Die Wahrheits- und Versöhnungskommission sollte die gewalttäige Vergangenheit der südafrikanischen Apartheid aufarbeiten und die junge Demokratie in ihrem Aussöhnungsprozess stärken. Dabei wurden auch die Aktivitäten der Befreiungsorganisation des African National Congress (ANC) untersucht. Die Ergebnisse und das Selbstverständnis des ANC sind Gegenstand dieser Arbeit.
Gliederung ::
1 Einleitung
1.1 Problemdefinition, Fragestellung, Relevanz
1.2 Aufbau, Methode und Ziel der Arbeit
2 Hauptteil
2.1 Hintergrund: Die Wahrheits- und Versöhnungskommission
2.1.1 Arbeit, Funktion, Ergebnisse
2.1.2 Empfehlungen und Reaktionen
2.2 Der Befreiungskampf des ANC
2.2.1 Der ANC zwischen Moral und Völkerrecht
2.2.2 Die Konfliktlinien des ANC
2.3 Der Kampf im Spiegel der TRC
2.3.1 Die Ergebnisse der Kommission
2.3.2 Die Verantwortung des ANC
2.3.3 Die Stellungnahme des ANC
2.3.4 Bewertung des Abschlussberichts
3 Schlussbetrachtung
3.1 Zusammenfassung
3.2 Konklusion, Fazit
4 Abkürzungsverzeichnis
5 Literaturliste
» Stand: September 2007 «
1 Einleitung ::
1.1 Problemdefinition, Fragestellung, Relevanz
„Wir haben jede Möglichkeit zu nutzen versucht, um zu zeigen, dass diese Wahrheit über unsere Vergangenheit wichtige Lehren für die Zukunft unseres Landes in sich trägt. Denn auch die Zukunft ist ein anderes Land. Und nun können wir nicht mehr tun, als ihr die kleinen Weisheiten zu Füßen zu legen, die wir aus den Erfahrungen unserer Gegenwart gewinnen konnten.“[1]
Die Worte des damaligen Vorsitzenden der Wahrheits- und Versöhnungskommission (im Folgenden TRC) spiegeln all die Wünsche des südafrikanischen Volkes nach einer besseren Zukunft und deren Hoffnung auf eine Bewältigung der Vergangenheit wider, wie sie nach dem Ende der Apartheid und der Arbeit der TRC überall im Land zu hören waren. 13 Jahre nach dem Ende der Apartheid stellt sich nun die Frage, inwieweit tatsächlich Lehren – auch seitens der jetzigen Regierung des ANC – aus der Vergangenheit gezogen wurden oder ob die Empfehlungen der Kommission nicht vielmehr untergegangen sind im politischen Alltagsgeschäft der Post-Apartheid-Ära in Südafrika. Wie ernst wurden die Empfehlungen der Kommission genommen, wie wurden sie überhaupt politisch bewertet? Und welche Rolle spielte dabei der African National Congress (ANC)?
Die Legitimation der Anwendung politischer Gewalt und der revolutionäre Umsturz politischer Systeme kann oft erst nach einer entsprechenden Umwandlung des betreffenden Systems, die Rehabilitation der Täter von damals erst nach einem strukturellen Wandel der politischen Eliten erfolgen. So geschehen auch in Südafrika.
Und so erscheint die Frage zur Einschätzung des ANC aus der heutigen Perspektive vermutlich einfacher zu beantworten, als dies in Wirklichkeit der Fall ist. Denn aus gegenwärtiger Sicht ist die Lage mehr als eindeutig: Der ANC führte einen gerechten Kampf gegen ein menschenverachtendes Regime und konnte die Ziele der Gleichberechtigung aller Menschen in Südafrika und die Abschaffung der Apartheid letztlich nur noch mit den Mitteln der Gewalt erfolgreich erreichen. Und damit erscheinen auch die durchaus auch seitens des ANC begangenen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen in einem neuen Licht der Rechtfertigung. Demnach müsse der ANC als eine Organisation des gerechten Befreiungskampfes gegen das System der Apartheid begriffen werden.
Das andere Extrem zur Bewertung des ANC zeigt sich in der Wahrnehmung des alten Regimes der National Party und den Einschätzungen verschiedener Länder zu Zeiten des Kalten Krieges. Demnach kämpften die Anhänger des ANC gegen eine legitimierte Regierung und mit Gewalt gegen die südafrikanische Bevölkerung, um ihre eigennützigen Ziele durchzusetzen. Diese Argumentation endet letztlich in dem Urteil, dass der damalige ANC zu Zeiten der Apartheid als nichts anderes, als eine terroristischer Vereinigung, dessen Mitglieder als Terroristen zu begreifen sind, deren einziges Ziel es gewesen sei, eine rechtmäßige Regierung zu stürzen.
Letztere Argumentation erscheint aus heutiger Sicht und nach Aufarbeitung der Apartheidzeit als geradezu absurd. Und dennoch sorgen vor allem die seitens des ANC in ihrem Kampf gegen das System der Apartheid angewandten Methoden noch immer für Diskussionsstoff. Ein Gesichtspunkt, unter dem auch diese Hausarbeit stehen soll, welche der Frage nachzugehen versucht, ob und inwieweit sich eine umfassende Beurteilung der Taten des ANC durch die nach dem Ende der Apartheid eingesetzte Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) ableiten lässt. Befreiungskampf oder Terrorismus? Legitime Anwendung von Gewalt oder schwere Menschenrechtsverletzungen?
Denn obschon die Verbrechen des Apartheidregimes selbst im Mittelpunkt der Aufarbeitungsbemühungen der Kommission standen, lassen sich doch auch sehr eindringliche Aussagen zum Wirken des ANC finden, die eine differenzierte Einschätzung dieser Organisation zulassen. Konkret soll es auf den nächsten Seiten nun explizit um die Beantwortung der folgenden Fragestellung gehen:
Welches Bild zur Rolle des ANC während des Befreiungskampfes zu Zeiten der Apartheid zeichnet der Abschlussbericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission und welcherlei Schlüsse lassen sich aus den Reaktionen auf das Selbstbildnis des ANC ziehen?
Diese Fragestellung besitzt insofern Relevanz, als dass sie den konkreten Versuch einer kritischen Bewertung der anfänglichen Euphorie zur Arbeit der Kommission unter dem Gesichtspunkt des ANC unternimmt und zu klären versucht, inwieweit auch der ANC tatsächlich aus der Vergangenheit seine Lehren ziehen konnte, hin zur Verwirklichung einer freien, gleichen und weltoffenen Republik Südafrika.
1.2 Aufbau, Methode und Ziel der Arbeit
Zur Beantwortung der oben formulierten Fragestellung soll auf den folgenden Seiten eine kurze systematische Analyse unter den folgenden Gesichtspunkten angestellt werden, um zu soliden Schlussfolgerungen gelangen zu können:
1. Nach einführenden Anmerkungen zur TRC selbst soll im Hauptteil der Arbeit zunächst rekapitulierend dargestellt werden, zu welchen Ergebnissen die Kommission insbesondere zu den Menschenrechtsverletzungen seitens des ANC kam, unter welchen Umständen sie arbeitete und wie sie letztlich den Befreiungskampf des ANC zu bewerten verstand.
2. In einem zweiten Schritt soll dann konkret auf die Auseinandersetzung des ANC mit der Arbeit und später dann den Ergebnissen der Kommission eingegangen werden und darauf, wie sich die allgemeine Rezeption dieser Erkenntnisse in der südafrikanischen Gesellschaft darstellte.
3. Es soll letztlich eine differenzierte Einschätzung zum Konflikt des ANC zwischen Befreiungskampf und Terrorismus erfolgen Dabei soll es auch um die Selbstwahrnehmung des ANC gehen und darum, welche Schlussfolgerungen aus dem Bericht gezogen wurden. Schließlich müssen auch die Reaktionen des ANC auf die Erkenntnisse der TRC in das Gesamtbild der Organisation einfließen.
Methodisch wird demzufolge zunächst sehr stark analytisch-deskriptiv vorgegangen, um allgemeine Erkenntnisse aus verschiedenen Bereichen zusammenzubringen, bevor mögliche Schlussfolgerungen zu diesem Thema gezogen werden können und eine Diskussion der Thesen in der Konklusion stattfinden kann.
Ziel der folgenden Seiten dieser Hausarbeit wird es letztlich nicht sein, ein allumfassendes Bild von den Veränderungen des ANC durch den Bericht der TRC zu zeichnen, sondern einige wesentliche – wenn auch unvollständige – Teilantworten auf die oben gestellte Fragestellung zu finden und Ansatzpunkte für weitergehende Forschungsfragen zur gegenwärtigen Situation des ANC zu liefern.
2 Hauptteil ::
2.1 Die Wahrheits- und Versöhnungskommission
„ Described as the largest survey of human rights violations undertaken anywhere in the world, it has become the key instrument in democratic South Africa's interrogation of its apartheid past.”[2][3]
Vor dem Beginn der eigentlichen Analyse seien vorab noch einmal kurz die wichtigsten Kerndaten zur Wahrheitskommission[4], also dem zentralen Element zur Aufarbeitung der Epoche der Apartheid[5] in Südafrika, wiedergegeben. Die Idee einer notwendigen Vergangenheitsbewältigung und damit einer Wahrheitskommission wurde dabei bereits 1992 seitens des ANC, etwa von Kader Asmal artikuliert: „We must take the past seriously as it holds the key to the future. The issues of structural violence, of unjust and inequitable economic social arrangements, of balanced development in the future cannot be properly dealt with unless there is a conscious understanding of the past.“[6] In diesem Geiste nahm auch die TRC ihre Arbeit auf, um im Sinne der südafrikanischen Zukunft zu einer Aufarbeitung der Vergangenheit zu gelangen.
2.2.1 Arbeit, Funktion, Ergebnisse
Unter dem Grundmotiv des „Vergeben[s] ohne zu vergessen“[7] nahm 1995 die Kommission zur Aufarbeitung der südafrikanischen Vergangenheit ihre Arbeit auf, um ausschließlich eine Untersuchung schwerer Menschenrechtsverletzungen[8] mit politischem Hintergrund vorzunehmen. Untersucht wurde dabei der Zeitraum zwischen dem 1. März 1960, dem Monat des Massakers von Sharpeville und dem Verbot des ANC, und den ersten freien Wahlen 1994. Dem vorangegangen war eine intensiv geführte Debatte um die Frage nach Strafverfolgung contra Amnestie für geständige Täter, die die gesamte Diskussion um die Kommission prägte.[9] Das Inkrafttreten des „Gesetzes zur Förderung nationaler Einheit und Versöhnung“[10] am 1.12.1995 beendete schließlich den langen und schwierigen Prozess der Verhandlungen zwischen den Vertretern der NP und denen des ANC[11] und stellte einen Kompromiss zwischen beiden Parteien dar.
Die Kommission untersuchte während ihrer kurzen Arbeitsphase insgesamt mehr als 22.000 Fälle bei über 20.000 öffentlichen Anhörungen im gesamten Land, womit sie jedoch nur einen Bruchteil der tatsächlich während der Apartheid begangenen Verbrechen zu untersuchen vermochte. Von den 7.125 eingereichten Amnestieanträgen ehemaliger Täter wurden gerade einmal 849 bewilligt, wie es in dem 2003 endgültig dem damaligen und jetzigen Staatschef Thabo Mbeki vorgelegten Abschlussbericht der Kommission zu lesen ist. Etwa 80% der Antragssteller waren bereits inhaftiert.[12]
Die Arbeit der Kommission selbst litt von Anfang an unter chronischem Zeit- und Ressourcenmangel, die die Arbeit der drei Komitees (zur Wiedergutmachung und Versöhnung, für Menschenrechtsverletzungen sowie für Amnestie) sehr erschwerte. Die zentralen Aufgaben jedoch waren von Anfang an klar festgelegt: die öffentliche Darlegung schwerer Menschenrechtsverletzungen, die Recherche und Weitergabe diesbezüglicher Informationen, das Aussprechen von Empfehlungen und Schlussfolgerungen sowie die bindende Entscheidung über Amnestieanträge. Obschon die Aussagen sowohl der Täter, als auch der Opfer bei den öffentlichen Hearings aufgenommen wurden, stand dabei insbesondere die Perspektive der Opfer und deren seelische Regeneration im Mittelpunkt, um einerseits eine intensive Auseinandersetzung mit der südafrikanischen Geschichte und deren Aufarbeitung zu erreichen und andererseits eine längerfristige Kultur von Respekt und Gleichberechtigung zu schaffen. Den Opfern der Apartheid sollte ein Forum geboten werden, um das erste Mal offen über das zu reden, was ihnen unter dem Regime der Apartheid widerfahren ist.[13]
Im Folgenden seien hierzu in aller Kürze die wichtigsten Ergebnisse der Kommission zusammengefasst. Die TRC stellte fest, dass schwere Menschenrechtsverletzungen seitens aller Konfliktparteien begangen wurden, also sowohl von der Apartheidregierung, als auch durch die Widerstandsbewegung unter dem ANC sowie verschiedener anderer Gruppen. Dennoch anerkannte sie in ihrem Bericht auch ausdrücklich die Definition des „gerechten Krieges“ der Befreiungsbewegung. Weiterhin wurden alle zentralen Institutionen und Bereiche der Gesellschaft als Profiteure der Apartheid identifiziert, allen voran die freie Wirtschaft, die als wichtige Stütze des Apartheidregimes galt. Zugleich herrschte „stillschweigende Ignoranz und Einverständnis“ in weiten Teilen der Bevölkerung vor, die das System der Apartheid von Anfang an unterstützte. Die Apartheid wurde somit als ein gesamtgesellschaftliches Problem dargestellt.
[...]
[1] Erzbischof Desmond Tutu, Vorsitzender der TRC nach Vorlage des Abschlussberichts der Kommission.
[2] Zu Organisation und Struktur der TRC s. auch ausführlicher u.a. Ruge 2004, Kap. 5, S.91ff.
[3] Positive Einschätzung zur Kommission auf http://truth.wwl.wits.ac.za/about.php (7.8.07).
[4] Zu ähnlichen Kommissionen und einer allgemeinen Definition einer „Wahrheitskommission“ s. vergleichend Ruge 2004, Kap. 4, S.79ff.
[5] „Apartheid, literally ‚apartness‘ or seperateness in the Afrikaans and Dutch language, is the name given to a policy of seperating people by race, with regard to where they lived, where they went to school, where they worked and where they died. This policy was introduces in South Africa in 1948 by the National Party government and it remained official practice until the fall from power of that party in 1994.“ In: Nancy Clark / William Worger 2004, S.3.
[6] TRC 1998: “Final Report” Band 1, Kapitel 4, Absatz 6.
[7] Oft ist auch die Rede vom Spannungsfeld zwischen "prosecute and punish" sowie "forgive and forget".
[8] Schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen („gross human rights violations“) nach den Definition der UN (Tötung, schwere Misshandlung, Misshandlung und Folter sowie die Planung oder der Befehl zu einer solchen Tat). Siehe auch Art. 1 / Abs. 1 des GFnEV: „Unter schweren Menschenrechtsverletzungen verstand man [...] Tötung, Entführung, Folter oder schwere Misshandlung einer Person sowie der Versuch, Verschwörung, Anstiftung, Anstachelung, Befehl oder Vermittlung einer der oben benannten Handlungen zu begehen. Die Tat kann innerhalb oder außerhalb der Republik von einer Person begangen worden sein, die hiermit ein politisches Ziel verfolgte.“; Zitiert nach Ruge 2004, S.99.
[9] Zu diesem grundsätzlichen Dilemma der Vergangenheitspolitik vgl. auch Theißen 1996, Kap. 2, S.5ff.: „Das Politische Problem der Vergangenheitsbewältigung“.
[10] Nation Unity and Reconciliation Act, Act No. 87, 1995 vom 26. Juli 1995.
[11] Zu den Untersuchungskommissionen vor 1994 vgl. Theißen 1996, Kap. 3, S.17ff.:“Zwischen Aufklärung und Verdunkelung. Südafrikanische Untersuchungskommissionen vor 1994.“
[12] Zur Amnestiepolitik vgl. Ruge 2004, Kap. 6, S.103ff.
[13] So heißt es in Artikel 11 des Gesetzes zur Förderung nationaler Einheit und Versöhnung: „Opfer sollen mitfühlend und respektvoll und ohne jegliche Diskriminierung behandelt werden. [...] Zusätzlich sollen sinnvolle Maßnahmen getroffen werden, um die Unannehmlichkeiten der Opfer zu reduzieren.“; zitiert nach Durczak, Nike 2001: S.63
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