduktion nicht gewährleistet und das soziale System als solches „gefährdet“. Giddens spricht auch von einem „Reproduktionskreislauf“ (vgl. Giddens 1988: 245 ff.), indem die Konsequenzen routinisierter Aktivitäten gleichzeitig die Bedingung für die Weiterführung bzw. erneute Ausführung dieser Aktivitäten seien (vgl. Giddens: 1988: 79). Reproduktion meint in diesem Zusammenhang keine identische Reproduktion: „Jede Reproduktion“, schreibt Giddens, „ ist jedoch notwendig Produktion: und in jeder Handlung, die zur Reproduktion einer 'geordneten' Form gesellschaftlichen Lebens beiträgt, liegt der Keim des Wandels“ (Giddens 1984b: 124; zitiert nach Rösener 1998: 142)

2.2.2.3 Experten in der Moderne

Ein Experte zeichnet sich bei Giddens erstens durch seine spezifische Sachkenntnis in einem bestimmten Gebiet und zweitens durch die Abgrenzung vom Nicht-Experten aus, indem in einer bestimmten Situation der Experte gegenüber dem Nicht-Experten aufgrund seiner Fähigkeiten zur Autorität wird (vgl. Giddens 1996a: 157). Das Wissen der Experten beschreibt Giddens in Unterscheidung zur „Tradition“ im Sinne von traditionalen Regeln und Praktiken, die in der Moderne verschwänden und an deren Stelle das Expertenwissen trete. An die Stelle der Weisen der traditionalen Gesellschaften - z.B. Schamane oder Priester -, die Giddens als „Hüter der Tradition“ bezeichnet, träten in der Moderne die Experten (vgl. Giddens 1996a: 154 f.). Die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zwischen Tradition und Expertenwissen sind nach Giddens folgende (vgl. Giddens 1996: 157 ff.):

1) Während Tradition stets an einem bestimmten Ort stattfinde, ist Expertenwissen nach Giddens grundsätzlich ortlos und dezentral. Expertenwissen sei nirgendwo fest verankert, da es auf unpersönlichen Prinzipien basiere, die sich ohne Rücksicht auf einen bestimmten Kontext, im Sinne von bestimmten Ritualen, aufstellen und entwickeln lassen.[6] Insofern lieferten Expertensysteme wie auch symbolische Zeichen Garantien, dass die Erwartungen über Raum-Zeit-Abstände erfüllt würden. Sie dienten der Überwindung von Raum und Zeit und unterstützten somit das „Herausheben“ sozialer Beziehungen aus ihrem örtlichen Kontext (vgl. Giddens 1995: 42). 2) Expertenwissen sei nicht, wie die Tradition, an formelhafte Wahrheiten gebunden, sondern beruhe auf dem Glauben an die Korrigierbarkeit von Wissen. 3) Die Expansion von Fachwissen führe notwendig zu Spezialisierungsprozessen. Während in traditionalen Gesellschaften der „Hüter der Tradition“ diesen Status in allen Kontexten des gesellschaftlichen Lebens inne gehabt habe, gehöre in der Moderne jeder Experte außerhalb seines fähigkeitsspezifischen Kontexts wieder zur Gruppe der Laien (vgl. Giddens 1996a: 164; vgl. auch Hitzler 1994).

Ein wesentlicher Unterschied zwischen traditionalen Gesellschaften und der Moderne liegt nach Giddens darin, dass der „Hüter der Tradition“ vor allem durch seinen Status innerhalb der traditionalen Ordnung und durch den privilegierten Zugang zu den „formelhaften Weisheiten“ als Weiser gelte, während der Experte durch seine Kompetenz ausgezeichnet sei und nur durch diese zur Autorität werde (vgl. Giddens 1996a: 127, 155). Während Außenstehende zu den Gegenständen, die der „Experte“ der Tradition behandelt habe, meist keinen Zugang gehabt hätten, könne nach Giddens in der Moderne im Prinzip jeder, der Zeit, Ressourcen, Talent etc. besitze, das Wissen und die Fähigkeiten der Experten erwerben (vgl. Giddens 1996a: 127). Mit diesem unpersönlichen, für alle offenen Charakter gelten Expertensysteme nach Giddens ortsübergreifend. Für die Ursachen der Freisetzung des Wissens aus traditionalen Zusammenhängen nennt Giddens zwei Voraussetzungen: Erstens müssten die traditionalen und gewohnheitsmäßigen Inhalte lokalen Handelns sinnleer geworden sein, die wechselseitigen Praktiken seien also instabil geworden, so dass eine soziale Reproduktion nicht mehr möglich gewesen sei. Zweitens müssten sich gesellschaftliche Beziehungen auf große zeitliche und räumliche Dimensionen erstrecken (vgl. Giddens 1996a: 158 f.). Beides dürfte aus der Trennung von Raum und Zeit resultieren.

Der Begriff des Experten ist bei Giddens relativ weit gefasst. Er setzt Spezialisten und Experten gleich. So kann nach ihm prinzipiell jeder mit entsprechender Sachkenntnis ein Experte sein, sofern er durch diese Sachkenntnis zur Autorität werde. Hitzler (1994) kritisiert am Beispiel von Schütz und Luckmann (1979), dass die Begriffe „Spezialisten“ und „Experten“ von vielen Autoren nicht ausreichend unterschieden würden. Die Tatsache, dass die speziellen Wissensbereiche sich immer stärker ausdifferenzierten und die Zusammenhänge zwischen den Spezialgebieten nicht nur für Laien, sondern auch für Experten zunehmend unüberschaubar seien, nimmt Hitzler als Ausgangspunkt für eine Differenzierung zwischen „Experten“ und „Spezialisten“. Der Spezialist ist für Hitzler ein Spezialist für eine bestimmte Sache. Sein Wissen umfasst Kenntnisse, die er zur Erfüllung seiner Spezialistenfunktion haben muss. Der Experte gilt als Experte auf einem ganzen Gebiet. Er kennt typischerweise den Wissensbestand, der für ein bestimmtes Gebiet „bezeichnend“ ist, er hat den Überblick über einen Sonderwissensbereich. Dieser besondere Wissensbestand wird auch von dem Nicht-Experten nachgefragt (vgl. Hitzler 1994: 25 f.).

Wenn nach Giddens ein Expertensystem als ständig wiederkehrende Herausbildung von Mustern sozialer Praktiken (eben jene, die aus dem Expertenwissen hervorgehen) mit großer raumzeitlicher Ausdehnung verstanden werden soll, so wäre es angebracht, darin besonders die Rolle der „Experten“ im Sinne Hitzlers (1994) zu betonen. Denn wenn, wie auch Giddens bemerkt, die Sonderwissensgebiete immer kleiner werden und die Spezialisten den Überblick nur noch über ihr sehr begrenztes Spezialgebiet haben, so benötigt ein Expertensystem, in das das Wissen vieler Experten/Spezialisten integriert ist, ja gerade umfassende gebietsüberblickende Experten, die das Wissen koordinieren und dafür sorgen, dass die wechselseitigen Praktiken und die systemeigenen Strukturen stabil bleiben, so dass die soziale Reproduktion gewährleistet ist.

[...]


[1] Unter der Bezeichnung eines Handlungsmodells als „strukturorientiert“ versteht Nuissl hier, dass es menschliches Handeln auf die normative Wirksamkeit von sozialen oder psychischen Strukturen zurückführt. Diese Kategorie ist weit gefasst und schließt insbesondere (sozial-) psychologisch, systemtheoretisch, strukturfunktionalistisch sowie eher kulturalistisch fundierte Ansätze ein (vgl. Nuissl 2001: 90).

[2] Giddens stützt sich bei seiner Ausführung über Geld auf Georg Simmel. In seiner „Philosophie des Geldes“ (1989) weist Simmel ebenfalls auf die besondere Raumverklammerung hin, die Geld möglich macht und erörtert wie Giddens (1995), dass das Funktionieren des Geldes im Wesentlichen auf Vertrauen beruht (vgl. Simmel 1989: 215 f.).

[3] Strukturen stellen nach Giddens die virtuelle Ordnung sozialer Systeme dar. Strukturen existieren als raumzeitliches Phänomen nur insofern, in dem sie sich in stabilen Praktiken realisiert und in Form von Erinnerungsspuren das Verhalten der bewusst Handelnden organisiert werden (vgl. Giddens 1988: 69).

[4] „Regeln“ beziehen sich hier auf die Sanktionierung sozialer Verhaltensweisen, die erlaubtes Verhalten bestimmen (Legitimation) sowie Regeln der Sinnkonstitution, die sich auf Bedeutungszuweisungen beziehen (Signifikation). „Ressourcen“ beziehen sich auf die Möglichkeit zur Koordinierung räumlich und zeitlich entfernter Handlungen sowie auf die Möglichkeit der Verfügung über materielle Aspekte des sozialen Lebens, z.B. produzierte Güter (vgl. Rösener 1998: 145 f.).

[5] „Praktiken“ beziehen sich bei Giddens nicht nur auf den Umgang mit unbelebten Objekten, sondern auf das Handeln zwischen sozialen Akteuren (vgl. Giddens 1988: 38).

[6] Selbst lokales Wissen in der Moderne steht Giddens zufolge unter der „Herrschaft“ von Expertenwissen und besteht (idealtypisch) aus Wissenselementen, die irgendwo anders herkommen und den lokalen Bedürfnissen angepasst worden seien (vgl. Giddens 1996a: 158).

Excerpt out of 72 pages

Details

Title
Digitale Fotografie und das Vertrauen in den Bildjournalismus
College
University of Dusseldorf "Heinrich Heine"  (Soziologisches Institut)
Grade
1,0
Author
Year
2003
Pages
72
Catalog Number
V11805
ISBN (eBook)
9783638178600
File size
641 KB
Language
German
Keywords
Digitale, Fotografie, Vertrauen, Bildjournalismus, Thema Fotografie
Quote paper
Tina Stork (Author), 2003, Digitale Fotografie und das Vertrauen in den Bildjournalismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11805

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Title: Digitale Fotografie und das Vertrauen in den Bildjournalismus



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