Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
1 Einleitung
2 Speziesimus
2.1 Zum Begriff
2.2 Erscheinungsformen
2.3 Erklärungsansätze
3 Speziesismus Rassismus in Bezug zu soziale Ungleichheiten
3.1 Definition'SozialeUngleichheit'
3.2 Bezugsnahme
4 Schlussbemerkung
Literatur
1. EINLEITUNG
In Deutschland wird pro Jahr durchschnittlich 35kg Schweinefleisch, 12kg Geflügelfleisch und 9kg Rind-/Kalbfleisch pro Kopf konsumiert (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung 2018, S. 13). Das Ausmaß an Tötungen zur Herstellung der Fleischware bei einer Bevölkerungszahl von mehr als 83 Millionen Menschen ist immens. Bei der Schlachtung schreibt die gesetzliche Verpflichtung eine Betäubung des Nutztieres vor, um unnötiges Leiden zu vermeiden, welche verschiedene Formen annehmen kann: So werden - und müssen nach §12 der Tierschutz-Schlachtverordnung - Rinder meist durch Bolzenschussapparate (Schuss ins Gehirn) betäubt, Hühner mittels Elektrobetäubung, Schweine hingegen werden gruppenweise in Kohlendioxid gefüllte Gruben transportiert, in denen sie ihr Bewusstsein verlieren. Nach der Betäubung wird das Tier kopfüber an einen Harken befestigt, geschlachtet und zu handelsüblicher Ware weiterverarbeitet.
Nutztiere bleiben in der westlichen Gesellschaft für die Öffentlichkeit unmerkbar. Vor allem der Prozess, welcher hinter den Produkten der Tierindustrie steckt, wird kaum wahrgenommen. Obwohl die Geschichte der Menschheit von solchen Herrschaftssystemen der Ausbeutung, Ungerechtigkeit, Objektivierung und vor allem Gewalt geprägt ist, was dazu führte, dass in den letzten Jahrhunderten in verschiedenen Formen gegen diese revoltiert wurden, wurde das Leid der Tiere auf Grund ihrer Spezies mehr oder weniger bewusst verschleiert.
Dass biologische Gegebenheiten durch Mechanismen wie Diskriminierung zu sozialen Ungleichheiten und damit verbundenen Nachteilen führt, ist eine Erscheinung, welche in der heutigen Gesellschaft hitzig debattiert wird. Ich möchte diesbezüglich die Frage, wieso die Ungleichheit zwischen Mensch und Tier legitimiert ist, woher diese Legitimation stammt und wie sich diese Legitimation auf durch statistische Diskriminierung bedingte soziale Ungleichheiten wie Rassismus auswirkt, herausarbeiten. Hierfür soll in Abschnitt 2.1 der Begriff des Speziesismus und dessen Entstehung unter Rücksicht anfänglicher wichtiger und prägender Theorien erläutert werden. Darauf folgend sollen die Erscheinungsformen aus Abschnitt 2.2 die Grundlage ebnen, um die in Abschnitt 2.3 abgebildeten Erklärungsansätze zu definieren. In Abschnitt 3 wird schließlich unter Berücksichtigung sozialer Ungleichheit Bezug zu Rassismus genommen und schließlich der Zusammenhang und die Wichtigkeit des Speziesismus zu diesem Thema herausgearbeitet.
2. SPEZIESISMUS
2.1 ZUM BEGRIFF
Das Wort Speziesismus (Spezies = Art) wurde zum ersten Mal von dem britischen Psychologen und Autor Richard D. Ryder in seinem 1970 veröffentlichten Flugblatt verwendet. Das Phänomen der auf Darwins Theorie beruhende Akzeptanz von biologischer Gleichheit zwischen dem Menschen und anderen Tieren1 wird in Ryders Schreiben in Bezug auf die totale Distinktion auf moralischer Ebene hinterfragt.
»Ifall organisms are on one physical continuum, then we should also be on the same moral continuum.« (Ryder 2010, S.l)
Peter Singer - ein australischer Philosoph - griff diesen Ansatz der ungleichen moralischen Behandlung gleicher Lebewesen auf und behandelte das Thema der Ungleichheit bzw. Gleichheit zwischen Mensch und Tier drei Jahre später in seinem Buch 'Animal Liberation', welches heute noch als Vorläufer der Tierethik und des Tierrechtsaktivismus gilt.
» Speciesism [...] is aprejudice or attitude ofbias in favor of the interests of members of one ’s own species and against those of members of other species.« (Singer 1975, S.6)
Er geht von der unleugbaren Tatsache aus, dass Menschen von Grund auf verschiedene Interessen und Fähigkeiten haben, hierbei handele es sich jedoch nicht um den Wert, an welchem der moralische Umgang gemessen werden sollte (vgl. Singer 2013, S. 52 ff.). Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht das Interesse, welches ausschlaggebend für eine gleichwertige Behandlung von Individuen - Mensch und Tier - ist. Dieses Interesse basiere auf der Fähigkeit des Leidens, welche nicht nur Menschen sondern auch Tiere besitzen.
» A mouse, for example, does have an interest in not being kicked along the road, because it will suffer if it is. « (Singer 1975, S.8)
Im Folgenden werden mit dem Ausdruck 'Tier' alle Spezies bis auf den Homo Sapiens zusammengefasst.
Einen weiteren Ansatz entwickelte der amerikanische Philosoph Tom Regan mit seinem 1984 erschienen Klassiker der Tierethik 'All Animais Are Equal', in dem er die Ungerechtigkeit des Speziesismus' aufgreift und diese auf die Verletzung der Tierrechte zurückführt. Regan bezieht sich auf die wesentliche Gemeinsamkeit des inhärenten Wertes. Dieser Wert, welcher jedes Individuum - egal ob Mensch und Tier - uneingeschränkt gleich besitzt, impliziert das Recht eines respektvollen Umgangs, welcher die Verdinglichung eines Lebewesens verwehrt und unabhängig von Nützlichkeit gilt (vgl. Regan 1984, S.581). Hierbei spielen Ungleichheiten wie Geschlecht, Rasse, Religion, Herkunft aber auch Talente, Fähigkeiten, Intelligenz usw. keine Rolle. Eine Verletzung dieses Rechts kann im Umgang mit Tieren veranschaulicht und auf Speziesismus zurückgeführt werden.
» Some there are who resist the idea that animals have inherent value. "Only humans have such value," they profess. How might this narrow view be defended? Shall we say that only humans have the requisite intelligence, orautonomyorreason? But there are many, many humans who fail to meet these standards and yet are reasonably viewed as having value above and beyond their usefulness to others. Shall we claim that only humans belong to the right species, the species Homo sapiens? But this is blatant speciesism.« (Regan 1984, S.581)
Als Vorläufer des modernen Verständnisses von Speziesismus gehen Ryder, Singer und Regan trotz unterschiedlicher Betrachtungsweise der Ursache davon aus, dass Tiere auf Grund der Andersartigkeit Benachteiligung und Abstufung erfahren. Somit wird Speziesismus in die Kategorie der Diskriminierung eingeordnet. Bezug zu Rassismus und Sexismus wird in allen drei Werken genommen, worauf ich in Abschnitt 3 näher eingehen werde. Für die Analyse der Analogie zwischen Speziesimus und anderen Diskriminierungsformen, sind die Erscheinungsformen des Speziesismus vorab herauszuarbeiten.
2.2 ERSCHEINUNGSFORMEN
Die wohl dominanteste Erscheinungsform des Speziesismus ist Reduzierung vom Tier - insbesondere die des Nutztieres - als Subjekt zum Objekt - und somit die Vergegenständlichung. So wird das Bild des Schweins und das Endprodukt der Schlachtung, welches man in verschiedensten Formen der Wurstware auffinden kann, in der westlichen Gesellschaft auf industrielle und wirtschaftlilche Prozesse reduziert und selten noch ein Bezug zu dem Tier als empfindsames Wesen genommen. Christina Möller beschreibt es folgendermaßen:
»Ihr nach ihrer Tötung als Genuss- oder Nahrungsmittel, als 'Bruzzler-Würste' oder McChicken' feilgebotenes Körperfleisch ist Ausdruck und Symbol der totalen Unterdrückung durch den Menschen, sie werden als Subjekte entwertet und objektiviert.« (Möller 2015, S.273)
Merkmale wie das Bewusstsein, Gefühlsempfinden und soziale Intelligenz werden aus profitbringenden Gründen außer Acht gelassen.
» Das Leben der Tiere geht dem Umstand, dass es Fleisch als Nahrungsmittel gibt, voraus und ermöglicht es erst. Solange Tiere leben, können sie kein Nahrungsmittel sein.« (Adams 2002, S. 43 )
Aussagen wie 'der Mensch (und vor allem der Mann) braucht Fleisch, um zu überleben' oder 'Tiere sind zum Essen da' sind in der westlichen Gesellschaft grundlegende Überzeugungen, welche gerade in den älteren Generationen den Fleischkonsum legitimiert und das Tier als subjektives Lebewesen zu einem nützlichen Objekt zu umwandeln. Nicht nur die Fleischindustrie, auch die Pharmaindustrie zieht ihren Nutzen aus der Objektivierung der Tiere, in dem sie sich berechtigt und legitimiert darin fühlen, an dem Tier körperliche und psychische Experimente durchzuführen, wobei hierbei auch der Speziesismus als emotionale Distanzierung wirken kann.
Das Phänomen der objektiven Zuschreibung unterschiedlicher Tierarten verdeutlicht die soziale Konstruktion der Denkweisen in Bezug auf Tiere (vgl. Möller 2015, S.275). Die Anpassung verschiedener Bestimmungen bedingt die Interessenanpassung der Menschen. So ist die Hunderasse 'Beagle' in vielen Familien oft als Freund und Familienmitglied - in manchen Fällen sogar als Kinderersatz - vorzufinden und nimmt eine subjektive Figur ein, mit welcher eine hoch emotionale Beziehung aufgebaut werden kann. Die selbe Rasse kann andererseits häufig in Laboren vorgefunden werden, in denen sie als Versuchstier objektiviert wird. Im Extremfall einer Anpassung der Objektivierung kann ein und derselbe Beagle beiden Zuschreibungen entsprechen - er kann in der einen Hälfte seines Lebens ein reines Versuchsobjekt darstellen und nach 'Verbrauch' und 'Nutzlosigkeit' den Status des Subjekts annehmen, um an eine Familie weitervermittelt zu werden.
Die Objektivierung bedingt die Herrschaft über die Tiere, wobei diese auch als Form an sich geltenkann. Die Menschheit stattet sich mit dem Recht aus, Macht und Gewalt über das Tier auszuüben, um seinen eigenen Interessen nachzugehen. Sie legitimiert den Besitz über das Tier - dessen Körper und Psyche. So nimmt sie sich das Recht dazu, deren Häute und Felle als Schutz oder
Accessoire zu tragen, sie zur Fortpflanzung zu zwingen, um deren Muttermilch und Fleisch als Nahrungsmittel zu verwenden, sie als Unterhaltungszweck zu missbrauchen und auf weitere unwürdige Weisen auszubeuten.
Diese Gewalt den Tieren gegenüber ist eine weitere Erscheinungsform, wobei diese ebenfalls von der Vergegenständlichung ausgehen kann. Diese hat in der Forschung nicht nur physische, sondern auch psychische Auswirkungen auf das Tier. Das Verhalten des Versuchsobjekts unter beispielsweise Extrembedingungen ist ebenso alltäglich, wie die Beobachtung biologischer Auswirkungen bestimmter Medikamente oder Versuche. Als Extremfall kann der im Jahre 1954 durchgeführte Versuch von Wladimir Demikow erwähnt werden, bei welchem der vordere Teil eines Hundes auf den Nacken eines weiteren operiert wurde. Das Experiment wurde 20 mal durchgeführt, wobei die zusammengesetzten Hunde höchstens einen Monat überlebten (vgl. Tricksen, Tränen, Tod, S.55).
2.3 ERKLÄRUNGSANSÄTZE
Obwohl sich die Wege zwischen Homo Sapiens und anderen Tierarten immer schon gekreuzt hatten, brachte die Industrialisierung und Modernisierung neue Ansätze mit sich. Der Begriff der Natur rückte immer weiter in den Hintergrund und musste neuen Raum für Effizienz und Nützlichkeit schaffen (vgl. Bujok S. 34). Insbesondere das Tierreich hatte hierunter zu leiden, da sie nun hauptsächlich den materiellen Interessen der Menschen dienten. Als empfmdungsfähiges Produkt in einer kapitalistischen Gesellschaft ist das Wachstum ausbeuterischer und leiderzeugender Prozesse ein Determinant für ein entwürdigendes Leben.
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