Dieser Aufsatz wird auf den industriell-städtischen Bereich der ehemaligen Sowjetunion, genauer auf dessen slawisch-europäisches Kerngebiet, der Jahre 1928-40 fokussieren. Besondere Aufmerksamkeit soll dabei folgenden Gruppen und deren charakteristischen Verhaltensweisen unter Berücksichtigung der jeweils aktuellen sozial-ökonomisch-politischen Umgebungsbedingungen zukommen, erstens der sowjetischen Arbeiterschaft und zweitens den aus dieser hervorgehenden Führungskadern in Industrie und Wirtschaft. Ferner sollen die ungeheuren verschiedenartigen Transformationsprozesse der dreißiger Jahre erfasst und ihre Auswirkungen auf das situationsspezifische Verhalten der genannten Gruppen aufgezeigt werden. Ziel einer solchen Darstellung soll die Identifikation der Arbeiterschaft und Eliten als weitere wesentliche herrschaftsstabilisierende und konstituierende Elemente des stalinistischen Systems sein.
Dieses realpraktische Wirksamkeit entfaltende sozialgeschichtliche Moment kann, so die Annahme, bei der Erweiterung des bestehenden, primär den politischen Raum oberer Ebene analysierenden Totalitarismuskonzepts helfen und auf diese Weise zur Klärung der Entwicklungsbedingungen ‚moderner Diktaturen’ beitragen. Als alles entscheidende Fragen könnten sich dabei, die nach dem ‚Wie?’ und ‚Warum?’ von Identifikation, Partizipation und Integration der genannten Bevölkerungsschichten erweisen. Letztlich sollte sich derart belegen lassen, dass die stalinistisch geprägte Gesellschaftsordnung trotz ihrer massenhaften Opfer eine funktionierende war. Der eigentliche historische Erkenntnisgewinn könnte dabei in der Bestätigung folgender Annahme bestehen, der dass dieses ‚Funktionieren’ grundsätzlich positiv konnotiert war. Sollte sich diese Hypothese als wahr erweisen, müssten dieser Gesellschaft zugleich zwei konträre aber dennoch wesenhafte Merkmale zugeordnet werden. Zum einen der zielgerichtete Terror , durch Zwang gekennzeichnet und generell negativ besetzt. Zum anderen die anscheinend ständig vorhandenen Möglichkeiten zur ‚freiwilligen’ Integration , z. B. über die Bereitstellung von massenhaften Aufstiegschancen, verstanden als periodische Verschmelzung verschiedener Interessen zu einer sich uniform gestaltenden ‚Gesamtbewegung’, in der weder der Sozialismus als System noch die politische Führung als Machtfaktor in Frage gestellt wurden. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Fragestellung
- Die sowjetische Arbeiterschaft während des 1. und 2. Fünfjahresplans
- Die massive Wandlung der sowjetischen Arbeiterschaft von 1928 bis 1935
- Integration via Leistung: Die ,Stachanov-Bewegung'.
- Zur Formierung und Zusammensetzung der ,Stachanov-Bewegung'.
- Politisches Bewusstsein und Mentalität
- Widerstand, Krise und Wandel des ,Stachanovismus'.
- Integration per Parteibillet: Zur Entstehung ,Neuer Eliten’.
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Aufsatz analysiert die Funktion der stalinistischen Gesellschaftsordnung im industriell-städtischen Bereich der Sowjetunion von 1928 bis 1940. Im Fokus stehen die sowjetische Arbeiterschaft und die aus ihr hervorgehenden Führungskader in Industrie und Wirtschaft. Der Aufsatz untersucht die Transformationsprozesse dieser Jahre und deren Auswirkungen auf das Verhalten der genannten Gruppen. Ziel ist es, die Arbeiterschaft und Eliten als konstitutive Elemente des stalinistischen Systems zu identifizieren.
- Die Integration der sowjetischen Arbeiterschaft in das stalinistische System
- Die Rolle der ,Stachanov-Bewegung' als Instrument der Integration und Leistungsförderung
- Die Entstehung und Bedeutung ,Neuer Eliten' innerhalb der stalinistischen Gesellschaft
- Die Herausforderungen und Widersprüche der stalinistischen Gesellschaftsordnung
- Die Frage nach der Funktionsfähigkeit des stalinistischen Systems trotz seines massiven Terrors
Zusammenfassung der Kapitel
Der Aufsatz beginnt mit einer Skizzierung der Entwicklung der sowjetischen Arbeiterschaft während des 1. Fünfjahresplans. Dabei wird nicht nur auf die Zusammensetzung und den historischen Kontext eingegangen, sondern auch auf die Manifestation des politischen Bewusstseins der Arbeiterschaft. Bereits in diesem Abschnitt werden erste herrschaftsstabilisierende Entwicklungen aufgezeigt, die sich als Folge des staatlichen Partizipations-, Identifikations- und Integrationsangebots unter der in ihrer Mehrheit unpolitischen Arbeiterschaft manifestierten.
Im Anschluss daran wird die ,Stachanov-Bewegung' einer sozialhistorischen Tiefenanalyse unterzogen. Die Abhandlung widmet sich zunächst den sozial-ökonomischen und politischen Wurzeln dieser ,Bewegung'. Anschließend werden, unter Zuhilfenahme sozialpsychologischer Erklärungsmomente, die konstituierenden Elemente des Konsenses innerhalb dieser Gruppe und die sich dagegen formierenden Widerstandsbewegungen innerhalb der Arbeiterschaft aufgezeigt. Die partielle Rücknahme bzw. der Wandel dieser ,Bewegung' wird im letzten Betrachtungsfeld zu diesem Themenbereich behandelt.
Im Abschluss des Arbeitsteils wird eine weitere entscheidende Trägerschicht, jene der ,Neuen Eliten', einer Analyse unterzogen. Auch hier werden die sozialen Ursprünge dieser Gruppe hervorgehoben und der herrschaftskonstituierende Anteil durch die relativen Bezüge dieser Gruppe zum politischen System transparent gemacht.
Schlüsselwörter
Stalinismus, Sowjetunion, Arbeiterschaft, ,Stachanov-Bewegung', Eliten, Integration, Partizipation, Identifikation, Totalitarismus, Terror, Gesellschaftsordnung, Fünfjahresplan, Transformationsprozesse, politische Herrschaft, sozialhistorische Analyse.
- Quote paper
- Lars Wegner (Author), 2008, Zur Funktion der stalinistischen Gesellschaftsordnung 1928 bis 1940, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118817