Extracto
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Mediatisierung
3. Surveillance Studies
3.1. Vertikale Überwachung
3.2. Horizontale Überwachung
4. Peer surveillance in Sozialen Netzwerken
4.1. (Veränderte) Nutzungspraktiken der überwachenden User
4.2. (Veränderte) Nutzungspraktiken der (potenziell) überwachten User..
4.2.1. Verwaltung der Privatsphäre
4.2.2. Selbstüberwachung
4.2.3. Erstellung pseudonymer Accounts
5. Diskussion und Fazit
6. Limitation und Ausblick
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Peer surveillance, interveillance, lateral surveillance, participatory surveillance, soziale Überwachung - all diese Begriffe fallen unter die horizontale Überwachung. Diese hat das klassische Modell der Top-down surveillance - sprich die vertikale Überwachung von „oben nach unten“ - revolutioniert. Durch die selbstverständliche Nutzung digitaler Technologien, die (junge) Menschen fest in ihren Alltag integriert haben, ist eine Kultur der non-hierarchischen Überwachung entstanden, die gesellschaftlich akzeptiert wird (vgl. Jansson 2015: 81).
So nutzen 100 Prozent der jungen Menschen zwischen 14 und 29 Jahren ein Smartphone. Die Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2019 zeigen, dass WhatsApp, Facebook und Instagram nach wie vor zu den relevantesten Sozialen Netzwerken zählen. Instagram weist dabei unter allen Sozialen Medien die höchste Nutzungssteigerung auf und wird vor allem von Personen unter 30 Jahren genutzt (vgl. ARD/ZDF 2019).
Eine Gesellschaft, in der bei WhatsApp Lesebestätigungen in Gruppenchats gesendet werden und bei Instagram eine „Enge Freunde“-Liste erstellt werden kann, die sicherstellt, dass nur ausgewählte Personen den Inhalt der Story sehen können, verdeutlicht die Präsenz der horizontalen Überwachung in und mit digitalen (sozialen) Medien und somit auch im Alltag.
Beispiele, die aufzeigen, wie fest generelle Überwachungspraktiken in den Alltag der Menschen integriert sind, sind zahlreiche Reality TV-Formate wie Ich bin ein Star - Holt mich hier raus! und die Verwendung personalisierter Technologien, wie beispielshalber der App fitbit. Hier werden individuelle Daten (permanent) aufgezeichnet, gesammelt und gespeichert.
Forschungen über vertikale Überwachung, die häufig von staatlicher Seite oder aus kommerziellem Interesse erfolgt, sind fester Bestandteil der Sozialwissenschaften (siehe etwa Lyon 2001). Mit der horizontalen Überwachung beschäftigen sich ForscherInnen zunehmend erst seit Beginn der 2000er-Jahre (siehe Andrejevic 2002/2005, Albrechtslund 2008). Thematisiert wurde hier zu Beginn etwa die Überwachung mittels des Monitoring-Systems Didtheyreadit.com, das den Usern vor mehr als 15 Jahren ermöglichte zu überprüfen, ob ihre gesendeten E-Mails gelesen wurden und wie viel Zeit die EmpfängerInnen dafür aufwendeten (vgl. Andrejevic 2005: 491).
Doch was veranlasst Menschen dazu, andere zu überwachen? Was versteht man unter peer surveillance? Wie gehen (junge) Menschen mit dem Wissen um, überwacht zu werden? Welchen Einfluss hat dies auf ihre Nutzungspraktiken? Um diese Entwicklungen und die Hinter- und Beweggründe von peer surveillance nachvollziehen zu können, wird im folgenden Kapitel der vorliegenden Seminararbeit zunächst erläutert, was unter Mediatisierung zu verstehen ist.
Anschließend wird der Forschungsstand der Surveillance Studies anhand wissenschaftlicher Literatur dargestellt, indem zunächst ein Einblick in die vertikale Überwachung erfolgt. Darauffolgend wird die daraus hervorgehende horizontale Überwachung beleuchtet. Hier werden mithilfe wissenschaftlicher Literatur die Unterschiede zwischen vertikaler und horizontaler Überwachung herausgestellt und Konzepte verschiedener ForscherInnen miteinander in Verbindung gebracht.
Da die horizontale Überwachung überwiegend in Sozialen Netzwerken untersucht wurde, stehen diese im Fokus der vorliegenden Arbeit. In Bezug auf die horizontale Überwachung existieren darüber hinaus viele Begrifflich- keiten - da es sich hier in der Regel um junge Erwachsene (seltener um Jugendliche) handelt, wird die Überwachung unter Gleichaltrigen im Rahmen der vorliegenden Arbeit überwiegend als peer surveillance bezeichnet.
Kapitel 4 beschäftigt sich somit mit peer surveillance in Sozialen Netzwerken, was die Funktionsweisen der Sozialen Medien und die damit verbundenen Möglichkeiten für die User einschließt.
Unter Heranziehung empirischer Studien und wissenschaftlicher Literatur, die sich mit der horizontalen Überwachung befassen, soll die Forschungsfrage „Welche (veränderten) Nutzungspraktiken ergeben sich im Rahmen von peer surveillance?“ beantwortet werden.
In Kapitel 4.1 werden zunächst die (veränderten) Nutzungspraktiken der überwachenden User dargestellt und die Beweggründe für peer surveillance betrachtet. Im Anschluss daran werden die (veränderten) Nutzungspraktiken der (potenziell) überwachten User betrachtet, die die Wahrnehmung und Verwaltung der eigenen Sichtbarkeit beinhalten. In diesem Zusammenhang werden die veränderten Selbstpräsentationspraktiken Verwaltung der Privatsphäre, Selbstüberwachung und Erstellung pseudonymer Accounts erläutert.
Das fünfte Kapitel beinhaltet die ausführliche Diskussion über die (veränderten) Nutzungspraktiken im Rahmen von peer surveillance. Hier wird infolgedessen das Fazit gezogen und die Forschungsfrage beantwortet.
Im sechsten Kapitel erfolgt die Limitation der vorliegenden Arbeit und es wird ein Ausblick auf zukünftige Forschungen gegeben.
2. Mediatisierung
Unter Mediatisierung versteht man ein Konzept, das das Wechselverhältnis zwischen Medien- und Kommunikationswandel einerseits und kulturellem und sozialem Wandel andererseits untersucht (vgl. Couldry & Hepp 2013: 197).
Es beschreibt einen langfristigen Prozess, der von anderen Prozessen wie Individualisierung, Kommerzialisierung und Globalisierung begleitet wird und mit dem sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte einhergehen (vgl. Hepp 2019: 2). Darüber hinaus kann Mediatisierung auch als Metaprozess bezeichnet werden, da es weder eine zeitliche noch eine räumliche Begrenzung für die soziokulturellen Konsequenzen gibt (vgl. Krotz 2007: 11).
Unter den quantitativen Aspekten der Mediatisierung kann die (seit den letzten Jahrzehnten) zunehmende zeitliche, räumliche und soziale Verbreitung medienvermittelter Kommunikation verstanden werden, die sich insbesondere auf die Etablierung mobiler digitaler Medien zurückführen lässt (vgl. Hepp 2019: 1).
Als qualitative Aspekte der Mediatisierung können die Auswirkungen dieser Verbreitung begriffen werden, sprich inwieweit diese und die „zuneh- mende[...] Entgrenzung und Vermischung der Einzelmedien“ (Krotz 2008: 55) zu einem soziokulturellen Wandel beitragen. (vgl. Hepp 2019: 1). Wie die verschiedenen Medien, so vermischen sich auch die „medialen Bereiche persönlichen und alltäglichen Handelns“ (Krotz 2007: 95). So ist die digitale (mobile) Mediennutzung nicht länger orts-, zeit- oder zweckgebunden (vgl. ebd.). Diese ständige Verfügbarkeit führt neben immer mehr Nutzungsweisen (Funktionen) auch dazu, dass zwischenmenschliche Beziehungen mehr und mehr über digitale Medien realisiert werden (vgl. ebd.: 96).
Mittlerweile beschäftigen sich ForscherInnen zunehmend mit einer Vertiefung des Mediatisierungskonzeptes, da das Bewusstsein darüber, dass Medien neben Kommunikationsmitteln gleichzeitig Mittel zur Generierung von Daten darstellen, gestiegen ist (vgl. Hepp 2019: 3).
3. Surveillance Studies
Mit der zunehmenden Verbreitung und Verdichtung digitaler Medien rückten die Surveillance Studies mehr und mehr in den Fokus der Sozial- und Geisteswissenschaften (vgl. Bolin 2018: 3f.). Um im späteren Verlauf dieser Seminararbeit die alltägliche peer surveillance nachvollziehen zu können, muss jedoch zunächst ein kurzer Einblick in die Top-down surveillance gegeben werden.
3.1. Vertikale Überwachung
Die Überwachung ist kein neues Phänomen der Spätmoderne. Folgt man den Ursprüngen der Überwachungspraktiken, gelangt man zum sogenannten Panoptikum, das von dem Philosophen Jeremy Bentham entwickelt und später von Foucault (1977) näher ausgearbeitet wurde. Dabei handelt es sich um ein Modell, in dem Gefängnisinsassen zu jeder Zeit permanent ohne ihr Wissen beobachtet werden können (vgl. Tokunaga 2010: 705).
Das Panoptikum stellte für einen langen Zeitraum das einzige paradigmatische Modell in diesem Zusammenhang dar. Es kann strenggenommen als „aufklärerisches Erziehungsmodell“ (Tokunaga 2010: 705/ vgl. Albrechtslund 2008) verstanden werden, da das Ziel darin bestand, dass die Gefangenen ihr Verhalten aufgrund der permanenten Beobachtung anpassen würden und somit wieder in die Gesellschaft integriert werden könnten (vgl. Leistert 2016: 4).
Dieses Konzept wird von vielen ForscherInnen (siehe Katz & Rice 2002, Lyon 1993, Spears & Lea 1994) häufig auf die Internetkultur übertragen (vgl. Tokunaga 2010: 705). Kritik an diesem Modell übten Haggerty und Ericson (2000), indem sie darauf hinwiesen, dass hier weder ausreichend auf die Datensammlung noch auf die „Überwachung durch vernetzte Computer“ Bezug genommen wird. Darüber hinaus würden die Menschen, die ebenfalls zu der Verbreitung von Überwachung beigetragen haben, nicht berücksichtigt (vgl. Leistert 2016: 4 - zit. nach Haggerty und Ericson 2000).
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- Master of Arts Merle Wendt (Autor), 2020, Medienwandel. Welche (veränderten) Nutzungspraktiken ergeben sich im Rahmen von peer surveillance/ sozialer Überwachung?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1195487
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